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XVIII.

In diesen Tagen war ein Wunder geschehen, ein Zeichen des Himmels mußte sich an Martin erfüllt haben.

Er hatte die Approbation als Zahnarzt erhalten, hatte das Examen bestanden! Wie, wußte er zwar selbst sich nicht zu deuten.

Aber die Tatsache war nicht mehr wegzuleugnen, daß es Martin Weitbrecht sogar ohne erst einmal durchzufallen gelungen war, das erstrebte Ziel zu erklimmen. Nun begann ein Blähen, ein Spreizen!

Visitenkarten wurden bestellt, auf denen

»Dr. M. Sylvester Weitbrecht
Zahn-Arzt«

zu lesen stand, wobei er es als ganz besondere Abweichung von denen seiner Kollegen ansah, das Wort Zahnarzt in zwei Worte zu teilen, damit dem »Mob« auch die seinen neuen Beruf besonders charakterisierende zweite Silbe »Arzt« genau ersichtlich und geläufig würde.

Dann sollte es natürlich Eduards selbstverständliche Pflicht werden, ihm die zur Niederlassung notwendigen Barmittel vorzustrecken!

Und gebefroh gab Eduard.

Martin nahm. Nun war er wieder in seinem Element: Eine Wohnung in der Potsdamer Straße wurde gemietet und mit aller erdenklichen Eleganz ausgestattet. Tagelange Beratungen mit den Dekorateuren, dem Besitzer des größten Dentaldepots, der für die hygienische Installation des Operationszimmers sorgen sollte, und mit dem Möbelfabrikanten gingen der Niederlassung voraus, die dann in einem pomphaften Inserat in den Berliner Tageszeitungen dem ganzen Volke angekündigt wurde.

Die Patienten blieben trotzdem aus.

Seine Sprechstunde hätte Martin richtiger Schweigestunde nennen können.

Um für alle Fälle wenigstens »Sprechstunde markieren« zu lassen, bestellte er aus dem großen Kreise seiner sich immer weiter ausdehnenden Damenbekanntschaften die jungen Mädchen, bei deren Zahnbildung er jetzt kritischen Blickes oft schadhafte Zähne oder Lücken entdeckte, um die er sich vorher fast gar nicht gekümmert hatte.

Meist schloß sich dann an die »Behandlung« noch ein Kosestündchen. War das betreffende Mündchen von ihm sauber restauriert worden, so gut es seine ziemlich schwach entwickelten zahnärztlichen Fähigkeiten gestatteten, so ließ es sich Martin nicht nehmen, sich den Sold für seine güldene Bereicherung auch von dem goldbereicherten Munde wieder zu erküssen.

Da passierte es ihm einmal – als er gerade küssend sein Schäferstündchen feierte – daß ein Patient klingelte!

»Der« Patient kam!

Martin küßte zunächst ungestört weiter.

Um aber den im Wartezimmer Harrenden die nötige Illusion über seine ausgedehnte Praxis zu schaffen, klapperte er mit der einen Hand, mit der er rasch ein Bündel Instrumente ergriffen hatte, nun laut, wie es zu seinem Handwerk gehörte, während der freie Arm Liebchens Körper heiß umschlungen hielt.

Dann – – nach genossener Erholung, entließ er seine »Patientin«, öffnete, mit einem eleganten braunen Samtjackett angetan, die Tür und sprach voller Würde:

»Der nächste Herr, bitte sehr!«

Aber welche Enttäuschung überrieselte ihn?

Es war nur jener Buchhandlungsreisende, der seine Niederlassung in der Zeitung gelesen hatte und der dem ehemaligen Offiziersaspiranten und jetzigen Zahnarzt die Füllung der noch leeren Bücherschränke mit wissenschaftlicher wie auch schöngeistiger Literatur für geringe monatliche Ratenzahlungen in baldige Aussicht stellte.

Zuerst war Martin ein wenig verblüfft über die so plötzlich vor ihm stehende Erinnerung an seine große Zeit, an die Tage des hochfliegenden Hoffens und des sehnsüchtigen Ringens.

Dann aber – da sein »Manager« von ehedem mit guter Beredsamkeit gleich beim Begrüßungsschwall jede Verlegenheit bannte – ging er großmütig lächelnd auf die launigen Scherze über das unverhoffte Wiedersehen ein und bestellte dem findigen Agenten von allen ihm probeweise vorgelegten Büchern.

So legte Martin den Grundstock zu seiner Bibliothek.

