Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band V
Unbekannte Autoren

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweihundertunderste Nacht.

Nachdem sie den ersten Tag über bis zum Abend geritten waren, stiegen sie ab, aßen und tranken, fütterten ihre Tiere und ruhten eine Weile aus. Dann stiegen sie wieder in den Sattel und ritten ununterbrochen drei Tage lang, bis sie am vierten Tage ein weites Gelände mit einem Wald erblickten und dort Halt machten. Hier nahm nun Marsawân das Kamel und ein Pferd, schlachtete beide, zerschnitt ihr Fleisch in Stücke und putzte ihre Knochen blank. Dann nahm er Kamar es-Samâns Hemd und Hosen, schnitt sie entzwei und besudelte sie mit dem Blut des Pferdes. Ebenso nahm er Kamar es-Samâns Oberkleid, riß es in Fetzen und warf dieselben, nachdem er sie gleichfalls mit Blut besudelt hatte, an die Stelle, wo der Weg sich teilte. Alsdann aßen und tranken sie und ritten weiter. Von Kamar es-Samân befragt, weshalb er alles das gethan hätte, antwortete ihm Marsawân: »Wisse, wenn du von deinem Vater, dem König Schahrimân, eine Nacht fortgeblieben und zur andern Nacht nicht wieder heimgekehrt bist, wird er aufsitzen und unserer Spur folgen, bis er zu dem Blut kommt, das ich dort am Wege vergossen habe. Sieht er dann dein Zeug zerrissen und mit Blutspuren, so wird er glauben, daß dir etwas von den Wegelagerern oder einem wilden Tier der Steppe widerfahren ist, und wird, alle Hoffnung dich wiederzufinden aufgebend, nach der Stadt zurückkehren, so daß wir durch diese List unsere Absicht erreichen.« Kamar es-Samân antwortete ihm: »Du hast ausgezeichnet gehandelt.« Alsdann ritten sie Tage und Nächte, während Kamar es-Samâns Auge von Thränen überquoll, bis ihn die Botschaft von der Nähe des Landes der Herrin Budûr erfreute, und er die Verse sprach:

»Wirst du hart sein zu einem Liebenden, der nimmer deiner vergaß?
Und wirst du dich ihm versagen, nachdem du seiner begehrtest?
Verwirkt sei deine Huld, wenn ich dich in der Liebe betrog,
Und verstoßen sei ich zur Strafe, wenn je ich log!
Keine Sünde beging ich, die Härte verdiente,
Und hab ich gefehlt, so komm ich nun reuig zu dir.
Zu den Wundern der Lage gehört dein Fliehen vor mir,
Doch die Tage zeigen uns Wunder auf Wunder genug.«

Als Kamar es-Samân seine Verse gesprochen hatte, erschienen die Inseln des Königs El-Ghajûr vor ihm, so daß er sich nun mächtig freute und Marsawân für alles, was er an ihm gethan hatte, dankte.

Zweihundertundzweite Nacht.

Nachdem beide die Stadt betreten hatten, kehrte Marsawân mit Kamar es-Samân in einen Chân ein, woselbst sie sich drei Tage von der Reise ausruhten. Hernach führte er Kamar es-Samân ins Warmbad, kleidete ihn in Kaufmannstracht und besorgte ihm ein geomantisches Brett aus Gold, eine Reihe von Werkzeugen und ein goldenes Astrolabium. Dann sagte er zu ihm: »Mach dich nun auf, mein Herr, stell dich unter das Schloß des Königs und rufe: Ich bin der Rechenmeister, der Schreiber, der Sterndeuter, wo verlangt man nach mir? Wenn dich der König hört, so wird er dich holen und zu seiner Tochter, deiner Geliebten, führen lassen, die bei deinem Anblick von ihrer Verrücktheit geheilt werden wird. Aus Freude über ihre Genesung wird dich dann ihr Vater mit ihr verheiraten und wird das Reich mit dir teilen, da er sich selber diese Bedingung gestellt hat.«

Kamar es-Samân nahm Marsawâns Rat an, verließ den Chân in seiner Kaufmannstracht, stellte sich mit seinen obenerwähnten Apparaten unter das Schloß des Königs El-Ghajûr und rief: »Ich bin der Schreiber, der Rechenmeister, der Sterndeuter, ich schreibe Ehekontrakte, verfertige Amulette, stelle Berechnungen an und löse Fragen durch Magie; wo verlangt man nach mir?« Als ihn nun das Geomantie der Stadt hörte, das seit langer Zeit weder einen Rechenmeister noch Sterndeuter gesehen hatte, stellte es sich um ihn und betrachtete ihn. Wie die Leute ihn aber in seiner Schönheit und strahlenden Jugend erblickten, riefen sie ihm zu: »Um Gott, mein Herr, thue dir dieses nicht an, in deinem Ehrgeiz die Tochter des Königs El-Ghajûr zu gewinnen; sieh doch nur die Köpfe, die dort aufgepflanzt sind. Alle Besitzer derselben wurden aus demselben Grunde geköpft, und ihr Ehrgeiz schuf ihnen das Verderben.« Kamar es-Samân kehrte sich jedoch nicht an ihre Worte sondern erhob seine Stimme und rief von neuem: »Ich bin ein Schreiber, ein Rechenmeister, ich erfülle jedem, der mich fragt, sein Begehren.«

Zweihundertunddritte Nacht.

