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Der romantische Charakter.

Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht, was er will; aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht.

Friedr. Schlegel.

 

O wie wechselnd ist
Doch mein Gemüth, so wandelbar veränderlich
Ist nichts mehr in der weiten Welt: denn bald
Bin ich so glücklich, so von Herzen froh,
So in mir selber groß, daß ich mit Frechheit
Die Sterne pflücken möchte und wie Blumen
Zum Kranze für mein Haupt zusammenflechten.
Ein Augenblick, so wechselt diese Fluth,
Sie tritt zurück und macht das Ufer nackt,
Und ärmlich dünkt mir dann mein ganzes Inn're.
Dann könnt ich mit dem Bettler tauschen, sterben,
In ferne, nie besuchte Höhlen kriechen,
In ewiger Betrachtung meines Jammers
Ein langes, qualenvolles Leben schmachten.
Dann seh' ich ihren Blick, ein Lächeln grüßt
Den eingekrümmten Geist, und Alles ist
Vergessen, mir gehört die ganze Welt.

 

Das ist der romantische Charakter, wie er träumerisch, die Augen in den Wolken, durch die Werke Tieck's und seiner Gefährten wandert, ihr eigener Doppelgänger; der bewußtwerdende, der moderne, in dem Geist und Natur, von einander gerissen, sich immer wieder berühren und zu vermischen streben, um heftiger aus einander zu fliehen; der das starke Band nicht hat, das sie trennt sowohl wie vereinigt. Was ihm fehlt, ist Charakter und Harmonie, aber er hat, wenn man den Berührungspunkt des Unbewußten und Bewußten so nennen darf, Seele. Er hat einen Körper, in dem das ausgelassene Herz bald zu geschwinde, bald zu träge klopft, ein Gesicht, aus dem uns suchende, ahnende Augen voll Geheimniß ansehen.

Der Ausspruch Friedrich Schlegel's: »Man nennt viele Künstler, die eigentlich Kunstwerke der Natur sind«, ist auf die meisten Romantiker anzuwenden; weil sie selbst im Strome des Gestaltetwerdens flutheten, konnten sie nicht gestalten und wollten es doch, weil sie besser als ein Fertiger wußten, wie es dabei zugeht. Es ist erstaunlich, bis zu welchem Grade es Tieck mißlang, Menschen zu schaffen. Die unzähligen Personen, die in feinen Büchern austreten, sind nichts als bunte Figuren einer Laterna magica, die, auf eine Wand geworfen, marionettenartig mit zuckenden Bewegungen an dem Beschauer vorübergleiten. Sie springen in erstaunlicher Fülle, mühelos, aus seinem Kopfe; eben weil es nur Kopfgeburten sind, ohne Fleisch und Bein. »Es giebt zwei Arten, Menschen zu schildern«, sagt Novalis, »die poetische und die wissenschaftliche. Jene gibt uns einen durchaus individuellen Zug – ex ungue leonem –, diese deducirt vollständig.« Tieck's Art ist die wissenschaftliche, und insofern haben seine Menschen ein unendliches Interesse. Man muß ihnen die aufgeklebten Etiquetten abreißen und sie allesammt Ludwig Tieck nennen; denn in Wahrheit sind sie nur Brechungen dieses einen Strahles. Auch sind wir ihm für seine Art zu schildern dankbar; denn es wäre schade, einer so künstlichen Spieluhr, wie es der romantische Charakter ist, nur zuzuhören und sie nicht auch einmal aufzumachen und im Innern arbeiten zu sehen – voir ce qu'il y a dedans, sagte ein kleiner Junge, ehe er sein Spielzeug zerbrach.

In dem harmonischen Menschen entwickeln sich die beiden Wesenshälften, Mann und Weib, Thier und Engel, gleichmäßig, sodaß sie in guter Kameradschaft neben einander aushalten können, wie die alten germanischen Heidengötter nie ohne ein edles Thier erschienen, das ihnen gemäß war; der romantische Mensch ist eine personificirte unglückliche Ehe und Mißheirath, gewöhnlich deswegen, weil die Frau sich dem Manne überlegen fühlt, manchmal auch weil sie ihm nicht gewachsen ist, und ringt nicht in ihm unterzugehen, oder denn, daß sie sich nun einmal nicht verstehen können: gegenseitige unüberwindliche Abneigung. Aber die Ehe des Menschen mit sich selbst ist wirklich ein Sakrament, unauflöslich, zum Zwecke gegenseitiger Erziehung, eine oft qualvolle Bildungsschule. Meistens ist der Romantiker der werdende Engel, der die Menschlichkeit haßt, die ihn noch mit der Erde verbindet. Wie das unglückliche Opfer den Leichnam, mit dem sein Peiniger es zusammengebunden hat, um die Todesqual zu verschärfen, möchte der Intellekt den Willen von sich stoßen, der doch der seinige ist: »Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle bleibt dem Unbefriedigten übrig«, dieser Verzweiflungsschrei aus Tieck's Abdallah ist das Thema endlos phantasirender Klagen.

»O daß ich mich stürzen könnte in das Meer der unermeßlichen Göttlichkeit! Diese tausendfachen Schätze in meinen Busen saugen! Könnt' ich sie fesseln und ewig wach erhalten in meiner Brust, diese göttlichen Gefühle, die jetzt durch meine Seele zittern! Ach daß der Gesang durch die Laute rauscht und nachher verstummt! Ich höre das Pochen meines ungeduldigen Geistes: was ist diese unnennbare, unausfüllbare Leere, die mich stets im Genusse so kalt und todt ergreift? Ein fremdes Streben ringt mit meiner Begeisterung und wirft sie nieder. Ich schwindle auf der Freude höchstem Gipfel und stürze in den Staub betäubt zurück.«

»O daß der Mensch in seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich herumtragen muß, der ihn unablässig quält! Daß das heillose Drängen unsrer Seele, das Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsres Daseins raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«

»Die Seele steht tief hinab in einem dunkeln Gewölbe in einem dunkeln Hintergrunde und lebt im weiten Gebäude für sich, wie ein eingekerkerter Engel; sie hängt mit dem Körper und seinen vielfachen Theilen ebensowenig zusammen, wie der Verbrecher mit der Stadt, in der er gefangen sitzt. – – Was kann ich also für meine Seele thun, die wie ein unaufgelöstes Räthsel in mir wohnt? Die dem sichtbaren Menschen die größte Willkür läßt, weil sie ihn auf keine Weise beherrschen kann?«

Mit einem andern Bilde, das dasselbe bedeutet, hörte ich Jemand seine Natur mit einem wilden Pferde vergleichen, das sein Geist nicht bändigen und lenken könne.

Schlichter als Tieck, aber kindlich rührender erzählt Wackenroder, wie sein Jakob Berglinger an dieser Mißhelligkeit zu Grunde geht; wie es ihn anwidert, die Leute auf der Straße schwatzen und lachen zu sehen, wenn er in übersinnlichem Enthusiasmus aus dem Concerte kommt, und wie er sich dann vor sich selber schämt, wenn er es sich beim Essen, im Kreise alltäglicher Bekannter, wohlschmecken läßt. Ein unaufhörlicher Kampf, nur unterbrochen durch erzwungene, äußerliche Versöhnungen.

Auch Novalis' Geist schwang sich oft hoch über seine Natur empor, aber er kehrte immer gern und freundlich zu ihr zurück. Es war eine Liebe, nicht wie die der heiligen Paare des Mittelalters, die Gott gelobt hatten, sich niemals zu berühren, sondern eine solche, deren Leidenschaft zu einer reinen Flamme verklärt war: ebenso willig zu Kuß und Umarmung, wie zu Trennung und Thätigkeit, echte Freiheit. Anders ist es, wenn der Intellekt sich dem Willen hingiebt, den er im Stillen fürchtet und haßt. Um die geheime Abneigung zu betäuben, unfähig, dem sinnlichen Reiz zu widerstehen, stürzt er sich blindlings in schwelgerisches Genießen, bis zur Erschöpfung und Zerrüttung. Nicht Ehe ist es, sondern Buhlschaft, und alle Folgen eines unreinen und unwahren Verhältnisses knüpfen sich daran. »Das Schwelgen an den Kräften des Gemüths ist die unerlaubteste aller Verschwendungen, die schlimmste aller Verderbtheiten«, das war eine Erfahrung, die Tieck an sich selber gemacht hatte. Als er einmal einen halben Tag und eine Nacht durch ohne Unterbrechung, seine Erregtheit selbst absichtlich steigernd, einen damals beliebten Schauerroman gelesen hatte, bekam er wirklich einen Anfall von Wahnsinn, den seine lüsterne Phantasie ihm schon so oft vorgespielt hatte. Durch einen großen Natureindruck, den er bald darauf während einer Harzreise empfing, fühlte er sich gerettet. Aber keine Rettung gab es für Wackenroder, der weit unschuldiger war als Tieck, aber schwächer. Sein Geist war wie ein zartes Mädchen, ganz Demuth und Hingebung, die dem Strome von Leidenschaft, der auf sie eindringt, nur mit einem bangen, flehentlichen Blick zu wehren vermag, während ihr sanfter Leib sich ihm schon zuneigt.

