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XX.

Nicht lange hielt es Eduard auf seines Bruders Landsitz.

Nach Ablauf seines Urlaubs verließ er vielmehr das schöne Rehberge, um wieder nach Berlin zu übersiedeln.

Eine zarte Hoffnung zog ihn nach der Reichshauptstadt zurück, ließ ihm keine rechte Ruhe finden in seinem ländlichen Idyll.

Er hatte nämlich der niedlichen Schauspielerin vom »Figaro«, die ihn entzückt und entflammt hatte, unter Angabe seiner Berliner Adresse geschrieben, ihr all die Empfindungen geschildert, die ihn für sie ergriffen hatten.

Aber zu Haus angelangt, sah er zu seinem Bedauern, daß er ohne Antwort geblieben war! Das ernüchterte ihn sehr und ließ das noch für die kleine Waldoff glimmende Strohfeuer endgültig verkohlen!

Nicht einmal einer Antwort schien er ihr wert!

Das stimmte ihn hart gegen sie!

Statt dessen kamen von den Hochzeitsreisenden einige Ansichtskarten aus Tirol.

Martin schwelgte in Seligkeit. Eine Karte, die Martins ganzen Lebensgehalt zur Genüge offenbarte, ließ sich Eduard nicht mehr aus dem Kopfe gehen. Er las sie wieder und wieder.

Martin schien dort in Meran zum Dichter geworden zu sein. Er schrieb dem Bruder:

»Ich sonne mich in der Sonne!
Ich bade als Ehemann
Mich täglich neu in der Wonne,
Daß alles durch Asche man kann!
Tyrann, du geliebte Asche,
Ich halte nur noch zu dir!
Dir mache ich meine rasche
Und tiefe Verbeugung hier:
Die Schlafmützen lasse ich schnarchen!
Ich kenne nur einen Held,
Den ehernen kalten Monarchen:
Das Geld! Das Geld! Das Geld!

Dieser für Martins neue Lebensauffassung ganz charakteristische poetische Erguß sollte für sehr lange Zeit das letzte handschriftliche Lebenszeichen sein, das Eduard von seinem großen Bruder erhielt.

Denn kaum hatte er sich bei seinem direkten Vorgesetzten, dem ganz griesgrämigen Geheimen Baurat Dr. Tümpel, dessen Abteilung er zur weiteren Ausbildung gerade zugeteilt war, vom Urlaub aus Rehberge zurückgemeldet, als ihn ein Telegramm nach Karlsbad rief, wo – wie er wohl wußte – ein Sproß der Königsberger Verwandten, der einzige noch lebende Vetter seiner frühverstorbenen Mutter alljährlich Heilung von einem garstigen Leberleiden und auch Befreiung von neben diesem noch hier und da recht unangenehm auftretenden Gallensteinen suchte – – aber diesmal scheinbar nicht mehr finden konnte.

Herrn Aloys Mettschieß, seines Zeichens Tuchfabrikant, Mühlenbesitzer und Ackerbürger in einer Person, hatte Martin stets unter der ihm sehr sympathischen Rubrik »kinderloser Erbonkel« eingeordnet und ihm wohl wenigstens schon hundertmal das nach seiner Ansicht viel zu lang währende Leben verwünscht, verhext und verflucht.

Doch Onkel Aloys hatte Martin den hitzig ersehnten Gefallen noch lange nicht tun wollen, hatte ihn zwar in den letzten Jahren wohl schon oft genarrt, indem er beide Brüder aus ihrem fröhlichen Studentenleben von Berlin an sein Krankenbett nach Ostpreußen rufen ließ. – – Aber immer wieder war Martin von der zähen Natur des alten Müllers kraß enttäuscht worden. Alle auf der langen Strecke während der schier endlosen Eisenbahnfahrt von Martin erbauten schönen Luftschlösser stürzte eine unbeugsame Lebenslust, eine unbesiegbare Lebenskraft des beharrlichen Alten wieder in das graue Nichts.

Unverrichteter Sache mußte man wieder heimreisen. Eduard gönnte dem Onkel stets diese Auferstehung aus Todesnöten. Denn er hatte ihn gern.

Und Martin hatte nur weiter feurige Kohlen auf dem Haupte des »niederträchtigen Nimmersattes«, wie er ihn dann stets nannte, in Gestalt von häßlichen Flüchen, die er ihm brünstig betend anhing, versammelt.

