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III.

Während Eduard in der Heimat immer fleißig und stillvergnügt dem gesteckten Ziele entgegenarbeitete, begann für Martin jetzt ein lustiges Leben.

Berlin bedeutete für ihn eine neue Welt – das Licht der Welt.

Er konstatierte, als er am zweiten Tage nach seiner Ankunft in der Reichshauptstadt mit einigen gleichfalls eben in der Presse untergebrachten Sprossen der feudalsten Adelsgeschlechter Preußens seinen ersten Bummel über die Linden unternahm, den neuen »Kameraden« gegenüber, daß er bis heute überhaupt nicht gelebt habe – – – daß er eben wie neugeboren in eine Welt trete, die seiner Meinung nach eigens für ihn geschaffen sein müsse, die aber auch von jetzt ab die einzige anständige Lebensmöglichkeit für ihn darstellte.

Und nur zu schnell hatte er sich in Berlin eingelebt – gründlich akklimatisiert.

Anfangs beschämte ihn die strenge Aufsicht in dem Internat, allmählich aber wurde er zum energischen Widerspruch gereizt. Nachdem er drei Nächte hintereinander wegen Vorenthaltung des Hausschlüssels einfach nicht nach Hause gekommen war, gab es mit dem Direktor des Instituts eine stürmische Auseinandersetzung.

Martin ging jedoch als Sieger aus dem Streite hervor; denn um auf keinen Fall den gutzahlenden Schüler zu verlieren, hatte der neue Vorgesetzte der Rücksicht auf seine Privatschatulle die sonst stets gepriesene Disziplin seiner Presse geopfert. Nach einem immer schärfer gewordenen Wortgefechte erhielt Martin den Hausschlüssel ausnahmsweise zugebilligt!

Als erster seit Jahren hatte er durch Stellung dieser Kabinettsfrage in des Wortes wirklichster Bedeutung der Anstaltsleitung gegenüber solch einen ungewöhnlichen Erfolg zu verzeichnen … Nun wollte er sich auch der gebührenden Hochachtung sämtlicher Mitschüler versichern!

Denn trotzdem er dem Direktor strengstes Stillschweigen über die Hergabe des Hausschlüssels zu wahren gelobt hatte, ließ er es sich nicht nehmen, schon in der nächsten Pause, den Schlüssel in der erhobenen Rechten, durch alle Klassen der Anstalt mit dem Rufe zu hüpfen: »Kinder, ich habe den Hausknochen!«

Und das wirkte! – Wie ein kleiner König wurde er von allen Zöglingen gefeiert … ein langsam emporkeimendes Siegergefühl verlieh der ihm seit frühester Jugend innewohnenden Herrschsucht eine starke Befestigung.

Den Hausschlüssel als Inbegriff seiner ersten Sehnsucht hatte er erobert, jetzt galt es leise seine Fühlhörner nach den kleinen Mädchen auszustrecken.

Die von der Direktorin für ihren Wirkungskreis eigens ausgesuchten Dienstmädchen des Hauses kamen, als viel zu alt, natürlich für ihn nicht in Betracht.

Mit einer der Anstalt gegenüber wohnenden Uhrmacherstochter hatte er bereits in täglich länger währenden Blickgefechten angebandelt – – – aber noch war es ihm nicht gelungen, sie einmal sprechen zu können, da der Vater der Kleinen die Gefahr, die das Gegenüber für sein Kind darstellte, wohl erwog und das Mädchen von der Mutter eifersüchtig bewachen ließ. Also blieb es vorläufig bei der Fensterplänkelei, und Martin mußte sich zunächst bescheiden.

Auf den Rat einiger eingesessener Kameraden, die schon einmal im Examen »gerasselt« waren, sich also bereits auskannten, verlegte er sein Wirkungsfeld in die Rheinischen Winzerstuben, ein Weinlokal der Friedrichstadt.

Punkt zehn Uhr erschien er hier im Kreise seiner lustigen Ratgeber, die früher zu ihren nächtlichen Ausflügen erst einige Kletterübungen über den Anstaltszaun vorzunehmen gezwungen waren. Martin ließ ihnen nunmehr den Mitgenuß seines Hausschlüssels zuteil werden. Er entfernte sich deshalb schon vor dem um neun Uhr erfolgenden Toresschluß aus der Anstalt, während seine Kumpane um diese Zeit scheinbar das Bett aufsuchen mußten, da der Direktor der Presse von neun Uhr ab durch Absperrung des Gashahnes jede weitere Lichtzufuhr unterband.

