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Zehntes Kapitel. Lachsfischen ist nicht so einfach

Unterdessen waren Knut, Age und Uffe zu dem Gießbach gekommen, und sie waren alle drei so eifrig, ihr Fischerglück zu erproben, daß sie nicht viel daran dachten, wo Erik blieb.

»Er ist vielleicht zurückgegangen, um sich etwas aus dem Boot zu holen,« meinte Knut.

»Was würdest du zu einer Blue Doctor sagen?« fragte Age und zog eine große Blechdose aus der Tasche. »Oder sollen wir vielleicht lieber eine Silver Gray versuchen?«

»Wie bitte?« sagte Knut.

»Eine Black Dose ist weitaus vorzuziehen,« meinte Uffe, »aber Knut könnten wir ja eine Thunder and Lightning geben, nicht?«

Knut sagte weder ja noch nein, das war das Klügste. Er legte nur den Kopf schräg und kniff das eine Auge pfiffig ein.

Age hatte unterdessen die Blechdose geöffnet und zeigte nun Knut den Inhalt. Das war die feinste Sammlung Lachsfliegen, wie sie sich nur ein englischer Lord wünschen konnte.

Nein, diese Knaben müssen ja die reinsten Preisfischer sein, dachte Knut, was müssen die nur an Taschengeld haben, um sich so feine Angelgerätschaften kaufen zu können! Mit steigender Bewunderung sah er ihren Vorbereitungen zu. Sie hatten sieben Stangen in feinen Futteralen mit, ganz als wäre eine große Expedition auf Fischfang, nicht drei halberwachsene Burschen.

»Diese Stange ist first class,« sagte Age sachverständig und setzte eine gewaltige Stange von über achtzehn Fuß zusammen. »Die ist aus ostindischem mottled-cane und kostet dreihundert Kronen! Ist auch meine beste Stange, die nehme selbstverständlich ich.«

Es gibt nicht viele Dinge, die unterhaltender und spannender sind, als einem rauschenden Fluß entlang zu waten, wo die Lachse in ganzen Massen stromaufwärts ziehen. Ab und zu hüpft einer hoch über die Stromwirbel, und das sieht dann durch den Nebel wie ein silberner Blitz aus.

Aber es ist auch ein sehr schwieriger Sport, das lernte Knut bald. All die forschen, unverständlichen Ausdrücke, mit denen Age und Uffe nur so um sich warfen, machten ihm mächtigen Eindruck. Die beiden Jungen beherrschten die elegante Ausdrucksweise der Sportfischer wie ihre eigene Muttersprache; dagegen waren sie merkwürdigerweise in der Praxis nicht sonderlich bewandert. Age hatte sogar richtiges Pech und büßte in weniger als einer halben Stunde vier Fliegen ein; von all den großen Lachsen ganz zu schweigen, die ihm angeblich immer gerade in dem Augenblick auskamen, wenn er sie ans Land werfen wollte. Einmal fischte er auch einen von Uffes Schenkeln, und ein andermal schwirrte seine buntgesprengelte Fliege Knut so dicht an der Nase vorbei, daß der vor Überraschung hintenüber fiel.

Plötzlich knackste Ages ostindische Wiehießsiedoch-Stange mitten durch, so daß der obere Teil mit Seidenschnur und » Wormgut« und » Blue Doctor« im Fluß verschwand – und weg war sie. Knut konnte trotz des Nebels deutlich sehen, wie der Junge leichenblaß wurde und in seinen feinen Knickebockers nur so zitterte. Aber das war ja ganz natürlich; die Stange hatte doch dreihundert Kronen gekostet!

»Meine Herren!« keuchte Age und starrte entsetzt in die Strömung.

»Menschenskind, was machst du denn da!« rief Uffe. »Da werden wir ja saubere Dresche kriegen, wenn wir nach Hause kommen! Aber du hast dir diesen Blödsinn ausgedacht!«

»Halt die Klappe,« schnarrte Age, »du warst doch auch wie versessen darauf! Wir müssen sie ans Land retten, sonst setzt es für uns alle drei einen netten Tanz. Kannst du schwimmen, Knut?«

Ja, das konnte Knut allerdings, und so einigten sie sich dahin, daß Knut versuchen sollte, die Stange wieder aufzufischen – koste es was es wolle, sei es auch ein Tauchbad in dem eiskalten Wasser. Um Knut dazu zu bewegen, mußten die Jungen eingestehen, daß sie das erste Mal in ihrem Leben Lachse fischten und ohne zu fragen, die feinsten Angelgeräte ihres Vaters mitgenommen hatten. Und das bedeutete mordsmäßige Hiebe, Hausarrest und andere erfreuliche Dinge. Knut und Uffe überließen es also Age, die Schnüre wieder aufzuwickeln und liefen den Fluß hinunter, der verschwundenen ostindischen Herrlichkeit nach.

Age war eben im Begriff, Stange Nr. 2 in das dazu gehörige Futteral zu stecken, als ein Schatten lautlos aus dem Nebel auftauchte. Es war ein Grönländerjunge, und er zog einen Hund mit weitaufgerissenem, roten Rachen an einem Lederriemen nach. Age fuhr zusammen.

»Was spionierst du da herum, du Nigger?« schnauzte er ihn an und durchbohrte ihn mit den Blicken.

