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Leben.

Ist denn Krieg von Liebe so unzertrennlich auf Erden?
Giebt es kein ruhiges Glück und keine glückliche Ruh'?
Nein, denn siehe die Erde, die gleichen Muthes am Himmel
Zwischen Venus und Mars wandelt die stürmische Bahn.
Schaffend, der Erde gleich, du Erdgeborner, bewege
Unverdrossen denn auch dich zwischen Liebe und Krieg.

Schelling.

 

Sagt, wer sind auf jenen Matten,
Wo so manche Blumen blüh'n,
Die verwandten stillen Schatten,
Die in holder Eintracht zieh'n?
Schmerz und Leben heißen beide,
Beide sind sich nah verwandt,
Manchmal grüßet sie die Freude,
Und das Leben reicht die Hand.
Aber dann tritt Schmerz dazwischen,
Schnell entflieht dann zu den Büschen
Freude, sie verbirgt sich in dem tiefsten Hain –
Schmerz und Leben bleiben stets allein.

Tieck.

 

»Grünsammtne Teppiche die Berge hinan, mit Veilchen, Schlüsselblumen und Primeln gestickt und lauter wohlriechenden Kräutern durchwirkt; alle Bäume in der glorreichsten Blüthe; Flieder und Maiblumen in dicken Haufen; eine Art Weide, die wie Orangen riecht, steht allenthalben auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß, wie ein Spiegel hell; warm vom Morgen bis wieder zum Morgen; eine Lust, die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine Decke ruht – so sieht der Frühling in Jena aus.« Und als ebenso friedlich und freundlich schildert Dorothea das Leben der Bewohner. Während es sonst in Universitätsstädten so zuzugehen pflege, daß zarte Damen ihren Aufenthalt dort nicht zu nehmen wagten, nähme in Jena der Humanitätston überhand und man könne im Gebirge stundenweit allein spaziren gehen. Das Militair und die Kaufmannschaft in Berlin seien roh gegen die Jenenser Studenten: man höre überall von Wilhelm Meister, der Transcendentalphilosophie und von Sylbenmaßen sprechen, dazu aus jedem Hause Guitarren und Geigen.

Während die Völker Europas gegen einander in Waffen standen und Schwertergetöse und Kriegsgeschrei sich wie eine mordende Lawine von Land zu Land wälzte, kämpften über diesen sanften Hügeln das alte und das neue Jahrhundert eine Geisterschlacht.

Als Wilhelm und Karoline, neuvermählt, im Sommer 1796 von Gotha kommend in Jena einzogen, wo Wilhelm Professor geworden war, fürchtete er, die Felsen am Eingange möchten sie abschrecken. »Aber ich sah nichts«, schreibt Karoline an ihre Freundin Luise Gotter, »als das Gute und Angenehme und bin schon mit diesem romantischen Thale ganz befreundet.« Wie ein trojanisches Pferd war dieser Hochzeits-Reisewagen, der die ersten Umstürzler in die ahnungslose Stadt führte; geräuschlos nisteten sie sich ein, um den Einzug der Hülfstruppen vorzubereiten Ein vornehmes Haupt der neuen Zeit fanden sie freilich schon vor: Fichte.

Als der junge Norweger Steffens im Sommer 1798 nach Jena kam, hörte er nach einander die bedeutendsten Professoren der Philosophie sprechen: Schelling, das neue Gestirn, und Fichte, der schon auf seinem festgegründeten Ruhme thronte. Er eröffnete damals grade seine Vorlesungen über die Bestimmung des Menschen. Schon die kurze, stämmige Gestalt, die schneidenden, gebietenden Züge imponirten. Auch seine Sprache war von schneidender Schärfe. Obwohl er sich alle Mühe gab, zu beweisen, was er sagte, hatte seine Rede doch etwas an sich, als wolle er durch einen Befehl, dem man unbedingten Gehorsam schuldig sei, jeden Zweifel entfernen. »Meine Herren«, sagte er, »fassen Sie sich zusammen, gehen Sie in sich ein, es ist hier von keinem Aeußeren die Rede, sondern lediglich von uns selbst.« Alle veränderten die Stellung, richteten sich auf oder sanken in sich zusammen. Eine große Spannung herrschte. »Meine Herren, denken Sie die Wand.« Alle dachten die Wand. »Haben Sie die Wand gedacht? Nun, meine Herren, so denken Sie denjenigen, der die Wand gedacht hat.« Die Verwirrung und Verlegenheit, die dies zweite Ansinnen hervorrief, war, wie Steffens erzählt, sehr ergötzlich zu beobachten Im Ganzen hatte der Vortrag durch seine bestimmte Klarheit etwas Hinreißendes, wie man es nicht leicht ähnlich finden konnte.

Eine merkwürdige Figur spielte der eiserne Fichte unter den geschmeidigen, üppigem tollen Romantikern. Wie Vögel eine Vogelscheuche umflattern, etwas scheu, etwas ehrfürchtig, etwas neugierig und etwas muthwillig waren sie um ihn her. Sie hätten ihn gern einmal aus seiner strengen Unbeweglichkeit herausgeneckt, wovon sie selbst ergötzliche Beispiele erzählen. Steffens wollte ihn durchaus davon überzeugen, daß eine Lüge unter Umständen zu rechtfertigen, sogar moralischer als die Wahrheit sei; denn Fichte hatte behauptet, unter keiner Bedingung dürfe man die Unwahrheit sagen. Steffens setzte nun folgenden Fall: Eine Wöchnerin ist sehr krank. Ihr Kind stirbt. Sie fragt nach dem Kinde. Was soll man ihr sagen, da man weiß, daß jede Aufregung sie augenblicklich tödten kann? Sie soll mit ihren Fragen abgewiesen werden, entscheidet Fichte ungerührt. Steffens: Das heißt auf das Bestimmteste antworten, ihr Kind sei todt. Ich würde lügen, und ich nenne ganz entschieden diese Lüge eine Wahrheit, meine Wahrheit. Was? rief nun Fichte entrüstet: Meine Wahrheit? Eine solche, die dem einzelnen Menschen gehört, giebt es nicht. Stirbt die Frau an der Wahrheit, so soll sie sterben.

