Georg Hirschfeld
Die Belowsche Ecke
Georg Hirschfeld

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Neuntes Kapitel

Es war eines von den schmalen, gleichsam übrig gebliebenen Häusern an der Spree, wo Joachim Friedrich und Minna nun ihr Heim hatten. Die ehrwürdige Burgstraße kann sich nur mit Schwierigkeiten auf die Herkunft ihres Namens besinnen, obwohl sie der Hohenzollernburg gegenüberliegt. Es stimmt alles nicht mehr. Der zermahlende Verkehr der Geschäftswelt ist nahe, man hat nur ein winziges »Wassergefühl« an dem eingemauerten Flusse, und die Schiffe unten muten wie Arbeitswagen auf dem Asphalt an. Schlüters Kurfürstendenkmal trabt gespenstisch an der stillosen Königstraße, und wenn es ihm wirklich gelänge, bis ans Schloß zu kommen, so würde es sich in die sauber erhaltene Antiquität nicht hineintrauen.

Minna Below saß den halben Tag am Fenster und sah das neue Wasser durch das alte Bett ziehen. Es war ja doch die Spree. Wenn Minna einmal auf die Straße hinunterkam, tat sie es nur, um auf der Zille Obst zu kaufen. Das labte sie. Sie stand 272 wieder auf einem Kahn, kaufte sich Borsdorfer Aepfel, und drüben stand der Wachtposten vor des Kaisers Haus. Das war noch Berlin. Der Aufforderung ihres Bruders, in das alte Elternhaus am Monbijouplatz zu ziehen, folgte sie nicht. Eine Rückkehr in das gelobte Land ihrer Jugend erschien ihr ebenso unnatürlich wie das Exil ihres Alters. Der Prediger von St. Marien konnte im Elternhause bleiben – sie zwang ihre Bitterkeit nieder und richtete sich noch einmal an neuer Stätte ein.

Es war ein recht hübsches, trauliches Heim geworden. Vier Zimmer nur mit Küche und Nebengelaß, aber sie brauchten nicht mehr, die alten Leute, und ihre lieben Möbel waren hier am Platze. Da stand der ovale Mahagonitisch mit den geschweiften Stühlen, die Servante mit der feinen Tassen- und Gläsersammlung. Blumentöpfe zierten alle Fensterbretter, und an den Wänden hingen schlichte Familienbilder. Man hatte auch die alte Bertha als dienstbaren Geist mitgenommen. So war alles wieder ein wenig zum Frieden gelangt. Aber nur äußerlich. Im Innern tickte der Wurm. Belows fühlten sich heimatlos – nicht nur in der Burgstraße, sondern in Berlin, in der ganzen Welt. Der Amerikaner hatte sie entwurzelt – daran war nichts zu ändern.

Um die Vorgänge in der U. B. kümmerte Minna sich nur wenig. Sie sorgte lieber dafür, daß ihr Mann sie zu Hause vergessen konnte. Sie machte 273 es ihm trotz ihrem Leiden behaglich, wie in früheren Tagen. Daß in dem Moloch Unter den Linden nicht alles in Ordnung war, fühlte sie. Aber sie hütete sich, die Lebenskraft ihres alternden Mannes noch durch Vorwürfe zu untergraben. Sie ahnte einen schnellen Vollzug des Schicksals. Es mußte fortschreiten, bis zum Ziel, bis zum letzten, ungeheuren Zusammenbruch. Auf Trümmern aber würde das Belowsche Lebensprinzip noch siegen – das war ihr gewiß. Doch Minna bändigte ihr prophetisches Gemüt und schwieg vor Below. Er stand ja mitten im Getriebe, er riß sich noch nicht los, und seine tiefste Sorge galt dem Sohn, dem er mißbrauchte Liebe schenkte.

Minnas Leben wurde sehr einsam. Sie hatte nur in den Morgen- und Abendstunden ihren Mann, sie wies ihre Bekannten von sich, weil sie sich durch die neue Lebenslage gedemütigt fühlte. Nun waren die meisten gekränkt und kamen nicht wieder. Ihr Bruder hatte viel zu tun, und Hermann erschien nur einmal jede Woche. Aber er brachte ihr dann seine junge Frau mit und eines Tages im Frühling auch sein Töchterchen. Der jüngste Belowsproß war eine schöne Hoffnung. Blondlockig, mit blauen, leuchtenden Augen. »Minna« hatte Hermann sein Kind getauft. Ueber die alte Minna flog es zum erstenmal wieder wie echter Sonnenschein hin. Hätte sie das Enkelkind nur behalten können. Aber die Jugend wollte nicht mehr in Berlin leben, und sie 274 war ein gebrechliches Wesen, das seine Stube nicht verlassen konnte. Täglich horchte sie nur, wie weit sie das müde Herz noch bringen würde.

So blieb sie denn, wo sie war. Draußen im Leben war alles gegen sie. Da rannte man um, was nicht gleichfalls stieß und vorwärts strebte. Sie fürchtete sich vor der Straße. Immer saß sie in ihrem alten Lehnstuhl, machte feine Handarbeiten oder las.

