Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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30 »Ich bin in meinem Leben nicht immer gar sonderlich auf der Hut gewesen. Ich habe manches gethan wie im Traum, und Vieles geschehen lassen wie im Schlaf, das aber weiß ich gewiß und genau, daß ich Natalien sehr lieb gehabt, und daß ich mir die vernünftigsten Gründe wie die wohlthätigsten Folgen dieser Liebe viel hundert Mal vorgerechnet und eingeprägt habe. Als Du sie gesehen war sie noch ein halbes Kind, was aus diesem sich für ein ganzes Mädchen entfaltet, hast Du nie gekannt. Gerade die Verschiedenheit unserer Charaktere war es, von der ich mir das Glück ehelicher Gegenseitigkeit auf Lebensdauer weissagte. Wenn ich einsah, daß ihre alltägliche Art zu leben und zu denken auch nicht im Entferntesten sich nach jenen romantischen Erschütterungen sehnte, welche mir nothwendiges Bedürfniß geworden waren, so sagt' ich mir, deine prosaische Gattin wird die vernünftige Ergänzung deines einseitigen Wesens sein, sie wird dich hindern, zu viele dumme Streiche zu machen, auch ist es einmal Zeit, daß du ein gesetzter Bürger wirst. Selbst die an's Gedankenlose streifende Unterordnung unter die einfältigsten Capricen ihrer 31 Mutter rührte mich; denn ich sagte mir, du wirst eine exemplarische Hausfrau, ein Muster von Hingebung und Treue heimführen. Daß sie gegen mich kühl und zurückhaltend war und das Maß erlaubter Vertraulichkeit ängstlich nach der Zeitdauer unseres Verhältnisses abwog, reizte mich nur mehr. Und so mußt' es denn kommen, daß ich eines lauen Frühlingsabends mein Restchen Verstand an die Wand warf, und mich nach Erfüllung sämmtlicher im Familiencodex derer von Püren festgesetzten Förmlichkeiten fest und feierlich verlobte und versprach.

»Wie ich nun so als ein fertiger Bräutigam vor dem Herrn auf die kühle Straße herabkomme und mir ein scharfes Lüftchen um das Haupt geht, so konnt' ich nicht anders, als mir nochmals alle die barocken Förmlichkeiten und steifen Komplimente zu Gemüthe zu ziehen, mit welchen man mir den Weg zu meiner Herzliebsten verlegt hatte.

»Wie sie da saßen, rund herum wie die heilige Vehme, und dann die Alte eine einstudirte Rede hielt von der göttlichen Einsetzung der Ehe, und von ihres Kindes Vortrefflichkeit, und von den Baumwollspinnereien meines seligen Herrn Vaters, und wie dagegen einer ihrer Stiefonkel mütterlicher Seits bei Wagram geblieben sei u. s. w., bis zu den Fragen 32 und Antworten beiderlei Geschlechts, und dem Segen des Himmels!

»Es war doch gar zu albern, zu komödienhaft. Ich stieß einmal meine Verlobte unter dem Tisch leise an das Füßchen, da ich meinte, auch sie könne das Lachen nur mit Mühe verbeißen. Als ich aber einen flüchtigen Seitenblick nach ihr schickte, sah ich zwei dicke Thränen der Andacht langsam über ihre Wangen perlen.

»Im Weitergehen gestand ich mir, daß Natalie heute nicht ihren guten Tag gehabt, die hellen Farben stehen ihr aber auch gar nicht zu Gesicht. Warum trug sie auch nicht Eine Blume, obwohl sie weiß, daß ich Blumen so liebe? Sie thut mir doch eigentlich Nichts zu Gefallen. Und das bloß, weil ihr die Alte angemerkt, daß rothe Rosen nicht zu ihrer Haarfarbe passen. In der That war mir mein Schatz noch nie so unverschämt blond vorgekommen, als heute am Verlobungstage.

»Während dieser sündhaften Meditationen war ich unvermerkt an einen Straßengraben gekommen, ich that einen falschen Schritt und verzog mir eine Sehne am Bein.

»Die verwünschte Verlobungszerstreutheit! fluchte ich unwillkürlich auf, und schlenderte, ein wenig hinkend, langsam an der Wand eines kleinen 33 Seitengäßchens dahin. Es war Sonntag, der erste Sonntag bei vollem, unzweideutigem Frühlingswetter, und lustiges Volk jubilirte und musizirte aus allen Schenken und Kellern heraus.

»Ich merkte nun erst, daß ich eigentlich ernstlich durstig sei. Die Frau Schwiegermama war bei der feierlichen Gelegenheit etwas knickerich mit der heidnischen Gottesgabe des Weins umgegangen. Ekliche Person! dacht' ich bei mir und hinkte in den Thorweg einer braunen Vorstadtschenke, an deren Thüren ich dann folgenden Anschlagzettel in rosenfarbenen Exemplaren, verschiedene Male, einige auch verkehrt, angeklebt, fand:

Hier ist zu sehen und zu hören
für kleines Geld
der große neapolitanische Königstenor
Petrucchio Chorago Dentifice
und die unnachahmliche, niedagewesene
Primadonna Peregretta
von der großen Oper zu Madrid.

»Eine Komödie um die andere; sei's drum! 'brummt' ich, setzte mich in der geräumigen Zechstube an einen einsamen Tisch, streckte mein schmerzendes Bein auf einen Stuhl, und labte mein ärgerliches, brausendes Bräutigamswesen an kühlen Bieren.

»Ich wurde allmählig ruhiger und sah mich im Zimmer um. Die ganze Umgebung verrieth wenig 34 Würde, aber viel Gemüth. Um den nächsten, größten Tisch saß eine laute Gesellschaft, welche zum größeren Theil aus Herrschaftskutschern zu bestehen schien; sie erging sich über Werth und Alter einer von Hand zu Hand wandernden ausländischen Silbermünze in fabelhaften Hypothesen. Mir gegenüber zechten zwei Maurer im Sonntagskostüm mit ihren Schätzen. Neben mir schlief, das Gesicht in seinen rechten Arm auf die Platte gelegt, ein junger Mensch, der einen Arbeitskittel und dazu Artillerieuniformshosen trug. Sein Hut lag auf der Erde, sein Glas war unberührt. Ueber seinem Haupte baumelte in einem mit blauen und rothen Bändern verzierten Glaskasten das Zunftzeichen eines mir räthselhaften Handwerks von der Decke herab. In der Ecke hing ein hölzernes Kruzifix mit Oelfarbe bestrichen; die Bilder an den Wänden zeigten sonderbare Begebenheiten aus der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte Krähwinkels.

»Es schien eben eine Vorstellung beendigt zu sein, denn es war von den Sängern nichts zu vermerken. Erst später machte mich eine im Winkel ruhende Harfe auf eine Gruppe aufmerksam, die mitten unter den anderen Gästen saß. Ein altes Weib in grauen Haaren hatte einen etwa siebenjährigen Jungen auf dem Knie hocken, das sie in rascher Bewegung auf- 35 und abgehen ließ, worüber der auf seinem Sitz in die Höhe geschüttelte Knabe ein laut auflachendes Vergnügen empfand. Daneben sah ich einen Mann, der bald aufstand, bald sich niedersetzte und dabei mit der linken Hand ein Notenblatt nach dem andern, das er leise summend überflogen, bei Seite legte, während die rechte fortwährend an der Kehle herumfingerte oder am Zäpfchen drückte. Seinem Aussehen nach schien er ein Fünfziger, sein Haar und Schnurrbart waren schwarz gefärbt und zeigten an weniger gelungenen Stellen jenen bläulichen Schimmer, in welchen nach etlichen Tagen dieses Friseurkunststück auszuarten pflegt. Von dem vierten Mitgliede der Gesellschaft sah ich nichts als etwas schwarzseidenes Kleid, zwei Hände, einen an den Fingern abgestutzten Handschuh und einen umfangreichen Strohhut, wie man ihn in Sommerfrischen zu tragen pflegt. Sein breiter Rand verhüllte das von ihm bedachte Wesen bis an die Brust. Dasselbe Wesen war eifrigst in den zinnernen Deckel seines Bierglases vertieft, auf welchem es mit einer glasköpfigen Haarnadel eine Unzahl von Buchstaben und Arabasken einzugraviren beflissen war. Vor ihm in einem schellenreichen Tambourin lag ein Haufe bläulichrothen Flieders und etliche Zweiglein Jasmin. Von dem letzteren führte es ab und zu einige Blumen unter den Hut, als ob es 36 sich damit ein wenig von dem moralischen Geruch seiner Umgebung erholen wollte.

