Georg Hirschfeld
Die Belowsche Ecke
Georg Hirschfeld

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Zehntes Kapitel

Ueber dem See von Arendswalde lag der Mondschimmer einer Frühlingsnacht. Hermann und Anna hatten in ihrem Häuschen lange musiziert, das Kind schlief, und Annas Mutter, die kleine, altjüngferliche Frau mit dem ebenholzschwarzen Haar, war auch zur Ruhe gegangen. Hermann öffnete ein Fenster. Rasch trat Anna zu ihm und legte den Arm um seinen Körper. Sie atmete tief. »Jetzt wacht es auf,« sagte Hermann. »Das wollen wir hier noch erleben.«

»Wirklich?« fragte Anna. »Nur dies noch?«

Er antwortete nicht und griff nach Mantel und Hut. Sie hüllte sich in ein Tuch, und so gingen sie hinaus. Das Haus wurde sorgfältig zugeschlossen – Roland, der Bernhardiner, wachte im Garten. Langsam schritten sie Arm in Arm zum See hinunter. Wie eine Silberplatte lag er vor dem schwarzen Saum des Waldes. Es war schon der Duft des Kommenden in der Luft. Irgendwoher, aus dem Süden, brachte der Wind ihn mit. Auf dem niederen Sandufer, neben den Schilfstauden, in denen es 299 zuweilen geheimnisvoll raschelte, schritten die jungen Menschen bis zur Bucht hinüber. Dort lag der Kahn.

»Ja, Anna. Wir wollen dabei bleiben. Zum Herbst hier fort. Deine Mutter sehnt sich nach Berlin – wir müssen ihr diesen Wunsch erfüllen. Und auch unsertwegen. Des Kindes wegen. Wir verkaufen ja das Haus nicht. Wir können jeden Sommer zurück.«

Anna sah auf den feuchten Boden, der unter ihren Schritten leise vibrierte. Ihr kleines Gesicht unter der dunklen Haarlast war tief beschattet. »Wenn ich es nur ganz einsehen könnte, Hermann. Mutter war nie gern hier. Sie denkt auch viel an Vaters Grab. Aber wir? Doch wieder in Berlin? Wenn wir selber das Kind unterrichten – geht das nicht?«

»Es geht – aber das genügt nicht, Anna. Alles hängt mit der Erkenntnis zusammen, die ich jetzt habe: Unser Leben hier war wundervoll, war notwendig – aber es war ein künstliches Leben, kein geborenes, selbstverständliches – ein Leben der Willkür . . .«

Annas große, dunkel leuchtende Augen sahen ihn an. Sie lächelte. »Du Grübler . . . Dir steht noch immer das alte Belowhaus vor Augen . . . Du glaubst auch etwas niedergerissen zu haben . . .«

»Ja, Anna!« rief Hermann lebhaft. »Ich suche die Heimat!«

300 »Dort, wo es nie eine Heimat geben kann?«

»Ich glaube, man darf die Sehnsucht danach nicht aufgeben. Sogar, wenn man Berliner ist.«

»Besser wär's. Ich dachte oft, es wär' Dir schon gelungen.«

Jetzt schwiegen beide – ohne Verstimmung, aber mit einer leisen, unruhigen Traurigkeit. Sie waren bis an die Bucht gelangt und setzten sich auf eine Bank, die etwas erhöht am Ufer stand. Hermann ließ den Kahn noch an der Kette. Sie gaben sich beide im weichen Nachtfrieden dem Durchdenken ihres Vorsatzes hin.

Im vergangenen Winter war Hermann zu seinem Ergebnis gekommen. Oft schon hatte er Anna davon überzeugt – oft auch schon war ihre Zustimmung wieder in Zweifel entglitten. Sie hatten in Arendswalde eine wunderbar reiche Zeit verlebt. Beide in Arbeit versponnen, Hermann wissenschaftlich, Anna künstlerisch, beide erfolgreich. Sie brauchten die Unterstützung von Hermanns Eltern nicht mehr. Sie konnten selbständig ihren Haushalt führen, die Mutter ernähren und ein Dienstmädchen halten. Sie lebten zwar nicht viel besser als die Bauern um sie her, aber wie wohl tat ihnen ihre stolze Unabhängigkeit. Auch wuchsen Hermanns Wissenschaft und Annas Poesie aus einem Boden, wie Bäume, deren Kronen sich treffen und verschränken. Aber das Wort, das ihnen anfangs als klärende Richtschnur notwendig gewesen, wurde ihnen allmählich zur Fessel: 301 Sie lebten in einer Theorie. Ihr Mitleid sprach in Büchern, nicht im Leben. Wohl taten ihre Bücher lebendige Wirkung, aber sie waren beide junge, mutige, von Wirklichkeit befeuerte Menschen – ihre Einsiedelei wurde ihnen Egoismus, ihr Weltbürgertum Verrat.

So empfand es Hermann, und er zog Anna allmählich in seine Empfindung hinein. Anna war Russin – für sie lag in weiter, unbekannter Ferne, wie ein schwermütiges Lied, was Heimat hieß. Sie war mit aller Energie ins Deutschtum gelangt. Aber der Vorwurf, vor kühner Praxis in bequeme Theorie geflüchtet zu sein, brauchte nur einmal ausgesprochen zu werden, und er verließ Anna nicht mehr. Auch sie war ein Mensch der Tat. Es kam ihr ebensowenig, wie dem Ungestüm des Mannes, darauf an, ihre einsamen Träume fortzuwerfen.

»Unsere Reisen, Hermann,« begann sie plötzlich, in der tief verwobenen Stille vor ihrer eigenen Stimme erschreckend. »Denk' an unsere Reisen. Wir sind ja nie an Ort und Stelle geblieben. Wir sind keine Stubenhocker, die sich aus den Fingern saugen, was beladene Menschen glauben sollen. Wir sind ja nach dem ersten Jahr schon fortgegangen. Nach Frankreich, nach England. In der Schweiz haben wir beide am besten gearbeitet. Denk' doch, was Du in Zürich alles erlebt hast.«

»Menschenschicksale. Unglaubliche, traumhafte in unserer zynischen Zeit.«

302 »Und als wir im Kohlenrevier waren – in Westfalen – das war doch Wirklichkeit. Da haben wir auch ein bißchen nützen können.« Anna lachte plötzlich leise. Es war der tiefe Wohllaut ihres russischen Lachens. »Wir haben sogar vierzehn Tage im Gefängnis gesessen – wegen Aufruhrs – alle beide.«

Hermann blieb ernst. »Armes Kind. Du warst recht elend.« Er küßte ihre schmale Hand. »Aber zum Glück waren wir beide nicht ›vorbestraft‹. Jetzt sind wir's, und wir wollen uns vor Dummheiten in acht nehmen. Wir wollen es anders machen. Was nützt denn das Reden? Man muß praktische Arbeit tun. Seelen stärken, Geister finden – jeden Menschen nehmen, als Reich für sich. Aber Du hast recht. Im Bergwerk – das war unvergeßlich. Fördern! Fördern! So klingt es mir immer noch in den Ohren. Das sagte unser Freund Kammerloher, als ihm zwei Kinder an der Diphtheritis gestorben waren. Er durfte nicht bei seiner Frau bleiben, er mußte zur Schicht.«

»Er gehörte später zu den sieben, die von den schlagenden Wettern getötet wurden.«

»Aber seiner Frau hast Du geholfen, Anna.«

»Wir schreiben uns noch immer.«

Sie standen auf und schritten zum Wasser hinunter. Hermann löste den Kahn. Bald trieben sie hinaus. »Ich meine ja nichts anderes als Tatkraft,« begann Hermann wieder, die Ruder ruhen lassend.

