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Karoline.

Wenn über einen Verstorbenen das Urtheil der Zeitgenossen auseinandergeht, Haß und Liebe wetteifern, sein Bild jedes in seinen Farben auszumalen, dann wünschen wir, alle die widersprechenden Zeugnisse einmal vergessen und anstatt dessen einen Blick in das Antlitz thun und ein Wort aus dem Munde vernehmen zu können, die der Tod ausgelöscht hat, damit wir das Geheimniß der Seele daraus abläsen. Wie war sie denn in Wahrheit, diese Karoline, die der große Schiller Dame Lucifer nannte und die so vielen Andern die Einzige, Unvergleichliche war, die unwiderstehlich Alle anzog, auf die der warme, kluge Blick ihres liebevollen Auges fiel? Wenn wir sie selber fragen könnten, würde sie gewiß stolz und freimüthig und klar über sich Auskunft geben, und vielleicht würde sie mit lieblicher, halb scherzender Wehmuth sagen: Seht Ihr es mir denn nicht an, daß mein Herz gut ist?

Sie war nicht eigentlich ein romantischer Charakter mit sonderbaren Mischungen, Dämmerungen, Räthseln, sondern ihr Wesen war die Sicherheit und Ruhe der Harmonie, und es ließe sich auf sie anwenden, was Friedrich Schlegel in seiner »Lucinde« von der kleinen Wilhelmine sagt: »Der stärkste Beweis für ihre innere Vollendung ist ihre heitere Selbstzufriedenheit.«

Sie war die Tochter des Göttinger Professors Michaelis und, im Jahre 1763 geboren, fast noch ein Kind des ancien régime, aufgeklärt und verständig, in ihrer frühen Jugend sogar ein wenig sentimental. Wie sie in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter ihre Verlobung und Hochzeitsfeier beschreibt, bei welcher Gelegenheit man das junge Paar in bekränzte und mit Versen geschmückte Lauben führte, das muthet wie Klopstock und Wieland an. Aber wenn einmal von Zeit zu Zeit ein heller, starker Naturlaut durchbricht, so spürt man, daß diese Merkmale eines ausgehenden Zeitalters ihr nur angeflogen sind durch Beispiel und Sitte, die auf einen harmonischen Charakter stark zu wirken pflegen. So dichtete ja der junge Goethe seine Anfänge ganz im Geschmacke seiner Zeit und mußte erst von Herder auf revolutionäre Bahnen geführt werden.

Karoline begann ihr Leben als Frau des Bergmedikus Böhmer in Klausthal, eingeengt in Wälder und Berge, zurückgezogen in einen beschränkten Kreis, wo sie sich niemals heimisch fühlte. Es war nicht, daß sie großartigere Verhältnisse ersehnt hätte; aber ihre starke Natur verlangte unbewußt nach Geschicken, die sie bilden und entwickeln könnten; denn der Genius des Menschen will immer, was ihn fördert, und bringt sogar Unglück herbei, wenn der Mensch es braucht und daher ein Anrecht darauf hat. Sie war nicht dazu angethan, über sich selbst nachzugrübeln und sich durch wirkliche oder eingebildete innere Conflikte einen Zeitvertreib zu verschaffen; aber sie fühlte deutlich, daß die Ruhe und Gemächlichkeit ihr nicht gut thaten, und eine leise Angst erwachte in ihr, die »edle Thätigkeit« möchte ganz erlahmen, sie könnte träger und träger werden in ihrer Meeresstille und zuletzt abseits liegen bleiben mit stockenden Kräften. Sie war auch deswegen frei davon, sich der Schwermuth hinzugeben, weil die ihr natürliche Weltanschauung war, der Mensch sei bestimmt, zu genießen, mehr als jedes andre Geschöpf, und verfehle seinen Zweck, wenn er es nicht thue. Glücklich zu sein schien ihr, wenn sie es nicht von selbst war, eine Pflicht, und sie versuchte es immer wieder und wieder, wie auch die Umstände es ihr erschweren mochten. Leichtsinn oder Genußsucht war das nicht – wie es sich denn um ein roh materielles Genießen natürlich nicht handelte –, vielmehr eine große, seltene Gerechtigkeit: wenn sie unzufrieden war, suchte sie niemals die Schuld anderswo als in sich. Daß die Welt schön sei, voller Gaben und Segen, war ihr unumstößliches Gefühl; wenn ihr Blüthe und Frucht nicht zufielen, machte sie es sich zur Aufgabe, an einem Zweiglein oder Blatte froh zu werden. Unter gedämpften Thränen lächelnd, suchte sie sich heiter zu erhalten zwischen den ernsten, graden, schwarzen oder verschneiten Tannen des Harzes, mit denen sie nichts anzufangen wußte, las und las in den Büchern, die die Schwester ihr aus der Göttinger Bibliothek durch die Botenfrau hinüberschickte – Romane, Memoiren, Weltgeschichte, verschollene Philosophie und Lebensweisheit und stellte sich wohl auch inmitten der drückenden Einsamkeit vor den Spiegel, nickte ihrem betrübten Bilde zu und rief es ermunternd an: Gräme dich nicht allzusehr, Karolinchen!

