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4.

Die kleine Kuckucksuhr, die zu Häupten des Lagers hing, auf welchem die Tote ruhte, schlug mit hastigen Klängen drei.

Heinz Marquardt blickte traumverloren auf ...

Wie die Zeit vorwärts ging, trotzdem die Trude nun nicht mehr lebte und die Schläge der kleinen Uhr, die sie so gern gehabt hatte, nicht mehr hören konnte ... Aber noch war sie ja bei ihm, und er wollte sie nicht von sich lassen! Nein, wenigstens den Anblick ihres süßen Gesichtes wollte er behalten ...

Der Polizeileutnant trat wieder herein und sagte:

»Die Beamten ziehen sich jetzt zurück, Herr Marquardt, ich möchte Sie bitten, auch zu gehen, damit ich die Wohnung zuschließen kann, denn Sie können doch hier nicht bleiben.«

In dem Gesicht des jungen Beamten bewegte sich keine Muskel, als Heinz erwiderte:

»Ich bleibe hier. Und wenn Sie mich mit Gewalt entfernen, breche ich die Türen entzwei und komme wieder her.«

Er sprach das nicht etwa leidenschaftlich, sondern mit der Ruhe, dem kalten Gleichmut, der sich ihm mitgeteilt zu haben schien aus der Nähe des großen Unbekannten, der in diesem Zimmer weilte.

Der Polizeileutnant zuckte die Achseln; er wußte nicht, was er tun sollte.

Aber er hatte auch nicht das Herz, seinen Leuten zu sagen, da nehmt ihn und führt ihn hinaus. So entschloß er sich denn nach einigem Zögern zu der Aeußerung:

»Wenn Sie es nicht anders wollen, so bleiben Sie! ... Ich werde Sie aber einschließen, und Sie dürfen nichts von der Stelle rücken und verändern, denn uns liegt daran, daß das Bild der Räume ganz so bleibt, wie wir es gefunden haben ... Es werden nämlich,« setzte er erklärend hinzu, »schon morgen in aller Frühe die Gerichtsphotographen kommen, um hier Aufnahmen zu machen.«

Heinz Marquardt schwieg.

Was der Polizeibeamte da sagte, interessierte ihn gar nicht. Auch dessen leisen Gruß erwiderte er nicht und blieb, als er allein war, noch lange Zeit in unveränderter Haltung neben dem Bette sitzen.

Die Lampe auf dem Nachttischchen fing an zu blaken und ein übler Petroleumduft durchzog den kleinen Raum. Der Bordereauschreiber zog die Luft ein, stand auf, aber auf halbem Wege bis zum Nachttisch kehrte er wieder um, denn alles, was in seinem Kopf und Herzen noch lebte, riß ihn unwiderstehlich zurück zu seinem toten Weibe. Erst nachdem er eine ganze Zeit gesessen hatte, ging er hin und schraubte die Lampe herunter, um dann instinktiv das Fenster zu öffnen und sich wieder neben der armen Trude niederzulassen.

Und nun, wie er in ihr entfärbtes Gesicht starrte, von dem der Hauch des Todes das süße Rot gestreift hatte, und dessen kindliche Zartheit einer erhabenen Ruhe gewichen war, nun fing in seinem Kopfe, in dem vorher, wie durch eine gewaltige Explosion, alles über den Haufen gestürzt war, nun fing es sich wieder an zu regen, und die Gedanken erhoben sich, schlugen ihre Augen auf und begannen noch irr- und ratlos, aber doch schon forschend und tastend um sich zu blicken.

Trude war tot.

Wieso denn?

Wodurch?

Durch wen?

Durch wen? Durch wen? Durch wen? Durch wen? Durch wen?!!

Heinz Marquardt fuhr – als schnellten plötzlich in seinen Beinen Stahlfedern empor – so fuhr er mit einem Ruck in die Höhe.

Nun stand er da, ganz gerade, aber der Körper in einem leichten Winkel gegen den Erdboden vorgeneigt. Seine Arme streckten sich mit ihren Fäusten stracks herunter nach dem Erdboden, und unter seinem wirren, schwarzen Haar stierten die Augen mit plötzlich erwachendem Feuer drohend in den Schatten des Bettes hinein.

Die Trude war plötzlich wie weg, er sah nichts mehr.

Er suchte.

Wer? Wer? Wer? Wer? Wer hatte sie ermordet?

Und auf einmal fing dieser Mensch an, sich wieder zu bewegen.

Erst langsam mit schweren, plumpen Schritten, wie eine Maschine, die im Antrieb ist. Dann arbeiteten seine Glieder schneller, er ging nicht mehr, er rannte, er raste durch das Zimmer ...

Und plötzlich blieb er wieder stehen, mit seinen brennenden Augen auf die Tote hinabschauend.

Wer hat Dich ermordet?

Das sagte er nicht, aber seine Augen schrien es in lauter heulenden Schmerzensschreien hinab auf den Leichnam.