Wirkungslos aber verhallten diese, ohne des Alten Lebensabend endgültig zu verkürzen.

Das Telegramm des Badearztes war an Martins Adresse gerichtet und kündigte ganz eindeutig die unmittelbar bevorstehende baldige Auflösung des greisen Patienten an.

»Diese Ironie des Schicksals!« dachte Eduard, als er die Unglücksdepesche geöffnet und gelesen hatte.

»Jetzt, wo er aus allen Nöten heraus ist, stirbt der Onkel wirklich!« Und dann ging er aufs Postamt, um auch Martin eilends zu benachrichtigen, von dort aufs Bauamt, um den erforderlichen neuen Urlaub nachzusuchen.

Geheimrat Tümpel rümpfte die Nase, schob den goldnen Kneifer auf ihre äußerste Spitze, um das ihm vorgelegte Telegramm zu lesen und es auf seine Echtheit zu prüfen. Dann runzelte er seine wenig hohe Stirn zu argen Falten und hielt Eduard einen langen Vortrag:

»Mein lieber Herr Bauführer! Wenn Sie so weiter arbeiten wollen, dann weiß ich wirklich nicht, wie Sie Ihr Examen einmal zu bestehen in der Lage sein werden! Ich kann Ihnen da unmöglich« – er steckte die Hände in die Hosentaschen – »ja eigentlich unmöglich schon wieder Urlaub geben. Eben haben Sie vierzehn Tage versäumt, und jetzt kommen Sie mir wieder mit solchen Dummheiten! Ja Dummheiten. Zu mir wird auch niemand ans Krankenbett kommen! Geben Sie diese Reise nur ruhig auf! Der königliche Beamte hat vor allem seinen Dienst zu erfüllen. Wo sollten wir bleiben, wenn alle Ihre Kollegen solche Sentiments – jawohl solche Sentiments – – lächerlich – ja, ja – haben würden! –« Und seine breit ausgespreizten dicken kleinen Hände fuchtelten zuletzt mit ihren Wiener Wursteln recht ähnlichen Fingern Eduard fast ins Gesicht.

»Herr Geheimrat! Ich kann ja doch nichts dafür. Es ist unser einziger Verwandter, der da im Sterben liegt, und mein Bruder, der mich vertreten könnte, ist zurzeit in Meran! Ich muß aus diesem Grunde also fahren und bitte nochmals um Genehmigung des Urlaubs!« erlaubte sich Eduard einzuwerfen.

»Ach papperlapp – ich kann Ihnen keinen Urlaub mehr bewilligen. Gehen Sie meinetwegen herüber zum Herrn Präsidenten, vielleicht kann der's! Auf meine Kappe nehm' ich's jedenfalls nicht! Ich rate Ihnen ab! Wer aber nicht hören will, wird fühlen müssen!«

Damit war Eduard entlassen. Er ging traurig über diesen Konflikt nach Haus, setzte ein schriftliches Gesuch auf und begab sich wieder zurück aufs Bauamt in das Anmeldezimmer des Präsidenten. Nach zwei Stunden bangen Wartens wurde er endlich vorgelassen und erhielt sofort den erbetenen Urlaub anstandslos bewilligt. Froh eilte er durch die Straßen zurück. Als er wieder sein Heim betrat, erreichte ihn gerade der Telegraphenbote mit Martins lakonischem Telegramm:

 

»Beerdigung unbedingt wahrnehmen. Sofort genaues Nachlaßinventar aufnehmen lassen. Alles mit Argusaugen überwachen! Verwandten mein Ausbleiben entschuldigen.

Martin.«

 

Nach Verlauf weniger Stunden bestieg Eduard am Anhalter Bahnhof den überfüllten D-Zug nach Karlsbad.

Mit Mühe gelang es ihm, noch einen Fensterplatz in einem Nichtraucherabteil zu erhaschen, wo außer ihm schon drei Personen – zwei Damen und ein Herr – eingestiegen waren.

Eduard grüßte höflich und machte es sich nach Möglichkeit bequem. Sein Gruß wurde von allen Insassen erwiedert, und der Herr begann gemütlich mit ihm zu plaudern.

