Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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81 Er leerte sein Glas auf Einen Zug und Thränen standen in seinem Blick. Ich reichte ihm die Hand und sprach:

»So hat denn Dein alter Vater doch Recht gehabt, der da nicht wollte, daß Du ein Handelsmann werdest wie er, wenn er sagte: ›Ich habe gescharrt und geschwitzt von Kleinauf wie ein Thier, das unter Lasten geht, und was ich erworben und erspart, es ist wohl genug für Zweie und für Viere auch; aber ich habe selten Zeit gehabt, wenn ich verdiente, mich zu besinnen, daß es einen Menschen auf der Welt gäbe meines Namens, der auch ein Recht habe, sich seines Daseins zu freuen. Hinter meinen Rechnungsbüchern schloß sich der Kreis meiner Wünsche, wie die Scheiben meines Comptoirs nach der Straße zu mit weißer Farbe verstrichen waren. Und trat auch einmal die Freude in meine Rechenstube, so hatte sie ein Gesicht aus lauter Zahlen. Selbst mein Weib war mir nicht mehr als eine Erholung vom Rechnen und Erwerben, etwa ein wenig besser als der Schlaf. Wofür hab' ich mich geplagt, wenn nicht für meinen Jungen; es ist genug geschachert, er soll 82 gebrauchen, was ich erspart. Ich will ihn erziehen und erziehen lassen, daß er lerne, wie er genieße, und wie man die Zeit vertreibe, ohne sich zu langweilen, und alsdann will ich doch sehen, ob mein graues Leben nicht ein lachendes geschaffen, und ob ich nicht wenigstens Einen Glücklichen machen kann unter der Sonne.‹ – So hat Dein Vater oft gesprochen, und siehe, nun bist Du der Glückliche unter der Sonne und er hat recht gesagt. Dies Glas seinem Gedächtniß!«

Heinrich that Bescheid und schwieg. Er mußte sich ein Stücklein Kork aus dem frisch gefüllten Kelche herausfischen. Dann sagte er:

»Es ist doch so ein eigen Ding mit dem Glück, und man kann es nicht machen, weil man will, und man kann es nicht halten, so lange es einem beliebt. Es kommt, wann es mag, und wir können's nicht zwingen, und es ist dahin über Nacht, wir wissen kaum zu sagen wie? Selbst die am Höchsten Begünstigten, vor welchen die Menschen in Neid und Verehrung sich beugen, selbst Diejenigen, welche vor dem eigenen Bewußtsein bekennen, daß sie bessere, schönere, dauerndere Güter erhalten und diese länger zu bewahren gewußt haben, denn alle anderen Sterblichen, die sie umwohnen und umreisen, selbst diese kennen den Schatten, den das Licht wirft, und den 83 Biß der Schlange, die unter den Rosen schläft. Wir sind und können nicht sein ohne Sorgen. Wir sind nicht Kinder des Friedens, sondern des Streites; nicht in paradiesischem Behagen ist die Heimat unseres Daseins, sondern im Ringen und Verlieren und Wiederaufdringen, bis der allerletzte Schlag uns niederschmettert. Spricht nicht die höchste Wonne in Thränen und Schmerzenslauten? Ist Liebeslust nicht Kampf? Ist nicht das treueste Zusammenleben hingegebener Seelen ein Krieg, in dem wir lauernd zu Felde liegen und alle Kräfte aufbieten, den Dämon in uns und ihr zu besiegen, auf daß er das Feuer, das wir ewig und klar wollen, nicht trübe, nicht verstöre, und wir es rasch selbst noch im Verlöschen neu entfachen mögen? Wir streben nach Besitz, und doch ist der Besitz eine Lust und das Streben ermüdet, und dennoch schaudern wir vor dem Verlust! Was ist qualenreicher, denn Verlieren, was ist sorgenschwerer, denn Besitzen, welcher Feind ist listiger, ist grausamer, denn die Liebe!«

»Wohl uns, daß dem so ist,« war meine Erwiederung. »Ich neide keinen Gott in seinem wolkenlosen Himmel. Allmacht und Allwissenheit sind Gedanken so widerwärtig wie die Ewigkeit. Kinder des Streites wollen wir sein. Ohne Widerpart keine Freude, ohne Mühsal kein Genuß, das Licht muß 84 seinen Schatten werfen; und jenseits des Reichs der Gegensätze gähnet todtbringend allem Erdenklichen, unermeßlich, grenzenlos, das sumpfende Meer der Langweile.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte Heinrich, und schnitt ein Gesicht wie ›die Welt als Wille und Vorstellung‹; »und doch frage ich mich zuweilen, ob nicht mein Vater, der nie die Leidenschaft gekannt zwischen seinem Soll und Haben, denn doch glücklicher war als ich, dem heißes Lebensblut durch die Adern pocht, dessen Blick in eine Welt von Wissen aussieht, dessen Hände sein Liebstes lebend an die hochschlagende Brust drücken?«

