Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schiller und Goethe.

Bewundert nur die feingeschnitzten Götzen
Und laßt als Meister, Führer, Freund uns Goethe'n …
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Uns sandte Goethe, dich, der Götter Güte,
Befreundet mit der Welt durch solchen Boten,
Göttlich von Namen, Blick, Gestalt, Gemüthe.

W. Schlegel.

 

Purpurglühnde Morgenröthe
Kündet uns den Tag, wo Goethe
Einst das Licht der Welt erblickt.
Wo der ganze Chor der Musen
Mit dem Nektar ihrer Busen
Das Heroenkind erquickt.

Zu Goethe's Geburtstag 1826.
W. Schlegel.

 

Die Romantiker fingen damit an, Schiller zu lieben. Sogar Wilhelm Schlegel hatte nicht nur den Don Carlos angepriesen, sondern war selbst in die Schiller'sche Art zu dichten verfallen, womit es ihm freilich nicht glücken konnte. Denn da der ideale Sturm nicht in ihm brauste, blieb nur das langathmige schöne Reden und ein Nichts als klingendes Pathos. Wahreres Verständniß hatte Friedrich für Schiller, indem er ihn vorzüglich wegen seines moralischen Triebes und seiner Leidenschaft zum Ewigen verehrte; ja, er hielt dann sogar standhaft an ihm fest, als Schiller in der absprechenden Art, die er haben konnte, wo er etwas seiner Natur Fremdartiges oder Feindseliges witterte, Körner gegenüber den jungen Friedrich Schlegel als kalten Witzling charakterisirt hatte. Vollendete Schwärmerei war das Gefühl, mit dem Novalis an Schiller hing, während er in Jena seine Vorlesungen besuchte; aber auch sie bezog sich vor Allem auf die edle Persönlichkeit des Dichters.

Man kann sich auch leicht Gründe denken, aus welchen heraus die Romantiker Schiller zu ihrem Führer hätten erwählen können, wie er sich ja selbst als sentimentalischen, das heißt modernen Dichter bezeichnet, und seine erhabene Unvollendung, sein Riesenstreben ihn in der That vom Klassischen weit entfernte und der Romantik hätte verwandt und sympathisch machen können. Dieser Zug war aber bei Schiller aus der Gährung der Jugend entsprungen; seine späteren Werke sind in sich abgerundet und ermangeln der unmittelbaren Fülle, die aus der Tiefe des Gemüthes quillt. Darum beklagte Tieck es immer, daß Schiller den Weg, den er in der Jugend eingeschlagen, verlassen habe, und ließ eigentlich nur die Räuber als große Dichtung gelten, die aber auch als eine der größten, als nicht genug zu bewundern. In keinem von Schiller's späteren Dramen findet sich eine Stelle, die jener zu vergleichen wäre, wo Karl an der Donau träumerisch versunken seiner Kindheit gedenkt und ihre schwärmenden Hoffnungen mit der öden, furchtbaren Gegenwart vergleicht. Diese Scene empfindet man sofort als echt romantisch durch ihr Naturgefühl und die stark von ihr ausströmende Stimmung. Ein solches Zusammenleben von Natur und Mensch findet sich nirgends mehr in Schiller's späteren Dramen, auch nicht im Tell, soviel darin auch von Bergen und Matten gesprochen wird. Denn die Natur kam überhaupt nicht zu einem bewußten geistigen Leben in ihm; durch und durch männlich, wie er war, ging ihm die Empfänglichkeit ab, ihre Kraft anzufangen und in sich aufzulösen, vielmehr ging jeder ihrer Reize bei ihm sogleich in Produktionstrieb über, der rastlos bildend und gestaltend den dürftigen Gehalt, der sich niemals ansammeln konnte, verbrauchte.

Man vergegenwärtige sich das bekannte Denkmal, wo Schiller neben Goethe steht: wie männlich seine hohe, knochige Gestalt mit dem schlanken Halse und dem elastischen Schwunge nach oben sich gegen die weichlichere des Freundes darstellt, der breit, fest, irdisch, mit seinem gewaltigen Haupte dasteht und den stillen Blick gradeaus in das unendliche Leben richtet. Diese gestaltende Männlichkeit machte ihn zum Beherrscher der Form und zum Meister des Dramas; kein deutscher Dichter vor oder nach ihm verfügte über die unbewußte Kunst und Kraft, seine Scenen so anzuthürmen, daß eine unbegreifliche Spannung den Leser mit sich fortreißt, ob er die Dichtung zum ersten oder zum hundertsten Male liest; denn sie ist von der Kenntniß des Inhalts unabhängig und entspringt einzig aus dem Schwunge der Form und der Zugkraft der trunkenen Seele des Dichters, die den Leser ergreift.

Unvergleichlich verstand es Schiller, seinen Dramen einen Körper zu geben; aber die Kehrseite ist: auch die Menschen, die er schafft, sind nur Körper, die sich bewegen, handeln und gestikuliren, lachen und weinen; wir sehen ihre Seelen nicht, aus denen all dies wirbelnde Leben herausquillt, hören die Sphärenmusik nicht, die den großen Reigen des Weltalls innerlich begleitet. Gerade daß wir nicht aufgehalten werden durch lockende Laute aus den Abgründen des Inneren, macht den dramatischen Fortschritt und die hinreißende Spannung möglich.

