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Die neue Religion.

Ihr staunt über das Zeitalter, über die gährende Riesenkraft und wißt nicht, welche neue Geburt ihr erwarten sollt? Auferstehung der Religion.

Friedr. Schlegel.

 

» – – Noch ist Alles nur Andeutung, aber sie verräth eine neue Geschichte, eine neue Menschheit, die süßeste Umarmung einer jungen, überraschten Kirche und eines liebenden Gottes und die innige Empfängniß eines neuen Messias in ihren tausend Gliedern zugleich. Das Neugeborene wird das Abbild seines Vaters, eine neue, goldne Zeit mit dunklen unendlichen Augen, eine prophetische wunderthätige und wundenheilende tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit sein, eine große Versöhnungszeit, ein Heiland, der wie ein echter Genius unter den Menschen einheimisch, nur geglaubt, nicht gesehen werden kann, doch unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brod und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geathmet, als Wort und Gesang vernommen und mit himmlischer Wollust als Tod, unter den höchsten Schmerzen der Liebe, in das Innere des verbrausenden Leibes aufgenommen wird.«

So malte Novalis die neue Religion, die aus dem reichen, wogenden Chaos der Zeit aufsteigen sollte, Unter Friedrich Schlegel's vielen Plänen war der größte und erstaunlichste die Gründung einer neuen Religion, wovon er, im begreiflichen Argwohn, die Freunde möchten etwa kein großes Gewicht darauf legen, mit besonderem Nachdruck zu versichern liebte,wie ernst es ihm damit sei.

Er fühlte sich fähig, dafür wie Luther zu predigen und zu eifern, wie Mohamed »mit dem feurigen Schwert des Worts das Reich der Geister welterobernd zu überziehen«, wie Christus dafür zu sterben. Auch stachelte er unermüdlich die Genossen zum Symbiblisiren an und sah mit Genugthuung, wie ein Direktor, der seine Angestellten mustert, Schleiermacher in seine Religionsreden und Tieck in seinen Jakob Böhme vertieft. Als seinen eigentlichen Mitarbeiter aber betrachtete er Novalis, den Einzigen, von dem keiner der Freunde bezweifelte, daß er Religion habe: ein Punkt, in dem sie sich eifersüchtig controlirten. Er vertheilte die Rollen in der Weise daß Novalis der Christus der neuen Religion werden solle und er sein Paulus, mit welchem Charakter er vorzüglich deshalb Aehnlichkeit zu haben glaubte, weil »eine gewisse Energie und Furie der Wahrheit nur da entstehen kann, wo redlicher Unglaube nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Schwerfälligkeit voranging«.

Als die Zeit seines Unglaubens mußte Friedrich wohl die ruhelosen Jünglingsjahre betrachten, wo er in peinvollem Ringen Gott in sich zu bilden suchte. Damals verlangte er, der Gegenstand des Enthusiasmus müsse für den reifen Mann sein eigenes besseres Selbst sein; das sei nicht Egoismus, sondern das heiße sein eigner Gott sein. Das Heranbilden des eigenen Ich zur Vollkommenheit sah er als das wichtigste Geschäft des Menschen an: das Beste, was ich mir zu denken vermag, ist meine Tugend. Diese Ansicht, eben die, durch welche er sich mit Fichte eins fühlte, entbehrte gewiß nicht der Erhabenheit. Kein Vorwurf ist ungerechter als der, den man wohl machen hört, die Romantiker hätten sich selbst vergöttert, um ungestraft zügellos leben zu dürfen; im Gegentheil erlegt das Bewußtsein, einen göttlichen Keim in sich zu haben, der nach Entwickelung drängt, eine Verantwortlichkeit auf, die eine ebenso große Anregung zur Tugend sein kann, wie irgend eine Aussicht auf himmlische Vergeltung; es kommt nur auf den Gottesbegriff an, den ein Jeder sich macht. Wenn Friedrich gelegentlich davon sprach, daß der große tugendhafte Mensch Gott verachten solle, so ist damit der alte Naturgott, Pan, gemeint, der Gott, der gleichsam dem Menschen gegenübersteht am Anfang der Entwickelung, die Basis der Pyramide, deren Spitze der Mensch ist. So unterscheidet auch Novalis wohl einmal zwei Götter: »Gott und Natur muß man also trennen. Gott hat garnichts mit der Natur zu schaffen; er ist das Ziel der Natur, dasjenige mit dem sie nicht harmoniren soll. Die Natur soll moralisch werden. Der moralische Gott ist etwas viel Höheres als der magische Gott.«