Als er trotz erneuerter Bitten und Warnungen sich nicht an ihre Worte kehrte, sondern seine Stimme zum drittenmal erhob und rief: »Ich bin der Schreiber und Rechenmeister, ich erfülle jedem, der mich fragt, sein Begehren,« erzürnten sich alle wider ihn und sagten: »Du bist weiter nichts als ein obstinater dummer Fant, erbarme dich doch deiner Jugend und Unerwachsenheit und deiner Schönheit und Anmut.« Doch Kamar es-Samân erhob zum viertenmal seine Stimme und rief: »Ich bin der Sterndeuter, der Rechenmeister, ist jemand, der nach mir verlangt?«

Während die Leute nun, wie oben erzählt, Kamar es-Samân sein Unterfangen verboten, vernahm der König El-Ghajûr mit einem Male das Rufen und den Lärm der Menge, so daß er zu seinem Wesir sagte: »Geh hinunter und bringe mir den Sterndeuter her.« Da ging der Wesir hinunter und holte Kamar es-Samân. Als derselbe bei dem König eintrat, küßte er die Erde vor ihm und sprach die beiden Verse:

»Acht ruhmvolle Eigenschaften hast du in dir vereint,
Und ewig diene die Zeit dir mit diesen Gaben:
Dein festes Wissen ist's, deine Frömmigkeit, dein Ruhm, und die Freigebigkeit,
Deiner Rede Wort und Sinn, deine Macht und der Sieg.«

Wie nun der König El-Ghajûr ihn angeblickt hatte, forderte er ihn auf an seiner Seite Platz zu nehmen und sprach zu ihm: »Mein Sohn, um Gott, mach dich nicht zum Sterndeuter und geh nicht auf meine Bedingung ein, denn ich habe mich verpflichtet, jeden, der meine Tochter aufsucht und sie nicht von ihrer Krankheit zu heilen vermag, köpfen zu lassen, doch ihn mit ihr zu vermählen, wenn er sie gesund macht. Laß dich nicht durch deine Schönheit und Anmut, deinen Wuchs und dein Ebenmaß verführen, denn, bei Gott, bei Gott, heilst du sie nicht, so wirst du geköpft.« Kamar es-Samân erwiderte ihm jedoch: »Ich nehme diese Bedingung von dir an.« Da ließ der König El-Ghaûjr die Kadis zu Zeugen wider ihn rufen und übergab ihn dem Eunuchen mit den Worten: »Führe ihn zur Herrin Budûr.« Der Eunuch faßte ihn bei der Hand und schritt mit ihm durch den Flur, wobei Kamar es-Samân ihm vorauslief, so daß der Eunuch zu ihm sagte: »Weh dir, eile doch nicht in dein Verderben; bei Gott, du bist der erste Sterndeuter, den ich in sein Verderben rennen sehe, doch weißt du nicht, welches Unheil dir bevorsteht.« Kamar es-Samân wendete jedoch sein Antlitz von dem Eunuchen ab und sprach die Verse:

Zweihundertundvierte Nacht.

»All deiner Schönheit Reize sind mir bekannt,
Bethört und verwirrt versagen die Worte mir;
Heiß' ich dich Sonne, so weiß ich, die Sonne muß untergehn,
Doch strahlt deine Schönheit mir ewig ins Angesicht.
Vollkommen bist du, und deine Reize kann niemand beschreiben,
Kein Beredter vermag's, und verwirrt steht jeder, der reden will.«

Als ihn dann der Eunuch hinter den Vorhang, welcher die Thür zum Gemach der Herrin Budûr verhüllte, stellte, fragte ihn Kamar es-Samân: »Was ist dir lieber: daß ich deine Herrin von hier aus behandle und gesund mache oder daß ich zu ihr eintrete und sie hinter dem Vorhang behandle?« Verwundert über seine Worte, antwortete der Eunuch: »Wenn du sie von hier aus gesund machst, so würde das noch ein größeres Verdienst sein.« Infolgedessen setzte sich Kamar es-Samân hinter den Vorhang, langte Tinte und Kalam hervor und schrieb folgende Worte auf ein Blatt Papier: Wen Härte bedrückt hat, der kann nur durch Gewährung geheilt werden, elend aber ist, wer am Leben verzweifelt und seinen sichern Tod erwartet, dessen bekümmertes Herz weder Beistand noch Hilfe findet, des schlaflosem Auge niemand hilft, dessen Tag in Flammen und dessen Nacht in Foltersqualen vergeht, dessen Leib von Magerkeit verzehrt ist, und zu dem kein Bote von dem geliebten Wesen kommt.

