Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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287 Die Müllers Kathrein schwieg und stützte ihr Haupt in beide Hände, auch wir Anderen verhielten uns stille, nur Natalie schluchzte laut und verhüllte ihr schönes Gesicht. Auf einmal erhob sie sich, sah mich mit rothgeweinten Augen aber gefaßten Blickes an, und reichte mir wie zum ewigen Abschied die Hand. Dann bat sie ihren Bruder und den Lieutenant sie nach Hause zu begleiten. Die Müllerin ließ sie durch einen kundigen Knecht auf den Weg bringen und bald waren wir geschieden.

Kurz darauf kam der wackere Holzhauer mit dem Arzte an. Dieser erklärte nach längerem Besuch und auf tausend besorgte Fragen Heinrich's, daß Peregretta mit dem Schrecken davon kommen werde, daß aber für das Leben des Kindes wohl zu fürchten sein möchte.

Am andern Morgen hatte sich die Gegend wieder gelichtet; der Himmel war klar, der Schnee machte zwar auf dem wenig betretenen Pfade etwas zu schaffen, aber unser Holzhauer führte uns über bequeme Pfade. Heinrich hatte gegen das Herabsteigen Bedenken erhoben, allein Peregretta drang darauf, 288 in ihre Wohnung heimzukehren. So machten wir ihr den Weg so annehmlich als möglich, führten und stützten sie, und trugen sie an steileren und unebeneren Stellen auf den Armen. Auch die Müllers Kathrein, die Heinrich nach seinem Hause gebeten hatte, folgte dem Zuge. Der Holzknecht, welchen der wiederbeglückte Gatte reichlich beschenkte, hatte mit ihm einen Pakt geschlossen, auf Lebensdauer in seinem Dienste zu verbleiben. Der alte Diener, den die Kunde von Peregrettens Wiederfinden in erster Frühe erreicht hatte, kam uns auf halbem Wege entgegen; er mochte nicht aufhören ihre Hände zu küssen.

Da Heinrich sich von der Hoffnung auf seines Weibes Heimkehr nie hatte entwöhnen können, so waren auf seinen Befehl auch ihre Zimmer in derartigem Stand gehalten worden, als erwartete man ihre Ankunft jeden anderen Tag. Sie fand kein Stäubchen auf ihren Tischen und Kästen; auf ihrem Pult lag das Buch noch, mit dem Zeichen da, wo sie vor acht Monaten aufgehört hatte zu lesen. An ihrem Arbeitstisch ruhte, unter einem Tuche verhüllt, die Nähterei, von der sie sich getrennt, und Nadel, Garn und Bleistift eben da, wo sie sie damals hingelegt hatte. Ihr Lager war stets frisch überzogen und die Nachtkleider in Bereitschaft.

Schweigende Glückseligkeit strahlte aus den Augen 289 der Wiedergefundenen, und wie sie so da lag in den blendenden Kissen, auf denen das dunkele Haar sich ringelte; die Blicke nicht von ihrem Gatten wendend, als wollte sie auf einmal nachholen, was sie mondenlang schmerzenreich entbehrt hatte; die mageren Wangen leicht geröthet vom noch einmal aufleuchtenden Wiederschein eines untergehenden Glückes; die schmalen weißen Hände regungslos geduldig ausgestreckt auf der dunklen Seide ihrer Decke – da meinte man den leidenden Engel der Weiblichkeit zu sehen, und wer einen Kummer hatte in seinem Herzen, der hörte auf daran zu glauben, wenn er den Glanz erkannte, der von dem Angesicht dieser glücklichen Dulderin schimmerte.

Allein hier in ihren Gemächern verschwand Peregretta so gut wie gänzlich für uns. Heinrich saß den langen Tag vor ihr, er hielt ihre Hände, er strich ihr das Haar aus der Stirne, er sprach leise mit ihr und ließ sich von ihr ebenso erzählen. Jeder Tritt einer Sohle im Nebenzimmer war ihm eine unliebsame Störung; jedes Wort, jeder Blick, die wir an sein Weib richteten, galt ihm ein Raub an seiner Liebe. Er wollte sie allein haben und wir mußten ihm dieß billig gewähren; selbst die Wehmutter und die Müllerin, welche der Kranken wartete, beschränkten sich auf die nothwendige Hülfe, die anderen 290 Hausgenossen sprachen nur ein- oder zweimal des Tages vor und dann nur auf kurze Minuten.

