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Zweites Kapitel. Der Fischfang

Es war nicht viel geschehen auf der Fahrt zu den Fischbänken. Es hatte nicht ein einziges Abenteuer gegeben, wie es sich die Leute am Land vorstellen: mit Orkanen, Seenot und seltsamen Erlebnissen. Zielsicher hatte die »Seeschwalbe« die Wellen durchschnitten. Im Fuglafjord, genau an der Stelle, die Schiffer Rise angegeben hatte, hatten sie die »Celesta« getroffen und mit festen Tauen an der »Seeschwalbe« festgemacht.

Sonst gab es nichts Bemerkenswertes. Und doch war es Erik, als erlebte er das größte Abenteuer, jenes Abenteuer, das im Alltag der Fischer verborgen ist, die auf einem kleinen Kahn hinausfahren in die Unendlichkeit des Meeres: die selbstverständliche Kameradschaft, die ständige Bereitschaft, gemeinsam alles Gute und Schlimme zu ertragen. All das war versteckt hinter kleinen Neckereien und Sticheleien, mitunter auch hinter herzhaftem Zank; aber gerade Erik, der heimatlose Junge, spürte am deutlichsten, wie sehr sie alle zusammengehörten, und er war froh, daß auch er dabei war.

Nun war der Fischfang schon zehn, zwölf Tage im Gang; und diese Tage waren wie im Flug vergangen. Ein paar Regenschauer und ein bißchen unruhige See hatte es ab und zu gegeben, im großen Ganzen waren die Fischer jedoch mit dem Wetter zufrieden. Wenn nur nicht soviel Nebel gewesen wäre! Der zog sich durch alle Kleidungsstücke und drang bis ins Rückenmark. Doch niemand an Bord hatte Zeit, sich viel darum zu kümmern. Um fünf Uhr früh standen die Leute auf, um die Leinen vom Abend vorher einzuziehen, und dann ging die Arbeit ununterbrochen bis gegen Mitternacht weiter. Da hieß es beködern, putzen, abschuppen, einsalzen. Für unnötiges Gerede war keine Zeit übrig. Die Mahlzeiten wurden auf dem Verdeck hinuntergeschlungen, und wenn man Abends ins Bett ging, schlief man ein, bevor man noch die Jacke abgelegt hatte. Ja, das war ein Leben! Aber spannend, lustig und strahlend war es! Die »Seeschwalbe« hatte nun auch das Glück gehabt, mitten in eine richtige »Grube« zu kommen, ganz voll von Fischen, hauptsächlich Heilbutten, gewaltigen Biestern, die ihre fünfzig Kilogramm wogen; ein Mann allein konnte sie gar nicht über Bord ziehen. Auch Dorsche gab es in Mengen, Riesendorsche, so groß wie ein zwölfjähriger Junge, und dann Steinbutte. Bootsmann Dik, Knut und Erik hatten eine Gesellschaft zur Ausnützung des Steinbutts gegründet. Dieser Fisch gleicht einem Raubtier mit seinen furchtbaren, kräftigen Zähnen. Seine Haut kann die verschiedensten Farben haben, von dunkelviolett und schwarzbraun bis zu dem blendendsten Weiß; und immer ist sie gefleckt wie ein Leopardenfell und fast ebenso stark. Auch der Fisch selbst ist eigentlich sehr wertvoll, denn er trieft von Fett; aber die norwegischen Fischer schätzen ihn nicht und werfen ihn am liebsten, kaum daß sie ihn an Bord haben, wieder ins Meer zurück. Im Laufe des Sommers werden vielleicht mehr als zehntausend solche Steinbutte in der Davisstraße über Bord geworfen.

Die drei hatten also eine Art Aktiengesellschaft gegründet, ohne einen roten Heller Kapital. Später trat auch noch der Heizer Breil als Aktionär bei. Der Bootsmann hatte in Oslo mit einem Gerber gesprochen, der bereit war, bis tausend fehlerlose Häute zu einer Krone das Stück zu übernehmen – selbst würde er sie wohl für zehn Kronen verkaufen, aber das ging ja die Jungs nichts an. Viks Aufgabe war es, aufzupassen, daß die Steinbutte nicht über Bord geworfen wurden. Erik und Knut dagegen, später auch der Heizer, hatten das Abhäuten zu besorgen und mußten die abgezogenen Fische in Streifen schneiden, die im Takelwerk getrocknet wurden und dann eine Delikatesse abgaben. Die Jungen sollten zwei Drittel von den Häuten bekommen; Dik und Breil wollten sich die in Streifen teilen. Das waren seine Bedingungen, fanden die Jungen, und so benützten sie jeden freien Augenblick, um Steinbutte abzuziehen. Anfangs ging es ihnen schwer von der Hand, aber Jungens sind erfinderisch. Sie hatten noch nicht viele Fische abgezogen, da waren sie schon auf alle mögliche Kunstgriffe gekommen, und schließlich ging die Sache wie geschmiert.

Von den Häuten wurden dann am Abend, wenn man mit dem Fischen fertig war, sorgfältig alle Fett- und Fleischreste abgekratzt, dann wurden sie tüchtig eingesalzen, zusammengerollt und in leere Köderkisten gepackt.

