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Romantische Philosophie.

Es sind mancherlei Kräfte, aber es ist
ein Gott, der da wirket Alles in Allem.

Paulus, Korinther XII, 6.

 

Durch alle Töne tönet
Im bunten Erdentraume
Ein leiser Ton, gezogen,
Für den, der heimlich lauschet.

Friedr. Schlegel.

 

Als ein Märchenland, wo Alles Wunder ist, denken wir uns die Romantik; und doch dürfte Kant, dem unerbittlichsten Denker, ein Monument darin errichtet werden. Nicht weil er in blaue dunstige Ferne hinein die hängenden Gärten seiner intelligibeln Welt baute oder mit undurchdringlichem Lächeln dem Geisterglauben das Wort redete, sondern weil er den Schwerpunkt der Philosophie in den Menschen verlegte. »Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg«, verkündigte später Novalis. Diesen Weg hat Kant eingeschlagen. Von allen Seiten hatte man in die Weltveste einzudringen gesucht: da entdeckte er eine kleine überwachsene Pforte, die bisher übersehen war, einen unterirdischen Zugang zur Schatzkammer, wo alle werthvollsten Güter aufgespeichert sind. Nun stürzte sich der Strom des Forschens in die dämmerige, unabsehbare Höhle hinein.

Kant's Meinung war gewesen, die Grenzen unsres Erkennens zu zeigen und die Unmöglichkeit, das Ding an sich, den Kern des Erscheinenden zu greifen, so lange wir in die Maske unsrer Sinne und angeborenen Vorstellungen vermummt sind; wie zwei Ritter in Rüstung, wenn sie sich die Hand geben, nicht die Hand selbst, sondern nur das unempfindliche Eisen berühren und fühlen. So etwa sollten sich der Mensch und die Welt gegenüberstehen: zwei Vermählte, denen die erste, blind feurige Umarmung die erträumte Vereinigung und Befriedigung nicht gebracht hat, und die nun, nachdem sie allmälig von ihrer bitteren Enttäuschung und Erkältung zurückgekommen sind, verzichten und sich zu einem freundschaftlichen, schonenden Nebeneinanderleben entschließen. Wie angemessen tapfer und bewundernswerth dies auch unter Umständen sein mag, so ist es doch nichts Andres als ein modus vivendi: der Mensch ist ein geborener Held, der, wie Achilles, auch in weibisches Gewand verkleidet, nach dem Schwerte greift, sowie er eins von ferne klirren hört; ein Königssohn, dessen Natur nach der Krone zu trachten, wie zurückgedrängt sie auch durch Zufall oder Absicht sei, früher oder später desto mächtiger hervorbricht. Daß es dennoch möglich sei, möglich sein müsse, die Welt zu durchdringen, ihre Seele zu berühren, allwissend zu werden, war die erste dunkle philosophische Regung im Kreise der Romantiker.

»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen,
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt,
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenroth«,

diese Goethe'schen Worte erklärte der junge Friedrich Schlegel für seinen Wahlspruch. Goethe, den Vertrauten der Natur, proklamirten sie im Athenäum als ihren Führer, als den Vertreter der neuen Zeit; neben ihm aber einen andern Mann, einen Schüler Kant's, der das, was er Natur nannte, nichtachtend mit dem Fuße von sich stieß: Fichte.

Aus seinen Bildern sehen uns seine großen Augen mit einem fanatischen, zehrenden Geistblick an, der nichts von den wechselnden farbigen und plastischen Gegenständen um sich her wahrzunehmen scheint; man könnte sich aus seinen Augen seine Philosophie erklären: für sie giebt es nichts als das Absolute, ein großes Begriffsgerippe anstatt des athmenden, blutwarmen Naturleibes. Das tollkühne System berührt den Boden nur in dem einen Punkte: Ich bin ich. Von da aus thürmt es sich schwindelnd empor. Wer hinaufklettert, greift vergebens nach einem festen Halte außerhalb, dabei wagt er weder über noch unter sich zu blicken, wo rings der Abgrund des Nichts ist, und die Lust wird dünner und dünner. Es leuchtet ein, daß das nicht Jedermanns Sache ist. Indessen wer geistige Gelenkigkeit und Energie genug besitzt, um den Versuch nicht zu scheuen, bei dem kann die halsbrecherische Uebung sogar zur Passion werden, und er gewöhnt sich daran auf die Gefahr hin, schließlich einmal das Genick dabei zu brechen. Trotzdem, auch wenn man annimmt, die Arbeit des abstrakten Denkens sei der damaligen Jugend nicht so widernatürlich und peinlich gewesen, scheint es erstaunlich, daß eine solche Lehre unter ihr Epoche machen konnte, daß sie, wie es thatsächlich der Fall war, die stürmischen jungen Gemüther jener revolutionären Zeit begeisterte. Die Verwandlung der Welt in ein Ich, die Fichte vornahm, war die heroische That, die ihm die Jüngerschaft der modernen Geister gewann. Dahin drängte die Zeit, es war, was jeder in sich erlebte. Daß die Welt bei Fichte nur eine äußere und das Ich nur ein erkennendes, vorstellendes, bewußtes war, kein fühlendes, dieser Mangel verschwand zunächst vor der Form des mächtigen Gedankens. Es gebe, sagte Fichte, nur zwei Arten der Philosophie: die kritische, die die Grenze des Ich-Bewußtseins nicht überschreite, dies sei die Kant'sche, und im Gegensatz dazu die des Spinoza, welcher jene Grenze überschritten habe. Eine Täuschung ist es zu wähnen, es gäbe noch ein Außerhalb dieser Grenze; denn kann irgend etwas sein außer in unserm Bewußtsein? Was uns von uns unterschieden zu sein, was uns nicht Ich zu sein scheint, ist doch auch wieder nur eine in uns existirende Vorstellung; und weil wir den Begriff des Ich nicht bilden könnten ohne etwas, was nicht Ich ist, müssen wir eine Welt von uns lösen und uns davon unterscheiden. Eine optische Täuschung gleichsam verlegt das Ding an sich nach außen; wir sind es. Auch der stumpfeste Mensch wird geboren mit einer Einbildungskraft, die ihm die Welt schafft: er ist der Gott, der aus dem Chaos Licht werden läßt, den Himmel von der Erde scheidet, den Gang der Gestirne ordnet und nach einem moralischen Gesetz, das er aufstellt, die Handlungen des Geistes regelt.

Daß nichts außer dem Ich sei, war das Packende und Unantastbare in Fichte's Lehre; wäre er nun noch darauf gekommen, daß jene Grenze des Ich-Bewußtseins im Ich selber liegt, daß also das Nicht-Ich ist, aber allerdings nicht außer dem Ich, sondern in ihm, seine dunkle Hälfte, so hätte er in Wirklichkeit die Welt mit eingeschlossen, von der er jetzt abstrahirte und der Natur, die ihm jetzt nichts als vergängliche Materie war, den Geist gegeben. Denn das Ich und die Welt sind, nach einem Worte von Novalis, integrante Hälften.