Aber giebt es einen modernen Menschen, dem dies pantomimische Schauspiel bewegter Figuren befriedigen könnte? Denn das Innere zu suchen bei jeder Erscheinung, das ist ja gerade das Eigenthümlichste des modernen Menschen, dessen immer heller werdendes Innenbewußtsein alles Aeußerliche in Geistiges zerlegt. Die reine Männlichkeit Schiller's, seine beständig wirkende Produktivität schloß diese Innenarbeit aus. In Folge dessen konnte sich ein reicher Ideenschatz nicht in ihm ansammeln, daher er auch beständig über die geringe Zahl seiner Ideen klagte, aus denen er freilich mit seiner ungeheuern Gestaltungskraft mehr zu machen wußte, als manch ein Andrer mit unendlich vielen. Er war weder christlich noch germanisch, welchen beiden Charakteren das weibliche Vermögen der Empfänglichkeit, der unersättliche Durst, die Außenwelt in sich einzusaugen, zu einem Theil des Innenlebens zu machen, eigenthümlich ist. So wenig daher der sentimentalische Schiller an die naive Kunst der Alten erinnert, so sehr ist er ihnen durch die Männlichkeit des Temperamentes ähnlich, wie ihn denn auch Friedrich Schlegel, ohne den Unterschied zu verkennen, einmal mit Aeschylus und Pindar vergleicht. So ist auch kein deutscher Dichter den romanischen Völkern von vornherein so verständlich wie Schiller mit seinem Pathos und seinem Ueberwiegen der Form auf Kosten des Gehaltes. Wohingegen Goethe, obwohl klassischer als Schiller durch seine Harmonie, jenes weibliche, christlich-germanische Element besaß, das ihn zum Ideal des modernen Dichters, zum Haupt der romantischen Schule machte. Man muß bedenken, daß die Naivetät und Harmonie Goethe's nur ihrer Erscheinung nach mit der Antike zu vergleichen ist, in ihrem Wesen war sie die wiedergewonnene, die zweite, in der zwei anfänglich widerstrebende Hälften zu einem befriedigten Ganzen verschmolzen sind.

Aus den wogenden psychologischen Anschauungen der Romantiker hob sich immer deutlicher das Idealbild der Androgyne, des Ganzmenschen, den Jakob Böhme die Idea oder Sophie nannte; Sophie nämlich, zu deutsch Weisheit, weil dies Wort von »weisen« komme und der Name andeute, daß sie den Menschen nach dem Ziele weise, das er zu erreichen habe. Unermüdlich eiferte Friedrich Schlegel gegen die Verherrlichung der reinen Männlichkeit und Weiblichkeit: »Nur sanfte Männlichkeit, nur selbständige Weiblichkeit ist die rechte, wahre und schöne.« Oder: »Man muß den Charakter des Geschlechtes keineswegs noch mehr übertreiben, sondern vielmehr durch starke Gegengewichte zu mildern suchen.« Und ferner: »In der That sind die Männlichkeit und die Weiblichkeit, so wie sie gewöhnlich genommen und getrieben werden, die gefährlichsten Hindernisse der Menschlichkeit, welche nach einer alten Sage in der Mitte einheimisch ist und doch nur ein harmonisches Ganze sein kann, welches keine Absonderung leidet.«

Einen Vorgänger in diesen Anschauungen fand Friedrich in Plato, durch dessen Studium er wohl darin bestärkt wurde. In seiner Abhandlung über Diotima führt er an, daß Plato und die Stoiker die Bestimmung des männlichen und weiblichen Geschlechtes in der Unterordnung unter die höhere Menschlichkeit gesehen hätten, worüber der Stoiker Kleanthes ein eigenes Werk geschrieben habe. In Sparta sei der ruhmwürdige Versuch gemacht worden, die Weiblichkeit wie die Männlichkeit zur höheren Menschlichkeit zu vereinigen; welches Ideal in der Kunst der attischen Tragödie wirklich erreicht sei. »Was ist häßlicher«, sagt Friedrich, »als überladene Weiblichkeit; was ist so ekelhaft als übertriebene Männlichkeit, die in unsern Sitten, unsern Meinungen, ja auch in unsrer besseren Kunst herrschen.« Uebertrieben und häßlich nennt er das herrschsüchtige Ungestüm des Mannes sowie die selbstlose Hingegebenheit des Weibes.

Die Lehre von der Androgyne wurde später von dem Philosophen Baader, der auch hier von Jakob Böhme ausging, wissenschaftlich begründet, und das Wort Mannweib, das in unsrer Zeit so gesunken ist und einen schlechten Klang angenommen hat, bezeichnet danach die schönste und vollkommenste Form, in der der Mensch sich darstellen kann.

Man hat immer angenommen, Goethe sei sinnlicher gewesen als Schiller, während es sich gewiß eher umgekehrt verhielt; ja, man darf behaupten, Goethe sei es verhältnißmäßig wenig, Schiller ungewöhnlich viel gewesen. Denn nur derjenige, der seine Sinnlichkeit niemals störend empfindet, bei dem sie im Gleichgewicht mit seinem Geiste ist, wird sie so naiv, so schön äußern, wie Goethe that. Wer sie verschleiert, bekämpft oder mit jenem Cynismus der Offenheit zeigt, der beweist, daß eine Selbstvergewaltigung vorangehen mußte, verräth, welche Rolle sie bei ihm spielt. Die gemäßigte Sinnlichkeit verlieh Goethe das Olympische, dessentwegen besonders die spätere, etwas hysterische romantische Jugend ihn in so leidenschaftlicher Weise anbetete oder haßte.

