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XXIV.

Mit einer kleinen, recht interessanten Rundfahrt durch den großen Hafen Kopenhagens nahm die »Paula« von der dänischen Hauptstadt noch an diesem Nachmittag Abschied.

War sie doch schlank genug, um sich durch die schmale Einfahrt in den Binnenhafen beim Tollboden schlängeln zu können, wo – wie Jacques van Fleethen von seinem Kapitän erfahren haben wollte – jährlich mehr als fünfunddreißigtausend Schiffe vorüberkamen.

Zunächst passierte man nochmals die breit hingehauene Feste »Trekoner« mit ihren trotzigen Türmen und Zinnen.

Eduard warf noch einen wehmütigen Blick nach der »Langeline«, einer der schönsten Wasserpromenaden der Welt, dann glitt er langsam an den Docks, dem Kriegshafen und den königlich dänischen Marinewerften vorbei.

Dänemarks Ufer schwand.

Viele der im Hafen nicht seltenen Dampfer mit schwarzrot gestrichenen Schornsteinen der dänischen Schiffahrtsgesellschaft begrüßten die deutsche Flagge, welche die »Paula« gehißt hatte, mit einem freundnachbarlichen Flaggengruß, und an dem nach einem Hinweise des Herrn van Fleethen für den grönländischen Handel besonders wichtigen Stadtteil »Christianshavn« nahm auch die Familie van Fleethen ihren Abschied vom dänischen Gestade.

»Auf nach Stockholm!« lautete Päppes Parole jetzt, und der Kapitän beschleunigte die Geschwindigkeit der schon wieder in voller Fahrt befindlichen Jacht noch um ein gut Teil auf den ausdrücklichen Wunsch ihres Besitzers.


Norwegen, das Land mit der zackigen Küste, mit den blauen Fjorden und Schären, seinen schimmernden Seen, das Land der hellen sonnigen Nächte, dieses Wunderland der Mitternachtssonne sollte das nächste Ziel der Lustjacht werden.

Durch das Kattegat nahm die »Paula« ihren flotten Lauf.

Traumhaft überrascht standen Eduard und Irene bei ihrem Auslaufen in das jetzt bis zum Horizont tiefgrün schillernde Meer am Backbord. Noch hatten sie nicht ein Wort über das gesprochen, was die letzte Nacht beiden gegeben und genommen hatte.

Sie vermieden es wohlweislich, einander darüber Rechenschaft zu geben. Dieses gegenseitige Verstehen führte sie stillschweigend wieder zusammen.

Mehrere Stunden standen sie so und blickten zum fernen Horizont.

Die reine salzige Seeluft wehte sie durch und durch. Und so empfanden sie beide die erhabenen und gewaltigen Schönheiten der Natur des Nordens wie eine moralische Reinigung.

Eduard sah Irene mit seinen treuen Augen an und ließ die für sich reden.

Immer neue Bilder glitten kaleidoskopartig an ihren bewundernden Blicken vorbei.

Über dem seltsam gefärbten Meere wölbte sich jetzt eben noch der blaue Himmel, um sich bald darauf mit einem dunklen violetten Schein zu einer neuen Wirkung zu verfärben.

Eduards Herz ging auf in der Bewunderung der weltschöpferischen Allmacht Natur.

»Siehst Du,« sagte er endlich zu ihr und deutete auf das jetzt perlmutterfarbig schattierte Wasser, »dieses unvergleichlich schöne Farbenspiel? So wie das Meer hier, ist auch des Menschen Seele: mit unwiderstehlicher Gewalt, mit magischer Kraft drängt, zieht und lockt es Dich wie ein unheimlicher Magnet. Ich hätte große Lust, mich jetzt durch einen starken Hechtsprung von aller drückenden Erdenschuld zu befreien.«

»Dazu bist Du gar nicht fähig, Eduard. Dazu fehlt Dir Mut und Kraft,« zweifelte sie.

»Soll ich?« fragte er mit einem Ernst, daß es sie kalt und warm überlief.

»Nein!« Schaudernd schrie sie auf. Und als er Miene machte, sich über die Brüstung zu schwingen, packte sie ihn am Arme und hielt ihn voller Angst mit ihren energischen Fäusten fest, daß er sich kaum mehr bewegen konnte.

So ließ er von seinem plötzlichen Entschlusse ab.

»Selbstmord ist Feigheit!« fauchte sie ihm ins Gesicht, nachdem seine ihr unerklärliche Erregung sich etwas gelegt hatte.