Ihres Mannes Rechtlichkeit achtete sie, und die blinde Zärtlichkeit, die ihr junges liebesuchendes Gemüth auf ihn geworfen hatte, hielt sie ängstlich, wie zum Selbstschutz, in ihrem Herzen zusammen. Auch Schwäche mag man es von einem andern Standpunkte aus nennen, diejenige Schwäche, die ihr eigenstes Wesen ausmachte und zugleich ihre Stärke war, daß sie nämlich ohne Liebe nicht sein konnte. Da er nun einmal ihr Gefährte war, wollte sie nicht wissen und sehen, sondern liebhaben, liebhaben, weil sie ohne das nicht hätte athmen und sein können. Da er aber, wie es scheint, viel weniger Umfang des Wesens hatte, als sie Liebesfülle besaß, überschüttete sie mit allem Ueberfluß ihres Herzens die Kinder, die sie bekam, so daß man hätte meinen können, die Mutterschaft wäre ihre einzige Bestimmung gewesen.

Ueberhaupt ist das besonders an ihr zu schätzen, daß sie alle Pflichten, die das Leben mit sich brachte, und alle Gelegenheiten, sich zu bethätigen, wenn es auch geringfügige Haushaltsangelegenheiten waren, gründlich ergriff, und bei allem, was sie vorhatte, so sehr mit ganzer Seele war, daß man jedesmal hätte meinen können, grade dies sei für sie die Hauptsache und grade dafür sei sie geschaffen. Die kleine Auguste freilich war und blieb in Wahrheit die Hauptsache, das seltsame Geschöpfchen, unschön zuerst, aber von immer zunehmendem Liebreiz, wie es bei den Menschen der Fall ist, an deren Schönheit der sich entwickelnde Geist großen Antheil hat, altklug, kindisch, naiv, frühreif, wissensdurstig und vergnügungssüchtig, ein staunenerregendes Durcheinander, mit demselben zärtlich weichen Gesicht und der blumenhaften Neigung des Kopfes, wie es der Mutter eigenthümlich war. Die andern Kinder starben früh, bald nach dem Tode ihres Mannes, der nach vierjähriger Ehe stattfand.

So rauh wurde sie aus dem Gefängniß ihrer kindlichen Jugend erlöst und keinen andern Gebrauch konnte sie zunächst von ihrer Freiheit machen, als daß sie den kleinlichen Kampf mit alltäglichen Familienkümmernissen und überflüssigen Nörgeleien aufnahm; sie kehrte nämlich zu ihrer Familie nach Göttingen zurück. Wie eng und klein die dortigen Verhältnisse auch waren, empfand sie es doch als eine Wonne, frei zu sein und die Flügel weit, so weit sie wollte, ausspannen zu können, und erinnerte sich mit Grauen an die dumpfen Jahre in Klausthal. Jetzt erst gestand sie sich, daß sie sich wie in einen Zwinger eingeschlossen gefühlt hatte. Aber kaum, daß sie es recht inne geworden war, begab sich die Unglückliche freiwillig in neue Sklaverei. Das war eben ihr Fluch – wie vielleicht auch ihr Segen –, daß sie nicht frei sein konnte, daß ihr Herz die Abhängigkeit suchte von etwas Angebetetem. Dieser Hang ihres Herzens konnte, wie sie selbst wohl wußte, sogar für eine Zeitlang ihren hellen, sonst unbestechlichen Geist verblenden, obwohl sie es immer dunkel in sich ahnte, wenn sie auf Irrwegen war. «

