Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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II.

Es mochte wohl über ein Halbjahr seitdem vergangen sein, und ich hatte nichts mehr von meinem Freunde und seiner schönen Hausfrau vernommen. Der Winter hatte bereits strengen Einzug gehalten, und ich saß am Feuer mit dem Gluthhaken in der Hand in Erinnerungen verloren, wie einem das so zu geschehen pflegt, wenn die Dunkelheit fühlbar zunimmt und wir wieder anfangen müssen, den Ofen, den wir mondenlang ganz vergessen, als wichtigste Möbel in der Stube zu behandeln.

Ich gebe nichts auf Ahnungen, aber ich bilde mir ein, eine besondere Nase zu haben, welche etliche Stunden im Voraus wittert, daß ihr ein Brief von freundschaftlichem Interesse unterbreitet werden soll. Ein Anfall dieser Einbildung, vereint mit den Schauern eines jungkräftigen Schneesturms, hatte mich heute schneller nach Hause getrieben, und nun wunderte ich mich in der That, bei meinem Nachfragen keine fremde Handschrift vorgefunden zu haben. Da 118 dachte ich denn an so mancherlei Aberglauben, an das Nägelschneiden am Freitag, an ein altes vierblätteriges Kleeblatt in meinem griechischen Lexikon, an Kartenschlagen und Bleigießen, an den Kölner Dombau und an die friedfertige Entwickelung der deutschen Nation. Ich verwarf all' die frommen Schnörkel, von denen ein hoffendes Gemüth überwuchert zu werden liebt und wollte eben aufstehen, um mich einen Narren zu heißen, da schellt es draußen ganz mächtig; der Briefträger stampft herein, und läßt mir etliche Schneeklümpchen auf dem Fußteppich und auf dem Schreibtisch einen dicken Brief zurück.

Ich erkannte die Züge der Aufschrift nicht sofort, die Blätter des Inhalts waren verschieden von Färbung, die einen blank und glänzend trugen das Datum von jüngst verwichenen Tagen, die anderen schrieben sich aus einem mittleren Jahre des letzten Dezenniums her. Diese waren von verschiedener Form, ein wenig vergilbt und verblaßt und so zerknittert, als hätte sie ein Backfisch von dazumal längere Zeit im Schürzensäckchen mit sich herumgetragen, um sie zu wiederholten Malen lesen zu können, wenn's eben Niemand sieht. Die Unterschrift sämmtlicher Briefschaften lautete Heinrich, das Postzeichen auf dem Umschlag erinnerte mich an jenes liebliche Städtchen drei Meilen hinter Grimmelsdorf. Ich nahm das erste der Blätter, 119 welches das jüngste Datum aufwies, und fing an zu lesen was da folgt:

Theurer Freund!

Du bist an meiner Seite gegangen in den Blütenjahren des Jugendmuthes, Du hast mir segnend die Rechte gedrückt, als Du ein Augenzeuge wardst des reifen Glücks, mit welchem die Vorsehung den Mann beschenkte. Die Züge des Jünglings und des Mannes leben treu in Deiner Erinnerung. So Du aber nun dem Dringen meiner Wünsche, wie ich in der Zuversicht des Darniedergebeugten hoffe, nachgeben willst, so wirst Du bei unserem Wiederbegegnen fragen: Wer ist der Mann? Und alsdann wird Dir zu Muthe werden wie einem, der die Saat in üppiger Blüte gesehen, und nun vor hagelzerdroschenen Feldern, vor blitzversengten Bäumen steht; wie einem, der, aus der Fremde heimkehrend, die Stadt seiner Geburt, den Stolz seiner Väter mit vom Feind geschleiften Mauern wiederfindet, die Häuser in Asche, fortgezogen die Männer, Weiber und Kinder obdachlos und hülfebar. Mein Haar ist grau, meine Wangen fahl und stier meine Blicke, der Schlummer ist gewichen von meinen Nächten, und meine Tage sind Trübsal und Verzweiflung; ich habe mein Weib verloren.

Mein guter Vater wollte mit Gewalt einen Glücklichen aus mir machen, ich danke es ihm damit, 120 daß ich der Armseligste der Menschen geworden bin und die Stunde verfluche, die mich gezeugt. Wer mir gesagt hätte, wie's kommen würde, wer mir's für möglich, denkbar vorgehalten, dem wäre ich an die Gurgel gefahren und hätte ihm die Seele im Leibe geknetet, bis er gestanden, daß er eitel Trug und Lüge gefaselt. Und nun ist es doch so, und ich sitze allein in meiner winterumstürmten Wohnung, und gehe von einem Zimmer in's andere, und von dem öden Haus in den verschneiten Garten, aber ich finde sie nirgends mehr; ich werfe des Nachts ihren Namen in den wehenden Wind, aber sie kommt nicht mehr. Ihre Spur ist verflogen, verweht, und seit sechs Monden mühe ich mich ab, sie zu finden; ich bin über dem Suchen krank und alt und verrückt geworden. Aber es hilft nichts, sie hat mich verlassen und kehrt nicht zurück.

Ich will Dir ohne Hehl und Falsch berichten wie's gekommen. Ob ich klar, ob ich in der Ordnung erzählen werde, weiß ich nicht, denn ich sehe um mich wie ein Schwindelnder, Gegenwart und Vergangenheit kreisen um meine getrübten Blicke. Aber ich will Dir's erzählen, wie ich's meinem Gewissen erzähle. Ich thue das aus eigenem Bedürfniß, denn mir ist im Wirrsal meines Geschicks das richtige Maß der Dinge verloren gegangen; ich bin ein hülf- 121 und rathloser Mann, doch indem ich suche, mich Dir verständlich zu machen, hoffe ich, auch selbst klarer zu erkennen, was ich soll, was ich darf.

Ich mußte schon am Tage Deiner Abreise eine erhöhte Reizbarkeit in Peregrettens ganzem Wesen bemerken. Zwischen die liebevollste Zärtlichkeit drängte sich stets ein händelsüchtiges, argwöhnisches Schmollen. Jedes ernste Wort rührte sie zu Thränen, jede Gleichgültigkeit zum Zorn auf. Durch die heftige Erzählung, welche ich Dir zwei Abende vorher gegeben, war auch ich nicht in der arglosesten Verfassung. So gab ein Wort das andere, ich wurde heftig und kränkte sie über Gebühr. Ich erkannte mein Unrecht und wollte es dadurch wieder gut machen, daß ich sie ausforschte, wie ich ihr eine Freude bereiten möchte. Sie kam dieser meiner Absicht mit dem Wunsch entgegen: ich solle mit ihr die Desdemona im Othello einstudiren, und obwohl mir nachgerade das fortwährende Doziren und Komödienspielen etwas zuwider geworden war, gab ich doch sofort nach, und wir vertieften uns mit einer wahren Wuth in Shakespeares wunderreiches Seelengemälde. Wir waren so eifrig, daß wir etliche Tage lang selbst des Morgens und Mittags nicht von unserer Arbeit abließen, und bald kam es so weit, daß Peregretta im Glück ihres neuerworbenen geistigen Schatzes aller der kleinlichen 122 Sorgen ihrer, ich wußte damals noch nicht woher, eingegebenen Eifersucht vergaß, und wie in einer andern Welt, in der Welt des shakespearischen Genius zu leben und zu weben schien. War es in ihrer natürlichen Anlage begründet, war es, daß dieses Gedicht ihrer gereizten Gemüthsstimmung mit seinem Reichthum von Ideen und Situationen wie aushelfend und ergänzend entgegenkam, gewiß ist, daß noch keine bisher bewältigte Tragödie Peregretten so ganz und gar gefangen genommen hatte wie diese. In der Darstellung der Arglosigkeit, des Schmerzes, der Todesahnung und Todesangst Desdemona's übertraf sie alle ihre bisherigen Leistungen, sogar die der Julia, von der Du selbst ein Bruchstück gehört. Dann aber wollte sie sich nicht mit jener Rolle allein begnügen, sondern gab nicht nach, bis sie sich auch die der Emilia, ja sogar auch die des Jago, und endlich die Partie des Othello selber mit gleicher Genialität und Sorgfalt zu eigen gemacht hatte. Die nothwendigen Studien zur ausführlichen eindringenden Erklärung des großen Werkes, zur richtigen zufriedenstellenden Beantwortung der tausend Fragen, die mein Weib über diese und jene Einzelnheiten an mich stellte, nahmen auch meinen Geist und meine Zeit so in Anspruch, daß ich wenig oder nichts um Fernerliegendes besorgt war.