Das Geschick führte nun Friedrich auf einen Begriff, der ihm bis dahin gänzlich gefehlt hatte: den des Universums. Was in diesem Paulus den Umschwung herbeiführte, war nichts Schreck- oder Schmerzhaftes, vielmehr das Glück, das ihm plötzlich begegnete. Vorher hatte er sich immer vereinzelt gefühlt im Kampfe gegen die Welt, die er sich nicht zu assimiliren wußte nun berührte sie ihn liebend und verständnißvoll. Er war wie Einer, der starr über einen Fluß gebückt sein gespiegeltes Bild betrachtet hat und den auf einmal gute Genien umwenden, so daß er Wald und Wolken, Vögel und Menschen sieht, die hinter ihm ihr fröhliches Wesen treiben. Die strenge Sprache römischer Erhabenheit vergaß er nun, und an ihre Stelle trat glühende Anbetung des Universums, in das er »knollig verliebt« zu sein mit großem Wohlgefallen bekannte

»Der Gedanke des Universums und seiner Harmonie ist mir Eins und Alles, … ist ein gewisser, gesetzlich organisirter Wechsel zwischen Individualität und Universalität, der eigentliche Pulsschlag des höheren Lebens und die erste Bedingung der sittlichen Gesundheit. Je vollständiger man ein Individuum lieben oder bilden kann, je mehr Harmonie findet man in der Welt; je mehr man von der Organisation des Universums versteht, je reicher, unendlicher und weltähnlicher wird uns jeder Gegenstand; ja, ich glaube fast, daß weise Selbstbeschränkung und stille Bescheidenheit des Geistes dem Menschen nicht nothwendiger ist als die innigste, ganz rastlose, beinah' gefräßige Theilnahme an allem Leben und ein gewisses Gefühl von der Heiligkeit verschwenderischer Fülle.«

Das neugewonnene Lustgefühl, Glied eines Ganzen zu sein, eines großen, ewigen, vernünftigen Ganzen, war Friedrich's Religion. Die kindlich stolze Freude, die er über diese Eroberung des Universums empfand, theilte sich seiner Umgebung mit und klingt in Schleiermacher's Reden über die Religion nach. Denn was dort nach allen Abstraktionen der Religion bleibt, ist auch nichts weiter als Gefühl des Universums oder: menschliches Gefühl, abgezogen von jeder Einzelerscheinung, einzig bezogen auf das Universum. Schleiermacher's Erklärung, man solle nichts aus Religion thun, aber Alles mit Religion, sie müsse wie eine Musik das Leben begleiten, ist in etwas andern Worten, was Friedrich in seinem Brief an Dorothea sagt: »Obgleich mir aber auch das, was man gewöhnlich Religion nennt, eins der wunderbarsten, größesten Phänomene zu sein scheint, so kann ich doch im strengen Sinne nur das für Religion gelten lassen, wenn man göttlich denkt und dichtet und lebt, wenn man voll von Gott ist; wenn ein Hauch von Andacht und Begeisterung über unser ganzes Sein ausgegossen ist; wenn man nichts mehr in der Pflicht, sondern Alles aus Liebe thut, bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott sagt, nämlich Gott in uns.«

Wieder sind wir mitten in die Paulinische Fehde gegen Kant und Fichte versetzt; nicht ein getrenntes Sollen und Wollen im Menschen ist das Höchste sondern Verschmelzung der beiden, damit nicht Befehl und Gehorsam herrsche, sondern die Freiheit der Liebe. So erklärt sich, wenn Friedrich sagte, daß eine Synthesis von Fichte und Goethe Religion geben würde: Kant und Fichte haben die Philosophie von der einen Seite bis an die Schwelle der Religion geführt, auf der andern lustwandele Goethe in den Propyläen des Tempels. Und wieder denselben Sinn hat seine Bemerkung, daß die antike Religion die Religion des Lebens, das Christenthum die des Todes sei, daß aber Tod und Leben eigentlich eins seien; weshalb Novalis vom Christenthum sagte, es schließe sich an die Antike als der zweite Hauptflügel: »Beide halten das Universum, als den Körper des Engels, in ewigem Schweben, in ewigem Genuß von Raum und Zeit.«

