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Achtes Kapitel. Die »Celesta« bekommt eine neue Besatzung

In dem Motorboot waren fünf Mann an Bord, oder genauer gesagt, drei, denn zwei davon waren Jungen.

Alle fünf begaben sich sofort an Bord der »Seeschwalbe«. Schiffer Rise empfing sie; er hatte sich zu diesem Anlaß in volle Kapitänsuniform geworfen und sah sehr stattlich aus.

»Ich bin Schiffer Erik Rise aus Alesund,« sagte er zu den Gästen, »vielleicht kommen Sie mit mir hinunter in die Kajüte und sehen sich die Schiffspapiere an?«

So geschah es, und dort unten blieben die Besucher ziemlich lange, weit über eine Stunde. Erik mußte zweimal Zucker und Toddywasser hinuntertragen. Das letztemal war die Kajüte ganz voll von Zigarrenrauch, und die Kognakflasche auf dem Tisch war leer. Sie schienen es sehr gemütlich miteinander zu haben.

Unterdessen hatten die zwei Jungen, die mit an Bord gekommen waren, sich in der Kombüse häuslich eingerichtet und eine Unterhaltung mit Erik und Knut begonnen. Die waren heute ganz allein, denn der Koch hatte wieder einmal Magenkrämpfe und lag in seiner Koje und schlief.

»Habt ihr Zigaretten?« fragte der ältere der zwei Jungen, er mochte wohl fünfzehn, sechzehn Jahre sein und war ein kräftiger, rotwangiger Bursche in riesig weiten Knickerbockers und großkarrierten Sportstrümpfen. Der andere schien ein paar Jahre jünger, aber sah dem ersten so ähnlich wie ein Ei dem andern, auch was die wunderliche Kleidung betraf. Sicherlich mußten sie Brüder sein.

»Wollt ihr vielleicht Kaffee haben?« fragte Erik und fühlte sich beinahe als Hausherr an Bord.

»Ach, danke schön, so was trinken wir nicht! Hast du nich 'nen kleinen Lebenswecker, das ist ja heute eine Hundekälte!«

»Lebenswecker?« fragte Erik verlegen. Nein, so was hatten sie wohl nicht an Bord.

»Ach, er meint einen Magenwärmer, er drückt sich immer so verdreht aus,« schaltete der jüngere der Gäste erklärend ein und zündete sich seine Zigarette an einem brennenden Scheit im Herd an.

»Halt die Klappe, Säugling! Aber Verzeihung, wir haben ja ganz vergessen, uns vorzustellen! Mein Name ist Age Asgersen, und dieser Däumling hier ist mein Bruder Uffe –«

»Uffe! Däumling!« sagten Erik, und der, der Uffe genannt worden war, im Chor, der eine erstaunt, der andere zornig.

»Und der Kolonievorsteher, der mit uns gekommen ist, das ist unser Vater. Wir sind eben aus Kopenhagen heraufgekommen, um unseren Alten zu besuchen, seit fünf Jahren haben wir nicht mal seine Nasenspitze gesehen. Aber in diesem Nest ist es ja nicht auszuhalten. Da war es ja noch in der Sklavenanstalt erträglicher!«

Und Herr Age Asgersen aus Kopenhagen begann frisch und fröhlich vom Tivoli zu erzählen und von Klampenborg, nach dem sie sich krank sehnten, von den Eskimos und von dem Nordwind und den Mückenschwärmen, die sie schon bis oben hatten, und noch von vielem anderen.

»Der einzige Spaß, den man hier hat, ist die Hunde zu reizen und Lachse zu fischen, aber das fängt auch schon an langweilig zu werden,« sagte Age mit einem tiefen Seufzer.

Im übrigen schienen beide Brüder nicht wenig erfreut, hier in der Einsamkeit Kameraden zu finden. Und sie versprachen, baldigst wiederzukommen und sie zu einem Ausflug ans Land abzuholen.

»Heute Abend geht der Alte zum ollen Leichenlieferanten, dort blättern sie wieder mal im Psalmbuch!«

Weder Knut noch Erik hatten die leiseste Ahnung, daß der Kopenhagener Junge mit diesen düsteren Reden sagen wollte, sein Vater gehe zu einem Bridgespiel beim Stationsarzt; sie waren beide so verblüfft von seiner Zungenfertigkeit und seinen herrlichen Sporthosen, daß sie sich nicht getrauten zu fragen.

