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7.

Im Betriebsbureau waren die Herren heute ausnahmsweise früh und vollzählig versammelt. Die große Sensation des Tages, die erst gestern Abend, kurz vor Schluß der Bureaustunden, bekanntgeworden war, lockte sie, wie der Speckbrocken die Mäuse.

Maaß war verhaftet!

Er hatte Marquardts Frau ermordet!

Warum? ... Aber, das wissen Sie nicht? Die schöne Trude hat doch schon Gott weiß wie lange ein Verhältnis mit dem Rotkopf! ... Wie, was? ... Es ist nicht wahr? Mein Gott, Sie haben's ja stets mit dem kleinen sommersprossigen Ekel gehalten! ... Verbitten! ... verbitten können Sie sich, was Sie wollen! 'n anständiger Mensch verteidigt keinen Mörder!

Ein paar von den jüngeren Beamten hätten sich beinahe geprügelt. Und die Aufregung, die sich des ganzen Bureaus bemächtigt hatte, war so groß, daß man Marquardts Kommen beinahe übersehen hätte. Der alte Bureaudiener bemerkte ihn zuerst und machte die Herren aufmerksam.

Nun sprangen alle von den Kontorböcken, jeder wollte der erste sein, der dem Kollegen kondolierte. Und alle wunderten sich, daß der sehr blasse junge Mann so teilnahmslos, so stumm, so gar nicht »traurig« aussah.

Er wartete gar nicht, bis er die Beileidsbezeigungen aller entgegengenommen hatte, sondern fragte mittenhinein, ob der Direktor schon in seinem Bureau sei.

Und als er hörte, dieser sei soeben gekommen, machte er sich fast brutal los und ging hinein zu ihm.

Sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, tadelten ihn einzelne der Kollegen, und eine leise, aber eifrige Unterhaltung beschäftigte sich nur mit Marquardt, der nach kurzer Zeit wieder an der Seite des Direktors heraustrat und sich mit stummem Gruß rasch entfernte ...

An diesem Tage war die Luft nebelig und der Himmel hing voller Schneewolken. Als Heinz Marquardt aus dem Bureau auf den sehr langgestreckten Fuhrhof trat, sah er eine ganze Weile dem Treiben der Lastfuhrwerke zu, die hochbeladen und von den oft athletischen Rollkutschern geführt, ihre Kisten und Ballen an den überdachten Rampen der Riesenspeicher abluden, um dann leer im strammen Trabe vom Hof zu rasseln. Oben auf der Fracht hockte, wie ein Aeffchen, der »Rollmops«, und manchmal lief auf dem leeren Wagen ein Spitz hin und her. Dazwischen rannten die Ablader umher, man hörte das Rufen der Bodenmeister, und draußen vor dem den Hof abschließenden Eisengitter, dessen Tore jetzt weit offen standen, lungerten die in Berlin stets reichlich vorhandenen Neugierigen. –

Heinz Marquardt blickte nachdenklich ins Gewühl. All das war ihm vielleicht nie so klar und deutlich vor Augen getreten, wie gerade heute! ... Aber je greller und je schärfer umrissen er die Konturen des ganzen Bildes sah, desto mehr ward er sich auch bewußt, wie wenig ihn das alles jetzt noch interessierte ... Früher war es sein stiller Traum gewesen, einst wirklicher Spediteur zu werden, nicht Schreiber im Speditionsbureau, sondern der Spediteur selbst, der Mann, der diesen ganzen, massenhaften Verkehr dirigiert und dessen Augen, während er zwischen Rollkutschern und Kollis steht, als bedeute er gar nichts, doch den Schiffsverkehr und das Eisenbahnnetz der ganzen Welt umfassen.

Der Traum war aus! Zerstoben in einer Nacht! Mochten andere in diesem Berufe glücklich sein und vorwärts kommen – er hatte mehr zu tun! ... Vorläufig wenigstens. Später, wenn seine Mission erfüllt war, wenn sein Herz wieder Ruhe hatte, dann wollte er sehen, was er anfinge ... Jetzt galt all sein Denken der armen Trude, die sie fortgeholt hatten nach der Morgue, um durch die Sektion die Todesursache festzustellen ...

Hahaha! ... Heinz Marquardt lachte dumpf in sich hinein. Das war allerdings sehr wichtig! ... Wichtiger, wie den Hund zu fangen, der ...

Heinz setzte sich plötzlich in schnelle Bewegung. Sein grenzenloser Zorn, der ihn die Zähne aufeinanderbeißen ließ, trieb ihn vorwärts ... Seine Hilfe, natürlich, die hatte man abgelehnt, aber dafür war er heute schon zum drittenmal aufs Präsidium bestellt, um da verhört zu werden ... gestern hatte man ihn mit Maaß konfrontiert ... ha! Der arme Kerl! Der sollte es nun durchaus gewesen sein! ... Er für sein Teil glaubte nicht daran!

Das hatte er auch eben noch seinem Betriebsdirektor gesagt, der ihn mit einer fast väterlichen Anteilnahme zu trösten versuchte.