An dem Fichte'schen Element des Wissens, des Gesetzes fehlte es der Zeit nicht, man empfand sogar die Nothwendigkeit, es zurückzudrängen. Nicht Einer unter den Romantikern, der nicht ein paar Lanzen für das Wunder gegen die Aufklärung gebrochen hätte. Sie fühlten, daß das Unbewußte, der wunderthätige Glauben gestärkt werden müsse. Für die neue Zeit hätte man den Satz des Paulus, daß wir im Glauben und nicht im Schauen wandeln, umkehren müssen. Denn die Kraft des Glaubens pflegt zu verkümmern, wenn die des Schauens zunimmt, wie zuweilen der Geist wächst, wenn der Körper schwindet. Aber die Romantiker suchten den schlummernden Magier im Menschen wieder zu erwecken. Neue überwältigende Ansichten des Glaubens und des Wunders tauchten in ihrem Kreise auf. »In dem Augenblick«, sagt eine Notiz von Novalis, »wo ich Gott glaube, ist er.« Wie die Welt ist, weil man sie glaubt; es ist der verdichtetste Idealismus, der zum unbewußten Willen, zur Natur zurückgekehrt. Das Element der schaffenden Glaubenskraft ist im Gegensatz zum protestantischen das katholische, im Gegensatz zum christlichen das heidnische. Dies war das Element, das die Natur in die Religion hineinführte, welche das Christenthum als Schein vernichtet, an welche das Heidenthum glaubt, indem es sie göttlich beseelt. Wie eine Offenbarung empfing man Schelling's jubelnden Ausruf: Kommt her zur Physik und erkennt das Ewige!, und die zahlreichen Entdeckungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaft kamen dem Eifer entgegen, mit dem man ihm Folge leistete. Auch hatte Friedrich der Physik, mit welchem Namen man damals alles Naturwissenschaftliche umfaßte, einen großen Platz in seiner Religion zugedacht: sie sollte die Grundlage der Mythologie bilden. Wie viel mehr konnte man jetzt die Natur personificiren, da man ihre Kräfte als dieselben erkannte, deren Wirken man im eigenen Innern fühlte, und also die Wissenschaft jene Verwandtschaft mit dem Menschlichen bestätigte die das Alterthum geahnt hatte. Friedrich schloß seine Rede über die neue Mythologie damit, daß er die Freunde, an die sie gerichtet war, zum Studium der Physik aufforderte: ihr würden die heiligsten Offenbarungen der Natur entspringen. Eine modern wissenschaftliche Naturreligion könnte man sich wohl aus Schelling's Naturphilosophie herausbilden, und wie sie ihm selber vorschwebte, hat er in flinken Versen zu verstehen gegeben:

 

Gehe weder zur Kirche noch zur Predigt,
Bin alles Glaubens rein erledigt
Außer an die, die mich regiert,
Mich zu Sinn und Dichtung führt,
Das Herz mir täglich rührt
Mit ew'ger Handlung,
Beständger Verwandlung,
Ohne Ruh' noch Säumniß
Ein offen Geheimniß,
Ein unsterblich Gedicht,
Das zu allen Sinnen spricht,
In deren tief gegrab'nen Zügen
Muß, was wahr ist, verborgen liegen,
Durch Form und Bild sie zu uns spricht
Und verhehlet selbst das Inn're nicht,
Daß wir aus den bleibenden Chiffern
Mögen auch das Geheime entziffern
Darum ist eine Religion die rechte
Müßt' sie in Stein und Moosgeflechte
In Blumen, Metall und allen Dingen
So zu Lust und Licht sich dringen,
In allen Höhen und Tiefen
Sich offenbaren und hieroglyphen.

Von eigentlichem Christenthum ist da zunächst keine Spur.

Was für eine andre Welt thut sich uns auf, wenn wir nun zu Novalis gehen und aus seinem bescheidenen Munde Worte hörten wie die: »Unglück ist der Beruf zu Gott« oder »Liebe ist durchaus Krankheit; daher die wunderbare Bedeutung des Christenthums.« Es ist, als ob wir von der brausenden Ueppigkeit der Naturfülle hinweg in ein einsames, thränensüßes Menschenauge sähen. Die Natur duldet das Schwache nicht; den kranken Vogel, der nicht mit nach Süden fliegen kann, tödten seine Gesellen, sagt der Volksmund. In dem ungeheuren Kampfe hat Keines Zeit nach dem zu sehen, was wund am Wege liegen bleibt. Nichts unterscheidet so sehr den Menschen von der Natur, als daß er darauf verfallen kann, Schmerz und Krankheit zu lieben. Das fassungslose Erstaunen der Heiden über den gekreuzigten Gott, ihr gesunder oder ästhetischer Abscheu beweist, daß etwas grundsätzlich Neues darin lag, dem natürlichen Menschen Fremdes. Es ist selten oder unmöglich, daß ein ganz Gesunder die Schönheit in Schmerz, Krankheit und Tod sehen kann ohne Gewaltsamkeit oder Ziererei, und daß nicht andrerseits das ekstatische Wesen des Kranken, der in seinen Leiden schwelgt, abstößt; vielleicht muß man gesund und krank zugleich sein, um sie in eine so ernste Holdseligkeit kleiden zu können, wie Novalis that.