Und wie er abermals auf den Stuhl sank, wie wieder Tränen über seine Wangen liefen, da endlich war der Bann in seinem durch dieses furchtbare Ereignis fast zerschmetterten Hirn gebrochen, der Gedankenapparat arbeitete wieder ruhiger, und wenn auch der Gang seiner Ideen noch oft von wilden Schmerzen unterbrochen wurde, so begann doch schon wieder die Logik sich seiner zu bemächtigen, und der bei ihm so hervorragend ausgebildete Spürsinn fing an, Fährten zu suchen und zu verfolgen.

Von den tausend Gedanken, die seinen Kopf durchkreuzten, hieß der erste: Du mußt Dich der Polizei zur Verfügung stellen und mit tätig sein bei der Auffindung des Mörders ... Ob man ihn als Helfer willkommen heißen würde? Oh, keine Frage! Obgleich ... So ein ganz leises Mißtrauen störte ihn da in seiner Zuversicht. Er hatte die Fragen des Herrn Geheimrates von vorhin noch nicht vergessen.

Aber würde er ihnen denn helfen können? Diesen Leuten, die so bewandert waren in der Auffindung von Verbrechern? ... Das heißt auch von Mördern? ... Es war doch schon eine ganze Anzahl solcher Schurken unentdeckt geblieben ... Und der, der ...

Die Raserei des Schmerzes bemächtigte sich seiner wieder; er warf sich vor dem Bett nieder, daß ihm die Knie schmerzten, und vergrub seinen Kopf in die Kissen. Doch der Anfall hielt nicht mehr so lange an wie vorher. In seinem Herzen war etwas erwacht, eine Empfindung, die alle anderen zu Boden schlug und jedes Hindernis aus dem Wege riß: der Durst nach Rache.

Wer war es? Wer war es gewesen?!

Und diese Frage, die wild, wie ein Irrsinniger in das Wesenlose hinausstarrte, glättete sich allmählich und wurde vernünftig und zerlegte sich in tausend Kombinationen und Möglichkeiten.

Wer kam denn in Betracht? Wer konnte es denn gewesen sein?

Stehend beugte er sich nieder, nahm die eiskalte Hand der Toten in die seine und preßte sie lange Zeit an seine fiebernden Lippen.

»Ich finde ihn!« murmelte er. »Ich finde ihn, verlaß Dich darauf, mein Liebling! ... Und hier, hier! ...«

Er hatte die Totenhand fallen lassen, und seine eigenen, zu Krallen gekrümmten Fäuste vor die Entschlafene hinstreckend, schrie er laut:

»Damit werde ich ihn zerreißen! Zerreißen werde ich ihn!«

Und die Frage kam wieder, die große Frage, die sich schon anschickte, mit blutigen Augen hinter dem Mörder her zu schleichen, und ließ die Arme schlaff herabsinken und ließ sein Auge, in dem noch eben der Mord flammte, nach innen schauen, wo die Bilder sich drängten, die sein und Trudes Leben umfaßten.

Da rannte sein Argwohn weiter bis zu dem verstörten und verdüsterten Gesicht seines Bureaukollegen, des kleinen Maaß, hin.

Sollte der ...?

Heinz Marquardt schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das konnte er sich nicht denken. Warum denn? Wenn der das beabsichtigt hätte. Weshalb würde er so lange damit gewartet haben? Und dann, der Rothaarige erschien ihm dazu nicht mutig genug.

Aber wer? ... Einer war's doch! und den mußte er finden, er mußte ihn finden, und wenn er bis ans Ende der Welt laufen sollte! ...

So konnte sich keiner verstecken ... Oh, er hatte Zeit: Er würde nicht nachlassen, und wenn sein Leben darüber hinginge. Und wenn er ihn hatte, wenn er ihn eines Nachts in einer Schänke oder beim Laternenlicht am Ende einer dunklen Gasse zu packen kriegte, dann würde er ihn hinausschleppen in das dunkle Feld, bis dahin, wo kein Mensch mehr war, wo niemand einen Hilferuf hörte, und da würde er ihn mit seinem Messer quälen und peinigen, so lange quälen wollte er ihn, bis der Hund eingestanden hatte, und dann ihn zum Richter bringen ... Oder nein, lieber selber das Urteil an ihm vollstrecken, daß nicht etwa durch verfluchte Advokatenkniffe der Henker um sein Recht kam!

Heinz Marquardt schüttelte leise den Kopf, soweit war er ja noch nicht. Erst mußte er ihn suchen und finden. Denn sich auf die Polizei verlassen, das fiel ihm gar nicht ein. Gewiß, er wollte ihnen seine Hilfe anbieten, aber wenn sie sie nicht annehmen, wenn sie ihn nicht mit offenen Armen willkommen hießen, dann würde er allein hinauswandern in die Nacht und würde diese Riesenstadt durchsieben wie eine Hand voll Erde und würde sich nicht Schlaf und Ruhe, nicht Speise und Trank gönnen, bis er den hatte, der ihm alles genommen!