303 Sie waren auf der Mitte des Sees, zwei dunkle Menschen in der schimmernden Märchenwelt. Aufgescheuchte Wildenten flogen an ihnen vorüber und streiften rauschend das Wasser.

»Gewiß. Ich meide auch alles, was ich geschrieben habe. Ich werde die Scham dann nicht los.«

Hermann küßte Anna. Sie legte ihre Hand auf seinen Kopf, als wollte sie gewiß sein, daß ihr Liebstes da war.

»Fürchtest Du Dich vor Berlin?« fragte er nach einer Weile mit umflorter Stimme. »Ich darf Dir nicht schaden.«

»Kind,« erwiderte sie mit einem Lächeln, das jeden Zweifel aufhob. »Ich bin, wo Du bist. Du denkst an Deine Eltern?«

»Auch, Anna. Ich sehe sie in Gefahr. Ich darf sie nicht allein lassen. Sie werden sich wundern über den ›Bücherwurm‹. Aber wenn er nur zur rechten Zeit kommt. Und es reizt mich auch, die Kraft von Berlin zu erproben, wie ich sie jetzt erkannt habe. Rudolf zieht alles in den Sumpf der Schwäche. Ich bin sicher, daß ich der Realist bin, und er der Phantast. Ich will jetzt anders wiederkommen.« –

Nun war ihr Entschluß gefaßt. Annas Mutter zeigte sich tief erfreut. Den schönsten Sommer verbrachten sie noch in Arendswalde, dann aber zogen sie zu fünfen (das ländliche Dienstmädchen wurde mitgenommen) in die Hauptstadt. Mitten in das steinerne Häusermeer wagten sie sich freilich nicht, 304 sondern wählten in Zehlendorf, nahe am Grunewald, ein stilles Haus, wo nur die Wirtin, eine kinderlose Witwe, wohnte. Die Verbindung mit Berlin war gut, und die kurzen Fahrten boten mehr Erfrischung als Anstrengung. Hermann und Anna waren Menschen, die gern unterwegs blieben. Für die kleine Minna stand die Zehlendorfer Schule bereit. Aber sie konnte noch lange zu Hause bei Großmama bleiben.

Hermann kam fast nie nach Berlin, ohne die Eltern in der Burgstraße zu besuchen. Das war für die alte Minna ein großer Gewinn. Auch Joachim Friedrich zeigte ein leises Beglücktsein durch Hermanns Heimkehr. In ihm stand die Hochschätzung für diesen Sohn jetzt fest. Mit bewunderndem Neid sah er in seine fremde Welt.

Als Hermann eines Morgens nach Berlin fahren wollte, gab ihm Anna einen Brief. Ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß die Post etwas Besonderes gebracht hatte. Der Brief war aus der ›Union Berlin‹ und mit dem Stempel ›Generaldirektor‹ versehen. Es war Rudolfs Schrift. Der Inhalt lautete:

»Lieber Hermann! Ich höre von Vater, daß Du wieder nach Berlin gezogen bist. Laß Dir sagen, daß mich dieser gesunde Entschluß erfreut. Wir sind ja schließlich Brüder, und ich nehme teil an Dir. Wenn Du dieselbe Empfindung mir gegenüber hast, habe ich eine Bitte. Besuche mich möglichst bald in der U. B. Um 12 Uhr triffst Du mich täglich. Es 305 zieht mich zu Dir, ich habe Dich mancherlei zu fragen. Ich bin überzeugt, daß Du kommen wirst. Aber komme bald. Schönen Gruß, auch unbekannterweise an Deine Frau, die mich nun hoffentlich ihrer Bekanntschaft würdigen wird. Dein Rudolf.«

Hermann und Anna sahen sich an. Sie lächelten nicht. Es war eine Freude und zugleich ein Erschrecken in ihren Zügen.

»Daß er das tut . . .,« flüsterte Hermann.

»Geh' heute noch hin – es muß einen besonderen Grund haben.«

»Gewiß. Sieh nur die Handschrift. So hab' ich Handschriften –« Er stockte.

»Was wolltest Du sagen, Hermann?«

»So hab' ich Handschriften in der Psychiatrischen Klinik gesehen.«

»Er ist gewiß ganz überanstrengt. So ein Mensch verschleudert seine Kraft. Aber es gefällt mir –«

»Was, Anna?«

»Daß er gekränkt ist – weil ich ihn nicht kenne. Wir haben gewiß einen großen Fehler begangen, und er zeigt seinen alten Stolz. Wir wollen es nachholen.«

Hermann fuhr nach Berlin. Nach kurzem Aufenthalt in der Bibliothek schritt er die Linden entlang bis an die Ecke, die er jahrelang gemieden hatte. Stolz, in protziger Monumentalität lag die U. B. vor ihm. Als Hermann etwas schüchtern das 306 Zentralbureau betrat, um sich bei Rudolf melden zu lassen, sah er sich seinem Bruder gegenüber. Rudolf stand in einem Schwarm von lebhaft gestikulierenden Geschäftsleuten. Zahlen wurden geschrien, Beteuerungen gemacht – man konnte sich nicht einig werden. Sobald aber Rudolf seinen Bruder erblickte, ließ er die verblüfften Schreier stehen und zog ihn in sein Privatkabinett.

»Setz' Dich, Hermann. Danke Dir, daß Du gekommen bist. Das ist famos von Dir, Junge. Was sagst Du zu dem Hexensabbath? Na – das hab' ich alle Tage. Wie geht's Deiner Frau?«

Jetzt, als Hermann diesem fahlen, aufgedunsenen Antlitz gegenüber war, zuckte er bei Annas Namen zusammen. Sie durfte hier nicht genannt werden. Auch wurde ihm wieder deutlich, welches Leben Rudolf führte, was er über seine Frau gebracht hatte. Rudolf war immer noch der elegante Dandy der letzten Mode, aber er hatte trotzdem etwas Verwüstetes. Seine Augen besaßen kein inneres Feuer mehr, sondern den stumpfen Glanz blauer Glasplättchen. Seine dickgeaderten, feuchten Hände fuhren ruhelos auf den Knien umher. Er glich in seiner brutalen Soigniertheit einem Zirkusdirektor, doch ohne die kühne Entschlossenheit eines Pferdebändigers.

Rudolf wartete Hermanns Antwort nicht ab, sondern lief plötzlich zur Tür, wo Herr Kuschel eben den geölten Kopf hereinsteckte. »Bin für niemand 307 mehr zu sprechen!« brüllte er und schlug die Tür zu. Dann schloß er zweimal herum. Befriedigt wandte er sich zu Hermann, der in wachsender Befangenheit dasaß.

