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2.

Als Heinz Marquardt die bei der Potsdamer Bahn belegenen Bureaus der Güterexpedition erreicht hatte, war noch niemand anwesend.

Um acht Uhr kamen seine Kollegen. Einige grüßten ihn freundlich, die anderen, meist nicht allzu gewissenhafte Arbeiter, gingen mit scheelen Blicken und mokantem Lächeln an ihm vorüber. Er kümmerte sich absolut nicht darum und sagte in genau derselben gleichgültigen Weise »guten Tag«, wie er ihm geboten wurde.

Punkt neun Uhr trat der Betriebsdirektor ins Bureau.

Herr Weckerlin, der, die breite Brust vordrängend und die Hüften zurückschiebend, auf seinen kleinen und elegant beschuhten Füßen ein wenig knickebeinig einherstolzierte, sagte mit leicht näselnder Stimme:

»Na, schon tüchtig gearbeitet? ... Hm? ... Liebe das, wenn ich Eifer sehe bei meinen Beamten ... Mir nichts unangenehmer, als wenn man so gewissermaßen mit der Uhr in der Hand arbeitet, hab's mir seinerzeit auch nicht so leicht werden lassen! ... Nur immer flott! Immer flott! ...«

Mit diesem seinem Lieblingswort berührte er ganz leicht, eigentlich nur symbolisch, die Schulter des jungen Angestellten und verließ das Bureau, in dem die Köpfe aller Beamten sich tief über ihre Arbeit beugten.

Aber kaum war er hinaus, so fuhren sie mit einer Wuptizität ohnegleichen in die Höhe, und in das Lachen und Plaudern, das nun wieder begann, mischten sich spitze Redensarten, die Heinz Marquardt galten. So lange sein Name dabei nicht genannt wurde, überhörte Heinz das absichtlich. Als ihn aber jemand gar zu direkt anzapfte mit den Worten:

»Man sollte solchen Streber überhaupt nicht im Bureau dulden!« da richtete er sich mit einem Male kerzengerade empor und sagte, den Sprecher, einen Bureaugehilfen namens Maaß, mit seinen großen schwarzen, eng beieinander stehenden Augen anstarrend:

»Soll das etwa auf mich Bezug haben?«

Der andere, ein kleiner, schmächtiger Mensch mit rotem Haar und einem Gesicht voller Pockennarben, entgegnete mit impertinentem Achselzucken:

»Wem die Jacke paßt, der zieht sie sich an!«

Heinz Marquardt wandte sich an den Bureauvorsteher.

»Herr Hintzefuß, da muß ich mich bei Ihnen über Herrn Maaß beschweren.«

Max Hintzefuß war ein außerordentlich tüchtiger Arbeiter. Aber auch nur dieser Eigenschaft hatte er es zu danken, daß er noch immer im königlichen Dienst war. Als sogenannter Quartalssäufer hatte er zu wiederholten Malen Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben, die um so größer war, als gerade sein Posten die höchste Zuverlässigkeit voraussetzte.

Der Bureauvorsteher stand auf, ging zu dem kleinen Schreiber hin und sprach einige Worte mit ihm.

Der Rothaarige schien erst etwas zu zögern, bequemte sich dann aber, an Heinz Marquardt heranzutreten und sich mit ein paar nichtssagenden Worten zu entschuldigen.

Und Heinz, dem daran lag, nicht als Störenfried zu gelten, streckte ihm sofort die Hand entgegen zur Versöhnung.

Diesem kleinen Menschen war er so wie so eine Art von Revanche schuldig. Durch ihn hatte er seine Trude kennen gelernt. Es war da nämlich so ein kleiner Beamtenverein, dem er selbst zwar nicht angehörte, zu dessen Festlichkeiten er jedoch durch Maaß mehrfach geladen war. Und einst bei einem Maskenball war der Kollege in Begleitung von Trude Kaiser erschienen, die er offenbar selber anhimmelte. Heinz Marquardt fiel die in seinem Kreise seltene Erscheinung des jungen Mädchens sofort auf. Sie hatte wenig von der spießbürgerlichen Gescheitelheit der anderen jungen Mädchen, welche dort tanzten. Ein freierer, fast künstlerischer Hauch umwebte ihre schlanke Gestalt, und schon die einfache und nur durch ihren wirklichen Geschmack auffallende Kleidung ließ sie aus dem Kreise der übrigen hervortreten.

Kaum daß sie ihm vorgestellt war, hatte er ihren Kavalier, eben jenen rothaarigen Bureaugehilfen, um die Erlaubnis gebeten, mit ihr tanzen zu dürfen. Dieser hatte mit einer etwas süßsauren Miene seine Einwilligung gegeben, und Heinz Marquardt benutzte die Erlaubnis zu einem einmaligen Tanze ohne weiteres für den ganzen Abend. Als ihn dann Trude bei der Damenwahl holte, legte er sich gar keine Schranken mehr auf und führte sie auch nicht wieder zu ihrem Herrn zurück. Mit diesem hatte er kurz darauf eine sehr energische Aussprache, bei der sich Maaß nur schwer auf sein älteres Anrecht berufen konnte, denn auch er war heute zum ersten Male mit Trude, die die Tochter seiner Logiswirtin war, ausgegangen, und das junge Mädchen, dessen Entscheidung man zum Schluß anrief, weigerte sich entschieden, ihm irgendwelche Ansprüche auf ihre Person einzuräumen.

