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XXIII.

Eine Laune Frau Paulas zwang Herrn Jacques van Fleethen, seiner Lustjacht einen neuen Kurs zu geben.

Frau Paula, die Eduard schon seit den letzten Tagen des Karlsbader Aufenthaltes wegen ihrer stets so sehr betonten vornehmen Abstammung mit der scherzhaften Anrede »Fürstin« auszeichnete, wünschte plötzlich eine recht lange Seereise zu genießen.

Da mußte also der Kapitän im Hafen von Stettin auf höheren Befehl die Anker der »Paula« wieder lichten, um sie im Binnenhafen der Trave bei der alten Hansastadt Lübeck abermals in die Wasserflut zu versenken.

Und hier trafen an einem schönen Sommertage um die Mittagszeit der Herr der Jacht nebst Frau und Tochter ein.

In ihrer Begleitung betrat auch Eduard, der die Familie bereits von Karlsbad über Berlin hierher betreut hatte, die Planken der schmucken Lustjacht, die er sich gar nicht so groß und geräumig gedacht hatte, wie sie da vor ihm lag.

Mit Staunen bewunderte Eduard, sofort von seinem Gastgeber recht stolz herumgeführt, erst den herrlichen Oberbau des Dampfers; sodann sah er im Kielraum eine mächtige Maschine arbeiten, besichtigte die geräumigen Salons, das Speise- und das Rauchzimmer, wie auch die vielen mit den allermodernsten Einrichtungen versehenen Schlafkabinen.

Außer dem Kapitän hatte sich Herr van Fleethen eine Schiffsbesatzung von dreiundzwanzig Seeleuten gechartert und verfügte so – wie ein Grandseigneur – über eine starke Bemannung und Leibwache.

Die »Fürstin« gab sich auch vom ersten Augenblicke an ihrem neuen Gaste wie eine echte Hausfrau und bemutterte ihn mit Sorgfalt.

Ob er auch bald etwas essen wolle, oder ob er sich noch bis zum gemeinsamen Mittagsmahl werde gedulden können, war ihre fürsorgende Frage.

Und Eduard dankte und bat, mit den Anderen warten zu dürfen.

Irene wieder wurde nicht müde, ihn ihrerseits auf das Achterdeck zu führen, wo sie ihm inzwischen im Sonnenbad einen besonders weichen Liegeplatz ausgesucht hatte.

Der Kapitän erbat, nachdem auch das Gepäck auf dem Dampfer verstaut worden war, vom Pater familias den Befehl zur Abfahrt, und bald darauf glitt das prachtvolle Schiff in langsamer Fahrt die Trave hinab.

Vom Lande grüßten Lübecks stolze alte Türme und Tore, fremder Menschen Taschentücher wehten munter wedelnd auf, und auch Irene, die leicht an Eduard gelehnt an der Reeling stand, wimpelte mit ihrem weißen Fähnlein den zurückbleibenden Städtern einen lachenden Abschiedsgruß zu.

Flußabwärts schnitt das stolze Schiff in voller Ruhe durch das Wasser an üppig-grünen Wiesen und tannigen Wäldern vorbei.

Jetzt sichtete man schon die malerisch hingezauberten Fischerdörfer Gotmund und Schlutup, und schon passierte die »Paula« das liebliche Seebad Travemünde.

Wieder grüßten frohe sorglose Menschen, wieder wirbelte der Nordwind ihre weißen weichen Wimpel, und an dem mächtigen lübischen Leuchtturm, an der meilenlangen Mole vorbei steuerte die »Paula« in das offene Meer hinaus.

Die blaue Wasserflut umschmeichelte liebevoll und schaumgekrönt den auf Nordostkurs gesetzten Körper der »Paula«, und lange noch blickten Eduard und Irene auf den steilen Strand der holsteinischen und mecklenburgischen Küste zurück.

Als der Barstorfer Leuchtturm gesichtet ward, rief die Fürstin die beiden zu Tisch, was unmittelbar darauf auch die Schiffsglocke noch einmal in recht beharrlichem Geläute tat.