Der Mann, dem sich ihre Seele nun mit blinder, schrankenloser Hingebung vertraute, scheint ein problematischer Charakter gewesen zu sein. Der starke Instinkt, der sie so sicher machte, fehlte ihm. Er muß sie wohl auf seine Art geliebt haben und war jedenfalls ein Bewunderer ihrer Vorzüge; aber es wäre möglich, daß die Stärke ihrer Natur, die er an ihr liebte, ihn zugleich beängstigt hätte; denn er griff nicht zu, um sie festzuhalten, die ihm mit dem ganzen Stolze und der ganzen Freudigkeit ihrer Liebe entgegenkam.

Ob er sich ihr nicht gewachsen fühlte und deshalb den Muth nicht hatte, sie besitzen zu wollen, oder ob er überhaupt unfähig war, zu lieben, und nur als ein schwächlicher Egoist eine Weile mit halbwahren Gefühlen spielte, bange von sich selbst, seiner Würde und Bequemlichkeit ein Stückchen zu verlieren – kurz, er ließ sich ihre unermüdliche Liebeswilligkeit und Güte gefallen, reizte sie wohl auch gar und blieb dabei doch in einer spröden Zurückhaltung Mit ihrem vollen Herzen fühlte sie sich fähig, glücklich zu machen, und wollte den, den sie sich erkoren hatte, zu seinem Glücke zwingen. Heirathsanträge, die ihr gemacht wurden, schlug sie um seinetwillen ans.

Damals machte sie die Bekanntschaft des jungen Wilhelm Schlegel, der im Umgange mit Bürger, dem einsamen, vergessenen Greise, seine ersten dichterischen Studien machte, und es läßt sich denken, daß der regsame, vorurtheilsfreie Jüngling eine erquickende Erscheinung für sie war inmitten der dumpfen Herkömmlichkeit oder vorsichtigen Steifheit der Göttinger Honoratioren. Daneben freilich fühlte sie sich ihm gründlich überlegen, und das nicht nur, weil er sechs Jahre jünger als sie war. Für die moderne Richtung in der Literatur mit ihrem, wie man jetzt sagen würde, nervösen, sensitiven Leben hatte sie ohnedies keinen Sinn; der altmodische Gotter, der Mann ihrer Freundin Luise, war für sie, was man nur von einem ordentlichen Dichter verlangen kann. Mit allem Uebermuth ihrer starken, zuversichtlich das Höchste begehrenden Persönlichkeit wies sie den jungen Schöngeist ab, ja, nicht ohne jene Grausamkeit, die nur Verliebte haben, wenn sie völlig in den geliebten Gegenstand versunken sind.

Matt darf sich nun aber nicht vorstellen, sie hätte jemals über einen geliebten Mann wirklich sich und die ganze Welt vergessen. Das brauchte man kaum hervorzuheben und noch weniger zu rühmen. Es möchten leicht mehr Frauen zu finden sein, denen die Liebe Alles war; sie unterscheidet das grade von den meisten, daß sie über ihre Liebe, so groß und hingebend sie auch war, doch die Welt niemals vergaß. Ihr aufmerksamer Geist blieb ihrer blinden, elementarischen Leidenschaft ebenbürtig. Nie verlor sie die denkende Theilnahme an den Menschen und ihrem Thun. Wie klar war aber auch der Spiegel ihres geistigen Auges, mit dem sie die Bilder ihrer Zeitgenossen auffing. Sie konnte auch Vater, Mutter und Geschwister wie Fremde sehen und schildern, nur daß ihr Liebe oder Pietät immer zur Seite standen und wenn nicht ihr Urtheil, so doch den Ausdruck ihres Urtheils beeinflußten. In ihren Freundschaften mit Frauen war nichts Schwärmerisches und Verstiegenes, vielmehr lag eine gewisse Unerbittlichkeit in der Art, wie sie die Freundin ganz nahm, wie sie war, ohne je zu idealisiren; aber wenn sie auch nicht durch Schmeichelei verwöhnte, so beglückte sie umsomehr durch Verständniß, richtige Schätzung und unwandelbare Anhänglichkeit. Jene echte, geniale Kunst des Idealisirens verstand sie aber doch, daß sie nämlich die Menschen als Ganzes sehen konnte, ihr Wesen der zerstückelnden Zeit entreißend und schöpferisch zusammenfassend. Daher haben ihre Schilderungen von Personen, die wenigen Fälle ausgenommen, wo persönliche Leidenschaft ihren Blick erhitzte, die Milde parteiloser Wahrheit, der man unbedingt Glauben schenkt.

