Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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III.

Als ich das letzte dieser Blätter aus der Hand legte, waren die Kohlen in meinem Ofen verglüht, die Lampe herabgebrannt, und auf meiner Uhr schlug es ein Viertel nach Mitternacht. Es war sehr kalt geworden in meiner Stube, und es fröstelte mich an Leib und Seele. Zuerst dachte ich daran, dem armen Freunde zu schreiben, was ich über seine Lage urtheilen und rathen müßte; wenn mir aber dann die plötzliche Hinneigung zu Natalien in den Sinn kam, so entschloß ich mich wieder anders. Entweder mußte Heinrich von dieser ihn neuerdings ankränkelnden Neigung, die ich für keine lebensfähige, herzkräftige Leidenschaft halten mochte, von Grund aus geheilt werden, oder ich mußte mich überzeugen, daß eine Heirath mit jener ersten Geliebten wirklich das einzige Mittel sei, dieß tiefgebeugte Menschenherz noch einmal mit der Welt und ihrer sittlichen Ordnung dauernd zu versöhnen.

Diese Natalie mußte sich sehr zu ihren Gunsten und noch mehr wider mein Erwarten entwickelt 216 haben, wenn sie das wirklich war, was die schmerzgetrübten Augen meines Freundes in ihr erkennen zu müssen meinten. Vielleicht auch waren die meinigen nicht so unparteiisch als ich glaubte, und mehr von der reizvollen Erscheinung Peregretten's bestochen als ich selber wußte.

Ich konnte lange keine Ruhe finden, und meine späteren Träume zeigten mir die Zellen und den Garten der Kreisirrenanstalt zu E. Als ich aber erwachte, stand der Entschluß in meiner Seele fest, den Bitten des Freundes nachzugeben, und sein Urtheil durch augenscheinliche Ueberzeugung zu bekräftigen oder zu bewegen. Nach kurzen Stunden hatte ich Alles zu meiner Abreise vorbereitet, die dringenden Briefe und den Koffer besorgt, und das nöthige Material zu den Arbeiten, in welchen ich gerade beschäftigt war, beigepackt.

Eine geraume Zeit schon fuhr ich auf dem neuen Schienengeleise dahin; meine Gedanken flogen mit den Dampfwolken des wandernden Schlotes weit über's Land hin, der armen Seele entgegen, welche die Stunden zählte bis zu meiner Ankunft. Da fiel mir's ein, daß ich noch gar die beigelegten Briefe nicht gelesen hätte, welche Heinrich vor drei und vier Jahren oder etwas darüber an Natalien geschrieben.

Ich nahm einen nach dem andern aus meiner 217 Brieftasche und bat diese Geister entschwundener Tage, mir auf der langen Fahrt die Zeit zu vertreiben. Besonders die erste Epistel schien an's Gelesenwerden sehr gewohnt zu sein. Sie sah aus wie die Fahne eines tapferen Regiments, das zu öfteren Malen im Feuer gewesen. Das arme Papier war gefaltet, geknetet und so zerdrückt, als wär' es wiederholt so rasch als möglich in einer kleinen hohlen Hand verborgen worden; von der einen Seite ging ein Riß in die Schrift, der zu sagen schien, daß schon einmal auch eine unbefugte Hand habsüchtig und neugierig nach ihm gegriffen.

Der erste Brief Heinrich's an Natalien.

Am 30. Dezember 185 . .  

»Es ist früh am Morgen; kaum daß man zum Schreiben genug sieht. Sie sind wohl eben aufgestanden, und lachen aus Ihrem Nachthäubchen über irgend einen schlechten Witz Ihres jungen Brüderleins, das sich auf sein Frühstück nur so ungezogen als möglich gedulden kann. Vielleicht auch stecken Sie Ihr halbverschlafenes Köpflein aus dem vielumschlichenen Fenster Ihres Stübchens in die kalte Morgenluft, und denken an dieß und das, was Sie des Tages über anfangen wollen und was Sie des Nachts geträumt haben, an die Toilette für den Neujahrstag 218 oder an die Lebkuchen vom letzten Weihnachtsbaum, an ein Kapitel aus Paul und Virginie, an Ihre Freundin Wilhelmine oder an Gott weiß wen oder was. Ich nun meinestheils ich denke an Sie, und vielleicht kommt Ihnen von ungefähr auch das in den Sinn. Wo ich aber an Sie denke, davon können Sie keine Idee haben, denn ich wüßte nicht, wie Sie darauf kommen wollten, daß man den verrücktesten Ihrer Verehrer in den Rathsthurm gesperrt hat. –

»Nächtliche Laune, gute Gesellschaft, mein schönes, volltönendes Organ, der Schlaf meiner Mitbürger und die Entrüstung einer hohen Obrigkeit, all' das hat so durch- und aufeinander gewirkt, daß man mir eröffnet hat, mich zur Ausbildung meiner juristischen Gefühle viermal vierundzwanzig Stunden lang das pennsylvanische System kosten zu lassen.

»So sitz' ich denn hier oben mit einem Paar mächtig dicker Bücher, und habe nebenbei Zeit genug, darüber nachzudenken, wie schön Sie sind. In meinem Grübeln und Träumen werd' ich durch Niemanden gestört; denn um mich her ist nichts Lebendiges außer einer kleinen Spinne, die sich auf meiner Lektüre recht behaglich zu befinden scheint. Damit es in meinem schmucklosen Aufenthaltsort heimlicher sei, hab' ich so hoch als möglich an die kahle weiße Wand 219 mit meinem Rothstift das Zauberwort Natalie geschrieben, und sodann aus der Schieblade meines Tisches, in welcher außer Namen nichts enthalten war, sämmtliche Züge und Arabesken ausgemerzt, um an ihrer Stelle eine einzige Hieroglyphe einzukerben.