Auch Jacques van Fleethen hatte seinen äußeren Menschen schon wieder ein wenig in Form gebracht, und bald saß die Familie gemütlich am Tisch, wo sich der Kapitän und zwei Seeoffiziere zu ihnen gesellten.

Eine gute Stunde wohl tafelte man auf der »Paula«. Die Küche und der Keller der Lustjacht hatten das Beste und Frischeste an auserlesenen Gaumengenüssen der Saison dargeboten.

Und mit Recht führte Frau Paula das große Wort bei Tisch, um es Eduard auch klar zu machen, wie sehr schwer es sei, den Proviant für eine so lange Zeit erst zusammenzubringen und dann wieder ihn stets frisch zu erhalten.

Die ausgezeichnete Beköstigung – außer wirklichen Delikatessen in kalter Anrichtung bot man auch noch einen Fischgang, Geflügel, sowie Rinder- und Hammelbraten, dazu als Nachtisch eingemachtes und frisches Obst – legte das beredteste und beste Zeugnis für die Stichhaltigkeit ihrer Behauptung ab.

Nach endlicher Erledigung dieses langen, reichhaltigen Diners stand man auf und begab sich nach oben.

Der Mokka wurde hier auf Deck serviert, und Jacques van Fleethen fühlte sich jetzt erst ganz in seinem Element. Hier als Herr über das Schiff lebte er auf, und sein Redestrom floß in stetem Schwellen dahin.

Man ruhte in bequemen Liegestühlen lang ausgestreckt und schlürfte den schwarzbraunen Trank mit köstlichem Behagen, das durch eine leichte, aber dabei auch gute holländische Zigarre, eine Spezialmarke des Jachtbesitzers, noch erheblich gesteigert wurde.

Die Fürstin schmauchte ihre russische Papyrossa, und auch Irene hatte sich eine Zigarette angezündet und blies feine blaue Rauchwolken in die frische weite Seeluft. Ohne daß irgendein Versuch der schelmischen Wellen glückte, den breiten Dampfer in seiner ruhigen Vorwärtsbewegung zu stören, legte die »Paula« ihren Weg in voller Gleichmäßigkeit zurück. Nicht das leiseste Schaukeln des Schiffes reizte auch nur etwa einen der Seefahrer nach ihrer opulenten Mahlzeit zum Denken an die auf hoher See überall sonst gefürchtete Seekrankheit.

Nichts von alledem! Man sah in die endlose Wasserwüste und verplauderte mit dem Blick auf den Horizont den Nachmittag.

Der Abend kam langsam über das Meer.

Und auch der wich wieder weiter vor einer wunderhellen Nacht.

Ein lichter silbriger Mondschein fiel auf die schwedische Südspitze Skane mit ihrem buchengekrönten Kreidefelsen, und durch die sichtige Luft blinkten und blitzten plötzlich die Leuchtfeuer von Falsterbo auf.

Starke Abendbrise strich nun über das Deck.

Irene hüllte sich etwas fröstelnd in ein warmes Plaid, das Eduard vorsichtig über ihren Körper gedeckt hatte, der vor ihm in dem Segeltuchstuhle wie hingegossen lag.

Ein gleiches tat sorgsam auch Herr Jacques van Fleethen bei seiner Gattin.

Aber beide Herren hätten sich diesen Ritterdienst wohl ersparen können, denn schon leuchtet der belebte Hafen der dänischen Hauptstadt im hellen Flimmerglanz vor ihrem Blick auf.

Um das Seefort Trekoner herum fuhr die »Paula« schnell beim häßlichen Freihafen vorbei und legte kurz vor Mitternacht an der eisernen Landungsbrücke an.

»Kopenhagen!« rief recht lebhaft der Päppe, auch Eduard hatte sich schließlich dazu bequemt, den Alten schon langsam für den Beruf des zukünftigen Schwiegervaters zu erwärmen, indem er ihn vorläufig aus Ulk auch so – wie Irene – ansprach, was beiden sicher riesigen Spaß machte.

