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13.

Vor dem Leichenschauhaus in der Wilhelmshavener Straße hielt eben eine Droschke. Der entstiegen zwei Beamte, welche einen gefesselten Mann in der Mitte hatten, den sie mit großer Schnelligkeit durch das hinter ihnen sofort geschlossene Gittertor in das Innere der Morgue führten.

Aber so unauffällig dieser Vorgang sich auch abgespielt hatte, einige Passanten waren doch aufmerksam geworden und nun sammelte sich eine große Menschenmenge, die den Eingang belagert hielt.

Da konnten die herbeibeorderten Schutzleute noch so viel zum Weitergehen auffordern – die Menge wich wohl zurück, aber die sich wie ein Lauffeuer verbreitende Nachricht: Der Mörder der schönen jungen Frau aus der Koloniestraße sei eben hier hereingebracht worden, zog die Menschen wie ein mächtiger Magnet immer wieder an das Gittertor heran.

Die erregteren Elemente unter diesen Leuten stießen bereits Drohungen aus.

»Totschlagen müßte man den Hund! ...« »Ach was! Was heißt da totschlagen, die Glieder einzeln runterreißen, das ist noch das wenigste!« »Hat er denn Mitleid gehabt mit der armen Person! ... Na, laßt 'n man erst rauskommen! ... Den wer'n wir schon kriegen!«

Drin in dem sogenannten Empfangssaal, einem großen, mit Oberlicht versehenen Raum, in dem die Toten entkleidet und später seziert werden, um ihre Todesursache festzustellen, lag auf der mit Wachstuch bespannten Rollpritsche der Leichnam der jungen Frau. Der Leib war, so weit man ihn zum Zwecke der Sektion geöffnet hatte, mit einem Leinentuch bedeckt. Gesicht und Hals waren frei.

Und dank der vortrefflichen Kühlvorrichtungen, über welche die Anstalt verfügt, war der Körper durchaus wohlerhalten.

Das Gesicht, weiß wie die Decke, die den Leib verhüllte, zeigte selbst jetzt noch Spuren seiner einstigen Lieblichkeit und hatte mit seinem vollen, hellblonden Haar, das zu beiden Seiten über die Schultern fiel, etwas unendlich Rührendes.

Maaß, dem man seine Fesseln abgenommen hatte, stand lange davor. Er weinte. So mußte er sie wiedersehen! Sie, die einzige, die er jemals wirklich geliebt hatte! ... Ihm war, als sei mit dem schaurigen Ende dieser Frau seine letzte Lebenshoffnung für immer geschwunden.

»Sehn Sie nun, was Sie da angerichtet haben?« sagte der Untersuchungsrichter, ein noch jüngerer, sehr dürrer Herr mit scharfgeschliffenen, blitzenden Brillengläsern und einer schon klapprigen Gestalt im schwarzen Anzuge. Neben ihm stand der Staatsanwalt, Herr v. Marzahn, gerade das Gegenteil seines Kollegen: ein Mann mit einem dunkelhaarigen, kühngeschnittenen Kopf, temperamentvoll, mit durchdringendem Blick und Straffheit in jeder Bewegung.

Während der Amtsgerichtsrat Herr v. Birkner diese Bemerkung machte, schüttelte er unmerklich den Kopf.

»Also, legen Sie endlich einmal ein unumwundenes Geständnis ab, Maaß!« meinte der Untersuchungsrichter wieder. Und nach einigen Sekunden, in denen der Bureauschreiber schweigsam in das Gesicht der Toten starrte, fügte Dr. Birkner mit Salbung hinzu:

»Erleichtern Sie Ihr Gewissen vor Gott und den Menschen und Sie werden damit auch Ihre Lage erleichtern. – Schaun Sie, es ist doch so einfach: Sie sind hingegangen, haben mit der Frau gesprochen ...«

»... bin auf sie eingedrungen, sie hat mich zurückgestoßen, da hab' ich sie ermordet!« vollendete der Gefangene mit eintöniger Stimme.

»Also, Sie gestehen ein, daß es so war!« sagte der Untersuchungsrichter rasch, wie eine Katze, die auf die Maus springt.

Maaß zuckte die Achseln und schwieg.