Am Abend des dreißigsten Dezember änderte sich das. Heftige Wehen stellten sich ein, der Arzt verließ das Haus nur selten, und Diener und Wärterinnen rannten mit besorgten Mienen durcheinander. Die Nacht war leidenreich und sorgenvoll.

Am Morgen des einunddreißigsten Dezember, früh nach sieben Uhr, gebar sie einen gesunden Knaben, der sofort die vier Wände beschrie. Bei der Wöchnerin aber stellten sich bald darauf beunruhigende Zustände ein. Als ich einige Zeit später wieder in's Zimmer trat, schlief sie; Heinrich hatte das Haupt auf ihr Lager gedrückt und schien gleichfalls der Ermüdung einen kleinen Zoll zu bezahlen. Die Frauen grüßten mit schweigendem Nicken, ich setzte mich leise in einen Stuhl und betrachtete das schöne wachsbleiche Gesicht der Schlummernden.

Heinrich hob die Stirne und seine Augen hafteten wieder unverwandt auf den geschlossenen Wimpern seines Weibes. Sie erwachte und ein Blick voll Innigkeit fiel auf die besorgten Mienen des Mannes. Dann frug sie mit leiser aber ruhiger Stimme nach dem Kinde. Man beruhigte sie und willfahrte ihren Wünschen.

Wieder hielten sich die Beiden Hand in Hand, 291 auch sprachen sie zuweilen leise und zärtlich. Da trat eine lange Pause ein, Peregrettens Züge verriethen gewaltsam zurückgepreßte Weherufe, ihre Lippen klemmten sich aneinander und das Sprechen schien ihr versagt.

Es ging vorüber, sie lächelte wieder und zog Heinrich zu sich herab, auf daß er sie küßte. Von draußen hörte man ein kurzes, fernes Geläute. Das schien einen schmerzlichen Gedanken in ihr zu erregen, sie wand langsam ihre Hände aus denen Heinrich's los, griff mit der linken nach dem Goldfinger der rechten und streifte den Ehering herab, den sie wie bittend Heinrich entgegenhielt, auf daß er ihn zurücknehme.

Der aber schluchzte laut auf und indem er hastig den goldenen Reif an seinen alten Platz steckte, rief er mit thränenerstickter Stimme:

»Nie, niemals! Du und nur Du für alle Zeit und Ewigkeit!«

Er beugte sich sanft über sie. Ich verließ trauernd dieses Gemach der Schmerzen.

Als ich es wieder betrat war es spät in der Nacht, das Schreien und Weinen der Mägde rief mich die Treppe hinauf. Peregretta war verschieden.

Da lag sie regungslos, odemlos in ihren Kissen, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet. Im 292 Zimmer brannte nur eine Lampe, deren Strahlen fielen gerade auf die schönen Züge der Todten und spielten mit magischen Lichtern über die blassen Lippen, über die langen Wimpern.

Als ich eintrat, stürzte Heinrich schreiend an meinen Hals. Nach geraumer Weile bat er mich, ihn zu verlassen und um sein Kind mich umzuthun. Dann setzte er sich wieder an das Bett seiner entseelten Liebe.

Ich ging hinab und sah nach dem Knäblein. Es zappelte und schrie, und die Mägde meinten, das gäbe einen gesunden Jungen. Peregretta hatte ihr Kind selbst stillen wollen, dennoch hatte man sich zur Vorsorge nach einer Amme umgesehen. Dieselbe wohnte mitten in der Stadt, und ich beschloß, sie sogleich herbeizuschaffen.

Als ich über der Wiese war und die Straße betrat, hörte ich noch das Schreien des jungen Weltbürgers, der mit Thränen und Weheklagen seinen Eintritt in's Dasein bejammerte; vor der Thüre des Hauses von Püren stand ein wohlbepackter Reisewagen, im oberen Stockwerk waren alle Fenster hell erleuchtet, und deutlich schollen zum emsigen Klirren der Champagnerkelche die Freudenrufe in die Nacht hinaus: »Es lebe die Braut! Es lebe der Bräutigam! Hoch! Hoch!«

293 Von den Thürmen der Stadt schlug's eben Zwölf, aus meilenweiter Ferne drang der langgezogene Pfiff einer Lokomotive durch die Windstille, und hoch über den Häuptern des Erdenwallens grüßten durch zerrissenes Wintergewölk die Sterne der Ewigkeit ein neues Jahr.

 


 


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