Wie deutlich tritt die Gestalt Therese Forster's aus den kurzen Bemerkungen hervor, die sie in Briefen über sie gemacht hat: der glückzerstörende Geist, der in ihrer ganzen Familie wohnt, ihre Unglückssucht, die sich diejenigen, die sie liebt, durchaus unglücklich vorstellen muß, wie sie überall Bitteres findet, wie unerquicklich sie für die Menschen im Allgemeinen ist, wie unendlich viel sie Wenigen sein kann, ihr Zug zur Größe, ihre Energie und Kühnheit. Wie fein und gut ist es, daß sie in Allem, was an Theresen abstößt, die »convulsivischen Bewegungen einer großen Seele« erkennt. Wie Karoline war Therese die Tochter eines Göttinger Professors, des angesehenen Philologen Heyne, und wurde, nachdem ihre Beziehungen zu dem jungen Wilhelm von Humboldt gelöst waren, die Frau des Naturforschers Georg Forster. Für keine Frau hatte Karoline jemals ein stärkeres Interesse. Grade daß diese ringende und unklare Seele von ihrer Harmonie und Güte, die, nach ihrem eigenen Ausdruck, mit solcher Sicherheit am Busen der Natur ruhte und ihr in's Auge sah, so verschieden war, machte sie ihr merkwürdig und anziehend. In ihre thatenlose Einsamkeit kam eine Einladung dieser Freundin, zu ihr nach Mainz überzusiedeln, das sich eben der neuen französischen Republik angeschlossen.hatte. Da war das Element, in dem sie athmen konnte: Leben und Handlung!

Wie eine Erlösung, wie ein Ruf des Schicksals mußte ihr diese Aufforderung erscheinen, ihr, die sich fähig fühlte, »Wunder zu thun und ein widerstrebendes Schicksal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz und in Freuden schwelgendes Herz zu bezwingen«, und die keine andre Aufgabe vor sich sah, als die Erziehung eines kleinen gutartigen Mädchens, überflüssige gesellige Pflichten und Aufheiterung einer mißvergnügten Familie. Allen Warnungen auch der geliebtesten Menschen zum Trotz zog sie mit ihrem Kinde in die aufgeregte Stadt, in das krampfhafte Treiben eines großen Volkes hinein, wo die wohlmeinenden Freunde ein so leidenschaftliches, liebebedürftiges Geschöpf allerdings für gefährdet halten konnten. Sie indessen pflegte sich auf den Zug ihres Herzens zu verlassen. Mit vollem Bewußtsein that sie es, es war ihr Stolz und ihre Sicherheit. Sie wußte, daß sie sich irren konnte, nie aber sich selbst verlieren. Sie besaß den glücklichen Instinkt der Nachtwandler, die nicht stürzen, wenn man sie nur ruhig gehen läßt Auch die Fehltritte, die sie that, und die Irrwege, die sie wählte, mußten ihr dienen. Um nichts hätte man sie mehr beneiden dürfen, als um dies Talent zur Bildung des Lebens, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen kann, das in jedem Schicksal Zuversicht verleiht, weil man im Grunde um den letzten Ausgang nicht besorgt ist. »Vielleicht bin ich wirklich schwer zu einer Entscheidung zu bringen«, sagte sie einmal, »allein ich habe sie noch stets gefaßt, ehe es zu spät war, und mich unverrückt an ihr gehalten. Ich sage nicht heute, ich will dies thun und morgen, ich will ein Andres, und jedesmal so zuversichtlich, als wenn es ewig gelten würde – nein, es malt sich wohl sehr deutlich in meinen Aeußerungen, daß ich nicht weiß, was ich thun soll – bis der Moment kommt.« Scharf prägt sich in diesen Worten eine Natur von denen aus, die stets mehr halten, als sie versprechen, die zu klar bewußt sind, um sich selbst belügen zu können, und deren reiner, starker, nicht zu mißdeutender Instinkt sie schließlich, wenn es nöthig ist, zu handeln, das für sie Angemessene thun läßt.