Vollends ohne jedes Verständniß für einander waren Fichte und Tieck, der Dämmerungsdichter und der Philosoph der unerbittlich schneidenden Tageshelle. Wenn Tieck philosophiren wollte, verwies ihn Fichte gutmüthig ungeduldig auf seine Poesie. Aber ungeachtet er ohne Sinn für die Romantik war, betrachteten sie ihn gern als den Ihrigen, weil sie den Helden der guten Sache in ihm ehrten. Als im Beginn des Jahres 1799 der Atheismusstreit losbrach, nahmen sie unerschrocken seine Partei. Von Allen, die sich bei Hofe beliebt machen wollten, von allen Professoren, die Fichte überglänzt hatte – denn er hatte weitaus die meisten Zuhörer –, wurde er verlassen und gemieden. Diejenigen, die nicht wohl anders konnten, als ihm in der Sache Recht geben, schrieen über seine Dreistigkeit und Unbesonnenheit. Seine unerschütterliche Redlichkeit, meinte Karoline, habe Hof und Universität oft in Verlegenheit gesetzt. Die Studenten wandten sich mit Bittschriften nach Weimar – Steffens, der Bewegliche, Begeisterte hatte auch Unterschriften gesammelt –, aber vergeblich. Daß Goethe diese feige Ungerechtigkeit geschehen ließ, schmerzte seine Jünger; sie wollten Verlegenheit an ihm bemerken, wenn von dem Handel die Rede war. »Der wackere Fichte streitet eigentlich für uns Alle«, schrieb Wilhelm, »und wenn er unterliegt, so sind die Scheiterhaufen wieder ganz nahe herbeigekommen.« Er, der sonst Vorsichtige – namentlich wenn es galt, Goethe zu schonen – suchte seinem Bruder Friedrich, der damals noch in Berlin war, kriegerische Stimmung einzuflößen. Dem kochte denn auch schon eine Broschüre im Leibe, wie er sich ausdrückte, worin er bescheiden darthun wollte, Fichte's Verdienst bestehe eben darin, daß er die Religion entdeckt habe. Zwar kam diese Schrift nicht zu Stande. An Wilhelm schrieb er aber: »Nicht bloß Atheisten sind die Gegner ((Fichte's)), sondern positive Diener des Satans, gegen die in Deutschland jeder Schriftsteller ein geborener Soldat ist.«

Fichte wußte denn diese fruchtlose Freundschaft damals auch wohl zu schätzen. In Berlin, wo er Zuflucht fand, verkehrte er viel mit Friedrich und Dorothea und sprach den Wunsch aus, daß Wilhelm, Karoline und Schelling auch dorthin kämen, damit sie zusammen eine Familie bildeten.

»Nächst dem Atheismus«, schrieb Karoline am 4. Februar 1799 an Novalis, »ist hier das neueste Evenement die Aufführung des ersten Theiles von Wallenstein ›die Piccolomini‹ in Weimar. Im Oktober des vorhergehenden Jahres war das Lager zuerst in Scene gegangen. Ganz Jena machte sich auf, um diesem Ereigniß beizuwohnen. Beim Lager war das Romantikerhäuflein fröhlich zusammen; Fichte nöthigte nach der Vorstellung Karolinen vier Gläser Champagner auf. Wilhelm blieb in Weimar; Schelling fuhr an seiner Stelle in der Nacht mit ihr zurück. Bei der Erstaufführung der Piccolomini blieben Schelling und Karoline in Jena. Nachher versammelte man sich bei Karoline und tauschte die empfangenen Eindrücke aus. Obwohl der korrekte Wilhelm zu mildern suchte, zeigte sich doch die Antipathie gegen Schiller: das Endurtheil über die wundervolle Dichtung, die man allerdings nur als Bruchstück kennen gelernt hatte, war verneinend.

Das Theaterspielen war eine gesellige Leidenschaft. Das beste Beispiel dafür erzählt Tieck, wie nämlich sogar der alte Nicolai von dieser Wuth ergriffen wurde. Da Tieck ihn einstmals besuchte, fand er ihn zu seinem Erstaunen mit seinem Sohne und einem andern Herrn in einer versartigen, pathetischen, Schillerisch declamirenden Unterhaltung begriffen, deren Sinn ihm im ersten Augenblick unfaßbar war; allmälig begriff er, daß sie eine Scene zu Don Carlos improvisirten, wobei Nicolai den König, sein Sohn den Marquis, und der dritte den Carlos auf sich genommen hatte. Auch in Jena war »alleweil von nichts als Theater die Rede«, wie Karoline schrieb. Steffens und Tieck waren von Jugend auf an's Theaterspielen gewöhnt, auch Karoline hatte Neigung dazu. Bei einer Aufführung von Goethe's Stella im Schützschen Hause wählte sie sich die Rolle der Cäcilie. Auch Sophie Mereau, die spätere Gattin Brentano's, wirkte mit. In einem seiner allerliebsten Briefe an die kleine Auguste, die auf Besuch im Hause des Malers Tischbein war, schrieb Friedrich: »Wenn du wieder da bist, wollen wir auch etwas agiren, etwas wie das Stück, von dem du schreibst. Du machst die schöne, aber treulose Angelika, Tieck den kleinen beglückten Schäfer Medoro, Schelling den rasenden Paladin, Orlando den Wüthigen, ich Kaiser Karl den Großen und Wilhelm den edlen Vetter Rinaldo's v. Montalban.« Wie sieht man sie vor sich in diesem Kostüm: die liebreizende, verwöhnte, ein wenig kokette Kleine, die der Briefsteller hier gleichsam mit ihrer Mutter in Eins zu fassen scheint, den anmuthigen Tieck, den ungestümen Schelling, Friedrich selbst voller Würde und Heiligkeit und Wilhelm, den correkten, ritterlichen. Wenn nicht Theater gespielt wurde, wurde Theater gelesen. Wilhelm las seine neuen Uebersetzungen der Shakespeare'schen Dramen vor, Tieck mit Vorliebe Holberg, den er gleichsam neu entdeckt hatte. Tieck, dessen Vorlesungen in späteren Jahren eine beinahe europäische Berühmtheit hatten, las genialer. Vorzüglich wurde sein Vortrag bewundert, wenn er etwas improvisirte. Steffens war einmal in Dresden zu Besuch bei ihm, als gerade der Geburtstag seiner Frau gefeiert wurde. In besonders guter Laune kündigte er an, daß er ein Schauspiel darstellen und dabei selbst sämmtliche Rollen übernehmen wolle, Steffens möge ihm einen Gegenstand aufgeben, von dem die Komödie handeln solle. Steffens bestimmte, es solle in dem Stück Jemand auftreten, der der Liebhaber und ein Orang-Utang in einer Person wäre. Nach einer halben Stunde erschien Tieck vor seinem Publikum und trug zunächst einen Prolog vor, der die Zuschauer an den Hafen einer großen Seestadt versetzte. Dann entwickelte sich die Handlung, die kurz darin bestand, daß ein eigensinniger Raritäten- und Naturalien-Sammler, Anhänger der aufgeklärten Bildung, der seiner Tochter Hand ihrem Geliebten verweigert, dadurch überlistet wird, daß ein gerade aus Afrika zurückkehrender Freund den trostlosen Anbeter als gebildeten Orang-Utang bei ihm einführt. Eine Erziehungsanstalt in Sierra Leona habe sich die Aufgabe gestellt, nicht nur den sogenannten Menschen, sondern auch gewisse Thiere, die sich nach Ansicht verschiedener Gelehrten dazu eigneten, zu edeln und verständigen Wesen heranzubilden; sie habe bereits merkwürdige Erfolge erzielt, wovon er einen Beweis mitgebracht habe. Der verstellte Orang-Utang giebt die Höhe seiner Bildung durch häufiges Hersagen sentimentaler und moralischer Plattheiten zu erkennen, die den Vater entzücken, so daß er sich überreden läßt, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Noch nach vielen Jahren erinnerte sich Steffens mit Vergnügen, wie sprühend von Scherz und Witz diese kecke Improvisation gewesen sei und mit welcher staunenerregenden Beweglichkeit und schauspielerischen Kunst Tieck sie vorgeführt habe.