»Heinrich,« lachte ich, »Du bist krank.«

»Nicht ich,« sprach er leise und rückte näher an meine Seite, »nicht ich, aber sie ist's. Oder ich bin's doch, bin zu schwach, mich zu ihrer Größe zu erheben. Oder auch wir sind's Beide, sind Beide sterbliche Menschen.«

Er hatte noch den Scheidebrief Peregrettens, den er mir vorgelesen, ausgebreitet vor sich liegen. Er fuhr mit der Handfläche über das Papier und sagte:

»Es ist was, ist was Wahres in ihren Worten, es ist Grund unter diesen Aengsten. – Mißhöre mich nicht, mein Freund. Glaube nicht, daß ich 85 thörichte Vorurtheile mir im Hirn oder gar im Hause spuken ließe. Peregretta dürfte eines Fürsten Weib sein und wäre ebenbürtig vom Scheitel bis zur Sohle. Sie ist die reizendste Geliebte, die tugendhafteste Gattin, die sorgfältigste Hausfrau, aber sie ist das Alles nur aus Liebe zu mir; denn sie ist noch mehr als Geliebte, Gattin, Hausfrau, und in ihrem Wesen wohnt ach noch eine andere Liebe als die zu mir. Diese eine Leidenschaft kämpft mit der anderen einen fortwährenden Kampf; ich stehe wie ein Schachspieler, der um sein Leben und seine Seligkeit spielt, über ihrer Seele, und will und muß dem Dämon mir gegenüber die Partie abgewinnen. Dieser Dämon ist das Kind eurer Dichter, er ist ein Dämon des trügerischen Scheines und der höchsten Wahrheit, des äußeren Glanzes und der Herzenstiefe, es ist der Dämon der Schaubühne, die Kunst. Peregretta ist eine geborene Schauspielerin, mit allen Leibes- und Geisteskräften wurzelt sie in der Kunst und strebt nach ihr. Wenn Gott so vernehmlich Ja sagt, darf der Mensch es wagen zu verneinen!

»Schon wenige Wochen nach unserer Hochzeit auf der Reise konnt' ich mich der Bemerkung nicht erwehren, wie sie Alles, was sie in der Welt zu sehen und zu hören bekam, zur Bühne in Beziehung setzte. Arglos, wie ich war, gab ich ihrem Wunsche, 86 in jeder Stadt allabendlich das Theater zu besuchen, gerne nach. Wie bald aber fühlte ich, daß von den Brettern herab eine dunkle Macht die Hände nach ihrer Seele ausstreckte, eine dunkle Macht, die ihren Raub nicht losließ, bis der herabrauschende Vorhang wieder die lockende Welt des Scheines und die Welt der Wirklichkeit in zwei getrennte Hälften zerschnitt. Wenn sie dann an meinem Arme so ganz in Freude schwebend nach unserem Gasthofe ging, und mir in traulichem Geplauder Lob und Tadel auskramte, wenn sie mir, daheim angelangt, vordeklamirte, wie sie das machen würde, so stahl sich in all' meine junge Glückseligkeit ein trüber Klang herein, denn ich wußte, es gäbe eine Zeit, die Zeit der Vorstellung, wo ich für sie gar nicht in der Welt war. So lange die Szene offen blieb, nahm der schlechteste Komödiant ihre hingebende Aufmerksamkeit mehr in Anspruch, als der ihr zur Seite sitzende Gatte. Ja, als ich es in meinem Verdruß einige Male wagte, sie durch kleine, gut gemeinte Störungen aufmerksam zu machen, daß ich auch noch in natura rerum existirte, war ihre Antwort ein kurzer Ausruf erkennbaren Mißbehagens.

»Damals schon faßte mich im Stillen eine wahre Eifersucht auf jenen herrischen Geist, der sich mit mir in den Besitz des geliebten Weibes theilte, so 87 daß ich auf Mittel zu sinnen begann, ihm sein Theil abzujagen.