Das Bewußtwerden, die beständigen Berührungen zwischen Natur und Geist, denen nie eine gänzliche Vereinigung folgt, die aufregenden Stelldicheine in der Dämmerung sind die Ursachen jener grenzenlosen Sehnsucht, jenes unersättlichen Verlangens, woran der Romantiker sich aufzehrt. Die Wuth der Unbefriedigung hat es Friedrich Schlegel einmal genannt. Wer hat nicht das Sehnen des Herzens in sich gefühlt, beklemmend aber süß, das der erste Thauwind des Jahres oder die bacchantische Sterbeluft des Herbstes einhaucht? Ein leiser Zug, man weiß nicht wohin, vielleicht nach einer fernen, fernen Waldwiese, auf der ein allerschönstes Bild auf uns wartet, sei es Liebe oder Tod, Willkommen im allmächtigen Blick. Was aber bei den meisten Menschen nur ein flüchtiges Mitzittern der Saiten in das große Harfenspiel der Natur ist, das ist der Grundton des romantischen Charakters, sein Merkmal, sein Hauptvermögen, seine Schönheit, sein Fluch. Daß sie diese zehrende Sehnsucht nicht kannte, machte die Größe, Schönheit und Vollendung der Antike, aber ihre Begrenztheit liegt auch darin. Aus der Zerrissenheit des modernen Menschen wächst sie heraus, eine Marterblume mit tiefem, blutendem Kelche, aus dem sich seelenberauschende Düfte unablässig in die Unendlichkeit ergießen.

Warum Schmachten?
Warum Sehnen?
Alle Thränen
Ach sie trachten
Nach der Ferne,
Wo sie wähnen
Schön're Sterne!

Daß sie es nur wähnen, das ist es eben. Das blanke, lockende Sternbild ist eine Fata Morgana, die vor dem Näherkommenden weicht, eine Luft-Oase, die niemals den brennenden Durst löscht. Niemand hat wie Tieck, mit so züngelnden, flackernden, lodernden Feuerbuchstaben die Symptome dieser Krankheit geschildert, die Geschichte der Io, die der Stachel des Wahnsinns rastlos durch alle Welt jagt.

»Aber was ist es, daß ein Genuß nie unser Herz ganz ausfüllt? Welche unnennbare, wehmüthige Sehnsucht ist es, die mich zu neuen, ungekannten Freuden drängt? Im vollen Gefühl meines Glückes, auf der höchsten Stufe meiner Begeisterung ergreift mich kalt und gewaltsam eine Nüchternheit, eine dunkle Ahnung – wie soll ich es beschreiben – wie ein feuchter, nüchterner Morgenwind auf der Spitze des Berges nach einer durchwachten Nacht, wie das Auffahren aus einem schönen Traum in einem engen, trüben Zimmer. Ehedem glaubte ich, dieses beklemmende Gefühl sei Sehnsucht nach Liebe, Drang der Seele, sich an Gegenliebe zu verjüngen – aber es ist nicht das; auch neben Amalien quälte mich diese tyrannische Empfindung, die, wenn sie Herrscherin in meiner Seele würde, mich in einer ewigen Herzensleerheit von Pol zu Pol jagen könnte. Ein solches Wesen müßte das elendeste unter Gottes Himmel sein: jede Freude flieht heimtückisch zurück, indem er danach greift, er steht wie ein vom Schicksal verhöhnter Tantalus in der Natur da, wie Ixion wird er in einem unaufhörlichen, martervollen Wirbel herumgejagt; auf einen solchen kann man den orientalischen Ausdruck anwenden, daß er vom bösen Feinde verfolgt wird.«

»Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wundern aufsuchen, steile Felsen erklettern und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Höhlen verirren und das dumpfe Rauschen unterirdischer Wässer vernehmen, ich möchte Indiens seltsame Gesträuche besehen und aus den Flüssen Wasser schöpfen, deren Name mich schon in den Kindermärchen erquickte; Stürme möchte ich auf dem Meere erleben und die ägyptischen Pyramiden besuchen – o Rosa, wohin mit dieser Ungenügsamkeit, und würde sie mir nicht selbst zum Orkus und im Elysium folgen?«

Die Helden aller romantischen Bücher sind fast beständig auf Reisen: Don Quixote so gut wie Wilhelm Meister und alle ihre Nachkommen. Die Dichter ließen ihre Doppelgänger an ihrer Stelle auf die ersehnte Wanderschaft gehen.

Alles lockt und zieht:

Wie mit süßen Flötenstimmen
Rufen alle gold'nen Sterne;
Weit muß manche Woge schwimmen,
Deine Lieb' ist in der Ferne.

Ist sie es wirklich? Finden sie sie jemals? Heimlich wissen sie es wohl, daß ein Aufhören der Sehnsucht Aufhören des Lebens wäre:

Die Nachtigall singt aus weiter Fern:
Wir locken, damit du lebest gern.
Daß du dich nach uns sehnst und immer matter sehnst,
Ist, was du thöricht dein Leben wähnst.

Ein moderner Romantiker, der Däne Jakobsen, hat vollendeter, als die vor 100 Jahren es konnten, im Niels Lhyne die Geschichte einer solchen Reiselust erzählt und mit der herzzerreißenden Einsicht beendigt, daß nichts Irdisches sie stillen kann. Seelenvoller vielleicht und tröstlicher läßt Tieck dasselbe seinen Sternbald empfinden in einer wehmüthig seligen Nacht:

»Die Scheibe des Mondes stand seinem Kammerfenster gerade gegenüber, er betrachtete ihn mit sehnsüchtigen Augen, er suchte auf dem glänzenden Runde und in den Flecken Berge und Wälder, wunderbare Schlösser und zauberische Gärten voll fremder Blumen und duftender Bäume; er glaubte Seen mit glänzenden Schwänen und ziehenden Schiffen wahrzunehmen, einen Kahn, der ihn und die Geliebte trug und umher reizende Meerweiber, die auf krummen Muscheln bliesen und Wasserblumen in die Barke hineinreichten. Ach dort! dort! rief er aus, ist vielleicht die Heimath aller Sehnsucht, aller Wünsche; darum fällt auch wohl so süße Schwermuth, so sanftes Entzücken auf uns herab, wenn das stille Licht voll und golden den Himmel heraufschwebt und seinen silbernen Glanz auf uns hernieder gießt. Ja er erwartet uns, er bereitet uns unser Glück, und darum sein wehmüthiges Herunterblicken, daß wir noch in dieser Dämmerung der Erde verharren müssen.«

Es ist aber natürlich, daß dennoch die Täuschung – und vielleicht ist es gar keine – immer wieder kommt, als müsse diese schmerzhafte Leere auf Erden ausgefüllt werden können. Liebe kann es: unfehlbar sicher fühlt das jeder Mensch. Zunächst aber wächst und wächst nur das Verlangen, unerträglich, bis endlich im höchsten Genuß der Liebe die ewig stachelnde Pein untergeht. Ein Augenblick himmlischer Ruhe, dann jähes Aufschrecken: das also war die Lösung des unergründlich scheinenden Räthsels!

