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Romantische Liebe.

Die Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte – das Amen des Universums.

Novalis.

 

»Was ist denn nun dieses Sentimentale?« fragt Friedrich Schlegel, nachdem er den Satz aufgestellt hat, daß ein romantisches Buch ein solches sei, das einen sentimentalen Stoff in phantastischer Form behandele; und antwortet: »Das was uns anspricht, wo das Gefühl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben; das soll jene Definition sagen. Die galanten Passionen, denen man in der Dichtung der Modernen, wie Diderot im Fatalisten so lustig klagt, von dem Epigramm bis zur Tragödie nirgends entgehen kann, sind dabei gerade das wenigste, oder vielmehr sie sind nicht einmal der äußere Buchstabe jenes Geistes, nach Gelegenheit auch wohl gar nichts oder etwas sehr Unliebliches und Liebloses. Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berührt. Er läßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er läßt sich freundlich locken von sterblicher Schönheit und in sie verhüllen, und auch die Zauberworte der Poesie können von seiner Kraft durchdrungen und beseelt werden. Aber in dem Gedicht, wo er nicht überall ist oder überall sein könnte, ist er gewiß gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen und mit nichten haftet und klebt sein Interesse nur an den Personen, den Begebenheiten und Situationen und den individuellen Neigungen: für den wahren Dichter ist Alles dieses, so innig es auch seine Seele umschließen mag, nur Hindeutung auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphe der Einen ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur.«

So wäre Liebe und Romantik, nach der Theorie ihrer Begründer ein und dasselbe. Das Sichlosreißen und Auseinanderweichen des Bewußten und Unbewußten im Menschen, womit Hand in Hand geht seine Entfernung von der Natur, bedingt Sehnsucht nach Wiedervereinigung und Versöhnung des Getrennten, so daß man sagen kann, je größer die Zerrissenheit und je schneidender der Mangel, desto größer die Liebe; was auch Novalis' Wort verständlich macht, daß Liebe durchaus Krankheit sei. Allerdings ist der Charakter dieser Liebe mehr Drang nach Vereinigung als Kraft zu ihr, also mehr Sehnsucht als Liebe; dieses Kind von Ueberfluß und Mangel, wie Plato die Liebe definirt, hat mehr von dem negativen als von dem positiven Element empfangen. Daß der Geschlechtstrieb nicht an sich Bewahrer der unsterblichen Liebesseele sei, die allein die romantische ist, wurde von Friedrich Schlegel erwähnt; nicht von dem blinden tändelnden Kinde ist hier die Rede, dessen Unarten die göttliche Mutter zuweilen mit der Ruthe bestrafen muß, sondern von Eros, dem ältesten und schönsten der Götter, wie die griechische Mythologie ihn nennt, der aus dem gährenden Chaos entstand und die auseinander fliehenden Theile des Alls festhielt und an Eine Mitte band. Wenn man trotzdem in der Geschlechtsliebe, wie sie im Leben und in der Kunst erscheint, ihr Bild zu fassen sucht, obwohl sie weder die einzige, noch die reinste Art der Liebe ist, so ist es, weil sie sich an diesem Brennpunkt doch am feurigsten entzündet, weil die Liebe zwischen Mann und Frau das ganzeste, packendste Symbol ist für die Alles überwindende Riesenleidenschaft des Einswerdens; und gerade ihre Mischung aus Sinnlichkeit und Geist, daß sie die irdische und die göttliche Natur im Menschen gleichviel angeht, ihre androgyne Natur, macht sie zum ergiebigsten Ausgangspunkt für Darstellung und Betrachtung. Daß Lessing sich deswegen von Goethe's Werther abgestoßen fühlte, weil der Geschlechtsliebe darin eine dem antiken Leben fremde Wichtigkeit beigemessen ist, beweist seine unromantische Natur, beweist aber nichts gegen die Dichtung; vielmehr macht gerade die maßlose Vergötterung der Liebe Werther zu einer unvergänglichen Erscheinung in der modernen Welt. Auch hat man immer empfunden, daß in der Behandlung der Liebe der hauptsächliche Unterschied zwischen antiker und moderner Kunst zu suchen sei.

Man könnte zwar Odysseus und Penelope zum Beweise anführen, daß auch das antike Leben eine höhere, geistige Liebe in unserm Sinne kannte; aber wer empfände auch nicht den romantischen Hauch in der Odyssee, der sie uns so viel verständlicher macht als die Ilias! Und dann: es handelt sich da doch weniger um ewige Liebe als um jene eheliche Treue, die ein Bestandtheil der staatlichen Wohlfahrt, eine Bürgerpflicht ist und eigentlich nur die Frau angeht. Zwar ist es rührend und echt romantisch, wenn Odysseus am Ufer sitzt, unbeweglich, mit trauernder Seele über das Meer hinaus blickend, aber es muthet uns fremdartig, wenn auch lieblich zugleich an, wie er gleich darauf in den Armen der lockigen Nymphe einschlummert, ohne daß ihn ein einziges Mal der Gedanke ankränkelte, ob nicht sein Verhältniß zu Penelope dadurch entheiligt würde. Reizend gewiß ist die antike Liebe, wie und wo immer sie erscheint. Selbst die seelenlose Wonne, die Odysseus mit Circe und Kalypso genießt, oder die behagliche Leidenschaft des Paris und der Helena erquickt den Sinn, ohne jemals zu verletzen. Denn alle diese Verhältnisse haben die Gesundheit, Kraft und Schönheit des Naturtriebes, dem zu seiner Vollkommenheit nichts gebricht als die Dauer. Denn Alles, was Trieb ist, ist vergänglich; mit der Vergänglichkeit hat es sich seine Schönheit erkauft. Das Bewußtsein sucht die flüchtige Natur zu verewigen, aber diese übernatürliche Begierde wirkt zunächst in ihr als ein Gift, das sie krank macht. Darum haben wir Augenblicke, wo uns die bewußtlose Herrlichkeit und unschuldige Lust der antiken Liebe als das Allerschönste und Allerbeneidenswürdigste erscheint. Die naive Freudigkeit und unerschöpfliche Genußkraft, mit der jene Götter und Helden ein Liebesfest an das andre reihen, ohne sich ihre Wonne trüben zu lassen durch die Erinnerung an das vergangene und die Ahnung des folgenden, erregt uns Wohlgefallen oder Bewunderung oder gar Neid. Denn wir könnten das nicht nachmachen, ohne entweder roh oder frivol zu sein; auch Don Juan wäre nicht der bezaubernde Held, wenn seine Geschichte nicht durch groteske Komik gemildert wäre, und wenn er nicht andrerseits durch das Antrotzen gegen die höheren Mächte, das allein schon in dem bewußt Maßlosen der Anzahl seiner Liebeleien liegt, etwas Titanisches bekäme, wenn es sich auch in anmuthigster Form darstellt. Es ist dem modernen Bewußtsein unmöglich, das Ideal der einigen und einzigen Liebe abzuschütteln, dieses Gestirn von unserm Himmel zu reißen, das wir hundert Mal mehr als Fluch und verzehrendes Feuer als segenbringend empfinden. Wie oft stellt sich diese Chimäre, wie man sie dann nennen möchte, der Erfüllung von Wünschen entgegen, die ohne sie unschuldig wären; fort und fort wird ihr Glück und Leben wie einem Moloch geopfert. Trotzdem, wenn sich auch alle die Gequälten zusammenthäten, um den tyrannischen Dämon zu entthronen, so müßte die Rebellion doch unfehlbar mit erneuter Knechtung, wahrscheinlich sogar mit freiwilliger Unterwerfung der Empörer endigen. Wenn wir das Auge auf die gigantischen Gestalten und unergründlichen Schicksale richten, die vom Geiste der romantischen Liebe eingegeben sind, so verbleicht die Anmuth der heidnischen Aphrodite. Brunhild und Chriemhilde, Siegfried und Gudrun tauchen aus der Tiefe germanischer Vorzeit – und wir fühlen erschauernd und entzückt zugleich den Herzschlag der ewigen Liebe. Als furchtbar würgende Gottheit, das Schwert in der Hand, mit unerbittlichem Antlitz steht sie im Mittelpunkt dieser Dichtung. Was ist die praktische Rache des Menelaos, der ein geraubtes Gut wieder haben und den Dieb bestrafen will, und das Unbehagen der bedrohten Helena gegen den zerreißenden Jammer Chriemhilde's, gegen Gudrun's zwanzigjähriges Trotzen und Hassen, gegen Brunhilde's dämonische Seligkeit, wenn sie Siegfried's Scheiterhaufen besteigt, gegen die unermeßliche Vernichtung, die mit Blutröthe und Feuerschein auf den Untergang der Liebe und Treue hereinbricht! Um den überirdischen Ursprung der Liebe mit ihrer Unentrinnbarkeit, ihrem todüberwindenden Zauber, ihrer geisterhaften Unverletzlichkeit auszudrücken, erfand die romantische Phantasie den Liebestrank, wie Gudrune ihn Sigurd reicht, wie ihn Tristan und Isolde trinken. In diesen kolossalen Leidenschaften wohnt ein zartes geistiges Element, in dein Flammenathem der starken Recken weht der warme Hauch seelischer Liebe. Da liegt die Verwandtschaft der Germanen zum Christenthum. Beides, germanisch und christlich ist die mittelalterliche Legende von der Liebe des jungfräulichen Kindes zu dem aussätzigen Ritter, eine Liebe ganz Opfer, ganz Seele, und dennoch leise und süß erwärmt von sinnlichem Blute. In dem Kreise dieser Gestalten fanden die Romantiker sich wieder. »O mein Bruder«, sagt Tieck im Phantasus, »gestorben, wie man sagt, sind längst Isalde und Sygune, ja du lächelst über mich, denn sie haben wohl nie gelebt, aber das Menschengeschlecht lebt fort, und jeder Frühling und jede Liebe zündet von Neuem das himmlische Feuer an.…« Ja, in den Schriften von Tieck und Novalis wandelt sie, »die flammende Liebe mit den heiligen Gluthaugen!« Eine neue, entkörperte oder verseelte Sprache haben sie erfunden, um ihre ätherische Erscheinung in sich aufzunehmen. Ich will nur ein paar Töne aus der großen Liebessymphonie anschlagen lassen. Das ist aus Tieck's Phantasus:

»Wie könntet ihr doch die Schönheit nur empfinden oder gar lieben, wenn sie unverwüstlich wäre? Die süße Elegie in der Entzückung, die Wehklage um Adonis und Balder ist ja der schmachtende Seufzer, die wollüstige Thräne der ganzen Natur! Dem Flüchtigen nacheilen, es festhalten wollen, das uns selbst in festgeschlossenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zauber, die Krankheit der Sehnsucht, das vergötternde Schmachten möglich. – – –«

»Kann die Liebe sterben, das Gefühl, das bis in die fernsten Tiefen meines Wesens blitzt und die dunkelsten Kammern und alle Wunderschätze meines Herzens beleuchtet? Nicht die Schönheit meiner Geliebten ist es ja allein, die mich beglückt, nicht ihre Holdseligkeit allein, sondern vorzüglich ihre Liebe; und diese meine Liebe, die ihr entgegen geht, ist mein heiligster, unsterblichster Wille, ja meine Seele selbst, die sich in diesem Gefühl losringt von der verdunkelnden Materie; in dieser Liebe seh' ich und fühl' ich Glauben und Unsterblichkeit, ja den Unnennbaren selbst inmitten meines Wesens und alle Wunder seiner Offenbarung.«

Und noch eine Stelle aus Abdallah setze ich her:

»Ach nein, es ist nicht das, es ist nicht jenes Gefühl, das unsre Dichter so oft beschreiben – kein Mensch hat noch je dieses hohe, heilige, unaussprechliche Wesen in seiner Brust beherbergt, Liebe ist es nicht, es ist das Gefühl der Seligen, mir allein seit Ewigkeiten aufbewahrt, mich aus dieser Welt hinauszureißen; eine allmächtige Woge hat mich auf die hohe, jähe Spitze einer Klippe geschleudert, die Welle sinkt in's Meer zurück und ich stehe schwindelnd über Wolken, von allen Menschen, die einst waren und sind, auf einig abgerissen, die Unendlichkeit um mich her. Die Gottheit hat heute mein Leben von Neuem berührt und durch die leisesten Töne hindurch zittert der allmächtige Stoß.«

Am liebsten und am besten schildert Tieck Liebe, die nur Sehnsucht ist, die verzückte Seligkeit unabsehbarer Trennung. Kein Liebespaar scheint so vollständig sein Ideal zu verkörpern als Jeoffroy Rudell und Melisende, deren Geschichte er im Sternbald erzählt. Dieses wunderbare Feuer, entzündet in der Brust des Troubadour durch die Kunde von der Schönheit einer Dame, die er nie gesehen, die das wilde Meer von ihm trennt; das seinen Leib aufzehrt während der langen Reise zu ihr hin, so daß er sie nur erblickt, um in ihren Armen im Augenblick der grenzenlosesten Erfüllung alles Wünschens zu sterben, eine solche verklärte Flamme der Anbetung hütet er im Heiligthume seines Herzens. »Wie«, sagt Jeoffroy zu den staunenden Menschen, die seine begierdelose Hingebung an die Entfernte nicht verstehen, »wenn sie mir nun selbst im Gemüthe, in meinem Innern wohnt, besitze ich sie dann nicht näher als jeder andre Sterbliche?« Unerschütterlich ist sein Glaube, daß, wenn er sie nun sehen wird, die Wirklichkeit seine Ahnung noch übertrifft. »Ja, so wird es mit aller Schönheit sein, wenn sie sich einst schleierlos unserm entkörperten Auge zeigt.« Zum Beweise, daß dies beständige Ueberschwanken aus der irdischen in die himmlische Liebe nicht nur der Sprache der Dichtung, sondern auch der des Lebens geläufig war, führe ich aus den Briefen des Aesthetikers Solger an seine junge Frau eine Stelle an, wie sich ähnliche in Menge finden: »Ich fürchte nicht zu fehlen, noch zu sehr auf das Irdische und Vergängliche zu bauen, wenn ich mein Glück in deine Hände lege. Denn die wahre Liebe, die Liebe, die allein in deiner reinen Engelseele wohnen kann, ist nicht vergänglich. Sie ist selbst einerlei mit dem Unsterblichen und Ewigen in uns: von dieser reinen Wahrheit ist mein Innerstes durchdrungen, und ich fühle es auch in allen ihren Wirkungen, daß ich mich weder in meinen eigenen Gefühlen täusche, noch in dir. Es ist mir, als wäre ich durch dich geheiligt, als besäße ich nun in sichtbarer Gestalt und als den Gegenstand meiner heißesten Triebe das, was der Religiöse und der Philosoph in fremden Welten sucht.«