»Ich rückte neugierig meinen Stuhl etwas zur Seite, aber das half nichts. Ich beugte mich über meinen schnarchenden Nachbar, der nun seinerseits mit einer Bewegung aus dem Schlummer sein Tischlein umwarf, daß die Glasscherben über's Estrich rasselten, und mir das Bier an Hals und Hosen spritzte.

»Die Maurer und Kutscher hatten deß wenig Acht, während sich der arme Teufel, der, um ein paar Sechser zu gewinnen, einen weiten Weg über Land schweres Gewicht getragen hatte und nun von Müdigkeit und Schlaf übermannt worden war, in tausend Entschuldigungen quälte. Nachdem ich ihn beruhigt und mich getrocknet, sah ich nach dem Strohhut. Er zeigte mir ein blühendes Mädchengesicht auf dem schönsten Halse, den ich je gesehen, große Augen und volle Lippen, um welche eine kurze Weile die muthwilligste Schadenfreude spielte. Dann erröthete sie bis unter die schwarzen Zöpfe hinein, die ihre Stirne kränzten, und der breite Hutrand senkte sich verhüllend nieder bis auf die Schellen des fliedergefüllten Tambourins.

»Auch ich sah vor mich hin auf den Boden; da lag zwischen den Glasscherben meines Nachbarschoppens 37 das Röslein, welches mir heute Abend meine Braut in's Knopfloch gesteckt zum ewigen Gedächtniß dieser schönsten Stunde. Es war bei der Ueberraschung des Tischumschlagens zur Erde gefallen, und ich ließ es auf der Erde liegen. Ich dachte an meine Braut und an die schöne Harfenistin, deren rascher Anblick mir wie ein Blitz durch die Seele gefahren, und ich dachte, daß es was unvergleichlich Kostbares sei um einen freien Junggesellen.

»Unterdessen klingelte Maestro Petrucchio Chorago Dentifice di Milano mit einem schrillen Glöcklein und begann zur Guitare ein Sololied, welches die Alte mit der Harfe begleitete, während der Junge auf dem Boden saß und an den Falten ihres Kleides zupfte. Das Lied war jedoch ebensowenig, wie der Mann, der es sang, ein geborener Neapolitaner, sondern ein wiener Vollblutgassenhauer mit vieldeutigem Refrain, welchen der Alte mit eklichem Stimmaufwand und in korrekter Dialektaussprache schmunzelnd und Gesichter schneidend zum Besten gab.

»Ich hörte nicht viel davon; denn meine ganze Aufmerksamkeit war auf den Hut gespannt, und mir schlug das Herz vor Freude, weil sie bei all' dem Geklatsch und Gelächter nicht Einmal aufsah, sondern um so emsiger mit der Nadel kritzelte.

»Nachdem der Alte unter Beifallsbezeigungen 38 geendet, verneigte er sich mit komischer Beflissenheit, und sprach im Ton eines Marktschreiers: Sofort werden wir die Ehre haben, das lustige Liebesduett aus der berühmten Oper: ›Die Hochzeit des Sarazeners‹ oder ›der blinde Scheerenschleifer‹ vorzutragen. Wir erbitten nur vorher noch eine kleine, freundliche Pause.

»Er griff nach einem messingenen Tellerchen und stellte dasselbe unter leisen Aufforderungen vor das Mädchen. Diese aber schüttelte sachte den Kopf und schien in kurzen, bestimmten Sätzen die Zumuthungen entschieden abzulehnen, welche ihr auch die Alte auf's Eiligste zuflüsterte. Der Mann resolvirte sich endlich, und gab mit einem halbverschluckten bestia maledetta! dem Knaben das blanke Schüsselchen in die Hand, der dann von Tisch zu Tische kleine Münzen einzubetteln ging.

»Dies zu Ende gebracht, begann das Duett, ein unbekanntes, unbedeutendes Musikstück, in dessen krausem Text ein liebebedürftiger Alter eine spröde Schöne um Erhörung fleht, und endlich die Sträubende durch reiche Versprechungen zur ehelichen Einwilligung bewegt; dieselbe wird ihm unter höhnischer Versicherung seines häuslichen Friedens gewährt.

»Das Mädchen hatte sich mit einer raschen Bewegung erhoben, den breiten Hut vom Haupte gelöst, und 39 war, den Trotz erzwungener Gleichgültigkeit in starren Zügen festhaltend, ihre dunklen Flechten hinter's Ohr streichend, mit dem Alten auf einen niederen Antritt am Fenster gestiegen.

»Primadonna Peregretta sang zwar mit gepreßter Stimme und mit gänzlicher Unbekümmertheit um falsch oder richtig, aber die gegenseitig schmollende Einleitung wurde lebhaft und lustig abgespielt. Im Verlaufe der Aussöhnung schien sich Meister Petrucchio wegen der vorhergegangenen Weigerungsfatalitäten an der spröden Schönen dadurch rächen zu wollen, daß er die seiner Rolle vorgeschriebenen Zärtlichkeiten und Zudringlichkeiten in einer obscönen Weise übertrieb, welche wohl bei dem verehrlichen Publikum steigenden Beifall erntete, aus Peregretta's Augen aber das Feuer zürnender Verachtung blitzen ließ. Sie ergriff das Tamburin, welches bisher zu ihren Füßen gelegen war, und schlug damit, den Freiwerber abwehrend, auf die lüsternen Hände.

»Soweit sah die Geschichte noch recht munter aus, denn man konnte Angriff und Abwehr auf Kosten eines sehr lebendigen Spieles setzen. Als aber nun der durch die kleinen Mißhandlungen nur zu größerer Bosheit Gereizte, seiner selbst vergessend, das bebende Geschöpf um die Hüften packte und mit Gewalt auf den Mund küssen wollte, faßte die Umklammerte das 40 Tambourin mit beiden Fäusten und schlug ihr Instrument mit solcher Wucht auf den Kopf des Unverschämten, daß das Trommelfell knallend entzweibarst,. und das überraschte Spitzbubengesicht wie aus einer weiten Halskrause aus dem klingelnden Rahmen in die Welt guckte. Im nächsten Augenblick sauste das rasche Mädchen schon an mir vorbei und zur Thüre hinaus.

»Petrucchio Dentifice, da er die Gewaltsame verschwinden sah, war rasch von seiner Bestürzung erholt und stürmte mit dem ganzen übrigen Menscheninhalt der Schenke fluchend, schimpfend, und dabei unwillkürlich mit den Schellen seines neuen Halsbands läutend, in die Nacht hinaus, das flüchtige Mädchen und die Freude des Abends wieder einzufangen.

»Ich selbst befand mich mitten im Strome. Draußen lief jedoch bloß der Impresario weit, die Andern blieben am Thor stehen und gafften aus der Entfernung zu. Da indessen jener die Richtung, welche die Fliehende genommen, nicht kannte, so kehrte er wie ein Hund, der die Fährte nicht finden kann, immer wieder um. Nun ersah er zwei Gendarmen, welche durch den Lärmen auf der nächtigen Straße herbeigelockt waren, im Schein der Gaslaternen um die unterste Häuserecke biegen, und war schon im Begriffe, sich auf diese mit Nachfragen und 41 Ansuchen zu werfen, als ich zu ihm trat und ihm, den Arm gefaßt, zuraunte:

»Ich will Euch den Schaden, welcher durch das Unterbrechen Eurer Vorstellung verursacht, ersetzen, unter der Bedingung, daß Ihr heute Nacht gar nicht mehr und auch hernach nur ohne polizeiliche Hülfe nach der Entsprungenen suchen wollt. Was verlangt Ihr für den Schaden?

