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Symbolische Kunst.

Alle heiligen Spiele der Kunst sind nur ferne Nachbildungen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig sich selbst bildenden Kunstwerk. Mit andern Worten: Alle Schönheit ist Allegorie.

Fr. Schlegel.

 

»Können Sie ihm den Unterschied zwischen allegorischer und symbolischer Behandlung begreiflich machen«, schrieb Goethe an Schelling in Bezug auf einen jungen Maler Namens Martin Wagner, »so sind Sie sein Wohlthäter, weil sich um diese Axe so viel dreht.« Ob und wie Schelling das ausgeführt hat, weiß ich nicht zu sagen. Zwei Zeitgenossen aber, Tieck und der Aesthetiker Solger, welche ebenfalls über das Verhältniß dieser Begriffe viel nachgedacht hatten, kamen zu dem folgenden Schlusse. Der Punkt, wo Philosophie, Religion und Poesie sich berühren, ist die Mystik. Mystik – so könnte man etwa das, was sie meinten, zutreffend ausdrücken, ist das unmittelbare Gefühl des Einsseins mit der Welt und Gott. Kunst ist angewandte Mystik. Auf bewußt angewandter Mystik beruht die Allegorie, auf unbewußt angewandter die Symbolik. »Beide haben ihre Grenze«, so heißt es in Solger's eignen Worten, »wo die Allegorie in bloßes Verstandesspiel und die Symbolik in Nachahmung der Natur übergeht.« Zwischen diesen beiden äußersten Punkten geht denn in der That die Wellenbewegung der Künste auf und nieder.

Bemerkenswerth ist, daß Solger keineswegs das Allegorische gänzlich verwirft. Wie sollte er auch, als Zögling der Romantiker, die der vom Bewußtsein geleiteten Kunst das Wort redeten, ja, für die das bewußt-unbewußte Schaffen der Höhepunkt der Kunst war. Erst da, wo die Allegorie in Verstandesspiel übergeht, verläßt sie das Gebiet der Kunst. So einfach und schlagend diese Fassung des Unterschiedes zwischen Allegorie und Symbolik ist, so schwierig ist doch die Anwendung im einzelnen Falle, ebenso schwierig wie die unendlich vielen, unendlich feinen Uebergänge aus dem Unbewußten in's Bewußtsein zu erkennen sind.

Daß jeder große Künstler Symboliker gewesen sei und sein müsse, durften die Romantiker, nach dieser Erklärung des Begriffes, füglich behaupten. Für den Materialisten ist die Welt, für den Spiritualisten bedeutet sie etwas, dem Romantiker – oder sage man Künstler oder Idealisten – ist und bedeutet sie gleichviel, wie wenig er sich dieser inneren Ueberzeugung bewußt sein möge. Im Zeitalter der Romantik freilich mußte auch dem naivsten Menschen einmal von irgend woher ein Denk-Reiz aufliegen; die meisten Künstler verstanden sich ebenso gut oder besser auf den Sinn ihrer Schöpfungen als auf das Schaffen.

Da in der neuen deutschen Kunst – wie auch in der Wissenschaft – die Theorie der Praxis vorausgeht, will ich zuerst anführen, welches die Ansichten der ersten romantischen Aesthetiker über die Malerei war. In dem Gespräch über die Gemälde, wo Wilhelm Schlegel und seine Frau Karoline ihre in der Dresdener Galerie gewechselten Betrachtungen niederlegten, definirten sie die Malerei als die Kunst des Scheins gegenüber der Plastik als der Kunst der Formen. Kunst des Scheins, weil Färbung und Beleuchtung, die Mittel, wodurch die Körper erscheinen, nicht etwa nur einen nebensächlichen Reiz des Bildes ausmachten, sondern recht eigentlich die Hauptsache wären; denn eben diesen Schein, den man im gewöhnlichen Leben, wo es einem nur auf die Körper ankommt, nicht sieht, gewissermaßen sogar unaufhörlich vernichtet, den zu sehen solle der Maler uns lehren, indem er ihn idealisirt, ihm einen Körper giebt. Daraus, daß das Erscheinen – das bloße Phänomen, wie Wilhelm sagt – das Wesentliche ist, folgt, daß auf den Körper weniger ankommt. In diesem Gefühl wird auch das Stillleben, eine Gattung, die damals als ganz untergeordnet betrachtet wurde, lebhaft in Schutz genommen. Als die höchste aber empfinden sie die Landschaft. Ganz wurden sie sich nicht darüber klar, warum; sie meinten, weil gerade dort das bloße Phänomen – die Beleuchtung – eine so wichtige Rolle spiele. Unter den Landschaften der Dresdener Galerie zogen die düstern Phantasien Salvator Rosa's sie am Meisten an. Das erklärten sie daraus, »weil er die Natur bloß wie eine Schrift gebraucht, in deren großen Zügen er seine Gedanken hinwirft.«