Es mochte nicht leicht für Karoline sein, zwischen Forster und Therese zu leben, die in entgegengesetzter Weise ihr Interesse in Anspruch nahmen; ihr Verstand erkannte Therese's große Anlagen an, aber ihr Gemüth wurde immer weniger durch sie befriedigt; dagegen mißbilligte ihr Kopf Forster, »den schwächsten aller Menschen«, während ihre weiblich mütterliche Zärtlichkeit ihm vielleicht grade wegen seiner Unkraft nicht anders als liebevoll begegnen konnte, dessen Intelligenz, Bescheidenheit und großmüthige Gesinnung außerdem ihr Herz bewunderte. Das Verhältniß wurde dadurch noch verwickelter, daß gerade um diese Zeit die Ehe sich vollends auflöste, indem Therese, die jetzt behauptete, ihren Mann eigentlich niemals geliebt zu haben, sich gänzlich Huber zuwandte, dem ehemaligen Freunde Schiller's und Bräutigam der Schwägerin Körner's, Johanna Stock. Forster hörte bis zum Tode nicht auf, seine Frau zu lieben oder wie Karoline nicht ohne Geringschätzung es beschrieb, »man würde seine Liebe tödten können, aber seine Anhänglichkeit nicht«. Er habe nicht die Kraft, sich loszureißen, erzählte sie, lebe von Attentionen und schmachte nach Liebe. Nachdem Therese ihr Haus verlassen hatte, wurde Karoline die Trösterin des Unglücklichen. Kurze Zeit hernach traten furchtbare Ereignisse ein; Mainz wurde von den Deutschen belagert und erobert, Forster entfloh nach Paris und Karoline fiel den Siegern in die Hände.

Die Gefangenen wurden als Geiseln auf eine Festung gebracht und mit ausgesuchter Rohheit und Nichtachtung ihrer rechtmäßigen Forderungen behandelt. Karoline's zarte Gesundheit und die Angst um ihr Kind, das sie bei sich hatte, machten ihr alle Leiden und Entbehrungen doppelt empfindlich. Was war aber das gegen die Martern, die ihrem zarten und stolzen Herzen zugefügt wurden! Niemand hatte ihr Verweilen in Mainz, ihren Enthusiasmus für die französische Freiheit und ihre Theilnahme für Forster, den Vertreter derselben, gebilligt, man hatte ihr im Geiste die rothe Mütze der Jakobiner aufgesetzt – und welcher Schlechtigkeit hielt man Jakobiner nicht für fähig? Ueber die Unglückliche und Wehrlose ergoß sich die Verleumdung: sie sollte die Geliebte des französischen Generals Custine gewesen sein, ihre Freundschaft mit Forster wurde nichtsdestoweniger als Liebesverhältniß aufgefaßt, ihr Schwager Böhmer, der auf Seiten Frankreichs war und eine zweideutige Rolle gespielt hatte, wurde für ihren Mann gehalten. Sie konnte nichts thun, als stolz und entrüstet ihre Unschuld betheuern, aber sie that es mit dem Gefühl, daß der Schein gegen sie war. Denn, wie falsch auch die Anklagen waren, die gegen sie vorgebracht wurden, etwas Verhängnißvolles war geschehen: sie erwartete Mutter eines Kindes zu werden, ohne mit dem Vater desselben rechtlich verbunden zu sein, ja, was erst das eigentliche Unglück ausmachte, ohne sich ihm innerlich verbunden zu fühlen.