So nahe die Gefahr auch lag, wo mehrere begabte Menschen dieselben Ziele verfolgen, und so viel Zank es auch in dieser Republik von lauter Despoten gab, herrschte doch eigentliche Eifersucht nicht. Im Gegentheil freute sich Jeder der Vorzüge des Andern, was hauptsächlich Friedrich's Verdienst war. Es spielte gleichsam Jeder seine Rolle oder sein Instrument, und man war stolz, daß das Concert gut besetzt und wohltönend war. Tieck war besonders »des Witzes buntes Füllhorn eigen«. Auch hierin wetteiferte er mit Wilhelm. Es ist ein reizendes Bild, das uns die beiden Frauen, Karoline und Dorothea, aufgezeichnet haben, wie Wilhelm und Tieck zusammen ein Rache-Sonett gegen Merkel schmiedeten. Merkel war einer der vielen kläffenden Feinde, die im Grunde einer Antwort nicht werth waren. Es bezeichnet ihn, daß er, um darzuthun, daß Schiller's Poesie schöner sei als Goethe's, Gedichte von beiden in Prosa auflöste und dann zeigte, daß diejenigen Schiller's nach der Operation ebenso klar, verständig und poetisch seien wie vorher; was bei denen Goethe's nicht der Fall sei. Einmal sollte er nun doch einen Denkzettel haben, und so entstand das geharnischte Sonett:

Ein Knecht hast für die Knechte du geschrieben,
Ein Samojede für die Samojeden.

»Es war ein Fest, mit anzusehen, wie beider braune Augen gegen einander Funken sprühten und mit welcher ausgelassenen Lustigkeit diese gerechte Malice begangen wurde. Die Veit und ich lagen fast auf der Erde dabei. Die Veit kann recht lachen.…«

Friedrich, der »tiefe Freund«, saß wie ein gewaltiger Felsblock im Wellengekräusel unter den Uebermüthigen, dachte und träumte und äußerte von Zeit zu Zeit seine pythischen Offenbarungen – Stoff zu Gesprächen, Disputen und Abhandlungen. Steffens erzählt, es sei Friedrich, während er tief sinnend im Stuhle gesessen habe, folgende Geberde eigenthümlich gewesen: er habe mit Daumen und Zeigefinger die Stirn umfaßt, diese Finger langsam gegen einander bewegt bis zwischen die Augen, dann ebenso langsam über die schön geformte Nase und endlich über die Nase hinaus in die Luft. So, die Finger vor der Nase, hatte Tieck ihn auf einer kleinen Karrikatur gezeichnet, den überschnellen, unruhigen Steffens vor ihm, mit Händen und Füßen heftig gestikulirend. Im Gespräch war Friedrich ebenso unerschöpflich witzig wie Wilhelm und Tieck, und man mag es am Ende begreifen, daß Caroline's Mutter, eine alte, grämliche Professorenwittwe, ihr frei erklärte, sie werde sie nicht wieder besuchen, da sie den vielen Witz nicht vertragen könne – wie man Erbsen und Linsen nicht verträgt, setzte Karoline hinzu. Auch die 14jährige Auguste lernte Italienisch und Griechisch bei Wilhelm oder dem »heiligen, in Gott andächtigen Vater Fritz«. Seltsam muß es gewesen sein, das Prinzeßchen, dem Spielen und Lachen das Allerliebste war, das mit süßem Wohllaut der Stimme singen konnte, nachdenklich über Faust und Nathan den Weisen schwatzen zu hören. Dem kleinen Philipp, Dorothea's Sohn aus ihrer ersten Ehe, den sie nach Jena mitgenommen hatte, träumte es einmal, während Friedrich verreist war, Friedrich kehre zurück und deshalb sei ganz Jena in Aufruhr. Zum Willkommen sei die Stadt in der Weise geschmückt, daß alle Häuser und Bäume mit vielen Bildern von »alten, gelehrten Leuten« behängt seien, unter ihnen Cervantes und Meister. Meister hatte einen runden Hut mit goldener Schnur, einen rothen Schleier und einen kleinen Säbel getragen, Cervantes einen dreieckigen Hut mit goldenen Klunkern, gleichfalls einen rothen Schleier, eine eiserne Rüstung und einen langen Säbel. Man sieht daraus, was für Worte als tägliche Speise um den kleinen Kopf herumschwirrten.

Die einzige Arbeit, der Friedrich sich unterzog, war das Dichten, das er bei seinem Bruder lernte. Er trachtete darnach, allmälig alle Versmaße in seine Gewalt zu bekommen. Dorothea hatte, um ihren Florentin romantisch auszustatten, einige wohlgelungene Stanzen verfertigt und dadurch eine wahre Stanzen-Wuth und -Gluth, wie sie selbst sagt, über das Haus gebracht. Damals mag jener pathetische Strom Schelling'scher Stanzen entstanden sein, in denen er das Geheimniß seiner verhängnißvollen Leidenschaft für Karoline stolz verräth:

Als in der ernsten frühen Weihestunde
Aus freiem Trieb das Heil'ge ich erwählt,
Hat auch ein Gott zu ewig schönem Bunde
Auf ewig dich mit meinem Geist vermählt.
Wenn auch von unsrer Lieb' die süße Kunde
Kein weiches Lied der künft'gen Welt erzählt,
Doch wird aus des Gedichtes dunkeln Chiffern
Sie das Geheimniß unsrer Lieb' entziffern.

Was sorgsam wir dem Aug der Welt verborgen,
Das Glück, das nur die Unsichtbaren seh'n,
Wird an des künft'gen Tages schönem Morgen
Aus dem Geheimniß glorreich aufersteh'n.
Begierig seh' ich späte Zeiten horchen
Der Melodie, die nimmer kann vergeh'n,
Denn mit des Weltalls ew'gen Harmonieen
Wird dieses Lied zur fernen Nachwelt ziehen.

Die wunderwürdigsten Verse machte aber nach Dorothea's Meinung Friedrich, der, sowie er einen vollendet hatte, damit in ihr Zimmer kam, ihn ihr vorlas und in heftigen Zorn gerieth, wenn sie, was begreiflicher Weise meistens der Fall war, den Sinn nicht sogleich begriff. Außerdem hatte fast ein Jeder seinen Roman vor, Wilhelm anstatt dessen seine Shakespeare-Uebersetzung, wobei Karoline so mitarbeitete, daß sie oft den ganzen Tag nicht von seinem Schreibtisch weg kam. Uebrigens vermied es Karoline, als schriftstellernd zu erscheinen; sie habe das Vorurtheil, sagte Friedrich, das einzige, sich vor dem Schein der Unweiblichkeit zu fürchten.