Die Zeitung blieb ihre sorgsam durchgeführte Lektüre. Minna Below war von jeher eine eifrige Politikerin gewesen. Was ihr in Kessels Sanatorium versagt war, nahm sie nun doppelt wieder auf. Sie dachte zwar immer an Bismarck und Windthorst, an Lasker und Eugen Richter, wenn sie moderne Debatten las, den Reichstag nannte sie immer noch Kammer, und wer eben Kanzler war, blieb ihr nicht ganz bewußt. Eine ehrliche Vorliebe, wie für einen Jüngling, dessen Vater und Großvater sie gut gekannt hatte, hegte sie für den Kaiser. Sie war zwar selten mit seinen Aeußerungen einverstanden, aber sie fand sie doch immer »so nett«, daß sie sich die Königstreue nicht verkümmern ließ.

Aus der Zeitung erfuhr sie auch Ernas Rückkehr. Doch der glitzernde Traum, den sie beim ersten Gerücht von ihrem Kinde geträumt hatte, kam nicht wieder. Sie haßte jetzt die Welt, in der sie Erna sah. Ihr Mutterinstinkt fühlte, daß ein leuchtendes Menschenkind dort ausgenutzt und schließlich verworfen 275 wurde. Sie litt schon insgeheim an Ernas kommendem Leid.

Die Tochter aber, von einem ähnlichen Instinkt gepackt, kam nicht zu dem Entschluß, von dem sie mit Rudolf gesprochen hatte. Der Wirbel ihres Berliner Erfolges riß sie ganz in sich hinein. Sie kannte die Schalheit dieser Freuden, aber sie genoß sie mit doppelter Gier, um nicht an Dinge, die sie für verloren hielt, zu denken. Jetzt erst, in der Heimat, den verlassenen Eltern so nahe, sah sie, daß alle Brücken abgebrochen waren. Mehrmals war sie unterwegs zur Burgstraße hinüber, aber immer kehrte sie ins Getriebe zurück. Sie verbiß sich zornig in ihren Entschluß, sie versuchte vergebens, gefühllos zu werden. Als aber ihr Gastspiel zu Ende ging, als sie nach Rußland reisen mußte, schickte sie vom Bahnhof aus noch kostbare Blumen in die elterliche Wohnung. So sahen Joachim Friedrich und Minna plötzlich dies von ihr und niemals etwas wieder. –

Mit Bangen schweiften Minnas Gedanken zu einer Stätte hinüber, die sie nur einmal betreten hatte. Rudolfs Prunkwohnung am Kurfürstendamm war ihr sonst fremd, wie die ganze Lebensführung ihres Sohnes. Aber zwei Menschen weilten dort, an denen nun ihr Herz hing. Sie hatte Martha ebenso lieben gelernt wie Joachim Friedrich. Und Fred, ihr Enkelkind, war eine süße, kleine Hoffnung, von der sie nicht lassen konnte. Aber es war ihr bewußt, wie diese Hoffnung bedroht war.

276 Freds Zustand verschlechterte sich. Martha wurde von ihrem Leid um Rudolf immer mehr zum Leid um ihr Kind gelenkt.

Das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Wie wenig auch von seiner goldenen Traulichkeit in das Heim Martha Belows kam, sie hatte doch ein Kind, ein einsames, bleiches, das irgendwie vom großen Liebesschimmer berührt werden mußte.

Rudolf beschränkte sich darauf, eine riesige Waldtanne, die an der Spitze abgeschnitten werden mußte, ins Haus zu schicken. Auch eine mächtige Kiste mit kostbarstem Spielzeug kam. Das alles war sinnlos für ein einziges, scheues, krankes Kind.

So kehrte die Weihnachtsfreude nicht ein. Fred war von seltsamer Unruhe erfüllt. Er dachte gar nicht an die eigene Bescherung – dieser Begriff schien ihm von vornherein nicht zu den Eltern zu gehören. Er sah nur mit fiebernder Spannung auf das große Festgetriebe, das er draußen spürte. Er schien von der freudigen Erwartung anderer Kinder irgend etwas für sich selbst erfahren zu wollen.

Aschers Kaufhaus zeigte in jenen Tagen eine große Weihnachtsausstellung. Ein Zirkus war zu sehen mit allem, was dazu gehörte, wunderbar natürlich, das Entzücken der Berliner Jugend. Fred hörte davon, und plötzlich konzentrierte sich sein Weihnachtswunsch darauf, diese Ausstellung zu sehen. Es waren böse Tage, Schneetreiben, 277 Ostwind, überall tückische Gefahr – Martha versuchte Fred den gefährlichen Wunsch auszureden. Es war umsonst. Das überreizte Kind tobte und verzagte vollständig, als man ihm diese Freude nehmen wollte. So mußte sie denn mit dem fiebernden Fred in die Stadt fahren.

Ganz benommen, mit glühenden Wangen trat er in das heiße Gedränge. Außerordentliches war in der Tat zu sehen. Der Riesensaal bildete eine Manege, in der sich bunt geschirrte Pferdchen tummelten. Stallmeister schwangen ihre Peitschen. Spaßige Clowns machten alle möglichen Dummheiten, und an Trapezen hingen waghalsige Künstler, um die man sich bangen konnte, als ob es lebendige wären. Ueberhaupt, es war so natürlich alles, so fabelhaft natürlich. Auch an den Seiten, dicht am Gange, wo sich das Publikum drängte, die Menagerie. Da gab es Löwen, die brüllen konnten, Affen, die ungeheuer komisch an Gittern herunterrutschten, Seehunde, die Zigarren rauchten, und Bären in täppischem Tanz. Am besten gefiel dem kleinen Fred ein Elefant, der als Chauffeur gekleidet im Automobil saß, eine riesige Brille auf der Nase und mit schaurigen Trompetentönen begabt.