Aber das Mädchen hatte seitdem merkwürdigerweise einen entschiedenen Widerwillen gefaßt gegen den jungen Menschen, dessen Begleitung sie damals angenommen und dem sie das Glück ihrer Liebe zu danken hatte.

An all das mußte Heinz Marquardt denken, als er jetzt, selbst bei der Versöhnung, die Augen des Kollegen voll heimlichen Grolls auf sich gerichtet sah.

Der Vormittag verging unter drängender Arbeit. Da mit der sogenannten englischen Tischzeit gearbeitet wurde, so frühstückten die Angestellten der Bureaus für gewöhnlich gegen ein Uhr, falls nicht allzu drängende Beschäftigung zwang, auch diese Pause aufzugeben. Heute war der Hauptstoß des Güterverkehrs bewältigt, und in solchen Fällen gab der unermüdliche Hintzefuß selbst das Zeichen zu einer gemütlichen Erholungspause. Und jetzt, wo der Erste eben gewesen war, verschwand der größte Teil der Beamten, um in dieser oder jener Gastwirtschaft ein Eisbein oder ein Stückchen warmen Braten zu verzehren.

Heinz Marquardt lockte etwas anderes hinüber in die kleine Restauration. Kaum hatte er sich ein Glas Bier bestellt, so begab er sich auch schon ans Telephon, um fünf Minuten lang mit seiner Liebsten zu schwatzen.

Das Telephon lag auf dem Korridor, man konnte dort ganz vertraulich plaudern. Und das benutzte dieser lange, schwarzhaarige Mensch mit einer Naivität und Zärtlichkeit, die ihm niemand zugetraut hätte; derselbe Heinz Marquardt, dessen Rücksichtslosigkeit die meisten Frauen empfinden mußten, die ihn geliebt hatten.

»Bist Du da, Liebling?« fragte er, nachdem die Verbindung hergestellt war.

Und ihre weiche, wie von einem seidenen Schleier umhüllte Stimme erwiderte:

»Ja, mein Heinz! Wie geht es Dir? Hast Du viel zu tun?« ... Dann eine kleine Pause mit einem durch das Telephon hörbaren Seufzer. »Ach, wenn es doch erst Abend wäre!«

Er drückte einen Kuß auf die Membrane und sagte:

»Liebchen!«

Und plötzlich fiel es ihm ein:

»Aber es ist ja heute mein Skatabend! ...«

Sie ließ einige Augenblicke vergehen, ehe sie antwortete:

»Mußt Du denn dahin gehen?!«

»Aber Trude! ... Sollen sie mich denn ganz und gar für'n Pantoffelhelden ausschreien ... Du weißt doch, das ist mein einziges Vergnügen! – Und wenn ich gewinne, gehen wir auch nächsten Sonntag ins Apollo!«

»Dann bin ich also wieder heute den ganzen Abend allein, Du alter Bösewicht, Du!«

»Ach, Trude, laß doch, ich komme auch früh nach Hause! – Du bleibst doch so lange auf, ja?!«

Sie erwiderte nichts, und er setzte rasch hinzu:

»Und sieh Dich ja vor, mein Herz ... und lege auch bestimmt die Sicherheitskette vor! ... Du kannst lieber aufstehen und mir nachher aufmachen!«

Sie neckte ihn:

»Wenn Du nicht kommst, dann lege ich auch die Sicherheitskette nicht vor!«

»Du, dann bin ich böse!«

Sie hörte durch das Telephon, wie er mit seinem Fuß die dicht an seiner Seite befindliche Tür aufstieß. Gleich darauf sagte er:

»Die anderen sind schon alle fort, eben geht Maaß ... und ein Gesicht macht der! ... geradezu unheimlich! ... Adieu, mein Herz, leb recht wohl und denk an mich!«

»Du an mich auch!«

»Ja, wenn ich nur nicht so viel zu arbeiten hätte! – Adieu, adieu! – Und Du, hör' mal! – Trude! – Daß Du mir ja nicht die Tür aufläßt, wenn Du runter gehst und was einholst! ...«

Sie schwieg.

»Du hast es doch nicht etwa schon getan, Trude?«

»Ach, Heinz, vorhin, nur'n Augenblick, nur'n Augenblick, wie ich Butter holte unten aus'm Buttergeschäft ...«

»Aber Du sollst doch vorsichtig sein, Geliebte! ... Ich sage es Dir tausendmal! ... Nicht wahr, Du tust es nicht wieder, Du machst die Tür zu?! ...«

»Ja, ja, ich verspreche es Dir! ... Also um halb elf, nicht wahr?«

»Na, schön, adieu, mein Liebling, adieu!«

»Adieu, Heinz!«

Dann ging er fort mit einem heißen Gefühl in der Brust und voller Sehnsucht nach seinem Weibe.