Da sieht man schon alle Grundzüge einer Symbolik bei einander. Nicht der vergängliche Körper ist das Wesentliche, sondern der erscheinende Geist. Daß das ohne den Körper nicht möglich ist, versteht sich von selbst. Aber darin zeigt sich eben der große Künstler, daß er die Körperwelt nicht so malt, wie wir uns gewöhnt haben sie zu sehen, als Ding an sich, als Hauptsache, als etwas Seiendes, vielmehr als durchsichtige Hülle für etwas Ewiges. »Wenn der Maler dem Schein einen Körper giebt, so muß er ihm ja auch eine Seele einhauchen, und das darf doch wohl seine eigene sein.« Man sieht, wie sehr man die Meinung des Begründers der romantischen Schule mißverstehen würde, wenn man dächte, er wollte das Bild für das vorzüglichste angesehen wissen, das sich schlechtweg durch schöne Farbe und Beleuchtung auszeichnet. Auch der Schein kann materiell aufgefaßt und dargestellt werden.

Als einer der Erstlinge der Romantik erschien bald nach dem Schlegel'schen Gespräche Tieck's Maler-Roman Franz Sternbald. Die Romfahrt eines Schülers von Albrecht Dürer, der für die Romantiker das Muster eines echt deutschen Künstlers war, ist der Inhalt des Buches. Merkwürdig ist es nun, wie, trotz der grenzenlosen Verehrung Dürer's, die überall anklingt, Alles, was Sternbald malt und über Malerei äußert, so weltverschieden von der Kunst seines Meisters ist. Das Mittelalter war für Tieck nichts Andres als ein Gestell, das er mit Kostümen seiner Erfindung bekleidete. Für die ganz moderne Kunst, von der Franz Sternbald träumt, gab es Vorbilder nur in der Phantasie Tieck's und seiner Genossen. Das erste Bild, das Franz selbständig entwarf, war für den Altar einer Dorfkirche bestimmt und stellte die frohe Botschaft von der Geburt des Herrn dar. Es hatte zwei verschiedene Lichtquellen: auf den Bergen dämmert ein dunkles Abendroth – die Sonne ist schon lange untergegangen – und in der Ferne schreiten zwei Engel durch das Korn, von denen ein himmlischer Glanz über die Landschaft ausstrahlt. Dorthin blicken die Hirten in sehnsüchtiger Verzückung, nur ein junger sieht wehmuthvoll der untergegangenen Sonne nach, als sei mit ihr die Freude der ganzen Welt versunken. Ein alter Hirte aber berührt seinen Arm, wie wenn er ihn auf die Herrlichkeit des neuen Lichtes aufmerksam machen wollte, das bereits aufgegangen ist. »Einen solch zarten, trostreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Beschauer in das Gemälde zu bringen gesucht.«

Waldscenen locken den wandernden Maler besonders. Er denkt sich die schattigen Gründe beseelt durch irgend einen leidenschaftlich menschlichen Vorgang, so aber, daß doch die Landschaft die Hauptsache bleibt. »Wenn ich mir unter diesen dämmernden Schatten die Göttin Diana vorübereilend denke, den Bogen gespannt, das Gewand aufgeschürzt und die schönen Glieder leicht umhüllt, hinter ihr die Nymphen in Eile und die Jagdhunde springend, so wird mir das von selbst zum Bilde. Oder stelle Dir vor, daß dieser Fußweg sich immer dichter in das Gebüsch hineinwindet, die Bäume werden immer höher und wunderbarer, plötzlich steht eine Grotte, ein kühles Bad vor uns und in ihm die Göttin, mit ihren Begleiterinnen, entkleidet. Da ist die Einsamkeit, Grün, Felsen und Bäume und die nackte Schönheit majestätischer, hehrer und jungfräulicher Leiber vereinigt: füge vielleicht den Aktäon hinzu, so tritt jener wundersame Schreck und die seltsame Freude noch in das Gemälde, in seinen Hunden kannst Du schon die thierische Wuth und den Blutdurst darstellen, so ist hier das Widersprechendste in ein poetisches Bild nothwendig und schön verknüpft.«