»›Der Schaden ist unersetzlich,‹ rief er, ›und die Schande nicht zu bezahlen, aber‹ – fügte er leiser hinzu – ›wenn Ihr mir fünf Gulden gebt, so will ich die Närrin aus Respekt vor Euer Excellenz Nachtruhe für heute laufen lassen.‹

»Ich gab ihm das Geld, über dem er lachend seine Hosentasche zuknöpfte und sich zum Gehen anschickte. ›Dummkopf, der ich bin,‹ grinste er, ›die Polizei! ha ha! und wozu auch die ganze Mette? wozu? Wenn wir heimkommen, finden wir sie doch auf unserem Strohsack, oi, oi! Soferne Ihr aber, mein freigebiger Herr, meint, mit Euren lumpigen Guldenstücklein bei der windigen Teufelei ein paar Steine im Brett zu haben, so irrt Ihr Euch auf's Allermerkwürdigste. Uebermorgen Nacht sind wir auch weit davon und gut vorm Schuß, und somit gute Nacht, mein Prinz.‹

»Er kicherte und trat in die Wirthschaft zurück, 42 aus der sich gar bald ein schallendes Gelächter vernehmen ließ. Wahrscheinlich auf meine Rechnung. Ich beruhigte die Gendarmen, welche mittlerweile herangekommen waren, und nachdem ich einen Theil der Nacht auf den Straßen verschlendert hatte, ging ich heim.

»Am andern Morgen spät erwacht, besann ich mich des ganzen Vorfalls erst nur wie eines wirren Traums, dann schmerzte mich mein Fußgelenk und ich blieb im Bette liegen, obwohl mir einfiel, daß ich auf die Stunde, die eben schlug, meine Braut zum ersten Mal am Arme durch die Straßen führen und ein halb Dutzend Staatsvisiten versuchen sollte.

»Meine entschuldigende Absage kam um ein Merkliches zu spät; auch wollte mein Bedienter wenig Gnade gefunden haben. Ich beschied mich in Gottes Namen.

»Des Nachmittags kamen mehrere Freunde, durch ein Gerücht herbeigehetzt, welches bereits die Runde durch die Residenz machte. Sie wollten die wilde Schönheit sehen, welche ich gestern einem Zigeuner um schwere Summen abgehandelt habe. Ich sann fruchtlos darüber hin und her, auf welchem Weg mein Abenteuer, und dazu noch in dieser grausamen Entstellung, an die große Glocke gewandert sein konnte, bis mir die Herrschaftskutscher am nachbarlichen Tische 43 einfielen, von denen mich der Eine und Andere erkannt, und die Geschichte, um seinem Gebieter eine annehmlichen Frühstücksplauderei zu gewähren, mit zierlichen Uebertreibungen brühwarm aufgetischt haben mochte.

»Ich eilte zu meiner Braut; ›man‹ war nicht zu Hause. Ich wiederholte den Versuch und ›man‹ war für den Abend ausgebeten, aber ›man‹ wußte nicht zu sagen zu wem. Ich ging ziellos auf den Straßen umher bis zur Nacht und sah jedem Köpfchen unter den Hut. Aber die Züge jenes armen Mädchens, das zum Mindesten meine ganze Neugier erregt hatte, konnt' ich unter keinem Rand entdecken. Ich sperrte mich auf meiner Stube ein, lief wieder fort, besuchte alle Kneipen in der Vorstadt der Reihe nach – Alles umsonst. Im Wirthshause von gestern wußte kein Mensch zu sagen, woher, wohin die vier Menschen gekommen waren. Ich gedachte der von Petrucchio erwähnten Abreise. Peregretta's Spur schien im Gewühl des Lebens auf immer für mich verloren.

»Am folgenden Nachmittage kommt der Bruder meiner Braut an, ein dunkler Ehrenmann vom zweiten Artillerieregiment, der mir im Namen der Seinigen kund und zu wissen thut, daß selbe sämmtlicher Beziehungen zu einem Menschen meiner Gattung los und ledig sein wollen; die Familie sei durch mich auf's Abscheulichste kompromittirt, der ich mich an 44 ein und demselben Tage meiner feierlichen, öffentlichen Verlobung in einer Pfennigschenke mit einem Harfenisten um seine Dirne gerauft hätte.

»Sechsunddreißig Stunden später stand ich ihm auf Mannslänge gegenüber. Da ich mir im Widerpart keinen sonderlichen Fechter wußte, war ich ziemlich leichtsinnig, ich möchte sagen, zerstreut, während mein Feind von allen Rachegeistern seines edlen Hauses angeblasen wurde. So kam's, daß mir zu meinem größten Aerger gleich in der zweiten Minute ein schwerer Hieb den Biceps in so grausamer Weise verletzte, daß ich sofort kampfunfähig war. Die Aerzte schnitten bedenkliche Gesichter, und so lag ich denn wieder daheim hinter meinen Bettvorhängen und zählte die Blätter in dem Dessin meiner Wandtapete. Um ein wildfremdes Mädchengesicht, das ich keine fünf Minuten lang gesehen, hatte ich den langerstrebten Besitz einer vielumfreiten Braut, den Gebrauch meines rechten Arms und meinen feuerfesten Humor verloren; die liebe Residenzstadt mißhandelte meinen guten Namen in allen großen und kleinen Cirkeln, in Theekränzchen und Bierhäusern mit den verwunderlichsten Entstellungen eines unschuldigen Erlebnisses.

»Was mir meinen Zustand ganz unerträglich machte, war der Aerger, nun an's Krankenlager gefesselt zu sein, nun, da ich alle Winkel und Ecken 45 nach der verlorenen Urheberin meiner aufhabenden Kalamitäten zu durchstöbern Willens war.

»Konnte ich mich an die Fremdenbureaus, an die Hausknechte der Vorstadtgasthöfe wenden? Sollte ich meine Freunde in's Vertrauen ziehen? ihnen fruchtlose Späheaufträge geben und mich noch mehr lächerlich machen? Ich war rathlos.

»Da tritt am dritten Morgen in aller Frühe mein Diener an das Bett und sieht mich mit einer Miene an, in der Verlegenheit und Fürwitz um den Preis ringen. Endlich sagt er aus, ein Mädchen sei vor der Thüre, es lasse sich nicht abweisen und wolle mit dem Herrn selbst reden. Er habe es für eine Bettelei gehalten und um seine Zudringlichkeit derb angelassen, worauf die Kleine nichts weniger als von ihrem Verlangen abgestanden sei, sondern sich auf die Treppenstufen gesetzt und da sitzen bleiben zu wollen erklärt habe, bis er vernünftig geworden sein würde.

»Nach kurzer Weile trat Peregretta in mein Zimmer. Ich sah durch meine Bettvorhänge, wie sie einen Augenblick zögernd an der Thüre stehen blieb, als bereue sie nunmehr, diesen Schritt gethan zu haben. Aber ihr Bedenken war kurz, und da lag sie vor meinem Lager auf den Knieen und barg ihr gluthübergossenes Angesicht, dem die Feuerfarbe 46 bis in die kleinen Ohren gestiegen war, lautschluchzend in die Federdecke meines Krankenbetts.

»Ich hatte Mühe, sie zu beruhigen; dennoch schlug sie nur selten die Wimpern auf, nur zuweilen warf sie einen scheuen Blick, schnell wie der Blitz, nach mir; aber ich sagte im Stillen: so hat dich dein Lebtag noch kein Weib angesehen.