Dann schrieb er folgende Verse:

Ich schreibe dir mit einem Herzen, das nur an dich denkt,
Mit Lidern, die wund sind von ihren Thränen,
Und mit einem Leib, den brennende Sehnsucht und Trauer
Mit dem Hemd der Magerkeit kleidet und mit Verachtung.
Ich klag' dir das Elend, das mir die Liebe schuf,
Und wie die Geduld keine Stätte mehr bei mir findet.
So sei denn gütig, barmherzig und huldvoll,
Denn siehe, mein Herz bricht vor Liebesweh.

Unter die Verse schrieb er dann folgende Zeilen in Reimprosa: Der Herzen Genesung bringt allein die Vereinigung der Liebenden zuwege, und nur Gott ist der Arzt eines Liebenden, der hart von dem geliebten Wesen behandelt wird. Ist einer von uns beiden treulos gewesen, so erreiche er nicht seinen Wunsch, denn nichts ist entzückender als ein treuliebendes Herz, mag auch das geliebte Wesen grausam sein.

Als Unterschrift schrieb er dann: Von dem Liebestollen, dem Leidgeplagten, dem Verliebten und Niedergeschlagenen, der von Sehnsucht und Verlangen gequält wird und in den Banden der Leidenschaft und Liebestollheit liegt, von Kamar es-Samân, dem Sohne des Schahrimân, an das Unikum der Zeit und die Perle aller schönen Huris, an die Herrin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr: Wisse, ich wache des Nachts und bin ratlos am Tage, ich werde immer magerer und kränker, und meine Liebe und Sehnsucht wächst. Meiner Seufzer sind viel und meine Thränen fließen reichlich; ich liege in den Banden der Liebe und sterbe vor Verlangen. Der Sehnsucht Schuldner bin ich und Genosse der Krankheit; ich bin der Schlaflose, dessen Auge nicht schläft, der Gefesselte, dessen Thränen nicht versiegen, dessen Feuer im Herzen nicht erlischt und dessen Sehnsuchtsflamme nicht erstickt.

Dann schrieb er noch auf den Rand des Briefes diesen reizenden Vers:

Aus den Schätzen der Huld meines Herrn den Frieden
Auf sie, die mein Herz und mein Leben besitzt.

Und ferner die Verse:

Schenkt mir ein Wort von euerm Geplauder
Und erbarmet euch mein und kühlet mein Herz.
Mein Verlangen nach euch und mein heißes Begehren
Läßt mich verachten, was mich verächtlich gemacht.
Gott schütze ein Volk, das so fern von mir wohnte,
Und dessen Geheimnis ich überall barg.
Nun zeigte die Zeit in ihrer Güte sich hold
Und warf mich in den Staub der Schwelle der Geliebten.
Im Bette sah ich Budûr mir zur Seite,
Und der Mond meines Glücks erstrahlte in ihrer Sonne.

Nachdem dann Kamar es-Samân den Brief versiegelt hatte, schrieb er folgende Verse als Überschrift:

Frag meinen Brief nach der Schrift meines Kalams,
Und die Züge werden dir künden meine Leidenschaft und mein Leid.
Meine Hand schreibt, während des Auges Thränen fließen,
Und meine Sehnsucht klagt dem Papier meine Krankheit;
Meine Thränen hören nicht auf, das Papier zu benetzen,
Und hörten sie auf, ich ließe mein Blut ihnen folgen.

Endlich schrieb er noch den Vers:

Ich schicke dir deinen Ring, den ich einst vertauschte,
Als wir beisammen waren, und du schicke mir meinen Ring.

Hierauf legte er den Ring der Herrin Budûr in den Brief und gab ihn dem Eunuchen.

Zweihundertundfünfte Nacht.

Der Eunuch nahm ihn und begab sich mit ihm zur Herrin Budûr, welche ihn vom Eunuchen in Empfang nahm und ihn öffnete. Als sie nun aber ihren eigenen Siegelring darin fand und den Brief las und den Sinn desselben begriff, erkannte sie, das Kamar es-Samân ihr Geliebter war, und daß er hinter dem Vorhang stand. Da flog ihr Verstand vor Freude fort, ihre Brust dehnte sich weit und froh, und im Übermaß ihrer Seligkeit sprach sie die Verse:

»Immer bereut' ich die bittere Trennung
Und Thränen strömten von meinen Lidern.
Ich gelobte, wenn wieder die Zeit uns vereinte,
Nie sollte das Wort »Trennung« mehr über meine Lippen kommen.
Nun hat mich die Freude so plötzlich ergriffen,
Daß ich im Übermaß meines Glückes weinen muß.
Ach, mein Auge, so vertraut bist du mit den Thränen geworden,
Daß du vor Freude und Kummer zerfließest.«