Alle diese Seelenmarter, die himmelstürzenden Titanengedanken, das Rütteln an den Thoren der Erkenntniß war nur ein Krampf der Sinnlichkeit. Nicht in den Himmel der Ideale, an die Brust eines beliebigen Mädchens mußte er sich flüchten, um für die hohe Ungenügsamkeit, »der Sonne und Mond zu irdisch sind«, Befriedigung zu finden. Allerdings nur für einen Augenblick; dann stößt der Ernüchterte seinen Abgott von sich. Aber wenn wieder ein Frauenkleid ihn streift oder ein warmer Blick ihn berührt, kommt die Hoffnung wieder und wieder die Enttäuschung, bis er sich schließlich nicht einmal mehr selbst betrügt, sondern bewußt aus einem Rausch in den anderen taumelt. So läßt Tieck seinen Lovell sinken, sinken und immer rascher stürzen; es ist wundervoll, wie man in dem engelsreinen, schwärmerischen Jüngling die krasse Genußlehre sich ausbilden sieht. Dies ist seine Lebensweisheit:

»Freilich ist Wollust das große Geheimniß unsres Wesens, freilich will auch die reinste, inbrünstigste Liebe sich in diesem Brunnen kühlen, sie soll eben sterben, damit wir fühlen, daß wir Menschen sind, daß wir von täuschenden Phantomen erlöst werden, die uns als Engelsgestalten besuchen und doch Furien werden, wenn sie das glänzende Gewand fallen lassen. Denn schläft nicht die wildeste Verzweiflung, die gräßlichste Angst, der blutigste Haß, Selbstmord und alle Gräuel im Innern dieses Gefühls?… Daß wir Sinnlichkeit haben, ist keineswegs verächtlich und kann es nicht sein, und doch streben wir unaufhörlich sie uns selber abzuleugnen und sie mit unsrer Vernunft in Eins zu schmelzen, um nur in jedem der vorüberfliegenden Gefühle uns selbst achten zu können. Denn freilich ist nichts als Sinnlichkeit das erste bewegende Rad in unsrer Maschine, sie wälzt unser Dasein von der Stelle und macht es froh und lebendig – Alles was wir als schön und edel träumen, greift hier hinein.… Sinnlichkeit und Wollust sind der Geist der Musik, der Malerei und aller Künste, alle Wünsche der Menschen fliegen um diesen Pol wie Mücken um das brennende Licht. Schönheitssinn und Kunstgefühl sind nur andre Dialekte und Aussprachen, sie bezeichnen nichts weiter als den Trieb des Menschen zur Wollust.… Ich halte selbst die Andacht nur für einen abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes« – und zum Schluß kommt die alte Klage – »ich darf kein Engel sein, aber ungestört will ich als Mensch dahinwandeln.«

Wenn Lovell in solchen Gedankenverirrungen sich verwickelte und erwürgte, darf man nicht folgern, so sei es Tieck ergangen. Er glaubte an Liebe und Glück, aber er sah ein, daß das »was den Menschen ganz befriedigen soll, sein Gefühl und seinen Verstand zugleich ausfüllen muß.« Und in ihm waren Gefühl und Verstand »zwei neben einander laufende Seiltänzer, die sich ewig ihre Kunststücke nachahmen, einer verachtet den andern und will ihn übertreffen.« Darum ist der romantische Charakter der Gefahr in Ausschweifungen sich zu verwüsten um so viel mehr ausgesetzt als ein andrer; denn nur im Rausch, sei es der Liebe oder des Weines, wenn die eine Hälfte seines Wesens, das Bewußtsein, betäubt und eingeschläfert ist, kann er die Wonne genießen, um die er jedes Thier beneidet: sich eins zu fühlen.

»O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Göttergefühl durch alle unsre Adern? Flieht dann nicht Alles zurück, was uns in so mancher unsrer kalten Stunden demüthigt? Wir durchschauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Flucht in unsern Gedanken und Meinungen und fühlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fühlen, Träumen und Philosophiren, wie alle unsre Kräfte und Neigungen, alle Triebe, Wünsche und Genüsse nur Eine, Eine glänzende Sonne ausmachen, die nur in uns selbst zuweilen so tief hinunter sinkt, daß wir ihre verschiedene Strahlenbrechung für unterschiedene getrennte Wesen halten.«

Die Eine, Eine glänzende Sonne, das Ich, das nicht mehr zerspaltene, die Einheit des eigenen Wesens, das ist im Grunde das Ziel aller Sehnsucht; man kann es nicht deutlicher und schöner sagen, als Tieck hier gethan hat. Sein Ich ist das Wild, das er unermüdlich jagt, das Land, nach dem er auszieht, der Himmel, nach dem er sich sehnt. Sich selbst suchen ist die Arbeit seines ganzen Lebens. Fest gebannt ist er an den Abgrund seines Innern und starrt bezaubert in das wallende Chaos. »Wenn er so in sein bewegtes Gemüth sah«, erzählt Tieck vom Sternbald, »so war es, als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabschaute, wo Woge an Woge drängt und schäumt, und man doch keine Welle sondern kann, wo alle Fluthen sich verwirren und trennen und immer wieder durch einander wirbeln, ohne Stillstand, ohne Ruhe, wo dieselbe Melodie sich immer wiederholt und doch immer neue Abwechselung ertönt: Kein Stillstand, keine Bewegung, ein rauschendes, tosendes Räthsel, eine endlose, endlose Wuth des erzürnten, stürzenden Elementes.« Und dabei, das ist auffallend, kehrt immer die Klage wieder, daß er sich selbst nicht kenne; eben der Romantiker, der viel mehr von seinem Innern weiß als ein andrer Mensch, ist sich selbst ein Räthsel. Es ist im Grunde leicht zu erklären. Eine geistreiche Dame schilderte mir einmal den Zustand ihres Inneren, indem sie sagte, an der Grenze ihres Bewußtseins ständen viele Polizeisoldaten und Zollbeamten, die jedes aus dem Unbewußten auftauchende Gefühl sogleich confiscirten; es wäre in Folge dessen ein ganzer Leichenhügel von Gefühlsembryonen in ihrem Kopfe aufgestapelt. Ganz ähnlich sagt Tieck, daß wir oft, wie Mörder ängstlich den noch halb belebten Leichnam mit Erde bedecken, Empfindungen verscharren, die sich in uns zum Bewußtsein empor gearbeitet haben. Oefters hat er diesen geheimnißvollen Vorgang so anschaulich geschildert, daß wir den geisterhaften Verkehr zwischen zwei unsichtbaren Welten mit Augen zu sehen glauben.

»Wenn ich manchmal in der Abenddämmerung sitze und sinne, da ist es, als schwingt sich mir etwas im Herzen empor, ein Gefühl, das mich überrascht und erschreckt und dabei doch so still und selig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedächtniß wie mit einer Hand danach, um es mir selber aufzubewahren Aber sonderbar, es ist in mir und verschwindet mir dann doch gänzlich wieder, so daß ich seiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken stehen mir zu Gebote, alle meine Erinnerungen und Anschauungen, aber das ist ein Gefühl, das feiner und geistiger ist als Alles übrige; aber was ist es und woher kommt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in uns bleibt?« …

»Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhörlich etwas Gräuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meiner stillen Gebete Gott mit den gräßlichsten Flüchen lästerte und darüber weinte, und es doch nicht unterlassen konnte, wo es mich unaufhörlich drängte, meine Gespielen zu ermorden, und ich mich oft schlafen legte, bloß um es nicht zu thun. Damals war ich gewiß unschuldig und unverdorben und doch war diese Entsetzlichkeit in mir einheimisch – was war es denn nun, das mich trieb und mit gräßlicher Hand in meinem Herzen wühlte? Mein Willen und meine Empfindung sträubte sich dagegen, und doch gewährte mir dieser Zustand wieder innige Wollust.«

Wie der flüchtige Schein einer früheren Existenz, der in seine Kinderjahre hineinspiegelte, schienen ihm diese fremden, unerklärlichen Bilder, die nach eigener Willkür, seinem Einfluß entgegen, in seinem Innern heimisch waren. Wenn es möglich wäre, sich durch Anschauungen des Inneren kennen zu lernen, müßten solche Menschen sich kennen. Aber dort findet man nur das Menschenmögliche, nicht das Individuelle. Nur an seinen Handlungen erkennt man sich. Und wo sind die? In jenem Leichenhügel von Embryonen liegen sie begraben; daraus hätten sie werden sollen. Wie sie aussehen, wenn sie aus der ungestalteten Gefühlsmasse sich bilden und beleben, weiß der Romantiker, aber reif werden sie ihm nun nicht mehr. Man weiß, daß man die Milch nicht anrühren darf, wenn sie im Prozeß des Erstarrens ist; sonst wird sie nicht dick. So hat er die Entwickelung seiner Gefühle unterbrochen; nun können sie nicht mehr als zuversichtliche, ganze große Handlungen in's Leben greifen. Das ist sein wehevollstes Leiden: niemals ein einiges, starkes, lebendiges Gefühl zu haben, das einen unwiderstehlich hierhin oder dorthin risse, sich niemals in der Sturmeshand eines Genius zu fühlen, mit dessen Götterstimme man ohne Besinnen, freudig, siegesgewiß, Menschen und Gestirnen zum Trotz sagt: hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen. Anstatt dessen verdammt immer an sich zu zweifeln, auf den unentschlossenen, zögernden, freudlosen Verstand als Wegweiser angewiesen, immer nur Fragmente, Splitter, Gefühle von Gefühlen. Als Franz Sternbald nach jahrelanger Abwesenheit zu seinem sterbenden Vater kommt, möchte er ihm gern alle seine glühende Liebe zeigen; aber anstatt dessen muß er an Gemälde von Kranken, von trauernden Söhnen und wehklagenden Müttern denken, und ebenso geht es, als der Vater nun stirbt; in Betrachtung des Schmerzes verloren, fühlt er den Schmerz nicht, lechzt nach Thränen und findet keine. »Bin ich wahnsinnig oder was ist es mit diesem thörichten Herzen? Welche unsichtbare Hand fährt so zärtlich und grausam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg und scheucht alle Träume und Wundergestalten, Seufzer und Thränen und verklungene Lieder aus ihrem fernen Hinterhalt hervor? O mein Geist, ich fühle es, strebt nach dem Ueberirdischen, das keinem Menschen gegönnt ist! Mit magnetischer Gewalt zieht der unsichtbare Himmel mein Herz an sich und bewegt alle Ahndungen durch einander, die längst ausgeweinten Leiden und unmöglichen Wonnen, die Hoffnungen, die keine Erfüllung zulassen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menschen verliehen ist, und die uns zum Leben nothwendig bleibt, ich matte mich ab in mir selber und keiner hat dessen Gewinn, mein Muth verzehrt sich, ich wünsche, was ich selbst nicht kenne. Wie Jakob sehe ich im Traum die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht selbst hinaufsteigen.…«