Man hätte nichts gewonnen, wenn man mit Sicherheit ermitteln könnte, wer der Mann war, dem sich die Einsame so unbesonnen und freudlos hingegeben hatte. Daß sie, die Anschmiegsame, von einem Manne, der sie zu fesseln wußte, hingerissen werden konnte und um seinetwillen Vernunft und Vorsicht hintangesetzt, ist weniger überraschend, als daß Leidenschaftlichkeit ihre hellen Augen so umflorte, daß sie die Unwürdigkeit des Liebhabers nicht erkannte oder übersah; und vielleicht hätte es doch nicht geschehen können, wenn nicht vorher die Pein, einen Mann zu lieben, der sie niemals ganz an sich zog und doch auch niemals entschieden von sich stieß, sie überreizt und im Herzen krank gemacht hätte.

Da sie nun aber allein in die entsetzlichsten Verhältnisse hinausgestoßen war, fand sie ihre ganze Ueberlegenheit, Seelengröße und Hoheit wieder. Das war es gerade, was ihrer Schwachheit das Verächtliche nahm, daß sie bei aller Weichheit die edle männliche Eigenschaft besaß, nach einem Sturze unverletzt aufstehen und ebenso stark und sicher wie vorher ihres Weges weitergehen zu können. Daß sie Liebe gegeben hatte, für etwas, das sie für Liebe genommen hatte und das es auch wohl gewesen war, wenn auch von Seiten eines Schwächlings, war ihr vor sich selbst nichts, dessen sie sich geschämt hätte. Was in ihr vorging, war ihrem klaren Bewußtsein immer ganz übersichtlich und durchsichtig, das verlieh ihr das Unschuldsgefühl derer, die durch keine Lüge in sich befleckt sind, und Festigkeit in schwankender Lebenslage, während Andre oft selbst dann schwanken, wenn der Boden unter ihnen fest ist. Wie sie immer zu thun pflegte, erkannte sie Alles, was geschehen war und was sie gethan hatte, in seiner Folgerichtigkeit und ertrug das Nothwendige, ohne ein außer ihr befindliches Schicksal anzuklagen. Ihr Muth und ihre Kraft wuchsen mit der Gefahr. Man weiß nicht, wie sie es aufnahm, daß der Mann, der so lange der Stern gewesen war, auf den sie gehofft hatte und dem seine Stellung es am ersten ermöglicht hätte, ihr zu nützen, sich zurückzog, wie es den Anschein hat aus feiger Vorsicht, um sich nicht durch Beziehungen zu der verfolgten, politisch anrüchigen Frau bloßzustellen; möglich ist es, daß sie schon vorher mit diesem Traume abgeschlossen hatte. Etwas Bitteres muß es für sie gehabt haben, daß derjenige, der sich am unermüdlichsten ihrer annahm, Wilhelm Schlegel war, den sie in glücklichen Tagen so übermüthig verworfen hatte. Korrekt, wie er im Empfinden und Handeln zu sein pflegte, ritterlich und verliebt, sprang er ohne Bedenken für sie in die Schranken. Nachdem durch das Zusammenwirken mehrerer Freunde und namentlich ihres jüngeren Bruders ihre Befreiung erzielt war, übernahm er es, was fast noch schwieriger war, für ihre fernere Sicherheit zu sorgen. In völliger Abgeschiedenheit, in der Nähe von Leipzig, erwartete sie die Entbindung von ihrem vaterlosen Kinde. Hier lernte Friedrich Schlegel sie kennen, der sie gewissermaßen als Bevollmächtigter und an Stelle seines Bruders besuchte, der einzige Gast, der ihre Einsamkeit unterbrach. Friedrich kannte Karoline schon aus ihren Briefen an Wilhelm, und seine reflektirende Phantasie hatte sich so gut mit ihr beschäftigt, daß er schon ihr Bewunderer war, als er zum ersten Mal vor sie hintrat Nun aber überwältigte ihn ihre Persönlichkeit vollständig; er vermochte nichts Einzelnes mehr zu tadeln, er empfand sie selbst als Ganzes und wurde ganz von ihr ergriffen.