Gerade in Fichte's Einseitigkeit lag eine verblüffende Größe. Wie ein blinder Riese schritt er durch die Natur und verhüllte sie mit seinem Schatten vor den Blicken derer, die sich ihm anschlossen. Hinreißend und erhebend wirkte sein Glaube an das Allvermögen des menschlichen Geistes. Die Menschheit fing an zu ahnen, was es eigentlich bedeute, daß sie zum Bilde Gottes geschaffen sei. »Was ist denn unsre Würde«, schrieb Friedrich Schlegel, zwanzigjährig, an seinen Bruder, »als die Kraft und der Entschluß, Gott ähnlich zu werden!« Dies tastende Gefühl, daß ein unendliches Ziel und eine göttliche Bestimmung vor dem Menschen liege, erleuchtete Fichte mit dem scharfen Lichte seines Bewußtseins. An dem Gedanken der Einzigkeit und Höhe des Menschen konnte sich der herbe Denker berauschen, und diese abstrakte Trunkenheit, in die er sich zuweilen in seinen Schriften steigerte, ist wohl geeignet, sich dem Leser mitzutheilen. Ich will ein Beispiel herausgreifen, wo er folgendermaßen über die Würde des Menschen spricht:

»Erst durch das Ich kommt Ordnung und Harmonie in die todte formlose Masse Allein vom Menschen aus verbreitet sich Regelmäßigkeit rund um ihn herum bis an die Grenze seiner Beobachtung – und wie er diese weiter vorrückt, wird Ordnung und Harmonie vorgerückt. Durch seine Beobachtung falten sich die Weltkörper zusammen und werden nur Ein organisirter Körper; durch sie drehen die Sonnen sich in ihren angewiesenen Bahnen. Durch das Ich steht die ungeheuere Stufenfolge da von der Flechte bis zum Seraph; in ihm ist das System der ganzen Geisterwelt, und der Mensch erwartet mit Recht, daß das Gesetz, das er sich und ihr giebt, für sie gelten müsse; erwartet mit Recht die einstige allgemeine Anerkennung desselben. Im Ich liegt das Unterpfand, daß von ihm aus in's Unendliche Ordnung und Harmonie sich verbreiten werde, wo noch jetzt keine ist; daß mit der fortrückenden Kultur des Menschen zugleich die Kultur des Weltalls fortrücken werde …… was euch Tod scheint, ist seine Reife für ein höheres Leben – in jedem Momente seiner Existenz reißt er etwas Neues außer sich in seinen Kreis mit fort, bis er Alles in denselben verschlinge: bis alle Materie das Gepräge seiner Einwirkung trage und alle Geister mit seinem Geist Einen Geist ausmachen. – – Das ist der Mensch; das ist jeder, der sich sagen kann: ich bin Mensch. Sollte er nicht eine heilige Ehrfurcht vor sich selbst tragen und schaudern und erbeben vor seiner eigenen Majestät?…«

Diese Ueberzeugung von der schöpferischen Stellung des Menschen im Mittelpunkte der Welt, vorgetragen ohne den empörenden Uebermuth des Emporkömmlings, sondern mit dem angeborenen Bewußtsein, daß Adel verpflichtet, weckte den lauten Wiederhall in der Brust der romantischen Jugend; daß im eigenen Innern die Lösung aller Geheimnisse und der Quell aller Zukunft ruhe, war eben ihr Glaube und ihre Ahnung. Begründen konnte Fichte die unerhörten Forderungen, die er an die Menschen stellte, nur durch das Commandowort: du sollst!, das mit Sternenschrift am Himmel jedes Bewußtseins flammen sollte, eine angeborene moralische Sonne, deren Dasein vorauszusetzen war.

Es ist merkwürdig, wie wenig Beeinflussung eine philosophische Lehre ausübt, wie sie selbst vielmehr von jedem Geiste, der sie auffaßt, Umbildung erfahren muß. Für Manchen mochte Fichte's Ansicht eine Stütze des edelsten Strebens, eine Schule der Erhabenheit sein, schwache und unklare Gemüther sogen sich Gift daraus. Tieck, in dem kein Zug mit Fichte sympathisirte, hat im Lovell unnachahmlich dargestellt, wie zerrüttend die strenge Ich-Wissenschaft auf Kopf und Gemüth wirken konnte. In das gefühlsfromme Herz des Jünglings dringt die Lehre, daß die Natur, die ihn umgiebt, der er sich mit so sehnsüchtiger Innigkeit hinzugeben pflegte, nichts ist als ein Bild, das seine Einbildungskraft ihm vor die Sinne stellt; nirgends, nirgends antwortet seiner Liebe ein begegnendes Gefühl, sich selbst findet er in entsetzlichem Einerlei, wohin sein verlangendes Auge sieht, die ganze Welt ist nur ein Spiegel, der ihm die Ewigkeit seines trostlosen Alleinseins vorhält.

»Ich komme mir nur selbst entgegen
In einer leeren Wüstenei.«

Wie ein Taschenspieler und Zauberer steht er einsam inmitten der wesenlosen Schatten, die er auf die leere weiße Wand wirft, damit er sie nur nicht sieht, die außer ihm das Einzige ist, was ist. Können ihn die Bewegungen der Hampelmänner interessiren, die er selber tanzen läßt? Soll er den Sprüchen lauschen, die die Marionetten aussagen, da er sie ihnen selbst in den Mund gelegt hat? Es ekelt ihn, immer und immer nur die eigenen Stücke aufführen zu sehen.

»Ost schwebt die Welt mit ihren Menschen und Zufälligkeiten wie ein bestandloses Schattenspiel vor meinen Augen. Oft erschein ich mir dann selbst wie ein mitspielender Schatten, der kommt und geht und sich wunderlich geberdet, ohne zu wissen warum. Die Straßen kommen mir dann nur vor wie Reihen von nachgemachten Häusern mit ihren närrischen Bewohnern, die Menschen vorstellen, und der Mondschein, der sich mit seinem wehmüthigen Schimmer über die Gassen ausstreckt, ist wie ein Licht, das für andre Gegenstände glänzt und durch einen Zufall auch in diese elende lächerliche Welt hineinfällt.«

Immer nur sein eigenes Bewußtsein ausschöpfend, geräth er in entsetzliche Verarmung. Dem König Midas ähnlich, dem sich Alles in Gold verwandelte, was er essen wollte, muß er verschmachten, weil er seinem Geiste keine andre Speise als das eigene Ich zu geben hat. Während für denjenigen, den eine Fülle verwandter, befreundeter oder verhüllter Erscheinungen umringt, die Welt ein Schlaraffenland ist, das auszumessen er sich Jahrtausende des Lebens wünscht, steht er gelangweilt, heißhungrig, ausgeleert zwischen den Spiegelbildern seines kranken Ich:

»Ich habe schon oft heimliche Verwünschungen ausgestoßen und gräßliche Sprüche versucht, um die Gegenstände um mich her in andre zu verwandeln Aber noch hat sich mir kein Geheimniß enthüllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberungen geantwortet; es ist gräßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen.…«

Der Zweifel an der Wirklichkeit der sinnfälligen Außenwelt reißt den grübelnden Geist weiter zum wahnsinnigen Zweifel an sich selbst. Mit dieser tollen Selbstvernichtung wechselt aber der Uebermuth des plötzlich König gewordenen Kindes. Denn der bisher als ein Liebender und Anbetender im Heiligthum der Natur gekniet hatte, erfährt auf einmal, daß er ihr Herr ist, der sie gemacht hat, wo sie schön ist, auf dessen Trost sie harrt, wo sie Mängel hat.