Das Unbewußte ist wie eine Masse, die dem Menschen das nöthige Gewicht giebt, seinen Ballast, damit er nicht den Winden und Wellen ein Spiel wird. Wenn es sich auflöst und wie ein berauschender Wein in den Kopf steigt, verliert er das Gleichgewicht und den Halt, er haftet nicht mehr am Boden. Nun wirkt die Kraft der Natur nicht mehr in ihm, niemals fühlt er ihren warmen, feuchten, fruchtbaren Hauch in sich wehen, niemals ihren treibenden, schwellenden Saft in sich aufsteigen. Ohne Zusammenhang mit der Erde ist er wie eine märchenhafte Fieberblume, die sich nur von Licht nährt, wie ein losgerissenes Blatt, das beweglich auf ewig bewegten Wellen schwankt. In dem Wahne ebenso gut das eine wie das andre thun zu können, ebenso gut ja wie nein sagen zu können, fühlt er sich charakterlos und scheint es. Darin liegt die Unmännlichkeit, die den meisten Romantikern eigen war. Sie haben nie eine feste Ueberzeugung, es ist ihnen niemals ganz Ernst; wenigstens scheint es so. Tieck erzählte in späteren Jahren seinem Freunde Solger, wie er sich in der Jugend mit »frevelhaftem Leichtsinn« in die verschiedensten Geistesströmungen geworfen habe: »erinnere ich mich, durch welche Fluth wechselnder Gedanken und Ueberzeugungen ich gegangen bin, so erschrecke ich und mir fällt Hume's Behauptung ein, daß die Seele nur ein Etwas sei, an dem sich im Fluß der Zeit verschiedene Erscheinungen sichtbar machten.« Wenn Tieck selbst so über seine Unsicherheit und Unzuverlässigkeit dachte, ist es zu begreifen, wenn Jemand anders, es war Karoline, einmal von ihm sagte, er sei im Grunde nichts als ein würdiger und anmuthiger Lump; was freilich auch cum grano salis zu verstehen ist. Nur handelnd und wirkend könnte der romantische Mensch für das Verlorene Ersatz gewinnen und dann doppelt reich sein; aus seinem Bewußtsein würde sich ein Niederschlag bilden, eine neue Masse, Erkenntniß in Instinkt verwandelt. »Gewohnheit ist eine zur Natur gewordene Kunst. Naturgesetze sind Gewohnheitsgesetze.« Wie soll aber etwas Erlerntes anders zur Gewohnheit und zweiten Natur werden als durch fleißige Uebung? Und der romantische Charakter ist faul und stolz auf seine Faulheit. Nur Novalis war ein Romantiker mit Riesenarbeitskraft und -Lust. Tieck gelang es niemals, seine Abneigung gegen methodisches Arbeiten zu überwinden. Auch Sternbald und Lovell sind im Grunde nicht viel mehr als gebildete Vagabunden. Regelmäßige Berufsthätigkeit scheint ihnen unwürdig und erniedrigend, der Geschäftsmensch, der alltäglich seinem Verdienst nachgeht, verächtlich. Er fühlt seine Arbeitsscheu als Bürgschaft, daß er zu Höherem geboren sei. Novalis hat ein strenges, aber nicht unbilliges Wort darüber gesagt: »Wer nicht vorsätzlich, nach Plan und Aufmerksamkeit thätig sein kann, verräth Schwäche. Die Seele wird durch die Zersetzung zu schwach – oft ist Verwöhnung daran schuld. Das Organ der Aufmerksamkeit ist auf Kosten des thätigen Organs geübt – vorausgebildet, zu reizbar gemacht worden. Nun zieht es alle Kraft an sich, und so entsteht diese Disproportion.«

Daß es Schwäche war, ahnten sie im Stillen gut genug und litten schmerzlich darunter. Es ist ergreifend, wie dies Bewußtsein überall, bald als wehmüthige Erkenntniß, bald als bitteres Schamgefühl durchbricht. Im Sternbald ist immer und immer wieder von dem »emsigen Fleiße« Dürer's und des Lukas v. Leyden die Rede; und der müßig schwärmende Franz ahnt, bei allem schüchternen Stolz auf seine überirdische Gefühlswelt, daß gerade dieser prunklose bürgerliche Fleiß die Künstlerschaft jener beiden Großen vollendet, daß sein eigener Unfleiß mit dem tiefsten, verhängnißvollen Mangel seiner Natur zusammenhängt. Mit derselben ahnungsvollen Scheu berichtet Wackenroder von dem unermüdlichen Arbeitseifer der großen Künstler der Vergangenheit, und sein Jakob Berglinger, der nicht Arzt hatte werden wollen, wie der Vater wünschte, krankt an dem »unbehaglichen Bewußtsein, daß er mit allem seinen tiefen Gefühl und seinem innigen Kunstsinn für die Welt nichts nütze und weit weniger wirksam sei als jeder Handwerksmann.« Wenn er die Welt kämpfen und ringen sieht, kommt er selbst sich vor wie ein »lüsterner Einsiedler, der nur innerlich an schönen Harmonieen saugt und strebt, die Leckerbissen der Schönheit und Süßigkeit herauszukosten«, Angst und Scham überwältigt ihn, er möchte ein asketischer Märtyrer werden, um mit der leidenden Welt in's Gleichgewicht zu kommen. Aus derselben Quelle fließt das überreiche Mitgefühl Emil's in Tieck's Liebeszauber, der sich an seinem Hochzeitstage, weil er ein Bild schmutziger Armuth gesehen hat, schluchzend auf die Erde wirft und sterben möchte. »Empfange mich bald, du freundlicher Boden, verbirg mich in deinen kühlen Armen vor den wilden Thieren, die sich Menschen nennen! O Gott im Himmel, wie verdiene ich es, daß ich auf Daunen ruhe und Seide trage – o jetzt versteh ich euch, ihr frommen Heiligen, ihr Verschmähten. ihr Verhöhnten, die ihr Alles bis auf euer Gewand der Armuth ausstreutet – selbst elend wurdet ihr, um nur diese Sünde des Ueberflusses von euch zu werfen.« Und dies waren doch Tieck's Empfindungen, des Handwerkersohnes, der, als er so schrieb, beständig mit Nahrungssorgen zu kämpfen hatte. Nur das Bewußtsein, einen ernstlichen Kampf um's Dasein niemals bestehen zu können, jeder straffen Arbeit kleinmüthig auszuweichen, ließ ihn sich so schuldig fühlen gegenüber den Mühseligen und Beladenen.

Schelling's Erscheinung, als er in den Kreis der Romantiker trat, wirkte imponirend auf sie, fast verblüffend. Man sah ihm an, daß er sich auf's Herrschen verstand. Er hatte die starken Instinkte, die blinden Zu- und Abneigungen, um die jene den Naturmenschen beneideten. Aber wer durch Instinkte herrscht, kann auch ihr Sklave werden; und darin waren sie ihm überlegen, daß sie dieser Gefahr nicht ausgesetzt waren. Die Geistesfreiheit, die sie schmückte, war nur deswegen nicht die höchste, weil sie die Folge eines Mangels war. Einzig in Novalis erschien sie ganz als Stärke, und das war vielleicht die Ursache, warum Schelling ihn niemals leiden konnte; ihm gegenüber war er wie der Löwe, der unwillig, mit Geberden verhaltener Wuth, vor dem Menschenauge in sich zurückkriecht. Uebrigens aber staunte er die Leichtigkeit und geschmeidige Beweglichkeit dieser Geister an, die für die Wucht und Schwerfälligkeit seiner Schwabennatur unerreichbar war.