Bei aller Verehrung, die man für Schiller haben kann und soll, ist nicht zu läugnen, daß er an übertriebener Männlichkeit litt, was auch neben Anderm sich dadurch beweisen ließe, daß er in der Liebe als Ergänzung die überladene Weiblichkeit suchte. Gegenüber einem androgynen Typus, wie Karoline war, fühlte er sich eher unbehaglich. Wie hätten die Männer und namentlich die Frauen, die er schuf, den Romantikern genügen können? Auch hat nicht leicht etwas ihren Spott so herausgefordert, wie Schiller's Gedicht von der Würde der Frauen, bei dessen Besprechung Friedrich Schlegel sagte: »Männer, wie diese, müßten an Händen und Füßen gebunden werden; solchen Frauen ziemte Gängelband und Fallhut« und das Wilhelm köstlich parodirte:

 

Ehret die Frauen, sie stricken die Strümpfe,
Wollig und warm zu durchwaten die Sümpfe,
Flicken zerrissene Pantalons aus.
Kochen dem Manne die kräftigen Suppen,
Putzen den Kindern die niedlichen Puppen,
Halten mit mäßigem Wochengeld Haus.
Doch der Mann, der tölpelhafte,
Find't am Zarten nicht Geschmack,
Zum gegohrnen Gerstensafte
Raucht er immerfort Toback u. s. w.

Wie anders Goethe! dessen Faust, Werther, Meister, Egmont so stark mit weiblichen Elementen vermischte Charaktere sind; der ein Klärchen, eine Dorothea geschaffen hat, in denen süßester weiblicher Liebreiz sich mit männlicher Kraft zu einem so herrlichen Ganzen vereinigt. Der selbst mit unermeßlicher Empfänglichkeit jeden Anreiz des Lebens in sich aufsog, sammelte und bildete, so daß man seine hervorbringende Kraft nur richtig schätzt, wenn man sie an der Masse mißt, die sie gestaltete, nicht wenn man sie mit Schiller's vergleicht, der so ungleich weniger Stoff zu bewältigen hatte. Hier war ein vollendeter Mensch, der die Armuth des einseitigen Geschlechtes in sich selber ergänzte.

Daß es zum Bruch zwischen Schiller und den Romantikern kam, ist in Anbetracht einer solchen Verschiedenheit der Naturen nicht zu verwundern. Gegen die Brüder Schlegel hatte er das ganze Mißtrauen des naiveren Süddeutschen gegen den scharfdenkenden, ungutmüthigen, überlegenden Norddeutschen. Er stieß sie von sich, weil er sich ihrer sonst nicht zu erwehren gewußt hätte; denn er empfand, obwohl er es sich nicht zugestehen wollte, ihre intellektuelle Ueberlegenheit. Gerade weil er die Beschränktheit seiner Natur fühlte, hielt er es für nöthig, sich nicht beirren zu lassen, um die Sicherheit nicht zu verlieren, und wollte er sich namentlich nicht von jungen Leuten daran erinnern lassen, die er an eigentlichem Können, an Männlichkeit weit überragte.

Wilhelm und Karoline ließen es sich angelegen sein, als sie nach Jena kamen, mit dem Mächtigen, dessen Bedeutung sie anerkannten, wenn sie ihn auch nicht so mit Haut und Haaren liebten und bewunderten wie Goethe, in ein gutes Verhältniß zu treten. Seine edle und rührende Erscheinung entzückte die immer zum Liebhaben geneigte Karoline. Lotte, die mit der Jugend zugleich ihre Reize mehr und mehr einbüßte und zwischen hausbackener Nüchternheit und vager Sentimentalität schwankte, mußte man mit in den Kauf nehmen und bemühte sich, das Beste an ihr herauszufinden. Je mehr aber die an Anbetung grenzende Verehrung Goethe's zunahm, desto näher lag die Versuchung, ihn in öffentlichen Besprechungen durch Vergleichung mit seinem Freund und Nebenbuhler zu heben. Eben die Verschiedenheit der beiden Dichter lockte zu belehrenden Betrachtungen, wobei eine Herabsetzung Schiller's vom Standpunkte der Romantik unausbleiblich war. Hätte ein Rezensent einen so großen Genius wie Schiller ganz mit Stillschweigen übergehen können? Man muß es Wilhelm und Friedrich zugestehen, daß sie sich Mühe gaben, den Ausdruck ihrer Mißbilligung Schiller gegenüber zu mäßigen; Friedrich allerdings verrieth, vielleicht grade weil er in früherer Zeit Schiller eine so große Verehrung gewidmet hatte, zuweilen einen kindlichen Stolz, daß er es nun so weit gebracht habe im Kunstverständniß, dem Berühmten seine Mängel aufzählen zu können.

Eine tadelnde Rezension brachte den in sich ruhigeren Goethe nicht aus seinem Gleichgewicht; vielleicht daß er sich einen Augenblick geärgert hätte; oder daß er sie mit historisch-psychologischem Interesse oder mit Humor gelesen hätte, je nachdem der Inhalt bedeutend oder nicht gewesen wäre. Schiller hatte so viel Gleichmuth, so viel Sicherheit und Laune nicht. In seiner schmerzlichen Entrüstung wußte er sich keinen andern Rath, als den kaltherzigen Tadler und Alles, was mit ihm zusammenhing, weit von sich zu entfernen, damit er sein zerkleinerndes, liebloses Auge nie mehr auf sich ruhen fühlte. Es war eine Handlung der Nothwehr, da er sich auf keine andre Weise vor dem Fremdling, der ihm vorrückte, was er doch nicht ändern konnte, sein eigenstes Wesen, zu schützen wußte.