In dem alten Herrn schien zudem die Kurzeit in Karlsbad einen heillosen Hang zum Vergnügen aufgespeichert zu haben.

Zwar rieb sich Frau Paula schon ganz wenig die ermüdeten Augen und gähnte ab und zu.

Aber Irene und auch Eduard fühlten sich eher gestärkt von der langen Seefahrt und freuten sich darauf, wieder etwas festen Boden unter den Füßen zu spüren.

Und Irenen stimmte, jetzt heftig gestikulierend, der Alte zu.

Er wollte vom Schlafengehen nichts wissen, und trotzdem die Hafenstadt schon in tiefem Dunkel lag, gelang ihm das Kunststück, sofort nach der Landung einen Wagen zu ergattern, der ihn mit seinen Damen und Eduard auf schnellstem Wege ins Tivoli bringen sollte.


Das Tivoli, auf einem alten Festungsgelände von Carstensen um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erbaut, mußte nach dem Ausspruch des Alten eines der elegantesten Etablissements der Welt sein.

»Eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, wie sie nicht zweimal auf der Erde existiert,« meinte er, um Frau Paulas ärgerliche Einwürfe, daß sie zur Nachtzeit solche Extratouren keineswegs für angebracht halte, zu beschwichtigen.

»Solche weltstädtische Schöpfung muß man gesehen haben. Ja, Herr Weitbrecht, das gibt es auch in Berlin noch nicht! Da können Sie als Baufachmann noch etwas dazu lernen!« scherzte er, während der Wagen, der lange durch die dunklen stillen Straßen Kopenhagens gerollt war, jetzt in eine breite Allee einbog und bald darauf vor einem der in strahlender Helle beleuchteten großen Portale hielt.

Der Kassierer hatte seinen Schalter schon geschlossen und seine Abrechnung bereits fertiggemacht.

Sichtlich verwundert reichte er darum dem ungewöhnlich späten Gast die noch verlangten vier Einlaßkarten heraus.

Und nun streiften sie durch einen meilenweiten Park, der von vielen Lichtern erhellt und dem Vergnügen in jeglicher Gestalt geweiht war.

Kapellen aller Nationen wetteiferten laut und leise um den Beifall der ringsum sitzenden Menschenmassen und tönten ineinander über für diejenigen, welche auf den breiten Promenaden schon zum Heimgang unterwegs waren.

Jacques van Fleethen setzte sich mit seiner Familie, wozu sich ja Eduard auch bereits rechnete, in einer von blühenden Fliedersträuchern umwachsenen Laube nieder, die mystisch von einem Lampion beleuchtet wurde, und bestellte bei der vom anstrengenden Tagesdienst schon recht ermattet dreinblickenden Kellnerin eine Flasche Champagner; »aber recht kalt« kommandierte er als Nachruf.

Unwillig nippte Frau Paula an dem flugs herbeigebrachten und von ihrem Gatten höchstpersönlich in die Kelche gefüllten Wein.

Sie ärgerte sich heute abend.

Sie ärgerte sich erstens über ihre Tochter Irene, die mit Eduard ganz lustig anstieß und dann das volle Glas sogar mit einem Zuge herunterspülte.

Sie ärgerte sich weiterhin über ihren Mann, daß auch er dem edlen Nasse reichlich zusprach, und sie ärgerte sich überhaupt über seine dreiste Zumutung, ihm ihre längst ersehnte Nachtruhe in diesem für sie gar nicht geschaffenen Lokal opfern zu müssen.

Nur über Eduard allein schien sie sich nicht zu ärgern. Seine stets zur Schau getragene Ruhe, seine immer beachtete vornehme Besonnenheit imponierten ihr.

Und das versöhnte sie einigermaßen mit der Zwangslage, in die sie ihr Gatte gebracht hatte.

Als sie plötzlich aber wahrnahm, daß – sie traute ihren Augen erst nicht – der Herr Gemahl verstohlen der wunderbar gewachsenen aschblonden Kellnerin verliebte Blicke zuwarf, die auch gar von den bergseeblauen Augen der schönen Dänin erwidert wurden, da riß der Faden ihrer mit großer Mühe so lange bezwungenen Geduld jäh entzwei.