Seine Augen irrten im Zimmer umher, er wußte nicht, was er da suchte, aber sein Instinkt lehrte ihn, daß man hier vielleicht irgend etwas finden könne, und daß, wenn man etwas finden würde, es von unglaublicher Wichtigkeit wäre.

Aber er sah nichts, und wieder sprangen seine Blicke hinauf zu ihr, die sie kaum verlassen hatten und liebkosten ihre blassen Wangen und die entfärbten kleinen Hände.

Und wie er sie so mit immer wieder feuchten Augen ansah, da fiel ihm plötzlich etwas ein ... Die Polizeibeamten hatten ja gesagt, sie hätte gar nicht hier gelegen auf dem Bett, als er sie fand ... aber er hatte sie doch hier gefunden! ... Hier auf dem Bette liegend ... wo denn sonst?!

Er streichelte ihre blasse Wange und murmelte:

»Armes Herz, was werden sie noch alles reden!«

»Nebenan? ... Im Eßzimmer? ... Weshalb denn da? ...«

Er nahm die Lampe und ging zögernd bis an die Tür, die nur angelehnt war. Aber davor blieb er stehen, als fürchtete er, die Tote da drinnen noch einmal ermordet zu finden.

Nun stieß er die Tür mit einem Ruck auf, und im Entsetzen suchte er mit der freien Linken nach einem Stützpunkt. Seine Augen wurden groß und hafteten voller Angst auf dem Teppich, dessen ihm so wohlbekannter, ganz hellgetönter Grund jetzt wie schwarzgefärbt erschien ...

Da hatte sie gelegen? ... Da hatte er sie gefunden? ... Aber nein doch, im Schlafzimmer ... auf dem Bett ... Das Grauen in ihm wurde fortgedrängt durch den eigenen Zweifel ... war es nebenan im Schlafzimmer gewesen? Oder hatte er selbst, wie der Polizeikommissar vorhin gesagt, so sehr seine Fassung und Besinnung eingebüßt, angesichts dieses herzzerreißenden Bildes, daß er nicht mehr wußte, wo er den geliebten Leichnam aufgefunden und in seine Arme gerissen hatte? ... War das möglich, daß man so sehr vergessen konnte? ... Sie mußte doch hier gelegen haben, hier war ihr teures Blut in dunklen Strömen über den Teppich geflossen und hier hatte ihr Haarkämmchen gelegen, die Kämmchen, die er ihr selbst geschenkt hatte! ... Denn wenn er das auch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte oder sich dessen wenigstens nicht recht erinnern konnte, so kamen ihm doch jetzt die Worte der Polizeibeamten, die vorher spurlos an seinem Ohr vorbeigestrichen waren, deutlich ins Bewußtsein ... Und in diesem langsamen Heraufdämmern des vorhin Gehörten begann er schon persönliche Erinnerungen an jenen gräßlichen Moment, den furchtbarsten, den ein Mensch überhaupt erleben kann, zu erblicken.

Denn wie wäre sie sonst von hier nach dem Bett gekommen?! Laufen hatte sie doch nicht mehr können ...

Er schluchzte wild auf bei der Vorstellung, wie sein Weib, sein alles auf der Welt, zusammenbricht unter dem Dolchstoß des Mörders.

 ... Aber gelitten hatte sie auch nicht mehr, Gott sei Dank! Das hatte der Arzt ausdrücklich gesagt. Und das sah man auch an ihrem lieben Gesicht, das so friedlich leuchtete und keine Spur von Todesangst und Furcht erkennen ließ.

Also mußte er, er selber sie doch aufs Bett getragen haben, wiewohl er sich absolut nicht darauf besinnen konnte ... Der Mörder wird das doch nicht tun! ... Und die Beamten sicher auch nicht.

Er sah wieder auf die ungeheuren Blutflecke und stellte die Lampe auf den kleinen Bauerntisch. Dann brachte er, erst widerstrebend, seine Finger an die dunklen Stellen des Teppichs ... er war noch ganz feucht ... seine Finger wurden rot ...

Da weinte er hell auf und ging zurück und küßte seine Tote. Kam aber gleich wieder herein, als hätte er noch etwas vergessen. Was, fiel ihm nicht ein. Aber seine Blicke suchten, suchten überall an den bekannten Möbeln umher ... nichts ... nichts war zu finden ...

Neben dem Tisch war der eine der vier Nußbaumstühle etwas schief gerückt. Ordentlich wie immer stellte ihn Heinz Marquardt gerade.

Da! ... Was war denn da? ... Ganz unten in dem Rohrgeflecht der Rückenlehne hing etwas. Aha, eine Schlipsnadel! ... Eines der kleinen silbernen Zwanzigpfennigstücke, die längst nicht mehr im Kurs sind, aufgelötet und mit einem Namenszug graviert ... E. Z. ...

E. Z.? ... Des Bureauschreibers Gesicht spannte sich in allen Muskeln.

Wer war » E. Z.«? ...


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