Und leichter wurde ihm dies, als sich einen Grundstock zu einer Praxis – – zu einem Lebensunterhalt zu schaffen.

Da kam ihm das Glück, das ihn beim Spiel so beständig im Stich ließ, zu Hilfe.

Denn Martin empfand als neues Glück, was ihm jetzt winkte!

Während die geringen Zehrgelder, die ihm Eduard tageweise auszahlte, stets in dem neben seiner Wohnung gelegenen »Café Austria« im Poker zerrannen – denn hier brachte der Herr Doktor meist den Nachmittag zu, um – wenn wirklich auch ein Patient sich einmal auf sein Schild hin in sein Wartezimmer verirrte – telephonisch nach Hause gerufen zu werden und so bei seinen Caféhausbekannten mit der gutgehenden Praxis renommieren zu können, so verdiente er durch diese Praxis in Wahrheit nichts.

Und Eduard gab weiter und gab mehr. Martin sah ihn sehr selten, denn Eduard verbrachte seine Abende jetzt fast stetig bei Frau Luise, die ihn zwar schon sehr langweilte, die ihn aber nicht aus ihren Krallen ließ.

Eduard sträubte sich, ja er stieß sich Wunden in ihrem goldenen Käfig. Aber Luise war zäh und hielt ihn fest umklammert.


Als die Brüder in diesen Tagen einmal gemeinsam zu Mittag speisten, erzählte Eduard – er unterrichtete den kleinen Emil wohl schon ein halbes Jahr – dem Älteren beim Weine seine Liebschaft mit Luisen, ihren Anfang – – ihren Fortgang und beichtete ihm ganz offen seine Unlust zur weiteren Fortsetzung des ihn bedrückenden Verhältnisses.

Martin funkelte vor Gier! Dem glutspendenden Vilanyerweine gleich sprühte aus seinem Innern ein heißes Feuer auf und trat in seine kohlenden Augen!

»Die alte Ziege schaffst Du mir sofort 'ran, der muß ich die Schnauze verarzten! Und eine Rechnung soll sie bekommen, daß ihr Hören, Sehen und Beißen vergeht! Noch heute schaffst Du sie mir 'ran! Dann werde ich weiter sehen!«

So schieden die Brüder. Und was Eduard bisher geflissentlich vermieden hatte, er brachte am selbigen Abend das Gespräch auf seinen Bruder, den Zahnarzt.

Luise lenkte erst gleichgültig die Unterhaltung in ein anderes Geleise, kam aber sprunghaft wieder auf den Zahnarzt zurück, da Emil gestern öfters über Schmerzen im linken Backzahn geklagt hatte, der Hofzahnarzt, der sie selbst behandelte, ihr aber für den Knaben nicht der rechte Mann zu sein schien.


Am nächsten Morgen machten Mutter und Sohn, der vom Unterrichte dazu dispensiert worden war, beim Zahnarzt Weitbrecht ihren ersten Besuch.

Ihn sehen, ihn lieben war eins für Luise!!!

»Unsterblich verknallt bist Du!« gestand sie sich beim Weggang.

Und am folgenden Tage kam Frau Luise allein zur Behandlung.

Gegen Eduard wurde sie zu dessen großer Freude merklich kühler. Eduard lebte auf! Seit vierzehn Tagen ward er frei und freier!!!

Und eines Abends erlebte er eine Überraschung, wie sie das Leben ihm wohl größer und weittragender nicht hätte bieten können: Martin bat ihn, in zehn Tagen auf dem Standesamt sein Trauzeuge zu sein, da er sich mit Frau Luise Totzke verlobt habe!!!

Eduard wollte zuerst laut auflachen; dann wurde er nachdenklich, überlegte sich diese Wendung der Dinge, da Martin immer ernster auf seinem Plane bestand, und schrie heraus:

»Mensch, das ist ja männliche Prostitution! Das kannst Du doch nicht machen! Das ist ja schamlos! Das ist ja unmöglich!«

Martin aber erwiderte nur widerlich grinsend:

»Mensch, Du bist ja ganz und gar verrückt! Ich wer 'n Teufel tun! Soviel Asche aus den Klauen lassen! Ich heirate das Jeld! Basta!!«

»Aber Martin, die Frau ist ja mehr als zehn Jahre älter als Du! So etwas heiratet man doch nicht. Sie mag ja als Geliebte nicht zu verachten sein. Aber – – Du kannst sie doch nicht heiraten!??!«