Dem Kreise zugewandt war der Hamburger Gries, klein, mit südlichgelber Gesichtsfarbe, lebhaft und freundlich aus kleinen Augen blickend; so schildert ihn Steffens. Peinliche Ordnung, Sauberkeit, ja Eleganz herrschte in seinem Zimmer. Er sprach leise und drückte sich zierlich aus. Seine mit den Jahren immer zunehmende Taubheit erschwerte die Unterhaltung; wegen seines altjüngferlichen Wesens hatte man ihn ein wenig zum Besten. Aber mit seiner Uebersetzung des Tasso und Calderon brachte er doch eine Menge neuer Anregungen in den Kreis. Wilhelm, der zuerst auf die südlichen Dichter aufmerksam gemacht hatte, nahm lebhaften Antheil daran, allerdings nicht ohne sich seiner Ueberlegenheit im Uebersetzen bewußt zu sein. Die Entdeckung Calderon's machte Epoche unter den Romantikern. Der stürmische Schelling stellte ihn sogleich über Shakespeare; hier sei die innigste Vereinigung des Antiken und Romantischen zu finden.

Wie der Föhnsturm, der sich in den Bergen so plötzlich, stark und warm erhebt, wirkte Schelling's Eintritt in den Kreis der Romantiker. Auf dem Katheder erschien er nicht wie ein Professor, sondern wie ein französischer General; er sprach, wie wenn er etwas nicht sehr Wichtiges schnell und nachlässig mittheilte. Das trotzige Gesicht, roh, edel und kraftvoll mit den breiten Backenknochen und der etwas aufgeworfenen Nase, die klaren, mächtigen Augen, Alles wirkte beherrschend. Als Steffens seine erste Vorlesung über Naturphilosophie hörte, die neue, seine Philosophie, wo er von der Nothwendigkeit sprach, die Natur aus ihrer Einheit zu fassen, hatte er den Eindruck, als stehe der 24jährige junge Mann muthig dem ganzen Heere der ohnmächtig werdenden alten Zeit gegenüber, das sich, etwas polternd und schimpfend zwar, doch scheu vor ihm zurückziehe. Als er einmal sagte, er wolle sich einmauern, um ununterbrochen zu arbeiten, fand Karoline, er sei eher ein Mensch, um Mauern zu durchbrechen. Als Mineral betrachtet, sagte sie, sei er echter Granit, eine Urnatur. Seine Gegenwart konnte durch ihre Macht fast erschrecken. Alle die weiblich empfänglichen Männer mit ihrer Reizbarkeit, ihren unendlich vielen, unendlich verfeinerten Ideen, empfanden zunächst freudig erstaunt und willig die Uebermacht seiner beschränkteren Männlichkeit. Auch Fichte war mit ihm einverstanden. Er erkannte an, daß wenn sein Gang systematischer, der Schelling's genialer sei. Das ihm angeborene Gefühl, Alles zu können, was er wollte, gab ihm etwas Siegreiches. Zweifel kamen ihm nicht. Vertrauend, überschwenglich hingebend gegen seine Freunde, haßte er blindlings und rücksichtslos, die er für seine Feinde hielt. Widersetzlichkeit, die auf vollkommener Verständnißlosigkeit seiner naturphilosophischen Grundideen beruhte, vertrug er nicht. Aber wenn man deren Richtigkeit zugab und auf ihn einging, war er nicht anspruchsvoll und ließ auch andre gelten. Ueberhaupt imponirte ihm die weltmännische Gewandtheit der umfassenden romantischen Geister. Sie hatten ein reicheres, feineres Seelenleben als er, sie waren ihm voran in der Kultur, und er konnte viel von ihnen lernen. Das wollte er auch. Es schien ihm unmöglich, daß es etwas gäbe, wovon er nicht verstehen sollte. So warf er sich zunächst auf das Dichten. An seinem Geist fiel der poetische Schwung auf, ohne daß er deshalb ein Dichter gewesen wäre; er producirte leicht, jedoch »aus dem Innersten reden« wie die Romantiker konnte er nicht. Aber eben diese Produktionslust und -Kraft machte, daß er überzeugt war, es könne ihm nicht fehlen, wenn er nur wie die übrigen bei Wilhelm in die Schule ginge, um das Technische des Versemachens zu bewältigen. Steffens hatte einen Erzählungsstoff aus seiner nordischen Heimath mitgebracht, der viel Anklang fand: die Geschichte des Pfarrers von Drottning. Ganz einsam in der Nähe eines untergegangenen Dorfes lebt der Pfarrer. Zu ihm kommen bei Nacht eben gelandete Fremde und zwingen ihn, in der nahen, vom Flugsand fast verschütteten Kirche eine Trauung zu vollziehen. Nachdem die Handlung vollendet ist, drängen sie ihn aus der Kirche. Schnell schifft das ganze Volk, das eine unbekannte Sprache redet, sich wieder ein und segelt ab. Die Braut findet man in der Kirche ermordet. Als die Gespenstergeschichten anfingen Mode zu werden, meinte Karoline, sie könnten sich alle mit dem Pfarrer von Drottning nicht messen: »nach der Geschichte können sich zehn Teufel auf's Grab setzen und locken keinem Christenmenschen ein Kreuz ab.« Steffens bearbeitete den Stoff dramatisch, Schelling in Terzinen.

Mit Karoline zusammen lernte Schelling beim »heiligen Friedrich« Italienisch. Er war ein tüchtiger Schüler; wenn er einmal für etwas Sinn habe, sagte Friedrich, sei es unbändig viel. Uebrigens war Friedrich ihm nicht günstig. Die Eifersucht auf Karoline's offenkundige Zuneigung und Verminderung war wohl nicht die geringste Ursache. »Wo wird Schelling, der Granit, eine Granitin finden?« hatte er auf Karoline's Vergleich geantwortet; wenigstens müsse sie doch von Basalt sein. Dann schlug er die Rahel vor, auf die er Eindruck gemacht habe. Augenscheinlich wollte er den gefährlichen Eindringling so bald wie möglich unschädlich machen.

In der Gesellschaft machte Steffens mehr Glück als Schelling. Schelling war schweigsam; er konnte nur harmlos lustig sein und kindlichen Unsinn treiben oder sich ernst und gründlich unterhalten. Für das Geistreiche oder gar Ironische hatte er kein Organ – er besaß keine Urbanität und Liberalität, würde Friedrich gesagt haben. Steffens, den die Sehnsucht nach der herrlichen neuen Bildung nach Deutschland gezogen hatte, wollte Alles sehen, kennen lernen, mitmachen, genießen. Er war wie ein Bewohner einer dumpfen Fabrikstadt, der einen Ferientag benutzen muß, um auf ein ganzes Jahr Bergluft einzusaugen. Seine Empfänglichkeit und Anpassungsfähigkeit waren ohne Grenzen. Sein Blut war so feurig, daß er für gewöhnlich die Temperatur leichten Fiebers hatte. In strengster Winterkälte ging er einmal zu Fuß von Freiberg nach Dresden in Sommerkleidung, ohne daß es ihm zu kalt geworden wäre.