123 So waren uns ein Paar Wochen kaum vermerkt vorübergeflogen, wir studirten und repetirten noch immer fort, als eines Morgens ganz unverhofft ein Brief von meines Vaters Bruder eintraf, der mich und mein Weib sofort nach der Kreishauptstadt entbot. Mein Onkel war seit dreizehn Jahren nicht mehr in Deutschland gewesen; er hatte bereits vor meines Vaters Tode sich entschlossen, sein Glück jenseits des Ozeans zu suchen. Kühnheit, Ausdauer und günstige Zufälle hatten aus ihm, wenn auch gerade keinen reichen, doch einen sehr wohlhabenden Mann gemacht. Und nun ein Todesfall in der Familie seiner Frau und die daraus entspringenden Erbschaftsansprüche seiner Kinder in ihm den Wunsch zur Ausführung gereift hatten, nochmals den Boden seiner ersten Heimat zu betreten, so wollte er, einmal in unserem Lande, auch den Sohn seines Bruders und dessen junge Gattin umarmen.

Wir fuhren früh morgens von Hause weg, um noch vor Mittag am Ort unserer Absicht eintreffen zu können. Ich hätte meine Frau, die still und in sich gekehrt an meiner Seite saß, gerne auf die Eigenthümlichkeiten des alten Herrn aufmerksam gemacht, wenn ich sie nur selber des Genaueren gekannt hätte. Es sind dermalen noch fünf lebendige Brüder meines Vaters in der Welt zu finden, von welchen jeder sein 124 Glück auf eigene Faust gesucht und früher oder später auch gefunden hat; ich hatte aber mit Ausnahme eines einzigen, der in Mailand etablirt ist, seit den Jahren meiner Knabenzeit keinen mehr mit Augen gesehen, noch Anderes von ihnen vernommen, als die runden Summen ihrer Vermögensumstände. So kam es, daß ich in meinen Erinnerungen mehrfach den Einen mit dem Andern verwechselte und endlich davon ganz abstand, meiner Frau ein Bild von ihrem sie erwartenden Schwiegeronkel zu entwerfen.

Auch hätte das Original meine Bemühungen jedenfalls zu Schanden gemacht. Der Mann, welcher uns im bezeichneten Zimmer des bezeichneten Gasthofs mit allem Aufwand pflichtgemäßer Herzlichkeit empfing, war eine Spielart jener deutsch-englisch-amerikanischen Mischmenschen, in denen sich die angeborene Gemüthlichkeit und anerzogene Spießbürgerlichkeit ihrer germanischen Natur mit den fremden Zügen transatlantischer Renommisterei und puritanischer Steifheit wundersam vermählt haben. Er kümmerte sich weniger darum, nach unseren Verhältnissen zu fragen, als uns die seinigen auf's Ausführlichste zu schildern. Alles wurde mit dem knappen Maßstab des praktisch Nützlichen, des klingend Verwerthbaren gemessen; eine andere Welt als die des Handels, andere Gesetze und Rechte für Thun und Leiden, als die des 125 merkantilischen Systems gab's nicht. Alles Bestehende, so lange es nicht durch eine merklich einträglichere Neuerung zu ersetzen war, galt als heilig und unantastbar. Nachdem er uns eine geraume Weile mit seinen schwebenden Projekten unterhalten hatte, setzten wir uns zu Tisch. Er stellte sich einige Augenblicke steif, mit herabhängenden Händen vor seinen Sessel und sprach, wenn auch ohne hörbare Worte, mit regungsloser Ostentation sein kurzes Tischgebet; dann wurde zu durchgängiger Herabwürdigung alles kontinentalen Herkommens sofort ein weitläufiges Gespräch eingeleitet, welches nach jeder Platte die Verherrlichung einer anderen amerikanischen Sitte einschlagen ließ. Die Speisen waren auf seine Anordnung sämmtlich nach jenseitiger Methode zubereitet, Champagner wurde baldmöglichst auf den Tisch gestellt, und dabei hatte der freie Bürger der Union seinen Scherz davon, daß ihn die Kellner abwechselnd Herr Baron und Herr Graf titulirten.

Ich war bald davon überzeugt, daß mein guter Oheim mehr ein praktisch gewandter, durch das Leben gewürfelter Geschäftsmann, als ein Mensch von merkenswerthem Verstande und weltmännischer Bildung, und jedenfalls von einer Natur sei, welche der meiner Gattin geradezu entgegenstand. Indessen berührten sich diese Gegensätze vor der Hand nur, um 126 sich einander zu schmeicheln. Peregretta war etwas schweigsam, dabei aber, was dem Alten weit lieber sein mußte, voll horchender Geduld für seine Reden. Deßhalb interessirte er sich auch offenbar weit mehr für sie als für mich, richtete seine Expektorationen meist an sie und war sogar nicht ohne galante Aufmerksamkeiten, nur daß er ihr nach meinem Geschmack etwas zu viel von den glücklichen Vermögens- und Erbschaftsverhältnissen seiner eigenen Frau vorrechnete (die eine geborene von der Stollen war), und daß er nicht abließ, mich hinwiederum nach den Verwandtschafts- und Geldumständen meiner nunmehrigen Ehehälfte zu quästioniren.

Es hatte mir wie frevelhafte Entweihung geschienen, diesem Alltagsmenschen und gar so en passant die Geschichte unserer Leidenschaften begreiflich zu machen; so log ich ihm denn auf gut Glück etliche kurze Data zusammen, wie sie mir für ihn die meiste Glaubwürdigkeit zu haben schienen. Ich machte mein Weib zur Tochter eines Kleinbürgers ohne gerade bemerkenswerthe Mitgift, wobei ich mit einigen gutgemeinten Verspottungen über meine rasche Jugend davon kam. Da ich an's Lügen nicht gewöhnt bin, so sagte ich diese Fakta so vor mich hinsehend zwischen Messer und Gabel hinein; ich wollte dabei den Augen meiner Frau nicht begegnen, allein mein 127 böses Gewissen meinte es zu fühlen, wie ihre vorwurfsvollen Blicke strafend auf meine gesenkten Wimpern brannten. Ich bereute meinen Mißgriff, allein der plaudernde Oheim brachte das Gespräch bald auf ferne Dinge, und als die Tafel aufgehoben war, befahl er den Wagen, um in die Stadt zu fahren.

Auf dem Wege fiel es ihm plötzlich ein, daß wir heute Abend in die Komödie gehen müßten, denn heute sei ein Stück von einem Engländer, darin ein Mohr vorkomme, den er einmal von einem wirklichen Mohren habe geben sehen, das Stück heiße auch »der Mohr von Venedig« und sei von William Shakspeare, den ich als Narr der Aesthetik ja doch auch kennen müßte.

Meine Frau, die bisher immer stiller und ernster geworden war, stimmte jubilirend in diesen Vorschlag ein; mein Widerstand war vernichtet, ehe ich ihn erhoben hatte, und so saßen wir denn eine Stunde später wieder einmal nach Jahren vor dem Vorhang einer wirklichen Schaubühne.

Ohne mir klar darüber bewußt zu werden, hatte mich schon mit dem Betreten dieser niederen Räume ein unheimliches Gefühl überkommen, dessen mich die mittelmäßigen Schauspieler trotz Shakspeare und Schlegel nicht zu entledigen vermochten. Um jedoch 128 meiner Frau den langentbehrten Genuß so wenig als möglich zu verkümmern, wohl auch, um dem Oheim eine überraschende Zurückweisung ihrerseits zu ersparen, nahm ich den Letzteren mit all' seinem Lob und Tadel ganz für mich in Anspruch. Während er mir nun die bedeutendsten Kaufleute unter der anwesenden Zuhörerschaft aufwies und ihre Verhältnisse vorwog, während er mir gelegentlich auffallender Szenen begreiflich zu machen suchte, wie und warum das Alles auf Englisch viel schöner sein müßte, musterte ich aus Mißmuth und Langweile Parterre und Logen des reichbesuchten, prunkvoll ausgeschmückten Stadttheaters.