»Gerade kann ich das! Erst recht tu ich's! Je älter, je lieber! Die Hauptsache sind die Moneten, mein Junge! Das verstehst Du nicht!«

»Nein, das versteh ich wirklich nicht, daß ein junger gesunder Mann von neunundzwanzig Jahren ein verblühtes Weib von über neununddreißig heiratet! Martin, bedenke das Ende!«

»Und ob ich das bedenke, mein Sohn. Motto: Erbschlich! – Erbe universal! – Ich lasse mich sofort adeln! Mit dem Wappenspruch: Erbe universal! Ich wer 'n Teufel tun, diesen Goldfuchs aus den Fingern lassen! Da kennst Du Martin Sylvester Weitbrecht schlecht.«

»Ich kenne ihn überhaupt nicht mehr!« erwiderte Eduard resigniert.

Dann aber begann Martin wieder auf ihn einzureden: »Daß Du keinem Menschen etwas über unser Geheimnis sagst! Bedenke, was auf dem Spiel steht. Millionen! Ich will sie schon ein bißchen rollen lassen, diese Millionen, meine Millionen! Ja, meine Millionen! Auch für Dich will ich alles tun, was ein Bruder für den anderen nur tun kann. Was in meiner Macht ist, soll geschehen, um Dich groß zu machen!«

Eduard dankte von vornherein für alles, was der Bruder ihm da versprach.

Nur eins antwortete er nach langer reiflicher Überlegung:

»Da ich sehe, daß Du von dem Gedanken dieser Heirat nicht abzubringen bist, gebe ich Dir einen Rat: Laß Dich in England trauen – –!«

»Na, so blau!« unterbrach ihn Martin. »Das ist in Deutschland vielleicht nicht gültig, und dann hab' ich bei der Erbschaft das Nachsehn. Nee, mein Junge, da hab' ich ganz was extra fein Ausgekochtes zuwege gebracht. Meine liebe Braut hat vom seligen Schwiegervater noch ein kleines Gut in Thüringen geerbt.« (Er sprach vom »Schwiegervater« – als hätte er ihn Jahre hindurch gekannt.) »Dort auf der Klitsche, – ›Rehberge‹ heißt sie, glaube ich – ist der Küster und Lehrer auch zugleich Herzoglich Sächsischer Standesbeamter. Den haben wir ins Vertrauen gezogen – und in acht Tagen geht dort die Chose in aller Ruhe vor sich. Man muß gescheit sein!«

Und er pfiff eine Possenmelodie vor sich hin.

Eduard schüttelte den Kopf.

»Was wird mit dem Kleinen?« fragte er nach einer Weile.

»Ist bereits im Kadettenhaus angemeldet. Nach Lichterfelde mit ihm! Da braucht er wenig zu lernen. Und wir sind ihn auf anständige Weise los! Du siehst, ich habe alles gedeichselt!«

Er zog seine Uhr aus der Tasche. Und Eduard sah einen neuen goldenen Chronometer vor sich, dem Martin durch einen Druck einen silberhellen Glockenschlag entlockte. Und weiter sah Eduard, wie Martin denn auch einen prachtvollen Brillantring aus der Westentasche zog und auf den kleinen Finger setzte.

Es waren Luisens Verlobungsgeschenke! Sie stammten vom seligen Totzke. Aber Martin wußte beides mit Eleganz zur Schau zu tragen.

»Mahlzeit!« sagte er dann, »es ist schon spät geworden,« er zählte die Schläge, – – »Donnerwetter, drei viertel drei! Ich muß zu meiner Braut! Mahlzeit!«

»Lebewohl!« Martin streckte dem Bruder die Hand zu. »Adieu,« sagte der. Und Martin ging.

Aber bald war er wieder da.

»Du, ich habe noch etwas vergessen! Ich brauche etwas Geld zum Repräsentieren! Pump mir auf vierzehn Tage noch zehntausend Mark – –! Ich kann mir doch vor meiner Braut unmöglich eine Blöße in pekuniärer Beziehung geben. Wie gesagt, auf vierzehn Tage – – zehntausend Mark! Eine Bagatelle – eine Lappalie für mich!«


Mit dem Scheck auf die verlangte Summe ging der Bräutigam zu seiner Braut …

Jetzt begann ein brausendes Leben für Eduard. Denn Martin, der ständig in Angst lebte, irgendeiner von der Totzkeschen Familie könnte ihm in seine abgefeimte Rechnung einen bösen Strich machen, hütete sein Geheimnis, hütete vor allem aber sein Opfer vor jeglicher Berührung mit aller Mitwelt.

