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XIX.

Um die Mittagsstunde hielt der Bummelzug, den Luise mit ihrem zukünftigen Gatten und dessen Bruder gewählt hatte, auf der kleinen Bahnstation.

Martin sprang als erster aus dem Abteil heraus und holte tief Atem, trank sich mit einem langen Zuge satt und voll. Die hier auf dem weiten Lande ihn umschmeichelnde Luft tat ihm mit ihrer köstlichen Frische sehr wohl! Und er fühlte sich eins mit dieser Freiheit des kecken Nordwindes, der ihn stürmisch erfaßte und scharf durchschüttelte.

»Kinder, ist das hier herrlich!« rief er aus und half seiner Braut beim Aussteigen.

Vor dem kleinen, in rotem Backstein erbauten Stationsgebäude stand der Bahnvorstand, der, als er Luisen den Wagen verlassen sah, den bei ihm stehenden Zugführer einfach stehen ließ, um schnell auf sie zuzueilen.

»Untertänichster Diener, meene Jnädichste!« Grüßend legte er die Hand an die Orangemütze. »Wollen Se ooch mal wieder e Treppche Rehbercher Luft schnappen! Allemal kennen Se das! Aber nadierlich, nadierlich – – – Derf ich die Herrschaften verleicht zum Wachen jeleiten? Der Krause steht draußen mit sei'm Landauer. Na jewiß! Ei jemersch, das wer'n wer bald haben.«

Luise, die sich sonst stets über solche bevorzugte Begrüßung freute, war heute davon recht peinlich berührt. Sie dankte dem freundlichen Beamten, und dann blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Begleiter vorzustellen.

»Gestatten Sie, Herr Stationsvorsteher, meine beiden Vettern, die Herren – – –« Der Name wurde von ihr nur gemurmelt und ging in dem hellen Pfiff unter, mit dem sich der fauchende Bummelzug langsam wieder auf den Weg machte.

Beide Herren verbeugten sich, Eduard freundlich und Martin finster, weil ihn das Gesicht des Beamten lebhaft an das des Feldwebels Hoffmann aus Finsterburg erinnerte.

»Was will der Kerl eigentlich? Stört bloß unsere Gemütlichkeit,« flüsterte er Eduard leise ins Ohr. Aber schon war der dienstfertige Mann ihnen vorweggeeilt und hatte Martins lautgewordenen Unwillen wohl kaum mehr gehört.

»Krause, Krause! Weeß Knebbchen, steht der Kerl da noch immer! Unn sitzt auf de Ohren! Vorfahren solln Se! Vorfahren! Na wird's bald!«

Der Kutscher Krause rasselte mit einem schweren Landauer heran, daß das holprige Pflaster unter den eisenbereiften Rädern aufdröhnte.

Ein Packträger brachte das Gepäck auf einen ebenfalls anfahrenden, mit zwei schweren Lastpferden bespannten Leiterwagen, dessen Räder über die mit wenig ausgeglichenen Katzenköpfen bepflasterte Bahnhofstraße knatternd dahinrollten.

»Wenn mir jemand diese Scharteke zum Geschenk machte, würde ich ihn glatt wegen Beleidigung verklagen!!!« lachte Martin heraus. Und Luise begütigte ihn:

»Den alten Kutschwagen hat noch der selige Großvater in Dresden eigens für Rehberge bauen lassen. Alt ist er ja wohl, aber man hat ihn doch lieb. So viele freudige Erinnerungen fesseln mich immer noch an ihn! Deshalb konnte ich mich nicht entschließen, ihn schon zum alten Eisen zu werfen!«

»Das besorge ich schon noch!« meinte Martin.

Luise stieg ein. Auch Martin und Eduard nahmen im Wagen Platz.

Der Mann mit der kraßfarbigen Mütze grüßte militärisch, konnte es sich aber in seiner Geschwätzigkeit nicht versagen, an Luise noch schnell eine Frage zu richten:

»Wo ist denn aber eechentlich der junge Herr? Der Emil! Der Gutsherr uff Rähberche! Wo ist denn der um des Himmels willen jeblieben?«

»Der kommt erst in drei Wochen, wenn die Ferien begonnen haben werden, nach!« war Luisens schlagfertige Antwort, und mit einem energischen »Abfahren« Martins an den Kutscher setzte sich die Kutsche in Bewegung.

Mit Peitschenknall folgte das zweite Fuhrwerk mit Koffern und Kisten.

Martin hatte sich für seinen neuen Beruf des Herrschers über Ar und Halm ganz vorschriftsmäßig eingekleidet.