Freiberg mit seinen Bergwerken und seiner Akademie spielte eine gewisse Rolle im Leben der Romantiker. Dort lehrte Werner, ein Mann, dessen damals epochemachende Theorie des Neptunismus zwar längst umgeworfen ist, der aber durch seine gewaltige Persönlichkeit einen unvergeßlichen Eindruck auf Alle machte, die ihn kannten. Den Alten vom Berge nannte man ihn wohl oder den Berggeist. Hohe Güte und besonnene Klarheit waren die Hauptzüge seines Charakters. Jede Unklarheit hatte etwas geradezu Beunruhigendes für ihn. Novalis nannte ihn einen Goethe im Beobachten. Aber weil er etwas so ganz in sich Abgeschlossenes war und ein so beherrschendes Uebergewicht im Gespräch hatte, konnte man, wie Steffens erzählt, nur wenn man sich ihm ganz hingab, aus seinem Unterricht Vortheil ziehen. Er gehörte zu den deutschen Mustercharakteren wie Luther, Dürer, Kepler, Fichte, die Friedrich als Ideal aufzustellen liebte. Das Bergwerksleben übte großen Zauber auf die Romantiker aus. »Wenn wir die senkrechte Leiter herunterstiegen«, erzählt Steffens, »wenn das Blau des Himmels durch die Oeffnung allmälig verschwand, wenn das große Rad, durch welches das Tageswasser in Bewegung gesetzt wurde, in dem engen Felsenraum neben uns seinen Umschwung machte, das Anschlagen der Glocke einen jeden Umschwung bezeichnete, während um uns herum und über uns die Tropfen still rauschend, unablässig hernieder fielen, so war uns im Anfang seltsam und wunderlich zu Muth.« Auch in Novalis' Werken klingt dieser unterirdisch-geheimnißvolle Ton häufig an. Sein wundervolles Roman-Fragment: die Lehrlinge zu Saïs ist ein Niederschlag der Freiberger Zeit. Steffens, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Schelling's Apostel zu sein, hielt den Schülern der Akademie Vorträge über Naturphilosophie.

In Freiberg lernte Novalis Julie von Charpentier kennen. Es war um diese Zeit, als er sich der Erde und dem Leben wiederschenkte, daß er mit den Romantikern in Jena in häufige persönliche Berührung kam. Auch er also war in der blühenden Frühlingsstimmung, die Aller Dasein dort mit einem so hoffnungsvollen Glanz umhüllte. »Denken Sie sich nur unsern prächtigen Kreis«, schrieb er an Karoline über den Plan, daß sie Alle nach seiner Vermählung unter einem Dache leben und eine Familie bilden wollten. »Vor dem Jahre standen Zwei noch so verwaist da. Einer schien auf glühendem Boden zu stehen. Er sah sich immer um und wer weiß, was ein hellgeschliffenes Auge oft über ihm bemerkt haben würde. Jetzt hebt ihn eine freundliche Gestalt, wie eine Gabe von oben, weihend und dankbar in die Höhe und ein irdischer, erquickender Schlaf hat sein Auge für eine andre Sonne wieder geschlossen. Also zurück in's Land der Träume und nun mit voller Seele bei Euch, treffliche Mitschläfer.« Dorothea beschreibt, was für ein Ereigniß es war, als sie ihn das erste Mal sehen sollte. Zwischen ihm und ihr gab es freilich nicht viel Gemeinsames: er mag ihr zu ätherisch, sie ihm zu sinnenhaft gewesen sein. »Er sieht aber wie ein Geisterseher aus«, schrieb sie Schleiermacher, »und hat sein ganz eigenes Wesen für sich allein, das muß man ihm lassen.« Es erregte Eifersucht, daß er Tieck, den er jetzt erst kennen gelernt hatte, so sichtlich bevorzugte. In der Poesie verstanden sie einander am besten. Das störte doch die Eintracht der jungen Männer im Ganzen nicht. Abends, ja bis tief in die Nacht, schwärmten sie über die Höhen von Jena, in endlosen Gesprächen und Zukunftsträumen sich berauschend.

Schleiermacher stand zwar nur in brieflichem Verkehr mit den Freunden, von denen er nur Wenige persönlich kannte; aber seine Reden über die Religion verschafften ihm das Bürgerrecht in der Romantiker-Republik. »Das Christenthum ist hier à l'ordre du jour«, schrieb Dorothea, »die Herren sind etwas toll. Tieck treibt die Religion wie Schiller das Schicksal.« Novalis und Ritter hatte er sich mit diesem Buche ganz gewonnen. Diese Drei, Schleiermacher, Novalis und Ritter, betrachtete Dorothea neben sich und ihrem Friedrich als die eigentliche Kirche gegenüber den Weltleuten Wilhelm, Karoline, Tieck und Andern. Ritter war ein tiefsinniger, in sich zurückkriechender Träumer. Wenn man den dunklen Weg in die Höhle seines Innern fand, zeigte sie sich heiter und ergiebig; um selbst Etwas aufzusuchen, war er zu einseitig und zu mißtrauisch Was er an Bildung besaß, hatte er sich selbst spät erkämpfen müssen; das machte ihn unsicher in der Gesellschaft; die Erinnerung an eine harte Jugend stimmte ihn feindselig. Karoline sah er nie; die Freunde versicherten, er würde mit ihr weder reden können noch mögen. Um so zutraulicher war er gegen Dorothea, die von ihm sagte: »Ich kann Ritter mit Nichts vergleichen, als mit einer elektrischen Feuermaschine, an der man nur die stille Künstlichkeit bewundert und eben Nichts gleich wahrnimmt als das klare Wasser. Wer sie aber versteht, bringt auf den leisesten Druck eine schöne Flamme hervor. Uebrigens ist er auch, wie der erste Brief der Lucinde, Schelmerei und Andacht und Essen und Gebet, Alles durch einander.«

Eine Zeitlang wurde die Jagd auf Frösche allgemein, da er Froschschenkel als Elektroskop benutzte, woran Alles lebhaften Antheil nahm. Die Naturwissenschaften waren damals, als so viele wichtige Entdeckungen einen Ausblick in eine ganz neue Anschauungsweise eröffneten, das Steckenpferd fast aller Gebildeten. Dilettantisch genug mag dieses Interesse gewesen sein, doch beweist es die geistige Regsamkeit. Steffens baute sich einmal, da er gerade eine große Geldsendung von zu Hause bekommen hatte, eine Volta'sche Säule aus Thalern und hatte sein Zimmer fast den ganzen Tag voll von Besuchern, die sich von ihm Experimente zeigen ließen; auch zahlreiche Damen waren darunter. Sehr ernstlich beschäftigte sich Henriette Herz, durch ihren Mann angeregt, mit Physik. Lange Nachmittage brachte sie mit Schleiermacher bei physikalischen Experimenten zu; dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV., den sein Erzieher als etwa fünfjährigen Knaben zu diesem Zweck zu ihr führte, machte sie Experimente mit Phosphor vor.