Aber Freds Augen glitten doch nur flüchtig über all die Herrlichkeiten. Er fieberte, es ging ihm sehr schlecht, und er mußte von sich selbst absehen. Lieber musterte er die anderen Kinder, die glücklicheren, die ganz dem Augenblick gehörten. »Mutta! 278 Sieh mal den Klowen!« rief ein blondes Mädchen entzückt ihrer Mama zu. Wie ungebildet – Klowen! Fred wußte es besser. Die aufgeregte Mama des Mädchens aber suchte ihr Söhnchen, das im Gedränge verloren gegangen war. Sie wandte sich zu ihrer Nachbarin: »Wo is 'n Ihr Junge? Mein Junge is wech!« »Bitte langsam weiterjehn, meine Herrschaften,« mahnte der Aufseher. Ja, das war das Leben, das glückliche, dumme sorglose Leben. Fred starrte den Gleichgültigen nach. Dann fühlte er plötzlich einen Schwindel. Er lehnte sich an die erschrockene Martha und wünschte nun selbst, nach Hause zurückzukehren.

Als er in seinem Bettchen lag, verfiel er dem letzten Fieber. Rudolf wurde mitten in der Nacht aus der U. B. nach Hause gerufen. Er sah die verlöschenden Atemzüge seines Kindes. Fred lag im Arm der verzweifelten Mutter, sein kleines Herz stockte, dann stand es still. Da starrte Rudolf das tote Geschöpfchen an, als ob es ihm jetzt erst gehörte. Als ob er es niemals mit gläubiger Liebe betrachtet hätte.

Aus der Schalheit seines Komödiantendaseins. wo nur galt, was gefiel, riß es ihn plötzlich in den Abgrund der Wirklichkeit. Schätze rannen täglich durch seine giererfüllten Finger – hier war er bettelarm. Sein Vaterschmerz bäumte sich auf, ein dumpfes Mitleid für Martha ergriff ihn. Sie kamen sich in dieser Stunde näher.

279 Aber Rudolfs anderes Ich, das der rastlosen Gier da draußen gehörte, blieb auf der Hut. Er fühlte die Gefahr, zu erschlaffen, dem zu gehören, was er niedertreten mußte. Er ahnte, daß Freds Tod notwendig für ihn war. Alles Schwache, Lähmende von drüben fiel nun ab. Martha stand allein – sie sollte allein stehen. Das alte Band zwischen ihnen mußte fallen. So löste er sich instinktiv aus ihren Armen, und Martha fühlte im Innersten erkaltend, daß sie ihn zum letzten Mal umfangen hatte.

Als der Sarg zur Gruft getragen wurde und Rudolf neben Martha seinem Erben folgte, ging auch ein anderer Mann an Marthas Seite. Ein alter, gebückter, fast unkenntlich vermummt und in Pelzschuhen schlurfend. Wünschel war zum Begräbnis gekommen. Martha erkannte ihn plötzlich und lächelte ihm aus tiefstem Schmerz wie einem guten Geist zu. Sie lehnte sich an ihren Vater, während die Erdschollen auf ihr Kind fielen. Rudolf, den sie losgelassen hatte, stand abseits und biß sich in die Lippe. Dann wandte er sich rasch zu den Honoratioren, deren Anwesenheit auf dem Friedhof dem Generaldirektor der U. B. galt. –

Großmama in der Burgstraße sah ihrem kleinen Toten wie einem Engel nach, der ins bessere Dasein flog. Sie gab ihm einen sehnsüchtigen Gruß mit, als ob sie bald nachkommen wollte. Doch in ihren schmerzlichen Traum griff noch einmal hart und laut das wirkliche Leben. Wenige Wochen nach 280 Freds Begräbnis stand Martha vor ihr, in ihrer Trauerkleidung doppelt entstellt durch gedunsene, fieberrote Züge und das wirre, rasch ergraute Haar. Sie wirkte wie eine Entflohene; ihr Geständnis an Minna bestätigte es.

»Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr in seiner Wohnung bleiben! Retten Sie mich doch, Mutter! Retten Sie mich um Gottes willen!« Sie verfiel in ein schrilles, atemloses Weinen. Minna mühte sich um die Fassungslose, rieb ihr die Schläfen mit Eau de Cologne und bat sie immer wieder, doch die alte, verständige Martha zu sein.