Die Wesen sind, weil wir sie dachten.
Im trüben Schimmer liegt die Welt,
Es fällt in ihre dunkeln Schachte
Ein Schimmer, den wir mit uns brachten:
Warum sie nicht in wilde Trümmer fällt?
Wir sind das Schicksal, das sie aufrecht hält!

Ohne Zweifel könnte dies Bewußtsein einen starken Geist zum höchsten Heroismus entflammen; aber den weichlichen Lovell drückt die Würde bald nieder, bald leiht sie ihm den Vorwand, seinen Leidenschaften den Zügel schießen zu lassen.

»So beherrscht mein äußerer Sinn die physische; mein innerer Sinn die moralische Welt. Alles unterwirft sich meiner Willkür, jede Erscheinung, jede Handlung kann ich nennen, wie es mir gefällt; die lebendige und leblose Welt hängt an der Kette, die mein Geist regiert, mein ganzes Leben ist nur ein Traum, dessen mancherlei Gestalten sich nach meinem Willen formen! Ich selbst bin das einzige Gesetz in der ganzen Natur, diesem Gesetze gehorcht Alles.«

Es ist selbstverständlich, daß man nicht Fichte dafür verantwortlich machen kann, wenn junge Leute ihr krankhaft angeschwollenes, leidendes Ich seinem höchst correkten Begriff unterschoben und dann an dieser popularisirten Philosophie zu Grunde gingen. In Novalis' schönem Gemüth entzündete jeder hineingesprühte Ideenfunke eine schlank auflodernde Flamme; wie er nichts erleben konnte, das ihm nicht wohl that und ihn nicht förderte, konnte er auch keinen Gedanken aufnehmen, der nicht neue, lebensvolle Gedanken in ihm belebt hätte. Wie wundervoll vermischen sich Trunkenheit und Besonnenheit in seinem philosophischen Jubelrufe: »Was ich will, das kann ich. Bei den Menschen ist kein Ding unmöglich.« Es könnte scheinen, als ob das Fichte's Sprache wäre; aber wenn er und Novalis »ich« sagten, so hatten sie etwas ganz Verschiedenes im Sinne. Aus Reizungen der Sinne schafft sich der Mensch eine bunte, geräuschvolle, greifbare, ja eine vernünftige Welt: er ist ein Zauberer; aber ich zaubere, ohne es zu wissen, also bin ich es nicht, sondern ein andres Ich, das jenseit meines Bewußtseins herrscht, vollzieht in jedem Augenblick diese unerhörte Verwandlung. Wenn es mir gelingt, mich dieses transcendentalen Ich zu bemächtigen, dann bin ich Zauberer, dann bin ich erst in Wahrheit ganz Ich. An ihrem pfeilgraden, stolzen Falkenfluge erkennt man die Gedanken Novalis'. Offenbar war es ihm, daß der Mensch sein inneres Königreich noch nicht ganz kannte, geschweige denn beherrschte, aus einer unabsehbaren Tiefe, wohin der Blick nicht dringen konnte, drang der Ton mächtigen Lebens, und ohne Weiteres wagte er den verwegenen Harrassprung hinunter. Die beiden Reiche zu verbinden, unter ein Scepter zu bringen, die unbewußte Zauberkraft bewußt und dadurch sich erst zu eigen zu machen, war sein Programm für die Zukunft der Menschheit, die Aufgabe, die er ihr stellte. Man soll ihn selbst sprechen hören:

»Der größte Zauberer würde der sein, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereien wie fremde selbstmächtige Erscheinungen vorkämen. Könnte das mit uns nicht wirklich der Fall sein?«

»Unser Körper soll willkürlich, unsere Seele organisch werden.«

»Willkürliche Glieder sind Sinne in strengerem Sinn. Vermehrung und Ausbildung der Sinne gehört mit zu der Hauptaufgabe der Verbesserung des Menschengeschlechts, der Graderhöhung der Menschheit. Bildung und Vermehrung der Seele ist das wichtigste und erste Unternehmen.«

»Der Mensch ist diejenige Substanz, welche die ganze Natur unendlichfach bricht, d. i. polarisirt. Die Welt des Menschen ist Welt, ist so mannigfach, als er mannigfach ist. Die Welt der Thiere ist schon ärmer und so herunter.«

»Kunst, unsern Willen total zu realisiren. Wir müssen den Körper wie die Seele in unsere Gewalt bekommen. Der Körper ist das Werkzeug zur Bildung und Modifikation der Welt; wir müssen also unsern Körper zum allfähigen Organ auszubilden suchen. Modifikation unsres Werkzeugs ist Modifikation der Welt.«

»Werkzeuge armiren den Menschen. Man kann wohl sagen, der Mensch versteht eine Welt hervorzubringen, es mangelt ihm nur am gehörigen Apparat, an der verhältnißmäßigen Armatur seiner Sinneswerkzeuge. Der Anfang ist da.«

»Unser ganzer Körper ist schlechterdings fähig, vom Geist in beliebige Bewegung gesetzt zu werden. Die Wirkungen der Kunst, des Schreckens, der Traurigkeit, des Neides, des Zorns, der Scham, der Freude, der Phantasie u. s. w. sind Indikationen genug. Ueberdem hat man genugsam Beispiele von Menschen, die eine willkürliche Herrschaft über einzelne, gewöhnlich der Willkür entzogene Theile ihres Körpers erlangt haben. Dann wird jeder sein eigener Arzt sein und sich ein vollständiges, sicheres und genaues Gefühl seines Körpers erwerben können, dann wird der Mensch erst wahrhaft unabhängig von der Natur, vielleicht sogar im Stande sein, verlorene Glieder zu restauriren, sich bloß durch seinen Willen zu tödten und dadurch erst wahre Aufschlüsse über Körper, Seele, Welt, Leben, Tod und Geisterwelt erlangen. Es wird vielleicht dann nur von ihm abhängen, einen Stoff zu beseelen – dann wird er vermögend sein, sich von seinem Körper zu trennen, wenn er es für gut findet.«