»Hermann – hör' mal zu – ich bin zu Resultaten gekommen, mein Junge. Du bist doch auch so 'n Erkenntnismensch, nicht wahr. Du grübelst auch immer. Ja, leider – wir Belows sind auf die Grüblerseite gefallen. Haben wir von unserm Vater. Mutter ist viel gesünder als wir, trotz ihrem Herzklapps. Aber was ich sagen wollte – Du hast jetzt erkannt, nicht wahr, daß Du doch nach Berlin gehörst – nicht in das Hammelnest da draußen – daß Berlin das einzig Wahre und Richtige ist.«

»Ich möchte es anders ausdrücken, Rudolf. Ich will darauf hinarbeiten, daß ich jetzt etwas Wahres und Richtiges für Berlin werde.«

»Läßt sich auch hören! Aber das ist ja einerlei, mein Lieber!«

»Doch wohl nicht? . . .«

Es entstand eine Pause. Rudolf machte ein etwas schmerzliches Gesicht, als ob er mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen wäre. Es zuckte um seine Lippen, aber er schwieg und ging, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab. Darm blieb er wieder stehen. »Warum hast Du Dich eigentlich gar nicht um Erna gekümmert? Ist Dir bekannt, daß Deine Schwester vier Wochen in Berlin war?«

»Gewiß.«

308 »Hast Du sie absichtlich geschnitten, weil sie nicht nach der Burgstraße gekommen ist?«

»Ich habe sie überhaupt nicht geschnitten, und ihr Besuch in der Burgstraße war ihre Sache.«

»Na, na – Deine moralische Weltanschauung hat doch gewiß 'ne ganze Menge gegen Erna? Sie steht übrigens vollkommen anders zu Dir, das möchte ich Dir doch sagen. Sie hätte Dich von Herzen gern wiedergesehen. Nun ist sie fort, das Prachtmädel. Wie die Sonne ist sie untergegangen. In dem verfluchten Rußland muß sie Geld verdienen.«

»Ich will offen sein, Rudolf. Ich habe Erna gesehen.«

»Was?!«

»Ich bitte Dich auch, mir zu glauben, daß ich in Erna nur meine Schwester und einen merkwürdigen, selbständigen Menschen erblicke. Ich wollte einfach lernen, was für eine Welt sie sich geschaffen hat. Da ging ich abends in den Wintergarten. Es war ganz merkwürdig – das Herz hat mir geklopft, als ob das ganze Publikum auf mich sähe. Dann kam die ›große Nummer‹. Erna Paulana auf dem Bären. Ich sah unsere Schwester und liebte sie so – ich kann Dir's nicht beschreiben. Ich war im Innersten erschüttert. So schön. Und ihr Tanz auch. Es war ein großer Eindruck.«

»Wirklich? . . . Du warst also nicht entrüstet? . . .«

»Nein – es war anders. Zufällig stieß mich mein Nachbar, ein ungeheuer dicker Provinziale, der 309 kaum sein Opernglas an den Augen halten konnte. Das war wie ein elektrischer Schlag. Ich erwachte. Ich sah mit einemmal, was um mich her geschah. Zweitausend Menschen glotzten ins Licht hinauf, wo meine Schwester stand. Sie sahen an ihr nur, was ich nicht gesehen hatte. Da krümmte ich mich zusammen . . . Als ihre Szene endlich vorbei war, lief ich davon. Noch immer höre ich die französische Melodie, nach der sie tanzte.«

Rudolf hatte sich gesetzt und starrte Hermann mit großen Augen an. »Unsinn,« flüsterte er nach einer Weile.

»Dir scheint es natürlich so. Ich mußte jedenfalls meine Absicht, ihr einen Gruß zu schicken, aufgeben. Ich ließ sie in ihrer Welt, uns beiden zu Gefallen. Sie weiß nichts von mir.«

»Das arme Ding. Sie hat sich direkt gesehnt nach Deinem Besuch.«

»Sage mir bitte davon nichts mehr, Rudolf.«

»So spazierst Du also immer noch durchs Leben? Na . . . Meine Hoffnungen sinken wieder.«

Hermann wurde ruhiger. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Was wolltest Du mir sagen?«

»Ach, es hat ja keinen Zweck.«

»Rudolf, ich bitte Dich.«

»Ich war eben fertig mit dem ganzen Gesindel. Mit der Schmarotzerbande da drüben. Verständnis für mich hat keiner.«

310 »Suchst Du Verständnis?«

»Was sonst?! Bin ich ein Holzklotz, bin ich ein Automat? Ich lebe in meiner Arbeit. Ich sage Dir, es ist übermenschlich, was ich leiste. Was ich im Kopf habe – keiner könnte mir das nachmachen. Und meine Frau ist mir davongelaufen. Mein Kind ist gestorben. Mein Vater geht um mich 'rum, als hätte ich silberne Löffel gestohlen. Es ist kein Vergnügen, Hermann.«

Er preßte das Gesicht in die Hände. Hermann rückte ihm etwas näher. »Wenn Du Verständnis suchst, Rudolf – ich trachte nur danach, Dich zu verstehen.«

»Wahrhaftig? Das hast Du mich aber nicht merken lassen. Ich bin nämlich ganz leicht zu verstehen. Man muß nur kein Philister sein, Hermann. Du bist mein Bruder – ich möchte Dir was anvertrauen – bist Du diskret?«

Hermann mußte lächeln. »Darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Ich befinde mich in einer tragischen Krise. Hier wackelt alles. Mach' kein erschrockenes Gesicht – ich kann's mit einem Griff wieder in die Höhe reißen. Weißt Du, es ist eine ähnliche Situation, wie Napoleon sie oft erlebt hat. Aber die Art, wie ich hochkomme – das ist der Streit, darin versteht mich niemand. Zehnmal hab' ich den Wechsler jetzt 'rausgeschmissen – immer kommt er wieder und verlangt, ich soll mich ducken, ich soll mich durch Gemeinheiten 311 sanieren. Um es kurz zu sagen: Kunst aus dem Automaten, verstehst Du, Essen für 50 Pfennig, Weine wie Lagerbier, Masse, Masse, Masse. Und dagegen wehr' ich mich – bis aufs Blut. Wenn Du die U. B. kennen würdest – wie ich sie gewollt habe – ich glaube, Du kennst sie gar nicht –«

»Doch, Rudolf. Ich bin durch alle Räume gegangen.«

»Einmal, nicht wahr? Als Giftspinne? Laß gut sein. Ich werde sie Dir noch 'mal zeigen. Damit Du mich verstehst. Ich fühle mich nämlich als Kulturträger, Mensch, ich bin ebenso Idealist wie Du! Das eine ist sicher: ein Kaufmann bin ich nicht, verdienen werde ich nie was – aber ich bin ein Organisator!«

»Du bist vor allem aktiv, und die andern sind subalterne Beamtenseelen.«

»Bravo, Hermann! Endlich 'mal ein vernünftiges Wort! Subalterne Beamtenseelen! Das sind sie! Oder Schwindler! Und das bin ich nicht! Bei Gott nicht, Hermann!«

Der Bruder zuckte zusammen. »Warum versicherst Du mir das erst?«

»Ich denke an folgendes: Ich brauche einen freien, großzügigen Kopf. Einen Menschen, der für mich empfindet. Vater ist nur ein alter Lakai – der ist unbrauchbar. Höchst anständiger Mensch, aber 'ne preußische Hofschranze. Es ist fürchterlich, wie einsam man in Berlin wird. Und man denkt – 312 Herrgott – der große Markt – da braucht man nur hinzulaufen, und man wird gesehen, verstanden!«

Hermann sah ihm fest in die Augen. »Das war ein ernstes Wort, Rudolf. Du bist wirklich zu einer Erkenntnis gekommen.«

»Wieso –?