»Was is denn bloß? Was hat er Dir denn jetan?«

»Er kommt – er bringt seine Frauenzimmer mit – es ist – als ob ihn jetzt nichts mehr genierte – gar nichts mehr – seitdem das Kind fort ist! Kann ich denn was dafür?! Ich habe nur für Fred gelebt, und nun hab' ich alles verloren. O, das ist kein Leben mehr. Ich bin ja gar nichts. Die Dienstboten verachten mich im eigenen Hause. Die sehen, der Herr tut, was er will. Er feiert Orgien mit betrunkenen Weibern, mit Ballettfrauenzimmern, die er im Automobil mitbringt und mit Geld beschmeißt, und ich, ich muß in meinem Zimmer liegen und weinen und bitten, nur erst vorüber, nur erst vorüber! Gestern aber – da bin ich doch 'rausgestürzt im Schlafrock, wie ich war, und da saß er wieder mit der Sekretärin! Die holde 281 Unschuld, die ist die Schlimmste! Und da hab' ich sie geohrfeigt, rechts und links, und habe sie 'rausgeschmissen! Und ihm hab' ich erklärt, bei Fredchens Seligkeit, daß ich nicht mehr bei ihm bleibe! Ich will arbeiten, ich will betteln, nur ein Mensch will ich werden! Menschenwürdig! Mutter! Wollt ihr mich behalten?«

Minna beugte sich erschüttert über die Kniende.

»Wollt ihr mich behalten? Ich fall' euch ja nicht zur Last! Nur ein ehrliches Leben! Daran laßt mich teilnehmen!«

»Was uns jehört, jehört auch Dir. Ich jebe Dir die schöne Hinterstube – da is es so still, Martha, und die Sonne scheint immer! Ach, Du armes Kind! Er is doch ein Schuft, wenn er auch mein Sohn is!«

Doch Martha schüttelte den Kopf. »Nein, nein! . . . Das nicht! . . . Das kann ich nicht hören! . . . Das sagen Sie nicht von ihm! Er ist doch mehr unglücklich, Mutter. Ich kenn' ihn durch und durch. In Amerika – da war es anders, da hätt' ich ihn nicht verloren. Da war ich es, die er gebraucht hat. Ich habe mit ihm gehungert und bin mit ihm von Stadt zu Stadt gezogen. Da war ich es. Aber als er zurück wollte – nach Berlin – da ahnte ich's schon. Und hier –«

»Warum hast Du ihm denn die verfluchte Jeschichte nich ausjeredet?!«

»Das war unmöglich, Mutter. Rudi geht seinen Weg. Er verschweigt alles, bis er da ist. Ich war 282 in seinem Leben erledigt. Aber er wird kein Glück finden ohne mich. Das weiß ich. Es wird ihm hier nicht gelingen. Berlin ist nicht Amerika. Und ich bin anders als die Weiber . . .«

»Martha – –!«

»Die richten ihn zugrunde – passen Sie auf! So lange Erna da war – die ist gut trotz allem! Erna ist fort. Nun fallen sie über ihn her. Die Aasgeier, die immer bloß haben wollen, haben. Die werden ihn zerreißen. Er hat kein Gegengewicht. Ich und das Kind – wir waren das Gegengewicht. Aber Fred ist tot. Ach, Mutter! Ich hab' ihn unter lauter Engelchen gesehen, aber Rudolf hat mir auch das genommen! Er glaubt an kein Leben nach dem Tode! Er glaubt nur an den Augenblick! Aber wer kann das? . . .« –

Martha blieb in der Burgstraße. Rudolf widersetzte sich nicht. Er fühlte offenbar eine Erlösung – nun war er in seinem Reiche ganz allein. Minna überlegte hin und her, ob es ihre Pflicht wäre, Martha zu ihm zurückzuschicken. Aber sie kam davon ab, und Below gab ihr recht. Beide erkannten immer tiefer, was für ein prachtvoller, elend mißbrauchter Mensch diese Martha war. Sie gewannen sich ein Kind an ihr, dessen Seele sie aufrichten konnten. Zur Scheidung kam es nicht. Dagegen sträubte sich Martha vor allem ihres Vaters wegen. Wünschel sollte den letzten Triumph, der für den alten Hasser wirklich ein Triumph war, nicht erleben. 283 Aber sie zog ihn jetzt energischer zu sich heran, sie brachte es dazu, daß der Sonderling, der mit niemand verkehrte, zu Belows hinaufkam. Joachim Friedrich hatte nichts dagegen, und Minna gewann für ihre Einsamkeit immerhin einen Menschen, der aus derselben Zeit stammte wie sie.

Sie konnte mit Wünschel über Leute und Dinge plaudern, die dem gegenwärtigen Berlin ganz fremd geworden waren. Einfach gestalteten sich diese Stunden freilich nicht, denn Wünschel war ein unzähmbarer Streiter, und auch Minna pflegte von ihrem Urteil nicht abzugehen. Es kam zu hitzigen Debatten. Sie warfen sich bei den sachlichsten Gelegenheiten persönliche Wahrheiten an den Kopf. Mehrmals schon war Wünschel davongelaufen. Aber er kam immer wieder.

Die letzte Gelegenheit zu einer Aussprache war auch ihm eine Wohltat; er sah mit einem Gemisch von Schmerz und Genugtuung sein trauriges Kind bei den Belows, und in gemeinsamen Spielstunden versöhnte man sich wieder. Den biederen »Franzefuß«, den kein Mensch in Berlin mehr spielte, Piquet und Sechsundsechzig wurden von Minna und Wünschel hervorgeholt. Wenn die beiden Alten sich gar nicht mehr vertragen konnten, kam Martha dazu, und es wurde ein Skat. Wie gern ließ sich die Tochter dabei von dem alten Grobian ausschelten, als ob sie noch ein kleines Mädchen wäre.