Der dritte Akt hatte bereits begonnen, als sich gerade der unsrigen gegenüber eine Loge, welche bisher leer gestanden war, mit einer glänzenden Gesellschaft füllte. Eine ältliche Frau von etwas gebrechlichem Aussehen und schwerfälligem Gange wurde von einem Offizier des in der Stadt liegenden Regimentes an den vordersten Platz geführt, eine stattliche junge Dame folgte; drei bis vier Herren, theils in Uniform, theils im schwarzen Frack, waren diensteifrig um sie geschäftig. Ich merkte anfangs weniger darauf, denn der Onkel schlief und die Andacht meiner Frau hatte auch mich ein wenig angesteckt. Fähndrich Jago schnalzte soeben sein 129

»Mohnsaft nicht, noch Mandragora . . .«

ganz leidlich unter die Suffiten.

Indessen mußte ich bemerken, daß ich von den Gläsern der jenseitigen Loge scharf auf's Korn genommen wurde. Ich erwiederte die Salve und Staunen überkam meine Augen; der Mann, der nun die Uniform des im Orte garnisonirenden Regiments trug, er war mir einst ein schätzbarer Freund gewesen; diese alte Frau hatte ich schon einmal Schwiegermama, diese blondgelockte Schöne meine süße Braut genannt. Aber das war nicht mehr das halbgewachsene Fräulein frisch aus der Pension der Madame Marie Antoinette Corafon, das war ein volles, ganzes Weib, strahlend in der bewußten Macht ihrer Schönheit, eine Königin der Gesellschaft. In zwei schweren Ringen fiel das goldene Haar anmuthig auf den vollen, leisewallenden Busen, den ein lichtschimmerndes Gewand umschloß. Das emsige Geplauder ihrer Kavaliere flog unbeachtet um die stolzen Schultern, und wenn jene sich zum Lachen zwangen, vergrub sie ihr Gesicht in einen vollen Strauß frisch aufgeblühter Rosen. Ihr Auge haftete auf mir, als sähe sie einen Geist vergangener Tage, um ihre Lippen spielte ein grausamer Gedanke. Auch ich verlor mich mehr und mehr in die verführerische Vorstellung: Wie wäre es nun wohl, wenn jene 130 triumphirende Schönheit an Deinem Arm in die Loge gerauscht käme, daß sich aller Blicke nach euch richteten, sie aber Augen und Ohren nur für dich hätte, für dich, ihren alleinigen Herrn. Wie wär's, wenn Natalie damals dein Weib geworden wäre, sie, die dich damals geliebt, wenn auch mit einer jungen, bescheidenen Liebe, deren Flügel sich noch dem hohen Flug deiner Leidenschaft nicht zu folgen getrauten? Wie wär's, wenn du dann heimgekommen, dieß ringelnde Haar durchwühlen und den Stolz von diesen strengen Lippen mit deinen Küssen hinwegscheuchen dürftest? Wie wär's, wenn jene Verlobung, wie sie, wie du selber auch es wolltest, sich damals wirklich vollzogen? – wie wär's, wenn du Peregretten nie gesehen?

Ich erschrak vor dem Reiseziel meiner Gedanken und sah nach dem Weib an meiner Seite, im Gewissen beängstigt, als hätte ich laut gedacht. Sie aber saß da, abgewandt von meinem Treiben, als wäre die Welt um sie verschwunden und ich sagte zu mir: ihre Seele kämpft den Kampf Othello's, nur Cassio'n gilt ihre Eifersucht.

Als ich den Blick von meinem Weibe losmachte, war die Loge drüben wieder leer geworden; der Vorhang rauschte herab und mein Oheim erwachte.

Er versicherte mir sofort, so etwas könne man nur in Amerika oder England sehen, und mein Kopf 131 benickte ihm gläubigst Alles, was er wollte, mein Geist aber war weit ab und trug die Schleppe am weißen Kleide der Königin Natalie.

Ob sie verheirathet ist? mußte ich ein über's andere Mal im Stillen fragen; es sah nicht aus, als wenn eine dieser Gliederpuppen ihr Eheherr wäre. Was ging das aber mich an? Warum erfüllte mich dieser Gedanke mit Unbehagen, mit Unruhe? Wie sie mich angesehen, das war kein Blick der Vergessenheit, der Gleichgültigkeit; so blickt der Vorwurf eines gekränkten Glücks, so blickt das Wiedersehen der alten Liebe. Wie hätte sie auch vergessen können, was sie mir dereinst gewesen! Ob sie mein Weib wohl schön gefunden? Ach, Peregretta hatte das Glas nicht von den Augen gethan, so war ihr Schönstes verborgen und, hingegeben jener Zauberwelt der Klänge, dachte ihr weiblich Theil nicht daran, daß sie im Augenblick auch gefallen solle, daß mehr denn Eine Betrachtung jetzt den Vergleich ziehe zwischen ihr und jener Dame aus der großen Welt. Desdemona war erdrosselt, Othello erstochen, Jago gefangen und Cassio Gouverneur von Cypern; es war Alles wie es sein sollte, was kümmerte sie, daß neben ihr ein Gatte saß, der ihren Werth abwog mit dem eines schon einmal vergessenen Mädchens. Thor, der ich war!

132 Als sie sich erhob, strengen Ernst in unbeweglichen Zügen, sah sie aus wie die tragische Muse selbst, die schaudernd hier zu Gericht gesessen. Geist sprühte aus ihren Augen, auf ihren Lippen umarmten sich schweigend die Verse des großen Britten, und ich war stolz, dieses Weib an meinem Arm zu führen, das mir nun wieder als die Herrlichste däuchte von den Töchtern der Erde, an deren Seelengröße selbst der Eifersucht kleinliche Sorgen nicht zu rühren vermochten. Thor, der ich war!

Peregrettens Füße hatten kaum das Straßenpflaster berührt, so kam in der kühlen Nachtluft ein Frösteln über ihre Glieder, als fahre beim Verlassen der geweihten Hallen der Geist der Dichtung von ihr aus. Sie hielt sich fester an meinem Arm, sie plauderte auf's Gutmüthigste mit dem Onkel, und ehe ich mich's versah, lispelte sie mir die Frage in's Ohr, wer denn das schöne Fräulein gewesen, das einen Akt lang meine ganze Aufmerksamkeit und nach seinem Verschwinden mein ganzes Nachdenken in Anspruch genommen habe?

Es kam mir über's Herz, wie ich heute schon einmal vor meinem Weibe als ein Lügner erfunden worden war, ich hätte ihr in diesem Augenblick die Wahrheit nicht verleugnen können und nannte ihr den Namen Nataliens.

133 Dieß schien weiter keinen Eindruck auf sie zu machen; munter plaudernd mit dem Oheim ging sie dahin, bis wir unsern Gasthof erreicht hatten.

Dorthin hatte der Alte eine kleine Gesellschaft aus der Stadt zum Abendessen gebeten, einige wenige ältere Herren vom Handelsstande mit ihren würdigen Frauen. Auch zwei oder drei jüngere Männer fehlten nicht.

Es währte nicht lange, daß das Gespräch auf die heutige Vorstellung kam, und Peregretta gerieth besonders mit den jüngeren Herren der Gesellschaft in eine lebhafte Debatte, in welcher es ihr nicht schwer wurde den Sieg davon zu tragen. Da meinten denn die überwundenen Disputatoren: was sie theoretisch da anführte, das wäre wohl alles ganz schön und auch schwerlich zu widerlegen, allein auf der Bühne ließe sich's doch nicht wiedergeben, und man müsse schon zufrieden sein, wenn man nicht schlechter bedient würde, als man's eben heute Abend genossen.

»Ei, das wäre!« rief Peregrettchen lachend und schüttelte das Haar. »Ich will's versuchen, ob ich Sie nicht auch praktisch zu meiner Ansicht zu bekehren im Stande bin.«

Nicht nur ich, auch der Onkel hatte bisher mit stillem Wohlgefallen auf die gebildete Weisheit seiner beredten Nichte gelauscht. Als ich aber nun die 134 Rednerin sich vom Stuhl erheben und auf zwei Pfeilertischchen etliche Lichter in ähnlicher Weise aufstellen sah, wie wir sie daheim als die zweckmäßigste erprobt hatten, da wurde mir denn doch etwas heiß, während die Andern noch nicht recht wußten, was geschehen solle.