Schelling definirte Krankheit als Abweichung nicht nur von der absoluten Proportion der Kräfte, sondern auch von der individuellen, von der ein bestimmtes Wesen abhängt. Man kann sich nun wohl eine geistige Constitution denken, in der eine Abweichung gar nicht möglich wäre, ohne daß das gebrechliche Produkt gleich zerstört würde; oder eine solche deren Kräfte nicht selbständig genug wären, um aus der Regel zu treten, oder eine unentwickelt kindliche, wo keine Kräfte sich entzweien und gegen einander empören können, weil sie noch eine zusammengefaltete Knospeneinheit bilden. Alle diese Arten der Gesundheit sind weder zuverlässig noch ehrenvoll; aus welchem Grunde auch in der Sage von der Versuchung in der Wüste Christus als der Sünde fähig gezeigt werden sollte. Ohne vorausgegangene Entzweiung ist nicht nur keine Versöhnung, sondern auch keine Liebe möglich, die ja nur zwischen zwei Gesonderten entstehen kann. Und Sondern ist auch ein Abweichen; Baader hat darauf aufmerksam gemacht, daß Sünde von Sondern kommt. Ebenso ist jede Erhöhung der Kräfte eine Abweichung und also eine Krankheit, welche Betrachtung Novalis mit tiefsinniger Feinheit auf die Entwickelung der Organismen angewandt hat, indem er sagt: »Krankheiten der Pflanzen sind Animalisationen, Krankheiten der Thiere Rationalisationen, Krankheiten der Steine Vegetationen.« Krankheiten der Menschen, könnte man hinzu setzen, sind Vergöttlichungen. So muß man andre Aussprüche von Novalis verstehen:

»Krankheiten zeichnen den Menschen vor den Pflanzen und Thieren aus.«

»Man sollte stolz auf den Schmerz sein – ein jeder Schmerz ist eine Erinnerung unseres hohen Ranges.«

»Alle Krankheiten gleichen der Sünde darin, daß sie Transcendenzen sind. Unsre Krankheiten sind alle Phänomene einer erhöhten Sensation, die in höhere Kraft übergehen will.«

Aber nicht allein das ist der Werth jeder Abweichung, Sünde, Krankheit, daß sie auf höhere Stufen, sondern daß sie zur bewußten Harmonie auf derselben führen. »Bedürfniß nach Liebe verräth schon eine vorhandene Entzweiung in uns.« Und eben der Liebe sollen wir bedürfen zum Zwecke der bewußten Einheit. Damit wir Liebe lernen, Kraft zur Vereinigung, sind nach Novalis alle Leiden, Mängel und Negationen des Lebens da. Die Disharmonie führt aus der Monotonie zur Harmonie. Es ist das Wesen der Liebe, das Bedürftige zu wählen, weil sie daran ihre Freiheit und Kraft üben kann, und weil nur der Bedürftige Liebe braucht. Denn Sehnsucht ist die Folge des Mangels und Liebe ist die Ergänzung der Sehnsucht, verhält sich zu ihr wie das Positive zum Negativen. Weßhalb auch jeder Liebende sich selbst erniedrigt, um Alles vom Geliebten zu empfangen. So nennt Novalis die christliche Religion die eigentliche Religion der Wollust. Denn: »Die Sünde ist der größte Reiz für die Liebe der Gottheit; je sündiger sich der Mensch fühlt, desto christlicher ist er. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe.«

Alles zusammengefaßt: um der Freiheit Willen muß Entzweiung sein, denn in der unentzweiten Natur herrscht der Zwang des Triebes, und um der Versöhnung Willen muß Liebe sein. Diesen Gedankengang symbolisirt die Bibel. Das Paradies ist die Unschuld der unbewußten Natur, die Verführung der Schlange der erste Reiz des Bewußtwerdens. »Als der Mensch Gott werden wollte, sündigte er.« Er sonderte sich ab als ein Einzelwesen aus dem chaotischen All, ein stolzes, frevelndes aber doch großes Beginnen, gut und böse zugleich, wie der Charakter der Sünde überhaupt. Der rasende Versuch, aus einem Atom, einem Sandkorn, einem Thiere Gott werden zu wollen, kann nur dadurch gesühnt werden, daß er gelingt. Aber das Gesetz, das die Erkenntniß des Guten und Bösen aufgestellt hat, ist dem ringenden Geschöpf zu schwer. Diese Geschichte erzählt das Alte Testament: Ihr Wissen beleuchtet den Menschen nur ihre Unzulänglichkeit und ihr Kampf erscheint endlos, ohne Aussicht. Da erscheint ein himmlischer Friedensbote, Christus, der Gottmensch. Seine Erscheinung verbürgt den Hoffnungslosen, daß ihre Sünde nicht unsühnbar ist: das Menschliche kann mit dem Göttlichen vereinigt werden durch ein Band. Dies Band ist die Liebe. Das Bild, das Paulus gebraucht, hat darum einen so bezaubernden Realismus: »Ueber Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.«

Ist Religion die Lehre von den Mitteln, sich mit der Gottheit zu verbinden, so ist Liebe, als das Band, das wesentliche Element der Religion. Dies pflegte Novalis in seinen Bemerkungen über Religion zu betonen:

»Das Herz ist der Schlüssel der Welt und des Lebens. Man lebt in diesem hülflosen Zustande, um zu lieben und Andern verpflichtet zu sein. Durch Unvollkommenheit wird man der Einwirkung Andrer fähig, und diese fremde Einwirkung ist der Zweck. In Krankheiten können und sollen uns nur Andre helfen.«

»Giebt es lieblose Naturen, so giebt es auch irreligiöse«

Es ist nun eigentlich durchaus nicht überraschend, daß für Novalis die Begriffe Christenthum und Religion zusammenfielen. Auch Friedrich Schlegel war, trotzdem er fand, es müsse eigentlich so viel Religionen wie Individuen geben, der Meinung, die vollsten Keime der Religion lägen im Christenthum. Der unter den Romantikern beliebte viel gelesene Jakob Böhme hatte sogar die heidnischen Religionen unentwickeltes Christenthum genannt. Wenn allerdings der Kern des Christenthums Vernichtung des Jetzigen, Apotheose der Zukunft ist, wie Novalis sagte, so ist nur der strenge Atheist oder Materialist Nicht-Christ. Auch Schleiermacher erklärte in seinen Reden, obwohl er das Entstehen neuer Religionen weder für unmöglich noch für unerlaubt ansah, das Christenthum für die Universalreligion, in deren Umfang jede mögliche Religion hinein passe und gehöre.

Aber die Entrüstung vieler offizieller Vertreter des Christenthums beim Erscheinen von Schleiermacher's Werk beweist, daß nicht Jeder, der ehrlich überzeugt war, ein guter Christ zu sein, die romantische Definition billigte. Allerdings mochten sie manche der geläufigsten religiösen Begriffe gar nicht wiedererkennen, als Gott, Christus, Unsterblichkeit, ewiges Leben. Von Gott gab Schleiermacher zu verstehen, daß die persönliche Fassung des Gottesbegriffes eher auf eine tiefere Stufe des Bewußtseins gehöre Manchmal kommt es einem vor, als könne man seinen wie Friedrich Schlegel's Gott einfach durch Universum ersetzen. Zuweilen wird deutlich ein Naturgott, Jehovah, und ein Geistgott unterschieden; im Grunde nur zwei Seiten des Einen. Die merkwürdige Ansicht Novalis', Gott müsse hülfsbedürftig sein, damit wir ihn lieben könnten, welche Aufgabe eben im Christenthum gelöst sei, deutet auf die Erfassung Gottes als eines Werdenden oder vom menschlichen Glauben Abhängigen, wie ja denn die Vollkommenheit und Ganzheit nirgends ist als in der Idee des Menschen, der an sie glaubt und sie verwirklichen will. Und darin sind sich Alle einig, daß es einen außerweltlichen und außermenschlichen Gott nicht gebe. »Unter Menschen muß man Gott suchen«, sagt Novalis ebenso wie Jakob Böhme: »Wo willst du Gott suchen? In der Tiefe über den Sternen? Da wirst du ihn nicht finden. Suche ihn nur in deiner Seele, die ist aus der ewigen Natur, darinnen die göttliche Geburt steht;« auch die Mystiker des Mittelalters waren von den eigentlichen Theologen angefeindet worden.

Wie eine hohe Freundesgestalt hegten die Romantiker Christus. Er war ihnen wie ein verklärter Bruder, den man sich ähnlich und doch hoch über sich fühlt und dem man gleich werden will. Bei der Betrachtung einiger Gemälde äußerte Karoline einmal, sie sehe den Erlöser am liebsten als Kind, da das Geheimniß der Vermischung beider Naturen in dem Geheimniß der Kindheit am besten gelöst sei; auch einem Christus von Carraccio, den sie übrigens sehr bewunderte, fehle der Brennpunkt, wo die höchste Kraft und Duldsamkeit zusammentreffen. Ohne jemals darüber nachgedacht zu haben, betrachtet auch sie Christus als Symbol der Androgyne. In seine Mittlerschaft vertiefen sich Schleiermacher und Novalis mit Vorliebe beide aber darin einig, daß die ganze Natur, Brod und Wein, Stein, Blume oder Mensch, zum Mittelglied zwischen Mensch und Gottheit erhoben werden könne Dies war der Punkt, wo monotheistisches Christenthum und pantheistische Naturreligion in einander übergingen; auf nichts aber fahndeten die offiziellen Theologen mehr als auf Symptome des Pantheismus. Als verkappte Pantheisten wurden denn auch die romantischen Christen von ihnen angesehen.