284 Wenn Below nach Hause kam, blieb es nicht so friedlich. Der Alte gab zwar Wünschel gegenüber seine vornehme Ruhe nicht auf. Aber wenn das Hündchen gar zu bissig wurde, mußte er sich zur Wehr setzen. Solange es möglich war, blieb die Unterhaltung in einem zwar freien, aber humoristischen Ton. Die Frauen konnten lächelnd, wenn auch in geheimer Angst, dabeisitzen.

»Na, Below?« fragte Wünschel wie ein grinsender Teufel, die Arme unter dem schiefen Kopf verschränkt. »Wie geht's denn? Schiebt er Sie noch nicht bald ab?«

»Wen meinen Euer Hochwohlgeboren?«

»Ich meine Seine Königliche Hoheit, den Herrn Sohn! Der wird Sie doch sicher bald abschieben. Der kann Sie ja gar nicht mehr brauchen. Sie haben ja ein viel zu ehrliches Gesicht dazu.«

Below verfärbte sich, blieb aber ruhig und rührte lächelnd in seiner Kaffeetasse. »Schwerer Irrtum, mein Verehrtester. Sie übersehen, daß ich an der U. B. mit meinem Grundstück beteiligt bin.«

»Nee, Below. Sie waren mit Ihrem Grundstück beteiligt.«

»Was heißt das? Sollten Sie nicht was Niederschlagendes nehmen?«

»Lassen Sie sich lieber 'ne kalte Kompresse machen. Sie hatten ein prachtvolles Grundstück Unter'n Linden, zwei Millionen wert. Sind Sie sich darüber klar, wie viel es jetzt noch wert ist? 285 Welche Mäuler und Löcher der Herr Generaldirektor damit zugestopft hat? Und die Zinsen? Sehen Sie viel davon?«

»Das werde ich Ihnen nicht auf die Nase binden. Sie halten ja alle Leute für bankrott, weil Sie 'mal die angenehme Erfahrung gemacht haben.«

»Das gehört nicht hierher! Ich hatte kein Schwindelunternehmen!«

»Andere Leute auch nicht!«

Wünschel sah zur Tür, als wollte er wieder davonlaufen. Aber Minna mischte sich ein. »Jott, zankt Euch doch nich immer. Dabei kommt doch jar nischt raus. Ihr kleener Handschuhladen, Herr Wünschel, und die U. B. – das sind doch janz verschiedene Sachen.«

»Gewiß, Frau Below. Sie Friedensengel. Genau so wie Ihre Wohnung hier und die am Kurfürstendamm. Aber meine Tochter scheint diese hier vorzuziehn. Was, Martha? Nee, daß ich Dich hier sehe! Darüber kann ich mich nicht beruhigen.«

»Ich hab' es schon getan, Vater.«

»In 'ner nuttigen Stube sitzt sie und fühlt sich wohler als in fünfzehn Zimmern mit Wintergarten und Speisesaal und römischem Bad und Hutzimmer und Stiefelzimmer und –«

»Vergiß nur den Kamin nicht, Vater – den mit dem künstlichen Feuer.«

»Was is'n das?« fragte Minna erstaunt. Martha lächelte.

286 »Hast Du das nicht gesehen, Mutter?« fragte Below, der plötzlich seinen Humor wiederfand. »Das is 'n großes, mächtiges Ding, wie ein Kamin im Schloß, und da drin is Holz, wahrscheinlich künstliches, und künstliches Feuer brennt drin, denn es stecken elektrische Lampen hinter, und die drehen sich, und durch die Drehung ziehen an der Kaminwand hinten Schatten vorüber, und das sieht denn wie Rauch aus.«

»Und vor dem Kamin sitzt man, wie die Leute in alten Zeiten!« fügte Martha hinzu. »Man sieht in ein kaltes Feuer, Mutter, und freut sich über den Rauch, der keiner ist, und wärmt sich . . .«

»Brrr,« machte Minna. Sie hüllte sich fest in ihr Tuch ein.

»O, das ist aber das Richtige für Rudi Below!« rief Wünschel. »Da kann er seine Gefühle los werden! Da kann er Teilhaber fangen!«

»Sprich jetzt nicht von Rudi, Vater . . .«

»Der Mensch soll ja ein Leben führen! Märchen erzählt man sich von seiner Verschwendung! Wissen Sie das schon, Below?«

Below schüttelte den Kopf. »Was man sich erzählt, davon weiß ich nichts.«

»Er hat jetzt drei Automobile und fünf Motorboote. Er hat dem Sportklub in Wannsee ein eigenes Palais gebaut. Mit Spielsälen, mit Gartenfesten, mit Wasserfeuerwerk, alles auf seine Kosten. Und da soll's zugehen! Die Wannseer haben 287 doch madiges Geld, aber so was ist noch nicht dagewesen . . .«

»Alles 'ne Art von Reklame. Bei Rudolf is alles Reklame.«

»Ein Wahnsinn ist es! Passen Sie auf, der schnappt noch über!«

»Ich danke Ihnen für Ihre liebenswürdige Prophezeiung.«

Minna mischte sich begütigend ein. »Kinder – man sollte doch auch was unternehmen . . . Nich immer so dösig zu Hause hocken . . .«