»Oder hier im tiefen Walde die Leiche eines schönen Jünglings, und über ihm ein Freund und die Geliebte im tiefsten Schmerz, vielleicht Venus und Adonis, oder ein lieblicher Knabe, von wilden Räubern erschlagen; die dunkelgrünen Schatten, unter ihnen die blendenden Jugendgestalten, der frische Rasen, die einzelnen zerspaltenen Sonnenstrahlen von oben, die nur das Gesicht und einzelne kleine Theile hell erleuchteten, der Eber oder die Räuber in der Ferne, wie von Gewitterschatten eingehüllt, Alles dies zusammen müßte ein vortreffliches Gemälde der Schwermuth und Schönheit ausbilden.«

Man sieht aus den letzten Worten deutlich, daß nicht der Gegenstand an sich wirken sollte, sondern bestimmt war, den ganz allgemeinen Sinn der Landschaft dem Beschauer desto inniger zu vermitteln. Aber auch so sind die Bilder noch zu gegenständlich, zu begrenzt. Wie die Wirklichkeit eine Schranke ist für unser Sehnen und Streben, so sind alle Figuren, in denen die treibende Natur sich beschränkt und bestimmt, ein Hinderniß für das unendliche Fühlen, das der Maler in's Bild fassen möchte.

»Es wurde Abend, ein schöner Himmel erglänzte mit seinen wunderbaren, buntgefärbten Wolkenbildern über ihm. Sieh, fuhr Rudolph fort, wenn ihr Maler mir Dergleichen darstellen könntet, so wollte ich euch eure beweglichen Historien, eure leidenschaftlichen und verwirrten Darstellungen mit allen unzähligen Figuren erlassen. Meine Seele sollte sich an diesen grellen Farben ohne Zusammenhang, an diesen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und genügen, ich würde da Handlung, Leidenschaft, Composition und Alles gern vermissen, wenn ihr mir, wie die gütige Natur heute thut, so mit rosenrothem Schlüssel die Heimath aufschließen könntet, wo die Ahnungen der Kindheit wohnen, das glänzende Land, wo in dem grünen, azurnen Meer die goldensten Träume schwimmen, wo Lichtgestalten zwischen feurigen Blumen gehen und uns die Hände reichen, die wir an unser Herz drücken möchten. O mein Freund, wenn ihr doch diese wunderliche Musik, die der Himmel heute dichtet, in eure Malerei hineinlocken könntet! Aber euch fehlen Farben, und Bedeutung im gewöhnlichen Sinn ist leider eine Bedingung eurer Knust.«

Auch die Malerei also sollte ihr Gebiet erweitern, in die benachbarten Künste, Musik und Poesie, überfließen. Auch hier sollte alles Ueberflüssige, Alles, was nur Mittel war, beseitigt werden, damit, wie eine Poesie der Poesie, eine Malerei der Malerei entstehe. Nicht alle die Zufälligkeiten der Natur sollten ferner mehr in die Kunst aufgenommen werden. Hat doch die Natur, um sich auszudrücken, die unendliche Zeit und den grenzenlosen Raum, die Kunst nur ein Stückchen Leinwand oder ein paar Verszeilen – was für verschiedene Sprachen müssen sie sprechen, um gleichviel zu sagen! Nur die Essenz der Erscheinungen kann die Kunst geben – Tausende und Tausende von Rosen, immer mehr muß man zusammenpressen, um den einzigen, süßesten Tropfen Rosenöl zu gewinnen.