»Ich danke Ihnen, Herr Betriebsdirektor,« hatte Marquardt erwidert, »ich danke Ihnen sehr! ... Aber mich kann nur eins trösten: wenn man den Mörder findet! So lange schmeckt mir kein Bissen Brot. Ich kann nicht schlafen und ich habe nirgends Ruhe. Ich glaube auch nicht, daß ich jetzt schon wieder arbeiten könnte.«

»Aber das sollen Sie ja auch gar nicht!« wehrte Herr Weckerlin ab, »keine Idee! Bin ich denn ein Barbar, daß ich so was von Ihnen verlangen sollte? ... Beruhigen Sie sich, lassen Sie Ihrem Schmerz Zeit, sich zu besänftigen ... und wenn Sie in acht Tagen sich wieder mal ansehn lassen wollen, daß wir wissen, wo Sie sind, daß es Ihnen gut geht ... mehr verlange ich nicht! ... Nein, wahrhaftig, ich wünsche Ihnen nur, daß Sie's bald überwinden ...«

Dabei hatte ihm der alte Herr die Hände gedrückt, gar nicht wie ein Vorgesetzter ... Freilich, der Betriebsdirektor hatte stets Achtung gehabt vor ihm, als seinem fleißigsten Angestellten. Und Heinz Marquardt wunderte sich selbst, daß die Devotion, von der er früher ebensowenig frei war wie seine Kollegen, dahin war, daß sich dieser krumme Rücken jetzt so gerade gezogen hatte bei ihm ... Der Schmerz, dieses tiefe, unstillbare Weh, das in solcher Stärke nur der Tod eines geliebten Menschen auszulösen vermag, und die Rache, die er wie eine harte und doch stolzmachende Pflicht auf seinen Schultern fühlte, die hatte ihn wachsen lassen und ihn frei gemacht von aller Menschenfurcht!

Er wollte auch nicht mehr weinen! Seine Augen waren trocken und sein Herz steinern geworden. Nur eins quälte ihn: er brauchte Geld und in seinem Besitz befanden sich wenige Markstücke.

Da entsann er sich eines Vetters, der draußen in Schöneberg ein Kolonialwarengeschäft hatte ...

Zu dem wollte er gehen. Sie hatten zwar nie viel miteinander verkehrt; aber gleichviel, bei solchem Anlaß, da konnte der's ihm ja nicht abschlagen!

Er traf den Verwandten im Laden, die Kundschaft bedienend.

War es nun mehr Neugier oder wirkliches Mitleid, der Vetter lud ihn sofort ein, mit in die hinter dem Geschäft liegende Wohnung zu kommen.

Und dort in einem kleinen einfenstrigen, nach dem Hof hinausgehenden Zimmer saß des Kolonialwarenhändlers Frau und nährte ihr junges Kind.

Heinz Marquardt sah das, und das Schluchzen stieg ihm wieder in die Kehle ... Dies Glück hatte ihm das Schicksal ja auch versprochen gehabt ...

Der Vetter legte dem Trauernden den Arm um die Schulter und winkte der Mutter, die er richtig als Ursache dieses Schmerzes erkannte, der bei neuem Anlaß doch immer wieder emporquoll. Die junge Frau ging hinaus und der Kaufmann bot Heinz etwas zu trinken an.

Der Bureaubeamte schüttelte den Kopf.

»Ich komme nicht her, um Euch zu besuchen,« sagte er ganz aufrichtig, »ich wollte Dich nur fragen, ob Du mir dreihundert Mark borgen willst?«

Der andere zuckte zurück.

»Wozu brauchst Du denn die?«

Heinz Marquardt setzte ihm sein Vorhaben auseinander und sprach von seinem Mißtrauen gegen die Polizei. Er, er selbst wollte den Mörder fangen!

Der andere glaubte daran nicht, und wie Marquardt ihn zu überzeugen suchte, lenkte er ab und begann von den schlechten Zeiten zu reden und daß er ja eigentlich auch noch Anfänger sei ... Das Geld wäre ihm sowieso knapp und er müßte sich oft genug helfen mit Wechseln ... sonst gewiß, recht gern ... Aber gerade jetzt ... zu dumm, daß Heinz nicht vor vierzehn Tagen gekommen wäre ...

»Da lebte meine Trude noch!« sagte Heinz Marquardt mit harter, trockener Stimme.

In dem Gesicht des Vetters zuckte es. Der Mann kämpfte mit seiner Genauigkeit. Da ging die Tür wieder auf und die Frau, die wohl gehorcht hatte, kam herein und sagte leise:

»Ach, Männe, gib es ihm doch, das Geld! – Denk mal, wenn ich es wäre, die ...,« sie fing an zu schluchzen.

Der Mann stand, sich selbst mit der verkehrten Hand über die Augen fahrend, auf, ging an seinen Sekretär und holte drei blaue Scheine heraus.

»Hier,« sagte er und reichte sie Heinz, »es wird mir nicht leicht, aber meine Frau hat recht ... in solcher Lage, da ...«

Und dann umarmten sich alle drei und das Ehepaar redete ihm gut zu und schließlich ging Heinz, zum erstenmal etwas wie einen leisen Trost im Herzen spürend. –


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