Welchen Eindruck mußte sie aber auch gerade damals machen: in einer so peinlichen Lage doch voll natürlicher Würde, ohne ängstliche Gedrücktheit, bei beständigen körperlichen Leiden doch stets munter, zu Scherz und geistigen Genuß geneigt, auch den Ernst und lebhaftesten Schmerz durch Humor oder kluge Betrachtung mäßigend. Ebenso lieblich wie im Glück, so groß und rührend war sie im Unglück.

Wie ein Wunder erscheint es an dem selbstbewußtem Jüngling, daß er ihren Verstand als dem seinigen überlegen achtete, dazu aber, sagte er, habe sie das, was ihm fehle, nämlich die Seele der Seele: Liebe. Immer und immer wieder, Jahre später, als Bitterkeit, Eifersucht und Mißverständnisse das ursprünglich so reine und schöne Verhältniß getrübt hatten, rühmte er an ihr das Talent zur Liebe, mit dem sie jede Entfremdung überbrücken könne – wenn sie wolle. In der Lucinde hat er die Frau, »die einzig war und die seinen Geist zum ersten Male ganz und in der Mitte traf«, folgendermaßen geschildert:

»Ueberhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann, jede Gottähnlichkeit und jede Unart, aber Alles war fein, gebildet und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung und bald half sie mit Rath und That, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit war durch ihre Art, sie zu erzählen, so reizend, wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für Alles, und Alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sie vernahm jede Andeutung und sie erwiderte auch die Frage, die nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche, und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen.« Zum Schlusse aber hebt er hervor, daß diese Frau voll zarter Poesie, bei jeder großen Gelegenheit Kraft und Muth zum Erstaunen gezeigt habe.

Es ist beklagenswerth, daß auf die höchste Entfaltung der menschlichen Geisteskräfte mit Nothwendigkeit eine Erschlaffung folgen muß, wie denn auch Karoline, nachdem sie eben als Ueberwinderin ihrer Schwäche und der Noth der Welt triumphirt hatte, gerade diejenige Handlung beging, um deretwillen man ihr am ehesten ernstlich zürnen möchte: daß sie nämlich die Ehe mit Wilhelm Schlegel einging. Denn abgesehen davon, daß sie in späterer Zeit selbst erklärte, ihn weniger aus Liebe geheirathet zu haben, als auf den Wunsch ihrer Mutter hin und um sich und ihrem Kinde eine gesicherte Lebensstellung zu geben, wie könnte man glauben, daß sie den Mann wirklich liebe, von dem sie sechs Jahre vorher gesagt hatte; »Schlegel und ich! ich lache, indem ich es schreibe! Nein, das ist sicher – aus uns wird nichts!« Ja, selbst wenn man betonen wollte, welche Veränderungen sechs Jahre im Menschen hervorbringen können, wieviel die Zeit hier wirklich verändert hatte; daß die Ehe so bald sich wieder auflöste, beweist doch, daß eine innere Zusammengehörigkeit sich nicht ausgebildet hatte. Sich aber halb aus spielender Verliebtheit, halb aus Bequemlichkeit in Liebe hineinzulügen, ist doppelt sündhaft für eine Frau, die sich das Recht nimmt, dem Instinkte ihres Herzens, wie wenn es eine heilige, unbestechliche Stimme wäre, sich anzuvertrauen, was auch das Urtheil der Welt dagegen sagen möge. Im Geheimsten war sie sich dieses Unrechts auch wohl bewußt, denn alle ihre Aeußerungen über ihre Verlobung den Freunden gegenüber scheint ein Gefühl von Verlegenheit zu lähmen.