Ein alter Maler, der im Rufe steht wahnsinnig zu sein und auch vom praktisch bürgerlichen Standpunkte aus so genannt werden muß, zeigt Franz die Gemälde, die er in seiner weltabgeschiedenen Gemüthsversunkenheit entworfen hat. Darunter ist ein Nacht- und Waldstück: in eine fast unkenntliche Masse hat das Dunkel Berg und Thal verschmolzen. Durch diese Nacht zieht ein Pilgrim mit Stab und Muschelhut, eine von verstohlenem Mondschein umzitterte einsame Gestalt. Voll aber ergießt sich die Fluth des Mondlichts auf ein Crucifix, das vom fernen Hügel, wo sich die Wolken theilen, herabglänzt. »Seht«, rief der Alte, »hier habe ich das zeitliche Leben und die überirdische, himmlische Hoffnung malen wollen; seht den Fingerzeig, der uns aus dem finstern Thal herauf zur mondglänzenden Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter als wandernde Pilgrime? Kann etwas unsern Weg erhellen als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der uns belebt, der unsre Kraft aufrecht hält. Hier habe ich gesucht, die Natur wieder zu verwandeln, und das auf eine menschlich künstlerische Weise zu sagen, was die Natur selber zu uns redet; ich habe hier ein sanftes Räthsel niedergelegt, das sich nicht Jedem entfesselt, das aber doch leichter zu errathen steht, als jenes erhabene, das die Natur als Bedeckung um sich schlägt.« Auf Franzens Bemerkung, man könne dieses Gemälde ein allegorisches nennen, erwidert der Alte, alle Kunst sei allegorisch »Was kann der Mensch darstellen, einzig und für sich bestehend, abgesondert und ewig geschieden von der übrigen Welt, wie wir die Gegenstände vor uns sehen? Die Kunst soll es auch nicht. Wir fügen zusammen, wir suchen dem Einzelnen einen allgemeinen Sinn anzuheften, und so entsteht die Allegorie. Das Wort bedeutet nichts Andres als die wahrhafte Poesie, die das Hohe und Edle sucht und nur auf diesem Wege finden kann.« Auch an andern Stellen des Buches wird ausgesprochen, daß das allegorische Gemälde am ehesten erfüllt, was man von der Malerei wünscht. »Hier ist recht der Ort, wo der Maler seine große Imagination, seinen Sinn für Magie der Kunst offenbaren kann: hier kann er gleichsam über die Grenzen seiner Kunst hinausgehen und mit dem Dichter wetteifern.« Als ein Beispiel aus der älteren Kunst wird das berühmte Bild des Orcagna in Pisa angeführt, deswegen weil es das ganze menschliche Leben symbolisch darstelle.

In Tieck's Roman malt nicht nur Franz Sternbald, sondern fast ein Jeder, der auftritt, was er auch sei, mindestens mit der Phantasie, eben um den Malern von Beruf zu beweisen, wie ungenügend ihre Kunst bisher gewesen sei. Seht, ruft Einer aus, den Tieck zum eigentlichen Helden des unvollendeten Buches bestimmt zu haben scheint, wenn ich malen könnte, »dann würde ich einsame, schauerliche Gegenden abschildern, morsche, zerbrochene Brücken über zwei schroffen Felsen, einem Abgrunde hinüber, durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt: verirrte Wandersleute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern, furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus, angefallene und geplünderte Wagen, Kampf mit den Reisenden. Dann wieder eine Gemsenjagd in einsamen, furchtbaren Felsenklippen, die kletternden Jäger, die springenden, gejagten Thiere von oben herab, die schwindelnden Abstürze. Figuren, die oben auf schmalem, überragendem Steine Schwindel ausdrücken und sich eben in ihren Fall ergeben wollen, der Freund, der jenen zu Hülfe eilt, in der Ferne das ruhige Thal. Einzelne Bäume und Gesträuche, die die Einsamkeit nur noch besser ausdrücken, auf die Verlassenheit noch aufmerksamer machen. Oder dann weiter den Bach und Wassersturz mit dem Fischer, der angelt, mit der Mühle, die sich dreht, vom Monde beschienen. Ein Kahn auf dem Wasser, ausgeworfene Netze. Zuweilen kämpft meine Imagination und ruht nicht und giebt sich nicht zufrieden, um etwas durchaus Unerhörtes zu ersinnen und zu Stande zu bringen. Aeußerst seltsame Gestalten würde ich dann hinmalen, in einer verworrenen, fast unverständlichen Verbindung, Figuren, die sich aus allen Thierarten zusammenfänden und unten wieder in Pflanzen endigten: Insekten und Gewürm, denen ich eine wundersame Aehnlichkeit mit menschlichen Charakteren aufdrücken wollte, so daß sie Gesinnungen und Leidenschaften possierlich und doch furchtbar äußerten; ich würde die ganze sichtbare Welt aufbieten, aus jedem das Seltsamste wählen, um ein Gemälde zu machen, das Herz und Sinne ergriffe, das Erstaunen und Schauder erregte.« Das ist die romantische Verwirrung, wie Tieck sie liebte; was seinen letzten Grund darin hat, daß die allmälige Verwandlung des uranfänglichen Chaos in das bewußte Chaos den Grundgedanken der romantischen Philosophie, wie aller Entwickelungsphilosophie überhaupt bildet.

