Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tod.

O wie sind die einst zu Jena in einem kleinen Kreis Versammelten nun über alle Welt zerstreut und lehren alle Heiden.

Karoline.

 

Während Schelling die letzten Stunden des Jahres 1800 in Weimar zwischen Lärm und Lust zubrachte, in der Gesellschaft von Goethe und Schiller, saß Karoline in Braunschweig mit ihrer Schwester allein vor einer Schale Punsch; Wilhelm, der sich nicht wohl fühlte, lag in einem oberen Zimmer auf dem Sopha und schlief. »Der Schlag zwölf überraschte uns«, schrieb Karoline an Schelling, »ich wollte Schlegel noch wecken, ehe es ausgeschlagen, denn es war mir, als könnten üble Folgen daraus entstehen, wenn einer dabei nicht wachte, gleichsam als ob er das Zusammenklingen seiner Sterne verschliefe – also lief ich hinauf, er hatte den Schlag gehört, sich zusammengerafft und zu uns hinuntergehen wollen, also begegneten wir uns wie die beiden Jahrhunderte auf der Treppe.«

Wie hatte sich das frohe Lebensbild für die Freunde Alle verändert! Das Schicksal hatte in den kleinen Kreis gegriffen und ihn mitten auseinandergerissen. Im Sommer des Jahres 1800 hatte sich zum ersten Male ein ungewünschter, furchtbarer Gast in ihrer Mitte gezeigt und sich nicht verscheuchen lassen, der Tod. Die Jüngste und Vielgeliebteste hatte er mit sich genommen: die kleine Auguste.

Karoline, die immer kränkelte, war zur Erholung in das Tod kleine Bad Bocklet bei Bamberg geschickt; es verstand sich von selbst, daß Auguste mit ihr ging. Schelling geleitete die Beiden. Daß er und Karoline einander damals schon liebten, ist ohne Zweifel. Wie war es aber mit Auguste? Welche Rolle spielte sie zwischen der über Alles geliebten Mutter und dem jungen Manne, der nicht viel Jahre mehr als sie zählte, als Karoline älter als er war? Schelling's Neckereien – welcher von den Freunden des Hauses spielte, scherzte, tändelte nicht mit dem Kinde! – nahm sie mit trotziger Sprödigkeit auf. Hatte sie ihn lieb und zürnte sie ihm, daß er statt ihrer die Mutter erkoren hatte? Oder war sie im Gegentheil auf ihn eifersüchtig und mißgönnte ihm die starke Zuneigung ihrer Mutter? Das Letztere ist wahrscheinlicher. Es scheint, daß in dem schüchternen kindlichen Herzen die Liebe zur Mutter jedes andre Gefühl überwog. »Ich danke Dir recht sehr«, schrieb sie aus Bocklet an Schelling, »für das Mittel, das Du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen zu amüsiren, es schlägt herrlich an, wenn ich auch noch so viele Narrenspossen treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: ›wie sehr er dich liebt‹, und sie wird gleich muthig; das erste Mal, als ich es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr Du sie denn liebtest, da war meine Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: ›mehr als Alles‹; sie war zufrieden und ich hoffe, Du wirst es auch sein.«

Aber auch für Karoline, bei aller Leidenschaft für den geliebten Mann, war das Kind der Mittelpunkt des Daseins. Es hat den Anschein, als habe sie, die an die Möglichkeit einer Verbindung mit Schelling nicht dachte, für sich verzichtet und anstattdessen gehofft, er könne mit Auguste das Glück, das ihr ein Traum bliebe, verwirklichen.

Da Karoline sich unter Augusten's Pflege eben zu erholen anfing, erkrankte plötzlich das Kind. Es schien nicht gefährlich zu sein. Schelling, der sich viel mit Medicin beschäftigt hatte, übernahm selbst die Pflege und behandelte die Kranke nach den Grundsätzen seiner eignen Theorie, die zu der Zeit in Bamberg bedeutende Vertreter hatte. Aber die Krankheit nahm rasch zu und in wenigen Tagen war die Kleine todt.

Wilhelm, der mit der innigsten Zärtlichkeit, die er zu empfinden fähig war, an dem Kinde gehangen hatte, eilte nach Bocklet. Furchtbare Auftritte, deren Charakter wir nur ahnen können, müssen unter den verzweifelten Menschen stattgefunden haben. Von gegnerischen Aerzten war sofort die Beschuldigung gegen Schelling erhoben worden, Auguste sei infolge seiner Behandlung gestorben. Was für einen Eindruck mußte das auf Wilhelm machen, dem die Innigkeit der zwischen Schelling und seiner Frau bestehenden Zuneigung nicht fremd war. Er ließ sich hinreißen, ihr, die außer sich, selbst leblos fast vor Schmerz über den Verlust ihres Lieblings war, diese Dinge vorzuwerfen. Später, als Schelling's Feinde schamlos genug waren, ihn hämisch unter der Hand zu verdächtigen, als habe er gleichsam einen fahrlässigen Mord an diesem doch auch ihm so theuren Kinde begangen, war Wilhelm der Ritter, der sich seine Ehrenrettung angelegen sein ließ und den Angreifern öffentlich die Grundlosigkeit ihrer Beschuldigung darthat, wie auch die Niederträchtigkeit ihres Benehmens vorwarf.

Der Tod des reizvollen Kindes, das nichts als Zärtlichkeit, noch keinerlei Neid oder Eifersucht erweckt hatte, erschütterte Alle, die dem Freundeskreise angehört hatten. »Mußte dies blühende Mädchen sterben können!« schrieb Dorothea, «es ist, als ob man sich schämen müßte vor ihr.«

Der Umstand, daß Wilhelm seinen Kummer schon so bald in Reime fassen konnte, darf bei ihm keinen Zweifel an seiner Echtheit erregen; denn ein so starkes Gefühl, das ihm verwehrt hätte, sich selbst darin zu spiegeln, konnte er überhaupt nicht fühlen. Jedenfalls gehören seine Gedichte auf ihren Tod zu den empfundensten, die er gemacht hat.

Oft wenn sich ihre reine Stimm' erschwungen,
Schüchtern und kühn, und Saiten drein gerauschet,
Hab' ich das unbewußte Herz belauschet,
Das aus der Brust melodisch vorgedrungen.
Vom Becher, den die Wellen eingedrungen,
Als aus dem Pfand, das Lieb' und Treu' getauschet,
Der alte König sterbend sich berauschet,
Das war das letzte Lied, so sie gesungen.
Wohl ziemt sich's, daß der lebensmüde Zecher,
Wenn dunkle Fluthen still sein Ufer küssen,
In ihren Schoß dahingiebt all sein Sehnen.
Mir ward aus liebevoller Hand gerissen
Schlank, golden, süßgefüllt, bekränzt der Becher,
Und mir zu Füßen braust ein Meer von Thränen.