»Das Stadtgespräch war bis in den Winkel ihres Verstecks gedrungen; sie hatte gehört, daß man mir den rechten Arm abnehmen müsse, und daß ich eine Heirath verscherzt, die das Glück meines Lebens begründen sollte, und das Alles um einer schlechten Dirne willen. Nun habe sie's nicht länger verwinden können, mich zu sehen, um mir zu danken, daß ich ihr von der Gemeinschaft jener abscheulichen Menschen geholfen habe, an die sie sich in einem Augenblicke kindischen Leichtsinns gekettet, und um mich auf den Knieen um Vergebung zu bitten für all' das Leid und alle Schmerzen, die sie mir wider Wissen und Willen verursacht – und endlich auch, um mir zu sagen, daß sie nicht das sei, wofür sie die bösen Mäuler in der Stadt ausgäben, daß sie keine Verworfene, keine Verabscheuungswürdige, sondern eines ehrlichen Mannes ehrliche Tochter. Sie habe es nicht ertragen wollen, daß ich sie nicht nur verwünsche, daß ich sie auch verachte.

47 »Sie sah mich mit ungläubigen Augen an, als ich ihr versicherte, daß es in keiner Weise so schlimm um mich stünde, als man ihr vorgesagt, und daß ich niemalen Böses von ihr habe glauben wollen und können. Ich bat sie, noch etwas bei mir zu bleiben und mir Einiges von ihrem bisherigen Leben zu erzählen; dabei fuhr ich ihr sachte mit der linken Hand über die stolze Stirne und das sorgsam geflochtene Haar; sie schien es gerne zu leiden. Da verfärbte sie sich mit einem Male, alles Blut war aus ihrem Angesicht gewichen, sie erhob sich und wollte nach der Thüre hin, ließ sich aber ganz erschöpft in einen zunächststehenden Lehnsessel nieder. Sie hielt die Hände vor's Gesicht und schluchzte bitterlich, wie Jemand, der mit einem heftigen Verlangen kämpft und sich seiner Schwäche schämt. Dann sah sie sich im Zimmer um, bis ihre Augen auf meinem Betttischchen haften blieben. Dort lagen einige Apfelsinen, die ich mir gestern Abend ausgebeten hatte.

»›Schenken Sie mir die schöne Frucht,‹ sagte sie halblaut, ›ich habe einen ganz abscheulichen Hunger heut' in aller Früh.‹ Dabei versuchte sie zu lachen und es gelang ihr. Ohne meine Antwort abzuwarten, hatte sie die Pomeranze ergriffen und mit zierlicher Hast abgeschält. Ihren mühsam abgedrungenen Antworten entnahm ich, daß sie sich nach ihrem 48 Entlaufen von Meister Petrucchio zu einer Herbergsmutter geflüchtet habe, welche weibliche Dienstboten an Läden und Wirthschaften zu verdingen pflege. Ein aufwartendes Mädchen in dem Gasthause, wo die Harfenisten Quartier genommen, hatte vor ihr zufälliger Weise die Wohnung jener Frau genannt. Dort vernahm sie auch meine Schicksale und meinen Namen. Sobald sie nun ohne Geld, und weil sie auch nicht im Stande war, einen Paß oder eine andere Legitimation ihrer Person beizubringen, so wollte sie die alte Frau nicht länger beherbergen und verköstigen, und da ihr mein Schicksal ohnehin keine Ruhe mehr gönnte, so ließ sie sich ganz gerne austreiben. So hatte sie wahrscheinlich weder am vergangenen Tag einen Bissen gegessen, noch die vergangene Nacht ein Auge zugethan.

»Du kanntest meine schöne Junggesellengewohnheit, in meinem gothischen Wandkästchen jederzeit die Materialien zu einem improvisirten Frühstück oder einem kalten Abendessen versteckt zu halten. Ich zeigte ihr den von euch so oft mißhandelten Gothen und bat sie, mir zu einem Morgenimbiß behülflich zu sein. Sie braute den Thee, bereitete mir das Tischchen, und ich sah ihr mit stiller Freude zu, wie sie in hausfräulicher Geschäftigkeit zwischen meinen vier Wänden herumwirthschaftete. Alsdann setzte sie sich 49 nach mehrmaliger Aufforderung an mein Bett, und wir speisten zusammen wie zwei Leute, die es seit Langem nicht anders gewohnt sind.

»Ich vergaß meine Schmerzen, und sie ihren Kummer und die Hülflosigkeit ihrer Lage; sie wurde munter und schwatzhaft, und während sie sich mit meinem Armverbande zu schaffen machte, erzählte sie mir, daß sie aus der kleinen Residenzstadt eines herzoglichen Nachbarstaates und eines armen Wäschers Kind sei. Derselbe habe auch viel für's herzogliche Theater gewaschen, und so sei es gekommen, daß sie bereits als vierjähriges Kind auf die Bretter getreten. Der Vater wollte sich glücklich schätzen, seine Tochter beim Ballet versorgt zu wissen, und die kleine Ratte spielte Amoretten und Meerkatzen, Pagen und Kriegsvölker im Hintergrund, bis sie größer ward, und dem eigentlichen corpo di ballo einverleibt werden konnte. Später wollte man auch Talent zum Schauspiel und ein kräftiges, biegsames Organ in ihr entdeckt haben, und ließ sie darum in kleineren Rollen auftreten, Versuche, die von unterschiedlichem Erfolge begleitet waren. Das Theater war die Welt, die all' ihre Ideen in sich schloß, die all' ihre Wünsche in sich sog; hinter und vor den Coulissen hatte sie seit dem zartesten Alter ihre Tage und die Hälfte der Nächte verbracht; was sie wußte und konnte, verdankte sie dem Theater 50 und wie sie mir so alle ihre Rollen aufzählte und auseinandersetzte, leuchteten ihre Blicke und bewegten sich Arme und Hände, daß man es ihr leicht anmerken konnte, wie sie dem Komödienteufel mit Leib und Seele hingegeben sei.

»Ich aber merkte damals gar nichts mehr, als wie schön sie war, und wie mächtig ihre Augen und wie zauberisch ihre Stimme, wie anmuthig und gemessen jede ihrer Bewegungen.

»Sie erzählte, wie der Vater gestorben vor kaum Jahresfrist, und wie die Stiefmutter, ein bitterböses Weib, ihr immer Vorwürfe gemacht, weil sie ihr nicht genug Geld zu verdienen verstanden. Da habe eines Tages ein Lieutenant von der Garde zu ihrer Mutter eine schändliche Vettel geschickt, die sie überreden sollte, dem jungen Herrchen zu Willen zu sein. Selbe zeigte eine runde Summe, die sie alsdann der Mutter einhändigen würde, und meinte, ihr eigener Schaden wär's eben auch nicht.

»›Angst und Wuth,‹ fuhr sie fort, ›bedrängten mich auf's Fürchterlichste, als ich erfuhr, daß die Mutter ohne Bedenken und Zaudern sofort in den Sündenhandel eingewilligt hatte. Sie schalt mich unnütz und hochfahrend, und schlug mich sogar, weil ich zu nichts gut als zum Essen und Schlafen, und nur zu ihrem Verderb erschaffen wäre.

51 »›Der blonde Junge mit seinem unschuldigen Gesichtchen wie Milch und Blut, er hatte mir, offen gestanden, gar wohl gefallen, wenn er so siebenmal des Tages an meinem kleinem Fenster vorbeitrabte in der goldbetreßten Uniform auf den stolzen Pferden, oder wenn er während der Vorstellung nicht das Opernglas von mir abwenden konnte. Ich spielte mit dem Gedanken an ihn wie ein Kind mit einem verfluchten Messer, und wäre er gekommen und hätte mir die dummen Ohren vollgeflüstert, ich hätt's ihm am Ende glauben mögen. So aber, da ich hinter all' dem Flitter und Schimmer ein elendes, früh verderbtes Herz ersah, das mich wie ein bemalter Todtenschädel unter einem Blumenkranz angrinste, faßte mich Ekel und Abscheu. Die Mutter setzte mir mit Flüchen und Peinigungen zu, und so ward ich zu einem verzweifelten Entschlusse gebracht, den mir ein Anderer aufdrängte.