Wem, der diese Phantasien über Malerei liest, drängte sich nicht Böcklin's Name beständig auf die Lippen! Damals, vor hundert Jahren, färbten diese Gemälde-Träume den morgendlichen Himmel des neuen Jahrhunderts; die Wende unsres Jahrhunderts schmückt die wundervolle Wirklichkeit, die Erfüllung. Auch darin ist Böcklin der Künstler, den die Romantiker verlangten und prophezeiten, daß er Maler, Musiker und Dichter zugleich ist; nicht in der Weise der großen Künstler der Renaissance, die oft mehrere Künste neben einander trieben: das Ziel des modernen Künstlers ist, den Geist mehrerer Künste in einer zu umfassen und auszudrücken. Wie fast jeder Prophet ein Moses ist, dem das gelobte Land höchstens von ferne zu schauen vergönnt ist, haben auch die Romantiker eine volle Verwirklichung ihrer Ideen auf dem Gebiete der Malerei nicht erlebt, und als sie endlich kam, war sie von ihren Zeitgenossen nicht heiß ersehnt, wurde nicht augenblicklich erkannt und willkommen geheißen; denn die Romantik war inzwischen erst verachtet, dann vergessen, und als wunderbare, mißdeutete Erscheinungen gingen die ersten Bilder Böcklin's an der Mitwelt vorüber.

Allerdings auch auf die Malerei ihrer Zeit wirkten die Romantiker. Als ihren Ideen am meisten entsprechend rühmten sie den Landschaftsmaler Friedrich, Kaspar David Friedrich, aus Greifswald gebürtig. In seinen Bildern lebte die Stimmung der Ostsee, seines heimatlichen Strandes. Seine Vorfahren waren alle biedere, gewerbtreibende Leute gewesen; er besaß die strenge Rechtlichkeit, Gradheit und Abgeschlossenheit des nördlichen Volkes. Nie hatte er auch nur versucht, eine fremde Sprache zu erlernen, durch und durch deutsch war er und wollte er sein. Er wird geschildert als ein Mann von hagerem, starkknochigem Körper mit bleichem Gesicht und blauen Augen, die tief verborgen unter stark vorspringenden, buschigen blonden Augenbrauen lagen. Er war von melancholischem Temperament, nie zufrieden mit seinen Leistungen, was zusammen ihn vielleicht dahin gebracht hatte, einen Selbstmord zu versuchen, an dessen Ausführung er gehindert wurde. Etwas dunkel Geheimnißvolles schien ihn zu umgeben. Studirt hatte er, wie es damals vielfach geschah, in Kopenhagen, dann in Dresden, wo er Mitglied der Akademie und Professor der Landschaftsmalerei wurde. Aber er blieb immer einsam, fast ohne Verkehr. Die Dämmerung war sein Element, erzählte einer seiner wenigen Freunde; vor dem ersten Morgenlicht und nach Sonnenuntergang pflegte er allein seine Spaziergänge zu machen. Das Zimmer, wo er arbeitete, war stark beschattet; dort brütete er stundenlang über seinen Kunstschöpfungen, die eine schroffe, finstere, eigenthümlich poetische Art hatten.

Sein Grundsatz war, ein Bild solle nicht erfunden, sondern empfunden sein; woraus man schließen darf, daß die seinigen aus einer lyrisch-musikalischen Stimmung heraus entstanden. Zu seinen Besonderheiten gehörte, daß er nie eine Skizze, Karton oder Entwurf irgend welcher Art zu seinen Bildern machte, weil die Phantasie – in ihrem ersten Erguß dort ausgeströmt – dadurch erkalte. Eigen war ihm ferner ein entschiedenes Gefühl für reine Concentration des Lichts, und er behauptete – höchst charakteristisch –, daß ein Traum ihm zuerst die rechte Erkenntniß darüber gegeben habe. Meist malte er Seebilder, die für den damaligen Geschmack barock waren, stets aber die der Ostsee eigenthümlichen Lichtwirkungen mit tiefer Empfindung wiedergaben. Drei Eichbäume neben einem schneebedeckten Hünengrabe – Der Mönch am Meeresstrande – Die Abtei im Eichwalde in Abendbeleuchtung – Felsen mit einem Kreuz im Morgennebel – diese Titel erwecken eine Vorstellung von seiner Art. Es wird erzählt, daß ein Friedrich besuchender Kunstfreund eins seiner Seestücke verkehrt auf die Staffelei gestellt und den dunkeln Wolkenhimmel für die Wellen, das Meer aber für den Himmel gehalten habe. Ein andrer damals berühmter Kunstkritiker hielt ein Bild Friedrich's, das eine weite, neblige Gebirgsferne mit einem einzigen darüberschwebenden Adler darstellte, für ein Seestück, dessen Schönheit und tiefe Bedeutung er anwesenden Damen erklärte. Auch diese kleinen Züge geben eine Idee von dem Charakter der Bilder, bei denen jedenfalls die starke davon ausgehende Stimmung das Wesentliche war.