Als die Herrin Budûr diese Verse gesprochen hatte, erhob sie sich sogleich, stemmte ihre Füße an die Mauer und lehnte sich mit aller Kraft gegen die eiserne Nackenfessel, daß sie von ihrem Halse sprang und samt der Kette zerriß. Dann eilte sie zum Vorhang heraus, stürzte sich auf Kamar es-Samân, küßte ihn auf seinen Mund wie eine atzende Taube, umarmte ihn in ihrem übermächtigen Verlangen und sagte zu ihm: »Ach, mein Herr, bin ich wach oder träume ich nur? Hat Gott uns in seiner Güte wirklich wieder vereinigt?« Darauf pries sie Gott und dankte ihm für die Vereinigung mit ihrem Geliebten, nachdem sie schon daran verzweifelt hatte. Als aber der Eunuch alles dies von ihr sah, eilte er zum König El-Ghajûr, küßte die Erde vor ihm und sagte zu ihm: »Mein Gebieter, wisse, dies ist der klügste von allen Sterndeutern; er heilte deine Tochter vom Vorhang aus, ohne zu ihr hineinzugehen.« Als der König dies vernahm, fragte er den Eunuchen: »Ist diese Botschaft wahr?« und der Eunuch entgegnete: »Mein Herr, steh auf und sieh dir an, wie sie die eisernen Ketten gesprengt hat und zum Sterndeuter hinausgekommen ist und ihn küßt und umarmt.« Infolgedessen erhob sich der König El-Ghajûr und trat bei seiner Tochter ein, die sich bei seinem Anblick vor ihm erhob und ihr Haupt verhüllte.

Erfreut, sie genesen zu sehen, küßte sie der König zwischen die Augen, da er sie innig liebte, und fragte Kamar es-Samân mit huldreichen Worten nach seinen Verhältnissen und seinem Heimatslande, worauf Kamar es-Samân ihm über seine Person Mitteilungen machte und ihm erzählte, daß sein Vater der König Schahrimân wäre; dann trug er ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende vor und berichtete ihm, was ihm mit der Herrin Budûr zugestoßen war, und wie er ihren Siegelring ihr vom Finger gezogen und mit dem seinigen vertauscht hätte. Verwundert hierüber, sagte der König El-Ghajûr: »Fürwahr, eure Geschichte muß gebucht und nach euch von Geschlecht zu Geschlecht gelesen werden.« Alsdann ließ der König El-Ghajûr unverzüglich die Richter und Zeugen holen, schrieb den Ehebrief seiner Tochter, der Herrin Budûr, lautend auf Kamar es-Samân, und gab Befehl, die Stadt sieben Tage lang festlich zu schmücken. Hierauf wurden die Tische und Speisen aufgetragen, die Stadt wurde geschmückt, alle Truppen legten Gala an, die Freudenbotschaft wurde verkündet und Kamar es-Samân suchte die Herrin Budûr auf und freute sich über ihre Genesung und seine Verheiratung mit ihr, während das Volk Gott pries, der ihrem Herzen Liebe zu einem hübschen und jungen Prinzen eingeflößt hatte. Hernach entschleierten sie ihm die Braut, und beide glichen einander in ihrer Schönheit und Anmut, ihrer Eleganz und Grazie. Nachdem Kamar es-Samân dann die Nacht bei ihr geruht hatte, veranstaltete der König am andern Tage ein Fest, zu welchem er alle Bewohner der innern und äußern Inseln lud, und ließ ihnen einen ganzen Monat lang die Tische vorsetzen. Nach Verlauf dieser Zeit aber gedachte Kamar es-Samân seines Vaters und hörte ihn im Traume sprechen: »Ach, handelst du so gegen mich?«, so daß er am Morgen betrübt über den Tadel seines Vaters aufwachte und seiner Gemahlin seinen Traum mitteilte.

Zweihundertundsechste Nacht.

Da begab sie sich mit ihm zu ihrem Vater, und beide teilten ihm den Traum mit, indem sie ihn zugleich zur Abreise um Erlaubnis baten. Als der König nun Kamar es-Samân die Erlaubnis gewährte, sprach die Herrin Budûr zu ihm: »Mein Vater, ich kann mich nicht von ihm trennen,« und der König antwortete ihr: »Reise mit ihm,« und erlaubte ihr, ein volles Jahr bei ihm zu verweilen, um dann nach Ablauf des Jahres ihn alljährlich einmal zu besuchen. Beide küßten hierauf dem König die Hände, und der König El-Ghajûr machte sich nun daran, seine Tochter und ihren Gemahl auszurüsten, indem er ihnen die Reiseausstattung besorgte, die Pferde und Dromedare und eine Sänfte für seine Tochter hervorholen ließ, die Maultiere und Dromedare bepackte und alles andere für die Reise erforderliche herbeischaffte. Am Tag der Abreise nahm dann der König El-Ghajûr von Kamar es-Samân Abschied, legte ihm ein kostbares goldenes, mit Juwelen besetztes Ehrenkleid an, schenkte ihm eine Chasne Gold und empfahl ihm seine Tochter Budûr. Nachdem er ihnen dann noch bis zum Ende der Inseln das Geleit gegeben hatte, nahm er noch einmal von Kamar es-Samân Abschied und begab sich zu seiner Tochter Budûr in die Sänfte, wo er unter Umarmungen und Thränen die beiden Verse sprach:

»Die du nach der Trennung verlangst, gedulde dich,
Ist doch des Liebenden Speise die Umarmung.
Verzieh', denn der Stempel der Zeit ist Verrat,
Und das Ende von allem Beisammensein die Trennung.«

Alsdann verließ er seine Tochter, suchte noch einmal Kamar es-Samân auf, und verließ beide, nachdem er Kamar es-Samân mehrfach umarmt und geküßt hatte, um wieder seinen Truppen den Aufbruch zu befehlen und mit ihnen nach seinen Inseln zurückzukehren, während Kamar es-Samân und seine Gemahlin, die Herrin Budûr, mit ihrem Gefolge den ersten, zweiten, dritten und vierten Tag und so weiter einen vollen Monat reisten, bis sie auf einer weiten, grasreichen Wiese Halt machten, die Zelte aufschlugen, aßen, tranken und sich ausruhten. Während nun die Herrin Budûr schlief, trat Kamar es-Samân bei ihr ein und fand sie in einem seidenen, aprikosenfarbenen und durchscheinenden Hemd und mit einem goldenen, mit Edelsteinen besetzten Kopftuch schlafen, so daß sein Verlangen und seine Liebestollheit wuchs. Wie er nun aber seine Hand an ihr Hosenband legte und es zog und löste, sah er an demselben einen Stein, rot wie Drachenblut, festgebunden, in welchen zwei Reihen von Wörtern in einer nicht zu entziffernden Schrift eingegraben waren. Verwundert über diesen Stein, sprach Kamar es-Samân bei sich: »Hätte dieser Stein nicht einen ganz besonderen Wert für sie, würde sie ihn nicht so sorgfältig an ihr Hosenband gebunden und versteckt haben, um ihn nicht zu verlieren. Was mag sie wohl mit ihm thun, und welche geheime Kraft mag in ihm stecken?« Hierauf nahm er ihn und verließ das Zelt, um ihn bei Licht zu beschauen.

Zweihundertundsiebente Nacht.

Wie er den Stein aber draußen betrachtete, stieß mit einem Mal ein Vogel aus der Luft nach ihm, schnappte ihn aus seiner Hand und ließ sich, nachdem er eine größere Strecke geflogen war, zur Erde nieder. Kamar es-Samân, der für den Stein fürchtete, lief dem Vogel nach, aber der Vogel flatterte mit derselben Schnelligkeit vor ihm her, so daß er ihm von Wadi zu Wadi und von Hügel zu Hügel nachlief, bis die Nacht hereinbrach, und es finster ward, worauf der Vogel auf einen hohen Baum flog und schlief. Bestürzt und matt von Hunger und der Anstrengung, stand Kamar es-Samân unter dem Baum und wollte wieder umkehren, da er seinen Untergang befürchtete, doch wußte er nicht mehr, von wo er gekommen war. Wie ihn nun die Finsternis überfiel, sprach er: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« und schlief dann bis zum Morgen unter dem Baum, auf welchem der Vogel saß. Als er aus seinem Schlaf erwachte, sah er, daß der Vogel bereits wach war und den Gipfel des Baumes verließ, so daß er ihm nachging, während der Vogel, mit seinen Schritten Maß haltend, nur langsam vor ihm her flog. Da lächelte Kamar es-Samân und sagte: »Gottes Wunder, gestern richtete sich der Vogel mit seinem Flug nach meinem Tempo im Laufen, heute aber, wo er weiß, daß ich müde bin und nicht mehr zu laufen vermag, fliegt er auch nicht schneller als ich gehe. Fürwahr, das ist wunderbar, doch muß ich dem Vogel folgen, sei es, daß er mich zum Leben oder zum Tode führt. Ich will ihm folgen, wohin er auch seinen Weg nehmen mag, denn auf jeden Fall wird er doch nur in einem bewohnten Lande Halt machen.« Hierauf fing Kamar es-Samân wieder an, dem Vogel nachzugehen, während der Vogel Nacht für Nacht auf einem Baum ruhte, bis er ihm zehn Tage lang gefolgt war, während welcher Zeit er sich von dem Gras auf der Flur nährte und aus den Bächen trank. Nach Verlauf der zehn Tage gelangte er dann zu einer bewohnten Stadt, in welche der Vogel im Nu schoß und vor Kamar es-Samâns Blicken entschwand, ohne daß er wußte, wohin er gekommen wäre. Verwundert hierüber, rief Kamar es-Samân: »Lob sei Gott, welcher mich so lange behütet hat, bis ich in diese Stadt gelangte!« Alsdann setzte er sich ans Wasser, wusch sich Hände, Füße und Gesicht und ruhte sich eine Weile aus, wobei er seines früheren gemächlichen Lebens gedachte und, seine Trennung von der Heimat und den Lieben, seinen Hunger und seine Erschöpfung erwägend, sein Leid in Versen klagte, bis er sich ausgeruht hatte, worauf er durch das Thor in die Stadt trat.

Zweihundertundachte Nacht.

