Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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226 Wie ich mich erinnere, hatte mir mein Freund gesagt. daß er längere Zeit vor der prosaischen Gewöhnlichkeit einer förmlichen Verlobung so entschiedenen Widerwillen gehegt habe, daß er sich trotz der Bitten seiner Verehrten nicht dazu entschließen mochte. Da ihn nun deren Familie, um so mehr, als Heinrich in ganz unabhängigen Verhältnissen lebte, für einen Allerweltscourmacher ohne ehrliche Absichten halten mochte, so werden die Thränen, deren der Brief Erwähnung thut, von jenen Tisch- und Bettreden ausgepreßt worden sein, durch welche Frau von Püren mit Hülfe einer rath- und beistandschenkenden Vettern- und Basenschaft ihr gehorsames Töchterlein von dem Manne ihres Wohlgefallens loszulösen versuchte. Der dritte Brief, welcher mir mitgetheilt wurde, folgte rasch auf den zweiten, rasch auf ihn folgte Heinrich's endgültiger Entschluß, in aller Form Rechtens um Nataliens Hand anzuhalten. Wie wir bereits aus dem Vorhererzählten wissen, erwies jene Abneigung, welche Heinrich instinktiv von allem hergebrachten Formenwesen für Liebessachen abhielt, ihre nachgehende Berechtigung in dem raschen Umschwung, 227 auf welchen, mißstimmt von den kleinen Lächerlichkeiten der Alltäglichkeit, Herz und Seele meines Freundes sich begaben.

Ein dritter Brief Heinrichs an Natalien.

»30. Mai.  

»Wär' ich anders, als ich nun einmal bin, ich würde wohl heut' aus Herzenskräften mit Dir schmollen und mich mit dem Gedanken quälen: Sie hat Dich belogen und betrogen; sie hat Dich nie geliebt, wenn sie Dir's auch hundertmal mit Worten und Blicken glauben gemacht, und Du warst ein Narr und das ein recht verblendeter, blinder, wenn Du Dir einbilden konntest, die Natalie wäre ein anderes Stück Mädel denn die übrigen u. s. w. – Ich aber denke von Diesem und Aehnlichem gar nichts; ja, ich will Dir nur gestehen, – was Du kaum erwarten wirst – daß ich gestern an der Betrübniß unserer Unterhaltung eben so viel schuld war, als Du, ja noch etwas schuldiger. Mein ganzer Kopf steckt seit etlichen Wochen in Ausgleichungen und Geschäftlichkeiten, die mir ihrer ganzen Art nach wie im Einzelnen von Grund auf zuwider sind, und dennoch ihrer Nothwendigkeit halber meine ganze Vorstellungskraft beherrschen. So kommt's, daß ich des Abends nicht immer jene Ruhe des Geistes bewahrt habe, 228 mit der man eine an und für sich unschuldige Laune auslachen soll, wie Deine gestrige war. Freilich wäre es besser, wenn die Menschen, die man so sehr lieb hat, gar keine Launen besäßen – aber ich weiß, daß wir nun einmal allesammt nicht ohne Fehler sind; ich weiß, daß Kinder Launen haben, und mein schönes Kind hat eben deren auch zuweilen, wenn auch Gottlob nur selten! Ein altes Sprichwort sagt: »Was sich liebt, das neckt sich,« und Du hast demselben jüngst alle Ehren angedeihen lassen. Aber offen gestanden, ich halte die gar zu genaue Befolgung dieser Regel für falsch. Ich glaube fest, daß es gar nicht nothwendig ist, daß sich die Leute ihre Liebe dadurch beweisen, daß sie sich bei Tage die gute Laune mit dem gesunden Appetit und zu Nacht den Schlaf verderben; ja ich weiß, ich weiß es ganz genau, daß man sich aus tiefstem Herzen lieb haben kann und doch nichts zu thun braucht, was den Andern schmerzt, nichts zu unterlassen, was ihm wahre Freude macht. Liebe Natalie, unser Leben auf Erden ist so gar viel zu kurz gemessen, als daß zwei Liebende Zeit genug hätten, auch nur Ein Viertelstündlein mit Schmollen oder Zanken zu verderben, zu vergeuden. Nein, nein, sie sollen sich lieb haben aus allen ihren Herzenskräften, und fest aneinander halten im Bewußtsein ihres gegenseitigen Werthes, so lange 229 sie sich nur halten können. Es kommt ein Tag über kurz oder lang, da sitzt der Eine auf dem frischgrünenden Hügel, die Augen sind ihm verweint und die Stimme gar heiser vor Schluchzen, und er fährt mit fühlenden Fingern die Buchstaben des geliebten Namens nach, die ein Meißel von vorgestern in den harten Marmelstein gefurcht. Er hört die Grillen zirpen im hohen Kirchhofgras, und er möchte gern wissen, ob die Grillen auch unsterblich sind, und ob sie sich wiederfinden werden, wenn sie der nächste Winter erst verschneit hat, wiederfinden werden in einem Sommer ohne Ende, im vierblättrigen Klee einer andern Welt, den ein duftiger Thau benetzt, darin sie dann alle die Freuden nachzirpen können, welche sie heuer versäumten zwischen irdischem Gras und Kraut. Er glaubt es nicht, daß die Grillen unsterblich sind, und wieder fängt er an bitterlich zu weinen und beklagt sich um jedes Tröpflein guter Zeit, das er im eitlen Zorn vergeudet, das hinaus geronnen ohne Liebesglück. Ja selbst die Ewigkeit, kann sie einen verlorenen Augenblick wiedergeben?