Daß in der That Liebe und Religion eins sei, entwickelte Friedrich Schlegel folgendermaßen als Theorie:

Den Zusammenhang mit dem Universum fühlen, das Göttliche anbeten, ist Religion; aber das Göttliche erscheint am reinsten im Menschen, er ist ein Bild des Universums, hat eine Welt in sich. Sie werde geneigt sein, sagt er zu Dorothea, an die er den Brief über die Philosophie richtete, wo diese Stelle vorkommt, im Anschluß an diese Lehre ihm die Frage einzuwerfen: »Wenn es also nur auf die Andacht und auf die Anbetung des Göttlichen ankommt; wenn das Menschliche überall das Höchste ist; wenn der Mann von Natur der erhabenere Mensch ist: so wäre es ja der rechte und wohl der nächste Weg, den Geliebten anzubeten und so die menschenvergötternde Religion der menschlichen Griechen zu modernisiren?« womit er sich einverstanden erklärte, im Falle nämlich, daß der Geliebte einer solchen Symbolisirung fähig und werth sei. »Ich wenigstens«, so fährt er fort, »könnte nicht lieben, ohne auf die Gefahr der Chevalerie etwas anzubeten; und ich weiß nicht, ob ich das Universum von ganzer Seele anbeten könnte, wenn ich nie ein Weib geliebt hätte. Aber freilich, das Universum ist und bleibt meine Losung. Liebst du wohl, wenn du nicht die Welt in der Geliebten findest?«

Zu demselben Schluß kam Novalis, wenn er die Liebe zur Geliebten angewandte Religion nannte, was bei ihm freilich doch noch eine andre Bedeutung hatte als bei Friedrich, der die Liebe, insofern sie ein geistiges Wesen ist, nur mit dem Verstande, nicht mit dem Herzen erfaßte.

Was der gemeine Menschenverstand Sichverlieben nennt, wurde hier zu einem Weltenschicksal, der Begegnung zweier Gestirne, die in geheimnißvoller Weise einander wechselseitig Sonne und Planet sind. Wenn auch sicherlich von jeher jedes liebende Herz seine Liebe mit unbewußter Mystik »meine Welt« genannt hat, so ist es doch noch ein ganz Andres, wenn einem denkenden Menschen ein Mensch Symbol wird für das Höchste, das er zu fühlen und sich vorzustellen fähig ist, ja wenn er gerade das, was über seine Fassungskraft hinausgeht, in diesem Menschen fassen und sich eins machen will. Dann entsteht jenes Gefühl der Unendlichkeit und die Maßlosigkeit, die sich vergeblich in Worten und Zeichen auszudrücken sucht, und die wesentlich verschieden ist von der plastischen Umgrenztheit des antiken Empfindens. Wundervoll malt diesen in's Unendliche verschwimmenden Liebesdrang eine Stelle in Tieck's Genoveva, wo die alte Gertrud dem Golo räth, sich erst listig schmeichelnd in Genoveva's Gunst zu stehlen und dann die ihm halb Hingegebene durch kühne Ueberraschung sich zu erobern.

Golo:
Welch unverständig Wort hast du gesprochen!
Ist es mir drum zu thun als Schalk, als Knecht,
Als Dieb mir ihre Gunst zu stehlen? Fühlst du nicht,
Was sie mir ist, was ich ihr werden möchte? …

Gertrud:
Was wollt ihr denn?

Golo:
Das Ferne und das Nahe,
Das Mögliche, was doch unmöglich ist,
Was ich in meinem Herzen wünsche, was
Der Feige nie besitzen kann, was kaum
Dem auserwählten Edelsten gegönnt ist,
Das heil'ge Feuer, das die Erd' erleuchtet,
Den Glanz beglänzt und Licht der Sonne leiht,
Das, was du nimmermehr verstehen wirst,
Das was – o schweig, verstumme, eitle Zunge!
Was soll der Frühling durch den Winter scheinen?
Wer will die Kirche auf dem Markte halten,
Die große Raserei dem Pöbel pred'gen?

Gertrud:
Ja, rasend seid ihr, so gehabt euch wohl.

Nur Musik, die wesentlich sentimentale Kunst, kann das »Mögliche, was doch unmöglich ist« ausdrücken; daher Tieck's bekannter Vers:

Liebe denkt in süßen Tönen,
Nur in Tönen mag sie gern,
Denn Gedanken steh'n zu fern,
Alles, was sie will, verschönen.

Es versteht sich von selbst, daß bei einer solchen Auffassung der Liebe hohe Ansprüche an die geistigen Fähigkeiten der Frauen gestellt wurden, wie denn alle Romantiker mehr oder weniger die Ansicht Friedrich Schlegel's theilten, daß die Geschlechtsverschiedenheit nur eine Aeußerlichkeit des menschlichen Daseins und am Ende doch nichts weiter sei als eine recht gute Einrichtung der Natur, die man der Vernunft unterordnen und nach ihren höheren Gesetzen bilden dürfe. Auch die hübscheste Frau hätte damals kein Glück gehabt ohne Geist, und eine Gefallsüchtige jenes Zeitalters hätte es umgekehrt machen müssen wie die des jetzigen, die während sie mit Männern zusammen sind, ihre geistigen Interessen in einen Winkel schieben und mit einem bunten Vorhang zudecken. Für den in's tiefste Innere tauchenden Blick des Romantikers war nur die Schönheit schön, die eines liebreizenden Geistes durchsichtige Form ist, und die, mit dem Unsterblichen im Menschen verbunden, in ihrem eigensten Wesen die vergängliche Materie überlebt. Ueber das Alter sah man mit den großen idealistischen Augen hinweg. Man liebte mit derselben himmelstürmenden Leidenschaft Matronen und Kinder. Karoline war 35 Jahre alt, als sich der 24jährige Schelling mit löwenhaftem Ungestüm in sie verliebte. Als sie nach elf Jahren als seine Frau starb, sagte er, daß sie die Gewalt, das Herz im Mittelpunkt zu treffen, bis an's Ende behalten habe. Dorothea war neun Jahre älter als Friedrich, Rahel 13 Jahre älter als Varnhagen. Grillparzer erzählt, was für einen wunderbaren Eindruck diese alternde, keineswegs hübsche, von Krankheit zusammengekrümmte Frau auf ihn machte. Auf der andern Seite hatte die spielende Zuneigung, mit der alle Männer des Freundeskreises Carolines kleine Tochter Auguste behandelten, in ihrer Zartheit und Wärme etwas von Liebe.