Der eigentliche Maler der Romantik aber, der auch theoretisch mit Bewußtsein der neuen Richtung anhing, war Philipp Otto Runge, wie Friedrich aus dem Ostseegebiet, aus Wolgast, stammend. Seine Freunde verglichen ihn mit Novalis; wie ein Fremdling auf Erden erschien er ihnen. Ein echt romantischer Charakter insofern, als die eigentlich hervorbringende Kraft ihm fehlte, aufgelöst war in feinstgefasertes Denken und Empfinden. Grade dadurch konnte er mehr als die naiv schaffenden Künstler anregend auf seine Freunde wirken, und da überhaupt Unkundige die Fähigkeit, Pläne zu entwerfen, von der Fähigkeit, Pläne auszuführen, selten genau unterscheiden, erwartete man allgemein das Höchste von ihm. In keinem andern der jungen Maler war die Ueberzeugung so lebendig, daß Alles, was man bisher Kunst genannt habe, überlebt sei, daß der neuen Stufe der Entwickelung, auf der man angelangt sei, auch eine neue Kunst entspreche, die naturgemäß allmälig entstehen müsse. Den Charakter dieser neuen Kunst zu bestimmen, sie zu verkündigen und mit herbeizuführen, ihren triumphirenden Einzug vorzubereiten, war das Ziel, das er sich gesteckt hatte.

Die Kunst der Formen, das war seine Ansicht, hätte bei den Griechen ihren Höhepunkt erreicht. Vergebliches Bemühen sei es, jemals die Plastik wieder zu einer ähnlichen Blüthe bringen zu wollen. Auch innerhalb der Malerei habe es eine Kunst der Formen gegeben, nämlich die Historienmalerei, die den Gipfel zur Zeit der italienischen Renaissance erreicht habe. Der Neuzeit sei es vorbehalten, diejenige Art der Malerei zu entwickeln, die die Griechen kaum gekannt hätten, die mit der Renaissance erst in's Leben getreten sei: die Landschaft.

Und warum die Landschaft? Vielleicht weil in ihr das bloße Phänomen eine so große Rolle spielt, hatte Wilhelm Schlegel gesagt; der Maler giebt der durchleuchteten Luft einen Körper und haucht ihm seine Seele ein. So philosophirte Runge: Zuerst sah man im Geiste, nämlich im Menschen, die Natur, jetzt sieht man umgekehrt den Geist in der Natur. Damals betrachtete man den Menschen wie eine der vielen Gestaltungen der Naturkraft, seine Handlungen wie ein Wirken der Elemente, und diese Anschauung zeitigte das Historiengemälde. Dort kommt ja nicht das geheime Leben des inneren Menschen zur Geltung, sondern die großen, allgemeinen Strömungen, die uns als Massengeschöpf, als Naturwesen kennzeichnen. Michelangelo's jüngstes Gericht nennt er als das Höchste und Aeußerste, was aus dieser Kunstrichtung hervorgegangen sei.

»Jetzt fällt der Sinn«, schreibt Runge in einem Briefe, »mehr auf das Gegentheil. Wie selbst die Philosophen dahin kommen, daß man Alles nur aus sich heraus imaginirt, so sehen oder sollen wir sehen in jeder Blume den lebendigen Geist, den der Mensch hineinlegt, und dadurch wird die Landschaft entstehen, denn alle Thiere und die Blumen sind nur halb da, sobald der Mensch nicht das Beste dabei thut; so drängt der Mensch seine eigenen Gefühle den Gegenständen um sich her auf, und dadurch erlangt Alles Bedeutung und Sprache. Wenn wir so in der ganzen Natur nur unser Leben sehen, so ist es klar, daß dann erst die rechte Landschaft entstehen muß, als völlig entgegengesetzt der menschlichen oder historischen Composition. Die Blumen, Bäume und Gestalten werden uns dann aufgehen und wir haben einen Schritt näher zur Farbe gethan. Die Farbe ist die letzte Kunst, die uns noch immer mystisch ist und bleiben muß, die wir auf eine wunderlich ahnende Weise wieder nur in Blumen verstehen.«

Es ist derselbe Gang den die Dichtkunst genommen hat: die Beseelung der Natur, ihr Mithineinziehen in das Geistesleben des Menschen, verleiht der modernen Poesie seit Goethe ihren Charakter. Wenn denn die Natur, so etwa lief Runge's Gedankengang weiter, für sich nichts Ganzes ist, erst der Beseelung bedarf, ist sie also nur ein Körper, eine Hülle, ein Kleid, und zwar Gottes; denn Gott ist ja eben der unendliche Geist. Gott aber kann man nur ahnen, einzig seiner selbst ist man gewiß: »was du in deiner ewigen Seele empfunden, das ist auch ewig, was du aus ihr geschöpft, das ist unvergänglich; hier muß die Kunst entspringen, wenn sie ewig sein soll.« Gott also, insofern Gott in einem selber zum Bewußtsein gelangt. Demnach ist auch für Runge die Natur der Leib, dem der Künstler seine eigene Seele einhaucht.