Auch Onkel Fritz, der seine kleine Tyrannin mit so viel gutmüthiger Laune und uneigennütziger Zärtlichkeit verwöhnt hatte, setzte die schwerfällige, künstliche Maschine seines Dichtens in Bewegung. Kalt und geziert mochten alle diese Verse Karolinen, der untröstlichen Mutter, erscheinen.

Kaum ein Jahr nach Augusten's Tode starb Novalis. Am 5. April 1800 schrieb er, ganz in der Freude auf seine Hochzeit mit Julie von Charpentier lebend, die in kurzer Zeit stattfinden sollte, an den alten Freund Friedrich Schlegel: »Mit mir nimmt's hoffentlich bald ein fröhliches Ende. Zu Johannis denke ich im Paradiese zu sein.« Bald darauf zeigte sich ein bedenklicher Bluthusten an ihm und die Hochzeit mußte aufgeschoben werden. Seine Braut kam nach Dresden, um ihn dort zu pflegen; von seiner dort verheiratheten Schwester erfuhr Wilhelm, daß er nur noch ein Schatten seiner selbst sei, völlig erschöpft, nicht im Stande, an der Unterhaltung theilzunehmen, oft in der Gesellschaft einschlafend, wo er dann als ein Todter unter den Lebenden sitze. Im März des Jahres 1801 starb er in den Armen Friedrich's, der nach Dresden gereist war, um seinen Freund noch zu sehen, und unter den Klängen des Klaviers, das sein jüngerer Bruder auf seine Bitte spielte. Er sei bis zum letzten Augenblicke von unbeschreiblicher Heiterkeit gewesen, erzählte Friedrich Schlegel. Kaum lasse sich glauben, daß es möglich sei, so schön zu sterben.

Den von der Erde scheidenden Freund bat Wilhelm in einem Gedicht, seinem Kinde im Himmel schmerzliche Grüße zu bringen. Aber die Zurückgebliebenen mußten wohl oder übel versuchen, sich hienieden wieder einzurichten. Trotz des leidenschaftlich innigen Charakters, den die Neigung Schelling's und Karolinen's angenommen hatte, woraus sie auch Wilhelm kein Hehl machten, dachten die Eheleute an keine Scheidung. Sie hatten sich gegenseitig von jeher volle Freiheit zugestanden. Wilhelm konnte seinen Hang zum Kourmachen und Kokettiren nie unterdrücken, und wenn auch solche Tändeleien nicht so verhängnißvoll waren wie jetzt Karolinen's entschiedenes, ausschließliches Gefühl, so störten sie doch von Anfang an die Sicherheit und das Vertrauen der Ehe. Karoline machte ihm keine Vorwürfe und ließ ihn gewähren; aber mehr als Freundschaft und Treue glaubte sie ihm nun auch nicht schuldig zu sein. Diese gelobte sie sich ihm zu halten, was, wie es scheint, Schelling's männlich stürmische Liebe ihr zuweilen schwer machte. Aber die Trauer um den Tod des geliebten Kindes stimmte sie zur Demuth und Entsagung. Grade ihre Briefe an Wilhelm, der ohne sie nach Berlin übersiedelte, um dort Vorlesungen zu halten, sind zuweilen von zarter und rührender Wehmuth überströmt. »Ich bin nun froh«, schrieb sie ihm aus Jena, wohin sie im Frühjahr 1801 zurückkehrte, »hier das Erste überstanden zu haben und verlasse mich für das Zukünftige ruhig auf Deine Freundschaft und die stille Gewalt meines eignen guten Gemüths. Diese werden schon wieder etwas bilden, ein Hüttchen anbauen unter den Trümmern alter Herrlichkeit. O mein Freund, ich baute oft und riß oft ein. Dieses sind nun die letzten Zweige, Zweige der weinenden Weide, die ich über meinem Haupte zusammenflechte, um unter ihrem Schatten den Abend zu erwarten.«

Und da sie sich wegen vermehrter Ausgaben entschuldigte, die besonders daraus entstanden waren, daß sie neue Gläser hatte anschaffen müssen, schrieb sie in der unter Thränen lächelnden Art, die ihr eigen war: »Ich dachte daran, wie Du mich mit dem ersten splendiden Einkauf der Gläser necktest und mußte lächeln, was auch ebenso ein Weinen hätte sein können, über diesen Refrain des Geschicks; Du wirst gewiß wieder finden, daß ich zu viel gekauft habe. Ich weiß nicht, warum es mir immer mit den Gläsern so geht. Dieses soll nun gewiß nicht wieder so bald brechen.«