Ohne zu wissen, welchen Weg er einschlagen sollte, wanderte er durch die ganze Stadt von dem Landthor an, durch welches er dieselbe betreten hatte, bis er zum Meeresthor wieder herauskam, ohne irgend einen ihrer Bewohner anzutreffen. Nachdem er zum Meeresthor herausgekommen war, wanderte er immer weiter, bis er zu den Gärten der Stadt kam, und schritt zwischen den Bäumen hindurch, bis er an das Thor eines jener Gärten trat, worauf der Gärtner zu ihm herauskam, ihn willkommen hieß und zu ihm sagte: »Lob sei Gott, welcher dich wohlbehalten vor dem Volk dieser Stadt hierher geführt hat! Komm schnell in den Garten, bevor dich einer ihrer Bewohner sieht.« Infolgedessen trat Kamar es-Samân verblüfft in den Garten ein und fragte den Gärtner: »Was hat's denn mit dem Volk dieser Stadt auf sich? Was sind es für Leute?« und der Gärtner antwortete ihm: »Wisse, alle Bewohner dieser Stadt sind MagierDie persischen Feueranbeter.; jetzt aber beschwöre ich dich bei Gott, erzähle mir, wie du hierher gekommen bist, und weshalb du unser Land betreten hast.« Kamar es-Samân erzählte ihm nun seine ganzen Erlebnisse, und der Gärtner verwunderte sich höchlichst darüber und sagte zu ihm: »Wisse, mein Sohn, das Land des Islams ist sehr weit von hier; zwischen uns und ihm liegen vier Monate zu Wasser; zu Lande aber beträgt die Entfernung ein volles Jahr. Nur einmal im Jahre geht ein Schiff von uns unter Segel und fährt mit Waren zum ersten Lande des Islams, worauf es von hier zum Meer der Ebenholzinseln segelt und von dort zu den Inseln Châlidân steuert, dessen König Sultan Schahrimân geheißen ist.« Als Kamar es-Samân dieses vernahm, dachte er eine Weile bei sich nach und sagte dann zu ihm, da er erkannte, daß ihm nichts besseres zu thun übrigblieb als bei dem Gärtner im Garten zu verweilen und sich bei ihm um den vierten Teil des Ertrages zu verdingen: »Willst du mich um den vierten Teil des Ertrages hier im Garten arbeiten lassen?« Der Gärtner antwortete ihm: »Ich höre und gehorche«; dann unterwies er ihn, wie er das Wasser zwischen die Bäume zu leiten hätte, und von nun an leitete Kamar es-Samân, von dem Gärtner in einen kurzen blauen, bis auf die Kniee reichenden Rock gekleidet, das Wasser und mähte das Gras, wobei er fortwährend weinte und Tag und Nacht auf seine Geliebte Budûr Verse vortrug.

Soviel was Kamar es-Samân, den Sohn des Königs Schahrimân anlangt. Was nun aber seine Gattin, die Herrin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr, betrifft, so verlangte dieselbe beim Erwachen nach ihrem Gatten, fand ihn jedoch nicht. Wie sie dann bemerkte, daß das Band ihrer Hosen aufgebunden war und der Stein fehlte, sprach sie bei sich: »Gottes Wunder, wo mag nur mein Geliebter sein? Es scheint, daß er den Stein genommen hat und damit fortgegangen ist, ohne die in ihm verborgene Kraft zu kennen. Wo mag er nur hingegangen sein? Sicherlich hat ein außerordentlicher Vorfall sein Fortgehen veranlaßt, da er sich doch sonst keine Stunde von mir trennen konnte. Gott verfluche den Stein und die Stunde, in welcher er die Trennung von meinem Geliebten verursacht hat!« Hierauf versank die Herrin Budûr in Gedanken und sprach bei sich: »Wenn ich nach draußen zu dem Gefolge gehe und den Leuten mitteile, daß mein Gemahl verschwunden ist, so wird ihre Begierde nach mir wach werden, darum muß ich eine List aussinnen.« Alsdann zog sie sich Kamar es-Samâns Sachen an, band sich einen Turban gleich dem seinigen um, nahm einen Lithâm vors Gesicht, setzte eine Sklavin in die Sänfte und ging dann heraus und rief über die Burschen. Als dieselben ihr das Reitpferd vorgeführt hatten, setzte sie sich in den Sattel und befahl ihnen die Lasten aufzubinden, worauf sie aufbrachen, ohne daß jemand etwas merkte, da sie Kamar es-Samân ähnlich war, und im geringsten daran zweifelte, daß sie Kamar es-Samân selber wäre. So reiste sie die Tage und Nächte über mit ihrem Gefolge weiter, bis sie an einer am Salzmeere gelegenen Stadt anlangte, vor deren Thoren sie Halt machte und die Zelte aufschlagen ließ, um sich daselbst auszuruhen. Auf ihre Frage nach dem Namen dieser Stadt erhielt sie zur Antwort, daß es die Ebenholzstadt wäre und daß ihr König Armânûs hieße, der eine Tochter, Namens Hajât en-NufûsDas Leben der Seelen. hätte.

Zweihundertundneunte Nacht.