»Rette Dich vor dem großen Markt!«

»Ich soll mich davor retten? Kommandieren will ich ihn!«

»Das ist unmöglich. Müller und Schulze sind große Herren geworden. Die wollen selber kommandieren. Philister über Dir, Simson.«

Rudolf lies zum Fenster. »Unsinn! Man muß die Philister vor ein Fait accompli stellen! Ich habe neue Ideen, Expansionspläne! Soll ich Dir die erzählen? Willst Du Kopf stehen, Mensch?«

»Ich danke, auf meinem Kopf steh' ich sozusagen immer, ohne ein Akrobat zu sein.«

»Akrobat?«

»Ja, Rudolf. Du machst nur Kunststücke. Du amüsierst die Leute, Du bildest sie nicht.«

»Was heißt das?«

»Ich kann mir ja denken, was Dich berauscht hat. Wer in Berlin auf den Straßen herumläuft, wird davon angesteckt. Da sieht man die Spannung in allen Gesichtern – nirgends Ruhe in sich selbst, nirgends Sammlung, keinen Halt in der freien Natur. Niemand hat Zeit, jeder nützt die Zeit. Wer zu spät kommt, wird überrannt. Das Tempo hat 313 Dich ergriffen. Du wolltest belauschen, was momentan gefällt, wofür jeder einen Blick hat, bevor er weiterhastet im Getriebe. Aber das ist unmöglich, wenn es nicht skrupellos geschieht. Und Du hast Skrupel.«

»Die hab' ich! Und die werde ich mir nicht nehmen lassen!«

»Du sagtest aber, daß Du nicht ausführen kannst, was Du vorhast. Was hast Du vor?«

»Komm' mit! Ich hasse die graue Theorie! Ich werde Dir in der Praxis zeigen –«

»Rudolf, wenn Dir Deine ganze Gründung wirklich nicht mehr gewesen wäre als ein Bluff –«

»Ein Bluff, Junge?!«

»Verzeih' das harte Wort. Ich meine, dann würdest Du sicher schon die Hand davongelassen haben.«

»Ich habe nie Geschmack gehabt – das ist mein Unglück. Aber Energie, Temperament wirst Du mir nicht abstreiten, Hermann. Weißt Du denn, was in diesen Räumen schon alles zur Entfaltung gekommen ist? Es gibt kein schönes Weib, das hier nicht am schönsten gewesen ist! Es gibt keinen berühmten Namen, der nicht auf dem Programm der U. B. gestanden hat!«

»Namen? Schönheit? Waren sie Dir ein höheres Programm? Hast Du nach der Bedeutung gewählt oder nach der Reklame? Entschied Dein Urteil oder Dein Betriebsvermögen?«

314 »Ich denke, das führt zu nichts. Wir wollen lieber –«

»Ich werfe Dir ja nichts vor. Im Gegenteil – Berlin entschuldigt Dich. So will es Berlin, genau so, wie Du es gemacht hast. Das Berlin, das jede Mode anbetet, die anderswo entstanden ist. Das amerikanische Berlin. Nicht das, wo wir geboren sind, und wohin wir immer wieder zurück können.«

»Was ist das? Du Träumer! Was meinst Du eigentlich – –?«

»Du hast Dich in einer Zeitung ›Antihistor‹ nennen lassen! Wenn Du das wärst, Rudolf! Aber Du hast nur ein Vergnügungsetablissement gegründet! Die Herrlichkeit des Antihistor ist das wahre Berlin, die erlösende Zukunft! Fliegen können, durch tausend Meilen sprechen, die ganze Welt eine Reise von Tag und Nacht! Das ist Berlin, wie es unsere Enkel finden werden! Neuland! Um daran zu glauben – deshalb bin ich zurückgekommen!«

»Das klingt ja fast wie mein Programm! Damit soll ich nichts zu schaffen haben?«

»Wir haben alle damit zu schaffen – das kann nicht der Sieg eines einzelnen sein.«

»Hermann! Wir treffen uns doch noch! Warum sollte meine Gründung das nicht sein? So war sie gedacht! Ich beuge mich Dir, weil Du Geschmack hast und Urteil über alle Werte. Tu' Dich 315 mit mir zusammen, Hermann. Zwei Belowsche Söhne – dann wird es was. Dein Wissen, mein Temperament. Es kommt mir nicht drauf an, alles niederzureißen, was ich schon gebaut habe. Wenn nur das Richtige an die Stelle kommt. Ich konnte die Pfuscher nicht beurteilen. Diesen Fork, diesen traurigen Putztitanen, diesen Wechsler, den glatten Schmarotzer. Wenn ich nur Geld habe! Ich bin ein Stehauf, Hermann.«

»Ich kann Dir ebensowenig Geld verschaffen wie meine Arbeitskraft. Ueber das ›Richtige‹ sind wir grundverschiedener Meinung. Ich bin bei jedem guten Buch zu Hause und Du bei jeder Menge, die Du elektrisch beleuchten kannst.«

Rudolf stand am Fenster. Er preßte die heiße Stirn an die kalte Scheibe. »So geh'. Du hochmütiger Bücherwurm.«

»Schickst Du mich fort? Was hättest Du davon, wenn ich mit Dir schwärmte und Dich doppelt belöge? Solche Herren findest Du genug.« Hermann erhob sich und trat zu Rudolf. Er ergriff plötzlich mit Herzlichkeit seine Hand. »Aber deshalb hast Du mich nicht gerufen. Du wolltest etwas Besseres, Rudolf. Dein Instinkt war richtig. Wir sind Brüder.«

Mit einer sonderbar müden Trauer sah der Unternehmer ihn an. »Du kannst mir aber nicht helfen . . . Es wäre sogar besser gewesen, wenn Du nicht gekommen wärst. Du entmutigst mich nur.«

316 Hermann wurde von Qual ergriffen. »Wenn ich das tue – was ich bei Gott nicht will – dann laß mich Dich entmutigen, wie es gut für Dich ist. Laß Dich überzeugen, daß Du Dich verschwendet hast. Daß es etwas Besseres gibt – –«

»Es gibt nichts Besseres!« rief Rudolf mit schneidender Stimme. »Für mich nicht!«

»Sprichst Du von Dir? . . .«

»Geh', Hermann.« Ein sonderbares Lächeln zuckte um Rudolfs Lippen. »Ich danke Dir. Entschuldige den Zeitverlust. Du bist und bleibst ein wunderlicher Heiliger.«

»In einem bin ich Dir doch nahe. Ich weiß jetzt, was stark an Dir ist.«

»Dickkopf!«

»Ich beneide Dich, Rudolf. Du bist weiter als ich. Du gehörst schon, trotz Deinem Irrtum, zu den Kommenden.«

Nach diesen Worten ging Hermann. Wie berauscht schritt er die Linden entlang. Anfangs meinte er, Rudolf einen Trost, an den er selbst nicht glaubte, gespendet zu haben. Dann aber, im Tageslärm erwachend, spürte er, wie tief ihm das Bild des Bruders im Herzen saß. Ja, er bewunderte ihn. Er hatte Tränen in den Augen, wie durch eine immer wiederkehrende Erschütterung, obwohl er nur das bunte Nichts einer Seifenblase gesehen hatte. –

317 Rudolf aber trieb es jetzt ganz ins Unbestimmte hinaus. Für ihn gab es nur noch den Sieg des Tages, die stündliche Gefahr. Er biß sich in den Gedanken fest, daß Hermann sein Feind war. Alle, die von ihm abhingen, waren ihm näher als sein Bruder.