»Sie erinnern sich der zweiten Szene im vierten Akte,« sagte Peregretta nun, »der Mohr, bethört durch die von Jago abgelisteten, scheinbar über Desdemona ausgelassenen Frivolitäten Cassio's, hat sein argloses Weib in Gegenwart des heimatlichen Gesandten gescholten, ja geschlagen, und nun will er die Kammerfrau derselben ausholen.«

Peregretta deklamirte und spielte zuerst das kurze Zwiegespräch Othello's mit Emilien, dann die heftige Eifersuchtsszene jenes mit Desdemonen bis zu dem Punkt, wo der Mohr in schäumender Leidenschaft nach dem Wiedereintritt der Zofe mit den Worten abstürzt:

»Wir sind zu Ende: nimm! Da ist Dein Geld!
Nun schließ' die Thür' und halte reinen Mund!«

Sie sprach alle Rollen, spielte aber mit besonderer Ausführlichkeit die des Othello. Als sie geendet, brach der männliche Theil der Gesellschaft in schallendes Beifallsrufen und Klatschen aus, nur zwei schwiegen still, der Onkel und ich. Jener thronte 135 zwischen einem Paar ehrwürdiger Matronen, welche in diesem Momente für eine recht augenfällige Schamröthe auf den Wangen ihre kostbarste Brüsselerspitzenhaube gegeben haben würden; sie hatten die Hände auf dem Tischtuch gefaltet und dachten sicher nichts als: Mein Gott, ich danke Dir, daß ich nicht bin und niemalen war wie jene, und daß die sämmtlichen Mütter unserer zahlreichen Enkelkinder noch heutigen Tages nicht auswendig wissen, was der Mohr von Venedig zu seinem christlichen Weibe gesprochen. Der Onkel saß da im unbehaglichen Schooße der Verlegenheit, und machte gedankenledig die silberne Klinge seines Dessertmessers über die Rippen des gläsernen Tellerchens hüpfen. In mir selbst ließ die Bewunderung das Mißvergnügen, das Mißvergnügen die Bewunderung nicht recht aufkommen. So sehr mich die Kunst dieses außerordentlich begabten Weibes unter's Joch der Anerkennung zwang, ich redete mir doch ein, daß diese Art vor einer Gesellschaft, die man zum ersten Mal im Leben sieht, so ungenirt zu schreien und zu rasen, etwas Unweibliches, ja Unschickliches wäre, und ein peinliches Gefühl preßte mir den Mund zusammen.

Peregretta mußte von alledem keine Ahnung haben; es schien ihr im Augenblick so wohl zu sein, wie's nur Einem wird, der im Vollgefühl seiner 136 Berechtigung eben thut, was er nicht lassen kann. Das Blut war ihr in die Wangen gestiegen, und mit leuchtenden Augen nahm sie das Lob hin, welches jeder Einzelne ihr reichlich spendete. Man drang in sie, noch eine andere Probe ihres ungeahnten Talents abzulegen und bat sie von allen Seiten, irgend einen Monolog oder was sie sonst wolle zum Besten zu geben. Sie war sofort damit einverstanden, aber ich erhob mich protestirend dagegen und mein Oheim platzte heraus:

»Nicht doch, liebes Kind, nicht doch, das ist des Landes nicht der Brauch, auch bei uns nicht, in den Vereinigten Staaten nicht. Man spricht doch ein für allemal nicht von den Sommerfliegen auf der Fleischbank und derlei Dingen, zuvörderst nicht in den Cirkeln fashionabler, wohlhabender Leute!«

Peregretta wechselte bei diesen Aeußerungen verlegener Rohheit die Farben und suchte nach mir mit den Augen. Ich gab ihr den Arm und versetzte meinem Oheim mit barscher Stimme, daß meine Frau reden könnte, wovon es ihr selbst wohlanständig und gut dünke, und daß ich mir sämmtliche Zurechtweisungen von Seiten eines Dritten und besonders in meiner Gegenwart verbäte.

Der amerikanisirte Bruder meines Vater wollte mir nun die Rechte seines Salons und seine 137 Ansichten von häuslicher Sitte begreiflich machen. Um einem Skandal auszubeugen, empfahl ich mich. Der Onkel entließ uns mit fürnehmem Lächeln, die Herren zuckten die Achseln, die Weiber grinsten und scharrten vor hochchristlicher Freude, ich fluchte in den Bart und brachte meine schluchzende Frau nach unserem Gasthof. Während des Auskleidens erhub sich Peregretta plötzlich und stellte sich gerade vor mich hin, flehentlich meine Hände fassend:

»Heinrich,« sagte sie, »ich habe eine Bitte auf dem Herzen, die Du mir nicht abschlagen darfst und kannst. Ich trage sie schon lange, lange mit mir herum, doch ich konnte den Muth nicht finden, sie Dir laut auszusprechen. Jetzt muß es aber gesagt sein, denn mir drückt es das Herz ab, wenn ich noch länger schweige. Heinrich, ich kann den Hohn dieser rohen, einfältigen Krämerseelen, ich kann die kränkende, widerwillige Herablassung dieser alten Damen, ich kann Deinen eigenen stillschweigenden Vorwurf, den ich Dir von den schmollenden Lippen absehe, nicht länger ertragen. Laß mich Dir und allen den Anderen zeigen, daß ich würdig war, wenn auch als arme und verlassene Waise Dein ehelich Weib zu werden. Siehe, es ist ein kleines, was ich von Dir verlange, ich sage, was ich von Dir erflehen will. Laß mich drei shakspeare'sche und drei deutsche Stücke vorlesen, 138 solche, die seltener oder gar nicht auf die Bühne kommen, wie die ›Braut von Messina‹, den ›Tasso‹, die ›Penthesilea‹. Erst ladest Du Dir einen kleinen Kreis von Gebildeten ein, und wenn ich diese von meinem Werth überzeugt habe, dann erlaubst Du mir vor einem größeren Publikum sechs Abende laut zu lesen und so in jedem Winter nur sechsmal. Dann wirst Du's nicht mehr nothwendig haben, wenn Dich Deine Onkel aus Amerika und Deine Basen im lieben deutschen Reich nach Deiner Frauen Haus und Herkunft fragen, mich zu eines Seifensieders Tochter herauszulügen und Dich vor den Erstaunten fein zimperlich zu entschuldigen, daß ich Dir »nur eine geringe Mitgift« in's Haus gebracht hätte. Und daß ich Dir's nur sage, wenn mich Deine Ahnen und Vorahnen, Deine Vettern und Tanten, soviel ihrer noch da sein mögen, ausnahmslos auf den Händen trügen und ihr liebes, gutes Peregrettchen hießen, ich hielt's doch nicht länger so aus. Denn nicht nur, daß ich es ihnen nicht glaubte; in mir lebt etwas wie ein Feuer, das in die Höhe leckt und zum Dach hinaus schlagen will, und das ich auf die Dauer nicht mehr bändigen kann. Es ist mir nur wohl, wenn mich die vollen Klänge des Instruments, das Gott mir in die Brust gelegt, laut und freitönend umwallen; nur von dem Wohlklang meiner eigenen Stimme umflossen, athme ich 139 die ächte Lebenslust. Dieß konversationsgemäße Wispern und Lispeln ist mir zuwider, und ich sage mir jedesmal, daß Gott mir meine Sprachwerkzeuge gar nicht zu diesem gewöhnlichen Zwecke verliehen habe. Heinrich, Heinrich, wenn Du nur noch einen Funken alter Liebe zu mir, alter Liebe und zu mir, sage ich, im Herzen fühlst, so gib nach und mache mich nicht unglücklich.«

Statt nun mit gelassener Eindringlichkeit ihr diesen Vorsatz aus dem Kopfe zu reden, ließ ich meiner durch diese bestürzende Zumuthung noch schlimmer verstimmten Laune die Zügel schießen, und befahl ihr nur ein für allemal von diesem verrückten Vorsatz abzustehen, der mir so zuwider sei, daß ich nie von ihm wieder hören wolle. Nur so nebenher bemerkte ich auch die Schwierigkeiten, welche sich einem in dieser Stadt so unerhörten Unternehmen entgegenstellen müßten; wie leicht sie dadurch sich und mich lächerlich machen könnte, und wie sie selbst wohl ihre Natur gut genug kennen müßte, um zu wissen, daß ihr Lesen und dabei Stillesitzen ganz und gar zuwider und unmöglich seien. Welch eine erbauliche Szene möchte es geben, wenn die Frau Vorleserin urplötzlich in Mitte des Saales spränge, und wie ein dramatischer Nimmersatt alle Rollen auf einmal spielen und agiren wollte, etwa wie sie's heute Abend 140 beim Onkel angerichtet. So verbot ich ihr in zorniger Heftigkeit, mir noch einmal mit einem solchen Projekte nahe zu kommen.