Als er ins Bureau kam, waren die übrigen Beamten schon alle anwesend.

»Wo ist denn Maaß?« fragte Heinz den alten Stegemann, der Bureaudiener und am längsten von allen im Dienst war.

»Hat sich krank jemeldet,« erwiderte der Alte, skeptisch seinen kahlen Kopf schüttelnd, »dabei hat a' ausjesehn, als wollt er eenen erschlagen!« ...

Wenn so viel zu tun war wie heute, verging Heinz Marquardt die Zeit immer wie im Fluge. Ehe er sich's versah, wies der Zeiger der großen Bureauuhr auf fünf, und schon standen die meisten der Herren auf, zogen ihre Schreibärmel herunter und begaben sich in die Ecke, wo die Waschtoilette stand, um in einer unglaublich kurzen Zeit mit Stock und Hut noch einmal an ihrem Platz zu erscheinen, die Pulte abzuschließen und in fluchtähnlicher Eile das Bureau zu verlassen.

Die Laternen schimmerten rötlich in der kalten Luft, und am Himmel, der schwarzblau und wolkenlos war, standen mit ihrem glimmenden Leuchten einzelne Sterne.

In der Flottwellstraße, die vom Lärm der Eisenbahnzüge und dem Gerassel der Wagen erfüllt war, drängten sich heimkehrende Arbeiter, Geschäftsangestellte, die zur Post und mancherlei Besorgung liefen.

In dem kleinen Lokal in der Steglitzer Straße, wo Marquardt und seine Bekannten an jedem Freitag abend zusammentrafen, war er bei seinem Eintreten der einzige Gast.

Der Kellner, der ihn gut kannte, behandelte ihn mit der Vertraulichkeit, wie solche Leute sie stets zeigen, Gästen gegenüber, die nicht viel verzehren.

Heinz Marquardt nahm die wohlgemeinten Erkundigungen des Ganymeds mit Humor auf, dann holte er sich eine Zeitung und erwartete bei einem Glase Bier die Bekannten, die bald darauf eintrafen.

Die Skatpartie verlief wie immer, angeregt und heiter, und die drei anderen Herren waren nur deswegen ungehalten, weil sich der junge Beamte schon vor zehn Uhr, trotz ihrer Einreden und Bitten, er möge doch noch bleiben, entfernte.

Noch in der Tür winkte er ihnen ein lachendes Lebewohl zu und ging, ohne sich durch ihre etwas anzüglichen Bemerkungen im mindesten verletzt zu fühlen, durch die fast ausgestorbene Gegend schnell nach der nächsten Haltestelle seiner Elektrischen.

Von der Ecke, wo er herunterstieg, hatte er noch gut fünf Minuten bis zu seinem Hause. Die rannte er fast.

Vor dem Tor der sehr ausgedehnten Mietskaserne trieben sich wie gewöhnlich einige Frauenzimmer mit ihren Begleitern umher. Furcht kannte Heinz Marquardt nicht. Und so wollte er, ohne sich im geringsten um diese unheimlichen Gestalten zu kümmern, eben aufschließen, als eine von den Mädchen sagte:

»'s is offen ... Lassen Sie bitte auf!«

Er ging hinein und schloß dessenungeachtet zweimal hinter sich ab.

Drinnen riß er ein Streichhölzchen an, weil es ihm schon zu wiederholten Malen passiert war, daß er auf Betrunkene getreten hatte, und ging schnell über den Hof in den Seitenflügel hinein und erstieg, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die vier Treppen.

Oben kam er mit dem Oeffnen der Tür nicht gleich zurecht. Es hatten sich offenbar ein paar Krümel oder etwas Wolle von der Tasche in die Höhlung des Drückers hineingesetzt, und da er sicher war, daß die Trude noch auf ihn wartete, klingelte er. Aber sie kam nicht.

»Nun ist sie doch eingeschlafen,« dachte er und bemühte sich, mit einem Streichhölzchen den Schlüssel auszubohren.

Endlich! Er schloß auf. – Die Sicherheitskette hatte sie doch wieder nicht vorgelegt! ...

Wie stets ging er in seiner Wohnung, wo er ja genau Bescheid wußte, zuerst in die Küche, um dort ein kleines Lämpchen anzustecken.

Dabei stolperte er über einen auf dem Boden liegenden Gegenstand und stieß sich, lang hinfallend, das Knie.

Wie Ameisen in einem Haufen, in den plötzlich der Stock eines Wanderers hineinfährt, stürzten seine Gedanken von allen Seiten zusammen ... Wie kam der umgefallene Stuhl hierher? – Wer hatte ihn umgeworfen? War Trude nicht mehr in der Küche gewesen? Hatte sie's nicht gesehen? ... Das war doch sonst ihre Sache nicht!

Und plötzlich schrie er laut in die Dunkelheit hinein: »Trude, Trude!«

Nichts antwortete ihm.


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