Er stürzte Luisen in einen Strudel von Vergnügungen, damit sie während der noch von Amts wegen notwendigen Frist nicht etwa aufwache aus dem Traum der Weltvergessenheit.

Eduard mußte natürlich bei diesen Exkursionen stets der Dritte im Bunde sein und wurde beim Sekt auch stets gebührend als »Macher vons Janze« – wie Luise im Dialekt ihrer Väter sich ausdrückte – gefeiert.

Es war eine Jagd von Lust zu Lust. Besonders mußte das Theater herhalten, das Luise sehr liebte. Und von den Berliner Theatern war es eines, ein gerade gegründetes, deren ersten Besuch Eduard vorgeschlagen hatte, das Luise sehr liebgewann und in diesen Tagen mehrfach aufsuchte.

Es lag am Kurfürstendamm. Da, wo die Berliner Bautätigkeit noch nicht recht zur ganzen Entfaltung geschritten war, wo so viel Parzellen frei lagen, wo dem Kurfürstendamm noch der feste Zusammenschluß fehlte. Gleich hinter der noch ebensowenig zugebauten Uhlandstraße lag das von einer Malergenossenschaft erbaute Heim, just zwei Häuser von der Kreuzung entfernt. Hier hatte eine Frau im Saale dieses Künstlerhauses ein Theater errichtet, das sich »Figaro« nannte. Die Frau, eine Schauspielerin von Ruf, war der erste deutsche weibliche Spielleiter, und ganz Berlin beeilte sich, die von ihr in Szene gesetzten Stücke als Kuriositäten zu belachen.

Es waren kleine trefflich ausgewählte Einakter, die »Figaro« seinen Besuchern vorsetzte, gute, wirkungsvolle Arbeiten, die für den Geschmack der leitenden Künstlerin beredtes Zeugnis ablegten.

Martin und Luise amüsierten sich köstlich in dem reizend ausgestatteten Theaterchen, wo man nach dem »lever de rideau« ganz gemütlich sein Abendessen verspeisen konnte, ja, wo man auch einen guten Tropfen kredenzt erhielt, und das war ja ebenso Luisens wie Martins schwache Seite.

Aber auch Eduard kam sehr auf seine Kosten!

Das Spiel der Frau Direktorin, die zunächst in einem flotten Kulissenreißer »Die Kralle« eine Vampirnatur verkörperte, faszinierte Eduard geradezu. Ihre ganze Art, sich auf der Bühne zu geben und zu bewegen, ihr melodisches, mit einem feinen Schmelz belegtes Organ konnte ihn an manchen Stellen fast zum Wahnsinn reizen. Und immer wieder schlug er den Besuch des »Figaro« vor, weil er – wie er sich heimlich gestehen mußte – von den Augen der Frau mit hypnotischer Kraft hingezwungen wurde.

Dann gab es ein Stück nach Mark Twain. Aus dem Dollarlande hergeholt, führte es den smarten Titel »Der Chikagoer Landwirt«, und auch dies recht drastische Lachwirkungen erzielende Stückchen hatte für Eduard seinen ganz besonderen Reiz.

Dieser Reiz nannte sich »Claire Waldoff«.

So stand auf Figaros Theaterzettel!

War dieses freche Gamingesicht wirklich einer Frau ureigen?

Eduard wollte das erst gar nicht glauben!

Diese Claire Waldoff bestaunte er wie ein Wunder. Vor Eduards Augen spielte sich da oben im Bühnenrahmen eine rechte Zeitungsgroteske, wie sie sich wohl im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten öfters ereignen mochten, ab.

Und diese Claire Waldoff mimte einen Liftboy. Im Jungenanzug. Der »Chikagoer Landwirt« hieß eine Reklamezeitung, auf dessen Redaktionsbureau sich die Handlung vollzog. Der kleine Boy, der gewissermaßen die Triebkraft des ganzen Unternehmens ausmachte, wurde von diesem drolligen Bubenantlitz gespielt, das urkomisch, kraß und echt in allen seinen Verzerrungen anmutete. Jedes bizarre Wort, jeder groteske Schrei aus dem kecken Mundwerk nahm den Zuschauer mehr und mehr gefangen, so daß er nolens volens zum Beifall auf offener Szene gereizt, zum Applaus für sie gestachelt wurde. Eduard sah nochmals auf den Zettel, um sich zu überzeugen, ob diese kleine Schauspielerin, die mit ihrer Urkomik einen neuen Stil in Deutschland einbürgern zu wollen schien, auch wirklich ein Weib war!