»Indessen war ich damals bei alledem doch so ganz bis über die Ohren glücklich, daß ich mit dem Nachsinnen nicht weit kam. Auch war mein Weib, so lange sie nicht vor den Lampen saß, so ganz Liebe und Freude, daß ich mich für die gestohlenen Stunden vollauf entschädigt hielt. Ich beschränkte nur die Theaterbesuche, und sie wendete nichts hiegegen ein. Als vernünftiger Mann legt' ich mir ihre Neigung psychologisch zurecht. Ich stellte mir's vor die Betrachtung, wie schon die ersten Gedanken des Kindes sich in jener verführerischen Welt bewegt hätten; wie ihr ganzes bisheriges Dasein mehr von den Coulissenlampen als von Gottes lieber Sonne beleuchtet gewesen wäre; wie sie ohne Erzieher, ja so gut wie elternlos, ihre Heimat im Theater gefunden, das ihr Kinderspiel und Schule hatte ersetzen müssen. Ich sagte mir, daß ja kein Mensch sich von den Erinnerungen seiner Jugend mit Einem Streich loslösen könne, und daß mit der Zeit auch jener Zauber, welcher jetzt noch der Seele meiner Frau Gewalt that, in der Entfernung und gekreuzt von den Sorgen einer lieben Häuslichkeit seine Macht werde verlieren müssen.

»Diese Rücksicht, nicht etwa die Absicht, das 88 Weib meiner Wahl vor den kritisirenden Blicken der großen Welt zu verstecken, hat mich bewogen, dies kleine Städtchen in seiner ländlich abgeschiedenen Einfachheit zum Aufenthaltsorte zu wählen. Vor wandernden Truppen, wie sie zuweilen auf Messen und Märkten herumziehen, hegt Peregretta einen aristokratischen Widerwillen, und außer derartigen Musenkindern zweifelhafter Berechtigung hat diese Hügelgründe noch nie ein memorirender Schauspieler mit seiner Rolle in der Hand durchwandelt. Niemals – als bis ich hier meinen Wohnsitz aufschlug.

»Die erste Zeit unseres Hierseins, welche von den Freuden des Herbstes und den Geschäften unserer ausführlichen Einrichtung in Anspruch genommen war, ging Alles wider Erwarten vortrefflich. Schon triumphirte meine Beobachtung im Stillen, und so lange die Raketen der Weinlese aus den Wingerten aufstiegen, flog meine Seele lustig mit gegen Himmel, denn mein tiefer Wunsch schien erfüllt zu sein, meine Gattin schien Komödie und Komödianten auf immer vergessen zu haben.

»Da wurden die Abende kühler und länger, und wir saßen am Kamin zu Zweien und plauderten in die Flammen, und erinnerten uns an unsere Reiseabenteuer, und kritisirten unsere Küche. Das war Alles recht hübsch, aber es hielt denn doch nicht 89 lange vor, und ich stieg hinauf in mein Bibliothekzimmer und brachte ein dickes Buch an den Kamin. Und wir lasen einen Band um den andern, Geschichtswerke, Romane, Gedichte, nur keine Schauspiele. Wir nahmen uns das jeweilige Buch eifrig aus den Händen, im Vorlesen abwechselnd, wo bald Eins das Andere an Deutlichkeit und Korrektheit überbieten wollte, und ich freute mich aus vollem Herzen über die glückliche Auffassungskraft, die willige Geschicklichkeit, das treffliche Gedächtniß meiner vielgeliebten Schülerin.

»Ein kurzes Wochenbett unterbrach unsere emsigen Studien, meine Frau genas eines Mädchens, aber nach kurzen Stunden schon war das Kind eine Leiche. Dieser traurige Fall erschütterte das Gemüth Peregretta's auf's Tiefste. Sie klagte wenig, selbst mir nicht; aber es schien, als hielte ein sich selbstgegebenes, schwermüthiges Gelöbniß, ja eine mir unerklärliche Angst ihre Lippen verschlossen. Sie suchte die Einsamkeit und saß oft lange Stunden am Fenster, schwärmerisch in die Wolken schauend.

»Nun war es wieder Frühling geworden, und auch das Eis um Peregrettens leidende Seele schien hinwegzuthauen. Mit einer leidenschaftlichen Zärtlichkeit, die alle frühere Hingebung noch überbot, fesselte sie meine Liebe noch inniger an sich. Aber 90 neben diesen glücklichen Stunden hatte sie andere Zeiten, in denen sie weder mir noch sich selbst mehr anzugehören schien. In Grübeleien oder Träumereien ging sie dann wie eine Nachtwandlerin umher, mit Bäumen und Quellen sprechend, oder saß auf der Fläche meines Daches und sah hinaus weit über's Land, als zöge ein stillnagendes Heimweh ihr Herz in unbekannte Fernen.