Was ihn nicht interessierte, vernachlässigte er. So kam es, daß große Ressorts unter den Einfluß Wechslers kamen, der nur Geld machen wollte. Die ›Bierabteilung‹ vergrößerte sich über Nacht, und Berlin konnte in den billigsten Delikatessen schwelgen. Doch fehlte die großzügige Solidität der Leitung. Rechtsanwalt Wechsler organisierte auf dem Papier, und die Geschäftsführer, die er anstellte, waren nur mit ihrer Gage dabei. Das Publikum aber, von dem man abhing, hatte die feinste Witterung für innere Schäden. Nur Vollendung durfte es für so billiges Geld geben – sonst konnte man sich ja anderswo quetschen und schlecht bedienen lassen. Man forderte eine hygienische Musterwirtschaft. Ein unfrischer Hummer trieb tausend Menschen fort. Rudi Below hätte es zusammenhalten können, aber er haßte die ›Bierabteilung‹.

Auch in den Tanzsälen ließ er sich nicht sehen. Da flogen die Nachtschwärmer umher – es gab keinen Zwang mehr. Ein farbiger Lichtstrudel von schlechtem Getier durfte jetzt ohne Scheu in der U. B. sich tummeln. Aus den billigen Restaurants kamen sie in die Räume der Grace. Sie johlten der 318 Musik zu. Am frühen Morgen sah es vor der Belowschen Ecke aus, als ob die verstecktesten Lokale sich hier zusammengetan und ihre Gäste entlassen hätten.

Dort aber, wo es ›vornehm‹ blieb? Ein neugieriges Zufallspublikum, gähnende Kellner in allen Winkeln, Büfettdamen, die in der Gefahr waren, menschenscheu zu werden. Nur Eigenbrödler und Snobs fanden sich hier zusammen. Auch zweifelhafte Existenzen, aus falschem Adel, falscher Börse, falschem Fremdenverkehr. Rudi Below zeigte sich nicht. Er ließ die Tageskosten sinnlos anschwellen, er behielt das ganze Personal, nichts wurde außer Betrieb gesetzt.

Natürlich passierten in einer so unbeherrschten Wirtschaft böse Schnitzer. Man hatte z. B. im Theater das technische Personal nicht ausgelohnt, und die Folge war, daß das Publikum, allerdings nur zwei Dutzend Kunstfreunde, in einem ungeheizten Raum saß und vergebens auf die Vorstellung wartete. Die Arbeiter waren nach Hause gegangen. In der großen ›Revue‹ des Schillersaales stimmte niemals das Programm. Dort war der Besuch verhältnismäßig am stärksten, aber da man keinen Direktor fürchtete, erschienen die Stars oft nicht, um derenwillen das Publikum gekommen war. Es gab dann Skandale, Stürme auf die Kasse, häßliche Zeitungspolemiken – Rudolf ging darüber fort.

319 Auch in das Zentralbureau, wo Herr Kuschel Selbstherrscher war, tat er keinen Blick mehr. Herr Meyenfeld war längst fort, und zwar mit dem hübschen Fräulein Giesicke, die es zu einem Zusammenstoß zwischen ihm und Rudi Below gebracht hatte. Herr Meyenfeld war dabei geohrfeigt worden, aber draußen in der Freiheit heiratete er die Angebetete. Auf Kuschel konnte Rudolf sich insofern verlassen, als er ein Meister der Undurchsichtigkeit war. Er wußte tadellose Bücher zu führen, deren fauliger Inhalt von dem Parfüm der ›Aufmachung‹ erstickt wurde. Wozu diente sonst ein großes Bureau? Die wilde, durcheinander schwankende Wahrheit mußte der Unternehmer in seinem Kopf behalten.

Aber er gab ihr immer seltener Audienz. Er kannte die einzig wirksame Betäubung. Neue Ideen, immer wieder ein Bluff, der den Leuten während der Mittagspause zu reden gab. Das Reich Rudi Belows war groß, aber nicht konsistent. Sein Name schwebte durch den Börsensaal und hatte abends ein Plätzchen in den Theaterpausen, in Chambres séparées und Nachtcafés. Aber Rudolf hielt sein Reich mit heißen, nervigen Händen fest. Er machte sich eine Liste sämtlicher ›Stile‹. Links standen diejenigen, die er schon kopiert hatte, rechts die anderen, deren Kopie er noch plante. Er wollte die Berliner durch alle Zeiten und Kulturen führen, mit Ballettmädchen und Stuckgarnitur aus vergoldetem Kalk. 320 Die italienische Renaissance war schon abgewirtschaftet, das deutsche Mittelalter zu streng und zu christlich – Rudolf warf sich mit Leidenschaft auf die galante Zeit. Ein Versailles wollte er zaubern – ein rauschendes Fest Ludwigs des Vierzehnten. Aber man störte ihn immer wieder. Bald kam ein Ressortchef, der an das Engagement der Wiener Schrammerln erinnerte, bald kam einer, der ihm die Modelldamen eines Pariser Schneiderkünstlers oder den Gesangverein schwedischer Studenten präsentierte. Verzweifelt schrie der Generaldirektor schließlich: »Machen Sie, was Sie wollen! Nur nichts Langweiliges!! Eine Schönheitskonkurrenz meinetwegen! Eine Kunstauktion! Das hat immer Zulauf!«

Auch die frischen Mächte der Zeit griffen nach dem ruhelosen Unternehmer. Die Aviatik war schon so weit, daß man Geld mit ihr verdienen konnte. Gelang es Rudolf, sensationelle Schauflüge von der U. B. aus stattfinden zu lassen, so hatte er gewonnen. Aber die entscheidenden sportlichen Kreise sagten sich von ihm los, weil er gesellschaftlich reduziert war.

Sein einziger Effekt konnte in einer großen Preiskonkurrenz bestehen. Doch hier wurde sofort wieder der wundeste Punkt berührt: Geld! Er hatte selbst kein Geld – wie sollte er es für andere stiften? Zu seinem Unglück geriet er jetzt gerade an einen Versucher, der nicht von seiner Seite wich und seine Spekulationsgeister stachelte.

321 Der Mann hieß Peter Kaspar Stelz und war halb Schlauberger, halb Quatschkopf. Ein hochaufgeschossener Rotbart, dessen Augen fanatisch durch eine Brille schielten. Er war einmal zufällig vorgelassen worden und hatte trotz seiner Ungepflegtheit Rudi Below für sich eingenommen. Dieser pathetische Kriecher, der sich überall eindrängte, war Rudis erster Genosse. Er nannte ihn verkannt von allen Sklavenseelen. Er bot ihm ohne Lohn seine ganze Ideenkraft, riskierte aber bei der ersten Unterredung schon einen Pump, den Rudolf kaum bemerkte. Peter Kaspar Stelz erklärte, sein Bannerträger zu werden. Er wollte wie ein fanatischer Apostel für ihn reisen und predigen. Daß er ihn vor allem lächerlich machte, bemerkte Rudolf nicht. Er schwärmte mit dem Apostel.