Durchaus eigenthümlich war ihre Ansicht von der Unsterblichkeit. An ein Ueberleben des Todes glaubten Alle, Goethe eingeschlossen, wie es jene marmornen Worte überliefert haben: »Sind denn auch Dinge, die mir nicht anstehen, so komme ich darüber gar leicht hinweg, weil es ein Artikul meines Glaubens ist, daß wir durch Standhaftigkeit in dem gegenwärtigen Zustande ganz allein der höheren Stufe eines folgenden werth werden, sei es nun hier zeitlich oder dort ewig.« Gegen das starke Bekenntniß des Greises, wie reizvoll sind die seelenvollen melodischen Wendungen, die, viele Jahre vorher, der zu frühem Tode bestimmte Jüngling Novalis demselben Gedanken gab: »Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen.… Wenn aber der Körper ein Eigenthum ist, wodurch ich mir die Rechte eines aktiven Erdbürgers erwerbe, so kann ich durch den Verlust dieses Eigenthums nicht mich selbst einbüßen. Ich verliere nichts als die Stelle in dieser Fürstenschule und trete in eine höhere Korporation ein, wohin mir meine geliebten Mitschüler nachfolgen« Er liebte es, sich in dem kühlen Labyrinth des unterirdischen Gottes zu ergehen. Ob er nun den Tod eine Veränderung der Capacität nannte oder eine Selbstbesiegung, die wie jede Selbstüberwindung eine neue, leichtere Existenz verschaffe, daran war kein Zweifel, daß jedem Menschen Gelegenheit, die Vollendung zu gewinnen, gegeben werde. »Sollte es nicht auch drüben einen Tod geben, dessen Resultat irdische Geburt wäre?« Und mit seinen verträumten Gedanken, die er so schmiegsam auszudrücken wußte, dachte dasselbe Tieck:

»Ich ging weiter nach einer alten großen Linde, meinem Lieblingsplatz im Walde. Hier setzte ich mich nieder und lehnte mich an den Stamm des Baumes. Der Wind hatte Nachtschmetterlinge aus den Zweigen geschüttelt, und sie lagen betäubt und schlafend am Boden und zuckten nur zuweilen mit den Füßen. Sie krümmen sich nun, so sagte ich zu mir selbst, und wälzen sich in dumpfer Betäubung, bis die Sonne untergeht und der Mond herauftritt; sie schlafen nicht und wachen nicht. Ist das nicht vielleicht ein Bild unsres räthselhaften Lebens? Liegen wir nicht ebenso am Boden gefesselt und kämpfen und ringen mit uns selbst? Der Tod ist vielleicht der Untergang der Sonne, und wir erwachen wieder und bewegen uns froh und frei.«

Man kann wohl diese Anschauungsweise im Allgemeinen als eine Seelenwanderungstheorie bezeichnen, an die Ahnung einer aufsteigenden Entwickelung der Organismen geknüpft. Nichts von der düstern Härte des irdischen Glaubens lag darin, der dies Wandern der Seele wie eine Strafanstalt betrachtet, vielmehr, wie die Idee durchaus nach wissenschaftlicher Klarheit strebte, war sie auch der Ausdruck stolzer Zuversicht und unersättlicher Lebenslust. Mit dreistem Realismus nannte Novalis die eigentliche bessere Welt die Zukunft. Nirgends anders als auf der Erde – oder denn auf andern Gestirnen – suchte er den Himmel, unter Menschen, die aller ihrer verborgenen Kräfte Herr geworden sind. Tiefsinnig genug wäre also der alte Gemeinplatz, daß des Menschen Himmelreich sein Wille ist. Der Wunsch der Utopisten und Revolutionäre, das Reich Gottes zu verwirklichen, von welchem Friedrich Schlegel den Anfang der modernen Geschichte datirt, wäre demnach nicht an sich ein Mißverständniß, sondern nur verfrüht und überstürzt, und das Gebet, das wir an Gott richten: zu uns komme dein Reich, bezöge sich nur auf Harmonien des Diesseits, sowohl in der Seelenmonarchie jedes Einzelnen wie in der Liebesrepublik der ganzen Menschheit

Meine Behauptung, daß die Romantiker die Ansicht von der Dauer des Individuums nicht nur als eine dämmerige Hoffnung schwelgerisch genährt hätten, ist nun allerdings nicht leicht zu vertheidigen, wenn man nicht schon die Zuversicht, das große Mysterium werde sich empirisch fassen lassen, in's Gewicht will fallen lassen. Am interessantesten ist Baader's Theorie von der Unterscheidung zwischen Materie und Natur, als einem vergänglichen und unvergänglichen Stoffe, welche Baader auch bei Jakob Böhme streng durchgeführt fand, und auf welcher Paulus seine Lehre von der Auferstehung des Fleisches gegründet hat. In dem berühmten Brief an die Corinther beziehen sich darauf die folgenden Sätze:

»Nicht ist alles Fleisch einerlei Fleisch.«

»Und es sind himmlische Körper und irdische Körper. Aber eine andre Herrlichkeit haben die himmlischen und eine andre die irdischen«

»Es wird gesäet verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesäet in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit Es wird gesäet in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesäet ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Hat man einen natürlichen Leib, so hat man auch einen geistlichen Leib.«

»Auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche.«

»Siehe ich sage euch ein Geheimniß: Wir werden nicht Alle entschlafen, wir werden aber Alle verwandelt werden.«

»Denn das Verwesliche muß anziehen das Unverwesliche, und das Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit«

An ein Leben außerhalb des Körpers wird hier durchaus nicht gedacht, nur daß das Dasein eines andern Fleisches, außer dem verweslichen, vorausgesetzt wird: der Astralleib der modernen Spiritisten. Von diesem Standpunkte aus durfte Baader den Vorwurf, die Philosophie des Christenthums sei spiritualistisch, zurückweisen; er nannte sie in der Darstellung des Paulus und Jakob Böhme einen Ideal-Realismus und erinnerte daran, daß durch die Lehre von der Auferstehung des Fleisches das Christenthum, mehr als die Heiden jemals vermocht hätten, den Leib heilig gesprochen habe. Denn da die Auferstehung eigentlich eine Verwandlung ist, leuchtet es ein, daß die Beschaffenheit des »unverweslichen« Leibes von der des natürlichen nicht unabhängig sein kann. Die Herbeiführung dieser Veränderung aber wird wenigstens von Novalis in den Menschen selbst gesetzt, nämlich in die Eroberung seines Willens, der noch in den Ketten des Unbewußtseins liegt; jetzt ist dieser Wille noch der Magier, der dem bewußten Ich Leben oder Sterben oktroyirt, hat aber das Ich seine vollkommene Willkür, hängt es von ihm ab, seinen Willen zu küren, so ist für kein Sterbenwollen in ihm mehr Raum, wenn es leben will.

Nicht naturlos, nur naturfrei wollten die romantischen Idealisten sein. Daß Goethe's Theilnahme für Schleiermacher's erste Reden über die Religion sich in eine gesunde fröhliche Abneigung verwandelte, je christlicher sie wurden, lag zum Theil wohl daran, daß die Begriffe Christenthum und Abtödtung des Natürlichen ihm nun einmal unzertrennlich verbunden waren, dann aber vor allen Dingen, daß Schleiermacher selbst keine Natur war. Seine Sprache war rhetorisch, peinlich platonisirend, ganz unromantisch; er konnte nicht »aus dem Innersten sprechen«. Er wußte selbst genau, daß ihm Gefühl für Natur und Kunst gänzlich mangelte, aber obwohl er den Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Religion ahnte, glaubte er doch ohne sie ihr Wesen erschöpfen zu können. Auch ersetzten ihm Geist und Herz das Fehlende so gut, daß die Mehrzahl der Menschen seine verständigen Auseinandersetzungen viel besser begriffen und williger aufnahmen als romantische aus dunklem Schacht quellende Offenbarungen. Aber sie versiegten bald, und die farbendürstenden Augen derer von der Künstlerzunft vermißten, daß sich in dem klaren Gewässer der tiefe Himmel nicht spiegelte. Friedrich Schlegel sagte von den Reden grausam aber nicht unzutreffend, Religion sei nicht viel darin, übrigens sei es ein gebildetes und freies Buch, ein klassischer Essay.

Auf vielen, vielen Seiten hatte Schleiermacher seine Ansichten über Religion aus einander gesetzt, in denen er von den Romantikern nicht abwich, und doch fanden sie weniger Religion darin, als oft in wenigen flüchtigen Worten von Novalis oder in Wackenroder's einzigem Werklein, das, auch wo es nicht von Gott und göttlichen Dingen handelt, ganz durchdrungen von Religion und durchseelt ist. Daß in einem irdischen Kunstwerk mehr Religion liegen konnte als in einer sinnreichen herzlichen Abhandlung über Religion, beweist, daß der Quell dieser Religion dem der Kunst naheliegt, im Unbewußten nämlich, im Orient, woher ja auch alle Religionen zu uns gekommen sind. Wenigstens alle die, die ein transcendentales oder christliches Element haben und welche man auch die Religionen des Unbewußten nennen könnte. Eine gewisse Dunkelheit, die infolge dessen dem romantischen Religionsbegriff anhaftete, gab ihn der verstiegenen Schwärmerei verworrener Köpfe preis, welche sich schleunig dieses Ausdrucks bemächtigten, um Andre glauben zu machen, daß sie in ihren leersten Augenblicken etwas Unsägliches empfänden. Tieck hat das schwankweise im Gespräch zwischen Autor und Bewunderer dargestellt:

Bewunderer:
Man muß nur jeden Vorsatz zur Religion machen
So kann man über die ganze Welt lachen,
Und das Lachen muß wieder Religion werden,
Dazu die Natur, die wir haben auf Erden,
Und dies mit göttlicher Liebe verbunden,
Einige Blumen noch hineingewunden,
Und Alles in Poesie verschmolzen,
Macht einen schon ziemlich zu einem Stolzen.

Autor:
Mein werther Herr, ich verstehe Sie nicht.