»›Ein alter Chorist, der immer meinte, in ihm stecke, verkannt, ein bedeutender Sänger, welchen man nicht aufkommen lassen wolle, war in Folge von Dienstweigerung entlassen worden. Er kam zur Stiefmutter, um sie wegen einer kleinen Schuld zu vertrösten, die er ihr auch jetzt noch nicht bereinigen konnte, und sah da eine jener abscheulichen Szenen mit an, in welchen mir meines Vaters Frau den 52 (wie sie ihn nannte) romantisch-komödiantisch vertrackten Kopf zurechtsetzen wollte. Da er offen mir das Wort redete, gewann ich Vertrauen zu dem Alten und ließ mich bereden, als er am letzten Abend seines Aufenthalts mich hinter ein Versetzstück zog und sprach:

»››Peregrettchen, ich gehe morgen mit meiner Mutter und meinem Rangen nach F., dort wird das Personal des städtischen Theaters vergrößert, und ich weiß, daß sie mich und Dich wohl brauchen können, und sozusagen um uns froh sein müssen. Hier versauerst Du doch mit Deinem schönen Talent, und wirst dem blassen Neid zu liebe ohne Ruhm und Geld ein altes Weib, wie ich ein armer alter Mann geworden bin, wenn Du nicht gar, wie Deine saubere Frau Mama verlangt, etwas Schlimmeres werden willst. Geh' mit mir, ich lege Dir gerne die Reisekosten aus, dafür versprichst Du mir, Dich nicht ohne mich anstellen zu lassen, und zahlst mir's zurück, wenn Du im Korn sitzest.‹‹

»›Mir war, als ob ein Engel vom Himmel gekommen; am andern Morgen, ehe der Tag noch graute, stahl ich mich aus dem Hause, und wir fuhren in die Welt. Allein unterwegs in einem Flecken angekommen, wo eben Markttag war, setzte er uns auseinander, daß man hier ein gut Stück Geld mitnehmen könne, was er nicht auf der Straße liegen zu lassen gedenke.

53 »›Und er that sich etliche bunte Lappen an, stellte sich Abends auf einen Tisch und machte den Bauern seine Lazzi vor, wofür er dann wirklich mehrere Gulden einstrich und zechfrei gehalten wurde für ihrer Dreie. Damals war auch nicht die leiseste Zumuthung an mich ergangen. Es schien aber bald, daß ihn diese Art des Erwerbs nach ähnlichen Gelegenheiten lüstern gemacht hatte, und als wir hier angelangt waren, erklärte er uns hoch herab, daß er mit seinem bischen Geld zu Ende und genöthigt sei, auch meinen guten Willen in Anspruch zu nehmen. Ich konnte mir wohl denken, daß das rein erlogen sei, und weigerte mich deßhalb mit hartnäckiger Entrüstung; er aber bestand darauf, daß dann kein rother Heller übrig bliebe, um einen Bissen Essen zu kaufen, ja kaum um das Schlafgeld und die noch übrigen Reisekosten für den letzten Tag zu bestreiten. Dann ging er stillschweigend aus dem Zimmer. Die alte Mutter bat mich mit Thränen und Händeringen, der Knabe schrie nach Brod, und so gab ich endlich nach. Ich fügte mich, indem ich es als Strafe für mein leichtsinniges Entlaufen hinnehmen wollte; aber wie's zu Ende ging, sahen Sie an jenem Abend in der Vorstadt selbst mit an.‹

»Sie schwieg und senkte die Wimpern nieder, und ich frug, was sie denn nun zu beginnen vorhabe, und was aus ihr werden solle.

54 »›Das ist sehr einfach,‹ erwiederte sie; ›wie Sie wissen, ist der Ort, den wir erreichen wollten, und der wirklich vortheilhafte Bedingungen bietet, keine neun Meilen weit, ich bin gut zu Fuß, und an schönen Maientagen wandert sich's leicht und lustig. So muß ich am zweiten Tage die Stadt erreichen. Für den Mundvorrath auf den Weg sorgt wohl Ihr Kästchen; ich werde Ihnen nicht viel forttragen, denn ich bin genügsamer Gewohnheit.‹

»Umsonst stellt' ich vor, wie leicht sie sich auf der Fußreise Unannehmlichkeiten aussetzen, wie schwer sie dagegen bei einem fremden Theater sofortige Unterkunft finden möchte; es war ihr weder Furcht beizubringen, noch die Zuversicht ihrer künstlerischen Aussichten zu benehmen. Endlich ersuchte ich sie, die Reisekosten auf der Eisenbahn bestreiten und sie wenigstens für die ersten Wochen mit Geld versehen zu dürfen. Aber ich bereute meine Rede, noch ehe ich das letzte Wort entlassen. Sie bat mich mit einem Blick, der mich in Verwirrung setzte, ihr keinen solchen Antrag mehr zu machen; daran wolle sie erkennen, ob ich ihr die Unbilden vergeben hätte, die sie über mich gebracht, und ob ich sie wirklich achtete.

»Es gibt gewisse Kranke, die kurz vor ihrem Tode erst recht volle Genesungshoffnung zu fühlen 55 meinen. Aehnlich schien es auch mir klar zu werden, daß ich dieser mir über Nacht angeflogenen Neigung zu Peregretten Herr werden könnte, Herr werden müßte, und daß das beste Heilmittel in einer genaueren Bekanntschaft dieses sonderbaren Geschöpfes zu finden wäre. Nach etlichen Tagen persönlichen Verkehrs würde ich erkennen, daß auch sie nur ein Mädchen wie andere mehr, und wie so oft in meinem tollen Leben der Zauber, den das Außerordentliche und Ungewöhnliche mit überraschender Gewalt auf mich ausübte, bei längerer Betrachtung seine Macht verlieren und verschwinden.

»Peregretta, sagt' ich zu ihr, weißt Du was? Wir wollen einen Vertrag mit einander abschließen. Ich kenne den Teig, auf dem mein unruhig Stück Mensch geknetet ist, und weiß, daß, wenn Du heut oder morgen nach F. gingest, ich nicht einmal meine völlige Genesung abwarten würde, um Dir nachzureisen. Das wäre wohl Schaden für uns Beide. Wenn Du nun wirklich in der Meinung bist, daß die paar Mißlichkeiten, die Strafen dafür, daß ich Dein Gesicht gesehen, Dich zu einem bischen Dank verpflichten, so willige drein, meine Krankheit zu pflegen und Dich nicht eher von hier zu entfernen, bis ich wieder Herr meiner Hände und Füße bin, und kann hingehen wohin und halten was mir 56 beliebt. Wenn die Neugier schwindet, kehrt wohl auch die gesunde Vernunft wieder heim, und für Deinen Samariterdienst verspreche ich Dir, Dich ziehen zu lassen so unbeirrt und unangefochten wie die Schwalben unterm Himmel.

»Ich hielt ihr die Hand hin und sie legte, schweigend zu Boden blickend, ihre fünf Fingerspitzen darauf. Von der Stunde an pflegte sie mich wie eine barmherzige Schwester; dabei erfreuten sich meine Augen, wenn sie das zierliche Geschöpf um mich schalten sahen, und mein Herz, das ihren Scherzen, Erinnerungen und Einfällen lauschte. Die Besuche des Arztes ausgenommen, während welcher sie in meinem zweiten Gelaß, wo sie auch schlief, verharrte, störte Niemand unser häusliches Beisammensein, denn mein Diener hatte strenge Weisung, keinem Erdgeborenen Zutritt zu gestatten, selbst den gewohnten Freunden nicht.

»Ich dachte mir damals oft, es ist gar nicht schön, krank zu liegen, aber also gepflegt zu werden ist fast eine Krankheit werth.