Die Genialität von Ritter's naturwissenschaftlichen Leistungen wurde in der Folgezeit unterschätzt; niemals wußte er seine Entdeckungen zur Geltung zu bringen. Das Prinzip der Volta'schen Säule z. B. hatte er zwei Jahre vor Volta entdeckt. Daß seine zahlreichen und bedeutenden Verdienste um die Entwickelung der Physik so versteckt blieben, schreiben die neueren Vertreter dieser Wissenschaft dem Umstande zu, daß er seine Beobachtungen ganz in philosophisch-mystische Begründungen gehüllt vortrug. Wenn nun reine Empirik immer leichter faßlich ist für die meisten Menschen, so erschweren die Ideen vollends die allgemeine Annahme neuer Entdeckungen, wenn sie aus einem trüben, verworrenen Kopfe kommen. Und Ritter's Neigung zur Mystik scheint auch in einer gewissen Unklarheit seines Denkens begründet gewesen zu sein. Den Romantikern und Idealisten von damals machte gerade die Philosophie seine Wissenschaft erst recht werth. »Ritter ist Ritter und wir sind seine Knappen«, sagte Novalis. Von Andern wird dieser Ausspruch Goethe zugeschrieben.

Goethe! Ja, er war die Hauptperson, obwohl er nur in der Ferne, im Hintergrunde wie ein gewaltiges Berghaupt thronte. Auch er hatte etwas Riesenhaftes und Imponirendes unter dieser heißblütigen Jugend, wie Fichte. Aber um ihn tanzten sie herum wie die ersten Jünger der Revolution um die Freiheitsbäume oder wie Kinder um die Weihnachtstanne. Ruhevoll stand er in der Mitte und ließ sich mit Gold und Flitter behängen, ohne ein andres Lebenszeichen zu geben, als etwa ein gelindes Nicken oder ein wohlwollendes, humoristisches Lächeln. Aber fremd war er ihnen nicht; sie wußten, wie der schöne Baum im Walde rauschen konnte, und wie da die freie Luft und das Waldesgethier durch seine starken, immer grünen Zweige streifte. Was für ein Ereigniß war es, als an einem Herbsttage, da die Schlegel, Dorothea und Karoline nebst Schelling und Hardenberg im Paradiese bei Jena spazieren gingen, Goethe selbst, »die alte göttliche Excelenz«, vom Gebirge herabgewandelt kam. Er begrüßte die Gesellschaft höflichst und machte, was Dorothea sich glückselig notirte, »an Friedrich ein auszeichnendes Gesicht«. Im Gefühl, daß, wenn er sich jetzt langweile, Alles gefehlt sei, faßte sie, die Wortreiche, sich ein Herz und fing ein Gespräch über die reißenden Ströme in der Saale an, worauf er freundlichst einging und sie angenehm unterrichtete. Man wußte, daß die Naturwissenschaft seine Liebhaberei war. Die Korpulenz seiner Erscheinung enttäuschte Dorothea ein wenig; er stellte, fand sie, nicht Tasso oder Werther, sondern Hermann und Meister dar.

Wie in Rom den Papst, mußte man in Jena vor allen Dingen Goethe gesehen haben. Mit leidenschaftlicher Ungeduld hatte Steffens nach seinem Anblick verlangt. Es fügte sich, als er ihm nun das erste Mal in Gesellschaft beim Buchhändler Frommann begegnete, daß Goethe, mit Andern beschäftigt, ihn nicht beachtete. Steffens gab sich Mühe, diesen furchtbaren Niederschlag seiner glühenden Hoffnungen zu verwinden; aber obgleich er sich Goethe's Wort vorhielt: wenn ich dich liebe, was geht's dich an, und auch fortfuhr ihn zu lieben, war es doch, wie wenn ihm Etwas entzwei gegangen wäre. Als Schlegel's ihm zu Hülfe kamen und ihn zu einer Gesellschaft einluden, wo Goethe erscheinen sollte, lehnte er trotzig ab. Bald darauf aber wurde vom Anatom Loder eine Theateraufführung zur Feier von Goethe's Geburtstag veranstaltet, wo Steffens mitspielte. Goethe leitete selbst die Generalprobe, wurde auf Steffens aufmerksam und redete ihn freundlich an. Im Gespräch ergaben sich bald Anknüpfungspunkte, Goethe nahm den Beseligten mit sich und behielt ihn eine Woche in Weimar. Goethe liebte den Umgang mit Naturkundigen besonders. Von ihnen konnte er lernen, und er war bis in sein hohes Alter viel zu jung, zu naiv und zu wenig eitel, um Diejenigen vorzuziehen, die nur von ihm lernen konnten. Der arme kleine Gries, für den Goethe eine Göttererscheinung war, deren leisester freundlicher Wink sein einsames Stübchen mit Himmelsglanz erfüllte, mußte sich mit den kurzen gütigen Dankbriefen, die als Antwort auf seine Uebersetzungen einliefen, begnügen, während Schelling ein erwünschter und oft geladener Gast in Weimar war. Schelling war Goethe's Liebling unter den Romantikern Er allein hatte nicht diese nervöse, feinfühlige Reizbarkeit, die Goethe fremd war, auch nicht die etwas beängstigende Verehrung, die man nur für etwas der eigenen Natur ganz Entgegengesetztes empfindet. Schelling liebte und verehrte Goethe, aber etwa wie einen Vater, zutraulich und fröhlich, und sicher in dem Gefühl, auch Etwas zu sein und auch seine Eroberungen zu machen. Für seine Naturphilosophie hatte er Goethe schnell gewonnen. Sie hatte eigentlich immer in ihm gelegen. Das war »geprägte Form, die lebend sich entwickelt«. Das war ihm gemäßer als Fichte's todte Abstraktion. Aber Schelling's keckes humoristisch-naturphilosophisches Gedicht: Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens verbannte er doch aus dem Athenäum. Ueberhaupt, obwohl er sich zufrieden erinnerte, daß er sich nun auch schon eine stattliche Reihe von Jahren in der Opposition befinde, war ihm doch die unermüdliche Angriffslust seines Heeres von Heißspornen zuweilen etwas ungemüthlich.

Für sie war der Kampf die herrlichste Würze des Lebens.