Ungroßmüthig und ungerechtfertigt war es, daß Schiller Wilhelm's und Karoline's freundliche Bitte, nicht sie für Friedrich's Ungehörigkeit verantwortlich zu machen, mit schneidender Schärfe abwies. Seine Abneigung gegen Karoline, von der er sich einredete, sie sei eine schriftstellernde Intrigantin, war im Grunde der instinktive Unwillen des Mannes gegen eine Frau, die durch harmonische Fülle der Natur nicht nur seinem Herrscherrecht entrückt war, sondern in gewisser Hinsicht sogar, nämlich insofern sie ein Ganzes war, wenn auch kein so bedeutendes wie seine großartige Halbheit, ein Gefühl von Ueberlegenheit ihm gegenüber haben mochte.

Von nun an herrschte erklärte Feindschaft zwischen Schiller und dem Schlegel'schen Kreise. Die Romantiker bemühten sich nicht mehr sonderlich, das Große in seinen Werken anzuerkennen, sondern gaben sich mit Vergnügen ihrer Lust zum Spaßmachen hin, wo sein Mangel an Ironie ihren Witz herausforderte. Daß sie über sein Lied von der Glocke so herzlich lachen konnten, mag manchem Verehrer Schiller's eine Ruchlosigkeit dünken; aber abgesehen davon, daß sie es nicht wie wir mit einem verklärten Todten zu thun hatten, erklärt es sich aus eben diesem Mangel an Ironie, dieser mehr bürgerlichen als künstlerischen Ernsthaftigkeit, und dem Grundsatz der Romantiker, zwar kein unmoralisches Kunstwerk, aber auch nicht jedes moralische schön zu finden. Was für helles Gelächter mag erst der kleine Vers hervorgerufen haben, den Wilhelm verfertigte:

Wenn Jemand schwatzt die Kreuz und Quer,
Was ihm in Sinn kommt ungefähr,
Sagt man in Frankreich wohl zum Spotte:
Il bavarde à propos de bottes.
Bei uns wird wohl das Sprichwort sein;
Dem fällt bei Glocken Vieles ein,

Dergleichen Scherze wurden aber nur am häuslichen Herde laut; wie denn überhaupt der tadellose Wilhelm niemals die Grenze des Anstandes überschritt und stets als der reife und gerechte Mann erschien, den weder persönliche Verhältnisse noch Abweichungen in ästhetischer Auffassung verhinderten, großes Verdienst anzuerkennen.

Es war für die Freundschaft Schiller's und Goethe's eine Prüfung, daß eine Reihe begabter junger Menschen den Einen von ihnen auf Kosten des Andern in's Grenzenlose erhoben; welche Prüfung sie rühmlich bestanden, freilich nicht ganz ohne Opfer. Denn es war keine Kleinigkeit, immer seiner Empfindlichkeit Herr zu bleiben und keinen Neid in sich aufkommen zu lassen, während es für Goethe nicht ganz leicht war, sich durch den süßen Geruch des Weihrauchs, der ihm gestreut wurde, nicht ganz in den Kreis seiner Jünger hineinziehen zu lassen.

Er hätte ein Unmensch sein müssen, wenn das Verständniß, das hier für seine Werke aufging, ihn nicht hätte erfreuen sollen. Halb ist es rührend, halb peinlich zu sehen, wie er seinen Umgang mit den Romantikern und seine Meinung über ihre Verdienste vor Schiller geheim zu halten suchte, ohne doch unehrlich gegen ihn zu sein. Auch Schiller hatte eine richtige, großartige Anschauung von seinem Freunde; aber in der nervösen, reizbaren Feinfühligkeit, die ein grenzenloses Verständniß alles Menschlichen, auch in seinen zartesten Aeußerungen ermöglicht, waren die Romantiker ihm sowohl wie Goethe überlegen. Das gab ihnen ein Gefühl des Anrechts, das sie auf ihn hätten. Er gehörte ihnen, er sollte ihr Gott und sie wollten sein auserwähltes Volk sein. Seine Autorität galt so unbedingt unter ihnen, daß jeder Streit beendet war, wenn eine Partei sich auf einen Ausspruch Goethe's berufen konnte; was den lebhaften Steffens einmal so empörte, daß er in Verzweiflung ausrief: »Bleibt mir mit dem verdammten Goethe vom Leibe!« aber gleich darauf dermaßen über diese Lästerung erschrak, daß die Anwesenden noch mehr über dies nachträgliche Erschrecken als über die vorherige Heftigkeit lachten. Gerade in Steffens' Leben hatte Goethe, namentlich die Bekanntschaft mit Faust, den er als eben confirmirter Knabe zuerst las, Epoche gemacht. Er setzte die Jenenser dadurch in Erstaunen, daß er ganze Scenen aus Faust auswendig deklamiren konnte. Nur schon der Anblick Goethe's hatte jedes Mal etwas Leib und Seele Erschütterndes für ihn.