Denn ihr Bengel schien so urecht; Eduard traute es einer Frau gar nicht zu, die Knabenhaftigkeit in allem und jedem bis ins Kleinste erfassen, ausarbeiten und nachschaffen zu können.

Aber der Zettel trog nicht. Es war, es blieb eine Frau! Nach Eduards Meinung steckte in dieser Dame eine von den ganz großen Künstlerinnen.

Wirklich! Sie war es! Hatte den Zug für das ganz Große schon in sich! Eckig in allen Stellungen, platt und scharf in den witzig gurgelnden Tönen, verursacht durch einen Radiergummi, den sie zum Gaudium der Zuschauer als Requisit ihrer Rolle vom Schreibtisch mit affenartiger Beweglichkeit in den Mund hineinspielte, sprang und hüpfte sie auf der Bühne umher und hatte die Lacher fortwährend auf ihrer Seite. Wie die ihrem Chef furchtlos die Zunge herausblökte oder ihm hinter seinem Rücken behend eine Nase drehte, belustigte Luisen am meisten, während Martin blasiert und gelangweilt dabeisaß und gähnte …

Am nächsten Abend gab der Figaro etwas ganz Besonderes: einen Scheerbart-Abend.

Ein literarisches Ereignis, das ganz Berlin auf die Beine brachte. Und auch Eduard war mit seinem Bruder und der neuen Schwägerin natürlich zur Stelle. In Paul Scheerbarts feiner Parodie »Herr Kammerdiener Kneetschke« erschuf die Waldoff etwas Neues: die Hauptrolle einer Prinzessin Käthi. Nach der Vorschrift des Dichters kreierte sie sogar in jener Zeit die damals ganz besonders kuriosen lila Perücken. Ihre vornehme, bei aller Komik stets bewährte Diskretion, mit der sie Scheerbarts satirische Leckerbissen dem Publikum darbrachte, enthielt auch das Geheimnis ihres starken Erfolges. Der Dichter wußte der Darstellerin beim Hervorruf seinen Dank, sie hatte seine scharfe Gesellschaftskritik, die ihre Rolle barg, wohl erfaßt und sich als hallendes Sprachrohr der Scheerbartschen Kapuzinerpredigt erwiesen! Was der Dichter mit stetem Hinweis auf sie beim Hervorruf wohl anerkannte!

Im zweiten Stückchen des Abends gestaltete sich der Auftritt eines kleinen Laufmädels, das nur zwei Trauringe abzugeben hat, mit dem sonnigen Mienenspiel der Waldoff wieder zu einer Kabinettszene ersten Ranges! Eduard war begeistert! Aber auch wer sie zum erstenmal sah, mußte schon von dieser Vielseitigkeit verblüfft werden, die eben noch einer Aristokratin der jungen Schule den gelungensten Ausdruck verliehen hatte, um eine halbe Stunde später ein Kind aus dem Volke mit dem Mund auf dem rechten Fleck auf die Bretter zu stellen.

Und Martin saß dabei und hörte, sah von all dem Schönen nichts.

Er träumte nur von seiner Zukunft, von seinem Geld, von seinen Absichten, von Plänen und Luftschlössern.

Und erst der rauschende Beifall, der aus dem Publikum zur Bühne strömte, weckte ihn aus seiner Lieblingsbeschäftigung.

Martin zahlte! Er zahlte immer und alles in diesen Tagen, und dann dachte er dabei nur an den morgenden Tag, dessen Abend die drei schon in Rehberge verleben sollten.

Denn dieser Abend war ein besonderer, war Martin und Luisens Polterabend! Und gierig sehnte er den kommenden Tag herbei und dann wieder den Übermorgen. Der brachte ihn endlich an ein Ziel, ein so sehnsüchtig erträumtes Ziel.

Geld! Asche! Geld! Machtvollkommenheit durch seinen Besitz.


Und eine Geldgier kroch in ihm empor, daß er sich schaudernd vor seinen eigenen Gedanken ans Herz faßte.

Eduard nahm von dem Paar vor dem »Figaro« einen raschen Abschied, da Martin seine Braut stets heimbrachte.

»Auf Morgen!« sagte er verbindlich.

»Auf Morgen!« tönte es lachend von Luisen und schneidend aus Martins Munde zurück.


Und Eduard wartete auf die Waldoff.


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