Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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73 »Das Erste, was ich that, war, daß ich meinen Burschen zu einem gegenüberwohnenden Stallmeister schickte, mir ein Pferd satteln zu lassen. Der Diener schlug die Hände über dem Kopf zusammen, daß ich nach so schwerem Darniederliegen gleich einen Ritt wagen wollte; allein ich fühlte mich nach dem langen Schlafe stark und frisch, und, wär' ich auch todtkrank gewesen, nicht ihrer Zehne hätten mich jetzt daheim halten können.

»Es war ein Morgen, wie sie dem lieben Herrgott nur im Monat Mai gelingen, mild und sonnig, voller Blüthenduft und Sonnenschein.

»Die langen Schatten der Pappeln legten sich quer über die Landstraße, die von wenig Fußgängern und noch weniger Fuhrwerken benützt wurde. Ich regierte das mir bekannte Pferd leicht mit der einen Hand, und wie ich so dahinstürmte, weiß ich nicht mehr zu sagen, war die Freude größer, meines Glücks bewußt zu sein, oder die Angst, ich möchte es denn doch verlieren. Mein Herz pochte mit dem Galoppschlag des Braunen um die Wette.

»Ich mochte leicht schon mehr denn drei 74 Stunden zu Pferde sitzen, da wurde die Angst Herr über die Freude. Peregretta konnte unmöglich einen größeren Vorsprung haben. Jeder Meilenstein, jeder verkommene Baumstumpf, Alles, was mir aus der Ferne wie Menschengestalt ausgesehen hatte, war mir schon Gegenstand einer Täuschung gewesen. Ich schlug an die Thüren der wenigen Einzelhöfe, die an der Chaussée standen, ob sich meine Liebe nicht in ihrer einem einquartirt hätte. Ich frug alle Bäuerleins, die mir entgegen kamen, alle Wegmacher, die die Kieselsteine zerklopften, ob sie kein Mädchen gesehen hätten, wie ich ihnen Peregretten beschrieb; Niemand wollte eines solchen ansichtig geworden sein. Trübsal kam in mein Herz und dumpfes Brüten über meine Sinne. Tausend marternde Gedanken flogen in meinem Kopfe aus und ein. Wie nun, mußt' ich mir denken, wie nun, wenn du sie trotz aller Aufmerksamkeit in der Hast des Rittes übersehen? Wenn sie sich, durch den nahenden Hufschlag vor deiner Ankunft gewarnt, jenseits der Straße in den Graben geduckt, bis du vorüber warst? Wenn sie sich in eine Scheune versteckt, oder mit dem Besitzer des Einödhofes, darin sie Zuflucht genommen, sich verabredet hätte, daß er dich auf dein Ausfragen täuschte? Vielleicht ist sie einen von der großen Straße seitabliegenden Feldweg gegangen, und wer sagt dir denn, 75 daß sie überhaupt nach A. unterwegs ist, und daß sie nicht das Ziel ihres Reiseplans, um ihre Spur vor dir zu verbergen, ganz verändert hat.

Der Gedanke faßte mich so peinlich an, daß ich, rathlos, mein Pferd sich selbst überließ, welches nun langsam Schritt für Schritt machte und Gras zu fressen begann. Ich wußte nicht, was ich thun, wohin ich reiten sollte, vorwärts oder rückwärts? Ein dumpfer Druck brannte mir über der Stirne, und ich beneidete das Thier, wie es schmerzlos und in der Natur vergnügt durch die blühende Flur schlich, zuweilen laut aufwiehernd und mit dem langen Schweif die Schenkel schlagend. Wie elend war diesem grasenden Vierfüßler gegenüber das bischen König der Schöpfung, den es mit seinem Gram und den Trümmern seiner Freude durch dieselbe Luft hintrug, die seine schnobernden Nüstern vor Freude schwellte. Ich dachte daran, ob es nicht gleich klüger wäre, sich an den nächsten Baum zu hängen und diesem traurigen Dasein den Hals zuzuschnüren.

»Doch damit nahm mein Grübeln eine andere Wendung. War sie denn nicht noch trübseliger, hoffnungsloser daran als ich? sie, das bettelarme, gottverlassene, schwache Mädchen mit dem blutenden, brechenden Herzen, das durch Nacht und Nebel vor dem Manne ihrer Sehnsucht hinwegfloh, weil sie 76 sich für eine Sklavin hielt, deren Gemeinschaft den Mann entehren müßte, welcher den Vorurtheilen der guten Gesellschaft pflichtet. Wenn sie in der sternlosen Finsterniß, die über der nächtigen Erde wie über ihrer ringenden Seele brütete, vom höhnischen Dämon ihrer trostlosen Leidenschaft verführt, wenn sie sich ein Leides zugefügt! Vielleicht liegt sie dort drüben in der Ackerfurche, mit einer Nadel die Schläfe durchstochen, vielleicht treibt der Bach, der hier von der Straße überbrückt wird, ihren kalten Leichnam schon in ferner Weite seinem Flusse zu.

»Ich mußte meinem gepreßten Herzen durch einen lauten Schrei Luft machen, und unwillkürlich gab ich meinem Pferde die Sporen, daß es Funken aus dem Kies schlug. Einen Augenblick später gewahrte ich, wie etwa dreihundert Schritte weit von mir eine Menschengestalt sich erhebt, die am Wegesrand ermüdet ausgeruht haben mochte, und nun aus Leibeskräften querfeldein zu laufen beginnt. Ich sprenge in voller Hast drauf los; ich erkenne: das was fliehend dort vor mir enteilt, ist ein Weib, ist Peregretta, mein süßes Lieb.