Sie kamen zu einer verhängnisvollen Verwirklichung. Rudolf gab auf Stelzens Rat ein Kapital, das der Teilhaber anders bestimmt hatte, für die Ausführung eines Reklameluftschiffes her. Der riesige Vogel der Neuzeit sollte jeden Abend durch die Dunkelheit ziehen und hoch über dem Häusermeer Berlins die Lichtreklame der U. B. zeigen. Der Gedanke war an sich nicht übel, doch den Berlinern genügte es, die Hälse zu recken und zu konstatieren: »Da kommt wieder die U. B.!« Der Besuch des Hauses steigerte sich dadurch nicht. Auch scheiterte das Unternehmen bald an einem polizeilichen Verbot. Man führte von dem Luftschiff Zettelreklame 322 aus, und die gespenstisch aus der Höhe niedersausenden Blätter erschreckten Menschen und Tiere. Pferde gingen durch, die für neue Errungenschaften kein Verständnis hatten. Zwei Kinder wurden eines Abends zu Krüppeln gefahren. Die hatte Rudi Below nun zeitlebens zu erhalten. Das Luftschiff aber durfte nicht mehr aufsteigen, und der Teilhaber, dessen Geld vergeudet war, strengte einen Prozeß an.

Peter Kaspar Stelz jedoch schielte nach neuen Sensationen, um sich unentbehrlich zu machen. Auf die »rein künstlerische Verwertung der religiösen Gefühle im modernen Menschen« ließ Rudolf sich nicht ein. Wenn auch die Neunte Sinfonie den christlichen Gottesdienst ersetzen sollte – die Prunksäle der U. B. kirchlich umzugestalten, mit einem wirren, mystischen Aufputz, widerstrebte seinem Empfinden. Auch ahnte er sofort das polizeiliche Verbot. Als Peter Kaspar Stelz, der die äußersten Kontraste bei der Hand hatte, ihm dafür antike Dionysosfeste von verblüffender Nacktheit vorschlug, warf er ihn hinaus.

August Kretschmar war sehr unzufrieden mit Rudi Below. Er fühlte sich von ihm vernachlässigt, und sein kräftiger Berliner Arbeitssinn verachtete die Verbindung mit Leuten wie Stelz. Er entzog der U. B. seine Gunst. Zu Rudolfs Verhängnis wagte sich auch eben ein neuer Unternehmer hervor, der den Stern der Belowschen Ecke sinken sah. Es war ein unsentimentaler Geschäftsmann, der die 323 Berliner bei der Solidität packte. Er wollte ein Konkurrenzunternehmen gründen, und zwar, das war sein großer Vorsprung, auf der ›richtigen‹ Seite der Linden. Links, wo das Herz schlug, gar nicht weit von Kranzler. Kaum hatte Kretschmar dies vernommen, als er auch sofort ins andere Lager überging.

Unheimlich schnell stand Rudolfs schlimmster Feind jetzt auf: das Berliner Umkippurteil. Man wollte über Nacht nichts mehr von ihm wissen. Es war plötzlich weder anständig noch schick, mit der U. B. zusammenzuhängen. Diese Parole durchrann wie ein zehrendes Gift die Weltstadt. Die dunkelsten Köpfe brachte es zur Klarheit. Auch Fork, der Architekt, auf den der glatte Wechsler alle Schiebungen abgeladen hatte, erwachte nun. Wie eine Mauer fiel es vor ihm nieder: Er brauchte nur einen Schritt zu tun, um wieder obenauf zu sein. Das bißchen deutsche Treue, das er Rudi Below gehalten hatte, brauchte er nur aufzugeben. Die Forderungen der Gläubiger, die ihn immer ärger bedrängten, machte er plötzlich zu seinen eigenen. Was er selbständig schuldete, ersetzte er durch Arbeitsleistungen, und alles übrige forderte er als erbitterter Prozeßgegner.

Wechsler war tief enttäuscht. Dieses gefühllose Erwachen hatte er dem schwerfälligen Baumeister nicht zugetraut. Fahnenflüchtig, fahnenflüchtig! stöhnte der Rechtsanwalt. Wenn er nur auch erst flüchtig geworden wäre, ob von einer Fahne, war ihm 324 egal. Es knackte und zitterte, es zog sich zusammen um ihn her. Schon machte sich die amerikanische Krisis bemerkbar. Die Banken hielten ihr Geld fest, der Export erlahmte. Mehrere Unternehmungen, an denen Wechsler beteiligt war, standen vor dem Zusammenbruch. Und dieser furchtbare Rudi Below, der immer noch Projekte machte, nie in der Wirklichkeit zu halten war – an ihn gefesselt zu sein, erkannte Wechsler als sein Verhängnis.

Doch war er denn an ihn gefesselt? Konnte er es dem frechen Fork nicht nachmachen? Nein – in Berlin bleiben, als ehrlicher Mann auftrumpfen, Front machen gegen die wilde Spekulation, Rudi Below fallen lassen: das war für ihn vorbei. Er mußte mitschwimmen, wenn er nicht untergehen wollte. Im Geheimsten lauerte etwas, was nur ihm bekannt war. Das Vermögen einer blassen, kränklichen Waise, das ihm vertraut worden. Schwamm es nicht auch schon im großen Strom? Wie sollte er es zurückholen? – –

Doch dieser unglaubliche Mensch, dieser Below . . . Monate vergingen, Wechsler konnte ihm genau nachrechnen, wie lange er es treiben würde – er aber hielt sich. Er amüsierte sich mit Kokotten, er führte das glitzernde Leben weiter, um das ihn viele beneideten. Wie machte er das? Wo steckte die geheime Hilfsquelle, die vorhanden sein mußte? Wechsler hatte lange wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand gesteckt. Als ihn aber die Neugier nach Monaten 325 wieder in die U. B. trieb, kam es zwischen ihm und Rudi Below zu einer erstaunlich schnellen Verständigung. Sie sahen sich in die Augen und wußten sofort, daß sie auf dem wilden Meer in demselben Boot fuhren. Sie mußten ihr Glück gemeinsam suchen. Und hinten geschah es, im äußersten Winkel des riesigen Hauses, dort, wo Rudi das ›Glück‹ schon angesiedelt hatte. Auf Kosten fanatischer oder heruntergekommener Existenzen. Zwischen entstellten, giererfüllten Menschen, die nur Geld rollen und Karten schlagen hörten, die etwas Unerreichbares in ihren zuckenden Händen spürten. –

Der alte Below ging täglich seinen schweren Weg von der Burgstraße die Linden entlang. Er grüßte die alten Häuser, an denen er vorüberkam, mit stiller Wehmut. Auch er hatte einst solche Heimstätte besessen. Eigentlich sah er die große Straße, die er schritt, immer noch in den Traditionen, die sie umschimmerten. Er aber mußte dort einkehren, wo nichts mehr vom Sicheren dastand. Sonst war sein Pflichtgefühl ein leichtes, goldenes Band gewesen, das ihn mit allen anderen Männern seines Alters verbunden hatte. Nun war er den anderen fremd. Er hatte das Gefühl, als rückten sie am Biertisch von ihm ab, als erkaltete jede wohlige Stimmung, wenn er herantrat. Die Gutgesinnten hatten den Ton, der ihn am tiefsten kränkte: sie bekundeten in ihrer Reserviertheit Mitleid, sie kondolierten ihm, ohne daß ein Unglück geschehen war.