War dann der Rundgang des kontrollierenden Hauslehrers vom Dienst um viertel Zehn erfolgt, so flammten in den Zimmern der ältesten Fähnriche elektrische Taschenlaternen auf, in deren Schein sich die jungen Leute wieder anzogen. Nach kurzer Zeit liefen sie dann auf leisen Sohlen, Martins zurückgelassenen Hausschlüssel in der Hand, aus dem in vollkommener Nachtruhe daliegenden Internat, um sich etwas später mit ihrem Befreier zu löblichem Tun zu vereinigen.

Man hatte in dem Lokal schon seinen gemütlichen Stammtisch, an dem es immer am lustigsten zuging. Hatten die verschiedenen Weine erst ihre Schuldigkeit getan, und war auch Martin als Tonangeber in seine fidele Stimmung versetzt worden, so bestieg er den Tisch, um inmitten der Flaschenbatterien einen Niggertanz aufzuführen … Selbstverständlich erfreute sich der Niggertänzer nach diesen Darbietungen im Lokal bald einer kleinen Berühmtheit. Der ihm so oft winkende Erfolg bei den Frauen erwies sich auch hier wieder in der Großstadt! Alle in den Winzerstuben verkehrenden kleinen Mäuschen verschossen sich in den »scheenen Mann«.

Nach rigoroser Erledigung einiger galanter Abenteuer wurde es jetzt seine Eigenheit, sich überhaupt nur mit solchen Mädchen zu befassen, die er einem andern durch die vermeintliche Macht seiner Persönlichkeit wegschnappen konnte. In dieser erotischen Perversion, auf ein Mädchen erst, wenn sie sich im Besitz anderer Männer befand, aufmerksam zu werden, brachte er es durch ein unnachahmliches Geschick im Kapern zu einer gewissen Virtuosität, deren Förderung zunächst seinem neuen Leben den Inhalt geben sollte.

Für den Unterricht hatte er gar nichts übrig, das Mißbehagen in der aber nun einmal erforderlichen Anwesenheit am Vormittag wurde durch Schlafen mit offenen Augen wieder wettgemacht.

Mittlerweile war er dadurch ziemlich wunschlos geworden, jede Post brachte ihm Briefchen von zarter Hand in allen Farben, doch nicht immer stubenreinen Handschriften, deren Erledigung ihn auf die Dauer schon langweilte.

Aber bald merkte Martin, daß das Untertauchen in dem rauschenden Strudel der Großstadt mit einem starken Aufwand von Kapital verknüpft ist.

Bald hatte er das aus der Heimat nach Berlin mitgenommene Bargeld mit leichten Händen verausgabt. Und trotzdem der Major seinem Sohne durch den Direktor ein nach dessen Meinung viel zu reichlich bemessenes Taschengeld auszahlen ließ, hätte Martin mit dem zehnfachen Betrag kaum gereicht!

Zunächst wanderten die Bücher zum Antiquar, die für Berlin seiner Ansicht nach ja auch gar nicht mehr geeigneten Anzüge aufs Leihamt, wo schließlich auch Uhr, Kette und andere plötzlich unnötig gewordene Juwelen eine sanfte Ruhe fanden.

Gedemütigt haderte er mit seinem Schicksal, nicht schon großjährig und damit in den Besitz des mütterlichen Erbteils, das der Vater vorläufig verwaltete, gelangt zu sein … Eine ohnmächtige Wut empfand er gegen diesen kurzsichtigen Vater, der für die kostspielig-vornehmen Gewohnheiten seines Sohnes nicht das geringste Verstehen an den Tag legte.

Nur Eduard hatte seiner Ansicht nach ein fühlendes Herz und Verständnis für seine Bedürfnisse. Heimlich schrieb er an ihn, er fände es ekelhaft, daß der alte Herr ihn so knapp mit »Asche« versehe; der Bruder sprang ihm stets gern helfend zur Seite und stellte ihm die erwünschten Summen von seinen erübrigten Spargroschen auf schnellstem Wege zur Verfügung.

Aber als alles nicht zur Deckung der laufenden »Liebesspesen« langte, kam Martin auf den genialen Gedanken, Konversationslexika auf Abzahlung zu kaufen, ließ aber die Bücher, ohne sie überhaupt nur gesehen zu haben, von seinem »Manager«, einem Buchhandlungsreisenden, versilbern. Auch bei dem Uhrmacher von gegenüber wurde durch Vermittlung dieses Faktotums langsam ein kleines Konto eröffnet, eine Verbindung, die dann auch endlich eine nähere Bekanntschaft mit des Meisters Töchterlein zur Folge hatte.