Als Erfordernisse eines Kunstwerks stellt er in diesem Sinne folgende auf:

1. Unsre Ahnung von Gott,

2. Die Empfindung unserer selbst im Zusammenhange mit dem Ganzen, und aus diesen beiden,

3. Die Religion und die Kunst; das ist, unsre höchsten Empfindungen durch Worte, Töne oder Bilder auszudrücken

Da er klar empfand, daß das Licht, die Farbe, in der Landschaft eine ganz andre Rolle spiele als im Historiengemälde, wurde die Symbolik der Farbe ein Lieblingsgegenstand seines Nachdenkens, dessen Resultat er in einem kleinen Werk, die Farbenkugel betitelt, niederlegte. Namentlich diese Arbeit brachte ihn in Verkehr mit Goethe, den dasselbe Problem beschäftigte. Auch über die Analogie der Farben und Töne verfaßte er ein Gespräch, worin von dem Satze ausgegangen wird, die Tonleiter in der Musik sei, was die Abstufung der Farben in Weiß und Schwarz.

Mit seinen in Gespräch und Brief entwickelten Theorien gingen nun aber Versuche der Ausführung Hand in Hand. Mit besonderer Vorliebe malte er Blumen, weil sie die Träger der Farbe seien. Er selbst, sagte er, würde keine Blumen-Composition ganz ohne menschliche Figuren malen, weil die neue Kunst noch zu unverständlich sei, um nicht der Vermittlung zu bedürfen. Erst allmälig würden die Künstler die Symbolik der Natur so in ihre Gewalt bekommen, daß sie des erklärenden Beiwerks entrathen könnten, um sich dem Beschauer mitzutheilen.

Beladen mit so viel Absichten und Ideen ließ sich nur schwer und langsam schaffen. Von einem seiner Bilder, der Quelle, sagte er, es solle eine Quelle im weitesten Sinn des Wortes werden: die Quelle aller Bilder, die er noch machen werde, die Quelle der neuen Kunst, die er suche, und auch eine Quelle an und für sich. Auf diesem Bilde liegt eine Nymphe an der Quelle und spielt mit den Fingern im Wasser, wodurch sich Blasen bilden; darin sitzen muntere Knaben und wollen heraus, und wie die Blasen zerspringen, fliegen die Knaben in gewisse zu ihnen gehörige Blumen und Bäume, deren Charakter sie so völlig ausdrücken, daß sie ordentlich körperlich einen Begriff von ihnen geben. Ein Oelgemälde, die Lehrstunde der Nachtigall, war durch folgende Verse Klopstock's entstanden:

Flöten mußt du, bald mit immer stärkerem Laute,
Bald mit leiserem, bis sich verlieren die Töne;
Schmettern dann, daß es die Wipfel des Waldes durchrauscht,
Flöten, flöten, bis sich bei den Rosenknospen
Verlieren die Töne.

Das eigentliche Hauptbild stellte eine weibliche Gestalt dar, die im laubigen Baume auf Amor's Flöte lauscht. Für Runge war aber beinahe das wichtigste die arabeskenartige Umrahmung seiner Bilder. »Ich lasse unten im Bilde ein Stück von der Landschaft sehen. Diese ist ein dichter Wald, wo sich durch einen dunkeln Schatten ein Bach stürzt; dieses ist dasselbe in dem Grunde, was oben der Flötenklang in dem schattigen Baume ist. Und in dem Basrelief kommt oben über wieder Amor mit der Leyer; dann auf der einen Seite der Genius der Lilie, auf der andern Seite der Genius der Rose. Auf diese Weise kommt eines und dasselbe dreimal in dem Gemälde vor und wird immer abstrakter und symbolischer, je mehr es aus dem Bilde heraustritt.« Wahrscheinlich meinte er aus diesem Grunde, daß das Bild dasselbe sei, was eine Fuge in der Musik.

Sein größtes Werk, die vier Tageszeiten, in allen Einzelheiten gründlich zu erläutern, bedürfte es Seiten und Seiten. Kurz gefaßt sollten sie die vier Dimensionen des geschaffenen Geistes bedeuten.