Ganz wie Fichte nannte Novalis den menschlichen Körper den einzigen Tempel, den es in der Welt gebe: »man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet«, und ganz wie Fichte verlangt er vom Menschen, daß er Erzieher der Natur sei, die moralisch werden müsse durch ihn. Anderseits hatte auch Fichte von der Theilbarkeit des Ich gesprochen und das, was er Nicht-Ich nannte, das Objekt, als wiederum theilbar, dem theilbaren Ich in ihm selber entgegengesetzt, so daß man hätte meinen sollen, er hätte an der Realität der Außenwelt, die das Ich in sich hat, ihr wirkliches Dasein überhaupt und ihren Zusammenhang mit dem Menschen erkannt. Aber bei Fichte blieb Alles todter Begriff, was Novalis lebendig machte. Wenn Novalis sagte, die Natur sei ein encyklopädischer, systematischer Index oder Plan unseres Geistes, so konnte Fichte das unterschreiben; aber er gehörte zu denen, die sich »mit dem bloßen Verzeichniß unsrer Schätze begnügen« wollen, während Novalis aufforderte, sie selbst zu betrachten, zu bearbeiten und zu benützen. »Das Fatum, das uns drückt«, sagte er, »ist die Trägheit unsres Geistes. Durch Erweiterung und Bildung unsrer Thätigkeit werden wir uns selbst in das Fatum verwandeln. Alles scheint auf uns hereinzuströmen, weil wir nicht herausströmen. Wir sind negativ, weil wir wollen; je positiver wir werden, desto negativer wird die Welt um uns herum, bis am Ende keine Negation mehr sein wird, sondern wir Alles in Allem sind. Gott will Götter.«

So flößte Novalis Blut und Seele in das starre Knochengerüst von Fichte's System und bemerkte gar nicht, daß er selbst der Schöpfer dieses pulsirenden Lebens war. Daß das Fichte'sche Ich eine Versteinerung war, losgerissen von dem Zusammenhang der lebendigen Natur, empfanden alle diejenigen, die den Strom ihrer unendlich entwickelnden Kraft in sich auf- und abschwellen fühlten. Viele, die sich an Kant und Fichte gebildet und die wissenschaftliche Methode dankbar angenommen hatten, geriethen in eine trotzige Widersetzlichkeit, als sie inne wurden, daß der Quell der Liebe in ihnen verschüttet werden sollte. Im Jahre 1796 verfaßte Franz Baader eine Schrift gegen Kant, die damals ungedruckt blieb, worin er dessen moralischen Imperativ angriff, da ein Mensch, der nur einem »du sollst« gehorchend gut handle, daneben ein abgefeimter Bösewicht sein könne. Auf die moralische Willensveränderung komme Alles an, von der Kant, die Natur für unheilbar böse haltend, nichts wisse, und im Gegensatz zu dem Kantischen: lex est res surda et inexorabilis führt er zwei Sprüche frommer und menschenfreundlicher Heiden an, den des Seneca: Sanabilibus aegrotamur malis, nosque in rectum genitos, si sanari velimus, natura adjuvat; und den des Plinius: Deus est mortali juvans mortalem. Ebenso Schelling: »Nur in dem Punkte, wo das Ideal uns selbst ganz auch das Wirkliche die Gedankenwelt zur Naturwelt geworden ist, allein in diesem Punkte liegt die letzte, die höchste Befriedigung und Versöhnung der Erkenntniß, wie die Erfüllung der sittlichen Forderungen allein dadurch erreicht wird, daß sie uns nicht mehr als Gedanken, z. B. als Gebote erscheinen, sondern zur Natur unsrer Seele und in uns wirklich geworden sind.«

Man sieht, daß sich hier ein uralter Kampf erneuern sollte, denselben, den Paulus gegen das Gesetz kämpfte als Verkündiger der Religion, der Freiheit und der Liebe.

Denn durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde

So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben.

Denn Christus ist des Gesetzes Ende, wer an den glaubt, der ist gerecht.

Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben gerecht würden.

Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.

Die Liebe thut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

Setzt man für Gesetz Erkenntniß oder Absicht, für Glauben Trieb oder Instinkt, so sieht man, daß Liebe in Paulus' Sinne nichts andres ist als was die Romantiker Vereinigung von Trieb und Absicht, Bewußtem und Unbewußtem nannten: ist der Instinkt durch die Erkenntniß, als durch seinen Zuchtmeister, so erzogen, daß ihm das Gute natürlich geworden ist, so ist er frei von ihm oder eins mit ihm in Liebe. Es ist begreiflich, daß die Romantiker, denen die Berührung von Natur und Bewußtsein im Ich eigenthümlich war, die die beiden Hälften des theilbaren Ich gleichmäßig zu werthen wußten, Fichte eine Zeit lang vergöttern konnten als geborenen Zuchtmeister, eine Verkörperung beinah des Gesetzes, aber als er die Alleinherrschaft beanspruchen wollte, sich widersetzten im Hochgefühl, daß sie nicht der Magd Kinder seien, sondern der Freien. Höchst charakteristisch ist es, wie sich die Glieder des Freundeskreises zu ihm stellten: die beiden Schlegel, denen wie ihm selbst ein gänzlicher Mangel an Natursinn eigenthümlich war, vermißten nichts Wesentliches an seiner Philosophie und waren auch diejenigen, die ihm den Thron aufgerichtet hatten; Novalis hielt für selbstverständlich, daß er den Uebergang zur Natur noch einschlagen würde und hielt an ihm fest, solange er diese Ueberzeugung hatte; Wackenroder mochte sich nie mit ihm beschäftigt haben, Tieck empfand ihn geradezu als etwas Feindseliges. Den Dämmerungsmenschen war er zu grell und schneidend; sie waren wie Kinder, die auch nicht für einen Augenblick, einem kurzen abenteuernden Streifzuge zu Liebe das Kleid der Mutter loslassen mochten. Nur von ihr wollten sie Alles lernen und erfahren. »Wer die Erde so wie eine geliebte Braut an sich zu drücken vermöchte, daß sie ihm in Angst und Liebe gern ihr Kostbarstes gönnte!« Hundertmal zurückgestoßen schmiegte sich Tieck doch immer wieder an den geliebten Leib der Natur, unerschütterlich in dem rührenden Glauben, sie lebe wie er und müsse sich einmal ihm offenbaren.