Er lachte nur wie einer, der den reinsten unverfälschten Willen besaß, das Leben zu verneinen.

»Wir sind so verschieden! Was mich manchmal zur Bewunderung und Begeisterung reizen kann, sagt Dir gar nichts!«

»Ich habe eben meine eigenen Ansichten, meine besondere Auffassung des Lebens. Gerade weil wir verschieden sind, ja nur deshalb haben wir uns lieb!«

»Hast Du mich wirklich lieb? Irene, ehrlich lieb?«

»Nu natürlich! Warum sollt' ich auch nicht? Einen so hübschen Bengel, wie Dich, muß man lieb haben, ob man will oder nicht!«

»Ich kann es Dir nicht glauben, nach der letzten –«

»Still!« unterbrach sie ihn. »Nicht davon reden, bitte! So was tut man wohl – aber man spricht nicht davon!«

»Gut! Ich schweige schon! Ich liebe solche Auseinandersetzungen auch nicht! Aber ich wollte Dir nur sagen, daß ich daraus eine klare Erkenntnis zog: Du liebst mich nicht so, wie ich Dich!«

Mürrisch warf sie ihren Kopf in die Schultern zurück.

»Ich liebe so, wie ich es kann! Grübeln wir nicht darüber nach! Ich werte die Liebe nicht als Kunstwerk, wie Du vielleicht. Ich verstehe unter Liebe vor allem das gegenseitige Genießen! Genuß ist Liebe, Genuß ist Leben! Es lebe der Genuß!«

Und sie lachte mit einer schon ans Lasterhafte gemahnenden Frivolität. – Lachte ihr leichtsinniges Lachen, so daß er ihr seine über sie gefaßte Ansicht sagen mußte:

»Du bist das Produkt einer vollkommen verfehlten Erziehung!«

»Ich bin überhaupt nie erzogen worden! Bei uns erziehen die Kinder ihre Eltern. Du müßtest doch wissen, daß wir im Jahrhundert des Kindes leben!«

Da schwieg er wieder und ließ nur noch das herrliche Werk der Weltschöpfung zu sich reden, das jetzt durch die wunderbare Reinheit der Abendluft von weither zu ihm sprach.

Majestätisch stolze Felsenkolosse ragten aus nah gerückten Fernen sichtbar auf.

Der ungeheure Schärendamm mit den schimmernden Fjorden Norwegens grüßte herüber.

Langsam fiel die noch eben hellstrahlende Sonnenscheibe auf die Wasserflut, und bewundernd hing sein trunkenes Auge an dem schneller und schneller im glutrot gefärbten Wasser verblutenden Sonnenball.

Immer purpurner dehnte sich am fernen Horizont noch ein schmaler rötlicher Lichtstreif, bis auch der ganz verschwand …

Voll Staunen sah Eduard Norwegens Berge und Buchten im Dunkel untertauchen.

Nicht einmal die eigene Hand konnte man noch in der Finsternis schauen!

Auch Irene, die sein Auge gesucht hatte, konnte es nicht mehr erspähen.

Das eben noch wie eine Fata Morgana ihm winkende Land, seine Schluchten und Klüfte waren und blieben verschwunden im schwarzen Raume, als hätte ein Unsichtbares es aus dem All ausgelöscht.

Und tastend suchte er seine Kabine auf.

Hier schlief er fest und ungestört bis zum nächsten Morgen.


Die nächste Nacht aber fand sie wieder beieinander!

Als am folgenden Morgen der Kapitän in Kristiania notgedrungen die Anker auswarf, weil er hier eine frische Kohlenladung für seinen Maschinenbetrieb zu nehmen gezwungen war, verabschiedete sich Eduard von seinen Gastgebern.

Bestürzt fragte Jacques van Fleethen nach dem Grunde.

Aber Eduard ließ ihn unerforscht und schützte nur das dringende Verlangen vor, einmal wieder ganz mit sich allein bleiben zu müssen.

Und so schied er von dem Schiff.

»Ein seltsamer Mensch,« sagte die Fürstin zu ihrem Gatten, als er gegangen war.

»Ein Sonderling! Verrückt wie alle Künstler und dabei noch undankbar!« tat ihn der Päppe ab.

Irene aber, die um sein Gehen genau Bescheid wußte, schwieg.

Sie zerbiß sich vor Wut ihre Lippen. Aber sie schwieg!


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