»Nanu, Minchen? Was willst Du denn?«

Sie sah ihren erstaunten Gatten lächelnd an, denn sie glaubte es selbst nicht recht. Dann aber fügte sie hinzu: »Na unser Abonnement im Opernhaus zum Beispiel –«

»Das haben wir ja längst aufgegeben.«

»Richtig! Ach, die schönen Zeiten sind auch vorüber. Niemann und die Lucca. Weißt Du noch? Wachtel in der Weißen Dame?«

»Und als Postillon von Lonjumeau . . .«

»Hoho – ho – ho – so schön und froh –!«

Jetzt erhob sich Wünschel und fuhr hastig in seinen geflickten Ueberzieher. »Da müssen Sie mich entschuldigen. Arien will ich hier nicht hören. Alter Opernschwindel. Nee, ich danke. Ich bin ein Verehrer von Richard Wagner.«

Nach diesem Bekenntnis ging er wirklich. Martha holte ihren Alten nicht zurück, denn die 288 Abkühlung draußen tat ihm gut, und sie wußte genau, daß er wiederkommen würde. –

Für Below waren diese Begegnungen nur eine tragikomische Zerstreuung. Wünschel war eine Karikatur, ein Misanthrop und Neidkopf zwischen seinen vier Wänden. Der konnte ihm keine Klärung schaffen. Auch von den Bekannten, die er abends bei Siechen traf, hatte er nichts. Was er von Minnas Rückkehr erhofft hatte, erwies sich nur in der Sehnsucht als schön. Jetzt, da er sie wirklich besaß, das hilfsbedürftige Weib, stand zu viel zwischen ihnen. In ihm lag Schuld, in ihr lag Vorwurf. Beide wollten es nicht wahrhaben und täuschten sich mit ihrer zarten Rücksicht darüber fort. Die Dinge, die geschehen waren, reichten zu tief. Versöhnt wohl, aber einsam mußte Below bleiben. Auch haftete die Neigung für Rudolf immer tiefer in ihm. Dieser Dämon reizte ihn doch zur Bewunderung. Er sah, daß er hatte tun müssen, was er getan hatte. Doch Below sah ihn in den Abgrund steuern. Nicht durch Jugendsünde wie ehemals, sondern durch seine unverstandene, höhere Begabung. Diese Erkenntnis griff in das Vaterherz. So kam es, daß er sich mitten im verhaßten Getriebe am wohlsten fühlte. Doch noch einmal griff das Alte und Versunkene ihn hart an. Noch einmal mußten sie alle an ihm vorüberziehen, die grauen Geister, die er vertrieben hatte. Dann kehrten sie für immer in die Gruft des Vergessens ein.

289 Die ehemaligen Stammtischgenossen der Belowschen Ecke bildeten einen Schachklub. Er hieß der Klub der »Springer«, was eine sonderbare Bezeichnung für die verrosteten Herren war. Er bestand seit über dreißig Jahren. Man hatte jede Woche einmal über den elfenbeinernen Figuren gebrütet, und mancher Meister befand sich unter den alten Denkern. Aber der Tod hatte mehrere fortgeholt, und Belows Revolution sprengte den Schachklub vollends. Man sah sich nicht mehr. Es schien eine stillschweigende Auflösung zu bedeuten. Aber an Below nagte der Umstand, daß er Kassenwart des Klubs war. Er verwahrte in seinem Geldschrank noch das Vermögen, dessen Zinsen er gewissenhaft notierte, und das in drei Jahrzehnten beträchtlich angewachsen war. Was sollte nun damit geschehen? Ascher, der Einzige, den Below von den ehemaligen Genossen sah, riet zu einer wohltätigen Verwendung. Below stimmte eifrig zu, aber selbständig durfte er keinesfalls über das Geld verfügen.

Es half nichts: Die alte, knarrende Kutsche mußte noch einmal aus der Remise gezogen werden. Below berief eine Versammlung der Schachbrüder, die letzte. Sie wurde Wirklichkeit. An einem Winternachmittag, zur Dämmerstunde, hatte er die Männer, die er jahrelang nicht gesehen, in die Burgstraße geladen. Sie kamen, bis auf die jüngeren, Wechsler, Fork und Wiesenlattich, denen der Schachklub nichts mehr bedeutete.

290 Als Below mit pochendem Herzen am Kaffeetisch wartete und Minna einen selbstgebackenen Napfkuchen zerschnitt, klopfte es – wirklich, der alte Rösicke erschien und setzte sich sofort aufs Sofa, als wollte er einschlafen, wie er es in der Belowschen Ecke getan. Dann klopfte es wieder, und Kretschmar kam, etwas säuerlich neugierig, als suchte er hier Stoff für einen originellen Artikel. Dann hörte man draußen ein Scharren und Pusten, einen halblauten, heftigen Wortwechsel. War es möglich? Hauptmann von Weinschenk brachte den uralten König zu Below. Noch einmal protestierte der Professor in der Tür gegen die Unterstützung seines Freundes. Sie waren ganz unwirkliche Erscheinungen geworden. Als ob sie längst gestorben wären und Below, der sie herbeigerufen, nur darüber forttäuschen wollten – so saßen sie steif, mit eingehängten Gliedern am Tisch und warteten auf eine Ansprache. Jetzt kam auch Ascher, der einzige, der frischeren Zug in die Versammlung brachte. Der kam aus dem Leben.