Durch die Frühlingslandschaft knarrte der breit und gemütlich gepolsterte Landauer über die Chaussee. Zu beiden Seiten der mit knospenden Kirschbäumen bepflanzten Landstraße grünte der junge Roggen. Kutscher Krause wies mit der Peitsche auf die zarten Gräser des Wintergetreides, drehte sich plump auf dem Kutscherbock um und meinte: »Das wird diesmal eene Ernte, wie wir sie lange Zeit nicht mehr hatten!«

Luise fragte ihn nach den Rüben.

»Die Zuckerrüben und die Wrucken sind schon längst ausgepflanzt, jetzt legen wir tagtäglich bloß noch Kartoffeln, jnädiche Frau, denn die müssen schnell in die Erde,« war seine Antwort.

Eduard war von all der herrlichen Vorfrühlingspracht, von dem jubilierenden Vogelgezwitscher, das von den Bäumen herabtönte, ganz gefangen. Auch ihm wurde das bedrückte Herz frei in Gottes weiter Kirche, der wunderreichen Natur.

Das Märchen vom jungen Königssohn, der eine alte Königin heiratete, um noch zu Lebzeiten seines Vaters in einem Nachbarlande herrschen zu können, fuhr ihm dann wieder und wieder durch den Sinn, und schweigsam brütete er vor sich hin, während Martin Luisen übermütige Tollheiten erzählte und in Gedanken vor Wonne schwelgte und wuchs.

Luise schien sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. Denn wenn auch Martins Herrschsucht hier und da aufblitzte und sie für ihre Freiheit fürchten ließ, ein Schmeichelwort aus seinem losen Munde nahm sie sofort wieder vollkommen gefangen. Sie war nur recht glücklich, einen Mann gefunden zu haben, einen richtigen Mann, dem sie sich unterwerfen durfte, der sie niederzwang und sie mit seiner Kraft und Schönheit beseligte.


Über den Gutshof fuhren sie nun mit lautem Hufschlag. Der Wagen hielt an der Anfahrt zum Herrenhaus inmitten von bunten Blumen und grünen Rasenflächen. Das Pferdegetrappel hatte zwei große Hunde herbeigelockt, die freudig bellend die Ankommenden umsprangen und wedelnd begrüßten.

Inspektor Hörnig trat sporenklirrend aus der Halle des Hauses an die Rampe und begrüßte Luisen mit einem Handkuß:

»Die gnädigste Frau sei auch dies Jahr herzlich willkommen! Die drei Zimmer sind wie befohlen wohnlich hergerichtet.«

Luise dankte.

»Bitte lassen Sie das Gepäck sofort hereinschaffen, und – – ehe ich's vergesse – die Mamsell soll sofort das Essen anrichten lassen!«

»Ist bereits befohlen, gnädigste Frau!«

Damit war er entlassen, und Luise schritt mit ihren Gästen über die Steintreppe auf die Glasveranda.

Dort winkte sie den Kutscher herauf, um ihm ein Trinkgeld in die Hand zu drücken, was jedoch Martin galant für sie tat. Und das sollte ein Symbol sein! Denn mit diesen belanglos dünkenden Dingen reiner Höflichkeit riß er allmählich die Herrschaft über Luisens Vernunft und Vermögen an sich und zeigte sich der Dienerschaft bereits als neuer Besitzer, der auch die Verwaltung von Rehberge bald in seine starke Hand nahm.

Luise trat mit den Brüdern durch die hohe Glastür in eine prachtvolle große Halle, wo man ablegte.

Martin ward vollends glücklich! Rings an den Wänden gewahrte er unzählige Geweihe, wohl Jagdtrophäen der Totzkes, die sich aus den drei Generationen ihres Besitzes hier so gehäuft haben mochten. Auch Flinten, Drillinge und Doppelbüchsen, hingen dazwischen, und schon hatte Martin – ohne irgendeine Reisemüdigkeit zu verspüren – ein Jagdgewehr heruntergeholt, um es mit Kennerblicken auf seine Tragfähigkeit zu prüfen.

Luise entledigte sich indessen ihres Reisemantels, und Eduard wieder stand wie gebannt vor einem prachtvollen Ölgemälde, das den alten Kaiser Wilhelm, umgeben von seinen Paladinen auf einem gefallenen Pferde sitzend im feuerroten Schlachtgetümmel darstellte.

»Bitte, meine Herren! Auf Ihren Zimmern können Sie sich von Ruß und Reisestaub reinigen und dann schleunigst an der Tafel im Speisezimmer hier nebenan Platz nehmen!!« rief Frau Luise ihren beiden Gästen zu.

Und dann ging sie durch eine zweite hohe Glastür eine breite Holztreppe empor. Martin und Eduard folgten ihr zu den im Obergeschoß liegenden Schlafzimmern.