Es ist ein Aberglaube, daß man nicht dahin zurückkehren soll, wo man einmal sehr glücklich war. Nur fünf Jahre waren vergangen, seit Karoline an Wilhelm's Seite fröhlich in Jena einzog. Jetzt war Alles ebenso traurig und das Herz zerreißend wie vorher Leben und Hoffnung schwellend. Das Haus war verödet. Allerdings traf sie Schelling, der noch seine Professur innehatte, und die alte Freundin Luise Gotter schickte ihre Töchter, die Spielkameradinnen der kleinen Auguste, zu Besuch. Aber wie bitter mußten grade diese sie an das eigne Kind erinnern, und wie viel peinlichem Gerede setzte sie sich durch ihren Verkehr mit Schelling aus, besonders da ihre Feindin Dorothea sie beobachtete. Friedrich fing damals an, Vorlesungen über Philosophie zu halten. Im Senate der Professoren hatte er wenig Freunde; die Alten hatten jetzt gesiegt und bedienten sich ihrer Macht. Bei der Disputation, die seiner Habilitirung voraufging, drängte man ihm Opponenten auf, die die Sache viel ernster nahmen, als üblich war, und von denen einer die Taktlosigkeit hatte, Friedrich's »tractatum eroticum Lucinde« als Beweismaterial gegen ihn heranzuziehen. Friedrich bewies die ganze Feinheit und Würde, die ihn bei solchen Gelegenheiten immer als den Ueberlegenen zeigten, bedeutete dem betreffenden Manne ruhig, daß er ein Narr sei und hatte alle Einsichtigen auf seiner Seite. Bei seinen Vorträgen indessen schadete ihm die schwere Masse seines Gehirns und sein Mangel an Virtuosität. Er war viel zu gründlich. Er langweilte die Zuhörer mit seinen wühlenden, grabenden Denkoperationen. Gegen Schelling, der viel unbedenklicher und zweifelloser dreinfuhr, dem aber, wie Novalis einmal sagte, die »wahre Strahlenkraft von einem Punkt in die Unendlichkeit« eigen war, konnte er nicht aufkommen. Er erlitt eine entschiedene Niederlage. Die Bitterkeit, die das einschloß, war um so empfindlicher, als Schelling Karolinen's Freund war, zwischen ihr und Wilhelm, Friedrich's Bruder, stand. Weit mehr als Schelling hatte Karoline unter diesen Verhältnissen zu leiden. Dorothea, deren mit der Zeit nur unbedingter werdende Anbetung ihren Mann für alle Mißerfolge draußen entschädigen mußte, zog ihn auch dadurch immer fester an sich, daß sie ihn vollends von Karoline trennte. Seine Besuche bei der einst so geliebten und verehrten Frau wurden immer seltener, die Worte, die gewechselt wurden, immer schärfer und verletzender. Karolinen's pietätvoller Sinn litt darunter. »Mir ist selbst oft«, schrieb sie an Wilhelm, »als könnte ich nicht ruhig sterben, ohne mich mit ihm zu verstehen. Wenn sie ((Dorothea)) nur Jemand todtschlagen wollte, ehe ich sterbe.«

Karoline konnte in der Abneigung so hingebend und ausschließlich sein wie in der Liebe.

Wie es nun kam, daß das Verhältniß zwischen Wilhelm und Karoline doch nicht in dieser Weise bestehen blieb, ist im Einzelnen schwer zu sagen. Im Grunde freilich wäre es wunderbarer, wenn es unter solchen Umständen hätte dauern können. Schelling's ungestümem und herrischem Wesen war das Maaß, das Karoline beobachtet wissen wollte, unleidlich. Und im tiefsten Innern strebte sie ebenso leidenschaftlich zu ihm wie er zu ihr. Man fühlt aus jedem Wort der Briefe, die sie an ihn gerichtet hat, daß sie jetzt zum ersten Male eine volle Genüge in der Liebe fand; daß ihr endlich die überschwängliche Ergänzung zu Theil geworden war, nach der sie sich gesehnt hatte. Wie hätte sich dabei der Schein zufriedner Freundschaft aufrecht erhalten lassen, zumal da Beide an demselben Orte lebten! Daß Wilhelm, wenn er auch seinerseits natürlich volle Freiheit genoß, der Gedanke an Karolinen's Umgang mit Schelling, solange sie seinen Namen trug, doch eben nicht angenehm war, läßt sich denken. Obschon er es nicht äußerte, verrieth seine Gereiztheit doch Eifersucht. Vielleicht war sie ihm noch jetzt mehr, als er ihr je hatte sein können. Um das gute Einvernehmen neu zu befestigen, besuchte Karoline ihn in Berlin. Aber grade da zeigte sich, wie sehr sie sich schon auseinandergelebt hatten. Der Beifall, den Wilhelm's Vorlesungen gefunden hatten, mochte seine Eitelkeit noch gesteigert haben. Es mißfiel Karoline, daß er gar so viel Zeit »mit Waschen, Kämmen und Kokettiren draufgehen ließ«. Verwöhnt durch die Liebenswürdigkeit der Berliner schöngeistigen Damen, war seine Empfindlichkeit gegenüber Karolinen's aufrichtiger Gradheit auf's Höchste gereizt. Möglich ist es auch, daß sie sich durch offenkundige Aufmerksamkeiten, die er verschiedenen Damen erwies – Tieck's Schwester Sophie Bernhardi war darunter – verletzt fühlte. Kurz, während ihres dortigen Beisammenseins scheint es ihnen klar geworden zu sein, daß sie diesem Zwiespalt durch Scheidung ein Ende machen müßten.

Sie hatten dabei einen mächtigen Helfer, der aber nicht genannt sein wollte. Es war ohne Zweifel Goethe. Die Fassung des Gesuchs, das sie dem Herzog einreichten, die Darlegung der Verhältnisse, war von ihm berathen. Sie beriefen sich auf die vom Herzoge kurz zuvor vollzogene Scheidung des Professors Mereau von seiner Frau – der nachmaligen Gattin Brentano's –, die gleichfalls keinen andern Grund als mangelndes Einverständniß angegeben hatten. Am 17. Mai 1803 wurde die Scheidung ausgesprochen, und bereits am 26. Juni wurden Schelling und Karoline von seinem Vater, der Prediger war, getraut.

Schelling's junger Ruhm wuchs schnell. Aber mit den Ehren, die eine beneidenswerthe Stellung einträgt, nahmen auch die Anfeindungen zu. Je mehr leidenschaftliche Anhänger er gewann, desto erbitterter wurden seine Gegner. An ihrer Spitze stand derjenige, der bis vor Kurzem das alleinige Haupt der Philosophen gewesen war, Fichte, als dessen Schüler und Freund Schelling seine Laufbahn begonnen hatte. Allmälig hatte sich das Verhältniß geändert. Als Fichte im Jahre 1801 seinen sonnenklaren Bericht über das Wesen der neuesten Philosophie erscheinen ließ, parodirte Schelling, der Karolinen das Büchlein vorgelesen hatte:

 

Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Leser, nur an meiner Wahrheit
Und an deiner Dummheit nicht.

Die letzte Zeile, die dem Scherz erst seine anmuthige Spitze giebt, machte Karoline. Goethe, dem Schelling den artigen Witz seiner Freundin mittheilte, hatte sein herzliches Vergnügen daran. Bei solchen harmlosen Späßen blieb es aber nicht. Auf Fichte's immer gehässigere Angriffe antwortete Schelling im Jahre 1806 mit der »Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichte'schen Lehre«. Hier beschuldigte er Fichte, daß er vom Geiste der Naturphilosophie in seine eigne Lehre aufgenommen habe und sie nur deshalb beschimpfe, um zu bemänteln, wie er sich durch sie bereichert habe. Wenn Fichte gesagt hatte, das System nüchterner Erfahrung sterbe ab, das System wilder Schwärmerei mit all seinen ordnungzerstörenden Folgen beginne die grause Herrschaft, entgegnete Schelling, Fichte's Gefühl gegen die Natur sei das des rohesten und verrücktesten Asketen, der sich in spitzigen Dornen wälzt, nicht aus Heiligkeit, sondern um damit seiner Unheiligkeit und Unreinheit zu entfliehen.

