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18.

Der Tausendmarkschein hatte Heinz Marquardt zu einem ganz anderen Menschen gemacht.

Er war imstande, sich anständig zu ernähren, und seine an sich kräftige Natur und der unbeugsame Wille gesund zu sein und alle seine Kräfte gebrauchen zu können, ließ ihn rapide wohler werden.

Trotzdem blieb er sparsam, nur auf seinen Anzug verwandte er Geld und Sorgfalt.

Eines abends ging er zu Hilde Boras.

Die schöne Demimondaine hatte ihren Empfangsabend; die luxuriös eingerichteten Räume der großen Wohnung waren voller Gäste. Heinz Marquardt fühlte sich anfänglich recht befangen. Aber er fand seine Sicherheit sofort wieder, als die »Baronesse«, wie sie allenthalben genannt wurde, aus ihn zukam, sich an seinen Arm hing und ihn mehreren Kavalieren als ihren Freund vorstellte.

Egon Graf von Sarwald, der sich auch gerade in dieser Gruppe befand, lächelte bei dieser Vorstellung fein, dann aber trat er als erster hervor, streckte dem Ankömmling seine kräftige Rechte entgegen und gab so den anderen Herren das Zeichen, den neuen Gast als einen der ihrigen anzuerkennen.

Hilda war schon wieder davon, um andere Gäste zu bewillkommnen. Eben empfing sie einen jungen, blonden Herrn mit guter Taille und kleinem Schnurrbärtchen, in dem Heinz, trotzdem er nicht in Uniform war, den Polizeileutnant Runkel erkannte, der in jener schweren Nachtstunde der erste war, der seinem toten Weibe in das bleiche Antlitz gesehen hatte.

Hilda, die schon mit dem Leutnant darüber gesprochen zu haben schien, brachte ihn sofort zu Heinz.

»Ein guter Bekannter,« sagte sie, »der sich freut, Sie wiederzusehen, Herr Marquardt! ... Halten Sie sich den fest!« raunte sie ihm noch zu, ehe sie wieder von dannen eilte, »er kann Ihnen sehr nützlich sein!«

»Und das wird er auch gern tun!« lächelte der Polizeileutnant, dessen feines Ohr die Worte Hildas aufgefangen hatte, die heute in einem tief dekolletierten Kleide aus klarweißem Sammet mit silbernen Knöpfen und einer wundervollen Kette von Türkisen und dem entblößten Nacken göttlich schön war.

»Aber was kann ich für Sie tun?« fragte der Leutnant etwas zerstreut, da sein Auge von der blendenden Erscheinung nicht loskam.

Er lispelte ein ganz klein wenig, was ihm übrigens bei seiner sehr vorsichtigen, gut erzogenen Art, sich zu geben, nicht übel anstand, und da er außerdem sehr gedämpft sprach, so hatte ihn Heinz Marquardt nicht sogleich begriffen.

Der neigte lauschend den Kopf und der Leutnant wiederholte die Frage. Aber in diesem Augenblick trat Graf Sarwald hinzu.

»Haben Sie denn nun Ihre nächtlichen Fahrten aufgegeben, lieber Freund?« fragte der Graf.

Heinz Marquardt schüttelte den Kopf.

»Nicht eher, Herr Graf, als bis ich den Mörder meiner Frau gefunden habe.«

»Sie meinen, die Polizei fängt 'n doch nich! ... Pardon, lieber Herr Leutnant, aber Sie sind ja nicht Kriminalist!«

Der lachte.