326 Daß es mit Gespensterschritten herankam, fühlte Below. Seine Versuche, dem Wirrwarr der Spekulation kaufmännische, solide Logik entgegenzustellen, hatte er aufgeben müssen. Man schwindelte und verschleierte beständig vor ihm, so blieb ihm auch nur ein Verschleiern übrig. Aber das quälte ihn wie ein zweifelhafter Eid. Sein Wahrheitsdrang wollte sich nicht zur Ruhe geben. Auch Minna, mit der er nie darüber sprach, richtete ihre Augen zuweilen mit merkwürdigem Vorwurf auf ihn, als wollte sie fragen: Hältst Du das noch aus?

Der gräßliche Wünschel aber, dem das Zwischentragen Genuß war, kam täglich. Seine krankhaften Uebertreibungen hatten immer ein Gramm Wahrheit. Er kam viel herum, er hörte allerlei von fremden Zungen. Wechselschiebungen, Wucherverträge, geheime Spielorgien? Das alles auf Belowschem Grund und Boden? Zwischen Verlust und Verbrechen schwebend sein Sohn? – – –

Below saß eines Abends in brütenden Gedanken an seinem Schreibtisch. Er starrte ratlos die Blätter des geheimen Kontobuchs an. Warum waren die Dinge nicht zu zwingen, daß sie sich mit seiner Ehrlichkeit versöhnten? Daß sie einigermaßen zu dem stimmten, was Belows Hand in schlaflosen Nächten aufgeschrieben hatte? So aber – war es nur müßige Spielerei.

Ein brennender Wunsch kam plötzlich in ihm auf, Rudolf zur Rede zu stellen. Ihn zur Beichte zu 327 zwingen, der Vater den Sohn . . . Doch das war Phantasie. Unmöglich – solche Höhen gab es nicht mehr. Sie liefen aneinander vorüber. Sie verstanden sich nicht, weil sie sich längst zu gut verstanden hatten. Doch eines – – plötzlich flammte es in Joachim Friedrich auf, mit tröstender Gewalt – eines war noch möglich: Er besann sich auf Berthold Aschers Rat. Der war ihm immer ein geschlossenes Buch gewesen, aber er hatte doch nie das Gefühl verloren, daß Ascher es gut mit ihm meinte. Belows Person war dem Alten heilig. Sein Rat konnte nicht aus einem Judasherzen kommen. Schluß machen, sich aus den Verschlingungen lösen, solange es Zeit war! . . . Auch als Vater rücksichtslos! . . . Des Namens wegen! – So tönte es Below wieder in den Ohren. Weil man ›das Letzte hergeben kann für seine Kinder‹ . . . Er hörte die Worte noch aus Aschers klugem Munde. Das Letzte für seine Kinder. Halb Fürsorge, halb Haß hatte darin geklungen. Eine kalte, aber große Wahrheit. Darauf besann sich Below, als er an jenem Abend verzweifelt in der U. B. saß. Aber zugleich auch meldete sich seine eigene Ergänzung von Aschers Rat: Er durfte nicht gehen, ohne seinen Sohn auf die Probe gestellt zu haben.

Mitten in Belows Gedanken, die sich eben zum Entschluß formten, kam Rudolf hinein. Er hatte ihn jetzt am wenigsten erwartet. Rudolf gab heute ein Souper im amerikanischen Saal, eines jener 328 bedenklichen Feste, die nie erraten ließen, ob sie die Halbwelt oder neue Geldgeber anlocken sollten. Weinschwer, mit rotem Gesicht und unsicheren Füßen trat Rudolf bei seinem Vater ein. Er lachte grundlos und rief mit etwas lallender Stimme: »Vaterchen! Gut, daß ich Dich treffe! Du bist doch der einzige Mensch, der im Weinkeller Bescheid weiß! Ich suche den ältesten Lafitte! Den ersten Schloßabzug für 30 Meter! Wo steckt der? Ich hab' ihn der kleinen Debussy versprochen. Kein Mensch kann ihn finden!«

»Läßt Du solche Weine auffahren?« fragte Below und klappte sein Kontobuch zu.

»Ich darf doch hoffentlich?«

»Solche Weine schmecken nur bei besonderen Gelegenheiten. Bloß 'runtergegossen sind sie nicht mehr als der gemeinste Krätzer.«

»Ach, Vater, da drüben sitzen hervorragende Kenner! Die Zeiten, wo man solche Weine im Keller verschimmeln ließ, sind vorüber!«

»Dann werden wohl auch die Zeiten vorüber sein, wo solche Weine reifen.«

Rudolf ging in heftiger Ungeduld auf und ab. »Vater – nicht den Tragödieton – ich bitte Dich – den vertrag' ich nicht! Ich habe heute einen glänzenden Abend! Ich werde Leute gewinnen, die einfach alles – wie soll ich mich denn ausdrücken – sanieren – und Du – –!«

329 »Rudolf, wir sind doch Vater und Sohn. Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen. Ich weiß genau, was für Leute Du bewirtest –«

»Was für Leute –?«

»Von den Damen will ich nicht reden. Darin bin ich kein Kenner. Aber die Herren – die wahrscheinlich bloß der Damen wegen gekommen sind – glaubst Du denen jedes Wort? Kommt es Dir auf einen neuen Blender an oder auf eine wirklich solide Ordnung?«

»Vater, ich bin sprachlos! . . . Was ist das für eine Art, wie Du von meinen Unternehmungen redest? Was weißt Du denn davon?«

»Ich bin Dein Vater, ich bin der nominelle Besitzer Deines Grundstücks und weiß nichts. Das is es eben. Ich weiß nichts. Und das halt' ich nicht mehr aus.«

»Vater – erlaube – was meinst Du mit ›nomineller Besitzer‹? Du wirst die Zinsen auf Heller und Pfennig –«

»Sprich nicht weiter! Ich habe ein Recht auf Offenheit! Wie alle Deine Teilhaber! Das wirst Du bald erleben! Nicht wegen der Zinsen! Mir kannst Du schuldig bleiben, so viel Du willst! Ich bin Dein Vater, ich will durch Dich kein reicher Mann werden! Mir genügt mein bißchen auf der Reichsbank! Aber ich werde mich unbedingt auf die Seite der Leute stellen, die Wahrheit von Dir verlangen!«

330 »So?« Rudolf warf ihm einen jähzornigen Blick zu, als ob er plötzlich nüchtern würde. Aber das war nur ein Moment. Sofort wurde er wieder leicht und undurchdringlich. »So, so . . . Ja, bitte . . . Bitte . . . Warte nur ab . . . Am ersten April mein Rechnungsbericht . . .«