»Sie sind doch ganz gesund – keine Korpulenz, keine Spur von Zucker! Sie fahren auch wohl nur bis Dresden! Was?«

Eduard sah in ein scheinbar gutmütiges, intelligentes Gesicht. Zwei kluge Augen blickten ihn freundlich lächelnd an. Die zweifellos den Semiten kennzeichnende lange krumme Nase mit dem buschigen braunen Schnurrbart darunter verunzierte das Gesicht des Fragenden in keiner Weise. Eduard störte nur die etwas zu geckenhafte Eleganz seines Anzuges.

»Ich fahre doch nach Karlsbad – –! Ich habe einen kranken Onkel in der Kurstadt zu besuchen!« gab Eduard nach seinen Betrachtungen zur Antwort.

»So, also doch nach Karlsbad! Also werden Sie auch bei Pupp absteigen?«

»Mein Onkel wohnt in Pupps Hotel –, ich kenne die böhmischen Bäder gar nicht.«

»Also, es gibt überhaupt nur einen Pupp! Sie machen sich gar keine Vorstellung, was in so einem Weltbad wie Karlsbad der Name ›Pupp‹ bedeutet. Da muß jeder anständige Mensch wohnen, der nach Karlsbad kommt.«

Das ausländische Idiom in der sonst ganz fließend deutschen Aussprache seines Reisebekannten ließ Eduard einen Russen vermuten.

»Sie werden gewiß schon dort gewesen sein! Und werden sich auskennen,« meinte er verbindlich.

»Sind Sie auch Berliner?« fragte dann etwas indiskret das Gegenüber.

»Ja, was man so Berliner nennt! Ich wohne seit einigen Jahren in Charlottenburg, wo ich Dienst tue.«

»Ach so, Sie sind Beamter. Ich wohne auch in Charlottenburg – am Kurfürstendamm. Mein Name ist van Fleethen. Ich bin Holländer, aber seit einem Jahr zog ich von Amsterdam nach Berlin. Mein Geschäft aber ist noch dort in Amsterdam! Das ist überall! Ich habe Filialen in jeder Hafenstadt. Ich habe Vertretungen in allen größeren Hauptstädten der Welt.«

»Mein Name ist Weitbrecht,« stellte sich Eduard jetzt vor, und Herr van Fleethen lüftete den Hut, wobei Eduards geschärftem Auge eine täuschend echt gemachte und vorzüglich sitzende Perücke auf seinem Kopfe doch nicht entgehen konnte.

»Meine Frau, meine Tochter!« Herr van Fleethen wies auf die zwei neben ihm sitzenden Damen, die Eduard eher für Schwestern als für Mutter und Tochter gehalten hätte.

Die noch so jugendlich anmutende Mutter nahm Eduard prüfend auf ihre Goldlorgnette, hinter deren runden Gläsern zwei stahlgraue Augen glitzerten. Eine ab und zu in einem dieser Augen auftretende Abweichung von der Blickrichtung störte Eduard kaum, weil ihnen dadurch nichts von ihrem Glanze genommen wurde.

Bei näherer Betrachtung der Damen machte er auch die Wahrnehmung, daß die Mutter ein Blender war, daß sie nur durch raffinierteste Toilettenkünste sich diese zweite Jugend erschminkt hatte, und unwillkürlich wurde er an seine Schwägerin Luise erinnert. Nur daß diese Frau van Fleethen ungleich eleganter gekleidet war, daß ein prachtvoller, üppig schwarzer Haarknoten ihren sympathischen Zügen eine stolze Krönung verlieh. Ihre kleine nach unten fein gebogene Nase gab auch ihr das Merkmal der Rassejüdin.

Eduard verneigte sich jetzt auch vor beiden Damen. Bei der Mutter mochte er die Prüfung endlich bestanden haben, denn ihr sonst streng gebieterisches Auge schweifte zuletzt recht wohlmeinend über sein Gesicht, von da über seine Hände und weiter über seine ganze Figur.

Die Tochter, deren Betrachtung Eduard sich inzwischen widmete, konnte höchstens achtzehn Jahre alt sein. Alles in allem mußte man sie schön nennen, wenn auch Eduard viel an ihr auszusetzen hatte.

Ein Mittelding zwischen Vater und Mutter, war sie an Wuchs dem Vater gleich.