»Da überraschte ich sie einmal im Garten in ein Buch vertieft. Sie verbarg es keineswegs, doch schien sie unangenehm betroffen, und als wünschte sie, ich hätte sie nicht entdeckt. Es war Grillparzer's Medea, die sie in der Hand hielt; ich hatte des Stückes am verwichenen Abend selbst Erwähnung gethan, und so wahrlich, ohne zu wollen, ihre Neugier gestachelt.

»Mit Einem Schlag waren alle Geister meiner quälenden Sorgen aus ihren so schön überblühten Gräbern höhnischer und rachsüchtiger denn je wieder auferstanden. Der Vorgang in meiner Brust mochte sich in meinen Gesichtszügen ausdrücken, Peregretta ließ das Buch aus den Händen gleiten, fiel mir um den Hals und weinte lange bitterlich.

»Da erkannte ich, daß mein Sieg über den herrschgierigen Dämon eitel Wahn gewesen, daß er heute noch mächtiger als zuvor in schlimmer 91 Nachbarschaft hart an meinem Recht in ihrem Herzen wohne. Mein Gemüth übernahm tiefe Traurigkeit, aber in der Trübsal kam mir ein stolzer Gedanke. Ich verwarf mein bisheriges Kampfverfahren. Da ich eingesehen, daß der Gewaltige Stirn gegen Stirne nicht zu werfen war, so beschloß ich, durch Klugheit seiner Herr zu werden, indem ich ihn in Pflicht zu nehmen suchte, wenn ich mich scheinbar in seinen Dienst begab. Ich veränderte den Gegenstand unserer abendlichen Lektüre; Sophokles, Shakspeare, Schiller, mit einem Gefolge von erläuternden und erklärenden Hülfsbüchern, wanderten in meinen Speisesaal ein, und ein systematischer Unterricht begann. Dabei hielt ich meine Frau nicht nur zum Deklamiren und Memoriren an, sondern ließ sie im vollen Zug, als stünde sie vor dem Publikum, nach allen Seiten hin ihre Kräfte entfaltend. Ja, wo's Noth war, spielte ich selbst zur Aushülfe mit. Ich besprach mit ihr jedes Wort, jede Gebärde in einer Rolle, ich erweiterte ihren geistigen Gesichtskreis, ich ließ sie in die ganze Tiefe ihres reichen Gemüthes schauen, und indem ich so dem Dämon meine Hände bot, strebte ich ihn an mich zu fassen und zu halten. Fortan, wenn Peregrettens Geist sich in das innerste Heiligthum ihrer Kunst versenkte, stand mein Gedächtniß nicht als unreiner Fremdling vor der Pforte; ich 92 war ihr Priester und Meister geworden, mir hatte sie die letzten Weihen zu verdanken, und wenn nun ihre Seele von den Gestalten der Bühne gefangen gehalten wurde, war meine Gestalt mit jenen verbunden; nun mußte sie meiner denken, so oft und viel sie der Kunst denken mochte, denn ich habe sie zur Künstlerin gemacht.

»So treibe ich's denn eine Woche wie die andere dritthalb Jahre lang; meine Frau hat ein Repertoire, so groß und bedeutend wie irgend eine Künstlerin von Ruf, und ob sie meines Lobes werth ist, hast Du heute, als Du im Garten gelauscht, mit eigenen Ohren erproben können. Aber Du hast sie nur gehört, Du mußt sie auch sehen, wie jedes Glied im Geiste ihrer Rolle spricht, und ohne jegliche Uebertreibung, ohne die störend hervorstechende Absichtlichkeit gelehrter Schauspieler. Ihre Stimme ist tönendes Feuer, ihre Gestalt sichtbar gewordene Seele. Und hier sitze ich oft mit gefalteten Händen und staune sie an mit feuchten Augen, und bewundere den reichen Schatz, den ich in meinen vier Wänden halte, dessen alleiniger Herr ich bin. Die Könige der Erde würden ihn mit Gold umhüllen, und das Volk sich vor seinen Triumphwagen spannen, die Mächtigen des Geistes würden sich glücklich schätzen, wenn der Hauch solchen Mundes die Segel ihres Ruhmes schwellen machte.