»Professor,« flüsterte Below. »Unverändert . . .«

»Ja, ich verändere mich nicht mehr,« murmelte König. »Das hab' ich aufgegeben. Jetzt bin ich fünfundachtzig. Die Hauptsache ist, daß ich neunzig werde.«

»So'n Unsinn,« brummte Weinschenk. »Warum denn?«

291 »Das geht über Ihren Horizont, mein Lieber. Ich werde Geheimrat und kriege den Hohenzollernorden. Warum soll ich das nicht offen eingestehen?«

»Kolossal wichtig. Mit neunzig.«

»Fangen Sie bloß nicht wieder zu streiten an, meine Herrschaften,« sagte Ascher, während Below mit bewegtem Lächeln den Kopf schüttelte. »Das dauert mir sonst zu lange. Ich habe wenig Zeit.«

»Ich muß auch weg, ich muß die Duse interviewen,« sagte Kretschmar mißgestimmt, denn er hatte Zahnschmerzen. »Ach Gott, ach Gott, Frau Below! Is das 'n Altdeutscher? Mein Leibgericht! Wenn ich ihn man bloß noch essen dürfte!«

»Dürfen Sie, Herr Kretschmar. Meiner is leicht.« Minna verließ, nachdem sie alles hergerichtet hatte, das Zimmer. Nun regte man sich durch Kaffee und Kuchen an.

»Also zur Sache, meine Herren,« sagte dann Below. »Sie wissen, warum wir uns noch mal versammelt haben. Nicht Unter'n Linden – das haben Sie gewiß verstanden –«

»Wahrhaftig!« schrie der Hauptmann plötzlich wieder leidenschaftlich. »Das ooch noch! Da hätten mich nich zehn Pferde hingekriegt, in den verfluchten Affenkasten!«

Below lächelte. »Ich habe ja nicht mal ein Pferd bemüht, lieber Lorenz. Jedenfalls freu' ich mich, daß ich Sie bei der Gelegenheit alle mal wiedersehe.«

292 »Das Verjnüjen hättest Du lange haben können. Wir haben bei Vanselow jespielt. Du bist ja nie zu Vanselow jekommen.«

»Erlaube – einmal war ich da. Aber da war's nicht sehr gemütlich für mich. Und da blieb ich lieber weg.«

»Wir werden auch bald wegbleiben,« flüsterte der alte König. »Alle.«

»Ja, Below,« fügte Weinschenk düster hinzu. »Den Vorwurf können wir Dir nich ersparen. Du hast den entscheidenden Streich jejen uns jeführt. Erst wollten wir's nich wahr haben und verpflanzten uns. Zu Vanselow in der Chausseestraße. Aber was is die Chausseestraße jejen die Linden? Und was is Vanselow jejen Below? Wir kamen uns wie Schatten vor. Wir sahen uns ins Jesicht und fragten: Wozu denn eijentlich der janze Schwindel?«

Below stützte den Kopf in die Hand. »Also wir werden uns auflösen?«

»Wir . . . wir!« stöhnte König. »Das ist unlogisch, mein Lieber! Das muß ich Ihnen korrigieren. Es löst uns auf!«

»Was soll denn mit dem Geld geschehen?«

»Machen Sie damit, was Sie wollen. Irgend etwas Gutes. Was Sie wollen. Sie sind Joachim Friedrich Below. Das genügt uns.«

Ein schmerzliches Schweigen folgte auf des Professors Worte.

293 »Wenn ich nur das eine bejreifen könnte.« flüsterte Weinschenk plötzlich. »Daß Du das alles – daß es mit Dir so weit jekommen is . . .«

Below richtete seine großen, blauen Augen auf ihn. »Das wirst Du wahrscheinlich nie begreifen, Lorenz. Denn ich bin auch noch nicht so weit.«

Professor König erhob sich langsam. »Nun können wir wohl gehen?« fragte er, einen grimmigen Blick umherwerfend. Alle fühlten den Augenblick des Abschieds und standen erschüttert. Kretschmar hielt sich abseits. Er drückte sein Taschentuch an die Backe. Er hatte doch von dem Altdeutschen gegessen, und sein Zahnschmerz war stärker geworden.

Weinschenk schüttelte Joachim Friedrich plötzlich die Hand. »Below, ich seh' Dir's an, daß Du Dich doch nich jlücklich fühlst. Trotz allem. Und wenn unsre Weje nu auch auseinander jehn – Du weißt, wir sind Brüder. Denk' an unsere Loge – – erinnere Dich immer, was ein Freimaurer soll.« Der Hauptmann umarmte Below, und dieser zitterte. Da wischte sich auch Professor König die Augen.

Plötzlich aber äußerte sich der alte Rösicke, der sich aus seiner Schlummerecke aufgerafft hatte. Er sagte etwas, was alle überraschte: »Was is denn schließlich ein Haus? . . .«

Ascher näherte sich. »Ein Haus ist das, was man darin erlebt hat, Herr Rösicke. Und unsere Erlebnisse in der Belowschen Ecke waren zu Ende.«

294 König fuhr zu Weinschenk herum. »Sie sollten sich jetzt noch auf Ihr Gut bei Oranienburg zurückziehen!«

Da lachte der große Hauptmann. »Der is nich dot zu kriejen! Na, kommen Se, Jüngling! Adjö, Below! Jrüß' Deine Frau –«

Weinschenk, König und Rösicke hatten das Zimmer verlassen. Als Below seiner Erregung Herr wurde und vom Fenster zurücktrat, sah er, daß Berthold Ascher geblieben war. Er stand mit seiner breiten Stirn und seinen welken Zügen verlegen da. Der Winterrock des Millionärs, auf den die Abendsonne schien, war gar nicht elegant, und seine Haltung erinnerte an den Hausierer, der sein Großvater gewesen war. Er warf Below einen scheuen Blick zu.