Hanni Maaß war täglich von zehn bis drei Uhr im Kontor einer Großbank als Stenotypistin beschäftigt. Mit einem jungen Beamten dieses Hauses hatte sie sich vor kurzem heimlich verlobt.

Der Meister wußte noch nichts von der ersten Liebe seiner Tochter; nur der immer treusorgenden Mutter hatte das Mädchen von dem jähen Aufkeimen ihrer herzlichen Empfindungen für Albert Manstedt gesprochen. Zunächst hatte die Mutter nichts davon wissen wollen, denn Hanni war von den einfachen, aber nicht ganz ungebildeten Eltern eine gute Erziehung und Schulbildung erteilt worden.

Wie sparsam Meister Maaß auch Groschen auf Groschen gelegt hatte, für sein einziges Kind war ihm nichts zuviel gewesen.

Man hatte sie zuerst in die höhere Töchterschule gebracht, und nachdem sie diese verlassen hatte, war sie durch den Besuch einer Handelsschule auch für die Zweige des menschlichen Erwerbslebens vorbereitet worden.

Dann hatte sie sich – aus reinem Tatendrang – bei der Bank um die gerade ausgeschriebene Stellung beworben und sie auch erhalten. – Seit einem Jahre füllte sie stets ihren Beruf zur steten Zufriedenheit des ihr übergeordneten Bureauleiters aus.

Albert Manstedt war schon sechs Jahre im nämlichen Bankgeschäft tätig. Gleich am ersten Tage, als die Siebzehnjährige nach der Vorstellung beim Prokuristen wegen ihrer wirklich hübschen Larve sofort den Vorzug unter der Unmenge von Bewerberinnen erstritten hatte und wie zufällig seinem Bureau zugeteilt worden war, hatte er viel für das junge Mädchen empfunden.

Im Laufe des in gemeinsamer Arbeit verlebten Jahres waren sich die jungen Leute näher und näher gekommen, und in zwei Jahren hoffte Albert dann endlich durch Gehaltsverbesserung so weit auf des Lebens Stufenleiter gestiegen zu sein, um sein geliebtes Mädchen auch zu seiner kleinen Königin machen zu können!

So war es von beiden heimlich verabredet worden, und nach langem Kampfe hatte sich die Mutter auch zur Einwilligung überreden lassen. In ihrem Mutterstolze hätte sie natürlich lieber noch »etwas Besseres« für ihre Hanni erstrebt.

Langsam sollte von seiner Frau Meister Maaß' Zustimmung für Hannis Liebe gewonnen werden, als der hübsche Fähnrich von drüben eine bedeutsame Schwankung in das Gefühlsleben des jungen Mädchens brachte.

Eines Nachmittags, nachdem er vorerst gehörig mit Hanni, die vor der Ladentür des väterlichen Geschäfts stand, »gefensterlt« hatte, raffte sich Martin zu den ersten entscheidenden Schritten in dieser Sache auf.

Ein heißes Sehnen nach Bestätigung, etwas wie junge Tatkraft teilte sich ihm plötzlich mit.

Schneller fühlte er seine Pulse pochen, eine wilde Flutwelle durchströmte seinen Körper, als er eben vor den Spiegel trat, um seinen äußeren Menschen für den ersten Eindruck geziemend instand zu setzen.

Doch zunächst war er dazu unfähig!

Ganz gab er sich einem inneren Drange nach Ruhe zu eigen und schloß die Augen … Beide Arme hinterm Kopf verschränkt, kostete er ein ganz seltsames Wonnegefühl, das warm von ihm Besitz nahm, einige lange Minuten hindurch aus.

Der Gedanke an das junge Mädchen erfüllte ihn mit einer bisher nie gefühlten Weichheit.

Die kleine Blondine, die es zu erobern galt …! Plötzlich gab er sich einen starken Ruck.

Die Erwägung eines vielleicht bevorstehenden Kampfes um sie weckte ihn aus der Lethargie.

Er vervollständigte seine Frisur, strich nochmals mit dem Nagelhobel über seine zu vollem Glanze gebrachten Fingerspitzen, versäumte auch nicht, einen neuen Kragen umzubinden und die stimmungmordende Schulkrawatte mit seinem schönsten Seidenschlips zu vertauschen.

Selbstgefällig und befriedigt betrachtete er sich jetzt im Spiegel.