»Ich konnte keinen Wunsch hegen, den sie mir nicht an den Augen absah; wenn mich ein Bedenken beschlich, so schien es, als sei sie im gleichen Momente von demselben Zweifel erfaßt, und leicht und wie spielend traf sie Ausweg und Abhülfe. In ihrer 57 Natur schien eine elementare Kraft zu brennen, sie that stets das Richtige, und that es ohne es zu wollen und zu wissen, weil sie eben nicht anders konnte. Keine ihrer Bewegungen war unschön, oder verrieth im Geringsten Ziererei oder Absicht. Wie sie in die Thüre trat, wie sie einen Teller anfaßte, wie sie meinen Verband umlegte, kurz, wie sie ging und stand, war sie ein Vorwurf für einen Künstler, und mir wollte scheinen, als legten sich selbst die Falten des Gewandes malerischer um diesen schönen Leib, als sie sonst von den Hüften sterblicher Weiber fließen.

»Dabei war ihre Anmuth von einer Lebendigkeit, ihre Beweglichkeit von einer Energie, und ihr ganzes Wesen so rastloser Art, daß ich, sie still betrachtend, vor jenem Dämon freudig zusammenschauerte, der in ihr gefangen schien. Sie bewegte sich selbst im Sitzen; sie sprang oder hüpfte mehr als sie ging; wenn sie sprach, sprach Alles an ihr mit, von den Fingern bis zu den Fußspitzen, Augenwimpern und Nasenflügel, der Hals und selbst das Haar, das den Regungen ihres Hauptes gehorchte; und wenn ich in der Nacht erwachte, konnte ich sie trotz der verschlossenen Thüre laut reden hören im Schlaf.

»Ihre Weltanschauung war das Produkt einer 58 eigenthümlichen Bildung, die sie sich aus allen jenen Dichtern der verschiedensten Nationen und des verschiedensten Werthes zusammengehorcht hatte, welche im regelmäßigen Neben- und Durcheinander das Repertoire ihres Theaters lieferten. Von dem staatlichen Bestande, von der geographischen Ausdehnung des deutschen Vaterlandes hatte sie eben so wenig eine nur irgend richtige oder gar klare Vorstellung, als es für sie zwischen geschichtlich gesicherten Thatsachen und den Erfindungen der dichtenden Phantasie eine unterscheidliche Grenze geben wollte. Sie hätte sich den Grabstein des Erbförsters von Otto Ludwig mit gleicher Rührung zeigen lassen wie die Karthause zu Gitschin, und als ich ihr einst klar zu machen versuchte, wie so anders der goethe'sche Jugendheld und der Egmont der geprüften Geschichte sich ausnähmen, da weinte sie bittere Thränen des zum ersten Mal auf erbebendem Grunde sich fühlenden Gemüthes, Thränen, wie sie die gebildete Tochter gebildeter Eltern weint, wenn ihr der hartbedrängte Bräutigam zum ersten Mal zu erklären versucht hat, warum er trotz ihrer liebenswürdigen Beschwörungen weder zum Abendmahl gehen wird noch zur Beichte.

»Ihre religiösen Vorstellungen befanden sich in einem ähnlichen Durcheinander von korrektem Kirchenglauben und poetischen Zugaben. Ich gestehe, daß 59 ich noch heutigen Tages nicht sicher habe ermitteln können, ob sie von katholischen oder protestantischen Priestern getauft worden sei. Die übriggebliebenen Umrisse eines dürftigen katechetischen Unterrichts hatte die eindringliche Moral der Poeten mit brennenden Farben überzogen. Sie ging des Sonntags gerne zur Kirche, sie sprach von heiligen Dingen mit kindlicher Verehrung. Aber durch die wolkengetragenen Kreise katholischer Märtyrer, welche in ihrem Vorstellungsvermögen den Thron des dreieinigen Gottes umflogen, spukten nicht selten wie irre, lächelnde Schatten mit nur leise schwankender Berechtigung die Götter, zu welchen die sestische Hero, oder Sappho, oder Klytemnestra ihre süßtönenden Gebete sandten. So ähnelte ihre Religion in der Aeußerung etwa der des Chors der Braut von Messina, in welcher sich christliche und heidnische Götter friedfertig neben einander vertragen müssen. Indessen sprach sie darüber nur sehr selten, da die Nöthigung hiezu ja gleichfalls eine seltene war, und ihre Geister mochten sich, gestört durch meine Aufmerksamkeit, verlegener und ungleichmäßiger zeigen, als sie sie sonst im Innern fühlen konnte. Für sie hatte jedes einzelne Verhältniß, jeder liebgewordene Gegenstand, jede Situation einen Gott, einen Götzen, einen Heiligen, einen Dämon, je nachdem sie eines solchen oder 60 eines anderen bedurften; sonst schlummerten in ihrer Seele friedlichst die Bilder jener Gegensätze neben einander, deren für und wider die Geister der Menschen entflammt, erbittert und versöhnt hatten. Ihre Religion war die Religion, die ihre Dichter sie gelehrt, und die Religion der wahren Poeten ist keine schlimme. Sie that das Gute, weil sie das Böse verabscheuen mußte, sie that es schön, weil ihrer Natur das Häßliche instinktmäßig zuwider war; sie betete wie ein Kind, sie segnete wie ein Dichter, sie fürchtete wie ein Heide, sie hoffte wie ein Christ. Und wenn sie so, durch meine Fragen in's Reden gebracht, in krausem, liebenswürdigem Geschwätz aus dem bunten Reichthum ihrer Vorstellungen Mythen und Geschichten, Dogmen und Dichtungen durcheinanderwarf, glich sie einem sündelosen Kinde, das die kostbaren Kügelchen eines Perlen-, eines Korallen- und eines Granatenhalsbandes arglos von ihren Schnüren gerissen, und nun in seiner Herzensfreude den glitzernden, glänzenden, schimmernden Reichthum spielend durch die Hände gleiten läßt.

»Stunden lang, ganze Abende horcht' ich dem lieben Geplauder zu, und mein ganzes Wesen tauchte sich verjüngt in die Zauberfluth dieser reinen Seele, die alle Dinge unentstellt wiederspiegelte, nur mit den Regenbogenfarben ihres eigenen Glanzes 61 umkleidet. Mir war, als sei sein ganzes früheres Dasein grau, öd und langweilig gewesen, als hätt' ich nur gelebt und mich gebildet, um nun in der Blüthe meiner Tage diesem reichen Geschöpf würdig entgegenkommen zu können, nur um es im Lichte seiner ungebrochenen Natürlichkeit zu begreifen, zu bewundern. Wenn sie vor mir saß und ihre Augen leuchteten, und sie lachend das dunkle Haar in den Nacken zurückschüttelte, dann schien mir's, als sei auch ihr eine neue Welt aufgegangen innerhalb meiner engen Wände. Ich war der erste Mann in ihrem Leben, der ihr uneigennützig und absichtslos eine hülfreiche Hand geboten, ich lachte nicht über ihre Tollheiten, ich schalt sie nicht ob ihres Muthwillens, ich zeigte ihrem Unglück ein redlich-mitfühlendes Herz, und hatte für ihre Unwissenheit keinen Vorwurf, sondern freundliche Belehrung. Sie sah zu mir auf wie zu einem Weltweisen und Propheten, sie frug um tausend Dinge, sich zu belehren. ›Ich glaube,‹ sagte sie einmal, ›von Ihnen könnt' ich noch orthographisch schreiben lernen.‹ Offen lag ihr ganzes Herz vor mir, das Herz eines guten Kindes.