Nicht lange nachdem sich die Herrin Budûr vor der Stadt gelagert hatte, schickte der König Armanûs einen Boten aus, um Erkundigungen über den König, der sich außerhalb der Stadt gelagert hätte, einzuziehen. Wie nun der Bote zu ihnen kam und sie befragte, sagte man ihm, daß es ein vom Wege verirrter Prinz wäre, der nach den Inseln Châlidân zum König Schahrimân reise, und der Bote kehrte wieder zum König Armanûs um und teilte ihm die Nachricht mit. Als aber der König Armanûs diese Botschaft vernahm, stieg er mit den Großen seines Reiches von seinem Schlosse hinab und zog zum Empfang des Prinzen vor die Stadt. Als er bei dem Lager eintraf, ging ihm die Herrin Budûr zu Fuß entgegen, und der König Armanûs stieg von seinem Roß hinunter, ging ihr gleichfalls zu Fuß entgegen, und beide begrüßten einander. Alsdann nahm er sie, zog mit ihr in die Stadt ein, stieg mit ihr zum Schloß hinauf, befahl die Speisetische aufzutragen und die Herrin Budûr im Fremdenserâj unterzubringen. Nachdem sie daselbst drei Tage zugebracht hatte, besuchte sie der König Armanûs, als sie gerade aus dem Bad gestiegen war, und ihr Angesicht wie der Vollmond glänzte, so daß alle Welt von ihr verführt und alles Volk bloßgestellt wurde. Als der König Armânûs sie in ihrer strahlenden Schönheit, in ein seidenes, goldgesticktes und mit Edelsteinen besetztes Gewand gekleidet, erblickte, sagte er huldvoll zu ihr: »Mein Sohn, wisse, ich bin ein altersschwacher Scheich und habe außer einer Tochter in meinem Leben kein Kind geschenkt bekommen. Sie aber ist ebenso schön und anmutig gestaltet und gewachsen wie du, und, da ich zum Regieren zu schwach geworden bin, frage ich dich, ob du, mein Sohn, Lust hast, in meinem Lande zu bleiben, bei mir zu wohnen und meine Tochter zu heiraten, daß ich dir mein Königreich übergebe?« Da senkte die Herrin Budûr ihr Haupt, der Schweiß trat ihr vor Scham auf die Stirne, und sie sprach bei sich: »Was soll geschehen, bin ich doch selber ein Weib? Widersetze ich mich aber seinem Befehle und ziehe weiter, so kann er mir leichtlich ein Heer nachschicken und mich erschlagen lassen; und wenn ich ihm gehorche, so werde ich öffentlich beschämt. Doch da mein Geliebter Kamar es-Samân verschwunden ist, und ich nicht weiß, wo er weilt, so bleibt mir keine andere Rettung als daß ich in seinen Vorschlag einwillige und bei ihm bleibe, bis Gott beschließt, was geschehen soll.« Hierauf hob die Herrin Budûr wieder ihr Haupt und sprach, indem sie sich dem Könige fügte: »Ich höre und gehorche,« worauf derselbe erfreut einem Herold befahl unter den Ebenholzinseln auszurufen, ein Freudenfest zu feiern und die Häuser zu schmücken. Dann versammelte er die Kämmerlinge, die Vicekönige, die Emire, die Wesire, die Großen des Reiches und die Kadis der Stadt, dankte von der Regierung ab, setzte die Herrin Budûr zum Sultan ein und kleidete sie in den Herrscherornat, und alle die Emire erschienen vor der Herrin Budûr, ohne darüber zu klagen, daß ihr neuer König noch ein Jüngling wäre, und jeder von ihnen, der sie erblickte, wurde durch ihre ausnehmende Schönheit und Anmut geblendet.

Nachdem nun die Herrin Budûr zum Sultan eingesetzt, und diese Freudenbotschaft ausgetrommelt war, machte sich der König Armanûs daran, seine Tochter Hajât en-Nufûs auszustatten, und nach wenigen Tagen schon wurde die Herrin Budûr zu Hajât en-Nufûs geleitet, und beide glichen zwei nebeneinander scheinenden Vollmonden oder zwei zu gleicher Zeit aufgegangenen Sonnen. Dann wurden die Thüren hinter ihnen geschlossen und die Vorhänge herabgelassen, nachdem man ihnen die Kerzen angezündet und ihnen das Lager zurechtgemacht hatte, und nun setzte sich die Herrin Budûr mit der Herrin Hajât en-Nufûs, doch gedachte sie ihres Geliebten Kamar es-Samân und vergoß, von Kummer überwältigt, Thränen und klagte ihr Leid in Versen. Alsdann setzte sie sich neben die Herrin Hajât en-Nufûs und küßte sie auf den Mund, worauf sie sofort wieder aufstand, die Waschung vollzog und in einemfort betete, bis die Herrin Hajât en-Nufûs eingeschlafen war. Dann legte sich die Herrin Budûr zu ihr ins Bett und kehrte ihr bis zum Morgen den Rücken zu.

Am andern Tage begab sich der König mit seiner Gemahlin zu seiner Tochter und erkundigte sich nach ihrem Befinden, und sie berichtete ihnen das Vorgefallene und trug ihnen die Verse vor, die sie gehört hatte.