Das war denn allerdings wohl der wesentliche und unüberbrückbare Unterschied, daß Schelling eine Natur war und Fichte nicht, daß in Schelling die Natur dachte, während Fichte nur die Natur denken konnte. Oder daß in Fichte der Quell des Unbewußten mit einem unbeweglichen Steine verschlossen war, während er in Schelling, nur allzu jäh manchmal, aufschäumte.

So kam es, daß sie von Angriffen auf ihre Werke und Meinungen zu Angriffen auf die Person übergingen. Fichte warf den Naturphilosophen vor, sie berauschten oder begeisterten sich, wenn die Einfälle nicht recht fließen wollten, durch physische Reizmittel. Schelling glaubte, daß das auf ihn gemünzt sei, da grade dieser Verdacht von seinen Gegnern öfters gegen ihn geltend gemacht wurde. Es wurde ihm sogar prophezeit, wie er selbst sagt, daß er nur noch wenige Jahre zu leben habe. In diesem traurigen Streite war Schelling, als der Wärmere, am meisten zu bedauern. Ihm that es weh, daß die einstige Verehrung und Freundschaft in diese bittere Entzweiung verwandelt worden war.

Goethe's fortdauerndes, herzliches Wohlwollen konnte ihm eine überreichliche Entschädigung sein. Auch brachte es Karolinen's magnetisches Gemüth zuwege, daß in München, wo Schelling im Jahre 1807 eine Professur angenommen hatte, sich wieder ein Freundeskreis um sie herum bilden zu wollen schien. Aber der alte Schwung war nicht darin. Auch wenn sich die Freunde aus der Jenenser Zeit wieder blicken ließen, wollte die frühere Freudigkeit nicht mehr aufkommen.

Schon die äußeren bedrohlichen Zeitereignisse verscheuchten die ehemalige Sorglosigkeit. Kurz bevor der Krieg Jena heimsuchte, besuchte Gries, der Uebersetzer, Karoline in Würzburg, wo Schelling's die ersten Jahre nach ihrer Verheirathung zubrachten. »Er reiste nach Heidelberg«, schreibt Karoline, »und ging von Jena weg, in der Ahnung unstreitig, daß dessen Ruin nahe wäre, wie man wohl Störche und andere häusliche Vögel vorempfindend die Stätte verlassen sieht, deren Mauern und Thürme nächstens in Schutt zusammenfallen sollen. Wie hat mir selbst schon das Herz um Jena und alle friedlichen Hügel geblutet!«

In München kehrte Wilhelm mit Frau v. Stark, in deren Begleitung er reiste, in Schelling's Hause ein. Seine ritterliche Correktheit und Karolinen's Talent zu lieben ermöglichten einen unbefangenen, ja freundschaftlichen Verkehr. Von Schelling war Wilhelm unzertrennlich. Kein Augenblick der Spannung war trotz der peinlichen Verwickelungen zwischen diesen beiden Männern gewesen. Eine Zeitlang, während die Scheidung im Gange war, hatten sie nach Einstellung des Briefwechsels zwischen Wilhelm und Karoline, alles geschäftliche Nothwendige allein miteinander verhandelt, niemals die gegenseitige Höflichkeit, Achtung und Zuneigung beiseitesetzend. In manchen Fragen der Poesie und Kunst fuhr Schelling fort sich von Wilhelm belehren zu lassen. Für Wilhelm, der ähnlich wie nach Friedrich's Urtheil Schleiermacher, immer in Gefahr zu verwelken war, war die quellende Naturkraft Schelling's eine Erquickung

Am Ende desselben Jahres fanden sich, von Italien zurückkehrend, Tieck und seine Schwester Sophie in München ein. Er ist noch der alte, schrieb Karoline von ihm, die Anmuth seiner Sitten hat sich nur mit einer gewissen Würde vermählt, die aber absonderlich ihren Sitz in den von der Gicht gesteiften Beinen genommen hat. Mit Tieck zugleich tauchte eine problematische Heldin der neuen Romantik auf, Bettina Brentano, mit deren potenzirter, karrikirter Besonderheit die einfach klare Karoline sich nicht befreunden konnte. Es war ihr ein merkwürdiger und zuweilen abstoßender Anblick, das sonderbar ausstaffirte Geschöpf mit dem kranken Tieck kokettiren und zugleich den abwesenden Goethe anbeten zu sehen. Einen vollends unverständlichen und widerwärtigen Eindruck machte ihr das katholische Wesen, das die Reisenden frisch von Rom heimbrachten. Tieck's Schwester hatte in Rom die Madonna der christlichen Künstler-Partei vorgestellt, gegenüber der heidnischen Venus in der Person der Frau von Humboldt. Die Hauptsache dabei waren Abenteuer und allerlei Ränke gewesen. Karoline, die in dem Glauben an ihr eignes Herz und im Sicheinsfühlen mit der Natur, im Vertrauen, daß Alles, was geschehe, gut und nothwendig sei, eine schöne Frömmigkeit immer besessen hatte, ohne jemals mit Christenthum zu kokettiren, sah mit Befremden Sophie Bernhardi ein großes Aufheben von ihrer Gläubigkeit machen und doch in beständiger Unzufriedenheit und Verwirrung leben.