Und wirklich, der Schlingel war hübsch und just dazu angetan, einem in sich noch so gefestigten Blondköpfchen den Blick für das Vernünftig-Alltägliche zu trüben.

Sein schwarzes Haar stach seltsam von der rosigroten Gesichtsfarbe ab, und diese wieder fand nur in dem prachtvollen, unheimlich leuchtenden, tiefschwarzen Augenpaar eine treffliche Unterbrechung.

Welche unbesiegbare Energie sprach aus seinen herben, schönen Zügen, zu denen sich in der letzten Zeit eine Unwiderstehlichkeitslinie um den Mund gesellt hatte, die ihm nicht schlecht zu Gesicht stand!!!

Noch ein letzter Blick in den Spiegel! – Dann eiligen Schrittes in den »Kampf«.

Bald steht er dem blonden Mädchen gegenüber, die – als sie ihn auf den Laden zueilen sieht – erschrocken hinter den Ladentisch zurückweicht. Martin stockt ein wenig; aber gleich faßt er wieder Mut, und im Nu ist er im Laden.

An den gelieferten Juwelen irgend etwas Schadhaftes zu bemängeln, war ein rasch gefundener Vorwand, den er bei dem jungen Mädchen anbrachte.

Sie befand sich gerade nur allein im Laden, da – wie sie ihm sprudelnd erzählte – der Vater in die innere Stadt hereingefahren war und die Gehilfen in der Werkstätte arbeiteten, während Mutter wohl schon das Abendessen rüstete.

Schnell ist ein Gespräch im Gange. Sein heißer Atem trifft, als er sich über den Ladentisch beugt, ihr Antlitz, und Hanni fühlt ein leises Erschauern durch ihre Glieder rieseln. Sein sonores Organ prägt sich ihrem Ohr mit einem so ungewöhnlich lieblichen Timbre ein, sie spürt, wie sich plötzlich alles in ihr nach diesem fremden Manne drängt, der doch so ganz anders ist – als ihr Albert!

Ja Albert!! – Himmel, was sollte daraus werden?


Als er nach einem gemütlich verflirteten Stündchen das Geschäft verläßt, weiß Martin, daß er seinen unwiderstehlichen Glutblick fest in ihr Herz gezielt hat. Er weiß aber auch, daß das junge Reh ins Herz getroffen ist.

Aus ihrer Verlobung hatte Hanni gar kein Hehl gemacht! Sie kokettierte ihm gegenüber sogar ganz gründlich mit ihrer Brautschaft.

Die war ihr jedoch kein Hindernis gewesen, sich zum Schluß mit Martin dahin zu verabreden, daß er sie am nächsten Tage vom Geschäft in der Voßstraße abholen solle,, oder besser noch, daß er sie – damit auch Albert ja nichts merken könne – an der »dickbäuchigen« Normaluhr des Potsdamer Platzes ein viertel nach Drei erwarten möchte.

Die Kleine war überschäumend lebenslustig und wollte gern eins der Abenteuer erleben, von denen sie die Kolleginnen im Geschäft so oft hatte schwärmen hören.

Der hübsche Fähnrich schien ihr gerade der Richtige zu sein!

Schließlich war man ja nur einmal jung, und damit verscheuchte sie schnell alle innerlichen Warnungen, die sich bald zu dem Bilde Albert Manstedts verdichteten.

Und Martin? – Martin war glücklich mal wieder ganz in seinem Element: hier hatte er ja ein Juwel unter Juwelen gefunden!

Zudem konnte er seine Kaperkunst endlich einmal bei einer erproben, der eben kaum der Blütenstaub von den Lippen geküßt worden war.

Das machte ihm Laune!

Vergnügt pfiff er, wieder auf seiner Bude angelangt, seine Lieblingsmelodie »On n'est jamais le premier« vor sich hin. Das Liedchen hatte er vor kurzem in irgendeinem Varieté einmal vortragen hören und es sich schnell als Motto seines Liebeslebens zu eigen gemacht.

Er wollte ja auch niemals der Erste sein.

Langsam schlenderte er wieder aus der Haustür des Internats, immer noch sein »Motto« pfeifend, die Zietenstraße entlang und begab sich kurz entschlossen nach dem an der nächsten Ecke gelegenen Telegraphenamt.

Morgen brauchte er dringend Geld.

Zwei Stunden darauf erhielt Eduard nach dem Abendessen vom Burschen das Telegramm heimlich zugesteckt:

»Ehrenwort verpfändet, sende sofort Asche!

Martin.«


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