Eben jener Leichtsinn, der zuweilen an's Frevelhafte grenzte, ist die Stärke dieses Charakters. Er verschafft ihm Zutritt, wo immer die Genien des Scherzes und Muthwillens und der Tollheit sich zum Tanze treffen. Und wenn der Romantiker kein festgegründetes Haus für seine Seele hat, so weiß sie gelenkig durch die schmalste Ritze in fremde Wohnungen einzuschlüpfen und dort sich zu tummeln und umzuschauen. Er besitzt jene »Freiheit und Bildung«, die Friedrich Schlegel verlangte, sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, antik oder modern stimmen zu können, »ganz willkürlich wie man ein Instrument stimmt.« Und ebenso kann er sich in und auf jede Person stimmen. Diese Fähigkeit, sich zu stimmen und sich in andre Charaktere hineinzutäuschen, macht den Schauspieler; und es ist nicht zufällig, daß die Sucht des Theaterspielens im Zeitalter der Romantik epidemisch auftrat. Tieck sagt im Phantasus: »Da unser ganzes Leben aus dem doppelten Bestreben besteht, uns in uns selbst zu vertiefen und uns selbst zu vergessen und aus uns herauszugehen, und dieser Wechsel den Reiz unsres Daseins ausmacht, so hat es mir immer geschienen, daß die geistigste und witzigste Entwickelung unsrer Kräfte und unsres Individuums diejenige sei, uns selbst ganz in ein andres Wesen hinein verloren zu geben, indem wir es mit aller Anstrengung unsrer geistigen Stimmung darzustellen suchen: mit einem Wort, wenn wir in einem guten Schauspiel eine Rolle übernehmen.«

Nach dem Urtheil Aller, die ihn haben spielen sehen, hätte Tieck der größte Schauspieler seiner Zeit werden können. Auch Wilhelm und Friedrich versuchten sich darin, wie Jedermann; aber Friedrich glänzte nur in gewissen Rollen, die ihm entsprachen. Tieck hingegen konnte jede denkbare Person mit einer eigenthümlichen und für sie passenden Seele beleben. Niemand, dem jene Vorlesungen nicht Zeitlebens im Gedächtniß blieben, wo er Dramen nicht sowohl vortrug als durch die Gewalt seiner allausdrucksvollen Stimme vorspielte. Das Erstaunlichste schildert Steffens: wie er eine ganze von Uebermuth und Laune funkelnde Posse, auf ein gegebenes Thema, improvisirte. Ueberhaupt ist es schwer zu entscheiden, ob er mehr Improvisator oder Dichter war; diese reizende gesellige Gabe hat ihn um den höchsten Lorbeer gebracht. Er dichtete ganz wie Rudolf im Sternbald, ohne Anfang und Schluß, über Alles und Nichts, wie wenn er nur eben den Hahn öffnete und fließen ließe, bis Niemand mehr trinken kann

Das Lockersitzen des Geistes erleichtert den Umgang; man fühlt den Zwang und Druck seiner Natur nicht, man sieht sich gleichsam selbst zu, wie man gewandt und zierlich die Pantomime der Gesellschaft aufführt. Es liegt zwar in dieser Eigenschaft auch der Grund zu aller Ziererei, Affektation kurz äffischem Wesen, wie Tieck es ausdrückte. Viel gefährlicher aber noch ist die Angewöhnung, auch im wirklichen Leben, wenn es Ernst gilt, Rollen zu spielen. Es ist in Lovell meisterhaft dargestellt zu sehen, wie sich auf diesem Wege eine naiv freche Lügenhaftigkeit heraus bilden kann. Wenn Lovell ein Mädchen verführen will, deklamirt er ihr zuerst in bewußter Verstellung, heimlich sie und sich verlachend, seine Liebe vor; allmälig aber entzünden seine Phantasie und seine Sinne sich an dem bengalischen Feuer, und er schwärmt ihr endlich seine Meineide mit Hingebung und nicht ohne Treuherzigkeit vor. Höchst merkwürdig ist Tieck's Versuch, den Charakter Cromwell's aus dieser Freiheit und Beweglichkeit des Geistes zu erklären; wie er nämlich entdeckt habe, daß der Enthusiasmus, der ihm Anfangs natürlich gewesen sei, dessen er aber, um sein Ziel zu erreichen, öfter benöthigte, als der Trieb ihn brachte, sich auch bewußt herbeilocken lasse, wovon er denn häufigen Gebrauch gemacht habe: »auf die Art mußte dem großen Manne bald zweifelhaft werden, was in ihm wahr, was falsch, was Erdichtung, was Ueberzeugung sei; er mußte sich in manchen Stunden für einen Betrüger, in andern wieder für ein ausgewähltes Rüstzeug des Herrn halten.« Tieck erlebte das beständig in sich selbst; bald erzeugte das Bewußtsein, jede Neigung, jede Ansicht nach Belieben von sich werfen und gegen eine andre austauschen zu können, sprühenden Uebermuth in ihm, dann wieder Zweifel, Gewissensangst und verzweifelte Unsicherheit. Jedem Menschen liegen eine Menge Möglichkeiten des Handelns zur Auswahl vor, auch zu verwerflichem Thun kommen Einladungen, die nichts als ein unwillkürliches Auftauchen von Erinnerungen sind, mechanisches Umdrehen der Gedächtnißwalze, wie es auch im Traum geschieht. Derjenige nun, welcher den Unterschied zwischen einem genügenden Trieb zur Handlung und der Vorstellung davon nicht kennt, nimmt, was nur Zwischenaktsmusik ist, für das Stück selbst und rechnet sich mit verhängnißvoller Verwechselung geträumte Thaten an. Als Lovell, noch ein Knabe, mit seinem Freunde einen Berg bestieg, lockte es ihn unwiderstehlich, den Arglosen von einer schwindligen Klippe hinunterzustoßen bis er, um der Marter ein Ende zu machen, ihn unter heftigen Thränen an seine Brust riß, worauf der Bund für's Leben geschlossen wurde; nach Jahren aber suchte er, aus Rachsucht und Selbstquälerei, dem Freunde dadurch eine tödtliche Kränkung zu versetzen daß er ihm diesen Vorgang offenbarte, um zu beweisen, die scheinbare Freundschaft sei nicht aus Liebe, sondern vielmehr aus Haß und Mordlust hervorgegangen Mit ähnlichen Erlebnissen zerfleischte Tieck sich häufig, besonders in seinen Kinder- und Jugendjahren. Er machte sich in Wahrheit für jede wilde Regung seiner aufgeregten Träume verantwortlich und schauderte vor seinem eigenen Selbst zurück, wenn seine Einbildungskraft es ihm verzerrt vorgespiegelt hatte. Das Bewußtsein, ein heimlicher Missethäter zu sein, drückte ihn nieder und konnte ihn, den Geselligen menschenscheu machen; dann schlich er mit dem Gefühl herum, das fürchterliche Geheimniß seiner erträumten Verbrecher-Orgien vergraben zu müssen, dessen Entdeckung ihn in Schmach und Schande stürzen würde. Die schönere Seite dieser Eigenthümlichkeit ist das warme, freilich auch quälende Mitgefühl für jeden Frevler; denn »wo ist der Bösewicht, der nicht zum Engel würde, wenn er den Richter in die geheime Werkstätte seiner Seele führen könnte?« und es liegt ja, wie Tieck an andrer Stelle sagt, zwischen gut und böse, zwischen Freud' und Leid, Pietisten und Gotteslästerer, dem Patrioten und Landesverräther nur eine Sekunde.