Sie staunte mich aus großen thränenfeuchten Augen an, dann ging sie zu Bett, und ich hörte sie noch lange leise schluchzen und murren, bis mir der Schlaf die Sinne nahm.

Ich träumte viel sonderbares Zeug zusammen. Ich stand wieder auf der Treppe des Püren'schen Hauses und wollte hinaufsteigen, um mich mit Natalien zu verloben, und ich konnte doch nicht vom Fleck, denn Maestro Petrucchio mühte sich fortwährend ab, mir die Stiefel blank zu putzen und kam mit seiner Arbeit nicht zu Ende. Dabei demonstrirte er mir fortwährend, wie nothwendig heute gerade meine Galla, denn droben sei gar feine Gesellschaft versammelt, um meine Frau eine große Tragödie vorlesen zu hören. Und ich horchte und erkannte die Stimme Peregretten's hoch oben in der Ferne, sie tönte ganz vernehmlich an mein Ohr, es waren lange, hochtrabende Verse, die sie las, deren Sinn aber an meinem Gedächtniß nicht haften blieb. Da mühte ich mich aufwärts, und stieg und stieg immer höher und höher daß mir der Angstschweiß auf die Stirne trat. Dabei begegnete ich alle zehn Stufen einem Dienstboten, welcher einen ungeheuren Kuchen trug 141 und mir sagte: »Gehen Sie nach Hause, Frau von Püren ist nicht zu sprechen.« Endlich war ich oben und trat ein. Es war das alte Auditorium des Benediktinerseminars, wo wir Sophokles traktirt hatten. Meine Frau stand auf dem Katheder im Kostüm einer Figurantin, und erklärte den schönen Chor aus dem Ajas, der die Sehnsucht nach der salaminischen Heimat singt. Dabei tanzte sie einen Tanz mit großen Sprüngen, daß Arme und Beine in der Luft herumflogen. Mein Onkel, der zur Linken neben mir stand, erklärte mir, das sei Alles gar nichts, das müsse man auf Englisch und in Amerika hören und sehen. Zu meiner Rechten aber saß Natalie, sie sah mich mit liebevollen Blicken an und forderte mich auf, dem Harfenistenjungen, der da mit dem Blechschüsselchen wie damals kleine Münze sammelnd durch die Bänke ging, etwas Nennenswerthes zu schenken. Sie sagte mir über zärtlichem Händedrücken, daß sie mich sehr liebe, obschon ihr der rasende Ajax doch weit lieber sei, und daß sie sterben müsse vor Sehnsucht, wenn sie die wogenumstrandete Bucht von Salamis nicht bald mit den Augen grüßen dürfe. Da sah ich sie genauer an und da war's gar nicht mehr Natalie, sondern Peregretta, die mich umhalste und küßte. Natalie aber saß auf dem Katheder oben und sah nach unseren Küssen mit ihrem großen 142 Operngucker, während das ganze Auditorium die kritzelnden Federn seufzen ließ und mein Oheim laut jammerte, denn dieß mein Betragen wie mein Ehebündniß gereiche der Familie zur Schande.

Ich ward wüthend und packte den Kerl an der Schulter und schüttelte ihn und – erwachte.

Es war früher Morgen. Mein Weib stand angekleidet vor meinem Bett und küßte mich auf den Mund.

»Heinrich,« sagte sie kleinlaut, »ich habe Dich gestern gekränkt und geärgert, und ich bitte Dich, daß Du mir vergeben mögest. Du hattest ganz Recht, mir das Vorlesen zu widerreden. Ich habe mir Alles, was Du mir eingewandt, heute Nacht wohl überlegt und es gerechtfertigt gefunden. Insbesondere muß ich Dir beipflichten, daß ich das Stillesitzen beim Sprechen nicht aushalten könnte. Auch seh' ich ein, daß das Bischen Anerkennung, welches mir dieß Vorlesen eintrüge, noch zu keinem Namen verhülfe, dessen guter Klang die trübe Kunde meiner Herkunft übertönte und vergessen machte. Drum habe ich mein thörichtes Verlangen aufgegeben, nachdem ich heute Nacht viel darüber geweint. Aber solches war gerechte Strafe für ein zaghaftes Herz, das es nicht über sich gewinnen konnte, Dir gerade heraus zu gestehen, wie es in ihm aussieht, und sich in einem 143 halben Entschluß einem ganzen Willen Genüge thun zu können vermaß.

»Ja, mein Heinrich, es giebt nur Einen Weg, mir die Achtung Deiner Familie zu erwerben, mir Deine schwindende Neigung in voller Kraft zu erhalten. Das ist der Weg, auf den der Geist in meinem Wesen mich mit magnetischer Gewalt hintreibt, und diesen Weg muß ich gehen, und wär' er mit Abgründen gepflastert. Nicht eine Vorleserin, eine Schauspielerin will ich werden. So! nun ist es gesagt, und Gott sei's gedankt, daß ich's vermochte! Heinrich, mein Heinrich, nun erbarme Dich meiner und gib mir Deinen Willen.«

Da lag sie wieder vor meinem Bette auf den Knieen und barg ihr weinendes Angesicht in meinen Kissen, wie damals am schönen Tage unseres ersten Wiedersehens. Ich aber war außer mir vor Wuth und Ueberraschung, ich bat, ich fluchte, ich drohte, ich schalt; ich weiß nicht mehr, was ich sagte, was ich that. Ich erinnere mich nur, daß ich später wie ein Verrückter im Schloßgarten auf- und ablief, bis mich die aufziehende Wachparade an die Tageszeit gemahnte. Munter schmetterten die marschgerechten Weisen des klingenden Spiels unter den rauschenden Bäumen, die Gewehre funkelten in der Sonne, das schmucke Aussehen der Mannschaft, der energische 144 Schritt auf dem knarrenden Kies – es war Alles so ordentlich, so kräftig anzuschauen, als predigte es mir, dem klagenden Schleicher, daß die Luft unter'm Himmel mit lustigem Klang zu erfüllen, der Grund der Erde mit festem, keckem Schritt zu treten sei, und daß ich Unrecht thue an Anderen, wie an mir selber.

Nun schritt der Zug an mir vorüber; der Offizier, der ihn führte, grüßte mich mit gesenkter Klinge. Ich erkannte das Gesicht aus der Loge von gestern, ich erkannte auch die Faust, die mir einst den Arm gelähmt. –

Ich war ausgegangen, um Fahrkarten und einen Wagen zur Abreise zu bestellen, und kam heim mit Theaterbillets für die heutige Oper.

Ich fand Peregretten nicht in unsern Zimmern, sondern im großen Salon des Gasthofs, wo sie sich in der sorgfältigsten Morgentoilette mit drei anderen Gästen unterhielt, die ihr auf's Angestrengteste den Hof machten. Meine Frau schien sich trotz der vorhergegangenen Szenen vor und nach dem letzten Schlummer in dieser Situation ganz behaglich zu fühlen. Sie lachte und war geistreich, sie tändelte mit dem Fächer und lag im Fauteuil, als wäre sie seit Jahren eine Heldin der Salons, und ich erstaunte über die kleinen Künste einer sicherspielenden 145 Coquetterie, die ich noch niemalen an meinem Weibe bemerkt hatte.

So war ich ordentlich froh, am schönen Wetter, an der frischen Luft, am feiertäglichen Getriebe auf den sonnigen Straßen Gründe genug zu finden, meinen Schatz aus diesem überlustigen Quartett in's Freie zu entführen.

Ich hütete mich, ein Wort des Vorwurfs verlauten zu lassen, sondern schlug ihr vor, den heutigen Festtag noch hier in der größeren Stadt zu verbringen und erst Morgen früh abzureisen. Für den Nachmittag wollt' ich einen beliebten Vergnügungsort, Abends das Theater mit ihr besuchen.

Peregretta verehrte die Meyerbeer'schen Opern nicht sonderlich, und sagte anscheinend arglos:

»Du führst mich heute in's Theater? Heinrich, Du willst mich doch nicht – und auch Dich homöopathisch behandeln. Ich fürchte sehr, die Kur mißlingt bei beiden.«

Ich schwieg, denn ich fühlte das Paradoxe meiner Handlungsweise, dann suchte ich ein anderes Gespräch und bald darauf die Wirthstafel.