»Auch die behäbige Unordnung meiner Junggesellenwirthschaft erfüllte sie bei jedem kleinen Geschäft mit einer Freude, die ihr sichtlich aus den Augen sprach. Ein sorgenfreies Stillleben, wie das meinige, 62 hatte sie in ihrem gedrückten, ärmlichen Leben, das nur die eigene Kümmerlichkeit und den Eintagsjubel unterhaltener Theaterprinzessinnen gesehen, nimmerdar gekannt. Sie lebte wie in ein fremdes, besseres Land entrückt, und nie kam ein Schatten von Traurigkeit, auch nicht im Fluge nur, über ihre lächelnden Züge.

»So waren uns acht Tage vergangen; mein Arzt erklärte mich außer aller Gefahr und für vollkommen hergestellt, nur sollte ich mich schonen und mußte den Arm in einer Schlinge tragen. Ich hätte auch schon achtundvierzig Stunden früher das Bett verlassen können; allein ich fürchtete, Peregretten zu verlieren, sobald durch meine Genesung die Bedingung unseres Vertrags aufgehoben sein würde. Nun war aber die Lage der Sache nicht mehr zu verheimlichen. Denn nicht nur, daß sich der eigene Körper gegen diesen Zwang auflehnte, es hatte auch mein Arzt heute früh meine sämmtlichen, mühsam zusammengelogenen Bedenklichkeiten mit so schallend protestirendem Gelächter zurückgewiesen, daß es meine an der Zimmerthür auf seinen Abgang lauernde Wärterin, selbst wenn sie nicht gehorcht hätte, vernommen haben mußte.

»Nun war es gar anders gekommen, als ich mir in meiner kurzsichtigen Psychologie und Selbstkenntniß vorgeschwindelt hatte. Statt meine Neugier mit der 63 alltäglichen Entdeckung einer gewöhnlichen Weiberseele schlafen gehen zu heißen, brannt' es in mir lichterloh, und alle meine Seelenkräfte dienten in der Pflicht des holden Wunders, das mich umschwebte. Mir war zu Muthe wie Einem, der nur die ersten Seiten eines herrlichen Buches gelesen hat, und es nun in eine fremde Hand hingeben soll auf Nimmerwiedersehen. Ein langes Menschenleben däuchte mir nicht unwerth, dieses reizende Werk zu Ende zu lesen, ja selbst mit vollenden zu dürfen. Denn wenn es die schönste Aufgabe eines liebenden Mannes ist, die fügsame Seele eines reinen Mädchens zu bilden, welch' eine von Göttern und Menschen zu segnende Pflicht bot sich für mich an Peregrettens Geist und Gemüthe dar.

»Ich hatte mich wohl gehütet, den ganzen Tag über ein Wort von Scheiden oder von Genesung zu verlieren, im Gegentheile hustete ich aus Leibeskräften, stellte mich so leidend und schwach als es angehen wollte, und that im Uebrigen, als lebten wir bereits am Vorabende unserer silbernen Hochzeit. Auch sie war in Nichts verändert, sie lachte und schwatzte, sang und sprang um mich herum wie Tags zuvor, und schien arglos und guter Dinge voll.

»Gegen Abend ward sie stiller, stand noch öfter als sonst von ihrem Sitz auf, und schaute, was gegen 64 ihre Gewohnheit war, zuweilen zum Fenster hinaus, als wolle sie mir ihr Gesicht verbergen. Dann aber kehrte sie jedesmal mit einer Miene zurück, die so arglos vergnügt aussah, daß ich meine Bedenken auf Rechnung eigener Einbildung setzen zu müssen glaubte. Wir saßen in der Nähe der offenen Balkonthüre, durch welche die duftige Lenzesabendkühle hereinströmte. Es dämmerte bereits, und Peregretta war eben daran, ein Kranzgewinde zu vollenden, für welches ich ihr Blätter und Frühlingsblüthen geschnitten hatte. Wenn ich ihr so nach ihren Wünschen bald dieß bald das hinreichte, und ihre kühlen Fingerspitzen die meinigen berührten, meinte ich immer, nun müßte ich ihr Alles sagen, was sie mir in der Seele gethan, und ihr von Bleiben und Lieben sprechen. Wenn ich sie aber dann schwatzen und lachen hörte und ihrer Munterkeit zusah, wollt' ich kein Wort verlauten lassen, welches sie an Scheiden hätte gemahnen können. Dessen schien sie gänzlich vergessen zu haben.

»Als der Kranz nun fertig war, bat ich sie, ihn auch aufzusetzen. Sie that's ohne einen Blick in den Spiegel und stellte sich vor mich hin, als wollte sie mir's in den Augen absehen, ob sie mir nun besser gefalle.

».Peregretta‹, sagt' ich, ›Du könntest mir wohl zur Feier meiner Genesung einen Kuß geben‹.

65 »Sie hatte mir seit unserem Zusammenleben noch niemals die geringste Vertraulichkeit gestattet, und jede über die gewöhnliche Verkehrsordnung hinausgehende, an Zärtlichkeit streifende Aeußerung oder Bewegung mit lachender Sicherheit oder mit einer entschiedenen Wendung des Gesprächs sofort abgewiesen. Nun sagte sie klug und gut:

»›Heut' kann's ja sein.‹

»Dann nahm sie mich sachte mit der rechten Hand um Kinn, strich mit der linken das Haar aus der Stirne und sah mich lange an, als wollte sie meine Züge ihrer Erinnerung einprägen. Keine Linie veränderte sich in ihrem Gesichte, nur die Blicke brannten, als sähe mich daraus der ganze Inhalt ihres Lebens an. Dann küßte sie mich im Flug erst auf beide Augenlider, dann auf den Mund. Es war ein Kuß wie ein Hauch, ihre Lippen berührten die meinen nicht schwerer denn ein Flaumfederchen im Flug.

»Ich wollte das nicht gelten lassen und sprang auf, sie zu fassen; aber schon war sie im Schlafkämmerlein, und Riegel und Schlüssel knarrten in ihren Eisen.

»›Peregretta,‹ rief ich und schlug mit der freien Faust und dem Knie gegen die festen Thürplatten, ›Peregretta, Du willst mich verlassen und von mir gehen in die Welt, die Du nicht kennst. Ich aber 66 kann Dich nun und nimmer verlieren, und ich will und mag Dich nicht ziehen lassen, denn ich habe Dich so lieb wie nichts auf Erden und im Himmel, und ich stürbe vor rasender Sehnsucht, wenn Du nicht bei mir bliebest Dein Leben lang‹.

»Kein Laut verrieth, daß ein lebendes Wesen mich hörte.

»›Peregretta,‹ schrie ich, ›ich sprenge das Zimmer mit Gewalt auf, wenn Du nicht gutwillig öffnest!‹ Ich rüttelte wie toll an der Klinke und warf mich mit der ganzen Wucht meines Leibes gegen die Thüre, aber Holz und Schloß und Angeln spotteten meiner Bedrängniß. Meine Wunde fing an zu brennen und zu schmerzen, ich sank auf der Schwelle zusammen und weinte bittere Thränen. Da sagt' ich:

»›Peregretta, vergib, vergib mir, ich habe Dich gekränkt durch meine Rohheit, aber siehe, ich weiß nicht mehr was ich thue, so hast Du mir den Kopf verrückt. Schau', hier lieg' ich an der Erde und bitte Dich, mach' auf; ich will Dich nicht mehr kränken, nicht mit einem Finger berühren, nur sehen will ich Dich. Und wenn Du um keinen Preis öffnen magst, so sprich doch ein Wort. Sag' mir, daß Du mich lieb hast, und daß Du mich nicht verlassen willst, Peregretta, Peregretta!‹

»So wogte der Sturm meiner Leidenschaft auf 67 und ab. Ich weinte und fluchte, flehte und befahl bald leise, bald laut, wohl über eine Stunde; aber es half mir nichts, die Thüre blieb verschlossen, und kein Wort, ja kein vernehmbarer Athemzug antwortete dem Drängen meiner Liebe. Nun fühlte ich mich so erschöpft, daß mir's im Kopf zu schwindeln begann. Die Wände schienen sich über mich zu beugen, das Estrich begann zu schaukeln, und meine des Gehens entwöhnten Füße versagten mir den Dienst. Da schleppt' ich mich mit der letzten Anstrengung, deren mein Wille noch fähig war, an die entgegengesetzte Thüre meines Zimmers, von welcher ein Vorplatz nach der Treppe führte. Dieselbe schloß ich zweimal ab, ließ mich auf mein Lager sinken und vergrub den Schlüssel unter meine Kissen. Mir vergingen die Sinne. –

»Ich mochte an zwölf Stunden so gelegen sein. Als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch. Draußen an der Thüre meiner Wohnung hämmerte ein Schlosser; dann kam mein Diener, der außer dem Hause schlief, in ängstlicher Bestürzung herein; er hatte heute früh nicht zu öffnen vermocht, weil ein abgedrehter Bart im Schlosse gesteckt, und da ich auf Rufen und Schellen nicht erwacht sei, habe er auf ein Unglück rathen müssen.