Während der vollkommen unbewußte Mensch nur einen Weg des Handelns sieht, den seinigen, übersieht der vollkommen bewußte eine unendliche Menge, aber nicht ohne einen von Anfang an als den seinigen zu erkennen; beide haben eine richtigere Schätzung von sich und Andern, Jener freilich kein Verständnis. Der bewußtwerdende, der Dämmerungsmensch, mit seinem Eingehen in Andre, seinem Aufschlucken der fremden Persönlichkeit, seinem Aufgehen in ihr, ist der geborene Vertraute der Menschheit, Künstler der Freundschaft. Der instinktive Zug und Schwung des Gefühls, der die Helden der Liebe macht, fehlte den Romantikern meistens; in der feinen, spielenden Kunst, Geist an Geist zu reiben und zu entzünden waren sie Meister. Im Phantasus hat Tieck ein Bild zu geben gesucht von dieser zarten liebenswürdigen Geselligkeitsschwatzerei. Nirgends tritt das Weibliche der Romantik mehr hervor. Würden Männer, die nichts als Männer sind, mit so viel Grazie stundenlang über den hundertsten Theil der Faser einer Empfindung reden, plaudern und plaudern aus lauter Tanzlust des Geistes, heute durch Dick und Dünn eine Behauptung vertheidigen um sie morgen auf's Blut zu bekämpfen – »o Brüder, Engelsherzen, wieviel thörichtes Zeug wollen wir mit einander schwatzen!« Tieck hatte von Allen das größte Talent zur Freundschaft. Er hatte für Jeden Verständniß, Jeder konnte glauben, völlig mit ihm übereinzustimmen; was in dem Augenblick sich auch so verhielt. Sein Einfluß auf die Menschen fand hauptsächlich durch persönliche Gegenwart statt. Es that so wohl, sich in seinem empfänglichen Geiste widergespiegelt zu sehen; aber alle Spiegel bekommen ihren eigentlichen Werth, wenn man davor steht, ja sie sind im Grunde nur Etwas, insofern sie etwas Aufgefangenes widerstrahlen. Dies Gefühl, auch wiederum von denen abhängig zu sein, denen er so viel gab, mag zu der rührenden Pietät beigetragen haben, mit der er das Andenken der alten Freunde festhielt, während sich beständig, bis an sein Lebensende, neue um ihn sammelten. Als er eine Ausgabe seiner Werke veranstaltete, hatte er den Einfall, jeden Band einem Freunde zu widmen mit Worten, aus denen eine feine, geistige und darum unwandelbare Zärtlichkeit spricht. Des Freundes Eigenart ehren, sich von Jedem besonders ergänzen lassen, war die Grundlehre seiner Freundschaftskunst: man kann vielleicht vor dem Einen Geheimnisse haben, die man mit einem weniger Vertrauten theilt, wenn die Natur derselben Jenem unzugänglicher ist. »Verarge doch dem Freunde nicht, wenn du ahndest, daß er dir Etwas verbirgt; denn dies ist ja nur der Beweis einer zärteren Liebe, einer Scheu, die sich ängstlich um dich bewirbt und sittsam an dich schmiegt«; wie schön ist hier der bescheidene Geist der Freundschaft charakterisirt im Vergleich zur tyrannischen Liebe. Auch Schleiermacher und Friedrich philosophirten über Freundschaft, namentlich Friedrich hatte Unerhörtes mit der unsichtbaren Kirche, mit der neuen Hanse vor. Aber gerade er war viel zu massiv für diese ätherische Empfindung und hatte, trotz aller leidenschaftlichen Absicht, kein Glück damit. Wenn Tieck und Wackenroder Arm in Arm am Giebichenstein über der Saale saßen und die Welt hinter sich versinken ließen oder durch das alte Nürnberg mit einander schweiften, trunken von gemeinsamer Begeisterung, Einer durch den Andern beglückt und gehoben – das war romantische Freundschaft; romantisch auch dadurch, daß die verhüllte Gestalt des Todes dicht wie ihr Schatten ihnen nachzog. Ein langes Leben voll Krankheit war dem Einen bestimmt, Wackenroder ein jähes Sterben in der Jugend.

Wackenroder: ein Mensch von solcher Lieblichkeit, daß das zarteste Wort zu plump scheint, um sein Wesen zu bezeichnen; unter den übrigen Menschen wie Daniel unter den Löwen, aber ohne dessen erhabene Sicherheit. Denn er war scheu und nie ohne verhaltene Angst vor dem Leben, vor dem Zuviel; besonders vor dem Zuviel des Glückes. Wenn Tieck ihm seine glühende Freundschaft betheuerte und wie er nicht ohne ihn leben könne, erschrak er fast mehr als er sich freute, und wenn Tieck, von ihm getrennt, ein Wiedersehen und längeres Zusammenleben vorschlug, wehrte er sogar mit inständiger Dringlichkeit ab: das klopfende Herz möchte den liebsten Wunsch so gerne fassen und halten, wenn es nicht zu zerspringen fürchtete, die Krone des Glückes scheint zu schwer für das demüthige Haupt. Er wich aus, wenn das Füllhorn des Ueberflusses sich ihm zuneigte, weil er nicht wußte, wie er hernach das Entbehren ertragen sollte. Aber wenn das Schöne doch kam, empfing er es dankbar und selig. Ein gewisser überirdischer Ernst scheint ihn niemals verlassen zu haben, wenigstens mußte er bei den gemeinsamen Theaterausführungen der Freunde, als der am meisten dazu geeignete, die Kaiser und Könige darstellen. Allerdings war es ihm anzumerken, daß er in einem unsichtbaren Königreiche lebte und sich niemals in der Erdenregion zurechtfinden konnte, wo er auf einmal als ein gewöhnlicher Unterthan mit der körperlichen Welt hantiren sollte. Er gab sich große Mühe dazu und litt beständig unter Mißerfolgen. Um das gewaltthätige Menschenvolk nicht zu verletzen, wagte er sich mit feinen Prinzenideen nicht hervor und quälte sich doch mit Gewissensbissen über solche Unehrlichkeit und Feigheit. Er schleppte sich wund und müde an der Last des Berufes, den sein Vater ihm aufgezwungen hatte, am Studium der Jurisprudenz, und konnte doch, bei aller Hochachtung vor der Wissenschaft, seinen Widerwillen gegen einseitige Thätigkeit des kritischen Verstandes nicht überwinden. Er beneidete die Priester darum, daß ihr einziges Geschäft Verehrung und Anbetung war. Und das ist zu bewundern, wie streng, scharf, kritisch er sein konnte, wenn es galt, Tieck's erste poetische Versuche, die er mit übermüthiger Nachlässigkeit zusammenschrieb, zu beurtheilen; er ließ dem Freunde, an dessen Dichterberuf er glaubte, nichts Mittelmäßiges hingehen.

Von Frauenliebe scheint er nichts gewußt zu haben; Tieck gehörte die ganze Fülle seines zärtlichen Herzens. Vielleicht ahnte er, daß er sich an der Brandfackel der Liebe sogleich verzehrt haben würde. Voll Leidenschaft und Sinnlichkeit war er und hätte vielleicht ein wilder, ausschweifender Mensch werden können, wenn nicht in seinem Innern Etwas entzwei gewesen wäre: ich meine den Riß in der Scheidewand zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten. Nun strömte, was sich sonst vielleicht in furchtbaren vulkanischen Ausbrüchen entladen hätte, als betäubendes Dampfgewölk an's Licht und machte ihn zum phantastischen Träumer. Dem Geiste, in dem seine Sinnlichkeit sich aufgelöst hatte, theilte sie all ihr Süßes mit. Den Nebel aufzusaugen und zu vertheilen hatte die Sonne seines Bewußtseins nicht die Kraft, und so war ein wogender, dämmeriger Schleier über seinem Geistesleben – eine bezauberte Märchenlandschaft, deren reizenden Umriß man nur ahnen kann, zuweilen brechen Strahlen durch und es scheint klar zu werden, anstatt dessen aber wird der Nebel dichter und dunkler und löscht das liebe Bild aus.

Am Besten hat sich Wackenroder selbst geschildert in seinem Joseph Berglinger: »seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer oder Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich hervorschießt … Aber sein Inneres schätzte er über Alles und hielt es vor Andern heimlich und verborgen. So hält man ein Schatzkästlein verborgen zu welchem man den Schlüssel Niemand in die Hand giebt. – Es genügte ihm nicht die bloße Gesundheit der Seele, und daß sie ihre ordentlichen Geschäfte auf Erden, als Arbeiten und Gutes thun verrichtete – er wollte, daß sie auch in üppigem Uebermuthe dahertanzen und zum Himmel als zu ihrem Ursprunge hinaufjauchzen sollte.«

Und mit aufblitzender Erkenntniß sagt er am Schlusse der Lebensbeschreibung, was man als Motto über die Werke so manches Romantikers setzen könnte: »Ach, daß eben seine hohe Phantasie es war, die ihn aufrieb! Soll ich sagen, daß er vielleicht mehr dazu geschaffen war, Kunst zu genießen als auszuüben? Sind diejenigen vielleicht glücklicher gebildet, in denen die Kunst still und heimlich wie ein verhüllter Genius arbeitet und sie in ihrem Handeln auf Erden nicht stört? Und muß der Immerbegeisterte seine hohen Phantasien doch auch vielleicht als einen festen Einschlag kühn und stark in dieses irdische Leben einschlagen, wenn er ein echter Künstler sein will? Ja, ist diese unbegreifliche Schöpfungskraft nicht etwa überhaupt ganz etwas Andres und – wie mir jetzt erscheint – etwas noch Wundervolleres, noch Göttlicheres als die Kraft der Phantasie?«