Die Mahlzeit war gut und die Gesellschaft noch besser; wie es mir oft zu gehen pflegt, heiterte mich Essen und Trinken wieder auf, und ich war wieder in ganz freudebereiter Stimmung, als ich meine Frau, 146 welche sich etwas früher zurückgezogen hatte, auf unserem Zimmer abholte. Sie verständigte sich eben mit einer Modewaarenhändlerin, die sie hatte kommen lassen, um ihr einige Aufträge zu geben. Da zum größeren Spaziergange die Zeit durch das lange Tafeln verringert worden war, wandten wir uns nach kurzem Umweg dem Theater zu, wo wir ziemliche Zeit vor Beginn der Darstellung ankamen.

Wie schon gesagt, mag Peregretta die Opern Meyerbeer's nicht leiden, dennoch erinnere ich mich kaum, daß ihr die Bühne, die sonst auch bei geringeren Aufführungen ihre Seele zu fesseln wußte, so wenig Aufmerksamkeit abgerungen hätte wie dießmal. Ihre Augen schienen die Irrfahrten meines Opernglases zu begleiten, welches sich vergebens abmühte, in der Fülle der die Räume des Hauses bevölkernden Gestalten Nataliens langvergessene Schönheit wieder zu entdecken. Ich ward ärgerlich und schimpfte auf Orchester und Dekorationsmaler; ein kaltes, bitteres Lächeln irrte flüchtig über die stolzen Lippen meiner Gefährtin.

Da ächzte leise die Thüre in der Loge nebenan, welcher ich den Rücken zugewandt hatte. Ich hörte das Rauschen seidener Gewänder, das Rutschen der Stühle, ich fühlte, wie sich eine Gestalt, deren Mantille meine Schulter berührte, dicht neben mir 147 niederließ, ich sah meine Frau bis in die Lippen erblassen.

Mich zur Seite wendend schaut' ich in Nataliens glutüberzogenes Antlitz. Sie senkte die Augenwimpern und nickte einen leisen Gruß, den ich, ohne jedoch mehr als gewöhnliche Höflichkeitsworte zu wechseln, erwiederte.

Ein ungerechter Vorwurf mußte in diesem Augenblick das Gemüth Peregrettens kränken, ich hatte wahrlich bei der Wahl der Plätze, wenn auch ein Wiedersehen, doch kein solches Nebeneinandersitzen beabsichtigt, und diese Szenerie war entweder von der Laune des Zufalls oder von der List derer von Püren bewerkstelligt worden. Indessen hielt ich mich geflissentlich von einer Aufklärung zurück, denn verblendet durch eine falsche Auffassung ihres Charakters, mag sein auch verblendet durch den freventlichen Humor, welchen Nataliens Erscheinung in mir angefacht hatte, bildete ich mir ein, das beste, am sichersten wirkende Mittel, meiner Frau die Komödiantengrillen zu vertreiben und ihre Neigung fester und inniger wieder an mich zu ketten, sei die Eifersucht. In diesem Glauben that ich nicht nur nichts, jenen Verdacht, der ihr nothwendiger Weise aufgestiegen war, zu zerstreuen, sondern im Gegentheil dieß und jenes, um ihn zu bestärken, und bemerkte mit der 148 Freude eines Aberwitzigen, der laut auflachend vor Lust den Brand seines Hauses schürt, wie aller Schmerz der aufgestürmten Leidenschaft in Peregrettens Auge glühte.

War es lediglich die Eitelkeit des Weibes, war es wirklich ein Widerschein der Neigung vergangener Tage, daß es Natalie offenbar darauf abgesehen hatte, Eindruck auf mich zu machen? Ich weiß es nicht. Jetzt erst bemerkte ich indessen, daß nicht nur jene ihre Schönheit und deren dienstbaren Künste aufgeboten, um zu gefallen, sondern daß auch Peregretta in Haltung und Bewegung, in Kleidung, Schmuck und Haartracht so viel Sorgfalt und Geschmack angewandt hatte, daß klar zu erkennen war, sie sei ihrer Nebenbuhlerin in bewußtem Kampf gegenübergetreten. So war ich unwillkürlich zur Vergleichung beider gedrängt. Sie mußten etwa in einem und demselben Alter stehen. Nataliens Züge waren reiner und edler, der Ausdruck ihrer Mienen ruhiger und stolzer als die meines Weibes, während das Angesicht der Letzteren bei allen einzelnen Unregelmäßigkeiten in den Zauber unwiderstehlicher Anmuth getaucht war, ein Antlitz, auf das die Genialität des Geistes, die Glut der Leidenschaft, die Stärke eines willensmächtigen Charakters ihre schönsten, schärfsten Siegel gedrückt hatten. Ihre Bewegungen wurden durch 149 jene Sicherheit getragen, mit welcher ein verheirathetes Weib auch dem Mädchen gleichen Alters gegenüber ungezwungener erscheint.

Da jubelten meine Augen, als alle Vergleichung zu hohen Gunsten meiner Hausfrau ausfielen, und während ich mir äußerlich Zwang anthat, ihre Neigung durch erlogene Aufmerksamkeiten zu reizen, die ich ihrer Feindin zu erweisen schien, lag ich im Geiste huldigend zu Peregrettens Füßen.

Nachdem der Vorhang hinter dem dritten Akt gefallen, verließen die von Püren ihre Plätze, sei's um von der Schwüle, die im Hause herrschte, etwas Luft zu schöpfen, sei's um einen Besuch in einer anderen Loge abzustatten. Mäntel, Gläser, Fächer, Alles blieb an Ort und Stelle liegen; mir ganz zunächst, in verführerischer Absichtlichkeit ein reiches Rosenbouquet Nataliens, wie es nunmehr, gegen ihre frühere Laune als Braut, zu den Hauptstücken ihrer gewöhnlichen Toilette zu gehören schien.

Mich plagte der Satan meiner falschreflektirenden Psychologie, und sobald ich merkte, daß Peregrettens Aufmerksamkeit auf mir ruhe, nahm ich das verlassene Bouquet zur Hand und legte es erst dann wieder an seinen alten Platz zurück, nachdem ich es einer seiner schönsten Rosen beraubt, die ich mir in's Knopfloch steckte.

150 Ein nur halb unterdrücktes Ah! entfuhr den Lippen meiner Frau, die, von Schamröthe übergossen, mich mit thränenfeuchten Blicken anstarrte.

»Heinrich, Heinrich!« war Alles, was sie in flehendem Tone vor sich hin lispelte, worauf ich mit frivolem Lachen erwiederte:

»Ei nun, was ist's denn auch: herba flori fa! Alte Liebe rostet eben nicht! Was findest Du daran so Absonderliches und Erstaunliches, mein guter Schatz?«

Mittlerweile war Natalie mit ihrem Gefolge wieder eingetreten. Still in die Blumen und Knospen ihres Straußes lächelnd, schien sie sich rasch von dem geschehenen Verluste überzeugt zu haben; dann begrub sie wieder wie gestern das Gesicht bis an die Augen in ihren Rosen. Peregretta sah das Alles und schwieg; dann wandte sie ihr Haupt der Bühne zu, und war weder durch Schweigen, noch durch gelegentliche Bemerkungen, nicht einmal durch eine kleine, halblaute Konversation, die ich mit der Eigenthümerin der geraubten Rose in dieser Absicht anhub, zu bewegen, ihr Antlitz noch einmal mir oder Natalien zuzukehren.

So konnt' ich nur mit verhüllter Ungeduld das Ende des vierten Aktes abwarten. Sobald der Vorhang niederrauschte, bat ich meine Gattin, 151 Kopfschmerz und Hitze vorgebend, mit mir den Heimweg anzutreten. Sie willigte sofort ein und zeigte, sich umwendend, mir und den Püren's und der ganzen Welt ein gefaßtes, schönes Antlitz voll der ruhigen Klarheit eines ernsten Entschlusses.

Auf dem Heimwege erhielt sie sich mühsam die erzwungene Sammlung und verlangte, im Gasthofe angekommen, gleich zu Bette, da sie von der Schlaflosigkeit der verwichenen Nacht erschöpft sei. Sie richtete keine Frage an mich, als die Eine, ob es bei der auf Morgen früh angesetzten Reise denn auch sicher sein Bewenden habe? was ich ihr mit fröhlichen Lippen bejahte.