Meine Aussicht geht weit hinaus über die schneebedeckte Kugelhaide gegen Wellenburg zu, in weiter Ferne schließen die grauen, nebelnden Bäume einer Chaussee meinen Horizont. Auf den Gassen vor mir regt sich noch immer nicht viel, als höchstens ein paar frühgeschäftige Mägde und einige alte sacht rasselnde Fuhrmannskarren. Da sieh'! Da steht ein Soldat bei seinem Schatz: sie wünschen sich wohl guten Morgen. Jetzt küssen sie sich gar; einmal – zweimal – dreimal – viermal – noch einmal; sie wähnen sich unbelauscht, denn sie ahnen nicht, daß da oben am hohen Kerkerfenster ein lustiger eingesperrter Vogel lehnt, der all' das verliebte Zeug mit ansieht und seine Freude daran hat. Was es das Volk gut hat! Weiß Gott, wenn ich Sie wiederseh'? Freilich ist das eine viel andere Sache; die da drunten haben sich beide lieb, wen aber Sie lieb haben, weiß ich nicht, werd' es auch schwerlich so bald erfahren; und wenn die da unten glücklich sind, so ist dabei gar keine Nothwendigkeit vorhanden, daß auch andere Menschen es sein müssen; denn zwischen 220 einem Korporal, der seinem Mädel den guten Morgen wegküßt, und einem verliebten Staatsdiener, den man bald nach Beginn seiner Carrière in den Rathsthurm gesteckt hat, ist ein großer Unterschied. – Jetzt geh'n die zwei dort unten auseinander; er bleibt an der Straßenecke wie gebannt, während sie in raschen Sätzen von dannen springt, dazwischen aber immer wieder inne hält, um ihrem Schatz noch einen Gruß zuzunicken und noch einen. Nun ist sie um die letzte Ecke. Doch das ist eine alte Geschichte:

»Keine Rose, keine Nelke
Kann blühen so schön,
Als wenn zwei verliebte Herzen
Bei einander thun stehn!«

Auf die Stelle aber, wo die zwei beiden gestanden, setzt jetzt ein Holzhauer seine Säge und orgelt mit ihr in abscheulichen Tönen, daß ich das Fenster schließe und wieder zurückkehre zu meinen Thorheiten.

Und ist es nicht eine große Thorheit, Ihnen all' das tolle Zeug da zu schreiben? ist es nicht noch eine viel größere Thorheit, einen langen Brief an Sie zu schreiben, den Sie doch niemals lesen dürfen? Aber da ich Sie nicht sehen und sprechen kann, so ist mir's ein wohlthuendes Gefühl in meiner Einsamkeit, wenigstens schriftlich so behaglich mit Ihnen zu plaudern. Und wenn Sie dieß Geschreibsel auch nie zu 221 Gesicht bekommen werden, so ist mir doch jetzt, als hörten Sie allem dem zu, was mir einfällt, und lachten im Augenblick über den thörichten Menschen, der ich bin. Wer weiß, vielleicht plagt Sie gerade der Hetscher, oder es klingt Ihnen seit einigen Viertelstunden schon in den kleinen Ohren. Sie ärgern sich schrecklich, denn Sie haben schon die ganze Reihe Ihrer Polkamazurkatänzer durchgedacht, und das Klingen hört nicht auf – da endlich besinnen Sie sich auf mich, alles Singen und Summen hat ein Ende, und nun ärgern Sie sich erst recht, daß eben kein Gescheidterer an Sie so unverschämt gedacht hat! Je nun! Vielleicht sind Sie auch gerade bei guter Laune und lassen es sich lächelnd gefallen. – Wenn ich so in guten Stunden vergnügten Herzens bei Ihnen saß, meine verrückten Einfälle auskramend, und Sie mich ansahen mit Ihren klugen, lieben Augen, da dacht' ich mir oft im Stillen, Sie wären mir gut, und mein einfältiges Herz jubelte bei diesem Gedanken. Wenn ich Sie ein andermal nach ausgerastem Tanze zu Ihrer Mutter zurückgebracht, die uns mit scherzenden Vorwürfen über unsere Ausgelassenheit empfangen; oder wenn ich Sie nach einer langen Oper, von Ihrer aufmerksamen Köchin gefolgt, nach Hause geleitet hatte, dann träumt' ich wohl so Manches von einer schönen Zukunft und baute 222 ragende Schlösser in die windige Luft. Und so geht's mir auch jetzt; hinausschauend in das weite, schneeüberlagerte Gefilde, denk' ich wie die Zeit vergeht. Noch ein paarmal wird der Frühling den Schnee schmelzen und hinterdrein wieder der Winter seine kalte Decke über's Land ausbreiten; dann seh' ich fernehin einen wohlgepackten Reiseschlitten fahren; die Peitsche knallt, die Schellen klingeln, und drinnen sitzen, eng aneinander gedrückt, ein Männlein und sein Weiblein. Der Wind pfeift lustig vor ihnen her, und gute Geister folgen segnend ihrem Geleise. Nach langer Fahrt hält das Gespann vor einem kleinen, traulichen Gehöfte, das glücklichen Frieden in sich schließt. Und der Mann schwingt seine schöne Genossin aus dem Schlitten und führt sie mit kosenden Armen in sein bescheidenes Haus. – – – –«

 


 


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