93 »Dieses Bewußtsein erfüllt mich mit Stolz und kann mich übermüthig machen; aber es währt nicht lange, so muß ich mir sagen: Bist du nicht ein elender Verbrecher an der Majestät des Menschengeistes, daß du fortfährst, der Kunst ihr Eigenthum, der Welt ihre Freude vorzuenthalten, daß du den Hauch der Gottheit, der aus deines Weibes Munde geht, mißbrauchst, um nur die Flamme deines verborgenen Herdes zu nähren. Würdest du den Menschen nicht verachten, der ein köstliches Gemälde Raphael's in seiner Schlafkammer aufstellte und davor einen undurchsichtigen Vorhang zöge, damit kein Auge außer dem des beneidenswerthen Besitzers diesen Schatz genieße? – Und mein Gewissen fügt hinzu: Siehst du nicht, Räuber, wie sich die Seele deines edlen Weibes Zwang anthut, wie sie nur des Nachts aufblüht zu voller Schöne, und am Tag trübselig, in Sehnen versunken, das Haupt neigt. Ein Dichter kann glücklich sein und sterben, ohne daß nur Einer seiner Mitlebenden Eine Zeile von ihm gekannt hat; selbst ein Maler, ein Bildhauer kann in der Einsamkeit seiner vier Pfähle sein Bildwerk schaffen und es dann der staunenden Gesellschaft überlassen, der er für immer den Rücken gekehrt hat; aber der Künstler der Bühne, dessen Werk nicht Fleisch gewinnt und keinen Halt hat vor den Sinnen, er bedarf der 94 dichtgeschaarten Menge, die ihm die Nachwelt ersetzen muß, er bedarf des angekündigten Pompes und des augenfälligen Schmucks, er bedarf der Schminke wie der Lampen, er bedarf des Klatschens im Parket und des Jubels der Gallerieen, der niederflatternden Kränze und der Tausend geschliffener Gläser, die nach seinem Haupte zielen. Er bedarf der Bewunderung und der Liebe der Lebenden, denn seine Ernte ist flüchtig. und sein Ruhm verflutet mit den Wellen in der Luft, welche der Hauch seiner Stimme erschüttert. Darum spendet ihm die Welt den Beifall tausendfach auf Einmal, den andere Künstler bleibender Schöpfungen nur zerstreut ernten und erst in der Folge der Jahrhunderte. Gehe hin und werde gerecht!

»Aber wie, werf' ich ein, sind denn die Weiber erschaffen worden, um Komödie zu spielen, oder ist des Weibes Bestimmung nicht vielmehr die, ihren Gatten zu beglücken. Und das weiß ich, mein Glück und alles Glück unserer Liebe wäre dahin, wenn ich Peregretten einer Bühne überließe. Ich kenne den jetzigen Geschmack der Menge nicht, aber ich kenne die Vorurtheile, die Schwierigkeiten, die kleinlichen Erbärmlichkeiten alle, über welche hinweg selbst ein großes Talent seine ersten Schritte auf den Brettern wagen muß. Setze einen mißlichen Erfolg, ein vollständiges Fiasco, ich könnte die Folgen nicht ertragen, 95 Peregretta würde mir lächerlich, ich mir selbst als ein Narr erscheinen, während sie, die einmal wieder Blut geleckt, am ungestillten Durst verkommen müßte. Und macht sie Glück und jubeln ihr die Alten und die Jungen zu, so ist mein Elend erst recht entschieden, denn dann ist der Dämon wieder Herr, und wird sie mehr und mehr in seinen Dienst zu fesseln wissen und mehr und mehr sie mir entfremden. Ich aber will ihr Herz mit Niemandem theilen, auch mit einem Gott nicht. Doch es ist gar schwer, mit Dämonen zu ringen, denn sie behalten immer Recht, und so Du meinst, Du hältst sie sicher, darfst Du nur genau hinsehen, um zu merken, daß denn doch nur Du der Bethörte bist.