Wir nun, gute Natalie, die wir zwei kluge Leute sind, wir wollen unsere Zeit gut anwenden und uns ehrlich lieb haben alle Tage und Stunden und Minuten, die uns gegönnt sind; zwischen unseren Seelen soll nichts sein, worüber wir mit einander 230 verdrießlich thun möchten, und käme ja einmal dergleichen uns an: weg damit im Augenblick! Du und ich und ich und Du, und sonst Niemand mehr auf der Welt! Lasse mir die Tanten und die Muhmen aus dem Spiele; sie haben Dir so lange an den blonden Zöpfchen geflochten, bis sie Dir den Kopf verdreht, und nun weißt Du selber nicht mehr, was Du thun und lassen willst, und thust am Ende, was Dich bald und bitterlich gereut. Ich habe es selber in letzter Zeit mehr denn einmal versucht und habe einen Anlauf genommen, von Dir zu lassen. Allein wenn ich nur erst einmal das Gesicht abgewandt hatte, die Füße machten bald wieder Kehrt. Ich glaube, wenn ich drei Jahre im Grabe gelegen wäre, und es weckte mich einer wieder auf, ich hätte wohl vergessen, wie Vater und Mutter geheißen, nicht aber die Liebe zu Dir. Wär' ich ein Soldat und der Feind trüge Dein Bildniß auf seinen Fahnen, ich würde sie alle erbeuten oder von der meinigen flüchtig werden. Ich hab's erprobt, daß ich nicht ohne Dich leben kann, und so mag ich's auch gar nicht länger versuchen und will in den sauren Brei beißen, der um das Schlaraffenland meiner Liebe aufgemauert ist. Ich meine, ich will einen schwarzen Frack und gelbe Glacéhandschuhe anziehen, ich will Bücklinge machen und Gesichter schneiden, ich will Deine 231 Mutter um das auf's Unterthänigste bitten, was Du mir selbst schon längst gewährt hast, ich will Deine Onkels und Basen demüthigst anflehen, mir ihren Beistand um Gotteswillen in einer Sache nicht zu versagen, die sie so wenig angeht wie meines seligen Urgroßvaters Schnupfen. Mit Einem Wort, ich will um Dich anhalten und die Bedenklichkeiten dagegen anhören, würdigen und überlegen, und Dein Verlobter und Bräutigam werden, damit ich in fünf Monaten Dein Mann und Du mein Weib sein kannst.

Offen gestanden, ich zöge es lieber vor, Deine Onkel und Vettern zu prügeln, und Deinen Muhmen und Tanten Salz in den Kaffee zu streuen, als ihnen um den Bart zu gehen, ihren Tabak zu loben und ihre Schooßhunde hinter den Ohren zu krauen. Allein es muß sein; so sei es denn. Der ist ein Thor, der die Sippschaft seiner Liebsten ärgert, und ich kannte einen solchen, mir ein Beispiel dran zu nehmen.

Ich will nicht handeln als ein Thörichter, ich will sie streicheln, wenn sie mich schimpfen, und mich in sie verlieben, wenn sie die Nasen rümpfen. Darum trockne Deine Augen, in acht Tagen kann Deine Mama die lithographirten Verlobungsanzeigen cachettiren, und Alles ist in Ordnung und nach Herkommen und Sitte.

232 Der Mond geht auf gegenüber meinem Fenster, er schaut mich an und bewundert einen Entschlossenen. »Junggeselle gewesen!« sei's drum! Schlaf' wohl, Natalie, alle meine Gedanken sind bei Dir.«

 


 


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