»Denn wenn sie drüben bei dem Beulenschneider bridgen,« fügte Uffe hinzu und steckte eine Handvoll Zuckerstücke in die Hosentasche, »dann sind wir die Herren der Kolonie, und dann kommt erst mal Zug in die Sache! Aber jetzt, auf Wiedersehen, Jungs!«

Age und Uffe verabschiedeten sich, denn jetzt kam der Schiffer mit den Dänen wieder aus der Kajüte herauf. Sie sahen sehr aufgeräumt und vergnügt aus, lachten und schwätzten, und der Schiffer schmunzelte.

»Ja also, dann auf Wiedersehen, Herr Kapitän,« sagte der Herr Kolonievorsteher und drückte dem Schiffer die Hand.

Dann kletterten die Dänen die Leiter hinunter, Uffe kurbelte den Motor an, Age nahm das Steuer, das Boot töffte wieder davon, und die Danebrogflagge flatterte vom Achtersteven, so daß das Kielwasser wie ein blutiger Streif in der blauen See aussah.

Die Fischer sammelten sich gespannt um ihren Kapitän. Fragen schwirrten durcheinander.

»Wir kriegen doch Wasser«

»Dürfen wir landen?«

»Hat er was über die »Celesta« gesagt?«

Die Fragen regneten nur so auf den Schiffer herab. »Wir dürfen Wasser holen. Aber sonst darf niemand an Land, verstanden? Und wenn morgen das Wetter einigermaßen anständig ist, laufen wir wieder aus.« –

»Aber da ist noch eine andere Sache, die jetzt auch einmal geregelt werden muß,« fuhr der Schiffer fort und setzte sich auf das Geländer, »jetzt haben wir ja Ryßt verloren, und das hat uns einen schlimmen Strich durch die Rechnung gemacht. Ist nicht vielleicht einer unter euch, der eine Ahnung von der Räucherei hat?«

Erik spitzte die Ohren, dann trat er rasch aus der Kombüse und sagte: »Ich!«

Die Burschen grinsten. Ja, das war ein Räuchereimeister, der sich sehen lassen konnte!

Da sagte Syver, ganz gelassen, wie es seine Art war:

»Was meinst du zu mir, Rise?«

Keiner der Leute wunderte sich über diese plötzliche Frage. Denn der alte Syver war ein Tausendkünstler und natürlich konnte er mit spielender Leichtigkeit alte Schuhsohlen zu leckerem Butterbrotbelag räuchern.

Der Schiffer strahlte förmlich. Jetzt fiel es ihm ein, ja natürlich, Syver hatte einmal in seinem wechselvollen Leben eine Lachsräucherei oben an der Alaskaküste betrieben, und gab es jemanden, der Fische zu räuchern verstand, so war er es.

Und so war das Ganze im Handumdrehen erledigt. Syver würde das Kommando an Lord von »Grönlands Schrecken« übernehmen und zusammen mit Erik und Hjalmar vom Fuglafjord das Räuchern besorgen. Knut würde Koch sein, und ein fünfter sollte durch das Los aus der Mannschaft gewählt und ihnen beigegeben werden. Es traf die Seekrätze.

»Da hast du Glück gehabt,« sagte Sterz-Ulrich. Er hatte gehofft, selbst gewählt zu werden, um darüber zu wachen, daß nichts von dem Fang durch Achtlosigkeit oder Gefräßigkeit zugrunde ging. – »Wenigstens kriegst du diesen Sommer nicht noch mehr Blasen!«

»Also alle unsere Jüngsten,« sagte der Schiffer vergnügt.

»Danke schön,« meinte Syver, »du machst immer so hübsche Komplimente!«

Im tiefsten Innern war der alte Syver gar nicht so froh über seine Beförderung. Und als die Jungen, einer nach dem andern, mit der Mütze in der Hand, vor Lachen beinahe platzend, an ihm vorbeizogen und ihm zu seiner neuen Stellung als Admiral der »Gespensterfregatte« und Höchstkommandierender über tausend Ratten gratulierten, da fühlte er einen Stich im Herzen und fand, daß das Schicksal doch recht grausam mit ihm umsprang.

»Geschieht mir ganz recht!« murmelte er und warf einen haßerfüllten Blick auf das »alte Scheusal«.

Kaum war der Kriegsrat zu Ende, so wurde das Motorboot und zwei Schaluppen flott gemacht, und mit Syver, Knut und Erik als Bemannung fuhr Schiffer Rise landwärts, um Trinkwasser aus dem Bach zu holen, den der Kolonievorsteher ihm angewiesen hatte.

Dann zogen Syver, Per Hovde, Knut und Erik auf die »Celesta«.

»Daß mir ja keiner an Land geht!« rief ihnen der Schiffer noch nach. »Das ist uns ausdrücklich verboten worden, verstanden?«

Erik und Knut nickten heftig; fast zu heftig, als daß man ihnen hätte Glauben schenken können.


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