»So weit ist es mit mir gekommen, daß mich selbst in den Augenblicken der tiefsten Rührung, der rückhaltlosen Bewunderung ihres Talents, ja sogar in ihren Armen plötzlich der abscheulichste Zweifel überschauert und ich mich selbst in meinem Wahn verliere. Denn wenn ich staunend ihrer Macht mich hingegeben fühle, mit der sie die fremdesten Gefühle, nie gekannte Gemüthsstürme in der Sprache unverfälschter Wahrheit wiederzugeben weiß, wie sie den Blick des Irrsinns in ihre Augen, die Lähmung des Todeskampfes über ihre Glieder legt, wie sie selbst das Gelächter des Leichtsinns, den Hohn der 96 Frivolität auf ihre Lippen nimmt, als wäre es die Alltagskost ihrer Seele, da frage ich mich in qualvollen Nächten, wo ist die Grenze dieses Truges? Wenn ihr Gefühl für Wahrheit wie für Lüge die gleichen Töne hat, die aus des Herzens tiefster Tiefe zu klingen scheinen, wer bürgt mir dann, daß es nicht Lüge war, was sie einst mir mit Sirenenstimme zugeflüstert; wenn ihr ein Schicksal von Papier und todten Buchstaben Thränen aus den Augen zwingt und ihren Busen höher schlagen läßt, war es denn dann auch die Wahrheit, die diesen Busen hob, als ich ihn flehend an den meinen zog? war's nicht das Gift der Lüge, das ich einst mit seligtrunkenen Lippen in ihren Thränen von den bebenden Wimpern küßte?

»Dann greife ich rückwärts in die alte, herrliche Zeit, und nehme mir die schönsten Augenblicke meines Lebens vor die zersetzende Grübelei meines eifersüchtigen Argwohns, und betaste und befühle sie, und kehre sie so lange um und um, bis sie mich glanzentledigt angrinsen, wie einstudirte Kunsteffekte einer schlauen Betrügerin. Dann frage ich mich: Konnte der Vorfall in der Vorstadtschenke nicht ein mit dem biederen Petrucchio abgekarteter Streich gewesen sein, um meine Aufmerksamkeit in absonderlich wirksamer Weise anzuregen? War es mädchenhaft und absichtslos, daß sie mich in meinem Krankenzimmer 97 aufsuchte, mich, der nie noch ein lebendiges Wort zu ihr gesprochen? Wie schnell und sicher bedacht ging sie nicht auf meinen Vorschlag ein, bei mir zu bleiben und mich zu pflegen! Daß sie mir keinerlei Vertraulichkeit gestattete, das ist ein alter Kniff, um einen nur um so dauerhafter einzuspinnen. Daß sie nach dem ersten Kuß entsprang, mußte mein Gelüsten zur gebieterischen Begierde steigern, den süßen Trank, von dem ich nur erst genippt, in vollen Zügen zu schlürfen. Wenn sie endlich sich von dannen machte, so wußte sie, daß ich ihr nachrennen würde, und die hartnäckige Weigerung, mein ehelich Weib zu werden, war nur die wirksamste Entkleidung des ernstlichen Verlangens nach kirchlicher Einsegnung.

»Was ist mir Welt und Leben, was Zeit und Ewigkeit ohne sie! Da liegt der stolze Bau meines Glücks, und auf dem verpesteten Trümmerhaufen hockt ein häßliches, von Würmern durchkrochenes Gerippe, hohnlachend den Zerstörerhammer im grellen Licht einer unbarmherzigen Sonne schwingend – mein eigener Zweifel.

»Doch wenn die Grübelei meine auf die grausamste Folter gespannte Seele mit jenen Fragen inquirirt, dann schüren Eifersucht und Eigensinn noch ein brennendes Feuer unter ihr an, und meine Höllenschmerzen machen sich in schlimmen Ausrufungen 98 Luft. In solchen Augenblicken hab' ich abscheuliche Worte, Worte des Mißtrauens und der Verdächtigung ausgesprochen gegen den duldenden Engel, der mein Weib zu sein sich herabgewürdigt hat. Und wenn ich auch dann wie Einer, der im Weintaumel sein Liebstes auf den Tod getroffen, plötzlich ernüchtert zu ihren Füßen stürze und die zitternden Kniee der schuldlos Gekränkten umfasse, dann möcht' ich mir den Schädel auf dem Estrich einschlagen, denn ich fühl' es, daß sie mir nie vergeben und vergessen kann. Sie aber duldet wie eine Heilige, und liebt mich noch, das weiß ich, und erst wenn ich stundenlang mein brennendes Haupt in ihren kleinen Händen fühle, dann kommt auch der Friede wieder, und ich sehe es an ihrem wieder aufdämmernden Lächeln, daß ich sie noch nicht verloren habe, daß ihre Seele, die sich schon von mir abgewandt, stillgestanden auf dem Wege und wieder heimgekehrt ist zu mir –«

 


 


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