»Ich erinnere mich aus meiner Kindheit, daß uns die weite Natur mit ihren Bergen in der Ferne, mit dem hohen gewölbten blauen Himmel, mit den tausend belebten Gegenständen, wie mit einem gewaltigen Entsetzen ergreifen kann. Dann streicht der Geist der Natur unserm Geiste vorüber und rührt ihn mit seltsamen Gefühlen an, die wankenden Bäume sprechen mit verständlichen Tönen zu uns, und es ist, als wollte sich das ganze Gemälde plötzlich zusammenrollen, und das Wesen unverkleidet hervortreten und sich zeigen, das unter der Masse liegt und sie belebt …… Oft ist mir jetzt, als wollte das Gewand der Gegenstände entfliehen wie von einem Sturmwind ergriffen, und ohnmächtig fällt mein Geist zu Boden, und die Gewöhnlichkeit tritt an ihre Stelle zurück.«

Unbefriedigt von der Wissenschaft des Tages zog er sich in seine Waldeinsamkeit zurück mit dem alten Jakob Böhme, dessen verhüllte Mystik ihm verständlicher war als Fichte's unbiegsame Logik. Da las er von der einen Natur, die durch das Sehnen nach Gottes Licht offenbar wird, von dem sehnenden Willen der Natur, die das Paradies in sich spürt und im Paradies die Vollkommenheit, wonach sie sich erhebt und drängt und ängstet, in welchem Drängen sie immer etwas Schöneres, Höheres, Neues hervorbringt. »Nun ist ein Geist andres nichts als ein aufsteigender Wille, und ein Willen hat die Aengstlichkeit zur Geburt, und in der Aengstlichkeit gebiert sich das Feuer, und im Feuer das Licht, und vom Licht wird der Wille freundlich, lieblich, mild und süß; und im süßen Willen gebiert sich die Kraft, und in der Kraft gebiert sich das Reich und die Herrlichkeit.« Der bestrickende Zauber, den diese geheimnißvolle Verkündigung auf den Romantiker ausübte, lag ohne Zweifel darin: daß hier keine unversöhnliche Entgegensetzung von Geist und Natur war, oder Ausschließung des Einen, sondern daß nichts war außer der einen Natur, die Kraft ihres sehnenden Willens sich wandelt und erhebt durch das Licht zum Reich Gottes und der Herrlichkeit.

Alles, was man an Fichte vermißte, theils noch von ihm erwartete, wovon die Romantiker unklar träumten, das wurde plötzlich durch einen ganz jungen Mann, vom Katheder herab, fest, überlegt, machtvoll verkündet als eine neue Wissenschaft: Naturphilosophie. Man kann sich kaum vorstellen, wie Schelling die jungen Geister packte und hinriß; seine Lehre war ihnen eine Befreiung. Augenblicklich schieden sich feindliche Lager; sein Feldzug, an der Spitze eines kleinen aber leidenschaftlichen Trupps, war wie der etwa gleichzeitige eines andern Generals, Bonaparte's, ein Stürmen von Sieg zu Sieg. Das Große, Neue, Packende in den kleinen Schriften, die er nach einander veröffentlichte war nun eigentlich der Glaube an die Einheit und Vernünftigkeit des Alls. »Hätte Kepler seine Forschungen machen können ohne den Glauben an die Vernünftigkeit des Sonnensystems?« sagte Baader einmal. Eben dieser Glauben war die Grundlage von Schelling's Philosophie Während er noch durchaus Fichte's Anhänger war, schwebte ihm der Gedanke vor, daß Einheit von Wissen, Glauben und Wollen das letzte höchste Ziel der Menschheit sei; daß Sein und Erkennen, Gegenstand und Vorstellung im Grunde eins seien; daß die Geschichte des Alls eine Geschichte des Selbstbewußtwerdens sei. Er billigte daß Fichte in seiner Philosophie vom Ich ausging, wie denn Fichte es auch nicht tadelte, daß ein Andrer von der Natur ausginge; denn Beide müssen sich ja nothwendig treffen, beide Wege seien gleich richtig, beide hätten dasselbe Ergebniß. Die Natur nämlich kämpft sich durch zum Ich.

Schelling's Philosophie ist eine Entwickelungslehre. Die organische Natur sah er an als eine höhere Potenz der anorganischen, wenigstens die Hoffnung hegte er, daß man einmal alle Organisationen als successiv, allmälige Entwickelung einer und derselben ursprünglichen Organisation darstellen könne. Die Entwickelung geschieht in der Form eines Riesenkampfes zwischen zwei Grundgewalten, die auf unzähligen Stufen in unzähligen Verwandlungen erscheinen: der Kampf ist die Geschichte der Natur und des Lebens. Die Natur ist das trägste Thier, das Alles haßt, was es zur Bewegung und zur Thätigkeit zwingt. Darum haßt sie die Dualität, die die Ursache des Lebens ist, haßt das Geschlecht, haßt das Individuum, und möchte es in den Schlummer der Bewußtlosigkeit zurückziehen. »Die Natur haßt das Geschlecht, und wo es entsteht, entsteht es wider ihren Willen. Die Trennung der Geschlechter ist ein unvermeidliches Schicksal, dem sie, nachdem sie einmal organisch ist, sich fügen muß, und das sie nie vermeiden kann. – Daß sie das Individuum nur gezwungen und der Gattung wegen ausbildet, erhellt daraus, daß, wo sie in einer Gattung das Individuum länger erhalten zu wollen scheint (obgleich das nie der Fall ist), dagegen die Gattung unsichrer wird, indem sie die Geschlechter weiter aus einander halten und gleichsam von einander flüchten muß. In dieser Region der Natur ist der Verfall des Individuums minder sichtbar schnell als da, wo die Geschlechter sich näher sind, wie in der schnellwelkenden Blume, wo sie bei ihrem Entstehen schon in dem Einen Kelch wie in das Brautbett gefaßt sind, wo aber deswegen auch die Gattung gesicherter ist.«

Beständig drängt die Natur auf den Organismus ein, sein Leben ihren chemischen Kräften zu unterwerfen. Aber eben was das Leben zerstören sollte, erhält es; denn im Ankämpfen gegen die Natur, um sein Einzelrecht gegen sie zu behaupten, bildet der Organismus seine Glieder zu immer tüchtigeren Waffen und begegnet jedem Reiz von außen durch erhöhte, verfeinerte Wirksamkeit. So vervielfältigen und steigern sich die Bildungen im Kampf um's Dasein.

Man könnte hier einen interessanten Vergleich verfolgen: das Lebendige ist der Protestantismus, der sich aus dem Mutterschoße der allgemeinen, alleinseligmachenden Kirche losgerissen hat, das negative verneinende, protestirende Element. Sie giebt ihren Anspruch nicht auf, immer streckt sie ihre Arme flehend, lockend, versprechend, drohend nach den Abtrünnigen und Ketzern aus. Wenn sie dem Rufe folgten und wenn jede Protestation aufhörte, müßte, wie sich das Jeder aus der Geschichte folgern kann, Ruhe, Verfall und Verwesung schließlich eintreten.