Das Glück, das Karoline als Schelling's Frau genoß, war so vollkommen, wie Erdenglück irgend sein kann, aber von kurzer Dauer. Wenn nicht ihre Kränklichkeit sie mit dem Gedanken des Todes vertraut gemacht hätte, so würde es die Sehnsucht nach dem verlorenen Kinde gethan haben. Als sie im Jahre 1805 den Tod Huber's erfuhr, mit dem sie sich bei einem Wiedersehen in Würzburg völlig ausgesöhnt hatte, hatte sie einen Traum, den ich sie in ihren eignen Worten erzählen lassen will, weil es mir unmöglich scheint, ihn schöner wiederzugeben. »Ich ging durch eine Gasse an einem Fenster vorbei, wo Huber stand; ich sah ihn nur halb, der Hut, der mir tief in den Augen saß, hinderte mich, das Gesicht zu sehen, aber ich erkannte die Gestalt, den Schnitt der Kleider und eine Weste, die er zu tragen pflegte. Indem ich mich bemühte, ihn zu sehen, verwandelte sich das Fenster in diejenige Glasthür, welche aus meinem blauen Zimmer in das kleinere führt. Er stand dahinter und kam herein. Unser Eßtisch steht da jetzt, da ich im Winter das kleinere Zimmer bewohne; es war für drei oder vier wie gewöhnlich gedeckt, er setzte sich aus der Thür herein mir gegenüber, wir erwarteten, daß Schelling herunterkäme, und sprachen indeß ruhig mit einander, aber er und ich wohl wissend, daß er todt war. Von Freundschaft war nicht die Rede. Ich frug ihn, warum er uns so betrübt hätte und ich würde gern mit ihm getauscht haben; denn, Huber, sagte ich, ich habe doch noch mehr im Himmel zu suchen wie Sie. Mir lag Auguste im Sinn, wie sie mir immer gegenwärtig ist. Er sagte, ist das Ihr Ernst, so geben Sie mir Ihre Hand – ich gab sie ihm über den Tisch, die seinige war ganz warm, das fiel mir auf, da er doch nicht lebte, und hierüber wachte ich auf.«

Erst viereinhalb Jahr später, im Herbst 1809, starb sie in Maulbronn, wo sie mit ihrem Manne zu Besuch bei seinen Eltern war. »Die ganze letzte Zeit war sie lieblicher und sanfter als je«, schrieb Schelling an ihren Bruder Philipp; »ihr ganzes Wesen in Süßigkeit aufgelöst.« Nicht müde wurde der verzweifelte Mann zu schildern, wie himmlisch verklärt sie im Tode gewesen sei, von welcher Anmuth beseelt der erlöschende Körper. Ihre stets melodische Stimme, sagte er, töne wie sanft gestimmte Harmonikaglocken, wie geistige Klänge, immer in seinem Herzen fort.

Auf ihr Grabmal ließ Schelling die Worte setzen: »Gott hat sie mir gegeben, der Tod kann sie mir nicht rauben. Sie wird wieder mein werden oder vielmehr sie ist mein auch in dieser kurzen Trennung«

Ein Mann von so sinnlicher Naturkraft konnte Liebe auf die Dauer nicht entbehren. Nach einigen Jahren verheirathete er sich mit Pauline Gotter, der jüngsten Tochter von Karolinen's alter Freundin, deren Freundschaft und Verehrung er wie ein Vermächtniß der Verstorbenen überkommen hatte.

Ein Jahr nach Karolinen's Tode starb in München noch ein Angehöriger des Freundeskreises der Romantiker in Jena: Ritter, der noch im engen Verkehr mit Baader die eigenthümlichsten Beobachtungen auf dem Gebiete der Nachtseiten der Natur gemacht hatte und zum Entdecker des Unbewußten geworden war. Von den Uebrigen trafen sich zwei: Schleiermacher und Steffens, in Halle wieder, wo Steffens Professor geworden war. Halle war eine Stätte der Erinnerungen: am romantischen Giebichenstein, wo Reichardt wohnte, Tieck's Schwager und Steffens' Schwiegervater, hatte die hoffende Jugend umhergeschwärmt wie auf den Hügeln von Jena. Hier hatte Tieck in seiner Studienzeit mit dem zärtlichen Wackenroder beseligende Feierstunden der Freundschaft verlebt. Auch jetzt durchstreiften hier wohl Schleiermacher und Steffens in angeregten, ja begeisterten Gesprächen die Gegend. Aber Schleiermacher's Bahn hatte die Romantik nur eine Wegstrecke lang begleitet, um dann eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Die für ihn wesentliche Zeit, wo er sich so bildete, wie er auf die Nachwelt gekommen ist, lag noch vor ihm. Steffens, obwohl auch er noch ein langes Leben vor sich hatte, betrachtete die Jahre in Jena immer als die schönste und reichste Epoche seines Lebens, als die Blüthe der Jugend. Das jähe Ende, die vollständige innere und äußere Zerstreuung machte die Rückerinnerung an diese Zeit um so schmerzlicher und zugleich um so lieber. Sie erschien ihm wie der Thurmbau zu Babel, der aufgegeben wurde, weil die Sprache der Arbeiter sich untereinander verwirrte und sie sich wechselseitig nicht mehr verstanden. »Bist du der, mit dem ich mich vereinigt träumte? fragt Einer den Andern. Ich kenne deine Gesichtszüge nicht mehr, deine Worte sind mir unverständlich, und ein jeder trennte sich in die entgegengesetzten Weltgegenden – die meisten mit dem Wahnsinn, den Babelthurm dennoch auf ihre eigene Weise zu bauen.« So schreibt Steffens im Jahre 1814 an Tieck.

Vor allem erschütternd traf ihn der volle Eindruck der Veränderung, als er 1811 Jena wieder besuchte. Er fühlte sich wie aus einer Wahlstatt ritterlicher geistiger Kämpfer. Aber von Allen fand er nur den kleinen Gries wieder, der die liebgewordene Gegend, nachdem der Krieg vorübergerast war, getreulich wieder aufgesucht hatte. »Als ich in die zierliche Stube hineintrat, erschrak ich heftig; denn Schränke, Tische, Stühle, Büsten standen grade wie zehn Jahre früher, dieselbe Magd begrüßte mich, und der kleine Dichter mit dem gelben Teint und den schwarzen Augen saß noch da. Er und seine Umgebung erschienen mir fast wie einbalsamirte Leichen aus einer schönen lebendigen Zeit.« In einer andren, in erhabener Weise stellte ihm Goethe das Bleibende im Wechsel dar. Er war derselbe geblieben, aber stetig wachsend mit seiner Zeit, so daß er immer gleich lebensvoll und gleich groß erschien und seine Gewalt über die Geister nicht abnahm.