»Trotzdem haben unsere Leute den Herrn hier neulich doch herausgehauen, nicht wahr?«

»O, da hab' ich auch geholfen!« versicherte der Graf, ebenfalls heiter, »ich glaube, ich würde einen ganz guten Kommissar abgeben! ... aber ich will Sie beide nicht stören!«

Aber auch der Polizeileutnant verließ Marquardt gleich darauf, als bekannte Herren ihn anriefen und Heinz begann sich recht einsam zu fühlen. Er sah auch nicht, wie er feinem Zweck hier nützen sollte. Und er, dem jede Stunde verloren schien, in der er nicht seinem Ziele dienen konnte, verlor allmählich jede Lust, unter diesen Menschen länger zu verweilen. Er versuchte noch Hilda Adieu zu sagen, sah diese aber in so angelegentlichem Gespräch, daß er ihr lästig zu fallen fürchtete. Deshalb ging er still hinaus und ließ sich vom Diener Hut und Paletot geben. Er wollte eben gehen, als der Polizeileutnant ebenfalls auf die Diele hinaustrat.

»Sie gehen auch schon? Das is ja nett! Da könn' wir am Ende ein Stück Wegs gemeinsam wandern! Ich habe keine Zeit mehr ... muß zum Dienst!«

Heinz verbeugte sich. Die beiden Männer traten auf die Straße.

Indem kam ein hochgewachsener Mensch an sie heran, der nicht besonders gut gekleidet war, und fragte:

»Ach Sie entschuldigen, wohnt hier in diesem Hause nicht ein Fräulein Boras?«

Er wandte sich mit dieser Frage an Marquardt, und da er so stand, daß das Licht der Straßenlaterne voll auf sein Gesicht fiel, konnte Marquardt ihn genau erkennen.

Sehr blaß war dieses Gesicht, und das schwarze Haar, das der Unbekannte ziemlich lang trug, schien sich in einem nicht sonderlich gepflegten Vollbart fortzusetzen. Die dunklen Augen hatten etwas glanzlos Totes.

Heinz Marquardt war es, als hätte er diesen Mann schon einmal gesehen ... oder ein Bild von ihm ... oder ... ja, ja, jetzt hatte er's, das war der Mensch, von dem ihm die schöne Frau dort oben gesprochen hatte – es war Hildas Bruder.

»Na, Sie wissen es wohl auch nicht?« fragte der Mann jetzt wieder.

»Doch,« sagte Marquardt, während der Leutnant abwartend still schwieg, »doch, Fräulein Boras wohnt hier! ...«

»Ob man da wohl noch reinkommt? ... Ich müßte die Dame möglichst heute noch sprechen ... sie scheint ja noch auf zu sein«, setzte er nach den erleuchteten Fenstern hinaufsehend hinzu.

»Vielleicht kommt ein Wächter«, meinte Marquardt und wandte sich zum Gehen.

»Komischer Kauz!« meinte der Leutnant, als sie ein Ende fort waren.

»Ja«, sagte Marquardt, aber von seiner Entdeckung verriet er nichts.

»Ich will Sie,« sagte der Leutnant, während die beiden jungen Männer weitergingen, »mal in eine Kneipe führen, die von der Polizei sozusagen nur von ferne observiert wird. Es liegt den Herren vom Alexanderplatz daran, gewisse Orte ganz freizulassen von Razzien und Streifen. Die Leute von der Zunft sollen aber denken, daß sie da ganz ungestört sind und daß die »Polente« keine Ahnung hat vom Vorhandensein dieser Zufluchtsstätten.«

Er ging plötzlich dichter an Heinz Marquardt heran und sagte leise:

»Sehen Sie das Frauenzimmer, was uns da fortwährend verfolgt? ... Kennen Sie sie vielleicht?«

Marquardt, der sich rasch umdrehte, ging dann sofort weiter und meinte ebenso leise:

»Ja, die kenn' ich! ... Sie hat da im Hause gewohnt und mir in der Nacht den Weg zum Arzt gezeigt.«

Er hielt inne, seine Seele trauerte wiederum den unersetzlichen Verlust, den er da erlitten hatte.

»Na, und was will sie jetzt noch von Ihnen?«

Marquardt zuckte die Achseln.