Wenn der äußere Reiz der Natur, der den Organismus angreift, um ihn zu zerstören, aufhört, oder richtiger gesagt, wenn der Organismus unempfindlich für ihn wird, gleichsam von ihm unabhängig, ist er dem Erlöschen nahe; denn eben Kampf und Bewegung ist das Wesen des Lebens. Also ist Sehnsucht nach Ruhe Sehnsucht nach dem Tode

»Alles, was da lebt und leibet, geht aus dieser Androgynenlust hervor«, sagt Baader, »sie ist die geheime, undurchdringliche magische Werkstätte alles Lebens, das geheime Ehebett, dessen Rein- und Unbefleckterhaltung das selige, gesunde, dessen Verunreinigung das unselige, kranke Leben gebiert. Jede lebendige Kreatur in jeder Stufe und Sphäre des Lebens ist, wie die Alten sagten, solarisch und terrestrisch oder siderisch und elementarisch zugleich, und das Sakrament des Lebens wird ihnen Allen nur unter diesen zweien Gestalten dargereicht.« Zum ersten Male stellte Schelling dies Drama des Weltalls, diesen Zwiespalt im Einen, das endlose Sichsuchen, Vereinigen und Auseinanderfliehen der getrennten Pole, die Disharmonien, die sich in einem großen harmonischen Zusammenklang auflösen, mit überwältigendem Ungestüm dar. An die Stelle des Fichte'schen starren: Ich bin – trat ein unendlich lebensvolles, aussichtsreiches, hoffnungsvolles: Ich werde. »Wir sind gar nicht Ich, wir können und sollen aber Ich werden, wir sind Keime zum Ich-Werden«, heißt es bei Novalis. Und nicht etwa hatte dies einige Werden etwas trostloses Ermüdendes: die allumfassende Einheit steht wie ein besänftigender Goldgrund hinter dem bunten, stürmisch bewegten Gemälde, wie eine Sonne still im Reigen der Planeten. Ein Band verbindet Endliches und Unendliches, Bewußtes und Unbewußtes – Schelling nennt es die Copula – die unendliche Liebe seiner selbst, die Lust des Sichoffenbarens, lauter Bejahungsfreude. Dies Band erkennt man in der Natur als Schwere, im Menschen soll es vollends durchbrechen und das Verbundene zur Freiheit führen.

Schelling gab dies Alles nicht systematisch, sondern wie es in ihm entstand, in springenden Einfällen, die es ihm immer klarer und klarer werden ließen. Es waren lauter Blitze, die schnell, zuckend die goldene Unendlichkeit des Himmels aufrissen und dann wieder verhüllten, sodaß eine unstillbare Sehnsucht zurückblieb. Vielleicht fesselte er gerade dadurch so sehr. An der Stelle eines Briefes, den der junge Norweger Steffens im Jahre 1800 an den noch jüngeren Schelling schrieb, möge man den Eindruck ermessen, den seine ersten naturphilosophischen Werke machten: »Nichts hat mich so begeistert wie Ihre Transcendentalphilosophie. Es ist das Umfassendste, was ich kenne – das wahrste System – ein erhabenes Kunstwerk – immer flieht sich, was sich suchen soll – ich gerieth in die fürchterlichste Spannung, verlor mich, um die Welt zu behalten, vergrub mich immer tiefer und tiefer in die Hölle der Philosophie hinein, um von dort den Himmel zu schauen, weil ich ihn nicht unmittelbar wie den dichtenden Gott in meinem Busen habe. Hier sah ich nach und nach die Sterne hervortreten – bis plötzlich die göttliche Sonne des Genies aufstieg und Alles erhellte. Hier aber ergriff mich eine wunderbare Rührung. Thränen der heiligen Begeisterung stürzten aus meinen Augen, und ich versank in die unendliche Fülle der göttlichen Erscheinung.… Hier lege ich den Kranz vor Ihre Füße, den ein künftiges Zeitalter Ihnen sicher reichen wird.«

Für die Romantiker war aber dies das Wichtigste: daß das ihnen angeborne Gefühl, Natur und Geist als Eins zu sehen, durch Schelling bestätigt und zu einer wissenschaftlichen Ansicht erhoben war. Er wußte genau, zu was für verhängnißvollen Irrthümern es führen kann, wenn man coexistirende Erscheinungen nur als Ursache und Wirkung von einander fassen kann; welche barbarische Plumpheit des Denkens später einriß. Als coexistirende Erscheinungen, die sich gegenseitig erklären, betrachtet er Natur und Geist, Inneres und Aeußeres. Ein Lieblingsschriftsteller der Gebrüder Schlegel, Hemsterhuis, hatte gesagt, der Körper sei geronnener Geist und das körperliche Universum ein geronnener Gott. Friedrich Schlegel's »Geist ist Naturphilosophie« und mehrere Aussprüche von Novalis: »Die Welt ist ein Universaltropus des Geistes, ein symbolisches Bild desselben«, »Der Mensch ist eine Analogienquelle für das Weltall«, »Das Aeußere ist ein in Geheimnißzustand erhobenes Innere«, »Die höhere Philosophie behandelt die Ehe von Natur und Geist«, »Wir selbst sind ein sichtbar gewordener Keim der Liebe zwischen Natur und Geist oder Kunst« sind lauter verschiedene funkelnde Fassungen des Grundgedankens der Naturphilosophie wie er in den Köpfen sich geregt hatte und durch Schelling zum Bewußtsein gebracht war. Gewiß war es durchaus nicht nur das katholische Wesen in Tieck's Genoveva, das die Jugend so mächtig bezauberte, sondern ebensowohl jene Stellen naturphilosophischer Mystik:

 

Was in den Himmelskreisen sich bewegt,
Das muß auch bildlich auf der Erde walten,
Das wird auch in der Menschen Brust erregt,
Natur kann nichts in engen Grenzen halten,
Ein Blitz, der aufwärts aus dem Centro dringet,
Er spiegelt sich in jeglichen Gestalten,
Und sich Gestirn und Mensch und Erde schwinget
Gleichmäßig fort und eins des andern Spiegel,
Der Ton durch alle Kreaturen klinget.
Drum wer die Weisheit kennt, kennt keine Zügel,
Er sieht die ganze Welt in jedem Zeichen,
Zur Sternenwelt trägt ihn der kühne Flügel.

Und wieder:

Doch wurde mir seltsamer Weise verliehen
In innere Tiefe der Natur zu schauen.
Da sah ich was getrennt zusammenhängen,
Und was dem blöden Auge einig scheint,
In ferne Grenzen aus einander fliehen.
Wie Stein im Abgrund die Metalle formen,
Wie Geister die Gewächse figuriren,
Wie sich Gedank' und Wille korporiren,
Wie Phantasie zum Kern der Dinge dringt,
Durch Einbildung Unmögliches gelingt,
Wie jeder Stein uns stumme Grüße beut,
Alle Dinge nur sind der Geisterwelt ein Kleid.