Hardenberg's Braut, Sophie v. Khün, war, als er sie kennen lernte, 13 Jahre alt, und dieses Kind machte er zur Sonne seines Lebens. Als die Sonne erlosch, zweifelte er nicht, daß er ihr nach müsse, wie der Körper sich auflöst, wenn das Herz nicht mehr schlägt. Es ist nichts Unerhörtes, wenn auch etwas Seltenes, daß ein Mann sich in der ersten Verzweiflung über den Tod der Geliebten tödtet; aber Novalis dachte durch den bloßen Willen zum Tode, durch den mystischen Umgang mit einer Abgeschiedenen zu sterben. Er wähnte oder hoffte es nicht etwa, sondern beschloß es. Ueber die Liebe zu dem gemalten Bilde eines Mädchens, wie sie Tieck schilderte, schwang sich sein Geist noch hinaus, indem er sich auf ewig einer Todten widmete. »Eine Verbindung, die auch für den Tod geschlossen ist, ist eine Hochzeit, die uns eine Genossin für die Nacht giebt. Im Tode ist die Liebe am süßesten; für den Lebenden ist der Tod eine Brautnacht, ein Geheimniß süßer Mysterien:

»Ist es nicht klug, für die Nacht ein geselliges Lager zu suchen?
Darum ist klüglich gesinnt, wer auch Entschlummerte liebt.«

Wem träfen diese Laute nicht das Herz mit der Gewalt selbstverständlicher Wahrheit? Bedenkt man nun aber die Thatsache, daß Novalis sich schon ein Jahr nach dem Tode seiner Braut wieder verlobte, das häufige Knüpfen und Lösen von Liebesverhältnissen im Leben der Romantiker überhaupt, so könnte man vielleicht höhnisch sagen: Das ist nun die edle, hohe, ewige Liebe! auch die durchsichtigste, verfeinertste Empfindung ist nur ein silberner Dunst, der grobe Sinnlichkeit verschleiert; oder es könnte Einer fragen, ob nicht der simple Mann, der sich schlechtweg in ein hübsches Gesicht verliebt, sein Mädchen heimführt und vielleicht, wenn sie vor ihm stirbt, sich nicht wieder verheirathet, weil ihm keine so gut wie sie gefällt, sich nicht besser auf die echte Liebe versteht als diese Schwärmer mit ihren hochklingenden Worten und spitzfindigen Theorien. Worauf zu entgegnen wäre, daß eben in dem Maße, als das Instinktive in's Bewußtsein tritt, es zunächst an Kraft verliert; Thiere irren sich nicht in der Wahl ihres Lebensgefährten. Das alte Sprüchwort sagt – »Wer die Wahl hat, hat die Qual«. Mit dem Wählenkönnen beginnt die Schwierigkeit der Auslese, die Möglichkeit des Irrens, das Hin- und Hergerissenwerden zwischen mannigfachen Lockungen und Reizungen. Wo einmal die Meinung herrschend geworden ist, die Liebe sei die Hauptsache im Leben, wo der Anspruch entstanden ist, das geliebte Wesen solle einem zur Vervollkommnung und Verklärung behülflich sein, wo zwei eine harmonische Einheit bilden sollen, bekommt die Personenfrage unendliche Wichtigkeit. Soll die Frau dem Manne nur Gattin im körperlichen Sinne, Regiererin seines Hauswesens und Wärterin seiner kleinen Kinder sein, so ist kein Grund, warum er nicht mit jeder gesunden und tüchtigen Frau zufrieden sein sollte. Etwas ganz Andres ist es, wenn wir eine mystische Seelenverbindung mit Jemand eingehen wollen, wenn das eheliche Verhältniß die Grundlage unsres ganzen, auch des innerlichen Lebens sein soll. Wäre nun ein ruhiges Wählen des ganzen, gesammelten Menschen möglich, wären wir unfehlbar, so könnte die erste Liebe uns dauernd befriedigen und die einzige bleiben. Aber die Sinnlichkeit ist nicht weniger thätig als früher, im Gegentheil, da sich das Geistige von ihr abgelöst hat, ist der pure Trieb, der zurückgeblieben ist, um so hitziger und gewaltsamer. Er wirft sich auf einen beliebigen Gegenstand, blindlings, hastig, ehe noch das geistige Gefühl sein Urtheil bilden oder ihm Gehör verschaffen kann. Gerade in der ersten Jugend ist dieser Trieb am unbändigsten. Wie moralisch, ja unheilig erscheint es von diesem Gesichtspunkt aus, wenn man die erste Liebe ewig machen will. Es heißt, den Instinkt sanktioniren. Die Kirche würde hier einwerfen, daß die Ehe eine erziehliche Einrichtung sei, und daß das Individuum desto gründlicher erzogen werde, je widerstrebender das Andre sei, dem es sich anpassen müsse. Aber dieser strenge, unpraktische Idealismus, der Menschen voraussetzt, wie sie in der Wirklichkeit nie oder fast nie zu finden sind, ist dem modernen Menschen fremd. Er will zwar die Natur beherrschen, aber Unnatürliches und Widernatürliches stößt ihn ab. Das Gefühl, daß jeder Organismus etwas Lebendiges, Bewegliches, Veränderliches, Sichentwickelndes ist, durchdringt die Anschauungen auf jedem Gebiete. Zwischen todter Starrheit und gesetzloser Ungebundenheit soll sich die freie Ausbildung bewegen. Schleiermacher sprach sich über das Vorurtheil der ersten und einzigen Liebe folgendermaßen aus. Alles, sagt er, beginne mit instinktiven Regungen, die sich erst durch Uebung zu bestimmtem Wollen und Bewußtsein entwickelten. »Warum sollte es mit der Liebe anders sein als mit allem Uebrigen? Soll etwa sie, die das Höchste im Menschen ist, gleich beim ersten Versuch von den leisesten Regungen bis zur bestimmtesten Vollendung in einer einzigen That gedeihen können? Sollte sie leichter sein als die einfache Kunst zu essen und zu trinken? Auch in der Liebe muß es vorläufige Versuche geben, aus denen nichts Bleibendes entsteht. Bei diesen Versuchen nun kann auch die Beziehung auf einen bestimmten Gegenstand nur etwas Zufälliges, höchst Vergängliches sein, ebenso vergänglich als das Gefühl selbst. Mach dir ja kein solches Hirngespinst von der Heiligkeit einer ersten Empfindung, als beruhte nun Alles darauf, das etwas Ordentliches daraus würde. Die Romane, die dieses beschützen und zwischen denselben zwei Menschen die Liebe vom ersten rohen Anfang bis zur höchsten Vollendung sich in einem Strich fort ausbilden lassen, sind ebenso verderblich als sie schlecht sind.« Gerade das, fährt er fort, daß man glaube, jeden Versuch durch Treue vereinigen zu müssen, sei das Gefährliche. Er versteigt sich zu der Behauptung, einen neuen Versuch mit demselben Gegenstande anzufangen, sei unter Umständen weit widerwärtiger als die Ehe zwischen Schwester und Bruder.

Auch Schleiermacher liebte ja, und zwar gerade während er dies schrieb, eine verheirathete Frau und hat später die Wittwe eines verstorbenen Freundes geheirathet. Er konnte an sich und an vielen Freunden die Erfahrung machen, daß später und mit Bewußtsein gefaßte Neigungen die frühen Jugendlieben an Fülle und Tiefe übertreffen. Es ist wunderbar, wie in dieser Zeit die höchste Idee von der Wichtigkeit und Einigkeit der Liebe mit der weitherzigsten Nachsicht gegen Untreue und allerhand Liebesirrungen zusammengeht. Scheidungen und Wiedervermählungen waren nichts Seltenes. Schelling's Vater, ein braver schwäbischer Pastor, der außer sich war, als sein Sohn auf der Schule in den Verdacht kam, die Marseillaise in's Deutsche übertragen zu haben, nahm keinen Anstand, ihn mit der geschiedenen Frau Wilhelm Schlegel's, deren wechselvolle Vergangenheit ihm gewiß bekannt war, selbst zu trauen. Auch wenn man annimmt, daß Karoline's Liebenswürdigkeit etwaigen Widerstand in ihm besiegte, bleibt es doch bemerkenswerth, mit welcher grenzenlosen Liebe und Hochachtung die alten Pfarrersleute stets von ihrer Schwiegertochter, die 11 Jahre älter als ihr Mann war, sprachen. Wenn auch darüber gesprochen wurde, ging es doch unbeanstandet hin, daß Schleiermacher, ein Geistlicher, innig befreundet mit der schönen Jüdin Henriette Herz und ihr täglicher Gast war, und daß er die Frau eines andren Geistlichen liebte. Daß diese sich zur Scheidung von ihrem Manne nicht entschließen konnte, machte Schleiermacher ihr zum bitteren Vorwurf.