Angeregt durch die verständnißvolle Bewunderung der munteren jugendlichen Geister that Goethe gutgelaunt den mit Jubel aufgenommenen Ausspruch, nun sie ihn so öffentlich und geradezu als Haupt einer Partei ausgeschrieen hätten, wolle er sich auch auf honette Weise als ein solches zeigen. Persönlich am meisten hingezogen fühlte er sich, bis er Schelling kennen lernte, zu Wilhelm und Karoline, als zu klaren und in sich einigen Menschen, die er immer den zwiespältigen und verworrenen, wenn sie auch noch so bedeutend waren, vorzog. Er achtete Wilhelm's klugen, geordneten Kopf und ließ sich gern von ihm über Rhythmik und Metrik belehren. Karoline war durchaus eine ihm verwandte Natur: einfach, ruhig, liebend, nicht ringend und nicht grüblerisch, nach keiner Seite hin extravagant und excentrisch. Sie blieb ihm auch bis an's Ende ihres Lebens treu, während die Andern fast alle sich später mehr oder weniger entschieden von ihm abkehrten.

Das Bild, wie wir es jetzt von Goethe in unserm Geiste haben, ist in seinen Grundzügen von den Romantikern entworfen. Wer weiß, wie es aussehen würde, wenn sie es nicht aufgefangen und festgehalten hätten! Noch hatte Goethe im Publikum nur einen flüchtigen Gefühlsrausch erweckt durch seine Erstlinge. Was für Urtheile selbst Gebildete sich über Goethe zu fällen getrauten, beweist jener Major, von dem der junge Freiherr v. Blomberg erzählt, der sagte, Egmont sei das erbärmlichste Stück, das er je gelesen, schrecklich langweilig und habe keinen Schluß; es sei zwar von einem großen Manne, allein die großen Herren konnten auch große Pudel schießen; die Majorin meinte auch, man könne vor Langeweile dabei sterben, und im Einzelnen, die gemeine Person – Klärchen – spreche gar zu heroisch. Lesen wir jetzt Wilhelm's Essay über Hermann und Dorothea oder den von Friedrich über Wilhelm Meister, so scheint uns der darin angenommene Standpunkt der einzig richtige und selbstverständliche; wir lesen die Urtheile, die wir fertig geprägt überkommen haben, die aber damals zuerst mit solcher Klarheit und Entschiedenheit ausgesprochen wurden und sich die allgemeine Geltung erst erkämpfen mußten. Friedrich Schlegel, der Begriffsbildner der romantischen Schule, hat in einer seiner Jugendschriften, in dem äußerst reichhaltigen Aufsatz über das Studium der Griechischen Poesie, wo er das Wesen der modernen Kunst im Gegensatz zur antiken ergründet, Goethe als den Stifter der neuen Poesie bestimmt. Diese Schrift war zu tiefgehend, um jemals populär zu werden. Goethe's Stellung in der Literatur kann niemals genauer und zutreffender bezeichnet werden.

Die Poesie der Griechen, sagt Friedrich Schlegel, steht in sofern unerreichbar hoch über Allem, was von den nachgriechischen Völkern gedichtet wurde, als sie in sich vollendet ist; ihre schönsten Dichtungen sind objektiv schön und deshalb ein ewiges Vorbild. Was auch dem modernen Leser darin fehlen möge, kein Vergleich mit modernen Werken, auch mit den überschwänglich reichsten nicht, kann ihnen den Vorzug objektiver Schönheit rauben. Diese Schönheit ist die Schönheit der Blume oder irgend eines natürlichen Organismus, der sich makellos entfalten muß nach inneren Gesetzen. Diese Kunst ist aus dem Triebe entsprungen, wie Friedrich das unbewußte Wollen nennt; das Bewußtwerden hat die organische Triebkraft im Menschen gestört. Vom Bewußtsein ausgehend fehlt der modernen Poesie das Abgeschlossene, Vollendete, Einheitliche, was im Organischen so selbstverständlich ist: der sondernde Verstand zertheilt immer wieder, was sich zum Ganzen schließen will. Dieses Unvollendete ist der Reiz der modernen Poesie – Friedrich nennt es das Interessante – nur ein Unvollendetes kann ja Sehnsucht haben, Sehnsucht zum Ewigen, die uns Modernen als das Wundervollste an einem Kunstwerk erscheint. Das Interessante ist aber, nach Friedrich, die Vorbereitung des Schönen. Ja, die objektive Schönheit der Alten muß wieder erreicht werden, aber sie wird reicher und schwerer an himmlischer Fülle sein, weil sie durch das Interessante hindurchgegangen ist.

Wenn man aber die Dichtungen aller Völker und Zeiten durchgeht, so fragt man sich zaghaft, ob denn das Ungeheure möglich sei, daß zwei Dinge, die sich auszuschließen scheinen, von denen das Entstehen des Einen durch das Aufhören des Andern bedingt ist, verschmolzen werden. Denn interessant ist etwas ja eben, weil es nicht schön ist, nicht seiend, weil es werdend ist! Wie soll das Interessante schön, das Werdende reif sein? Können wir hoffen, daß jemals die unendlich strömende Fülle unsres Gemüthes von der harmonischen Rundung der Antike gefaßt werde?