Daß Genie Dualität sei, hatten denkende Romantiker erkannt. Das Verschwimmen des Bewußten und Unbewußten der beiden Personen des Ich in einander, also nicht scharf genug ausgeprägte Dualität ist die Ursache, warum die Künstler, die ich hier die romantischen im engeren Sinne genannt habe, keine schaffenden sein konnten. Physiologisch würde es Schelling als ungehemmte Produktivität bezeichnen. Denn die Natur, sagt er, ist in einer unendlichen Evolution begriffen und niemals würde ein Produkt entstehen, wenn die ewig strömende Produktivität nicht gehemmt würde. Das geschieht durch die Reflexion: »die Nothwendigkeit der Reflexion auf unser Handeln in jedem Moment (die beständige Duplicität in der Identität) ist der geheime Kunstgriff, wodurch unser Dasein Dauer erhält.« Die reine Produktivität geht auf Gestaltlosigkeit, eine entgegengesetzte Macht muß den Fluß aufhalten, damit er gestaltet erscheine. »Die Natur hängt einmal nach dem Verwildern hin, und darum muß man Tag und Nacht dagegen arbeiten«, sagt der alte Gärtner im Lovell, und Tieck ist auf diesen Gedanken der ihm besonders bedeutungsvoll erschienen sein mag, später ausführlicher zurückgekommen

Nach Schelling's Lehre ergießt sich die Kraft der Natur im Strome ihrer Entwickelung über drei Stufen: Reproduktionskraft, Irritabilität und Sensibilität, von denen die Sensibilität die höchste und letzte ist. Da sie die Fähigkeit ist, Eindrücke aufzunehmen und Irritabilität die Gegenwirkung gegen dieselben, so stehen diese beiden Kräfte im Wechselverhältniß und bilden zusammen, was man gewöhnlich Erregbarkeit oder Reizbarkeit nennt. Wo die Reproduktionskraft das Uebergewicht hat, wie etwa beim Löwen, sind die Reizbarkeitsäußerungen selten und schwer, aber kraftvoll; wo Sensibilität herrschen wird, nehmen sie an Leichtigkeit zu, wofür sie aber kraftloser werden. Der moderne, reizbare Mensch ist das Gegenstück des Löwen: während dieser ein Uebergewicht nach unten hat, hat jener es nach oben; es ist, wie wenn die Produktivität beim Löwen nicht in Fluß käme, beim romantischen Menschen sich nirgend staute. Er ist beständig beschäftigt, auf die zahllosen Reizungen, die er empfängt, zu reagiren, sein Herz, Sitz der Irritabilität, mattet sich ab in diesem Kampfe und jagt das Blut mit Heftigkeit durch den Organismus bis zu kraftloser Erschöpfung, aus der neue Reize es aufstören. Löwennatur mit der Reizbarkeit eines romantischen Menschen vereinigt würde den größten Künstler machen.

Wie vielsagend ist es nach diesem Gedankengange, wenn Tieck den Geist des Dichters – eines solchen wie er war, natürlich – mit einem ewig bewegten Strome vergleicht, dessen murmelnde Melodie in keinem Augenblicke schweigt, den jeder Hauch rührt, der jeden Lichtstrahl widerspiegelt. Nach immer neuen Bildern greift seine Phantasie, um die wollüstige Pein dieses unermüdlichen Auf und Ab in der Brust zu schildern. »Mein Leben ist ein rastloses Treiben ungestümer Wünsche«, sagt Lovell, »wie ein Wasserrad vom heftigen Strome umgewälzt, jetzt ist das unten was eben noch oben war, und der Schaum der Wogen rauscht und wirbelt durch einander und macht den Blick des Betrachtenden schwindlig.«

Dieselbe Frage wiederholt Franz Sternbald: »Wenn nur das ewige Auf- und Abtreiben meiner Gedanken nicht wäre! Wenn die Ruhe doch, die mich manchmal nur im Vorbeifluge küßt, bei mir einheimisch würde, dann könnt' ich von Glück sagen, und es würde vielleicht mit der Zeit ein Künstler an's mir … Ach ich seh' es ein, noch mehr fühl' ich es, das wird mir ewig nicht gegönnt sein. Ich kann nicht dafür, ich kann mich nicht im Zaum halten, und alle meine Entwürfe, Hoffnungen mein Zutrauen zu mir geht vor neuen Empfindungen unter, und es wird leer und wüst in meiner Seele, wie in einer rauhen Landschaft, wo die Brücken von einem wilden Waldstrom zusammengerissen sind.«

Tieck selbst klagte noch im Alter darüber, daß auf die Periode des »Leichtsinns« immer lange Zeiten der Melancholie, Muthlosigkeit, ja Verzweiflung folgten, wo er stumpf und unempfindlich, durchaus unfähig sei irgend etwas zu unternehmen und zwecklos in's Leere brüte.

In Wackenroder dieselbe Krankheit: »Ich komme mit mir selber nicht auf festes Land. Meine Gedanken überwälzen und überkugeln sich unaufhörlich. – Und so wird meine Seele wohl lebenslang der schwebenden Aeolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder unbekannter Hauch weht und wechselnde Lüfte nach Gefallen herumwühlen.«

Daß die »seltsamsten Absprünge von der höchsten Höhe zur tiefsten Tiefe« seinem Gefühle so gewöhnlich waren, fand Friedrich Schlegel als Jüngling am meisten an sich zu tadeln. Es versteht sich von selbst, daß er diese Anlage seinem Julius in der Lucinde leiht, von dem er erzählt: »Dann berauschte er sich in Bildern der Hoffnung und Erinnerung und ließ sich absichtlich von seiner eigenen Phantasie verführen Jeder seiner Wünsche flog mit unermeßlicher Schnelligkeit und fast ohne Zwischenraum von der ersten leisen Regung zur grenzenlosen Leidenschaft. Alle seine Gedanken nahmen sichtbare Gestalt und Bewegung an, wirkten in ihm und wider einander mit der sinnlichsten Klarheit und Gewalt. Sein Geist strebte nicht, die Zügel der Selbstherrschaft fest zu halten, sondern warf sie freiwillig weg, um sich mit Lust und Uebermuth in dies Chaos von innerem Leben zu stürzen.« Mit der ihm eigenthümlichen Gründlichkeit hat er diese für die Menschen seiner Zeit so charakteristische Erscheinung untersucht und begutachtet und kam zu dem Schlusse, daß Reizbarkeit das gefährlichste wie das schönste Geschenk der Götter sei. »Setzt in einem Gemüth die Empfänglichkeit sehr gering, die Reizbarkeit so grenzenlos, daß die leiseste Berührung ihre ganze Schnellkraft anregt; die Selbstthätigkeit sei so stark, daß sie die Herrlichkeit des Lebens mit der Reizbarkeit theile. Sein Dasein würde ein stetes Schwanken sein wie die stürmische Woge, eben schien sie noch die ewigen Sterne zu berühren und schon stürzt sie in den furchtbaren Abgrund des Meeres. Diesem Gemüth fiel aus der Urne des Lebens das höchste und das tiefste Loos der Menschheit; innigst vereint ist es dennoch ganz getrennt und im Ueberfluß von Harmonie unendlich zerrissen.«

So möchten sie Alle das Danaergeschenk doch nicht missen und sind stolz auf das, was sie als ihr Unheil empfinden. Mit bewundernswerther Klarheit erkannte Tieck, daß die Reizbarkeit der Stachel war, der ihn nie dazu kommen ließ, ein ruhiges objektives Urtheil zu gewinnen: seine Sinne, die Gaukler, wie er sie nennt, schoben immer neue Gegenstände zwischen ihn und das beobachtete Bild, bis es ganz verzerrt und zerrissen war. Und doch machte es ihn glücklich, wenn ihm immer neue Gedanken und Gefühle »wie schießende Sterne durch die Seele flogen und einen blaugoldnen Pfad hinter sich machten« und er kannte nichts Schöneres als ein Durcheinander von Gefühlen, Stimmungen und Anklängen, das den Menschen wie mit einer Flamme durchschimmert. Ebenso klammert sich Sternbald, obwohl er beständig klagt über sein Zittern, Schwanken und Schweben, das ihn am kräftigen Schaffen hindert, an diese Krankheit, diesen Rausch, diesen Wahnsinn als an sein Bestes und Schönstes fest; und doch steht Dürer, als der Mächtige, groß und unantastbar im Hintergrund, und es klingt, als wolle er mit wenigen schlichten Worten seine selbstverständliche Ueberlegenheit erklären, wenn er sagt: »Mir hat der Himmel ein gelassenes Blut geschenkt.«

Klar, scharf und keinen persönlichen Antheil verrathend ist, was Novalis über die Reizbarkeit gesagt hat:

»Allzu große geistige Beweglichkeit und Sensibilität deutet auf Mangel an Capacität. Siehe die phantasiereichen ahnungsvollen Menschen.«

»Wer eine reizbare Seele hat, bei dem weckt ganz natürlich die Gegenwart eines Unglück die ganze Schaar des andern Unglücks auf, und nun geht im Sturm und Zittern Alles bunt durch einander, ohne Verstand und Ueberlegung.«

»Eine reizbare Vernunft ist eine schwächliche, zärtliche; daher die Moralisten und Bemerker oft so schlechte Praktiker.«

Die Reizbarkeit gab den Romantikern das ewig Jünglingshafte; denn die Jugend ist die Zeit des schäumenden Blutes, wo auch dem Gelassensten wohl einmal die Zügel aus der Hand fallen. Es ist nicht die runde, unschuldsvolle, staunende, nichts von sich wissende Kindlichkeit, die naive Menschen auch im Alter haben können; es giebt auch frühreife, schmale Kindergesichter mit großen, erschrockenen Augen die mehr wissen, als sie fassen und ertragen können, die nicht ordnen können, was Alles auf sie einstürmt, und deswegen nicht aus und ein wissen in dem verwickelten Leben.