Herr v. Marzahn aber meinte:

»Ich glaube, der Untersuchungsgefangene will damit nur andeuten, daß ihm das schon zu wiederholten Malen gesagt worden ist.«

Dr. Birkner sandte einen sehr unwilligen Blick zu seinem Kollegen hinüber. Dann sagte er laut:

»Gestehen Sie also, die Frau ermordet zu haben, Maaß!«

Der Bureauschreiber zögerte erst ein wenig, dann meinte er mit einem abermaligen Achselzucken:

»Was ich sage, is ja doch ejal! ... machen Sie mit mir, was Sie wollen!«

Herr Dr. Birkner wurde giftig.

»Diese Verstocktheit dürfte Ihnen wenig nützen! Wir werden Sie überführen, da verlassen Sie sich drauf!«

Maaß lächelte, dann sagte er voller Verachtung:

»Ich pfeife auf Ihre ganze Gerichtsbarkeit, die nichts kann, wie anständige Leute ins Unglück stürzen!«

Damit wandte er sich der Toten zu, als wollte er die Züge ihres geliebten Angesichts noch einmal, zum letztenmal, seinem Herzen tief, tief einprägen.

Die Kommissare Hartmuth und Bendemann standen im Hintergrunde der Szene.

»Müßte man den Kerl nu nich backpfeifen, rechts und links,« meinte Hartmuth, »so einen frechen Bengel!«

»Stell' Du Dich doch mal in seine Lage!« erwiderte Bendemann, »würdest Du denn zu alledem stille sein, ja?«

Aber Hartmuth konnte nicht mehr antworten. Der Untersuchungsrichter erklärte die Konfrontation für beendet und wollte sich eben mit dem Staatsanwalt hinausbegeben, als der diensttuende Schutzmann, militärisch grüßend, an ihn herantrat und sagte:

»Herr Amtsgerichtsrat, ich habe zu melden, daß vor dem Tor des Leichenschauhauses eine große Menschenmenge auf das Herauskommen des Untersuchungsgefangenen wartet.«

»Na, Sie haben doch, wie ich Ihnen vorhin sagte, Verstärkung geholt, nein?«

»Sehr wohl, Herr Amtsgerichtsrat! Aber der Herr Leutnant läßt melden, daß das Publikum fortwährend anwächst und stark gegen die Schutzmannskette drängt.«

Der Untersuchungsrichter dachte einen Augenblick nach. Seine schmalen Augen gingen seitwärts zu dem völlig teilnahmslosen Gefangenen hin, und ein böser Zug kam in das ohnehin nicht gerade sympathische Gesicht des Herrn Doktors.

»Ich kann ihm nicht helfen,« sagte er gedehnt, »hier kann er doch nicht bleiben ... übrigens brauche ich ihn auch nachher gleich ... führen Sie 'n man ruhig durch! ... so sieht er wenigstens, wie andere Leute über seine Tat denken! ... Uebrigens«, Dr. Birkner wandte sich an die beiden Kommissare:

»Sie, meine Herren, könnten sich dem Transport vielleicht noch als Bedeckung anschließen!«

Innerlich sehr wenig erfreut, aber mit korrekter Subordination, machten sich die Kommissare gemeinsam mit dem Schutzmann an die Ausführung des Befehles.

Maaß ging neben dem Uniformierten hinter den beiden Kommissaren.

Wie aber die große Eichentür sich öffnete und der Gefangene doch noch hinter dem Straßengitter sichtbar wurde, da erhob die Menge ein wütendes Gebrüll.

Maaß wurde totenbleich, seine Beine versagten, und er griff unwillkürlich nach dem Arm des Beamten.

»Lassen Se man,« sagte der Schutzmann, »wir kommen schon durch.«

Darauf ging der kleine rothaarige Mensch weiter. Ja, er lächelte im Weitergehen, er lächelte wie die lächeln, nach deren Blut die eigenen Brüder schreien, ohne daß sie sich selbst einer Schuld bewußt sind.

Die zwölf Schutzleute standen mit dem Gesicht der Menge zugekehrt. Sie hatten mit der linken Hand in den Gurt des Nebenmannes gefaßt, in der Rechten hielten sie die blanke Waffe.

Die Stimme des Offiziers scholl in den tobenden Lärm der Menge hinein:

»Meine Leute machen von der Waffe Gebrauch, sobald der erste Angriff auf den Gefangenen stattfindet.«

Nun drängten die vordersten aus Angst vor den blitzenden Säbeln zurück, die Hinteren wollten vorwärts, es gab Streitigkeiten in der Menge selbst, die dadurch für einen Augenblick von dem Gegenstande ihrer Wut abgelenkt wurde.

Diesen Augenblick benutzten die Kommissare, Maaß in die Droschke zu schieben.