Mit der kühnen Zuversicht, die das schönste Merkmal der jungen Romantiker war, bejaht Friedrich diese Fragen. Und die Bürgschaft dafür, daß sie zu bejahen seien, sieht er in Goethe. Goethe's Poesie nennt er die Morgenröthe echter Kunst und reiner Schönheit. »Dieser große Künstler«, sagt er, »eröffnet die Aussicht auf eine ganz neue Stufe der ästhetischen Bildung. Seine Werke sind eine unwiderlegliche Beglaubigung, daß das Objektive möglich und die Hoffnung des Schönen kein leerer Wahn der Vernunft sei. Das Objektive ist hier wirklich schon erreicht.«

Aus dieser Auffassung Goethe's ergiebt sich der Standpunkt für seine Schätzung im Vergleich zu Shakespeare. Kein Zweifel, daß in der interessanten oder charakteristischen, also in der modernen Kunst Shakespeare über Goethe steht. »Das Ziel des Deutschen ist aber das Objektive. Das Schöne ist der wahre Maßstab, seine liebenswürdige Dichtung zu würdigen.« Er steht in der Mitte zwischen dem Interessanten und Schönen, zwischen dem Manierirten und Objektiven. Dementsprechend rühmt Friedrich an Wilhelm Meister vor allen Dingen »den antiken Geist, den man bei näherer Bekanntschaft unter der modernen Hülle überall wieder erkennt. Diese große Combination eröffnet eine ganz neue endlose Aussicht auf das, was die höchste Aufgabe aller Dichtkunst zu sein scheint, die Harmonie des Klassischen und Romantischen.« Ebenso sagt er von Tasso, daß das Charakteristische an diesem Gedicht der Geist der Reflexion und der Harmonie sei, »nämlich daß Alles auf ein Ideal von harmonischem Leben und harmonischer Bildung bezogen und selbst die Disharmonie in harmonischem Tone gehalten wird.«

Man sieht, wie sehr man sich irrt in der Meinung, die Romantiker seien dem Klassischen abhold gewesen. Wer vielmehr hat die Schönheit des Homer und der attischen Tragödie klarer erkannt und enthusiastischer erklärt als sie! Gerade deswegen stellten sie Goethe über alle andern Dichter, weil er klassisch und modern, Mann und Weib, unbewußt und bewußt zugleich war. »Alles ist gedacht und gesagt worden wie von Einem, der zugleich ein göttlicher Dichter und ein vollendeter Künstler wäre«, sagt Friedrich vom Wilhelm Meister. Einen besonderen Nachdruck legten die Romantiker, als die dionysischen Dichter, allerdings auf das Apollinische in Goethe, auf den Titel »vollendeter Künstler«. Als dem besonnenen Künstler hat Novalis ihm in seinem Heinrich v. Ofterdingen ein Denkmal gesetzt, wo man in dem Dichter Klingsohr das Urbild Goethe sogleich erkennt. Wundervoll und höchst charakteristisch für Goethe wie für die Romantiker sind die Lehren, die der erfahrene, weise Meister dem strebenden Heinrich giebt. Auf Heinrichs Bemerkung, daß man, gerade wenn man sich der Natur am innigsten vertraut fühle, am wenigsten von ihr sagen könne und möge, antwortet Klingsohr: »Wie man das nimmt, ein Andres ist es mit der Natur für unsern Genuß und unser Gemüth; ein Andres mit der Natur für unsern Verstand, für das leitende Vermögen unsrer Weltkräfte. Man muß sich wohl hüten, nicht Eins über das Andre zu vergessen: Es giebt viele, die nur die eine Seite kennen und die andre gering schätzen. Aber beide kann man vereinigen und man wird sich wohl dabei befinden. Schade, daß so wenige darauf denken, sich in ihrem Innern frei und geschickt bewegen zu können, und durch eine gehörige Trennung sich den zweckmäßigsten und natürlichsten Gebrauch ihrer Gemüthskräfte zu sichern …… Ich kann euch nicht genug anrühmen, euren Verstand, euren natürlichen Trieb, zu wissen, wie Alles sich begiebt und unter einander nach Gesetzen der Folge zusammenhängt, mit Fleiß und Mühe zu unterstützen. Nichts ist dem Dichter unentbehrlicher, als Einsicht in die Natur jedes Geschäfts, Bekanntschaft mit den Mitteln, jeden Zweck zu erreichen, und Gegenwart des Geistes, nach Zeit und Umständen die schicklichsten zu wählen. Begeisterung ohne Verstand ist unnütz und gefährlich, und der Dichter wird wenig Wunder thun können, wenn er selbst über Wunder erstaunt …… Der junge Dichter kann nicht kühl, nicht besonnen genug sein.«

Als Heinrich fragt: »Kann ein Gegenstand zu überschwenglich für die Poesie sein?« antwortet Klingsohr: »Allerdings. Nur kann man im Grund nicht sagen für die Poesie, sondern nur für unsre irdischen Mittel und Werkzeuge. Wenn es schon für einen einzelnen Dichter nur ein eigenthümliches Gebiet giebt, innerhalb dessen er bleiben muß, um nicht alle Haltung und den Athem zu verlieren: so giebt es auch für die ganze Summe menschlicher Kräfte eine bestimmte Grenze der Darstellbarkeit, über welche hinaus die Darstellung die nöthige Dichtigkeit und Gestaltung nicht behalten kann und in ein leeres täuschendes Unding sich verliert. Besonders als Lehrling kann man nicht genug sich vor diesen Ausschweifungen hüten, da eine lebhafte Phantasie nur gar zu gern nach den Grenzen sich begiebt und übermüthig das Unsinnliche, Uebermäßige zu ergreifen auszusprechen sucht. Reifere Erfahrung lehrt erst, jene Unverhältnißmäßigkeit der Gegenstände zu vermeiden und die Aufspürung des Einfachsten und Höchsten der Weltweisheit zu überlassen. Der ältere Dichter steigt nicht höher, als er es gerade nöthig hat, um seinen mannigfaltigen Vorrath in eine leichtfaßliche Ordnung zu stellen, und hütet sich wohl, die Mannigfaltigkeit zu verlassen, die ihm Stoff genug und auch die nöthigen Vergleichungspunkte darbietet. Ich möchte fast sagen, das Chaos muß in jeder Dichtung durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schimmern. Die beste Poesie liegt uns ganze nahe, und ein gewöhnlicher Gegenstand ist nicht selten ihr liebster Stoff.«