Wieviel jugendlicher erscheint dieser langsam sich bewegende, würdevolle Greis als die ehemaligen Götterbuben, Wilhelm und Friedrich, da sie eben erst die Grenze des Alterns streiften! Wenige Verhältnisse haben so viel tragisches wie der Ausgang dieser Brüder. Seitdem Wilhelm nach Berlin, Friedrich mit Dorothea nach Paris ging, haben sie nie mehr dauernd zusammen gelebt. Dennoch, wie unverständlich und unerfreulich für Wilhelm auch Friedrich's Uebertritt zur katholischen Kirche war, hielten sie an dem alten Ideal der Bruder-Einheit beharrlich fest. Wilhelm, der ohne Häuslichkeit war und weil ihm kein eigner Urquell im Innern sprudelte, auf fremde geistige Zufuhr angewiesen war, hätte, obwohl praktischer und äußerlich weit glänzender gestellt als Friedrich, des Haltes der Freundschaft doch viel mehr als dieser bedurft. Rührend ist das lange Gedicht, das er den ihm unrettbar entschwindenden, sich entziehenden Bruder nachruft:

 

»O Bruder, mir entzogen
Durch fremder Länder Weiten,
So ungern eingebüßt.«

Die Natur habe sie deshalb gepaart und zu Brüdern gemacht, sagt er in diesem Gedichte, daß sie dem einen gegeben habe, was dem andern gebreche. Eine Rinde hält sie umschlossen, einen Baum bilden sie, aber Friedrich senkt die Wurzeln in die Erde und saugt Nahrung für beide, Wilhelm streckt im Wipfel liebevoll den Gestirnen, dem Aether die Arme entgegen. Dieser Eintracht verdanken sie das Gedeihen. Die Fahrt in's offene Meer wollen sie nun wagen: Friedrich soll das Steuer lenken, er selbst will nach dem Wetter spähen und die Segel richten. Oder Friedrich soll die edlen Erze aus der Tiefe fördern, er selbst will künstliche Schalen daraus bilden.

Wahrer und feiner konnte die Naturverschiedenheit der Beiden nicht ausgedrückt werden. Und gewiß hatte Wilhelm den Bruder in diesen Bildern nicht die schlechtere Rolle spielen lassen. Aber Dorothea, unfähig den Sinn zu fassen, war beleidigt, daß ihr Friedrich die schlechte Wurzel des Baumes sein sollte, während Wilhelm die Krone für sich behielt. Und unter diesem gutgemeinten, doch nicht guten Einflusse stehend, verkannte auch Friedrich die Wahrheit und seine Erwiderung des Gedichtes entbehrt der unbefangenen Innigkeit, obwohl er stolz darin betheuerte, daß der hohe Bruderbund ihm das einzig Feststehende und Erprobte in den Stürmen des Lebens geblieben sei. Da nun einmal die Willigkeit der Liebe fehlte, machte sich die vorher als so willkommene Ergänzung empfundene Verschiedenheit nur noch als Anderssein und unversöhnliches Auseinanderstreben geltend. Aber von beiden Seiten wurde das ängstlich verschwiegen. Wilhelm machte noch einmal einen Heirathsversuch, der kläglich fehlschlug. Seine Ehe mit Sophie Paulus, der Tochter von Dorothea's einstiger Freundin, ging schon nach einigen Tagen in der häßlichsten Art aus einander. In dieser peinvollen Zeit war Friedrich dem unglücklichen Bruder reichlich mit Rath- und Trostbriefen zur Hand, in denen er für Wilhelm's Geschmack nur vielleicht zu häufig darauf hinwies, daß die sicherste Hülfe und Beruhigung im Gebet zu finden sei. Dergleichen Redewendungen mochten den alten Freunden anstößig sein nicht nur, wenn sie sie mit seinen früheren Ueberzeugungen, sondern vorzüglich wenn sie sie mit Friedrich's gegenwärtigem Leben verglichen.

Zur Zeit, als er noch in Köln war, vernahm man schon von Friedrich, er habe Anlage, ein Ketzerverfolger zu werden und solle fast schon so fett, bequem und schwelgerisch wie ein Mönch sein. Es ist bezeichnend, daß Dorothea einmal die Bemerkung machte, sie fürchte sich vor nichts so sehr, als dem Materialismus, und es gehe ihr damit wie den Leuten, die sich vor Gespenstern fürchten und immer welche zu sehen und zu hören glauben. In ihm wie in ihr hatte immer die Gefahr dieser Art des Sinkens gelegen. Die Frömmigkeit, an die sich Dorothea mit verdoppelter Aengstlichkeit klammerte, das Beten, Messehören, Kirchenbesuchen, konnte das geistige Lahmwerden nicht verhindern noch verhüllen. Als Henriette Herz die Jugendfreundin 1811 in Wien wiedersah, fand sie ein zufriedenstellendes Verhältniß – »aber wohin war die Poesie entschwunden, welche das frühere, von der Welt so verpönte durchdrungen hatte! Eines Abends war Dorothea leidend. Ich saß vor ihrem Bett. Wir klapperten beide ein wenig vor Fieberfrost. Schlegel saß uns gegenüber an einem Tische, aß Orangen und leerte dazu eine Flasche Alicante! Ich weiß nicht, ob er auch uns dadurch von einiger südlicher Gluth zu durchhauchen suchte.«

Keiner von seinen ehemaligen Freunden konnte den alten Friedrich in ihm wiederfinden. Er sprach in einem mystisch messianischen Tone, hielt dunkel verschnörkelte, unerquickliche Vorträge, bei denen der hohe katholische Adel vornehm und verständnißlos zuhörte und ließ sich nicht herbei, auf die Ideen der Andern einzugehen noch den Sinn seiner eigenen begreiflich zu machen. Einige Mönche, einige überspannte junge Leute, einige Damen, die seine Salbung und seine priesterliche Erscheinung überwältigte, bildeten seinen intimen häuslichen Verkehr. Man nahm an, es sei ihm im Grund nichts ernst, als ob der Wein gut und das Essen gerathen sei.

Indessen wurde er österreichischer Diplomat, erhielt vom Papst den Christusorden und erneuerte den alten Familienadel.

Wehmüthig sieht man zurück auf seine mühevoll ringende Jugend, wo sein hochfahrender Geist die ganze Welt in die Schranken rief. Wenn er in seinen letzten Lebensjahren die Briefe noch einmal hätte lesen können, die er als Jüngling an seinen Bruder richtete, ob sie ihn zur Wehmuth oder zur Ironie gestimmt hätten? »Es kommt nur auf dich an, ein großer Mensch zu werden« »Was könnte wohl eher die Sonne des Lebens genannt werden als der Enthusiasmus oder die Liebe? Ich wüßte nicht, zu was ein Alter ohne sie lebte, als etwa seinen Geist stückweise abfaulen zu sehen.« »Es giebt nur ein unbedingtes Gesetz – Vernunfteinheit; nämlich daß der freie Geist stets siege über die Natur.« Das sollte in der Kunst gelten; aber ist nicht auch das Leben ein Kunstwerk? Sein Leben ist ein trauriges Märchen, wo die Liebende den verwünschten Prinzen nicht hat erlösen können und er nun fernerhin als ein dumpfes, gieriges Thier, das in der Geisterstunde sich qualvoll seiner hohen Bestimmung und schnöden Erscheinung bewußt wird, den Zauberwald durchirren muß.