»Hoffentlich ist der klarer und ausführlicher als der vorige. Hoffentlich, Rudolf!«

»Dieser Polizeiton – nicht zu ertragen! Du wirfst mir ja nichts anderes vor als die schlechten Zeiten! Was kann ich denn für die amerikanische Krisis? Wer konnte voraussehen, daß dieser Roosevelt gegen die Trusts kämpfen wird? Unser Unglück ist Amerika! Aber es ist wohl kaum zu glauben, daß ein Mann, wie ich, durch Amerika zugrunde geht!«

»Das glaub' ich auch nicht . . . Im Gegenteil – ich will Dich ja halten, soviel ich das vermag. Und das ist nicht wenig, Rudolf – wenn ich auch ein alter Mann bin . . . Ich verlasse mich drauf, daß alles ehrlich zugeht. Hörst Du mich, Rudolf? Daß Du als anständiger Mensch nie vergißt, was Du Deinem Namen schuldig bist.«

»Darauf kannst Du Dich verlassen, Vater. Unnütze Mahnung. Aber nun sage mir: wo ist der erste Lafitte?«

»Es gibt nämlich Sachen, über die ich nicht wegkomme. Ich bitte Dich von Herzen, Rudolf – denke an Deinen Ruf – der is – das wirst Du vielleicht 331 nicht wissen – der is nicht mehr tadellos. Man verfolgt mich damit. Man hält es für nötig, Deinem Vater Dinge zuzutragen – –«

»Warum hörst Du denn darauf? Deine Schuld! Ich pfeife auf alle Verleumder und Zwischenträger! Uebrigens werde ich gerichtlich –! Sie beweisen ja nichts! Und ich wette mit Dir, wenn ich Reserveoffizier wäre, würdest Du es für überflüssig halten, mir das mitzuteilen! Dann hätte ich Dein Vertrauen!«

»Ja, wenn Du Soldat gewesen wärst! Dann wäre überhaupt vieles anders! Hermann is Soldat gewesen!«

»Der Bücherwurm! Weil er vorher nicht mit dem Pferd stürzen konnte! Darum!«

»Ich meine, dann hättest Du auch den Sinn, der Dir fehlt. Ordnung, Verantwortung. Herrgott, Junge, was nützt denn die ganze Manscherei!! Was hast Du von dem Toben und Trachten! Jeder Laufbursche, dessen Brotgeber Du bist, müßte Dir mehr sein als die unsinnigste Spekulation!«

»Ach, Vater, das riecht nach der alten Ecke. Ich spiele mit hundert Existenzen, um meine eigene zu behaupten. Und nun sage mir: Wo ist der Lafitte?«

»Ich kann mir nicht denken, daß Du ohne einen ehrlichen Warner Dich behaupten wirst.«

»O, ich komme ohne den geringsten aus! Kennst Du mein Lebenstempo? Ahnst Du überhaupt, was ich vorhabe? Ich werde aus der U. B. im 332 Winter einen Eispalast und im Sommer ein Schwimmbad machen! Wer hindert mich? Ich lasse die Puppen tanzen! Uebrigens – was hast Du da für ein Buch?«

Schnell hielt Below beide Hände darauf. »Laß das – –,« sagte er errötend.

»Was ist das für ein Buch, Vater?«

»Gott, ich habe mir, weil ich's nicht mehr aushalten konnte, selbst ein Hauptbuch angelegt . . . Aber – – das müßte stimmen – – und das stimmt nicht – – –« Er flüsterte die letzten Worte wie ein hilfloses Kind.

Rudolf lachte hell auf. Mit raschen Fingern blätterte er in dem Buche. »Baukosten – Mobiliarkonto – Effektenkonto – Löhne – Küche – Konzerte –? Vater! Du bist ja rührend! Was sind das für Träumereien? Wie kann das stimmen?«

»Ich sage Dir, es müßte – – –«

»Aber Vater! Du bist ja ein Kind! Das ist mir unheimlich! Solch Träumer! Aber siehst Du, so sind die kompliziertesten Dinge! Ganz einfach! Man spielt damit!«

»Ich spiele damit?«

»Nun sage mir endlich, wo ist der erste Lafitte?«

»Im dritten Keller, siebentes Fach, hinter dem Burgunder –«

»Dritter Keller, siebentes Fach, hinter dem Burgunder! . . .« Rudolf wollte fort. Da aber trat der Alte dem Ueberraschten plötzlich in den Weg.

333 »Noch einen Augenblick, Junge! . . . Ich wollte Dir noch etwas sagen! . . . Es wird mir schwer . . . aber jetzt is die Gelegenheit! Brauchst Du mich noch?«

Rudolf stand konsterniert auf der Schwelle. »Was heißt das, Vater – – –«

»Ja, ich muß es jetzt wissen! Denn wo ich unnütz bin, da bleib' ich nicht, da halt ich's nicht aus! . . .«

»Vater – ich brauche Dich doch – ganz selbstverständlich – aber –«

»Aber? Na, was meinst Du? Ehrlich? Sollen wir lieber Schluß machen? Soll ich bei Mutter bleiben und Dich alleine wirtschaften lassen? Es geht noch! Ich will Dir nich zur Last fallen! Du sollst Dich frei entscheiden! Entweder ohne mich oder ganz mit mir!«

»Vater – Du machst es mir wirklich schwer –«

»Nanu! Da höre einer! Leicht mach' ich's Dir!«

»Aber da Du mich selber fragst – ich habe schon lange das Gefühl – ich muß Dir ehrlich sagen – so sehr ich selbstverständlich Deine Gegenwart schätze – aber – Du paßt hier nicht hinein. Es war wohl ein Irrtum, Vater, daß wir zusammengeblieben sind. Du fühlst Dich hier nicht wohl, Vater.«

»Das stimmt! . . . Also ein Irrtum war es? . . .«

»Versteh' mich recht. Ich bin Dir ewig dankbar. Aber sollte es jetzt Dein freier, aufrichtiger Entschluß 334 sein, Dich zur Ruhe zu setzen – ich hindere Dich nicht daran.«

»So, so.«

»Ich fände sogar, daß es das Allervernünftigste wäre, was Du tun kannst. Du brauchst ja Ruhe. Du hast sie Dir wahrhaftig verdient. Wozu sollen wir die Gegensätze unnötig verschärfen?«

»Also am ersten Februar Schluß? – –«

»So bald schon? Das wird mir schwer werden – aber es wäre wohl am besten –«

»Wir gingen sofort auseinander?«

»Vater! Davon hab' ich nichts gesagt!«

»Ich sage Dir, es is am besten!«

»So tu', was Du Lust hast! Ich werde meinen Verpflichtungen Dir gegenüber nachkommen, auch ohne Deine Beaufsichtigung!«

Da reckte sich Below: »Dafür danke ich! Wir beide sind quitt! Ich schenke Dir das Grundstück! Es ist nicht mehr mein Haus!«

Rudolf lief davon. Joachim Friedrich aber wickelte langsam seinen Schal um den Hals und zog seinen Ueberzieher an. Dann schob er das erdichtete Kontobuch unter den Arm und sagte mit einem Seufzer, der halb Gram, halb Befreiung war: »Ja, ja . . . Es is nicht mehr mein Haus.« Hierauf verließ er die Belowsche Ecke. 335

 


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