Die Jungen hatten aber auch noch vieles andere zu tun. Knut sollte die Leinenfischerei erlernen und in diesem Sommer gewissermaßen sein Gesellenstück machen. Darum mußte er bei allem dabei sein. Zuerst beim Leinenmotor, dann beim Einziehen der Leinen, dann beim Beködern der Angelhaken, dann beim Abschuppen und Waschen, und schließlich, was das Schwierigste war, beim Auslegen der Leinen. Schiffer Rise, der den ganzen Tag auf der Kommandobrücke stand und die »Seeschwalbe« auf dem Fangfeld hin und her steuerte, von Boje zu Boje, und dabei ein Argusauge an jedem Finger hatte, sorgte schon dafür, daß der Junge sich nicht schon von Anfang an zu Tode rackerte. Knut bekam zwischendurch frei und konnte sich dann ganz den stolzen Aufgaben der »Steinbutt-Aktiengesellschaft« widmen.

Heizer Breil war ein drolliger Kauz, zahnlos und mager, aber immer guter Laune; er war einer dieser wurzellosen Menschen, die mit ein paar Holzpantoffeln und einer Zwillichhose als einzigem Gepäck von Schiff zu Schiff um die ganze Welt herumkommen, wo er her war, wußte niemand so recht. Aber er hatte alle Weltmeere befahren und war auf den Schiffen aller Nationen vor dem Heizkessel gestanden. Im Sommer hatte er sich Ferien genommen, wie er selbst sagte, um etwas frische Polarluft in die Nasenlöcher zu kriegen. Und so lange der Fischfang andauerte, hatte er es auch recht gemächlich an Bord, denn um zwischen den Bojen hin und her zu pendeln, brauchte man nicht viel Feuerung. Überdies war der Maschinist Myklegard ganz toll verliebt in seine Maschine und putzte und ölte alles selber. Er war in dieser Hinsicht wie Sterz-Ulrich – er konnte nicht leiden, daß andere sich in seine Angelegenheiten mischten.

Genau so war nämlich Sterz-Ulrich auch! Unten im Einsalzeraum stand er von Morgen bis zum Abend, bis über die Knie in dem nassen, grobkörnigen Salz und trällerte und sang vor lauter Begeisterung, denn das war ein Fischfang, zu dem man schon Sie sagen mußte, – da würden die Anteile fein ausfallen! Er gönnte sich kaum zehn Minuten Ruhepause, und von Ablösung wollte er gar nichts hören. »Oh nein, mein Lieber,« sagte er nur zum Schiffer, »da würden wir schön reinfallen! Die anderen Jungs haben ja nur dumme Geschichten und Firlefanz im Kopfe, und salzen Fische wie man Eier salzt!« Ab und zu brüllte er ungeduldig durch die Luke hinauf:

»Soll ich hier unten einschlafen? Krieg' ich gar keine Fische mehr?«

Und wenn der Abend kam, und es mit dem Fischen für diesen Tag aus war, war er fast nicht aus dem Einsalzraum hinaufzubekommen. Am liebsten hätte er dort unten übernachtet.

Auch Erik hatte keine leichte Aufgabe. Der Koch hatte ein Magenleiden, von dem er sich die ganze Zeit einbildete, es sei Skorbut oder Beri-Beri oder sonst eine von den gefährlichen Krankheiten, die den Seemann bedrohen – obwohl es natürlich nur Gallenreizung und Gelbsucht war, die ja so mürrische Leute immer früher oder später kriegen. Und zu alledem ging er herum und klagte über Schlaflosigkeit, obwohl er doch so gut wie nie wach war.

Erik tat ja mit Knuts freundlicher Unterstützung alles, was in seinen Kräften stand, um den armen Kerl aufzupulvern. Eines Abends war ein mächtiger Seeigel in das Bett des Kochs gekommen, und eines Morgens verlor er beinahe den Verstand beim Anblick eines riesigen Aals, der sich hinter den Mehlsäcken der Vorratskammer hervorschlängelte. Die Burschen zogen eben die ersten Leinen ein, als Salve Karolus Berg heraufgestürzt kam, mit den Armen fuchtelte und laut schrie, in den Mehlsäcken seien Schlangen! Die Fischer wollten sich halb totlachen, aber der Koch gab nicht früher Ruhe, bis er Syver und den Bootsmann dazu gebracht hatte, mit in die Vorratskammer zu kommen und sich das Ungeheuer anzusehen. Als der Koch jedoch mit seinen zwei Augenzeugen den Proviantraum betrat, lag da nur ein Fangleinentau auf dem Boden. Beim Anblick des Taus wurde der Koch noch bleicher als er schon war; mit klappernden Zähnen schwor er hoch und teuer, er habe mit seinen eigenen Augen gesehen, wie das Tau sich wie eine Schlange über den Boden ringelte und dabei ganz furchtbar zischte.

Sonst hatte Erik wirklich genug zu tun, er wie die anderen! Abgesehen von der Arbeit in der Kombüse mußte er noch Dorschzungen und -mägen aufschneiden, die Rise und der Koch mit nach Hause bringen wollten, Brot backen, den Mannschaftsraum und die Kajüte zweimal die Woche auswaschen, und die Mahlzeiten auf dem Achterdeck anrichten. Und jeden freien Moment nützte er im Dienste der Steinbuttgesellschaft. Das waren harte Tage. Was für einen Wolfshunger bekam man von all dem herumarbeiten in der frischen, schneidenden arktischen Luft; und des Nachts schlief man wie ein Murmeltier!

Für sich allein, draußen vor den Bänken lag die »Celesta« fest verankert. Einige Kabellängen südöstlich von ihr lag ein ungeheurer, blaugrüner Eisberg, der war auf der Bank aufgefahren und stieß immerzu ins Wasser, ohne jedoch vom Fleck zu kommen.


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