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8.

Zu Hause war Marquardt seit jener Nacht, wo er die Totenwache bei seiner Trude gehalten hatte, nicht mehr gewesen. So graute ihm davor, wieder das Schloß aufzuschließen, in das er so oft voll froher, glücklicher Empfindungen den Schlüssel gesteckt hatte. Und ein Schauer packte ihn bei dem Gedanken, daß er weiter zwischen den Möbeln leben sollte, die Trudes weiche Glieder aufgenommen und ihre stille Schönheit umgeben hatten.

Sowie die Wohnung von der Polizei freigegeben war, sollte der Abzahlungshändler, dem das meiste gehörte, sein Eigentum wiederkriegen, den ziemlich wertlosen Rest wollte er zu Gelde machen. Und nur das Nähkörbchen der Toten, ein Bildchen und ein paar Bücher, die ihr gehört hatten, wollte er behalten.

Und die Photographie!

Das war das einzige, was in sein Dasein noch einen Schimmer von Glück werfen konnte: sie hatte sich vor knapp einem Monat zu seinem Geburtstag für ihn photographieren lassen ... Das Bild stand auf dem Vertikow. An dem Morgen hatte er natürlich nicht daran gedacht, aber jetzt, jetzt war es sein heißester Wunsch! Er wollte es bei sich tragen, immer, immer! Und wenn er müde sein würde, wenn seine Aufgabe ihn ermattete, wenn er zweifeln sollte an ihrer Durchführbarkeit, dann sollte das kleine Bild ihn wieder aufrichten! Es sollte sein Talisman sein!

Schon gestern hatte er es holen wollen. Aber da hatte er sich noch nicht überwinden können, den Ort, der solche Schrecknisse für ihn barg, wieder aufzusuchen.

Auch heute stand er lange unten auf der Straße. Aus dem Grünkramladen und nebenan hinter den Spiegelscheiben der Schlächterei, sah man ihm neugierig zu, wie er vor dem Hause auf und ab ging. Aber erst wie die Kinder sich um ihn sammelten und ihn angafften, entschloß er sich hinaufzugehen.

Nur ein Polizist, in Uniform, befand sich in der Wohnung, dort Wache haltend. Von diesem erfuhr Heinz, daß die Kommissare Hartmuth und Bendemann noch heute nachmittag herkommen würden, um noch einmal die Lokalität genau zu besichtigen. Bis jetzt hätte man keine neuen Spuren, aber alles deutete darauf hin, daß Maaß der Täter sei ...

Marquardts Gesicht sah für einen Moment aus, als wollte er lächeln. Aber die Bitterkeit über sein Geschick und die Wunden seiner Seele, aus denen hier an dieser Stelle immer neues Blut quoll, verwischte das Lächeln und ließ seine Mundwinkel zucken in klaglosem, unerträglichem Weh.

Er ging an die Servante und blieb wie gebannt stehen: Das Bild war fort!

»Was suchen Sie denn?« fragte der Polizist.

»Ein Bild,« sagte Heinz Marquardt und war gleich darauf wütend auf sich selber, daß er diesem Menschen etwas preisgegeben hatte. Denn nachdem die Behörde seine Hilfe bei der Entdeckung des Mörders abgelehnt hatte, war er überzeugt, die Polizei würde, wie gewöhnlich, nichts finden. Und er hatte sich fest entschlossen, alle seine Wahrnehmungen für sich zu behalten und, was er herausfand, nur in seinem Interesse zu verwerten.

Der Polizist witterte jedoch etwas.

»Was ist denn das für ein Bild, was Sie suchen!«

»Na, 'ne kleine Photographie meiner ermordeten Frau! ...« Der Polizei rieb er dieses »ermordet« so oft er konnte unter die Nase.

»Und die stand da, auf dem Schrank?«

Heinz Marquardt zögerte. Sollte er sagen, er wüßte es nicht genau? ... Aber nein, die Polizei würde ja doch nichts ausrichten. Wahrheitsgemäß antwortete er:

»Soviel ich mich entsinne, ja!«

»Denn muß sie also der Mörder mitgenommen haben, nicht wahr, das ist doch ganz klar!«

Heinz Marquardt sah den Beamten eine ganze Weile an, ohne ein Wort zu sagen. Dann meinte er kühl:

»Wie Sie denken ... Aber ich will jetzt gehen ...«

»Einen Augenblick noch!« meinte der Polizist, »ich muß doch den Herren Kommissaren Bericht erstatten. »Also auf dem kleinen Spind im Wohnzimmer hat ein Bild von der Ermordeten gestanden ...« er schrieb eifrig in sein Notizbuch, »dieses Bild fehlt jetzt.«

Er steckte das Buch ein und sagte ernst, gewichtig und offenbar sehr befriedigt:

»Nu müßten wir bloß noch das Bild finden bei dem Kerl, den Maaß, dann wäre alles all right ...«

Marquardt war schon draußen. Plötzlich fiel ihm ein, daß Maaß sicherlich jetzt keine sehr angenehmen Stunden verlebte im Untersuchungsgefängnis. Er wollte ihn jedenfalls nicht noch mehr reinlegen! ... Deswegen kehrte er nochmals um, klingelte wieder und, wie der Schutzmann öffnete, sagte er eindringlich:

»Hören Sie mal, ich glaube nicht, daß es Maaß war! Das sage ich Ihnen ausdrücklich, trotz der Photographie! ... Ich kann mich ja doch auch irren! ... wie leicht kann sie jemand anders weggenommen haben! ... Die Wohnung stand ja fortwährend offen ...«

Aber der Beamte schüttelte überlegen den Kopf:

»I Gott bewahre! Wer wird sich an einer Photographie vergreifen? Die hat doch nur für den Angehörigen Wert! ... Lassen Se man gut sind, Herr Marquardt, das ist ja sehr nett von Ihnen, daß Sie keinen Unschuldigen belasten wollen. Aber die Behörde, die läßt sich so leicht nicht irre machen! ... Wenn die erst mal 'ne Spur hat, dann find't se so'n Kerl auch, dann kann er sich in 'n Rattenloch verkrauchen!«

Achselzuckend ging Marquardt fort.

Wie er über die dritte Etage hinabstieg, öffnete sich plötzlich eine Tür zu seiner Rechten.

Im Rahmen stand ein Mädchen, die eine Nachtjacke über einen roten Unterrock trug. Ihr schwarzes Haar war unordentlich, als wäre sie noch nicht lange aufgestanden und an den kleinen hübschen Füßen, die in weißen, durchbrochenen Strümpfen staken, hatte sie viel zu große, ausgetretene Pantoffel.

Sie hielt den Zeigefinger der linken Hand fest auf die vollen, ein wenig blassen Lippen gepreßt und winkte mit der Rechten dem jungen Mann, der stehen blieb und in seinem Gedächtnis suchte, wo er dieser Person schon einmal begegnet wäre.

Und plötzlich fiel es ihm ein: er sah das Zimmer wieder, in dem seine Trude auf dem blutbesudelten Bette lag, die schwelende Lampe sah er und sah diese Kleine, Dicke da hereinschlüpfen mit ihrem schwarzen Haarschopf, der ihr so tief in die Stirn hineinwuchs.

Was hatte sie doch zu ihm gesagt? ... Sie wüßte etwas ... oder? ...

»Kommen Sie doch rein!« sagte sie, sich ein wenig vorbiegend, ganz leise zu ihm, der noch immer, die Hand am Geländer, dastand.

Da trat er rasch in die Tür, die sie schnell hinter ihm ins Schloß drückte.


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