»Was weiß ich! ... Sie hat mich später immer wieder zu sprechen gesucht und mir eines Tages ganz unglaubliche Geschichten erzählt, von einem Menschen, mit dem meine arme Trude vor unserer Ehe ein Verhältnis gehabt haben soll, und lauter solchen Blödsinn!«

»Wie?« fragte der Polizeileutnant, »Ihre Gattin? ... Mit wem denn?«

»Na, das is ja eben das Tollste! ... Mit einem notorischen Verbrecher, einem Zuhälter, der befreundet war mit dem Geliebten, den sie, die Augst, selbst früher gehabt hat ...«

»Ach, dann ist das wohl die, die auf dem Kirchhof die große Schauerszene gemimt hat?«

Marquardt nickte halblachend.

»Ja, die! ... Wenn das nicht voraufgegangen wäre, das mit meiner Frau und dem angeblichen Verhältnis, dann hätt' ich natürlich auch daran geglaubt ... aber so ... Das ist einfach 'ne hysterische Person.«

Indem hörte er raschere Schritte hinter sich, blickte sich um und sah, schon ganz in der Nähe, Ernestine Augst, die ihm zurief:

»Herr Marquardt! ... Ach bitte, ein'n Augenblick!«

Heinz Marquardt ging ruhig weiter.

Aber Leutnant Runkel redete ihm zu.

»Man soll in solchem Falle nichts ganz von der Hand weisen! ... Sie können ja gar nicht wissen, vielleicht hat sie Ihnen doch was zu sagen, was wichtig für Sie ist ... warten Sie doch mal, schaden kann es doch auf keinen Fall!«

»Ach!« machte Marquardt, aber er blieb stehen.

»Was denn?« fragte er nun das herantretende Mädchen.

Die sah auf den Polizeileutnant, aber Heinz meinte:

»Sie können ruhig sprechen, vor dem Herrn hab' ich keine Geheimnisse!«

»Nein?« ... Sie holte tief Atem, »na meinswegen! ... Sie haben doch eben, wie Sie da drieben vor dies Haus jestanden haben, mit eenen gesprochen, wissen Sie, wer dis war?«

Marquardt antwortete nicht. Er lächelte nur verächtlich. Das kränkte die Augst.

»Na, mir kann's ja ejal sein! ... Aber wenn Se schon mal den Menschen nachloofen, der Ihre arme Frau dodjemacht hat, denn müßten Se doch allens tun, wat Se können, damit Se'n kriegen! ... Un denn müssen Se ooch heeren, wenn Ihn' eena wat sagt!«

Ihre Stimme wurde ganz weinerlich.

»Das Fräulein hat gar nicht so unrecht!« unterbrach der Leutnant jetzt den Redestrom der Aufgeregten.

»Woll, woll.« Ernestine schien sehr erfreut, in dem Leutnant jemand gefunden zu haben, der, was sie sagte, ernst nahm.

Aber Marquardt schwieg still.

»Un wenn er's ooch zehnmal nich jlaubt, darum is et doch wa': Der, mit den Sie da eben jesprochen ham, det wa' der! ... Der frühere Bräut'jam von Frau Marquardt!«

Heinz tippte sich mit drei Fingern an die Stirn.

Der Leutnant aber nickte zustimmend. Dann redete er abermals leise mit Heinz Marquardt:

»Ich weiß nicht, warum Sie sich dagegen so sträuben, lieber Freund?! ... Das alles läßt doch nicht den geringsten Vorwurf für Ihre Frau zu! ... Was wollen Sie denn? ... Sie werden doch hoffentlich nicht zu den Dummköpfen von Männern gehören, die von ihren Frauen verlangen, daß diese armen Geschöpfe vor ihrer Ehe keinen Mann angesehen, geschweige denn gar irgendeinem mal 'n Kuß gegeben haben sollen! Die Hauptsache ist doch, daß eine Frau in ihrer Ehe treu ist, na, und daran zweifelt doch in Ihrem Falle kein Mensch!«

»Wie soll denn der Kerl dann zu ihr reingekommen sein?« fragte Marquardt mit dumpfer Stimme, in der Schmerz und Zorn klangen.

Der Leutnant zuckte die Achseln:

»Dafür gibt es tausend Erklärungen! ... Wissen Sie denn nicht, wie dieser Mensch heißt?« wandte er sich an das Mädchen, das, während die beiden Männer miteinander sprachen, kein Auge von Heinz Marquardt gelassen hatte.