Der Morgen ist die grenzenlose Erleuchtung des Universums.

Der Tag ist die grenzenlose Gestaltung der Creatur, die das Universum erfüllt.

Der Abend ist die grenzenlose Vernichtung der Existenz in den Ursprung des Universums.

Die Nacht ist die grenzenlose Tiefe der Erkenntniß von der unvertilgbaren Existenz in Gott.

Daß diese Bilder nur einen kleinen Kreis von Freunden fanden, versteht sich von selbst. Zu diesen gehörte Tieck, was Runge freilich die Zustimmung vieler Andrer ersetzen konnte; denn Franz Sternbald war ihm in seinem ersten dunkeln Tasten nach der neuen Kunst eine erlösende Offenbarung gewesen. Mit Genugthuung sah Tieck in Runge's Bildern den Zusammenhang von Mathematik, Musik und Farben deutlich vor Augen; aber andrerseits tadelte er das allzuweit gehende Allegorisiren und sah mit Bedenken, welches Uebergewicht hier die Betrachtung über die hervorbringende Kraft erlangt hatte. »Alle echte Kunst, sei sie welche sie wolle«, schrieb er ihm, »ist nur Armirung unsres Geistes, ein Fernrohr unsrer inneren Sinne, durch welches wir neue Sterne am Firmamente unsres Gemüths entdecken wollen: das geheimste Wunder in uns, welches wir nicht aussprechen, nicht denken und nicht fühlen können, diese innerste Liebe sucht ja eben in wehmüthiger, liebender Aengstlichkeit und zitterndem Entzücken nach den magischen, symbolischen Zeichen der Kunst, stellt sie anders und will sie neu gebrauchen. Aber«, fügt er hernach mahnend hinzu, »wenn wir etwas schaffen wollen, müssen wir unserm Tiefsinn eine willkürliche Grenze setzen; so entsteht alle Wirklichkeit, alle Schöpfung, daß die Liebe sich auch in der Liebe ein Ziel, einen Tod setzt: die liebende Angst zieht sich plötzlich in sich zurück und übergiebt ihr Liebstes der Gleichgültigkeit, der Existenz, sonst könnte nie etwas entstehen.«

Runge aber scheute sich nicht, mit einer Folgerichtigkeit, die man immerhin bewundern muß, die äußersten Schlüsse aus seiner Ueberzeugung von der Kunst zu ziehen. Was thäte es, wenn ich ein theoretischer Künstler würde? Freien ist gut, Nichtfreien ist besser. So gebe es auch in der Kunst etwas, das besser sei als Kunstwerke machen. Das Machen, das ihm so schwer wurde, konnte ihm oft als etwas Feindseliges, Hassenswürdiges erscheinen. Immer vergleicht er, was man kann, mit dem, was man thun könnte. Er will ja nichts als sich äußern, sich mittheilen. Wäre der Körper nicht, dieser schwere Vorhang, der Seele von Seele trennt, hätten die Menschen einen Sinn, der sie befähigte, sich gegenseitig unmittelbar wahrzunehmen, brauchte man keine Kunst. »Ich wollte, es wäre nicht nöthig, daß ich die Kunst treibe, denn wir sollen über die Kunst hinaus und man wird sie in der Ewigkeit nicht kennen.«

Die Kunstkritiker, die nach Runge's frühem Tode das Wort über ihn ergriffen, betonten Alle, daß seine Kunst eine Kunst der Arabeske sei. In der modernen Literatur ist es nicht anders: viele Bücher gleichen reizenden Arabesken, denen nichts fehlt als der feste Kern, den sie umranken sollten. Zierrath, Dekoration, was als krönender Schmuck aus dem Stamme herauswächst, ist selbständig geworden und schwankt als ein befremdendes Wunder in der Luft.

»Und wie sollen wir die Weise nennen, in der diese Bilder gedacht erscheinen?« Mit diesen Worten beschließt der Mystiker Görres seine begeisterte Besprechung des verstorbenen Malers. »Sollen wir sie Arabesken heißen? Wir würden ihm Unrecht thun, indem wir, was tiefer Ernst und Sinn gebildet, vergleichen wollten mit dem, was bloß aus spielendem Scherz einer heitern Phantastik hervorgegangen. Die Arabeske ist Waldblume in dem Zauberlande, die höhere Kunst aber windet Kränze aus den Blumen und kränzt damit die Götterbilder.

Nennen wir sie lieber daher Hieroglyphik der Kunst, plastische Symbolik.«

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