Nach kurzer Zeit vereinten sich alle Drei schon wieder beim Mittagsmahl.


Am selben Abend waren der Inspektor Hörnig und der Lehrer Schwarz zu Tisch geladen worden, wobei ersterer die ihm zuteil gewordene Ehrung erfuhr, daß er am nächsten Morgen um einhalb zehn Uhr neben Eduard als zweiter Trauzeuge bei seiner gnädigsten Herrin Verbindung mit Herrn Martin Sylvester Weitbrecht zu fungieren haben werde. – Herr Hörnig staunte!

Aber auch der blonde hünenhafte Dorfschullehrer Schwarz, der den Aushang des Aufgebots schon vor vierzehn Tagen besorgt hatte, war ziemlich verdutzt über diesen Bräutigam, der doch eine ganz vornehme Figur machte, ja recht manierlich aussah, während er sich in seinem Kopfe den jugendlichen Freiersmann der etwas älteren Gutsherrin ganz anders gemalt hatte – – – viel reduzierter, bedürftiger.

»Der scheint es doch werklich gar nicht nätig zu ha'm – – e gesunder Mensch mit kräftigen Knochen – –! Nee soowas,« ging es fortwährend durch seinen Sinn, als er nun auch noch in das Hoch auf das junge Paar einstimmen mußte, das Herr Inspektor Hörnig pflichtschuldigst mit markigen Worten ausbrachte.

»Nee soowas!« lachten beide Männer einander aus vollem Halse an und schüttelten sich vor Lachen, als sie kurz nach neun Uhr ihre Herrin und deren neue Verwandte voll klugen Untertanenverstandes verlassen hatten.

»Se hat's eben sehr nötig!« meinte Hörnig ganz sachlich und lachte dabei noch weiter.

»Deen Bräutijam beneede ich keenesfalls, mei Kutester! Der arme Gerl ist werklich zu bedauern, daß er in so eenen verfaulten Appel beeßen muß,« spann Herr Dorfschullehrer Schwarz seine Philosophie aus.

»Immer noch besser, als ins Gras zu beißen,« schloß Hörnig wortkarg die Unterhaltung und reckte dem Lehrer die Hand entgegen.

»Nee werklichen Gott, lieber mecht 'ch starben, äh ich mich so verkoofen mechte. Das gännen Se mer globen, Herr Hörnig!« Und Schwarz schüttelte die Hand des Inspektors.

»Ja, wir Wilden sind halt bessere Menschen! Menschen!« betonte sarkastisch Herr Hörnig. »Und gute Nacht! Morgen früh auf Wiedersehn! Auf dem Amt.«

»Auf Wiedersähn!«

Lachend prusteten sie auseinander.

Wie ein Lauffeuer war andern Tags in aller Frühe die Kunde von Luisens bevorstehendem zweiten Eheschluß durch das Dorf Rehberge geeilt!

Da der Herr Lehrer für seine standesamtlichen Verrichtungen (soweit diese nicht bloße Eintragungen von Geburten und Todesfällen in das Personenstandsregister betrafen) gewohnheitsgemäß den Sonntag dazu bestimmt hatte, eine bürgerliche Heirat vor dem Gesetze zu »tätigen«, weil er zu dieser Zeremonie dann sein Klassenzimmer (in Rehberge gab es nur ein solches) frei hatte und so auch der gesetzlichen gleich die kirchliche Trauung folgen lassen konnte, mußte er die Schüler an diesem Morgen eigentlich recht gegen seinen Willen nach Hause schicken.

Denn weder Luise noch Martin hatten sich in die von ihm vorgeschlagene Verschiebung ihres Hochzeitstages finden wollen. Alle Vorstellungen des Herrn Schwarz am gestrigen Abend hatten das feine Brautpaar nicht erweichen können!

Beide bestanden auf der pünktlichen Einhaltung des Trautermins nach glücklich erfolgtem Ablauf der vierzehntägigen Hängefrist, worüber Herr Schwarz sehr ärgerlich geworden war, aber natürlich seinen Grimm herunterschlucken mußte …

Und pünktlich um ein halb zehn Uhr fuhren die Brautleute mit den zwei Zeugen heute am Schulhaus vor.

Herr Lehrer Schwarz hatte zur Erhöhung des festlichen Stimmungsgehaltes sogar seinen früher einmal schwarz gewesenen Gehrock angezogen, dessen fetter Glanz mit dem seines feisten Gesichtes wetteiferte.

Nachdem er die an der Handlung Beteiligten an der Tür begrüßt hatte, führte er sie in das dazu freigemachte Klassenzimmer.