Während mein Weib oben in unserer Schlafkammer zur Ruhe ging und den alleserlösenden langentbehrten Schlummer bat, die brennenden Thränen der Eifersucht zu trocknen, ließ ich mir ein schöngeschliffenes Krystallglas vom echten Teneriffa vollfüllen, denn ich meinte ein Außerordentliches mühsam verdient zu haben. Jeder Schluck, den ich nahm, war Freude und Zufriedenheit; alle Gesellschaft schloß ich von meinem einsamen Zechtischchen ab und schwelgte in seliger Betrachtung meines eingebildeten Glücks. Nun, meint' ich, war sie mir gerettet, nun war der Dämon geschlagen, sie liebte mich, dessen Liebe sie gefährdet glaubte, über Alles. Mir war zu Muthe 152 wie einem Arzte, der durch seine Kunst und Weisheit die toddrohende Krisis einer gefährlichen Krankheit glücklich gebrochen hat; mir war zu Muthe wie einem triumphirenden Feldherrn, der den übermächtig gewordenen Reichsfeind in der großen Schlacht der Entscheidung auf's Haupt geschlagen. Und mit segnenden Lippen sog ich langsam die Neige meines Weins in dankbarer Andacht jenen freundlich gesinnten Mächten zu, welche die in der Irre strebenden Geister der Sterblichen aus der Trübsal hinausleiten an das heitere Licht, die selbst der lässiger schlagenden Liebe im Sporn der Eifersucht einen Stachel gegeben, den der Weisergewordene heilsam verwerthen mag zu seinen eigenen wie zum Heile seiner Theuern, so daß die Götter des Herdes lächeln, wenn die Hausfrau weint.

Unsere Heimreise begleitete ein erfrischender Gewitterregen mit fernabziehenden Donnern und Blitzen, welche wohlthuend die drückende Schwüle des Sommerhimmels kühlten. Als wir am Mittag, den hellen Aether über den Häuptern, durch unser Städtchen einfuhren, stand hinter meinem Hause auf sinkenden Regenwolken der siebenfarbige Lichtbogen. Ich grüßte ihn als heilig wahrsagendes Zeichen, daß der Bund mit meinem Weibe, nun die Gewitter, die ihn umschwärmten, im Vertosen seien, auf's Neue gegründet und beschlossen stehe in lichtreicher Hut des Ewigen.

153 Auch meiner Gattin schien die Natur ihre Zeichen verständlich gegeben zu haben. Sie sah lang und unverwandt auf das farbenglitzernde Strahlenband und sagte still vor sich hin mit leisem Nicken des Hauptes: »ja so ist es!« – –

Auch die Liebe hat ihre Launen, und wir thäten gut, diese Launen zu beherrschen, wie die anderen, wenn wir unter Menschen auskommen wollen. Allein manch ein Ding hat, ehe es vergriffen wird, ein gar so unschuldig Gesicht, daß wir uns keines Args versehen mögen. Wer hat nicht schon nach einer Reihe sorgsam überlegter, glücklich ineinandergreifender Handlungen das Endziel doch um eine Geringfügigkeit verspielt, um eine Albernheit, um ein Körnchen Nichts, das dennoch schwer genug war, das schwankende Zünglein der Waage links ab zu senken!

Wie ich mich nach zweitägiger Abwesenheit wieder auf meinem Zimmer zurecht richtete, spielten meine Gedanken noch ein wenig mit dem Bilde Nataliens. Da kommt mir der Einfall, mir die Leidenschaft von dazumal wieder einmal etwas in der Nähe zu besehen. Ich hatte nämlich seiner Zeit etliche Briefe an meine weiland Liebste und Braut geschrieben, welche mir nach Bruch des Verhältnisses gegen Austausch der von ihr empfangenen zurückgestellt worden waren. Diese wollt' ich nun wieder einmal 154 lesen, um mir aus ihnen ungefähr zu vergegenwärtigen, wie ich damals gedacht und gefühlt. Ich hatte sie stets gar sorgfältig aufbewahrt. Du erinnerst Dich wohl jener kleinen Mappe in dunklem Saffian, aus der ich an jenem Abende, da ich Dir die Geschichte meiner Heirath erzählte, Peregrettens Brief genommen. Ich pflegte diese Mappe meinen Liebeskeller zu heißen, denn in ihr verwahrte ich all' den Wust von Pfändern und Zeichen, Bildchen und Briefen, den ganzen verblichenen Kram von Gras und Seide, von Haar und Papier, welchen die kleinen und die großen Passionen eines abenteuerlichen Lebens in meinen Händen zurückgelassen haben, nachdem sie, bis auf Eine, aus meinem Herzen verschwunden sind. Strumpfbänder und Photographieen, Locken und Zöpfchen, getrocknete Blumensträuße und beschriebene Epheublätter lagen hier neben den Episteln an meine gewesene Verlobte, neben dem Briefe Peregrettens, dem einzigen, welchen ich von ihrer Hand erhalten hatte.

Ich suchte die Mappe an der gewohnten Stelle in meinem Sekretär, konnte sie aber nicht finden. Ich war bis zu dieser Stunde des festen Glaubens gewesen, ich hätte sie nach jenem Abend wieder in derselben Lade verschlossen, wo ich sie seit Jahren zu verschließen pflegte; nun erst fiel mir ein, daß ich sie 155 damals im Nebeldunst des Weines verlegt oder gar verloren haben müsse, und großer Aerger überkam mein Gemüth. Ich stürzte meinen Schreibtisch, ich kehrte in meinem Zimmer das Oberste zu Unterst, ich durchsuchte unsere Zechstube in allen Winkeln, ich stöberte durch das ganze Haus und fing endlich an, die Dienstboten auf das Schärfste zu inquiriren.

Meine Frau, die über dem Lärmen aufmerksam geworden war, setzte sich boshaft lächelnd bei Seite und sprach im Tone der Parodie zu mir:

»Gewiß ein Zauber steckt in jenem Buch:
Ein wahre Unglück, daß Du es verlorst.«
                                        »– Du hütest es
Mit zarter Liebe gleich dem Augenstern.
Verlörst Du's, oder gäbst es fort, es wäre
Ein Unheil ohne Maß.«

»Das wär' es auch,« erwiederte ich heftig, »diese Mappe enthält Dinge, die nicht für Jedermann, und besonders Briefe, die mir von höchstem Werthe sind.

»Vom höchsten Werth,« wiederholte Peregretta leise, doch in einem Ton, der aus Hohn und Gram gemischt war.

Ich schämte mich nun ein wenig im Stillen über die erste Veranlassung dieser Haussuchung und beschloß, die Sache bis zu einem anderen Tag ruhen zu lassen.

156 Draußen hatte die Sommerhitze die Regenkühle schon wieder halb aufgesogen; an Zweigen und Blättern hingen noch einzelne Tropfen, die wie Demanten in der funkelnden Abendsonne glitzerten, die Vögel sangen heller, und würziger kamen nach der Erfrischung des Regens von Bäumen und Sträuchern und Gründen die Wohlgerüche des Gartens durch das offene Fenster geflossen.

Ich setzte mich zu meiner Frau, die mir eine Tasse Thee voll schenkte, und sah ihr in's Gesicht, und ich fühlte bald wieder nichts mehr als die Herzensfreude über die vermeintlich gelungene Rettung.

»Weißt Du, daß Du heute recht schön bist?« sagt' ich, und rückte näher zu ihrem Sitz.

»Freut mich für heute,« war ihre kurze, trockene Antwort.

Ich schlug ihr vor, unsere Shakspearestudien gleich wieder aufzunehmen; sie nickte, ging und holte die Bücher. Dann setzte sie sich abseits von mir auf einem Stuhl zurecht. Ich ließ das nicht gelten und zwang sie auf ihren alten Platz zurück.

Wir lasen wohl eine Zeit lang, aber wir kamen nicht recht weit und wußten noch weniger, was wir eigentlich gelesen hatten. Auf einmal wurde mir's doch zu mühselig, ich nahm Peregretten das Buch sanft aus den Händen und warf es in die Ecke des Sophas.

157 »Liebes Herz,« sagte ich, »ich glaub', es geht heute nicht recht mit der Leserei. Laß uns lieber eins in's Abendroth plaudern.«

Indem ich ihre Schultern umschlang, zog ich sie zärtlich an meine Brust und küßte sie. Sie ließ sich küssen wie ein Bild und gab auf meine Fragen, was ihr fehle, warum sie so einsylbig und trübsinnig sei, keine Antwort.