Darin ist allerdings mehr von Jakob Böhme als von Schelling's Geist. Es ist bezeichnend, daß Tieck Aeußerungen der eben angeführten Art fast nur gefährlichen und dämonischen Menschen in den Mund legte: mystisch gesprochen kannte er fast nur die schwarze Magie. Nur mit der Phantasie, wie er in jenen Versen sagt, wollte er zum Kern der Dinge dringen. Geist in der Natur zu sehen, war im Grunde nichts Neues. Das Kind, dem Quell und Baum und Blume leben, die alten Götterlehren, die nichts Andres thaten als die Natur beseelen, jeder Dichter, jeder Künstler war willig auf diese Verwandlung eingegangen. Aber das ist naive Kindlichkeit, die noch garnicht zwischen sich und der Natur unterscheidet. Erst nachdem die Menschheit die Natur entgöttert hatte, indem sie ihr durch den scheidenden Verstand den Geist entzog, wurde sie ihr furchtbar und der Gedanke, es könnte eine Seele in ihr leben, entsetzenerregend. Sobald man sich klar ist, daß der Geist, der die Natur regiert, bewußtloser Geist ist, muß jedes Gefühl des Grauens schwinden; nur freilich: ist es Geist, so kann ihn doch der Geist des Menschen berühren, auf ihn wirken, ihn ersetzen und so die Kraft der Natur für sich benutzen! In diesem Gedanken des Zusammenhanges zwischen dem Menschen und der Natur fließt der Quell aller Wunder. In ihn tauchten Alle, die die geheimnißvolle Dämmerung liebten, und wenn sie, wie Tieck, die Fähigkeit gehabt hätten, einmal mit klarer Verstandsfackel in das dunkle Gebiet hinein zu leuchten, und es nur aus wollüstiger Schwäche unterließen, bewegten sie sich nie ohne Gewissensunruhe darin, die das Grauen und Entsetzen eigentlich erst hervorrief oder doch steigerte. Die Andern versenkten sich in diese Nachtwelt ohne Schauder, vielmehr mit der freudigen Begeisterung des Entdeckers. Wenn Schelling oder Baader oder Novalis sich in das Unbewußte, die Vergangenheit, die Natur, die Nacht des Menschen vertieften, geschah es nicht, um sich und Andre zu betäuben und zu verwirren, sondern um durch diese Pforte in's Innere der Natur zu dringen und sie desto klarer zu erkennen.

Was schadet es, an Wunder zu glauben, die natürlich sind? Andre gab es nicht für den Naturphilosophen. Aber gerade deshalb waren sie allerdings bereit, an jedes, das die Vorzeit überlieferte, zu glauben. Sie hörten die stammelnden philosophischen Träume der mittelalterlichen Mystiker mit derselben Theilnahme wie die strahlenden Entdeckungen moderner Naturforscher. Einem späteren Geschlecht wurde der Trieb, Alles im Ganzen zu betrachten und von jeder Einzelheit auf das Allgemeine zu gehen, unverständlich. Friedrich Schlegel's Bemerkung, es sei wunderbar, wie man von der Physik sofort auf Kosmogonie, Astrologie, Theosophie, kurz auf die mystische Wissenschaft vom Ganzen gerathe, da man doch kein Experiment machen könne ohne Hypothese und jede consequent gedachte zu einer Hypothese über das Ganze führen müsse, wäre ihnen lächerlich und verderblich – romantisch – erschienen. Ebenso lächerlich und unverständlich wäre es den Denkern und Forschern jener Zeit gewesen, eine Einzelerscheinung ohne Hinblick auf das Ganze zu studiren; denn welchen Werth hätte sie an sich haben können? Naturwissenschaftliche Studien trieb damals jeder Strebende und der einzige große Zweck war, in's Innere der Natur zu dringen.

Baader hatte der Kant'schen Lehre von den nothwendigen Grenzen des menschlichen Erkennens vorgeworfen, sie komme auf den Sinn des alten Haller'schen Verses heraus: »In's Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist; zu glücklich, wem sie noch die äußere Schaale weist.« Diese strenge Selbsteinschränkung hatte die neue Philosophie von sich gethan und gab die Menschen ihrem angeborenen Triebe zur Allwissenheit wieder. Die einen suchten die Seele der Welt draußen in der Natur, andere wagten den dunklen Weg durch ihre innere Natur nach der äußeren. Mehr oder weniger deutlich schwebte ihnen als Stern ihre Weltanschauung vor: daß die Entwickelung der Natur ein Bewußtwerden sei, das im Menschen seinen Höhepunkt erreiche, von welchem der Strom wieder in den Ausgangspunkt einmünde. Ich will Proben geben, wie verschiedene romantische Denker, Novalis, Schelling und Tieck, dies philosophische Glaubensbekenntniß jeder in seiner Weise darstellten. Zuerst eine Zusammenstellung von Notizen, wie sie Novalis als Grundlage zu einem größeren Werke niedergeschrieben hatte:

»Wir haben zwei Systeme von Sein, die, so verschieden sie auch erscheinen, doch auf das Innigste unter einander verwebt sind. Ein System heißt der Körper, eins die Seele. Jenes steht in der Abhängigkeit von äußeren Reizen, deren Inbegriff wir die Natur oder die äußere Welt nennen. Dieses steht ursprünglich in der Abhängigkeit eines Inbegriffs innerer Reize, die wir den Geist nennen oder die Geisterwelt. Man bemerkt bald, daß beide Systeme eigentlich in einem vollkommenen Wechselverhältniß stehen sollten, in welchem Jedes, von seiner Welt afficirt, einen Einklang, keinen Einton bildet. Kurz, beide Welten, sowie beide Systeme sollen eine freie Harmonie keine Disharmonie oder Monotonie bilden. Der Uebergang von Monotonie zur Harmonie wird freilich durch Disharmonie gehen und nur am Ende wird eine Harmonie entstehen.«

»Wie der Körper mit der Welt in Verbindung steht, so die Seele mit dem Geiste. Beide Bahnen laufen von dem Menschen aus und endigen in Gott. Beide Weltumsegler begegnen sich in correspondirenden Punkten ihrer Bahn. Beide müssen auf Mittel denken, trotz der Entfernung beisammen zu bleiben und zugleich gemeinschaftlich beide Reisen zu machen.«

»Metaphysik und Astronomie sind Eine Wissenschaft. Die Sonne ist in der Astronomie, was Gott in der Metaphysik (der Mensch ist eine Sonne); Freiheit und Unsterblichkeit sind wie Licht und Wärme Gott, Freiheit und Unsterblichkeit werden einst die Bahnen der geistigen Physik ebenso werden, wie Sonne, Licht und Wärme in der irdischen Physik.«

»Vor der Abstraktion ist alles Eins, aber ein Chaos; nach der Abstraktion ist wieder Alles vereinigt, aber diese Verbindung ist eine freie Verbindung selbständiger, selbstbestimmter Wesen. Aus einem Haufen ist eine Gesellschaft geworden, das Chaos ist in eine mannigfache Welt verwandelt.«

»Die Welt des Märchens ist der Welt der Wahrheit durchaus entgegengesetzt und eben darum ihr so durchaus ähnlich, wie das Chaos der vollendeten Schöpfung ähnlich ist. In der künftigen Welt ist Alles wie in der ehemaligen und doch durchaus anders; die künftige Welt ist das vernünftige Chaos; das Chaos, das sich selbst durchdrungen, das in sich und außer sich ist.«