»Einige zwanzig Sätze noch und ich hatte sie erreicht. Da mochte auch sie das Eitle ihrer Flucht erkennen; die Kräfte versagten ihr, sie setzte sich an einen Steinblock, der als Grenzscheide zwischen zwei 77 Feldern lag, und weinte bitterlich, das Gesicht mit beiden Händen verhüllend.

»Ich sprang vom Roß und eilte zu ihren Füßen hin. Ich küßte das Kleid auf ihren Knieen, die Hände vor ihrem Antlitz; ich hüllte die zitternde Gestalt in meine beiden Arme und drückte sie fest an mich, als wollt' ich sie an meinem Leibe erwärmen. Da that sie plötzlich die Arme auf und sah mich mit Augen voll Thränen und Freuden an; sie strickte sich fest um meinen Hals, und wir küßten uns hundertmal, tausendmal; die Schwalben auf dem Felde, die uns zwitschernd umkreisten, mögen's wohl gezählt haben.

»Was ich sprach, weiß ich nimmer, ich wußt' es wohl auch nicht, als ich es sprach; was sie zur Antwort gab, ich hab's vergessen, aber ich weiß, es war so wunderschön, daß alle Dichter der Welt nie was Schöneres sagen können. Wenn Einer in den Himmel geschaut und die Engel hätte singen hören, er könnte sich auf Erden nicht mehr erinnern, was er gehört; aber die Schönheit dieses Augenblicks wirft einen hellen, volltönenden Strahl durch sein ganzes späteres Leben bis an den allerletzten Tag, und er kann nimmerdar ganz unselig werden. Die höchste Wonne des Menschen ist da, wo sein Bewußtsein in's Verlieren hinüberdämmert, und wir 78 aufhören uns vom Andern als ein unterschiedenes Wesen zu wissen.

»– Es war lang über Mittag, da saßen wir noch immer an jenem Steinblock, der zwei grasüberwachsene Aecker grenzte, und ich sagte zu meinem Lieb:

»›Komm', laß uns aufstehen und sehen, wo wir was zu essen und zu trinken kriegen.‹

»›O bleib' noch ein wenig,‹ entgegnete sie; ›ich meine, ich dürfte den lieben Platz, wo ich Dich und Du mich gefunden, nicht verlassen, so lange noch die Sonne scheint. O könnt' ich den Tag festhalten, die Stunde, ich gäb' ein langes Leben darum. Aber die Zeit läßt sich nicht fassen, und ich komme mir vor wie Einer, der in den Fluß greift und feste Fäuste macht; das Wasser läuft doch davon. Du hast Recht, komm', laß uns gehen.‹

»Sie umschlang mich fest mit der Rechten und hielt meine Linke in der ihren; so schritten wir langsam einem Dorfe zu, das in der Nähe aus seinen Bäumen herüberwinkte; mein Roß graste gemüthlich hinter uns drein.

»Unterwegs sprach ich zu ihr, ›das Pferd, mit dem Du hast in die Wette laufen wollen, das werd ich mir kaufen, und koste es was es wolle. Es soll uns auch zur Kirche fahren, wenn wir Hochzeit machen.‹

79 »Sie schüttelte das Haupt und blieb stehen, küßte mich und sprach: ›Heinrich, Du bist gut, aber ich kann Deine Gattin nicht werden. Ich würde Dich unglücklich und das mich elend machen. Und warum denn auch? Ich darf Deine Hausfrau nicht sein, aber ich bin Deine Geliebte. Dir gehör' ich mit Leib und Seele, mach' mit mir, was Du magst, behalte mich, so lange Du willst, jage mich fort, wenn Du meiner überdrüssig geworden. In Gottes Namen erst gelebt und dann gestorben! Laß mich Deine Magd sein und liebe mich, aber nimmer Deinen Namen führen und Deiner Liebe entbehren müssen.‹

»›Was,‹ rief ich, ›um eines erbärmlichen, verschwindenden Vorurtheils willen, das nur mehr einen kurzen Schatten in die Gesellschaft fallen läßt, die es hat verbannen müssen; um des näselnden Theegewäsches etlicher alten Weiber willen soll ich Dich erniedrigen, die Du mir das Höchste bist, das Beste und Heiligste, was mir im Leben geworden! Mich quält keine Sorge, daß das Leben an Deiner Seite sich jemals trüben könne durch Deine Schuld, durch meine Reue; aber ich würde keine Nacht mehr ruhig schlafen können, gäb' es noch ein Bindemittel auf Erden, mit dem ich Deinen Leib und Deine Seele nicht unauflöslich an mein Leben gekettet hätte. 80 Darum laß von den Weigerungen einer falschen Furcht. Hier unterm ewigen Himmel schwör' ich Dir's, in acht Tagen bist Du mein Weib und ich Dein Mann, und müßt' ich alle Sitte der Welt unter die Füße treten, und Dich selbst Widerspänstige auf diesen Armen vor den Altar tragen.‹

»Wir saßen im Garten des Dorfwirths in einer einsamen Laube und sahen die Sonne unseres Verlobungstages langsam am Horizont hinabtauchen. Als es anfing dunkel zu werden, fuhren wir in einem Wägelchen des Gasthauses, dem der Braune hinten angehängt wurde, nach Hause. Am folgenden Abend verließen wir die Residenz; in K. machten wir Hochzeit. Ein halbes Jahr lang reisten wir in Italien und Deutschland herum, alsdann ließ ich mich hier nieder, und hier sitz' ich denn, und hier hast Du mich gefunden, und hier trink' ich mein Glas auf die schöne Zeit und auf das Weib meiner Liebe.«

 


 


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