Die alte Zeit hatte auch ihre Vertreter in Jena – aber die Romantiker kämpften mit dem Gefühl, daß ihnen die Zukunft gehörte. Das gab ihnen die Kraft, den Uebermuth und die Großherzigkeit gefeiter Sieger. Kleinlich waren sie nicht. Trotz alles Persönlichen, das nie ganz fehlt, war es ihnen doch vorzüglich um die Sache zu thun. Die eigentliche Streitmacht bestand zwar nur aus Wilhelm, Friedrich und Schelling. Schelling stürzte sich mit jungenhafter Wonne in das Getümmel; man sieht ihn förmlich Aermel und Manchetten zurückstreifen. Wilhelm hielt zuweilen für nöthig, ihn auf feinste Weise zur Urbanität zu ermahnen. Auch Schleiermacher, wenn ihm einmal ein Posten angewiesen war, konnte seine Gegner vernichten, mit spitzen, scharfen, unentrinnbaren Waffen. Von Novalis abgesehen, der sich gar nicht betheiligte – denn über diesen Kleinkrieg dicht vor ihm sahen seine weitsichtigen Augen weg – war Tieck der Säumigste. Satirisch war er wohl; aber er war zu sehr Dichter, um nicht Alles, auch das Geringste, was er hervorbrachte, poetisch einkleiden zu müssen. Da milderte sich denn während des erheiternden Schaffens die Entrüstung und seine Feinde, die er hätte bekämpfen sollen, wurden ihm unter der Hand zu Puppen, mit denen er spielte. Wilhelm, der stets die Hand am Schwertgriff hatte, konnte bitterböse darüber werden, während sein beständiges Treiben wiederum Tieck rebellisch machte. Einmal trat aber auch Tieck energisch vorkämpfend auf, als in Berlin ein Stück zur Aufführung kam, in dem die Romantiker lächerlich gemacht werden sollten. Der Verfasser der Komödie hieß Beck, das Stück selbst: das Chamäleon. Was Tieck am meisten reizte, war, daß Iffland darin die Rolle des schlichten, aber redlichen Biedermannes übernommen hatte, der die Charakterlosigkeit der seichten Schöngeister, die durch Sentenzen aus den Werken der Romantiker kenntlich gemacht waren, in desto helleres Licht setzte.

Da Iffland die Beziehung und den Zweck des Stückes kennen mußte, glaubte Tieck ihn als mitschuldig an dieser öffentlichen, übrigens sehr geistlosen Verspottung ansehen zu müssen. Auf Tieck's Anklage hin entschloß sich die Berliner Polizei, die Wiederaufführung des Stückes zu verbieten.

Die Romantiker hatten das Glück, daß die Machwerke ihrer Gegner sich durch ermüdende Geistlosigkeit auszeichneten. Der Witz bestand fast immer darin, daß in der betreffenden Posse oder Erzählung einige ruhmredige Schwätzer von offenbarer Nichtigkeit auftraten, denen zusammenhangslos herausgegriffene und daher sinnlos erscheinende Stellen aus dem Athenäum oder andern vielgelesenen Schriften der Romantiker in den Mund gelegt waren. Der Aufführung von Kotzebues Hyperboräischem Esel in Leipzig, womit besonders die Brüder Schlegel verspottet werden sollten, wohnte Friedrich selbst bei. Der Name beruht auf der Sage, daß die Hyperboräer dem Apollo einen Esel zu opfern gepflegt hätten, an dessen tollen Sprüngen sich der Gott geweidet habe. Es war eine der liebenswürdigen Eigenschaften Friedrich's, daß er über einen guten Witz auch dann von Herzen lachte, wenn er auf seine eigenen Kosten gemacht war. Hier war aber, wie sich Karoline ausdrückte, »platterdings kein Witz als den Schlegel's ihr eigener.« Der Beifall der einsichtigen Zuschauer galt denn auch durchaus ihm, der ruhig und heiter, durchaus würdig, aus seiner Loge dem Spektakel zusah.

Alles, was die Romantiker gegen Kotzebue auf dem Herzen hatten, faßte Wilhelm zusammen in der kleinen Komödie: Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten von Kotzebue bei seiner gehofften Rückkehr in's Vaterland.

Die Scenen, wo die verschiedenen Theatergeschöpfe Kotzebues sich versammeln, um auszuziehen und ihren Meister aus der russischen Verbannung zu befreien, sind noch jetzt, wo das Feldgeschrei verklungen und der Streit längst entschieden ist, überaus erheiternd zu lesen. Der leichte Bau der ganzen ironischen Komödie bleibt immer zu bewundern. Uns stört im Verlaufe die häßliche Lüsternheit, die Wilhelm hier vielleicht zur Charakteristik seines Helden für angemessen hielt; die übrigens damals Niemandem anstößig gewesen zu sein scheint. Das Entzücken, das dieser »Tusch und Trompetenstoß des Witzes« erregte, läßt sich kaum noch begreifen. Die Kinder in den bekannten Familien sangen Stellen aus den eingelegten Liedern, Friedrich gingen neue Lichter über das Lustspiel auf, Goethe war so belustigt und zufrieden, daß Schelling behauptete, Schiller's ganze poetische Laufbahn habe ihm nicht so viel Mitfreude abgelockt.« Ja, nicht ohne Genugthuung erfuhren die Romantiker, daß selbst Schiller sich beifällig über die Ehrenpforte geäußert habe. Karoline hätte alle Ursache gehabt, von Kotzebue wie früher von Merkel zu sagen, er sei »ein geliefertes Ungeheuer«.

Schmerzhaft waren solche Angriffe, die von Freunden ausgingen, auf die man glaubte rechnen zu dürfen. Huber, mit dem Karoline seit den Mainzer Tagen befreundet war – jetzt war er mit Theresen verheirathet – hatte unter dem sentimentalen Vorwande, den greisen Wieland vertheidigen zu müssen, einen mit freundschaftlich schonender Salbung geschriebenen, aber deswegen nur umsomehr als hämisch empfundenen Artikel gegen Wilhelm veröffentlicht. Karoline, die damals schon nicht mehr mit Liebe, aber desto aufrichtiger mit kameradschaftlicher Treue ihrem Manne zur Seite stand, schrieb darüber einen langen Brief an Huber, den man nicht ohne Wohlgefallen an ihr wie an Wilhelm lesen kann. So ehrlich, gerade, kraftvoll, stolz und doch billig ist die Sprache, die sie führt, ja bei aller Herbheit nicht ohne die Wärme, die Alles, was von ihr ausging, umströmte. »Ich kenne Schlegel«, schrieb sie in diesem Briefe, »ich bin wie von meinem Leben davon überzeugt, daß nicht der Schatten eines persönlichen acharnement in ihm ist, Hat er sich denn nicht alle diese Feinde erst gemacht? Die Plattheit, die Nullität, die Unpoesie ist ihm in den Tod zuwider. Verfolgt man die Sache, so geht's dann auch gegen die Person. Ist nicht Wieland's Poesie Wieland's Person? Am Privatleben eines solchen Menschen wird sich Schlegel nie vergreifen – er selbst wird sich dergleichen wahrscheinlich gefallen lassen müssen. Ich kenne Niemand, der das ruhiger zu ertragen im Stande wäre. Sein ganzer Geist ist vorwärts gerichtet, der Widerstand kann ihn nur mehr beflügeln.«