Wie erstaunlich gut hat Novalis hier Goethe's Sinn getroffen, der im Alter seinen Grundsatz der Beschränkung, und daß der Dichter überschwengliche Gegenstände vermeiden solle, so weit trieb, daß er jungen Poesiebeflissenen, die sich um Rath bittend an ihn wandten, empfahl, den Hopfenbau und das Weberhandwerk zu besingen; wobei freilich ein wenig Ironie unter gelaufen sein mag. Von diesem selben Punkte geht nun aber auch die Auflehnung der Romantiker gegen Goethe aus. In dem angeführten Gespräch zwischen Heinrich v. Ofterdingen und Klingsohr läßt Novalis seinen Heinrich sagen: »Eben in dieser Freude, das, was außer der Welt ist, in ihr zu offenbaren, das thun zu können, was eigentlich der ursprüngliche Trieb unsres Daseins ist, liegt der Ursprung der Poesie.« Wenn nun alle Poesie nichts andres ist als der Drang, sich zu äußern, dieser Drang, der das Ding an sich treibt, Erscheinung zu werden, oder Gott treibt, in der Natur sich darzustellen, die den Menschen treibt, sich von seinem Mittelpunkt aus eine Welt zu schaffen, eine, in der er selbst Gott ist, giebt es dann etwas, das zu gewaltig wäre, um sich der Mittheilung zu entziehen? Was ist nicht in einem Ich enthalten oder was kann wenigstens nicht darin enthalten sein! Auch hatte Klingsohr gesagt, nicht in der Poesie selbst liege der Grund, daß nicht alle Gegenstände durch die Poesie darstellbar seien, sondern in den irdischen Mitteln und Werkzeugen. Aehnlich wie Kant gesagt hatte, es gebe wohl ein Ding an sich, aber unser irdisches Erkennen könne nicht zu ihm dringen.

Gegen Beides erhoben sich die Romantiker, indem sie nicht in einem unbestimmten Rausche von Begeisterung, sondern besonnen und offenen Auges sagten: unser Bewußtsein umfaßt nicht die Welt, durchdringt nicht die Welt, aber es wird sie umfassen und eins mit ihr werden. Die Poesie kann das Unendliche nicht darstellen, aber sie soll es lernen, sie soll dazu erwachsen. Darum nannte Friedrich Schlegel die romantische Poesie eine Universalpoesie. Goethe hatte er seines griechischen Künstlerthums ungeachtet keineswegs davon ausgeschlossen. Seine Kunst, sagte er, sei durchaus progressiv: sie enthalte den Keim eines ewigen Fortschreitens. Damit war aber schon ausgesprochen, daß sie überholt werden könne, daß sie noch nicht die vollendete Krone der Poesie sei. Es war nur folgerichtig, daß die Romantiker zwar Goethe als Vorbild aufstellten und als Bürgen, daß eine Verschmelzung von charakteristischer und klassischer Poesie möglich sei, zugleich aber betonten, wie Vieles dem künftigen Dichter noch zu erreichen bleibe. Man braucht sich nur vorzustellen, daß das Schönste von Allem, was Goethe auf verschiedenen Lebensstufen dichtete, in einem Werke vereinigt sei, etwa die unermeßliche Fülle Fausts mit der edlen Rundung von Hermann und Dorothea, um ein Bild zu gewinnen, wie Goethe noch übertroffen werden könnte.

Besonders als Goethe, da der höchste Gipfel immer nur ein Punkt ist, anfing, sich dem Klassischen auf Kosten des Modernen zuzuneigen, hielten sie mit ihrer unbedingten Bewunderung inne; was sie um so eher thun konnten, als des Meisters Größe, zum Theil durch ihr eigenes Bemühen, unerschütterlich in der Geschichte festgestellt worden war. Sie vermißten allzu sehr das Dionysische, die unabsehbare Unendlichkeit, worin seines Faust unvergleichlicher Zauber liegt. Seine Harmonie hatte er, ihrer Meinung nach, zu theuer erkauft.

Schon in einer seiner frühesten Abhandlungen sagt Friedrich Schlegel: »Goethe schwelgt viel zu sehr im Genusse seines vollendet schönen Selbst, als daß er die schreiende Härte und empörende Nacktheit des zu aufrichtigen Shakespeare ertragen könnte. Wie Goethe den Werther schrieb, da ersetzte jener Mangel die Jugend, ihre wehmüthigen Ahnungen, ihre weissagenden Thränen. Nachher ließ ihn das Geschick, zu nachsichtig mit seinem Genius, allein.« Da ist schon der Keim aller der Klagen über Goethe's unempfindliche Kälte, mit denen ein späteres Geschlecht die einseitigen und maßlosen Goethe-Verehrer angriff. Wie unendlich viel neue Töne noch angeschlagen werden konnten, wie viele die Romantiker selbst schon angeschlagen haben, wer möchte sich auch davor verschließen. Novalis, der Goethe's Bild in Klingsohr-Gestalt mit so viel Liebe gezeichnet hatte, wandte sich mit bewußter Entschiedenheit von ihm ab. Er dachte daran, eine Rezension über Wilhelm Meister zu schreiben, die ein Gegenstück zu der Friedrich's werden sollte. Dies Buch, das er fast auswendig wußte, aus dem er immer noch lernte, war ihm dennoch verhaßt geworden. Er fand es durchaus anti-poetisch. Mit Stoff und Läppchen sei der Garten der Poesie darin nachgemacht. An Tieck schrieb er von der Kunst, mit der im Meister die Poesie durch sich selber vernichtet wird, »und während sie im Hintergrunde scheitert, die Oekonomie sicher auf festem Grund und Boden mit ihren Freunden sich gütlich thut und achselzuckend nach dem Meere sieht.« Der Ausspruch von Novalis: »Goethe wird und muß übertroffen werden – aber nur wie die Alten übertroffen werden können – an Gehalt und Kraft, an Mannigfaltigkeit und Tiefsinn«, liegt eigentlich schon eingeschlossen in jenem früheren: »Goethe ist jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden«; denn der Statthalter des Geistes ist doch nicht der Geist selbst, so wenig wie der Papst Gott ist, der eben dadurch, daß er sich göttliche Rechte anmaßte, die Menschheit trieb, zu protestiren.