Anderseits aber lebten diese Menschen häuslich und sittlich. Eben daß der geschlechtliche Trieb sich ganz in echter Liebe ausleben sollte, daß nichts davon auf der Gasse verschwendet wurde, machte die offenkundigen, gebildeten Verhältnisse so stürmisch und leidenschaftlich. Je mehr die Liebe in's Bewußtsein tritt, je erhabener man sie auffaßt, desto größer muß auch die Rolle werden, die sie, nicht nur in segensreicher, sondern auch in verhängnißvoller Weise, im Leben spielt. Im Herbste prangen die Blumen in brennenderen Farben als im Sommer, während im Frühling Weiß und blasses Gelb und Blau vorherrscht.

Die entsetzlichsten Folgen gerade für die Liebe hat das Zwiespältige im romantischen Menschen. Er möchte in sich einig sein, möchte in einem Gefühl Alles fühlen, sinnlich und geistig zugleich, aber nur Wenigen wird das zu Theil. Das geistige Gefühl, das mit spiritualistischen Augen die pure Sinnlichkeit beobachtet, schrickt vor ihr zurück. Und dann wieder rächt sich die Natur. Gerade in dem Augenblick, wo der Mensch durch die Schwungkraft der Liebe sich gänzlich von seinem Körper losgerissen zu haben glaubt – ähnliche Wendungen kommen häufig bei Tieck vor – und an das Reich der Geister klopft, fühlt er sich in thierische Faunengestalt verwandelt und stürzt, gelähmt vor Entsetzen, auf die Erde zurück.

Man muß nicht glauben, daß die Romantiker dies Alles nicht vollkommen gewußt und durchschaut hätten. »Gewiß ist die sublimirte Mystik und die ordentlich scholastische Pedanterie in der Metaphysik der Liebe vieler moderner Dichter von echter Grazie sehr weit entfernt«, sagt Friedrich Schlegel. Und Novalis: »Mir scheint ein Trieb in unsern Tagen allgemein verbreitet zu sein, die äußere Welt hinter künstlichen Hüllen zu verstecken, vor der offenen Natur sich zu schämen und durch Verheimlichung und Verborgenheit der Sinnenwesen eine dunkle Geisterkraft ihnen beizulegen. Romantisch ist der Trieb gewiß, allein der kindlichen Unschuld und Klarheit nicht vortheilhaft; besonders bei Geschlechtsverhältnissen ist dies bemerklich.« Und wer wäre sich des Ursprungs der Qualen, die ihn selber zerfleischten, besser bewußt gewesen als Tieck, der im Phantasus sagt: »Im Mittelalter (er hätte sagen sollen im Alterthum) war die übersinnliche, außersinnliche Liebe noch nicht von der sinnlichen getrennt, sondern sie waren mit Leib und Seele verbunden, in der höchsten Vergeistigung gesund, in dem freiesten Scherze unschuldig.« Nun stehen die geistigste und die sinnlichste Liebe getrennt, feindselig einander gegenüber. Eine sinnliche Gluth entsteht in der Romantik, von der der antike Mensch nichts weiß. Zuweilen weht sie nur wie ein feuchter, sanft anschmiegender Athemzug, zuweilen aber mit dem verzehrenden Hauche des Wüstenwindes, der sich tödtlich um den blühenden Reiz der Natur windet. Es ist das lechzende Verschmachten des kranken, zerrissenen Menschen, der einen Abgrund in sich ausfüllen will; des Schattenleibes im Hades, der Blut trinken muß, um irdische Lebenskraft zu gewinnen. Aus den Gräbern des Mittelalters werden sie wieder heraufbeschworen die Helden der furchtbar schönen Unersättlichkeit, die eine dunkle, stürmende Sehnsucht durch's Leben jagt. Faust, der in seinen eigenen Flammen verbrennt. Keiner hat diese mörderische Liebesgluth so zerreißend dargestellt wie Tieck, auch Goethe nicht; wenn auch nur die ihm angeborene Rücksicht auf die Schönheit ihn verhinderte, solche Laute brennender Sinnlichkeit anzuschlagen. Sie so in sich erlebt zu haben, war er zu harmonisch vollendet. In Tieck's Phantasus taucht zuerst das bleiche verwilderte Bild des Tannhäusers wieder auf. Welches Symbol für den modernen Menschen! Dieser Jüngling, dessen dämonische Sehnsucht die Erde nicht sättigt, dem die Göttin der Liebe, hingerissen, ihr unterirdisches Reich öffnet! »So mochte ein Jahr verflossen sein, als meine Angst bis zur Verzweiflung stieg; es drängt mich weiter, weiter hinein in eine unbekannte Ferne, ich hätte mich von den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wiesenfarben, in das kühle Gebrause der Ströme stürzen mögen, um den glühenden Durst der Seele, die Unersättlichkeit zu löschen; ich sehnte mich nach der Vernichtung, und wieder wie goldene Morgenwolken schwebten Hoffnung und Lebensluft vor mir hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den Gedanken, daß die Hölle nach mir lüstern sei……« Die Venus im Hörselberg hat nichts zu thun mit der griechischen Aphrodite, deren Reinheit und ruhige Vollendung der mittelalterliche Mensch nicht mehr verstand; er sah in ihr nur die eine Seite seines Wesens, vor der er sich fürchtete und die ihn lockte, er nannte sie die schöne Teufelin. Das muß man bei Tieck lesen, wie der Balsam ihrer Wonne die heißen, blutenden Wunden seiner Seele schließt, wie in einer seligen Berauschung das ewig drängende, pochende Blut sich beschwichtigt. Nun aber, da der stachelnde Dämon eingeschläfert ist, öffnet der Engel in ihm seine reinen Augen entsetzt und jagt den Bezauberten auf von der weichen Brust, wo er glücklich war. Das ist die Geschichte, die Tieck weniger wohl im Leben als in seiner Phantasie erlebte. Das verzweifelte Hin- und Hergerissensein zwischen der heidnischen Venus und der heiligen Elisabeth ist das Thema fast aller seiner Jugendwerke. Die Schärfe und Wahrheit, mit der das Problem im Lovell zum Ausdruck kommt, macht dies verschmähte Werk so eigenthümlich anziehend und werthvoll. Zuerst die mystische Wonne der jungen Seele, die sich auf den unsichtbaren, starken Flügeln eines guten Engels durch die goldene Fluth des Himmels getragen fühlt, wohin anders könnte es sein, als in den Schoß Gottes, mitten in die Fülle der Liebe, wo alles Weh und Verlangen heilt, wo unerschöpflicher Ueberfluß die irdischen Mängel ausfüllt? Nun kommt der höchste Augenblick, wo die Geliebte sich liebegewährend dem anbetenden Verehrer hingiebt. Aber er macht eine fürchterliche Entdeckung; denn der Durst ist zwar gelöscht, aber an die Stelle der Sehnsucht ist keine Befriedigung der Seele getreten, sondern Wüstheit und Oede. Alles Gute, Schöne und Hohe scheint mit der Sehnsucht hinweggenommen, ja das Leben selbst. War es denn kein Engel, der ihn so leicht über die Erde wegtrug? War es ein höhnender Teufel, der sich mit ihm herabstürzte, als er in die heilige Gottesnähe kam? Oder war es nur die lächerliche Einbildung des Rausches, daß er zu schweben wähnte, und er hatte vielleicht die Erde niemals verlassen? Es war nichts als gemeiner, thierischer Hunger gewesen, den körperliche Speise stillte. Lovell geht an diesem Zwiespalt zu Grunde; er kann den Glauben nicht zurückerobern, den er verloren hat, als er zum ersten Mal die Erfahrung machte, daß seine geistigsten Entzückungen auf sinnliche Genüsse hinausliefen.