Und Eduard sah die wohlerzogene Dame das erstemal in einen Wutanfall ausbrechen, hörte sie – wie eine Hökerfrau – keifen. Es gab eine intime, ihm schrecklich peinliche Familienszene:

»Sofort brechen wir auf. Das ist mir denn doch zu arg!«

»Aber Paula, wer wird denn gleich so bös sein!« sprach er in der Weinlaune.

»Öde mich nicht noch an! Hinter meinem Rücken kannst Du meinetwegen machen, was Du willst. Aber hier vor meinem Kinde und besonders in Gegenwart eines Gastes dulde ich solche Sachen nicht!«

Sie schrie ihm laut ins Gesicht und setzte noch ein energisches »Basta« dazu.

Damit goß sie den Inhalt sämtlicher Gläser, soweit ein solcher noch darin vorhanden war, auf den neben der Laube liegenden Rasenplatz, wo gleich darauf auch die noch halbvolle Flasche eine letzte Ruhestatt fand.

Eduard versuchte, sie etwas zu beruhigen.

»Aber Fürstin! Es ist doch nur ein schlechter Scherz Ihres Herrn Gemahls! Es ist doch harmlos, Fürstin!«

»Ich schätze nur gute Scherze, Herr Weitbrecht,« gab sie schnippisch zurück und schickte sich an, das Lokal zu verlassen.

Die gemütliche Nachtstimmung war so endgültig gestört. Mit einem ihrer Silberblicke zwang sie den Gatten, ihr zu folgen.

Irene und Eduard schlossen sich schweigend an.

So fuhr man traurig zum Hafen zurück, wo die »Paula« vor Anker lag.

Inzwischen war es schon sehr spät geworden.

Klar und deutlich hörte Eduard drei dröhnende Schläge einer Turmuhr, als sich Familie van Fleethen gedrückt von ihm trennte und jeder unter Deck seine Kabine aufsuchte.


Plätschernd klatschten die kleinen Wellen an das verankerte Schiff, was in Eduards direkt an der Seitenplanke liegendem Schlafraum ganz deutlich zu hören war.

»Klitsch – – – klatsch – – – klitsch – – – klatsch« – – – schlugen sie wie das fortlaufende Ticken einer Uhr in stetem Rhythmus an die Schiffswand.

Eduard streifte, sich behaglich dehnend und streckend, seine Kleider von dem ermüdeten Leib, hüpfte behend auf sein neues, ihm noch recht ungewohntes Lager, schlug die frische weiße Bettdecke zurück und schlüpfte ins Bett.

Aber einschlafen konnte er trotz der großen, schweren Ermattung, die seinen Körper jetzt bleiern befiel, doch nicht.

Mit dem Körper wollte der Geist nicht mithalten. Und sein heute besonders reger Geist rastete nicht so schnell!

Zu Irene wanderten seine Gedanken wieder. Die Erlebnisse des verflossenen Tages durchlebte er noch einmal.

Und schon wollte ihr süßes Traumbild ihn endlich lächelnd einlullen und in festen Schlaf wiegen, da schreckte ihn das monotone Geräusch des Wassers wieder in die wache Wirklichkeit zurück.

»Klitsch – – – klatsch – – – klitsch – – – klatsch« – – – kräuselten sich die Wellen und scheuchten damit den schon halb erhaschten Schlummer von seiner Stirn.

»Was fragt die Natur nach Deinen Bedürfnissen?« dachte er, erhob sich rasch und schloß – nur um irgend etwas zu tun – das noch offenstehende Rundfenster in der Hoffnung, nun endlich den ersehnten Schlaf finden zu können.

Und siehe da, es half wirklich; er hörte die Wellen jetzt immer leiser werden und dann lautlos verklingen:

»Klitsch – – – klatsch – – – klitsch – – – klatsch.«

Es klang wie eine ferne Musik. Dazwischen hörte er noch Irenes Stimme.