Dasselbe, was die Romantiker an Goethe vermißten, machte, daß er seinerseits ihre Werke unterschätzte. Man weiß, wie verständnißlos er einem Genius wie Kleist gegenüber stand. Auch diese, denen er persönlich wohlwollte, hielt er im Ganzen, soweit sie als Dichter auftraten, vorsichtig von sich entfernt; zum Theil waren die gelinden Urtheile, die er zurückhaltend fällte, verhüllte Verurtheilungen. Zweifellos hatte Goethe recht, wenn er die Dichtungen dieser Romantiker als solche verwarf. Das Wort Poet kommt von dem griechischen ðïéå?í = machen, es ist also billig, wenn man den Titel Poet denjenigen versagt, die sich auf nichts schlechter verstehen als eben auf das Machen. Davon ist aber die dichterische Empfindung, der Geist, der nur nicht zur Gestaltung kommt, zu unterscheiden. Und wo es sich darum handelte, verhielt sich Goethe gern empfangend und anerkennend. Calderon und andre südliche Dichter, die orientalischen lernte er durch die Romantiker kennen. Die jungen Feldherren führten ihren König durch alle die Länder, die sie für ihn erobert hatten. Und wie wußte sein universaler Geist solche Anregungen zu verwerthen! Der romantischen Philosophie vollends war er nicht nur geneigt, sondern er bewillkommnete sie aus erfreutem Herzen. »Seitdem ich mich von der hergebrachten Art der Naturforschung losgerissen«, schrieb Goethe im Jahre 1800 an Schelling, »und wie eine Monade, in mich selbst zurückgewiesen, in der geistigen Region der Wissenschaft umherschweben mußte, habe ich selten hier- oder dorthin einen Zug verspürt: zu Ihrer Lehre ist er entschieden. Ich wünsche eine völlige Vereinigung.« Und beinah rührend klingt es, wenn dieser große Dichter und Denker von dem jungen Schelling sagte: »Ich kann ihm nicht ganz folgen, aber es ist mir klar, er ist bestimmt, eine neue geistige Epoche in der Geschichte einzuleiten.« Eine ähnlich bescheiden anerkennende Aeußerung machte Goethe über den großen Mystiker Franz Baader, über den er an Schiller schrieb, daß seine Schriften ihm sehr wohl behagten, wenn er auch freilich mit seinen Organen nicht Alles darin zu packen wisse.

Wäre Baader mit dem Anspruch aufgetreten, ein Künstler zu sein, würde Goethe ihn noch vielmehr als die übrigen Romantiker nicht ohne Geringschätzung haben fallen lassen; so aber erkannte er in ihm eine ihm selber unzugängliche Macht an. Baader hat selbst einmal gesagt, an genialischem Unbewußtsein könne es der Philosoph dem Dichter recht wohl streitig machen. Eben dies genialische Unbewußtsein, die wuchernde vegetative Ueppigkeit, die an Baader so sehr überrascht, wirkte nicht in Goethe's Bewußtsein; nur seine Jugend war das Alkahest gewesen, das diesen Stein der Weisen vorübergehend gelöst und ihm dionysische Trunkenheit gewährt hatte. Später lag er in seinem Unterbewußtsein als gründende Kraft und machte ihn zu dem klassischen Dichter, der er sonst nicht hätte sein können. Denn eine Seele, die soviel bindende Gewalt hätte, um die extremsten Elemente, die in der Natur möglich sind, überschwellendes Chaos und strengsten Geist der Ordnung in eine harmonische Einheit zu fassen, ist noch ein Ideal der Zukunft. Im zweiten Teil des Faust hat Goethe noch einmal versucht, eben so sehr »göttlicher Dichter« wie »vollendeter Künstler« zu sein. Wie wunderbar ist es, daß diese letzte Dichtung, die das Ungeheure versucht, mit den Worten schließt: »Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.« Denn das Ewig-Weibliche ist ja das Prinzip der Erlösung, nämlich das Bewußtwerden des Unbewußten, die unendliche Revolution, die Eva einleitete, als sie den Apfel der Erkenntniß pflückte. Mag Goethe sich dessen bewußt gewesen sein oder nicht, dies vielfach so gedankenlos gebrauchte Wort hat denselben Sinn wie das »Mehr Licht«, das dem Sterbenden in den Mund gelegt wurde. Nichts beweist Goethe's menschliche Größe mehr, als daß er sich nach höheren Stufen sehnte und an sie glaubte.

——————

 


 << zurück weiter >>