Den Frauen, Dorothea wie Karoline, kam es zuweilen plötzlich in den Sinn, daß dies gänzliche Aufgehen ihrer männlichen Freunde in ästhetischen oder sage man wissenschaftlichen Interessen etwas Einseitiges und Ungesundes habe. »Ihr revolutionären Menschen«, schrieb Dorothea einmal an Schleiermacher, »müßtet erst mit Gut und Blut fechten, dann könntet ihr um auszuruhen schreiben wie Götz von Berlichingen seine Lebensgeschichte.« Und Karoline, nachdem sie gewohnheitsgemäß der kleinen Auguste die literarischen Tagesneuigkeiten berichtet hatte, fuhr fort: »Doch diese Händel gehen dich nichts an, die Russen und Buonaparte aber viel.« Eine so lebhafte Theilnahme an den politischen Ereignissen war schon selten; eine andre als rein kosmopolitische Ansicht durfte man vollends von Niemandem erwarten. Folgendermaßen schrieb der junge Wackenroder, ein Berliner, an seinen Freund Tieck: »Was will man denn in unsern Zeiten mit dieser Vaterlandsliebe. Doch scheint jetzt eine gewisse Mode darin zu herrschen. Gemeine Schullehrer scheinen wirklich zu glauben, daß sie wer weiß wie große Fortschritte in der Pädagogik gemacht haben, wenn sie ihren achtjährigen Knaben jetzt die Brandenburger Geschichte als Geschichte des Vaterlandes recht weitläufig erzählen. Ein Bürger oder sonst einer, der nicht Gelehrter werden will, braucht doch wahrlich in unsern Zeiten im Grunde die vaterländische Geschichte so wenig als eine andre, und es würde nach meiner Meinung also zweckmäßiger sein, wenn man irgend eine interessante Geschichte, ohne Rücksicht ob dieses oder jenes alten oder neuen Volkes, in unteren Schulen vortrüge.«

Eine leidenschaftliche Liebe für deutsches Wesen war aber durch diesen Mangel an dem, was man unter Patriotismus versteht, nicht ausgeschlossen. Man weiß ja, daß die Wissenschaft der Germanistik aus der Romantik heraus entstanden ist. Aber eben im germanischen Wesen fand man einen engherzigen Abschluß gegen andre Völker nicht begründet. Der Einzelne – so war es von jeher gewesen – liebte seine Unabhängigkeit, aber sowohl dem eigenen wie fremden Staaten gegenüber. »Deutschheit ist Kosmopolitismus mit der kräftigsten Individualität gemischt«, lautet ein Ausspruch von Novalis.

Als das Schwerterklirren so nahe an Jena heranrückte, daß es nicht mehr zu überhören gewesen wäre, hatte sich die Kirche schon aufgelöst und zerstreut. Mürbe Stellen waren von Anfang an in dem Bande gewesen, das ihre Glieder verknüpfte; aber ihrer hatte man nicht geachtet, da es im Ganzen fest genug schien. Sehr schwierig war das Verhältniß zwischen Karoline und Dorothea. Dorothea war der von ihrem Manne so überaus hochgeschätzten Schwägerin mit glühender Bewunderung – wenn auch nicht ohne heimliche Eifersucht – entgegengekommen. Die maßvolle Ruhe, mit der Karoline ihrem Freundschaftsüberfall begegnete, erschien ihr kalt und herzlos. Beide aber waren zu klug, um dem Instinkt zur Abneigung ohne Weiteres Raum zu geben. Dorothea bewunderte die Jugendlichkeit, die sich Karoline, mit ihr gleichaltrig, bewahrt hatte, ihre häuslichen Tugenden, die Gewandtheit, mit der sie geräuschlos den großen Haushalt führte, ihre Gerechtigkeit – die für Dorothea freilich etwas zu marmorn war. Auf Karoline wirkten zwar Dorothea's so gar brennende Augen und ihr allzustarkes, männliches Untergesicht abstoßend, aber sie erfreute sich an ihrer schönen Stimme, mit der sie so gern und herzlich lachte, und betonte gern vor sich und andern, was für eine vortreffliche Frau Dorothea sei. Ebenso vergeblich bemühte sich Karoline ihre Antipathie gegen Tieck's Amalie, eine Schwägerin des Componisten Reichardt, zu überwinden. »Häßlich ist sie nicht«, schrieb sie nach der ersten Bekanntschaft. »Hätte sie Anmuth und Leben und etwas mehr am Leibe als einen Sack, so könnte sie für hübsch gelten.« Aber zuletzt entschloß sie sich doch kurzweg, sie für eine falsche Katze zu erklären. Die leisen Schwankungen von Zu- und Abneigung unter den Männern habe ich schon erwähnt. Verhängnißvoll wurde das Alles erst durch Schelling's und Karoline's Liebe. Alle, die Etwas gegen das Eine von Beiden auf dem Herzen hatten, glaubten es nun nicht mehr unterdrücken zu müssen. Indem Karoline sich von Wilhelm löste, verlor sie alle die Rücksicht, die man um seinetwillen für sie gehabt hatte. Und da um Wilhelm und Karoline herum der Kreis sich gebildet hatte, ging er von selbst aus einander, als sie sich trennten und das gastliche Haus leer stand, wo er sich versammelt hatte.

Zugleich mit dem Jahrhundert ging die romantische Zeit in Jena zur Neige. Es gab damals auch solche, die das neue Jahrhundert schon mit dem Jahre 1800 beginnen wollten; man nannte sie Nullisten. Aber sie unterlagen. Von großen Festen wollte der Herzog von Weimar wegen des Ernstes der Zeiten nichts wissen. Er veranstaltete eine Maskerade, wo sich auch Steffens und Schelling befanden. Nach Mitternacht zogen sich Goethe und Schiller mit den beiden jüngeren Leuten in ein Nebenkabinet zurück. Es wurde Champagner getrunken. »Da fiel mir«, erzählt Steffens, »der ich mit meiner nordischen Virtuosität nüchterner blieb, als die alten Herren, die Veränderung auf, die mit zwei so bedeutenden Persönlichkeiten vorging. Goethe war unbefangen lustig, ja übermüthig, während Schiller immer ernsthafter ward und sich in breiten, doctrinären, ästhetischen Explikationen erging; sie hatten die größte Aehnlichkeit mit seiner bekannten Kritik über Klopstock, und er ließ sich nicht stören, wenn Goethe ihn durch irgend einen geistreichen Einfall in seinem Vortrage zu verwirren suchte Schelling behielt fortdauernd seine ruhige Haltung.«

In einem zierlichen dramatischen Scherz hatte Wilhelm die Wende des Jahrhunderts gefeiert. Auch hier erklang in jeder Zeile die hohe zuversichtliche Hoffnung, die die Jugend in die neue Zeit setzte. Das neue Jahrhundert, ein Kind in der Wiege, will die häßliche dürre Alte, die ihm Schlaflieder singt, nicht als seine Mutter anerkennen, ja erwürgen will das herkulische Ding die böse Unholdin. Die, um sich zu retten, ruft den Teufel an, der auch erscheint, aber anstatt der Jungen, der Alten den Hals umdreht. Das götterschnell heranwachsende Kind wünscht seine wahren Eltern zu kennen; auf seine Bitte erscheinen sie und begrüßen das entzückte: es sind der Genius und die Freiheit.

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