»Nalanaq, Untervorsteher, er wissen alles,« sagte der Junge sehr ernst, »norwegischer Nakagpiaraq, haben ihn gefaßt. Ja, ja.«

»Was! Angusuak, du lügst!«

Age packte den Jungen wütend an seiner Tuvilikkapuze und schüttelte ihn heftig: »Du lügst, sage ich!« wiederholte er noch zorniger und gab Angusuak eine schallende Ohrfeige. In der nächsten Sekunde lag Age auf dem Rücken und hatte den Hund über sich.

»Hilfe! Hiiilfe!«

Age heulte vor Angst, denn der Eskimohund war ein ganz gewaltiger Kerl. Angusuak zog und riß an dem Lederriemen, während er dem Hunde flehentlich unverständliche Worte zurief: »Iikee, Ua! Tungujuluk!« Das half jedoch kein bißchen; das Tier war offenbar stärker als sein Herr.

Knut und Uffe hatten die Fischstange zwischen ein paar Stauden am Ufer eingeklemmt gefunden. Da hörten sie Ages Entsetzensschreie. In großen Sprüngen eilten sie hinauf, und was sie sahen, als sie zur Stelle kamen, ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Da lag Age unter dem Hund, der mit seinem riesigen Rachen nach ihm schnappte, während der Eskimojunge immer wieder vergeblich versuchte, ihn wegzureißen.

»Zu Hilfe!« stöhnte Age, schon ganz matt. Uffe stürmte herbei. Die Stange schwang er wild durch die Luft. Dann schlug er dem Hund über den Rücken; aber das machte dem gar nichts aus; er drehte nur blitzschnell den Kopf zur Seite und schlug seine weißen Raubtierzähne in die Stange, sodaß sie zersplitterte. Angusuak jammerte um die Wette mit Age und zog und zerrte an dem Riemen. Der Hund war jetzt ganz toll vor Wut; er riß große Stücke aus Ages Kleidern.

Da warf sich Knut mit voller Wucht auf ihn und es gelang ihm, ihn wegzudrängen. Uffe folgte sofort Knuts Beispiel, und nun wirbelten sie alle drei in einem wirren Knäuel herum, Knut, Uffe und das Tier. Age lag da und jammerte und schluchzte vor Schmerz und Wut. Dazu hatte er auch allen Grund; er blutete, und seine Kleider waren nur noch ein einziges Fetzenbündel, der Anaraq, die Knickerbockers und die ganze Herrlichkeit.

»Nimm's Messer, Uffe!« stöhnte Age und versuchte sich aufzurichten. »Nimm das Messer und bring das Biest um!«

Uffe versuchte nach seinem Messer zu greifen; aber nun war es auch schon überflüssig. Knut hatte endlich den Hund überwältigt und ihm mit seinem Lederriemen die Vordertatzen zusammengebunden. Nun war das Tier ja gottlob gänzlich kampfunfähig, Aber es war ein harter Kampf gewesen, und sowohl Knut wie Uffe hatten die scharfen Zahnreihen des Hundes tüchtig zu spüren bekommen.

Age hatte sich aufgerichtet. Er schäumte vor Wut und wankte auf den Eskimojungen zu, der ihn hilflos aus großen, erschreckten Augen anstarrte.

»Das werde ich dir heimzahlen, Angusuak,« murmelte Age und hielt dem Jungen die geballte Faust unter die Nase.

»Ich nicht schuld, naj, naj,« stammelte Angusuak.

»Nein, aber vielleicht wirst du ein andermal besser auspassen, wenn du heute die Jacke voll bekommst, was?«

»Gib's ihm nur tüchtig,« hetzte Uffe, während er sich das Blut von den Händen wischte.

»Nein, hör mich jetzt an, Age,« sagte Knut und trat dazwischen. »Laß den Jungen lieber laufen. Dann klatscht er vielleicht nicht. Außerdem sind wir ja drei gegen einen, und das ist nicht fair.«

»Drei gegen einen, vor zwei Minuten war ich einer gegen hundert! Und außerdem – klatschen! Als ob solche Kerle nicht für fünfe klatschen würden!

»Na ja, übrigens,« fügte er nach einem Augenblick des Nachdenkens hinzu, »kann ich ja die Sache auf ein andermal verschieben. Aber hiebe mich er haben, der Schurke! Habt ihr die Stange gerettet?«

»Ja,« sagte Knut, »im letzten Augenblick! Aber was glaubst du, wird dein Vater sagen, wenn er deine Kleider sieht?«

»Sagen? Mein Alter? Ach, ich gehe einfach zu ihm hin und sage: Sieh dir das mal an!«

Da riß er auf einmal entsetzt die Augen auf.

Er hatte die Fischstange erblickt, die zersplittert auf dem Boden lag.

»Wer hat das getan?«

Ages Stimme zitterte; er hatte Tränen in den Augen.

»Der Hund!« antwortete Uffe düster.

»Das auch noch!« Und murmelnd fügte Age hinzu:

»Wir haben Rattengift genug daheim! Der Köter wird die Nacht nicht überleben!«

Aber dann fiel ihm etwas ein, was er über den Schrecken des Kampfes gänzlich vergessen hatte, die Ursache des ganzen Streites: Angusuaks Botschaft.

»Aber Menschenskinder,« rief er, »wir vergessen ja Erik! Den haben sie doch hopp genommen. Der sitzt im Kittchen.«

Knut blieb wie gelähmt stehen. Erik gefangen genommen! Das war heiter!


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