»Peregrettchen,« rief ich endlich, »ich küsse Dich so lang, bis Dir der Athem ausbleibt, wenn Du nicht sprichst, Du böses, schmollendes Kind, Du.«

Sie sah mich eine kurze Weile wie fragend an; noch Einmal schienen sich alle Entschlüsse in ihrem Herzen in's Ungewisse zu drehen. Dann traten plötzlich Thränen in ihre Augen, sie fiel mir um den Hals, und indem sie ihre heißen Wangen an die meinigen preßte, lispelte sie halblaut und mehrmals von Schluchzen unterbrochen in mein Ohr:

»Wenn Du mir versprichst, nie mehr nach Deiner dummen Mappe zu fragen – und wenn Du mir die garstige Rose schenkst, die Du gestern Deinem coquetten alten Schatz gestohlen hast.«

»Ha,« rief ich mit scherzhaftem Pathos, »also hat der Dieb ein diebisches Weib; ich stahl die Rose und Du meine Liebespfändersammlung. Warte, ich will Dich die Gesetze respektiren lehren.«

158 »Ich habe sie nicht gestohlen,« erwiederte sie, nun selbst lächelnd unter Thränen, »ich fand sie dort drinnen im kleinen Speisekästchen, als ich den Morgen nach dem Trinkgelage mit Deinem Gaste das Aufräumen und das Frühstück besorgte. Aber nun nichts mehr davon, wenn Du mich nur noch ein klein Bischen lieb hast. Du mußt Deine Mappe vergessen, und mußt die Rose vergessen, und mußt die Püren vergessen, vergessen, vergessen ganz und gar, mit Allem was drum und dran ist.«

»Oho,« rief ich lautlachend:

»Wie könnt' ich sie vergessen,
Weißt Du, was sie mir war?«

»Eben weil ich weiß, was sie Dir war, was sie Dir noch ist und sein muß,« lautete ihre Antwort, »eben darum muß sie vergessen sein. Heinrich, ich bitte Dich! Ich will Dir Deinen Firlefanzkram wieder geben, aber schenke mir die verwünschte Blume.«

Sie küßte mich leidenschaftlich, sie hielt meine Hände bittend zwischen den ihrigen, ich aber sagte:

»Kind, Kind, Du ahnst gar nicht, wie so Großes Du von mir verlangst, jene Rose ist ein mächtiger Talisman, eine Wunderblume seltener Art, die ich gerade noch zur rechten Zeit erkannt und bloß Dir zu liebe entwendet habe. Ihre Röthe ist es, die heute Deine Wangen so zauberhaft überglüht, ihr 159 Duft ist es, der heute in Deinen schönsten Küssen athmet.«

Peregretta konnte diesen Liebestiefsinn unmöglich recht verstehen, ich aber dünkte mir sehr weise gesprochen und gethan zu haben, und umschlang mein Weib mit verlangenden Armen.

Allein sie wehrte sich mit zorniger Kraft und wand sich aus meiner Umarmung los. Ehe ich's versah, hatte sie die Flügel hinter sich zugeschlagen und eilte die Treppe hinan. Ich war rasch hinterdrein, doch sie hatte gerade bedeutenden Vorsprung genug, um mir die Thüre ihres Zimmers vor der Nase zuzuriegeln. Bevor sie aber auch den anderen Eingang versperren konnte, welcher aus meinen Gemächern in die ihrigen führte, hatte ich sie schon um die Hüften und der Schlüssel entfiel ihrer Hand.

»Ich fürchte mich vor Dir,« sagte ich lachend; »wenn ich nicht bei Dir bleibe, so wirst Du mir über Nacht zu einem weißen Othello, um eines rothen Rösleins willen.«

»Ich will kein weißer Mohr sein, aber ich wollte, ich wäre Desdemona, ich wollte, Du hättest mich so lieb, wie Othello sein Weib lieb hatte, und ob Du mich auch darüber erwürgtest. Was läge daran! O es muß süß und selig sein, sterben zu müssen, weil wir über die Maßen geliebt sind, und im Sterben 160 zu wissen, daß wir so geliebt sind. Desdemonens Loos war ein glückliches!« –

 

Als ich am andern Morgen erwachte, lag ich allein; es war noch früh am Tage. Mühsam drang ein naseweiser Sonnenstrahl durch die Fugen der geschlossenen Fensterläden, er umdämmerte die lächelnde Unordnung im Zimmer und spielte mit dem blanken Messing eines auf dem Estrich liegenden umgestürzten Leuchters. Im ganzen Hause rührte sich noch keine Menschenseele, ich öffnete das Fenster in den Garten und rief nach Peregretten; es antwortete Niemand. Ich stieg hinab, suchte auf allen Lieblingsplätzen, durchstöberte die Lauben, und trat endlich in's Badehaus. Nirgends war sie zu finden.

»Sie wird über Feld spazieren gegangen sein,« dachte ich und erquickte meinen Leib in der morgenkühlen Flut des dahinrauschenden Bächleins. Ich blieb wohl eine Viertelstunde im Bade und ging, da noch immer alles still und schlafend war, in mein Zimmer um zu arbeiten.

Mitten auf meinen Schreibtisch gelegt, finde ich da die vermißte Mappe und darauf mit einer Nadel festgesteckt einen Zettel folgenden Inhalts, von Peregrettens zitternder Hand beschrieben: 161

»Einziggeliebter!

Wenn Du diese Zeilen findest, so lies den Brief nach, den ich Dir vor Jahren in meiner Herzensnoth geschrieben. Nun ist Alles gekommen, wie ich es gefürchtet und vorhergesagt habe. Du schämst Dich Deiner Wahl und Deine Liebe zu mir liegt im Sterben, liegt in den letzten Zügen, seit Du jene wiedergesehen, die Dir einst Alles war, sie, die ein böser Zufall und ein armes, unwissendes Mädchen von Deinem Herzen getrennt haben. Ich habe es nie gewußt, wie sehr Du an ihr gehangen; aus jenen Briefen, die ich in Deiner Mappe gefunden, habe ich es unter den bittersten Thränen meines ganzen Lebens erkennen müssen und mir gesagt, wenn er sie jemals wiedersieht, ist er für dich verloren. Du hast sie wiedergesehen, und ich habe Dich verloren. Nur der Abglanz ihres Rosenlichtes ist es mehr, der mich Dir noch liebewerth erscheinen läßt. Der Schein soll fliehen, ich gebe Dich dem heiteren Zauber der Wirklichkeit zurück und ziehe heim zu jenen dunklen Mächten, die selbst bis in den Schooß des reinsten Glückes gebieterisch winkend ihre zürnenden Arme nach mir ausstreckten, nach mir, die ihnen verfallen ist von Anbeginn.

Folge mir nicht nach im ersten Taumel der Ueberraschung; Du wirst mich nicht mehr auf der 162 Landstraße wiederfinden, wie dazumal: meine Flucht ist vorbedacht und vorbereitet. Sie war es schon nach jenem Abend in der Oper. Auch wirst Du Dich trösten über meinen Verlust, ich weiß es, denn Du hast Dich auch über ihren Verlust getröstet und hast sie doch so sehr geliebt. Wenn Du mich aber mehr geliebt hast als jene, und Du nicht zu ihr zurückkehrst und Dich nicht trösten kannst über mein Verschwinden, so denke, daß ich wiederkehren kann und daß ich, wo immer ich sein mag, Dein treues Weib bleiben werde bis in den Tod.

Es ist eine einzige Hoffnung, die ich noch hege auf Deine Liebe, aber in dieser Hoffnung ist die Lebensluft, die mich allein noch athmen läßt. Nur Ein Mittel gibt's, Dich mir zu erhalten, das ist: Dich zu fliehen. Ich ergreife dieß Mittel mit den unerbittlichen Händen eines Arztes, der das Aeußerste versucht. Vielleicht, wenn Du mich vermissest, lernst Du's, Dich nach mir zu sehnen. Und so leb' wohl, leb' wohl, es muß geschieden sein. Ich darf nicht anders, zwar

                                            Ich muß weinen,
Doch sind's grausame Thränen; dieser Schmerz
Ist wie des Himmels strafend, wo er liebt.

Noch einmal bitte ich Dich, versuche es nicht, meine Spur zu verfolgen, Du wirst sie nicht finden, 163 und fändest Du sie auch, ich ließe mich nicht fassen und halten, ehe nicht mein Ziel erreicht ist, ehe ich nicht freiwillig zurückkehren darf, ehe Du nicht stolz vor der Welt und den Deinen mich zeigen kannst und willst als

das Weib Deiner einzigen Liebe.« 164

 


 


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