Sie sang ihm sein süßestes Wiegenlied und summte ihn sachte in einen festen Seemannschlaf.

Und im Traum umfing ihn die Geliebte.

Selig schlang auch er seinen Arm um ihren weißen Hals und fühlte ihre roten Lippen heiß auf den seinen ruhen.

Und heiß und innig verweilten sie.

Aber was war das?!?

Trieben die Wellen mit ihm einen Spuk, ein Zauberspiel?

»Klitsch – – – klatsch – – – klitsch – – – klatsch« – – – hörte er sie plötzlich wieder lauter lärmen.

»Klitsch – – – klatsch – – – klitsch – – – klatsch.«

War er im Traum oder wachte er wirklich.

Eduard fuhr plötzlich auf.

Auf seinen Lippen brannte noch glutvoll Irenes Mund! Und er fühlte noch immer ihren wilden sinnbetörenden Kuß.

Er streckte seine Hand nach ihr aus.

Nun wußte er's! – Er träumte nicht mehr. Sie saß wirklich bei ihm am Bett!

Er ließ seine vor Aufregung fiebernden Hände um ihren Leib irren und dann ihren weichen Hals heiß und sehnsüchtig umschlingen. Mit unzähligen Küssen bedeckte er ihren Mund, ihre Wangen, ihre Augen!

Sein Glücksempfinden wurde übermenschlich, floß ins Zeitlose über!

Heimlich war sie, nur mit einem seidenen Kimono bekleidet, in seine kleine Kabine gekommen, nur um bei ihm zu sein, ihn küssen zu können und ihn mit ihrer jungfräulichen Liebe zu umfluten.

Kindhaft lachte ihr Mund durch das Dunkel.

Dann aber beschlich ihn eine ihm fremde Angst um sie.

Für sie fürchtete er plötzlich.

Und er stritt um sie mit sich!

Es war einer der stärksten Seelenkämpfe, die er durchlitt.

»Aber Irene,« entrang es sich ihm nach diesem Schweigen endlich, »weißt Du denn, was Du tust? Du begibst Dich ja mit solchem Gange in die schrecklichste Gefahr! Wenn nur irgendwer auf dem Schiff Dich gesehen – Dich verfolgt hat?! Um Himmels willen, Irene! Das ist leichtfertig, Du spielst mit Dir selbst im höchsten Grade! Mich durchzittert es für Deine – für unsere Zukunft!!!«

Aber sie war für solche Kassandrarufe nicht zu haben.

»Ich mußte Dir das Opfer bringen!« warf sie wieder ein und lastete ihm damit zunächst die Verantwortung für ihren nächtlichen Besuch auf: Dann drückte sie ihn kraftvoll in die Kissen zurück. Er fühlte, wie ihr junger Mädchenleib fröstelte.

»Ich will mein Leben genießen! Komm laß mich zu Dir! Mich friert!« begehrte sie auf.

Und mit einem Satze sprang er aus dem Bette, um es ihr einzuräumen. Er deckte sie sorgsam zu, und dann setzte er sich zu ihr auf den Bettrand. Da wurde sie böse und schmollte erst, wie es ihre Art war.

»Mich friert noch immer!« schrie sie ihn dann hysterisch laut an, daß er schon fürchtete, man würde ihr Geschrei draußen gehört haben.

Er öffnete leise die Tür und lauschte besorgt hinaus.

Aber nichts rührte sich auf dem Schiffe.

»So komm doch und wärme mich mit Deinem Leibe!« schrie sie weiter.

Eduard verlor fast seine Selbstbeherrschung.

»Irene? Was denkst Du nur von mir? Du spielst ja wie ein Kind mit dem Feuer?«

»Ach, sprich keinen solchen Unsinn! Komm und küß mich endlich! Sonst werde ich noch wild!!« rief sie ihm drohend zu.

In glühend heißem Sinnesrausch wußte er sich kaum mehr zu bezähmen.

Keuchend atmete er, und hoch bis zur Kehle fühlte er seinen Herzschlag pulsen und klopfen.