»Die Thüre zu Peregrettens Kammer stand weit 68 offen, ich suchte unter meinen Kissen nach dem versteckten Schlüssel, er war hinweggenommen. Auf meinem Nachttischchen lag ein Brief mit meinem eigenen Petschaft versiegelt, darinnen fand ich ein goldenes Kreuzlein und folgende Worte:

»›Lieber Heinrich!

»›Ich habe Dir Deinen Willen nicht erfüllen, die Thüre nicht öffnen können, und Du weißt wohl selber warum, und wenn nicht, so kann ich's Dir nicht sagen. Wenn Du aber von mir wissen willst, ob ich Dich liebe, so glaube mir's, daß ich Dich lieb habe wie keinen Andern auf der weiten Welt und daß ich keinen Andern noch lieb gehabt habe und Keinen mehr lieb haben werde. Das schwöre ich Dir, und möchten mich alle Himmels- und Erdenstrafen treffen, wenn ich je diesem Schwur abtrünnig zu werden gedächte. O Du Guter, ich liebe Dich noch weit mehr als Du mich, denn Dein Wohlgefallen und Dein Verlangen sie kommen von flüchtiger Lust, und Du wirst sie ausschlafen wie einen quälenden Traum, und wirst mich vergessen wie's Recht ist. Ich aber weiß, daß ich Dich ewig lieb haben muß, und an Dich denken werde alle Tage und alle Nächte und immer und allezeit, wie's auch werden mag in meinem Leben. Trotzdem können und dürfen wir nicht beisammen bleiben; denn ich will nicht an Dich 69 denken müssen als an einen Verführer, der mich in's Elend gebracht, und Dein ehrliches Weib kann und darf ich nicht werden.

»›Die Leute würden mit Fingern auf Dich weisen, wenn Du das Komödiantenkind an Deinem Arm führen würdest, das Du von der Straße aufgelesen hast. Aus Deinem Hause würden die lieben Gäste wegbleiben, weil sie in der Bettlerin nicht Deine Hausfrau ehren wollten, und selbst die Schmarotzer und Schmeichler, die mir um Deinetwillen Ehre erweisen möchten, sie würden mich hinter dem Rücken verhöhnen und den Nachbarn meine Ungeschicklichkeiten hintertragen. Eines Tages müßtest Du Dich neben einer solchen Frau einsam und elend fühlen, und es würde Dir wie Schuppen von den Augen fallen, und Du nichts in mir mehr erkennen als eine schlaue Dirne, die Dich zu betrügen gewußt, um sich in Dein Haus und Eigen einzuschleichen. Dann säh'st Du, daß Du das Unglück und die Schande gefreit, und Du würdest mich verachten. Das aber könnt' ich nicht ertragen und würde böse werden in meinem Jammer.

»›Drum muß es geschieden sein, Heinrich, und Du darfst mir nicht folgen. Weil Du mich aber am Tage nicht frei lassen würdest, so gehe ich jetzt in der stillen Nacht. Wenn Du aus dem Schlaf 70 aufstehst, bin ich schon weit, weit, und Du kannst mich nicht mehr einholen, denn Deine Müdigkeit und Dein Siechthum halten Dich zurück; auch werd' ich Dein Thürschloß ruiniren, damit Du nicht aus der Stube kannst, wenn Du vor Tag erwachest. Und dann rath' ich Dir, nachzuzählen, wie viele Schreibfehler ich in jedes Wort gemacht; das wird Dich abkühlen. Du wirst Dich drein finden, daß Du mich verloren wie einen Vogel, den Du zufällig gefangen, und der Dir nun wieder unversehens aus der Hand entschlüpft.

»›Du hast mir vor acht Tagen das handliche Versprechen gegeben, daß Du mir nicht nachfolgen und mich nicht aufsuchen wolltest. Du wirst als Mann Dein Wort halten. Sorg' auch nicht um mich. Ich weiß, daß ich meine Unterkunft finden werde. Und hab' ich nur erst wieder die Bühne unter den Füßen, so wird mir auch die Kunst helfen, daß ich nicht in meiner Sehnsucht nach Dir vergehe. Wenn Du dann einmal in den Zeitungen liesest, daß ich eine tüchtige Schauspielerin geworden bin und mir die Leute Beifall zurufen, so denk' an die armen Staare, die da auch erst recht schön singen, wenn sie der Lust ihrer Augen beraubt sind, und ihr Leben in der Finsterniß verweinen bis an's Ende.

»›Klage Dich darum ja nicht an, Heinrich, ich weiß, so mußt' es kommen, denn ich bin ein 71 Unglückskind von Anfang an, und das wußt' ich auch und sagt' es mir, als Du mir den Vorschlag machtest Deine Krankenwärterin zu sein. Da sprach ich zu mir: Siehe da, der liebe Gott will, daß es Dir Einmal recht wohl werde im Leben. Er schenkt Dir eine ganze Woche reinen Glücks, die willst du hinnehmen, ohne vor- oder rückwärts zu schauen, gerade so als gäb' es keine Zeit mehr rundherum, und als wärest du zur Freude geboren wie die Anderen. Du willst weilen und genießen hier, und dich stärken zum großen Gang in die Wüste; wenn aber die schöne Zeit dahingegangen, so willst du dich schürzen und sputen, und dem Ende, das gekommen, den Rücken kehren, dann wirst du die lachende Frucht aus deinen Händen legen, damit sie sich nicht in Staub verwandle und Ekel deine Seele fasse, wenn du ihrer gedächtest.

»›So hab' ich mir's gelobt bei Gott, und so will ich's und werd' ich's auch halten, und bräche mir darüber auch das Herz in Stücken. Es schlägt und hämmert und thut mir so weh, das arme Herz, denn es möchte, was es nicht darf, und mir ist so schwer, so schwer, daß ich merke, es ist Gehenszeit.

»›Leb' wohl, leb' wohl, Du Einziggeliebter, leb' wohl für heut' und allezeit! Sei glücklich und vergiß

Peregretta.

72 »›Nachschrift.

»›Lieber, Du schläfst so fest, daß ich's nicht lassen wollte, Dich noch einmal zu küssen. Hab' ich Dir's so recht gemacht? Auch hab' ich Dir ein Zöpfchen Haar abgeschnitten. Ich lasse Dir dafür mein Kreuzlein, das Einzige, was ich außer dem Leben von meinem seligen Vater besitze. Ich lass' es Dir, nicht damit Du an mich denken, sondern daß Du wissen sollst, wie lieb Du mir bist. Beim Nachtgebet pflegt' ich es immer in Händen zu halten; wenn ich es nun nicht mehr habe, so denk' ich an den dem ich's gegeben, und dann träum' ich wohl die Nacht von Dir. Leb' wohl, Herz. Am liebsten wäre mir's, mich träfe auf der Landstraße der Schlag, und ich stürbe am Wege ehe der Tag graut und die Vögel zu singen anheben. Leb' wohl! es muß Alles ein Ende haben. Lebe wohl!‹«

 


 


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