Nur ein Stein flog, der einen der Beamten gegen den Helm traf, dann wollten ein paar der Wilden noch an die Droschke heran, aber der Kutscher hieb rücksichtslos auf die Pferde ein; die Menge stob schreiend auseinander, und unter dem Geschrei und Gejohle der Zurückbleibenden fuhr der Wagen davon.

Als ein wenig später Staatsanwalt und Untersuchungsrichter die Morgue verließen, waren es nur noch ganz wenige Menschen, offenbar beschäftigungslose Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, wie hier herumzulungern.

»Sie sind wirklich der Ansicht, verehrter Herr Kollege, daß dieser Mensch der Täter ist?« fragte Herr v. Marzahn.

Der andere sah zur Seite:

»Irgend jemand muß es doch gewesen sein!«

»Unbestreitbar, aber der Mann macht auf mich, offen gestanden, ganz und gar nicht den Eindruck eines Mörders.«

Der Untersuchungsrichter schwieg einige Augenblicke, dann sagte er in leicht hingeworfenem Tone:

»Man ist höheren Orts sehr interessiert daran, daß diese Untat ihre Sühne findet. Der Herr Oberstaatsanwalt Dr. Mauernbrecher, mit dem ich gestern noch sprach, sagte mir, ich möchte doch ja nichts versäumen in dieser Angelegenheit, was zur Erforschung der Wahrheit dienen könnte ...«

»Der Wahrheit ...« wiederholte Herr v. Marzahn leise.

»Ja, der Wahrheit,« sagte der Untersuchungsrichter noch einmal. »Das heißt mit andern Worten das, was wir Menschen mit unserm so sehr beschränkten Urteils- und Erkenntnisvermögen dafür halten ... Sie werden vielleicht auch schon gehört haben, daß man selbst bei Hofe den Ausgang dieses Prozesses gespannt verfolgt ... Es handelt sich hier eben um eine junge, sehr schöne, und wie man sagt, treue Frau. Das interessiert überall ... das regt auf und man erwartet bestimmt eine Verurteilung! ... Wenn auch ich ... na ja ... hm, ich bin da vielleicht nicht ganz derselben Ansicht ...«

»Wieso meinen Sie?« fragte der Staatsanwalt.

»Na, was die Treue der Ermordeten anbelangt ...«

»Ah so ... na, meinen Sie mit Maaß?«

»... Ich weiß nicht, jedenfalls ...« der Ton des Untersuchungsrichters wurde plötzlich sehr hart und fest, »jedenfalls erscheint mir dieser Mensch höchst verdächtig.«

Damit sahen sich die beiden Männer gegenseitig an und sahen einander bis auf den Grund ihrer Seele. Aber was sie da erspäht, davon redete ihr Mund nicht, ja nicht einmal der Ausdruck ihres Gesichtes gab Kunde von ihren stillen Beobachtungen.

Der Untersuchungsrichter rief eine Droschke an. –

»Fahren Sie mit, Herr Kollege?«

Aber der Staatsanwalt dankte höflich, er hätte noch einen Gang zu erledigen.

Und als sie sich trennten, zuckte die Hand des Herrn Dr. Birkner wohl ein wenig vor, da aber die des Staatsanwalts so kühl in der Reserve blieb, bewegten sich auch die schmalen, blutlosen Finger des jungen Untersuchungsrichters, dem alle seine Bekannten eine große Karriere prophezeiten, nicht weiter vorwärts.

Einige Tage später empfing Staatsanwalt v. Marzahn von seiner vorgesetzten Behörde ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, die Anklage in dem großen Falschmünzerprozeß, der in der nächsten Zeit die 14. Strafkammer beschäftigen würde, sei ihm übertragen. Seine tiefe Kenntnis der Materie, ebenso sein bei der Behörde wohlbekannter unermüdlicher Fleiß und seine seltene Arbeitskraft hätten die Wahl auf ihn fallen lassen. Man hätte sich deshalb auch veranlaßt gesehen, ihn von den mit dem Mordprozeß Marquardt verknüpften Geschäften zu entbinden.

Herr v. Marzahn lächelte bitter.

Noch am selben Tage schrieb er sein Entlassungsgesuch, nahm unter der Begründung, er fühle sich krank, sofortigen Urlaub und war vierzehn Tage später Privatmann. Als reicher Mann konnte er das. Seinen Freunden sagte er, er fahre nach Rußland zur Bärenjagd, nebenbei wolle er auch vergleichende Studien zwischen deutschen und russischen Rechtsverhältnissen anstellen.


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