Luise mit Martin nahmen auf der ersten Schulbank Platz, während Herrn Hörnig und Eduard die zweite Bank angewiesen wurde.

Alsdann bestieg der Standesbeamte langsam voller Würde sein Katheder, auf welchem das Protokollbuch des Dorfes Rehberge schon aufgeschlagen bereit lag.

Mit einer ihm scheinbar eigenen philiströsen Pedanterie prüfte er dann nochmals die ihm vorliegenden Papiere und ordnete sie der Reihe nach übereinander.

Dann stellte er mit lauter Stimme fest, daß alles in Ordnung sei, und richtete an Luise in seiner Mundart die Frage:

»Frau Privatiäre Luise Totzke geborene Totzke, sinn Se berait, mit dem näben Ihnen stähenden Zahnarzt Martin Waitprächt die Ähä einzugähn?«

»Ja!« sprach Luise tonlos.

Jetzt richtete Herr Schwarz seine ausdruckslosen, wasserblauen Augen auf Martin und fragte diesen:

»Herr Zahnarzt Martin Waitprächt, sinn ooch Sie berait, mit der näben Ihne stähenden Frau Luise Totzke geborenen Totzke die Ähä einzugähen?«

»Jawohl!« klang es hart aus Martins Munde.

»So ergläre ich kraft bergerlichen Gesätzbuches die Ähä fer geschlossen – – –!«

Martin atmete erleichtert auf, – tief und doch wieder schwer, wie einer, der eben aus langjähriger Gefangenschaft befreit wurde und zum ersten Male ins helle Sonnenlicht des Tages, in die laue Luft langentbehrter Freiheit zurücktritt.

Und Herr Schwarz beschloß den feierlichen Akt nun damit, daß er das Protokoll über den erfolgten Zusammenschluß niederschreiben zu müssen erklärte.

Gelangweilt verfolgten die frischgebackenen Eheleute und ihre Zeugen dies etwas dauerhafte Verfahren.

Martin dachte nur an die noch für heute festgesetzte Abreise nach Meran; denn er hatte ja bereits seine Billette für den Schlafwagen bestellt.

Da verfinsterten sich plötzlich die Mienen des Standesbeamten, und Herr Schwarz fuhr entsetzt auf! Als hätte ihn eben eine Tarantel gestochen, schrie er laut:

»Es is ä Formfähler geschähn! Die Ähä is ungiltch. Ich gann den Trauschein nich erteelen!«

»Sind Sie des Teufels! Herr!« fuhr Martin auf.

»Geene Beamtenbeleedijunk,« mahnte Herr Schwarz.

»Es hot sich nämlich äben noch rausgeställd, daß ooch keener von Sie beede, hier de Ähäleite meen ich, hier in Dominium Rähberche polizeelch angämäldet is! Ja! Da ham wersch! Da liecht der Storch im Salate! Ja, ja! Das gann ich nich machen! Nee, nee!«

Nun erhob sich Hörnig:

»Als Gutsvorsteher erkläre ich unter meinem Diensteid, daß Frau Luise Totzke in Rehberge als Forense gemeldet ist und ihre Steuern hierher zahlt.«

Ihm fiel Eduard da ins Wort:

»Als Zeuge der Trauhandlung fordere ich Sie, Herr Standesbeamter, auf, sofort die Bescheinigung über die eben in unserer Gegenwart von Ihnen selbst vollzogene Ehe auszustellen, widrigenfalls wir uns an den Landrat wenden müßten!«

»Schweig doch!« schrie Martin wütend dazwischen, der eben wieder kalt und besonnen den pedantischen Querulanten nicht weiter reizen wollte.

Der aber sagte:

»Mer Sachsen sein hälle! Mer ham keene Angst – ooch nich vorm Herrn Landraht. Mer dun unsere vorgeschriebene Flicht! Basta! Weil aber der Herr Inschbägder Hörn'ch die Mäldung, die hier nu emal in meene Agden leeder fählt, uff sein Tiensteet nähmen will, will 'ch Ihn keene weidren Schwärichgeiten machen. Aber Angst ham mer nich! Allemal!«

Und er stellte nach diesem Zwischenspiel Martin das ersehnte große Los aus.


»Dieser Hund ist der Erste, den ich hier um Brot und Lohn bringe, den ich von Haus und Hof jage!«

Mit diesen Worten umarmte und beglückwünschte Martin vor dem Schulhause seine »junge« Frau.


Nach einer Stunde erfolgte die Abreise des ungleichen Paares, während Eduard noch einige Tage auf dem Lande bleiben sollte, um sich von den Strapazen der letzten Wochen zu erholen.


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