Von der Mutter mochte sie die bei ihr noch natürlichen gesunden Farben ererbt haben –, die ja in ihrer Frische das vergängliche Erbteil ihrer Jugend bedeuteten. Die für ein Mädchen etwas plumpe Fesselung verdankte sie zweifellos dem starken Knochenbau ihres Erzeugers, wie ja auch ihre Haarfarbe »braun« vom Vater stammte, nur daß sich das Haar bei der Tochter in krause Wellen rollte, während das äußerst gut gelungene Werk des fixen Haarkünstlers bei Vaters Toupet es in feiner Glätte »wiedererweckt« hatte. Aber der krause Schnurrbart des Alten wurde zum Verräter!

Die Augen des jungen Mädchens glichen denen der Mutter, nur blickten sie gutmütiger in die Welt, wenn auch sie hier und da mit einer starken Neigung zum Schielen zu kämpfen hatte.

»Meine Frau ist Russin,« nahm van Fleethen die etwas ins Stocken geratene Unterhaltung wieder auf. »Ich habe sie mir vom Schwarzen Meer geholt, wo ihr Vater lebte.«

Ein strenger Blick aus den harten Stahlaugen traf den geschwätzigen Gatten.

»Das wird den Herrn gar nicht interessieren, Jacques! Du langweilst ihn und uns.«

»Aber im Gegenteil, gnädige Frau!« widersprach Eduard konziliant. – – – »Warum soll mich das nicht interessieren?«

»Siehst Du,« fiel Herr van Fleethen ihm da gleich ins Wort, »Du willst immer alle Leute allein beherrschen, Paula, aber es will Dir nicht immer gelingen! Sehen Sie, Herr Weitbrecht,« fuhr er fort, »wir sind international! Das Kind spricht sechs lebende Sprachen, und erst ihr Klavierspiel! Das ist ja überhaupt vollendet virtuos! – Sie hat Unterricht bei den größten Künstlern Berlins!! Zwanzig Mark kostet mich die Stunde! Nu scheen, was soll man machen. Für die Kinder tut man alles. Mein Vater hat mir das nicht angedeihen lassen können. Der war bloß ein ganz gemeiner Lumpensammler in Amsterdam.«

Hier fuhren Mutter und Tochter schamvoll errötend zusammen. Die Mutter schleuderte wütende Zornesblitze zum Gatten, der sich aber nicht dadurch beirren ließ.

»Aber ich habe in Deutschland das Getreidegeschäft erlernt. Schon mit zwanzig Jahren war ich fertig und hab mir von da ab meinen ganzen Lebensunterhalt verdient und dabei noch gespart! Drei Jahre später hab ich mein Geschäft begründet, mein Geschäft!«

Die Augen des Mannes leuchteten, wie er das so vor sich hinsprach, und ruhten fragend auf Eduard, was er wohl für einen Eindruck von ihm empfangen haben mochte.

»Aber Päppe,« fiel das junge Mädchen hier mit nasalem Timbre ein – sie sprach das »Papa« holländisch aus – und ihre roten Lippen lachten, »Du wirst doch hier nicht unsere ganze Chronik auftischen wollen.«

»Schweig, Irene!« antwortete der Alte. »Kinder reden nur, wenn sie gefragt sind! – Was sind Sie eigentlich für 'n Beamter?« fragte er dann Eduard unvermittelt.

»Ich bin Regierungsbauführer!«

»Was ist das für 'ne Karriere,« fragte Herr van Fleethen interessiert weiter.

»Sie werden einmal Baurat?« meinte Frau Paula, sichtlich befriedigt, es ihm endlich gegeben zu haben.

»Wenn das Glück mir hold ist, vielleicht! Aber erst muß ich noch ein Examen machen,« sagte Eduard.

»Ja, so ein Studium stelle ich mir sehr schwierig vor! Mein Vater hatte auch studiert. Er war Prediger, und in unserem Hause war alles nur aufs Geistige gestimmt!«

»Das war ein großer Mann, mein Schwiegervater! 'ne Persönlichkeit. Sogar geadelt hat ihn der Kaiser von Rußland, und ein Denkmal haben sie ihm gesetzt,« erzählte der Gatte weiter, während Frau Paula ihn jetzt ausnahmsweise mit einem ihrer freundlichen Blicke bedachte. Denn wenn von ihrem Vater die Rede war, wurde sie weich. Da konnte diese sonst sehr kalte Frau sogar noch echte Tränen finden.