»Kann ich Ihnen noch mit was dienen, Herr Kommerzienrat?«

»Nein, Sie nicht. Ich möchte Ihnen mit was dienen.«

»Nehmen Sie doch bitte Platz.«

»Danke. Ich gehe auch gleich. Ich bin heute gekommen, Below, obwohl ich mir aus dieser Kriegervereinsstimmung nichts mache. Sie kennen ja meinen Geschmack.«

»Eiskeller, aber zuverlässig.«

»Sie unterschätzen meine Temperatur. Ich möchte Sie nämlich warnen.«

»Wovor, Herr Kommerzienrat?«

295 »Sie sind kein Kaufmann. Nie einer gewesen. Wenigstens im Sinne unserer Zeit nicht.«

»O weh – was bin ich denn sonst?«

»Ein Mensch, den man nicht im Stich läßt. Sie stecken im Unternehmen Ihres Sohnes. Davor möchte ich Sie warnen.«

Below wich einen Schritt zurück. »Glauben Sie denn von meinem Sohn mehr zu wissen als ich? . . .«

»Das tu' ich sicher. Ich schätze Ihren Sohn. Er ist ein genialer Phantast, aber in Berlin wird er das büßen müssen. Er steuert im Schnellzugstempo auf den Ruin zu. Sein unsinniger Aufwand und die bedenklichen Rechnungsberichte. Ein Drittel seiner Teilhaber ist faul. Die ganze Gesellschaft hätte so nicht gegründet werden dürfen. Wechsler ist ein Schwindler.«

»Wechsler – –?«

»Sag' ich Ihnen damit was Neues? Er hat seinen vertrottelten Onkel dermaßen eingeseift – außerdem soll eine Mündelgeldergeschichte schweben – man wird wohl nicht mehr lange das Vergnügen haben. Und auf seine Geldleute lauert die amerikanische Krisis. Ich kenne alle Konjunkturen, Below. Ich sehe kommen, was steigt und fällt. Durch meine Finger laufen die Chancen aller neuen Unternehmen. Wenn Ihre Gesellschafter fallen –«

»Fällt auch das Haus? . . .«

»Ein Belowsches Haus fällt nicht so leicht.«

»Das alte is sehr schnell gefallen . . .«

296 »Da irren Sie sich, Below. Das fiel in mindestens fünfundzwanzig Jahren.«

»Sie sind mir unheimlich, Herr Kommerzienrat. Wenn Sie's wirklich gut mit mir meinen – warum haben Sie mich denn nicht längst gewarnt?«

»Es war noch nicht an der Zeit. Einen Belowschen Dickkopf muß man erst gegen die Wand rennen lassen. Jetzt komm' ich und sage Ihnen: Ziehen Sie die Füße aus dem Sumpf. Halten Sie die Hand auf Ihr Bestes.«

»Was is das? . . .«

»Ihr guter Name, Below.«

»Mein Name?«

»Und auch Ihr Geld, um nicht pathetisch zu werden. Wie weit Ihr Grundstück Ihnen noch gehört, will ich nicht beurteilen. Aber rühren Sie Ihren Alterspfennig nicht an. Niemand ist sicher davor, das Letzte herzugeben für seine Kinder.«

»Das sagen Sie?! . . .«

»Jawohl. Weil ich mich zeitlebens vor meinen Kindern in acht genommen habe.«

Below ging langsam auf und ab. »Wir sind zu verschieden . . . Ich habe gedacht, daß ich bei ihm bleiben muß . . . daß ich da sein muß – drüben – auf meinem Grund und Boden – Sie verstehen, wie ich das meine – wegen des Namens!«

»Das ist Ihr gefährlicher Irrtum, Below.«

»Wollen sehen! . . . Jedenfalls danke ich Ihnen bestens, Herr Kommerzienrat. Was Sie mir gesagt 297 haben – so hab' ich's noch nie betrachtet. Das wär' ja fürchterlich . . .«

»Man muß abwarten. Ziehen Sie sich nur erst zurück.«

»Ich werde es von meinem Sohn abhängig machen. Ich werde ihn auf die Probe stellen. Wenn er mich gehen läßt – dann geh' ich.«

»Ich kann Ihnen, glaub' ich, das Resultat voraussagen. Nun Adieu. Ich muß ins Café, Schach spielen. Das kann ich nicht entbehren. Aber man braucht keinen Klub.«

»Ins Geschäft gehen Sie gar nicht mehr? In Ihre Riesenhäuser?«

»Wenig. Das überlass' ich meinen Söhnen.«

Ascher ging. Als Below allein war, sah er sich in dem kleinen Zimmer um, das schon fast im Dunkeln lag, und rang die Hände. »Seinen Söhnen . . .« 298

 


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