Bewunderer:
Haben Sie das Verstehen nie bis zur Religion getrieben?
Ich dächte dann doch, das sei das wahre Blumen-Lieben.
Die Natur ist immer natürlich,
So bitt ich auch gleichsam figürlich …
Ich mache mir Alles zur Religion
Und sitze dann auf einem gepolsterten Thron.

Autor (nachdem der Bewunderer seine Gedichte vorgelesen hat):
Ich bitte Sie, ich sinke um,
Mir wird im Kopfe gar zu dumm.

Bewunderer:
Sie treiben wohl Ihr Zuhören bis zur Religion? – –
Doch jetzt muß ich geh'n, denn wenn ich bleibe,
Ich das Abschiednehmen bis zur Religion treibe.

Man könnte dies die Nachtseite der Religion nennen. Es sei der christlichen Religion eigenthümlich, sagte Novalis, daß sie den reinen guten Willen des Menschen in Anspruch nehme und sich eigentlich in Opposition zur Wissenschaft befinde; sie gehe vom gemeinen Manne aus, sei der Keim alles Demokratismus und das Licht, das in der Dunkelheit zu glänzen anfange. Aber mit dieser Hälfte von der Goethe's »Gefühl ist Alles« gilt, hätte sich doch kein echter Romantiker begnügt. Auch Novalis hatte den lebhaftesten Sinn für die griechische Kunstreligion und ging ernstlich mit sich zu Rathe, ob seine Erfindung einer neuen Naturmythologie fähig sei.

Wenn man alle Elemente überblickt, die im Chaos der neuen Religion auf- und abflutheten: Monotheismus, Pantheismus, Christenthum, Heidenthum, die Mythologien aller Völker und Zeiten, muß man zugeben, daß es einer Riesenfaust bedurfte, um alle diese streitenden Stoffe in ein Bild voll Wahrheit und Schönheit zusammenzuschmelzen.

Die alten Religionsstifter und Apostel waren Menschen, in denen das Unbewußte noch weit mächtiger wirkte, als wir es uns vorstellen können. Weil sie nicht wußten, woher ihre Ueberzeugungen ihnen zuströmten, glaubten sie innigst an die Göttlichkeit ihres Ursprungs und standen ihnen anders gegenüber als der bewußte Mensch, dem keine magische Bekräftigung von einem scheinbaren Außen zu Hülfe kommt. Deshalb kann man zweifeln, ob es überhaupt im Bereich der Möglichkeit liegt, daß moderne Menschen einen Glauben verkündigen, der für Viele verbindlich sein soll. Je umfangreicher ihr Bewußtsein ist, um so eher kann man fragen, woran sie nicht glauben, als woran sie glauben. Das ließe sich etwa feststellen, daß die Romantiker an eine Dreieinigkeit glaubten, die Trias in der Monas, heiße sie nun Natur, Geist und Seele oder Vater, Sohn und heiliger Geist oder in Jakob Böhme's Worten: »Die Qual der Finsterniß ist das erste Principium und die Kraft des Lichts ist das andre Principium und die Ausgeburt aus der Finsterniß durch des Lichtes Kraft ist das dritte Principium.«

Aber wie wenig hatte ein solches Glaubensbekenntniß die Fülle des religiösen Fühlens erschöpft! Inzwischen, bis Friedrich Schlegel sein Bibelbuch vollendet haben würde, ergoß es sich von Novalis' Lippen in dithyrambischen Offenbarungen, wie die heidnisch-christliche Abendmahlshymne:

Wenige wissen
Das Geheimniß der Liebe,
Fühlen Unersättlichkeit
Und ewigen Durst.
Des Abendmahles
Göttliche Bedeutung
Ist den irdischen Sinnen Räthsel;
Aber wer jemals
Von heißen, geliebten Lippen
Athem des Lebens sog,
Wem heilige Gluth
In zitternden Wellen das Herz schmolz,
Wem das Auge aufging,
Daß er des Himmels
Unergründliche Tiefe maß,
Wird essen von seinem Leibe
Und trinken von seinem Blute
Ewiglich.
Wer hat des irdischen Leibes
Hoheit Sinn errathen?
Wer kann sagen,
Daß er das Blut versteht?
Einst ist Alles Leib,
Ein Leib,
In himmlischem Blute
Schwimmt das selige Paar.
O daß das Weltmeer
Schon erröthete,
Und in duftiges Fleisch
Aufquölle der Fels!
Nie endet das süße Mahl,
Nie sättigt die Liebe sich;
Nicht innig, nicht eigen genug
Kann sie haben den Geliebten.
Von immer zarteren Lippen

Verwandelt wird das Genossene
Inniglicher und näher.
Heißere Wollust
Durchbebt die Seele,
Durstiger und hungriger
Wird das Herz:
Und so währet der Liebe Genuß
Von Einigkeit zu Ewigkeit.

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