Und auch jetzt stahlen sich zwei Perlen aus ihren Augen und rollten über ihr Gesicht.

Eduard, der Frauen ungern weinen sah, nahm aus diesem Grunde die Gelegenheit wahr, sich mit der Ausrede, gewohnheitsgemäß seinen Kaffee trinken zu müssen, nach dem Speisewagen zurückzuziehen.

Irenes Augen folgten ihm wehmütig, dabei aber fordernd und reizend. Erst fühlte er ihren Blick, dann sah er ihn auch, als er sich schon im Laufgang des D-Zuges auf dem Wege zum Speisewagen befand.


Der Zug flog rasend durch das Sächsische Erzgebirge.

Dresden hatte man längst passiert, war bei Bodenbach über die Elbe gejagt und näherte sich schon dem böhmischen Königreiche.

Die Landschaft stob an Eduards Blicken vorbei. – – – Er sah sie nicht. Ihn hatte etwas im Tone der holländisch-russischen Jüdin gestört. Und dieses Etwas zwang ihn, an sie zu denken. Zwang ihn fortwährend, ohne daß er sich's erklären konnte. Das Mädchen war für seine Begriffe keineswegs etwa schön!

»Ja im einzelnen nicht,« stritt er mit sich. »Aber das Ganze! Ja das Ganze in der Komposition« – er dachte als Architekt – »war interessant, war schön an sich, war begehrenswert.«

Und dabei dachte er nochmals an den kurzen Blick, den sie ihm nachgesandt hatte, als er so plötzlich das gemeinsame Abteil verließ, um sich hierher zurückzuziehen.

»Ah! Bah! Weg mit solchen widersinnigen Gedanken. Was ging Dich, Eduard Weitbrecht, diese junge Jüdin an?«

»Strohfeuer, wie bei der Waldoff!« Damit wollte er jenes aufkeimende Nagen verscheuchen, das er am Herzen fühlte und das – wie er sich doch immer wieder gestehen mußte – von Irene van Fleethens letztem Blick verursacht war.

Er verglich ihre etwas plumpe Figur mit der so zierlichen, biegsam-zarten Claire Waldoff.

Und für einen Moment schwand Irene aus seinem Denken! Ihren Platz nahm sofort die rothaarige Schauspielerin ein, mit ihren kecken Grimassen und ihren lustigen Augen, mit ihren schlanken Füßchen.

Aber dann tröstete er sich: »Die Waldoff hast Du nicht einmal sprechen können! Sie hat Dir Deinen Brief nicht beantwortet! Diese hier aber hat Dir etwas gegeben. Und wenn es auch nur ein Blick war. Es bleibt eine Gabe!«

Unter solchen Gedanken für und wider stieg Irene van Fleethen endlich sieghaft in eine feste Beziehung zu Eduard.

Draußen begann es ein wenig dunkler zu werden. Und ein rascher Blick auf seine Uhr sagte ihm, daß sie in zehn Minuten in Karlsbad eintreffen mußten. Er ging, um sein Handgepäck zu holen, in das Abteil zurück.

Herr van Fleethen lachte ihn an.

»Jetzt ist's aber Zeit! Um sechs Uhr fünfunddreißig sind wir da. Wollen Sie mit uns ins Hotel fahren? Ich nehme einen Fiaker!«

Eduard dankte bestimmt und höflich. Er wollte gehen – – – nach der langen Bahnfahrt sich etwas Bewegung machen.

»Karlsbad! Alles aussteigen!« scholl es laut in böhmischem Dialekt an sein Ohr.

Der Zug stand.

Und mit einer förmlichen Verbeugung vor seinen Reisegefährten verabschiedete sich Eduard.

»Auf Wiedersehn! Am Mühlbrunnen!« rief ihm Jacques van Fleethen zu, und sein Mund lachte breit, so daß sich Eduard eine Reihe großer Schneidezähne zeigte, die denen eines Pferdes nicht unähnlich waren.


Vor dem Bahnhof sah er die ganze Familie im schnellen Fiakertempo an sich vorbeirollen.

Herr van Fleethen winkte ihm mit der Hand zu.

Frau Paula grüßte wohlgeneigt.

Irene aber sandte ihm wieder den kurzen Gruß ihrer grauen Augen.


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