»Ein Kind voll Wehmuth und voll Treue,
Verstoßen in ein fremdes Land« –

so hatte Novalis seinen Freund Tieck angeredet. Tieck erzählte in späteren Jahren, wie er als kleines Kind mit seiner Wärterin auf dem Schloßplatze in Berlin gewesen sei und herzlich vergnügt die vielen Gegenstände um sich herum betrachtet habe, und wie da die Wärterin, von ihm unbemerkt, zum Scherz sich hinter einem Pfeiler versteckt habe; da ergriff ihn zum ersten Mal das Gefühl von Verlassensein so schrecklich, daß das kleine, verschüchterte Gemüth sich gar nicht wieder wollte trösten lassen. Mehr als andre Menschen hat der romantische Charakter Grauen vor der Einsamkeit und ein an Schwäche grenzendes Bedürfniß nach Gesellschaft und befreundeter Umgebung, und bei allem Hang und aller Gabe zur Freundschaft erschwert gerade ihm seine Reizbarkeit den Verkehr mit Menschen unendlich. Jede Abweichung vom Ideal, von dem Bilde, das seinem schönheitssüchtigen Auge vorschwebt, stört ihn und kann ihn zu erbittertem Unwillen reizen. »Sein Freund zu sein, ist die Aufgabe aller Aufgaben; denn er ist so reizbar, daß man nur husten, nicht edel genug essen oder gar die Zähne stochern darf, um ihn tödlich zu beleidigen.« Selbst nicht harmonisch hat er ein leidenschaftliches Verlangen nach Harmonie in Andern. Nur Wenige wissen die Liebe zum Vollkommenen mit Duldung des noch Unvollendeten zu vereinigen, und doch ist jene nur mit dieser großherzigen Nachsicht verbunden schön und gut. »Allzu heftige Unleidlichkeit des Unvollkommenen ist Schwäche«, sagt Novalis.

Der einzige, den die Romantiker ohne Vorbehalt verehrten, war Goethe. Er war für sie etwas der antiken Poesie Gleichzustellendes: ein Sinnbild der Schönheit, der sie zustrebten. Ebenso wie die moderne Poesie im Gegensatz zur antiken war ihr Charakter nicht schön, sondern interessant: interessant bedeutet Zwischensein, also Werden. Alles gilt von ihnen, was Friedrich Schlegel zum Tadel und zum Ruhm der modernen Kunst sagte: die hervorbringende Kraft rastlos und unstät, die Empfindlichkeit immer ebenso unersättlich wie unbefriedigt, Verworrenheit, Gesetzlosigkeit, Skepticismus, vielseitige Charakterlosigkeit – Alles in Allem ein Chaos. Aber aus dem Chaos schuf der schönste der Götter, Eros, eine Welt.

Wenn nun das Chaos, um einen Ausdruck von Friedrich Schlegel zu wiederholen, nur auf die Berührung der Liebe wartet, um eine harmonische Welt hervorzubringen, so erinnert das an die Ansicht von Novalis, jede Verbesserung unvollkommener Constitutionen laufe darauf hinaus, daß man sie der Liebe fähiger mache. Und merkwürdig stimmt damit die Lehre überein, die der alte Mann in Tieck's Roman dem Sternbald giebt, daß das Höchste was der Mensch erlangen könne, Zufriedenheit mit sich selbst sei. »Mit sich zufrieden sein«, rief der Alte, »mit allen Dingen zufrieden sein, denn alsdann verwandelt er sich und Alles um sich her in ein himmlisches Kunstwerk und läutert sich selbst mit dem Feuer der Gottheit«; und eindringlich knüpft er die Empfehlung an den Jüngling daran, seine Kunst und sich selbst zu lieben und zu verehren, ja keiner nachtheiligen Selbstverachtung Zugang zu gestatten. Man könnte es für sehr wunderlich halten – wenn man nicht gar Ziererei darin sieht, – daß eine Schwierigkeit darin liegen soll, sich selbst zu lieben. Und doch war es keine Affektation wenn so viele der Romantiker nach diesem so natürlichen Triebe mühsam rangen, auch Friedrich Schlegel behauptete, daß die Unfähigkeit sich selbst zu lieben ihm die Bahn zur Größe verschließe. Abgesehen davon, daß die beiden Personen, die das Ich bilden, übereinstimmen müssen, wenn sie sich lieben sollen, muß man bedenken, daß die Kunst thatsächlich darin liegt, den richtigen Grad der Selbstliebe zu treffen, so daß man vor Selbstüberhebung ebenso sicher ist wie vor Selbsterniedrigung, ferner das richtige Verhältniß zur Nächstenliebe zu finden. Es giebt Menschen, denen es verhältnißmäßig leicht wäre, den Nächsten mehr als sich selbst zu lieben, während sie das Gebot, welches befiehlt, ihn wie sich selbst zu lieben, nicht erfüllen können. Dem Romantiker ist es eigen, zwischen einer sich selbst wegwerfenden Hingebung an die Menschen und Ekel an ihnen zu schwanken. Man vergleiche die Stelle im Phantasus, wo Tieck von der Empfindung, mit der er im Plutarch von großen Menschen liest, mit einer andern in Lovell, wo Balder seiner Menschenverachtung Ausdruck giebt. Dort fühlt er eine Welt zu viel und möchte sie dem angebeteten Helden in den Schoß werfen, ein quälender Drang sich aufzuopfern beseelt ihn. Hier heißt es: »Ach das Brausen von Mühlrädern ist verständiger und angenehmer als das Klappern der menschlichen Kinnbacken; der Mensch steht unter dem Affen, eben deswegen, weil er die Sprache hat, denn sie ist die kläglichste und unsinnigste Spielerei. – … Ich stand in einer fernen Welt und gebot herrschend über die niedrigen Schwatzthiere, tief unter mir … und rief den Fleischmassen zu: Ihr Armseligen – Klumpen von todter Erde – Thiere und Bäume sind in ihrer Unschuld verehrungswürdiger als die verächtliche Sammlung von Staub, die wir Menschen nennen.« Sind auch diese Worte einem Wahnsinnigen in den Mund gelegt, so hört man ihnen doch an, daß Tieck sie in sich erlebt hat. Und man sieht hier, wie Selbstverachtung und Menschenverachtung sich gegenseitig bedingen.

Wir sehen den Dämmerungsmenschen, das Chaos, in dem die Massen trübe durch einander schwanken. Das Licht ist eingedrungen und sucht sie zu theilen – noch wird es nur als die scheidende Macht empfunden, die aus einander schneidet, was mit dumpfem Wohlgefühl in eins verschwommen war. Reichthum, Harmonie, Vollendung nannte Friedrich Schlegel die drei Theile, die zur reinen Vollkommenheit des Charakters gehörten, womit nichts Anders gemeint ist als Willen (Trieb, Unbewußtes), Intellekt (Absicht, Bewußtsein) und Vereinigung dieser beiden Hälften in eine Welt. Indem er sagt, Vollendung äußere sich als Selbständigkeit oder sittliche Liebe, macht er es uns klar genug, was wir darunter verstehen sollen. Diese Dreieinigkeit ist keine andre als die Herder's: Licht, Liebe, Leben.

Wenn die dämmernden Massen des Chaos in Tag und Nacht geschieden sind, dann erst kann die Liebe sie harmonisch verbinden. Mit der einschlagenden buchstäblichen Richtigkeit klassischer Offenbarungen nannte der Apostel Paulus die Liebe das Band der Vollkommenheit.

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