Tieck aber, obwohl er kaum 20 Jahre alt war, als er den Lovell schreibt, zieht doch, obwohl er seinen Helden schmählich zu Grunde gehen läßt, nicht den Schluß, es gäbe nichts Geistiges, Edles in der Liebe; vielmehr spricht er klar seinen Glauben an Menschen aus, die sinnliches und geistiges Empfinden in sich verschmelzen und dadurch beides veredeln können. »Wenn der Mensch sich in keiner Stunde durch diese Verbindung gestört fühlt, dann, glaube ich, hat er seine schönste Vollendung als Mann erhalten, er ist über niedriger Wollust und über schaler, fein ausgesponnener und langweiliger Zärtlichkeit gleich weit erhaben.«

Aber Tieck hat seine Liebe und zugleich sein Leben nicht so vollendet gestalten können. Von seiner »lieben Amalie«, mit der er sich als halber Knabe verlobt hatte, weiß man wenig; daß sie einzuschlafen pflegte, wenn er ihr seine Werke vorlas, womit er sonst Jedermann bezauberte, deutet auf geringe geistige Regsamkeit; aus der flüchtigen Art, womit die Freunde des Hauses sie erwähnen, möchte man schließen, daß sie unbedeutend war, aber gutartig und bescheiden. Die Discretion der zahlreichen Freunde Tieck's hat dafür gesorgt, daß nichts Bestimmtes über sein Verhältniß zu der Gräfin Finkenstein, die in seinem Hause lebte und als Familienmitglied betrachtet wurde, bekannt geworden ist; nur das ist sicher, daß das Glück des Hauses durch diese sonderbare Verbindung zerstört war.

Tieck war ein Genie der Freundschaft, der Liebe nicht; die Frauen waren für ihn ein Element, das die sinnliche Hälfte seines Wesens gewaltsam anzog und sich verband, wodurch er den Zusammenhang und die Einheit in sich verlor. Nur der Glückliche, dessen Trieb bewußtlose Weisheit und dessen Geist der Natur befreundet ist, kann sich seinem Herzen hingeben und sein Heil auf die Liebe gründen; diese Grazie und Frömmigkeit des Herzens besaß Novalis. Der Adel seiner Leidenschaft hätte das Seelenlose nicht lieben und die Ueppigkeit seines Geistes sich im Naturlosen nicht wohl fühlen können. Wenn seine Kräfte nicht ganz im Gleichgewicht waren, so lag die Disharmonie darin, daß das Himmlische in ihm das Uebergewicht hatte über das Irdische, oder besser gesagt Sinnliche; denn er lebte ja gern im Lande der Sinne, – so drückte er selbst es aus – nur nicht in dem der Sinnlichkeit. Es war ihm interessant, sich hierin mit seinem Freunde Friedrich Schlegel zu vergleichen, in dessen Lucinde er eine Idealisirung des Vegetativen sah. An Karoline schrieb er darüber: »Merkwürdig verschieden hat auf uns beide die höchste Liebe gewirkt. Bei mir war Alles im Kirchenstyl oder im dorischen Tempelstyl componirt. Bei ihm ist Alles korinthisch.« Seine eigene Ansicht über das Sinnliche in der Liebe hat er in demselben Briefe klar ausgesprochen in den Worten: »Vielleicht gehört der Sinnenrausch zur Liebe wie der Schlaf zum Leben. Der edelste Theil ist es nicht, und der rüstige Mensch wird immer lieber wachen als schlafen. Auch ich kann den Schlaf nicht vermeiden, aber ich freue mich doch des Wachens und wünschte heimlich immer zu wachen.« Noch deutlicher wird die Bedeutung des Bildes, wenn er gelegentlich den Schlaf als eine Entziehung des geistigen Reizes definirt, der für die schwache Organisation des Menschen jetzt noch nothwendig sei; einst aber würden wir immer zugleich wachen und schlafen. Was Friedrich Schlegel's Verstand forderte, daß man in der Geliebten Gott lieben müsse, war dem schönen Gemüthe Hardenberg's natürlich. Darum sagte Karoline, man wisse aus seinen Reden nie, wen er liebe, ob es die Harmonie der Welten oder eine Harmonika sei; Harmonika nannte sie seine Braut, deren Dasein sie vermuthete, ohne ihren Namen zu wissen. Die platonische Liebe, zu der ein Andrer seine Leidenschaft vielleicht erzieht, war die himmlische Lichtnatur seiner elementarsten, dunkelsten Triebe. Nicht nur um seiner Schönheit Willen liebe ich den Geliebten, läßt Plato seine Diotima sagen, sondern weil er mir hilft, das Schöne hervorzubringen. Viele ähnliche Gedanken finden sich bei Novalis, die sicher warm und unmittelbar aus der Erfahrung seines Herzens strömten.

»Das höchste Glück ist, seine Geliebte gut und tugendhaft zu wissen, die höchste Sorge ist Sorge für ihren Edelsinn.«

»Jede unrechte Handlung, jede unwürdige Empfindung ist eine Untreue gegen die Geliebte, ein Ehebruch«

»Eure Ehe sollte eigentlich eine langsame, continuirliche Umarmung, Generation, wahre Nutrition, Bildung eines gemeinsamen harmonischen Wesens sein.«

Der Drang, sich mit der Geliebten zu vervollkommnen, ihr zur Vollendung zu helfen, ist die Seele seiner Liebe; vielleicht ist das die allerfeinste und allergrößeste Selbstlosigkeit der Liebe, daß ihm ihre Vollkommenheit mehr am Herzen lag als seine eigene. Nur muß man nicht denken, daß die Folge dieses Idealismus jemals Unduldsamkeit gewesen sei; seine Phantasie weilte nicht bei etwaigen Mängeln, sondern bei der in Vollendung vorschwebenden Gestalt, der sie zu gleichen bestimmt war.

Es ist eigenthümlich, wie Novalis' Auffassung übereinstimmt mit der Liebestheorie des Naturphilosophen Baader, den er zwar über Alles verehrte, dessen darauf bezügliche Schriften aber erst nach seinem Tode entstanden sind. Allerdings ist der Kern von Baader's Lehre nichts Andres als die Mystik Plato's und Jakob Böhme's, zu welchen beiden alle Romantiker eine innige Verwandtschaft fühlten. Baader's Gedankengang ist etwa so: Adam, so wie ihn Gott zu seinem Ebenbilde geschaffen hatte, war Mann und Weib zugleich, ein ganzer Mensch. Er sank aus seiner höheren Natur in die fleischliche dadurch, daß er nach dem Weibe in ihm gelüstete, und mit dieser Spaltung, der Schöpfung des Weibes aus ihm, wurde das Gottesbild zerstört. Die Wiedervollendung des Gottesbildes ist das Ziel des Menschen. Dies Jedem vorschwebende Bild nennt Böhme Idea oder auch Sophia, Weisheit, weil es nämlich die Menschen zur Vollkommenheit weise. Ein einziger Mensch ist auf der Erde erschienen, in dem beide Naturen Eins waren, Christus, der Gottmensch, der, wie Adam, der erste Halbmensch, am Eingange des alten Testamentes, am Eingange des neuen steht, das die Religion der Liebe verkündet, als Bürge, daß der Mensch das verlorene Paradies wieder gewinnen kann. Auch die Engel, die kein Geschlecht haben, sind Verkörperungen der Androgyne.