So traurig auch die erzwungene Freundschaft war, die Wilhelm und Friedrich einander noch vorspiegelten, diese Geschichte sollte ganz untröstlich, ganz unversöhnlich enden. Nachdem die zerreißende Feindseligkeit erbitterter Liebe oft genug aus ihren Briefen geklungen hatte, kam es schließlich dahin, daß Wilhelm dem Bruder in einem merkwürdigen Schreiben die alte Freundschaft persönlich aufkündigte: »Bei den noch freien Römern pflegten Männer, die als Freunde miteinander gelebt und gemeinschaftlich gewirkt hatten, wenn sie nun nach ihrer Ueberzeugung von den öffentlichen Angelegenheiten sich trennen und einander entgegenwirken mußten, ihre Gegnerschaft sich förmlich aufzukündigen. Dies thue ich Dir jetzt als Schriftsteller. Mache Dich darauf gefaßt, nächstens Angriffe von mir auf Deine späteren Schriften, mit oder ohne meinen Namen, in Deutschland oder auswärts, mit den Waffen des Scherzes oder ernster Beredsamkeit an's Licht treten zu sehen. Ob die Römer dabei die geselligen Verhältnisse des Privatlebens vorbehalten, weiß ich nicht. Ich bin aber der Meinung, daß man es thun könne und müsse, und wenn Du mir durch einen Besuch die Gelegenheit dazu schaffst, so werde ich es durch die That beweisen und an der brüderlichen Aufnahme nichts fehlen lassen.«

Ganz der alte Wilhelm: etwas gespreizt aber nicht geschmacklos, und so correkt! Also auch jetzt noch fristete die Bruderliebe ein trübselig erlogenes Schattendasein. Was den endgültigen Bruch herbeiführte, war eine kümmerliche Geldangelegenheit. Wilhelm hatte im Laufe der Jahre dem stets bedürftigen Bruder Geld geliehen: nun auf einmal forderte er eine noch ausstehende Schuld zurück. Es mochte ihn kränken, daß Friedrich noch Nutzen von ihm ziehen, da er doch sonst nichts mehr von ihm wissen wollte. Da nun Friedrich sich anstellte, als habe Wilhelm kaum einen Anspruch auf das Geliehene und sich durchaus nicht aus seiner bequemen vornehmen Ruhe bringen ließ, erbitterte sich Wilhelm mehr und mehr. Darüber wurden die Briefe, die in dieser erbärmlichen Sache hin- und hergingen, spitzer und kälter; einige Monate vor seinem plötzlichen Tode, im September 1828, empfing Friedrich den letzten, den er nicht mehr beantwortete. Das Wenige, was Wilhelm öffentlich über seinen Bruder äußerte, verräth noch von der früheren Liebe und dem nie zu verwindenden Schmerz über ihr Auseinandergehen. Zu einer Zeit, als die Uebertritte zum Katholizismus zunahmen und man auch Wilhelm ganz ungerechterweise dafür verantwortlich machen wollte, hielt er es für geboten, sich über seinen Standpunkt vernehmen zu lassen. Indem er nun davon sprach, wie man sich durch Verzicht auf die freie Forschung gleichsam den Gebrauch der eigenen Augen opferte, fuhr er fort: »Mancher hat hierbei nicht viel zu verlieren, weil er schon zuvor blödsichtig war. Wenn aber einmal ein Adler, von der Natur bestimmt, gerade in die Sonne zu schauen und mit ausgespreiteten Fittigen sich ihr entgegenzuschwingen, wenn dieser sich mit seinen eigenen Klauen blendete, das wäre in der That ein beklagenswerthes Schauspiel.« Wieviel verhaltene Liebe spricht aus diesen Worten, bei denen er ohne Zweifel Friedrich's gedachte.

Wilhelm überlebte seinen Bruder um siebzehn Jahre. Er hatte es immer empfunden, daß die Jugend sein guter Genius war. Nichts hatte er so gefürchtet wie das Altwerden: er mochte ahnen, daß ihm ein langes Leben beschieden war ohne die Gabe, seinen Geist jung zu erhalten. Nicht daß seine rüstige Thätigkeit nachgelassen hätte. Aber was Friedrich geweissagt hatte, vollzog sich buchstäblich: eine unzufriedene Kälte wurde herrschend bei ihm. Als er noch das frische Empfinden und die reizbareren Sinne der Jugend gehabt hatte, war seine maßvolle Verständigkeit eine Tugend gewesen, später wurde ein leeres Virtuosenthum daraus. Ein Freund Tieck's durfte ihn mit dem alten Nikolai vergleichen, der einst die Zielscheibe seines übermüthigen Witzes war. »Der Theil von Schlegel«, schrieb Löbell an Tieck, »welcher oft mit Horaz, Boileau und andren Helden der Correktheit seinen Spott getrieben, ist verraucht und verflogen und der übrig gebliebene hat es immer halb unbewußt und heimlich mit ihnen gehalten, und nun kommen diese Geister in seinem Alter über ihn und rächen sich für die ihnen früher angethane Schmach, indem sie sich seiner ganz bemeistern.« Ohne Sympathie für die übertreibenden Jünger, die ihm als einem ruhmwürdigen Haupte eine herkömmliche Verehrung widmeten, ganz ohne Sinn für die späteren Umstürzler andrer Art, das sogenannte Junge Deutschland, stand er vereinsamt, der versteinerte Gelehrte der Romantik. Wenn er auch zu eitel war, um es zuzugestehen, er empfand seine Vereinzelung bitter und war mit sich so wenig zufrieden wie mit der Welt. Im Innersten sehnte er sich nach der schönen Wärme, die in der sonnigen Jugendzeit in seinem Blute gewesen war, nach der Fröhlichkeit und dem herzlichen Gelächter, das einst im Kreise der Freunde erklungen war. Tieck, der in Dresden gichtbrüchig im Lehnstuhle saß, von der Gräfin Finkenstein, seiner Frau und seinen Töchtern allzu reichlich vergöttert, und seinen Bewunderern jahraus, jahrein Holberg, Shakespeare, Calderon und andrer Dichter Dramen vorlas, sah er noch zuweilen. Es gab wohl für ihn etwas Neid und Eifersucht zu überwinden angesichts der ausgedehnten und angemessenen Beliebtheit und Berühmtheit seines einstmaligen Schützlings, aber das gab sich im Beisammensein und unter dem erwärmenden Einflusse, den das zarte Gemüth des Freundschaftskünstlers Tieck ausübte. Welches Leiden es aber für den tändelnden Gesellschaftsschmetterling, für den ewig Verliebten war, als er bemerken mußte, daß seine Huldigungen kein Frauenherz mehr schneller schlagen machten, davon giebt das folgende Gedicht Zeugniß, dessen bescheidene Klage und schmerzende Wahrheit aus diesem oft gezierten, immer bewachten Munde doppelt rührend ist:

Zu spät! zu spät! und wollte sie auch gerne.
Die Jugend, die mein Haupt gekrönet,
Die Poesie, die meine Brust durchtönet,
Sie sind entflohen. Es blassen meine Sterne.
Ach! warum blieb ich einsam nicht und ferne?
Längst hatt' ich süßem Trug nicht mehr gefröhnet,
Doch war des Wahnes Schuld noch nicht versöhnet,
Und Zeit ist's, daß ich in mir sterben lerne.
Ein Weib begegnet mir voll Huld und Milde,
Doch ist ein heil'ger Engel ihr Gefährte.
Ich darf nicht bitten und sie darf nicht geben,
Ich schaue sehnend nach dem zarten Bilde,
Da winkt der Cherub mit dem Flammenschwerte:
Nimm Abschied von der Liebe, von dem Leben!

Das war das Traurigste, daß er dennoch nicht Abschied nehmen konnte. Daß er den Schein der Jugend, deren Entweichen er so deutlich fühlte, gewaltsam festzuhalten suchte. Wenn schon einst Karoline darüber lachte, wie er sich salbte, putzte und schmückte, betrieb er jetzt dergleichen Künste mit noch vermehrtem Eifer. Mit welcher seltsamen, beinah unheimlichen Mischung von Geckenhaftigkeit und schmerzlichem Hohn über die eigene Narrheit malt er seine Erscheinung lebendig vor in einem Briefe an Tieck aus dem Jahre 1836: »Du sagst, ich halte mich tapfer. Ich bestrebe mich freilich. Diesen Frühling rette ich sogar wieder. Abends bei hellem Kerzenlichte, sauber geputzt und mit meinen beiden Pompons angethan, in der neuesten, noch nicht fuchsig gewordnen Perrücke bringe ich noch eine leidliche Decoration heraus. Schöne Damen sagen mir, ich müsse wohl ein Geheimniß besitzen, um mich immerfort zu verjüngen. Aber die Pflege des Leibes nimmt Zeit weg. Dazu bedarf ich viel Schlaf und zu ungelegenen Stunden. Das artet zuweilen in das Murmelthierische aus. Sei aber nur nicht bange vor meiner Schlafmützigkeit. Wenn ich wach bin, so bin ich es recht, besonders wenn eine geistige Anregung hinzukommt, und an guten Späßen soll es nicht fehlen.« Wie das karrikirte Gespenst des hübschen Jünglings von einst war er anzusehen, ein Gegenstand des Spottes für die Jungen, die sich um den tragischen Sinn der lächerlichen Erscheinung nicht kümmerten.

Im Jahre 1838 besuchte David Friedrich Strauß den etwa Siebzigjährigen und fand in dem Besuchszimmer, das des Hausherrn eigene Büste und in Oel gemaltes Bild schmückte, einen elegant in blauen Frack gekleideten Mann, mit brauner, jugendlich lockiger Perrücke, der den Ankömmling mit fast frivoler Beweglichkeit, wie Strauß sich ausdrückt, begrüßte. Als Strauß am Abend nochmals empfangen wurde, saß am Kamin ein altes Männchen im Schlafrock, ohne Perrücke, das kahle Haupt mit einem schwarzseidenen Mützchen bedeckt. Daß der Greis den Fremden durch eine Masse rasch herausgesprudelter Kenntnisse zu blenden suchte, ohne im mindesten ein Wechselgespräch aufkommen zu lassen, vervollständigte den betrübenden Eindruck.

Ein andres, eigenthümlich ergreifendes Bild hat Henriette Herz von dem alten Freunde entworfen; vielleicht daß sie als Frau ihn mit andern Augen ansah oder weil sie ihn als den verwöhnten, ritterlichen Dichter in seiner schönen Jugend gekannt hatte. Freilich war es 20 Jahre vor Strauß, daß sie ihn in Bonn wiedersah. »Wie war er schon äußerlich verändert«, erzählt sie. »Das sonst so glänzende Auge war erloschen, der Teint bleich, verschossen, die früher schlanke Gestalt aufgedunsen, sein sonst so geistreiches Wesen war nur noch zu ahnen. Wir machten eine Land- und Wasserpartie mit Bonner Professoren und ihren Frauen. Sie waren lustig und laut, aber je mehr sie dies wurden, desto ernster und stiller wurde Schlegel. Zuletzt saß er mit völliger, aber anständiger Theilnahmlosigkeit da, ganz wie ein ältlicher Franzose, der nicht deutsch versteht, in einer deutschen Gesellschaft dasäße, und auch sein Aeußeres widersprach diesem Bilde nicht. Eigentlich verstand er auch nicht, was um ihn her gesprochen ward, wenn er auch die Worte verstand. Es machte einen schmerzlichen Eindruck auf mich«

Man kann kein lebhafteres und rührenderes Bild haben von der sterbenden Romantik im Lärm der neuen, thatkräftigen Zeit. Hamlet, der dem eisenklirrenden Fortinbras den Platz räumt. Ja, sie verschwanden spurlos, die stürmenden Eroberer, wie die glänzenden Gothen, die so herrlich und zuversichtlich begonnen hatten, wie die blonden Vandalen, die ihre heimische Kraft rasch unter glühender Sonne verschwelgten. In dem Kriege der Menschheit mit dem Schicksal hatte für diesmal das Schicksal gesiegt. Was darüber Tröstliches und Erhebendes gedacht werden kann, liegt alles in diesen Worten von Novalis: »Fortschreitende, immer mehr sich vergrößernde Evolutionen sind der Stoff der Geschichte. Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem künftigen Versuch erreichen oder bei einem abermaligen; vergänglich ist nichts, was die Geschichte einmal ergriff, aus unzähligen Verwandlungen geht es in immer reicherer Gestalt erneut wieder hervor.«


 << zurück