»Nee«, das Mädchen starrte vor sich auf den Lichtschein der Laterne, »nich mal uff den Spitznamen kann ick mir besinnen, un den hab' ick doch so ofte jeheert! ... Mit'n Vornamen hieß er Erwin, det weeß ick ... aba wie weiter? ... hm, ick besinne mir immerzu ...«

Von den drei Menschen, die da im Schein einer Straßenlaterne in der schweigsamen Nacht auf der Straße standen, war der eine zusammengezuckt bei der Nennung dieses Namens, als habe er einen starken elektrischen Schlag erhalten. Aber er faßte sich sofort wieder: weder das Mädchen noch der Leutnant sollten merken, was jetzt, in ihm vorging!

In seinem Geiste war plötzlich ein Lichtstrahl aufgeflammt, ein Lichtstrahl, den er den Worten dieses einfachen Geschöpfes verdankte, das ihn liebte, ohne es vielleicht zu wissen, und das, um ihm zu helfen, seine Existenz und vielleicht sein Leben aufs Spiel setzte.

Aber in Heinz Marquardts Herzen gab es nichts von Dankbarkeit. Der Egoismus seiner Rache kannte keine Grenzen! Er, er ganz allein wollte den Mörder finden! ... So verabschiedete er das Mädchen mit den Worten:

»Ich hab's ja gleich gesagt, daß das alles Unsinn ist. Meiner Ansicht nach ist der Mörder an einer ganz anderen Stelle zu suchen! ... Und da wer ich'n auch finden, ohne daß mir andere Leute fortwährend ihre Hilfe aufdrängen!«

Der Leutnant bezog den letzten Satz auch auf sich. Und mit einer rein menschlichen Höflichkeit, die ihm gut stand, wandte er sich an die Ausgestoßene und sagte::

»Ich glaube, mein Fräulein, Sie bemühen sich umsonst! Herr Marquardt hat offenbar andere Ideen und ist nicht zu überzeugen. Sie haben jedenfalls Ihre Pflicht und mehr als Ihre Pflicht getan ... adieu!«

Er reichte ihr die im weißen Lederhandschuh steckende Rechte und zauberte damit ein Lächeln der Freude auf das verschminkte Gesicht.

Alsdann wandte er sich an Marquardt:

»Sie erlauben wohl, daß ich mich jetzt nach Hause begebe ... Ich habe morgen früh Dienst und bin recht müde!«

Marquardt aber gab er nicht die Hand, er verbeugte sich nur leicht und ging mit schnellen Schritten davon.

Das hatte Heinz doch nicht gewollt! Einen Augenblick war er willens, dem Leutnant nachzugehen, ihn zurückzurufen und sich bei ihm zu entschuldigen ... Aber dann hätte er ihm auch sagen müssen, was ihm selber jetzt auf einmal ganz klar geworden war ... nein, nein, allein, ganz ohne jede Beihilfe wollte er den Mörder fangen! ... Mochten sie von ihm denken, was sie wollten!

So ging er ganz langsam, mit kleinen Schritten in derselben Richtung, wie Leutnant Runkel, indes Ernestine Augst sich nach der anderen Seite entfernte.

An der nächsten Querstraße bog Heinz Marquardt um die Ecke und nun rannte er, wie gejagt, auf Umwegen zurück nach der Maaßenstraße 87.

Aber die Fenster im Hochparterre waren alle dunkel ...

Und jetzt wie er darüber nachdachte, ward es ihm auch klar, daß es gar keinen Zweck haben würde, da noch einmal hinaufzugehen ... Wenn wirklich alles stimmte, und wenn seine Vermutungen sich als zutreffend erwiesen, so würde er da oben am wenigsten ihre Bestätigung erhalten!

Er ging vor dem Hause auf und nieder, warten wollte er jedenfalls! Es konnte ja doch sein, daß dieser Mensch hinaufgegangen wäre und wieder herunterkäme. –


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