Nur hieraus läßt sich begreifen, warum Novalis eine so besondere Freude an dem Namen seiner Braut, Sophie, hatte, und warum er nach ihrem Tode wie ein Feldgeschrei oder eine Parole die Worte: Christus und Sophie! in sein Tagebuch niederzuschreiben liebte.

Wenn nun eine Mannes- und eine Weibesseele fühlen, daß sie mit einander das verlorene Gottesbild herstellen können, so entsteht Liebe. Sie müssen in Sehnsucht zu einander entbrennen, nicht weil sie Hälften eines Ganzen sind, sondern Hälften, aus denen ein Ganzes werden kann. Es ist die Art der Idea, daß sie dem Manne als Frau erscheint, der Frau als Mann, obwohl sie keines von beiden ist. Daraus, daß der Liebende das Bild der Vollkommenheit durch die Gestalt der Geliebten hindurchschimmern sieht, erklärt Baader die Idolatrie der Liebe, und er nennt diese Vision den Silberblick der Liebe, der den meisten Menschen leider allzu rasch entschwinde. Denn in ihrem ersten Stadium ist die Liebe nur Trieb, kräftig, warm, einig, aber gebrechlich. Niemals gleitet sie ganz unmerklich in das zweite über, wo sie bewußt wird. Es bedeutet dasselbe, wenn Friedrich Schlegel einmal sagt: »Was man eine glückliche Ehe nennt, verhält sich zur Liebe wie ein correktes Gedicht zu improvisirtem Gesang«; nur daß man vielleicht in der Art des Ausdrucks eine Vorliebe für das Volksmäßige und also für die Liebe im Gegensatz zur Kunstpoesie und zur Ehe wittern könnte, welche Ansicht aber Schlegel eigentlich fremd war. Man täuscht sich, sagt Baader, wenn man glaubt, die Liebe könne passiv getroffen werden; vielmehr ist sie ein zu lösendes Problem, Gabe und Aufgabe zugleich. Er führt das allerliebste Gleichniß von den Affen an, die, wenn sie die Menschen sich am Feuer wärmen sehen, das zwar ihnen nachmachen, aber, da sie kein Holz nachlegen, bald frierend an der Asche sitzen. Die Aufgabe ist, daß das Bild, das nicht körperlich ist, sondern nur in der Extase der Liebe wahrgenommen wurde, hervorgebracht werde. Gegenseitig sollen Mann und Weib sich behilflich sein, ihre Mannheit und Weibheit in einander zu überwinden und zu ergänzen, welches Wort ja bedeutet ganz machen, trotz der Schmerzen, die diese Entwickelung mit sich bringen muß. Denn das neue Bild kann nicht vollendet werden ohne Zerstörung des alten. Also kommt Baader zu dem Schlusse, daß wahre Liebe nicht sein könne, ohne daß Mannheit und Weibheit ihr geopfert werde; »was auch dagegen sentimentale oder einfältige Dichterlinge und Romanschreiber zur Apotheosirung der Männlichkeit und Weiblichkeit uns vorleiern, womit sie doch nur das Thier im Menschen apotheosiren wollen.«

Jemand sagte einmal von Tieck's Werken, man müsse sie nicht einzeln beurtheilen, sondern alle zusammen als ein Ganzes, wie man etwa einem gothischen Münster gegenüber verfahren müsse; dies ließe sich ebenso gut auf die Romantik selbst anwenden. Denn sie wird erst dann zu einer so majestätischen Erscheinung, wenn man das Ineinandergreifen und Ineinanderwirken aller Ideen sieht, und wie das Eine das Andere erleuchtet, bekräftigt, erweitert, so daß in dem ganzen großen Bilde jedes, was für sich allein betrachtet vielleicht willkürlich oder verzerrt erschien, an seiner Stelle das schönste, wahrste Leben hat. Wie vieles zum Beispiel, ganz unabhängig von Baader Entstandenes vereinigt sich so glücklich mit seiner Anschauung: so die Ansichten Friedrich Schlegel's über die Männlichkeit und Weiblichkeit, daß sie nämlich beide zur höheren Menschlichkeit gereinigt werden müssen, und in Folge dessen seine Sympathie für die antike Meinung, daß edle oder himmlische Liebe nur zwischen Männern zu finden sei; welche Meinung für diejenigen berechtigt ist, die nicht daran glauben oder nicht darauf kommen, daß das Geschlecht zwar nicht vertilgt werden solle, aber doch der Menschheit untergeordnet werden könne. Oder dann, wie schön und bedeutend erscheint auf diesem Grunde der anmuthige Satz Wilhelm Schlegel's: Mystik ist, was allein das Auge des Liebenden an dem Geliebten sieht. Wie klar verständlich wird die fast leidenschaftliche persönliche Liebe zu Jesus in Novalis' geistlichen Liedern. Ganz wundervoll aber ist es, wie auch diese Untersuchung Baader's durchaus aus dem Grundzuge der Romantik erwachsen ist, das Unbewußte bewußt zu machen, aus dem Triebe eine Kunst werden zu lassen. Wie er immer dagegen eifert, Glauben und Wissen als etwas nothwendig Entgegengesetztes zu denken, so bekämpft er hier alle die, welche die Wissenschaft in und für die Liebe als entbehrlich oder unmöglich oder schädlich ansehen; »da ja doch die Schlechtigkeit des nur irdischen, sowie die Vortrefflichkeit des himmlischen Eros darin besteht, daß jener blind, dieser hellsehend ist.«

Insofern als das Wesen der Liebe Sehnsucht nach Einheit und die Kraft ist, das Auseinanderfließende zusammenzufassen, beruht auf ihr die Möglichkeit formellen Lebens überhaupt; so daß man in thatsächlichster Bedeutung sagen kann: inferi sunt ubi non amatur. Wenn aber mit dem Drang nach Vereinigung der nach Vervollkommnung nicht verbunden ist, so ist die Liebe eigentlich nichts als ein Zurücksinken des vom Leben ermatteten Menschen in die wonnige Ruhe der bewußtlosen Natur oder, was dasselbe bedeutet, in den Tod. Das ist der Charakter der heidnischen Liebe, deren verführerischer Schmelz um so mehr anzieht, weil man fälschlich glaubt, er müsse nothwendig dem himmlischen Eros fehlen. Das muß man aber nie vergessen, daß die Romantiker durchaus keine Spiritualisten waren: mit der unantastbaren Seligkeit der himmlischen wollten sie die elementare Kraft und Süßigkeit der irdischen verschmelzen.