Was Alles andrerseits ihren Schritt entschuldigen und erklären kann, ist so selbstverständlich, daß ich es nur flüchtig anzudeuten brauche. Sie hatte Ursache, Wilhelm dankbar zu sein, der sich so umsichtig, so thatkräftig, so selbstlos ihrer angenommen hatte, und Dankbarkeit macht das Herz für Liebe empfänglich Die Lage war so, daß sie die Bedrängte und Hülflose, er der Beschützer war, was ihm ein Ansehen von größerer Männlichkeit und Ueberlegenheit verlieh, als er in Wirklichkeit besaß. Dazu kam noch Eifersucht auf die holländische Sophie, deren Liebe Wilhelm über Karoline's Härte getröstet hatte, welches Gefühl er nicht ohne kokette Sprödigkeit, vielleicht auch seinerseits aus Eifersucht auf den Vater des neugeborenen Kindes reizte. Man braucht nicht zu bezweifeln, daß sie in den »anmuthigen Freund«, der so jung, hübsch und unternehmend war, sich verliebt habe; der uneigennützige Friedrich behauptete »kolossalisch verliebt«. Die Hauptsache war, daß sie ohne Liebe nicht sein konnte, und daß der Rechte nicht zur Stelle war.

Es sollte sich aber an ihr rächen, daß sie aus Furcht vor dem Alleinsein und vor dem Kampfe des Lebens eine Verbindung geschlossen hatte, in der man sein ganzes Selbst auf's Spiel setzt. Sie lebte nun in Gemeinschaft mit einem Manne, den sie trotz aller seiner Talente und geistigen Vorzüge übersah, nicht daß sie klüger oder edler oder verständiger gewesen wäre, sondern durch ihre allgemeine Wesensreife, die vorgerückter war als seine. Und als nach kurzer Zeit ein Mann in ihren Kreis trat, von dem auch wir zum ersten Mal das sichere Gefühl haben, daß er ihr nothwendig, ihr bestimmt war, Schelling, war sie gefesselt und fand sich durch eigene Unbesonnenheit und Schwäche in schreckliche äußere und innere Conflikte verstrickt. Bei alledem, wie erfreut man sich gerade dann an der unbezwinglichen Frische ihrer Natur, die kein Zweifel an sich selbst und der Wahrheit ihrer Empfindungen ankränkelte. An den um ihre Fähigkeit zur Treue sich sorgenden Freund schrieb sie:

»Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue geboren, ich wäre treu gewesen mein Leben lang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet, untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewußtsein aber von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt, mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas Andres vor dem Untergang in meinem gefahrvollen Leben bewahren, als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten – ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnt' ich wie Jakob ausrufen: Verlasse dich nicht auf dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus und hätte es mich in Noth und Tod geleitet.«

Man fühlt, daß es keine Redensarten sind; das glaubt man. Sie war treu, weil sie sich selbst treu war und, was für Umwege sie auch einschlug, die rechte Richtung unerschütterlich im Sinne behielt. So bekommt man ein Vertrauen, daß wohl auch die Umwege nothwendig und zu irgend etwas nützlich und dienlich waren.

Haben aber alle Worte Karoline lebendig machen können, so wie sie war? Wo ist ihr schalkhafter Muthwillen, das unfehlbare Schicklichkeitsgefühl, mit dem sie das Ernste, das keinen Scherz ertrug, ernsthaft behandelte, wo die schlichte Würde, mit der sie jede Verleumdung und jedes Vorurtheil der Uebelwollenden oder schlecht Unterrichteten entwaffnete, die kluge Bescheidenheit, mit der sie die Grenzen ihrer Natur erkannte? Nichts von Allem ist doch so wundervoll, wie die Unschuld ihres Selbstbewußtseins, das auf der zweifellosen Ueberzeugung von der ursprünglichen Güte ihres Herzens beruhte. Es ist, wenn sie von dem sanften Muthe ihres Herzens spricht, der sie wegtrage über die dunkelsten Stunden und drohendsten Gefahren, als freue sie sich dankbar eines schönen treuen Gesellen in ihrer Brust, des holden Genius, der ihr innewohnte. Nachdem sie den größten Schmerz ihres Lebens erfahren, ihr Kind verloren hatte, las sie einmal, daß im Homer die Worte vorkommen sollten: Die Herzen der Guten sind heilbar, und bat ihren Mann, ob er nicht die Stelle für sie aufsuchen wolle. »Denn im Homer«, schrieb sie, »habe ich das niemals gefunden, bloß in meinem eigenen Herzen.«

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