»Mit Instinkt hat der Mensch angefangen, mit Instinkt soll der Mensch endigen. Instinkt ist das Genie im Paradiese vor der Periode der Selbstabsonderung. Der Mensch soll sich selbzweien und nicht allein das, sondern auch selbdreien.«

»Die Welt ist die Summe des Vergangenen und von uns Abgelösten. So ist selbst der persönliche Gott, ein romantisirtes Universum.«

»Wenn unsre Intelligenz und unsre Welt harmoniren, so sind wir Gott gleich.«

»Und was haben wir in der Zeit zu thun, deren Zweck Selbstbewußtsein der Unendlichkeit ist?«

»Es ist höchst begreiflich, warum am Ende Alles Poesie wird – wird nicht am Ende die Welt Gemüth?«

»Die individuelle Seele soll mit der Weltseele übereinstimmend werden.«

»Jetzt regt sich nur hier und da Geist; wann wird der Geist sich im Ganzen regen? Wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?«

»Alle Thätigkeit hört auf, wenn das Wissen eintritt. Der Zustand des Wissens ist Eudämonie, selige Ruhe der Beschauung, himmlischer Quietismus.«

»Wir werden die Welt verstehen, wenn wir uns selbst verstehen, weil wir und sie integrante Hälften sind. Gotteskinder, göttliche Keime sind wir. Einst werden wir sein, was unser Vater ist.«

»Gott und Natur muß man also trennen. Gott hat garnichts mit der Natur zu schaffen; er ist das Ziel der Natur, dasjenige mit dem sie einst harmoniren soll. Die Natur soll moralisch werden. Der moralische Gott ist etwas viel Höheres als der magische Gott.«

Aus den beiden zuletzt angeführten Sätzen sieht man, daß Novalis dem unbewußten Naturgott, Pan, einen Gott entgegensetzt, der sich selbst ganz durchdrungen hat; man darf sagen: den zum vollkommenen Selbstbewußtsein entwickelten Menschen. Welchen man allerdings, vom Gesichtspunkte der Einheit aus, vom Zeitbegriff absehend, als ewig und also gegenwärtig existirend anzusehen hat.

Schelling hatte seine Philosophie mit der Absicht, dem Athenäum einen Beitrag zu liefern, in Knittelverse gebracht, die zwischen Scherz und Begeisterung vorgetragen sind:

»Wüßt auch nicht, wie mir vor der Welt sollt' grausen,
Da ich sie kenne von innen und außen.
Ist gar ein träg' und zahmes Thier,
Das weder dräuet dir noch mir,
Muß sich unter Gesetze schmiegen,
Ruhig zu meinen Füßen liegen.

Steckt zwar ein Riesengeist darinnen,
Ist aber versteinert mit seinen Sinnen,
Kann nicht aus dem engen Panzer heraus,
Möcht' sprengen das eiserne Kerkerhaus,
Obgleich er oft die Flügel regt,
Sich gewaltig dehnt und bewegt,
In todten und lebendigen Dingen
Thut nach Bewußtsein mächtig ringen,
Daher der Dinge Qualität,
Weil er drin quellen und treiben thät,
((Hier eine Spur von Jakob Böhme))
Die Kraft, wodurch Metalle sprossen,
Bäume im Frühling aufgeschossen,
Sucht wohl an allen Ecken und Enden
Sich an's Licht herauszuwenden,
Läßt sich die Mühe nicht verdrießen,
Thut jetzt in die Höhe schießen.
Und kämpfend so mit Fuß und Händ'
Gegen widrige Element',
Lernt er im Kleinen Raum gewinnen,
Darin er zuerst kommt zu Besinnen;
In einem Zwergen eingeschlossen
Von schöner Gestalt und graden Sprossen,
Heißt in der Sprache Menschenkind,
Der Riesengeist sich selber find'. – – –

Vom ersten Ringen dunkler Kräfte
Bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte,
Wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt,
Der erste Blick, die erste Knospe schwillt,
Zum ersten Strahl von neu gebornem Licht,
Das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht
Und aus den tausend Augen der Welt
Den Himmel, so Tag wie Nacht erhellt,
Hinauf zu des Gedankens Jugendkraft,
Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft,
Ist Eine Kraft, Ein Pulsschlag nur, Ein Leben,
Ein Wechselspiel von Hemmen und von Strebe!

Man hört diesen Versen an, auch wenn sie weniger faustisch klängen, würde man es thun, daß dies eine Philosophie von und für Goethe war.

Zuletzt möge man noch hören, wie Tieck, in Form eines sinnvollen Traumes, die Philosophie von der Bewußtwerdung der Welt bekannte: »Ich war kaum eingeschlafen, als es mir vorkam, die ganze Welt um mich her habe ein neues Gesicht, die Bäume verzogen ihre Mienen, die ernsthaften Bäche und Felsen schienen zu lachen, die Ströme flossen mit rauschendem Gelächter ihre Bahn hinunter, die Blumen dehnten sich aus und streckten sich in allen ihren Farben und schienen wie von einem tiefen Schlafe zu erwachen. Es überfiel mich, daß die ganze Welt in allen ihren Theilen sich zu einem fröhlichen Bewußtsein entzünde, und daß ein neues Licht die uralten Schläfer anrühre, in alle tief verschlossenen Kammern gehe und sie rufe und erwecke Wo will es hinaus? sagte ich zu mir selber … Es geschah aber plötzlich, daß aus der ganzen Natur der Tod und die hemmenden Kräfte herausgenommen wurden, und nun schwang sich die Uhr mit allen ihren Rädern gewaltsam und reißend herum, die Ströme stürzten mächtig und unaufhaltsam die Thäler hinunter, die Felsenstücke trennten sich ab und wurden lebendig wie Blumen, die grünen Thäler hoben sich und sanken wechselnd nieder. Alle Schöpfungskräfte rannten und stiegen wettlaufend die Adern der Natur hinauf und hinab, die Bäume knospeten und blühten, und Augenblicks quollen die Früchte hervor, sie fielen vom Stamme nieder und das Laub verwelkte, worauf ein rascher Frühling sich wieder dehnte und in ihnen trieb, und so jagten sich Frühling, Sommer, Herbst und Winter; die Ströme rissen und waren vom augenblicklichen Eise gehemmt, worauf die stürzende Woge wieder lebendig wurde. So ängstigte und erhitzte sich die Natur in sich selber, und endlich sprang die Knospe der Zeit und gab die eingefesselte Ewigkeit mit einem gewaltigen Klange frei, das verhüllte Feuer brach aus allem Irdischen hervor und das ewige uralte Element des Lichts herrschte wieder über der Tiefe und alle Geister rannen in Einen Geist zusammen.«

Es wird dem Schläfer klar, daß er erlebt, was man den jüngsten Tag zu nennen pflegte.

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