Baader beklagte es, daß die Liebe noch nirgends in der modernen Kunst und Poesie würdig dargestellt sei, und wünscht, es möge sich ein Dichter diese Ausgabe stellen; sie müßte, sagt er, als ein rechter Gegensatz zu der Liebe Faust's und Gretchen's erscheinen, die allerdings alle Schönheit des Triebes hat, aber tragisch enden muß, weil sie zum Uebergang in das zweite Stadium nicht durchdringen kann. Novalis hat, weil er kein vollendetes Werk hinterlassen hat, auch eine vollendete Darstellung der Liebe nicht geben können. Wahrscheinlich hätte seine Kraft auch nicht dazu ausgereicht. Aber der Geist dieser Liebe lebt überall in Allem, was er geschrieben hat, durchleuchtet Alles wie die erwärmende Sonne mit der lindernden Zärtlichkeit des Mondes. Wie ein goldener Duft die Bilder mancher italienischer Maler ganz überzieht oder wie der mystische Karfunkelstein der morgenländischen Märchen in die entfernteste Dunkelheit glüht, so ist ein Schmelz von Liebeslust darüber ausgebreitet, zieht der leise, entzückte Athem einer inbrünstigen Seele hindurch. Ich will als Beispiel das Liebesgespräch zwischen Heinrich und Mathilde im Ofterdingen anführen, nachdem sie sich verlobt haben; ohne übrigens bestreiten zu wollen, daß es diesen ätherischen Gebilden an kräftiger, packender Erscheinung mangelt.

»O Geliebte, der Himmel hat Dich mir zur Verehrung gegeben. Ich bete Dich an. Du bist die Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch die er sich mir offenbart, durch die er mir die Fülle seiner Liebe kund thut. Was ist die Religion als ein unendliches Einverständniß, eine ewige Vereinigung liebender Herzen? Wo Zwei versammelt sind, ist Er ja unter ihnen. Ich habe ewig an Dir zu athmen; meine Brust wird nie aufhören, Dich in sich zu ziehen. Du bist die göttliche Herrlichkeit, das ewige Leben in der lieblichsten Hülle.«

»Ach! Heinrich, Du weißt das Schicksal der Rosen; wirst Du auch die welken Lippen, die bleichen Wangen mit Zärtlichkeit an Deine Lippen drücken? Werden die Spuren des Alters nicht die Spuren der vorübergegangenen Liebe sein?«

»O könntest Du durch meine Augen in mein Gemüth sehen! aber Du liebst mich, und so glaubst Du mir auch. Ich begreife das nicht, was man von der Vergänglichkeit der Reize sagt. O sie sind unverwelklich. Was mich so unzertrennlich zu Dir zieht, was ein ewiges Verlangen in mir geweckt hat, das ist nicht aus dieser Zeit. Könntest Du nur sehn, wie Du mir erscheinst, welches wunderbare Bild Deine Gestalt durchdringt und mir überall entgegenleuchtet, Du würdest kein Alter fürchten. Deine irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes. Die irdischen Kräfte ringen und quellen, um es festzuhalten, aber die Natur ist noch unreif; das Bild ist ein ewiges Urbild, ein Theil der unbekannten, heiligen Welt.«

»Ich verstehe Dich, lieber Heinrich, denn ich sehe etwas Aehnliches, wenn ich Dich anschaue.«

»Ja, Mathilde, die höhere Welt ist uns näher, als wir gewöhnlich denken. Schon hier leben wir in ihr, und wir erblicken sie auf das Innigste mit der irdischen Natur verwebt … Wer weiß, ob unsre Liebe nicht dereinst noch zu Flammenfittigen wird, die uns aufheben und uns in unsre himmlische Heimat tragen, ehe das Alter und der Tod uns erreichen. Ist es nicht schon ein Wunder, daß Du mein bist, daß ich Dich in meinen Armen halte, daß Du mich liebst und ewig mein sein willst?«

»Auch mir ist jetzt Alles glaublich, und ich fühle ja so deutlich eine stille Flamme in mir lodern, wer weiß, ob sie uns nicht verklärt und die irdischen Bande allmälig auflöst. Sage mir nur, Heinrich, ob Du auch schon das grenzenlose Vertrauen zu mir hast, was ich zu Dir habe? Noch nie hab' ich so etwas gefühlt, selbst nicht gegen meinen Vater, den ich doch so unendlich liebe.«

»Liebe Mathilde, es peinigt mich ordentlich, daß ich Dir nicht Alles auf einmal sagen, daß ich Dir nicht gleich mein ganzes Herz auf einmal hingeben kann. Es ist auch zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich ganz offen bin. Keinen Gedanken, keine Empfindung kann ich vor Dir mehr geheim haben; Du mußt Alles wissen. Mein ganzes Wesen soll sich mit dem Deinigen vermischen. Nur die grenzenloseste Hingebung kann meiner Liebe genügen. In ihr besteht sie ja. Sie ist ja ein geheimnißvolles Zusammenfließen unseres geheimsten und eigenthümlichsten Daseins.«

»Heinrich, so können sich noch nie zwei Menschen geliebt haben, ich kann's nicht glauben. Es gab ja noch keine Mathilde. Auch keinen Heinrich.…«

Diejenigen, denen diese Sprache unwahr und überschwenglich scheint, haben vielleicht die Gefühle ihrer Jugend vergessen; und was bedeutet es, daß die Erfahrung oft oder meistens die schwindelnden Traumbilder verzückter Liebe zerstört? Was zu überschwänglich erscheint, ist es oft nur nicht genug. Wer weiß, ob nicht sogar der lächerlichen, sich ewig wiederholenden Täuschung jedes Liebespaares, nie zuvor sei so geliebt worden, weil es nie zuvor einen solchen Mann und eine solche Frau gegeben habe, eine Thatsache von selbstverständlicher Klarheit zu Grunde liegt? »Alle Wünsche der Liebenden«, sagt Friedrich Schlegel, »und alle Bilder der Dichter sind buchstäblich wahr: nämlich der klassischen Dichter, der echten Liebenden.« Das war ja die Losung der Romantiker, die stolzesten Phantasien des Glaubens in Wirklichkeit zu versetzen. Grade, was am wunderbarsten und dem Verstande am unzugänglichsten scheint, wählten sie mit Vorliebe zum Stoff für ihr geharnischtes Denken. Daher ihr beständiges Zusammentreffen mit den dunkeln, gewaltigen Weissagungen der Bibel. Auch in Hinsicht auf die Liebe war ihnen jene Verkündigung des Apostel Paulus: »– und werden Zwei ein Fleisch sein. Das Geheimniß ist groß, ich sage aber von Christo und der Gemeinde«; die Behauptung also, daß die Liebe zwischen Mann und Frau ein großes Gleichniß der menschlichen und göttlichen Beziehungen sei, die geläufige und selbstverständliche. Baader erregte bei Manchen Anstoß damit, daß er beständig die geistigsten religiös-philosophischen Vorgänge durch Herbeiziehung erotischer Bilder erläuterte; denn nicht Jeder konnte die Lauterkeit und Unbefangenheit dieser Conquistadoren der Wahrheit begreifen. Das Gefühl, daß die Lösung aller Räthsel im Geheimniß der Liebe liege, trieb sie zum unermüdlichen Fluge gegen diese Sonne. Und wie es fast immer Novalis war, der die romantischen Gedankenträume in dem reinsten Krystall widerspiegelt, so hat er auch diese Ueberzeugung hell und lieblich gefaßt in das Märchen von Hyacinth und Rosenblüthchen; und noch kürzer und schlichter in dem herzlichen Distichon:

 

Welten bauen genügt nicht dem tiefer langenden Sinne,
Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist.

Was man als Motto über fast alle modernen Romane schreiben könnte, wo das gewaltige Drängen und Treiben des Helden stets mit einem Verlobungskuß beschlossen wird. Und auch darin läge also, soviel es auch verspottet wird, eine tiefe Bedeutung und Berechtigung.

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