»So komm doch endlich! Sonst lärme ich! – Im übrigen habe ich absolut keine Angst! Ich will ein bißchen bei Dir sein, mich zu Dir schmiegen! Weiter nichts! Nein! Nein! Aber auch gar nichts! Was ist da denn auch weiter Schlimmes bei?« berlinerte sie und beruhigte ihn lachend:

»Komm, küß mich! Mehr als meinen Mund will und werde ich Dir nicht gewähren! Nein! Vor der letzten Konsequenz schrecke ich doch noch zurück! Dazu hab ich mich eben selbst zu lieb! Also brauchst Du keine Angst um mich zu haben! Kannst sogar ganz ruhig sein, lieb Vaterland! Und nun mach! Die Zeit vergeht! Ich muß ja bald wieder zurück, sonst merkt's die ›Fürstin‹! Die ist schon sowieso eifersüchtig!«

Wie Peitschenhiebe sausten diese Worte auf ihn herab. Und Eduard empfand seine Erniedrigung. Ein Lustbringer, ein Spielzeug war er ihr! Sie wollte sich an ihm ergötzen, von ihm erschauern machen lassen. Und hatte er seiner Pflicht für sie genügt, dann konnte er sich mit sich allein auseinandersetzen!

Wut und Ekel erfaßten ihn!

Am liebsten wollte er sie an den lüsternen Armen packen, sie wie ein Tier aus dem Bette reißen, ihren geilen Körper zur Tür schleifen und sie wortlos auf den Laufgang herausstoßen.

Aber seine wilde Begierde nach diesem Weibe war stärker als sein verletzter Stolz! Sie bezwang seine Wut, zwang ihn selbst schließlich an ihre Seite!

Und bald zwang sie ihn auch, sie heiß zu umarmen, die sich ihm schrankenlos hingab, willenlos küssen ließ.

Sein Stolz aber zwang ihn, vor jenem Größten, Heiligsten zurückzuschrecken, vor der Entfaltung der letzten starken Machtfülle seiner Mannbarkeit, sie ganz niederzuringen und ihren Leib, den sie ihm nun einmal anbot, auch voll in seinen Besitz zu bringen!

Wohl riet ein rasendes Rachegefühl ihm immer wieder zu solchem Schlage gegen sie. Sie sollte ihm büßen für ihre krasse Eigenliebe, für ihre selbstsüchtige Zumutung, die ihn niederwarf.

Aber dann sprach sein Stolz: Laß sie nur sich an deinem Feuer wärmen. Das schändet doch nur sie! Deiner Liebe ist sie aber unwert geworden! Sie ist von jetzt ab unwürdig, von Dir je wieder beseligt zu werden!

Mit feinem Instinkt schien Irene wahrzunehmen, was da in ihm vorging.

Sie witterte wohl den Feind in seiner Seele, sie unterschätzte jedoch dabei auch den Gegenpol seines Körpers für ihre augenblicklichen Gefühle nicht.

Und sie fühlte seine ihr widerstrebende Seele, fühlte deren Empörung wider ihre Sinne und Wünsche.

Und so haßte auch sie ihn, wie er sie haßte!

»Komm, küß mich,« zischte sie ihn zornig an.

»Du!« kam es kochend aus seinem Halse.

Und seine Hand holte zu einem Schlage gegen sie aus.

Aber schon hing sie auch wieder schlaff herab.

Und dann umfaßte jeder von beiden den feindlichen Leib des verhaßten Geliebten.

Und sie erstickten einander fast mit ihrer brennenden Wollust, mit der sich die küssenden Körper ersehnten und mit der die sich hassenden Hirne auseinanderdrängten, zerrten und stießen.

Ein wilder Wechsel wurde in ihnen lebend. Es durchrieselte sie bald wie die Ebbe und bald wie die Flut.

So verbrachten sie eng aneinandergepreßt ihre erste Sommernacht auf stiller See in einer grenzenlosen Gemeinsamkeit.


Vollkommen unbefangen trat ihm Irene am nächsten Morgen beim Frühstück entgegen und schüttelte ihm in gewohnter Freundlichkeit die Hand.

Auch die Eltern schienen sich über Nacht von ihrem kleinen Ehezwist erholt zu haben, und in vollster Harmonie beschloß man nach einem trefflichen Imbiß wieder an Land zu gehen.

Der Päppe, als weltgewandter Globetrotter, kannte sich in der Handelsstadt nur zu gut aus und führte seine Familie heute am hellen Tage durch die Hauptstraßen Kopenhagens spazieren.

Eifrig zeigte er den Seinen die ihm wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Residenz.

Da für eine genaue tiefgehende Besichtigung des berühmten Museums, das Thorwaldsen seinen Landsleuten erschaffen und geschenkt hat, genügende Zeit nicht vorhanden war, bat Eduard von einem nur oberflächlichen hastigen Durchschreiten, wie das Herr van Fleethen plante, sich ausschließen zu dürfen.

»Eine solche Stätte ist mir zu ernst und zu heilig, als daß ich sie mit ein paar belanglosen Blicken abtun könnte. Der stille Gottesdienst, den ich an diesem Wallfahrtsort verrichten müßte, würde mich wenigstens drei Tage für jeden der einzelnen Säle festhalten!« begründete Eduard seine Bitte.

So gaben auch Mutter und Tochter den Besuch auf, da der Alte Eduard darauf lachend antwortete:

»Was denken Sie? In drei Tagen fahren wir schon von Stockholm durch den Kanal nach Jonköping!

Dann schenken wir uns nur getrost Herrn Thorwaldsen und vertauschen ihn mit einer Rundfahrt durch den Tiergarten! Ich war schon zweimal im Museum. Es ist genau das gleiche wie alle anderen Museen! Ebenso langweilig! Lauter weiße Weiber – – – aber – – aus Marmor oder Gips! Haha! Ich liebe im Weibe nur das Leben!«

So saßen sie bald wieder in einem Wagen und fuhren im Schuckeltrab durch den herrlich grünenden Tiergarten.

Recht lange zog sie der Schimmel so durch die Sommerpracht!

Bei dem eben neueröffneten Freilichttheater ließ van Fleethen den Wagen das erstemal halten.

»Es ist das einzige europäische Naturtheater!« So machte er die Seinen auf die genau in der Mitte zwischen Klampenborg und Kopenhagen belegene Sommerbühne aufmerksam.

»Kommt! Sehen wir uns einmal alles an!« Auf seinen Wunsch stieg man aus.

Das Theater hatte, wie der Droschkenkutscher in radebrechendem Deutsch erzählte, der sogenannten Wolfsschlucht (Ulvedale) seine Entstehung und seinen Platz zu verdanken, da sich hier die Natur zur Errichtung eines solchen Musentempels besonders gut eignete.

Da am Vormittag nicht gespielt wurde (die Aufführungen begannen erst um sechs Uhr nachmittags), ließen sie sich vom Pförtner herumführen.

Der Hintergrund der breitangelegten Bühne verlief unter den hohen Baumkronen. Dekorationen waren hier überhaupt nicht in die Landschaft gestellt; der Bühnenleiter schien also an die Phantasie seines Publikums recht starke Ansprüche zu stellen!

Fast viertausend Sitzplätze, von denen nur die ersten beiden Reihen reserviert, die andern jedoch, zu einem geringen Einheitspreise abgegeben wurden, erhoben sich in leichtem Aufstieg vor dieser größten Bühne Dänemarks.

Die am Eingang klebenden Plakate besagten, daß hier augenblicklich Ludwig Holbergs lustige Komödien, die Eduard meist gut aus der Lektüre kannte, den Spielplan beherrschten.

Für Frau Paula und Irene war das Betreten dieses Bühnenbodens etwas Neues, Interessantes, und unwillig folgten sie dem Päppe, der fortwährend zur Weiterfahrt drängte.

Er wollte den Seinen den malerisch gelegenen Badeort der Dänen nicht vorenthalten: Klampenborg, das idyllische Seebad Kopenhagens.


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