Inzwischen war aber die Königin Budûr herausgegangen und hatte sich auf den Thron des Königreiches gesetzt, und die Emire, die Großen des Reiches, alle Häupter und die Truppen waren vor ihr erschienen, hatten sie zur Regierung beglückwünscht, die Erde vor ihr geküßt und Segen auf sie herabgefleht, während sie ihrerseits dieselben freundlich lächelnd empfing, ihnen Ehrenkleider verlieh und die Emire mit neuen Lehen belehnte, so daß die Truppen und die Unterthanen sie liebgewannen und ihrer Regierung Dauer erflehten, in dem festen Glauben, daß sie ein Mann wäre. Alsdann erließ sie Befehle und Verbote, sprach Recht und übte Gerechtigkeit, ließ die Gefangenen aus den Kerkern los und erließ die Steuern, und blieb in der Regierungshalle bis zum Anbruch der Nacht, worauf sie wieder das für sie eingerichtete Gemach aufsuchte, in welchem sie die Herrin Hajât en-Nufûs sitzend vorfand. Sie setzte sich nun wieder an ihre Seite, tätschelte ihren Rücken, koste mit ihr und küßte sie zwischen die Augen, doch mußte sie wieder Kamar es-Samâns gedenken und aus Kummer über ihn ihr Leid in Versen klagen. Dann stand sie auf, wischte sich die Thränen ab, vollzog die Waschung und betete unablässig, bis der Schlaf die Herrin Hajât en-Nufûs wieder überwältigte, und sie einschlief, worauf sich die Herrin Budûr ebenfalls niederlegte und an ihrer Seite bis zum Morgen schlief. Dann erhob sie sich, verrichtete das Morgengebet und setzte sich wieder auf den Thron des Königreiches, wo sie Befehle und Verbote erließ, Recht sprach und Gerechtigkeit ausübte, während der König Armânûs wieder seine Tochter aufsuchte und sie nach ihrem Befinden fragte. Dieselbe berichtete ihm alles, was vorgefallen war, trug ihm die Verse vor, welche die Königin Budûr gesprochen hatte und sagte: »Mein Vater, ich habe keinen verständigeren und bescheidenern Mann als meinen Gatten gesehen, nur daß er immer weint und stöhnt.« Da entgegnete ihr ihr Vater: »Meine Tochter, gedulde dich noch die dritte Nacht, sucht er dich dann jedoch nicht heim, so werden wir wissen, was wir mit ihm zu thun und wie wir mit ihm zu verfahren haben; ich will ihn dann wieder absetzen und ihn aus unserem Lande jagen.« Auf dieses Vorhaben einigte er sich mit seiner Tochter und verschloß es bei sich.

Zweihundertundzehnte Nacht

Als nun die Nacht kam, erhob sich die Königin Budûr vom Thron des Königsreiches und begab sich wieder ins Schloß in das für sie hergerichtete Gemach, wo sie die Herrin Hajât en-Nufûs bei brennender Kerze sitzen sah. Da gedachte sie wieder ihres Gatten und all der Dinge, die sich zwischen ihnen in der kurzen Zeit zugetragen hatten, so daß sie weinen und seufzen mußte und wieder ihren Kummer in Versen ausschüttete. Als sie sich dann zum Gebet erheben wollte, hängte sich mit einem Male Hajât en-Nufûs an ihren Saum und sagte zu ihr: »Mein Herr, schämst du dich nicht vor meinem Vater nach all der Güte, die er dir erwiesen hat, daß du dich bis jetzt nicht um mich gekümmert hast?« Als die Herrin Budûr diese Worte von ihr vernahm, setzte sie sich wieder und fragte sie: »Meine Geliebte, was sprichst du da?« Hajât en-Nufûs erwiderte: »Was ich spreche ist das, daß ich niemand sah, der so stolz wie du gewesen wäre. Ist denn jeder hübsche Mann so stolz auf seine Schönheit? Doch sage ich dies nicht, um dein Verlangen nach mir zu erwecken, sondern nur, weil ich um dich vor dem König Armânûs besorgt bin, da er entschlossen ist, falls du nicht heute Nacht bei mir ruhst, dich morgen abzusetzen und aus seinem Lande zu verweisen. Leichtlich aber wird er so erzürnt, daß er dich hinrichtet; ich habe Mitleid mit dir und rate dir gut, du aber hast zu beschließen.«

Als die Königin Budûr diese Worte von ihr vernahm, ließ sie ihr Haupt zu Boden hängen und sprach ratlos bei sich: »Trete ich seinem Willen entgegen, so tötet er mich, und gehorche ich ihm, so werde ich öffentlich beschämt; doch bin ich jetzt Königin über alle Ebenholzinseln, sie stehen unter meinem Befehl, und nur hier kann ich mit Kamar es-Samân wieder zusammentreffen, da er keinen andern Weg als über die Ebenholzinseln nach seiner Heimat hat. Ich muß daher meine Sache Gott anheimstellen, denn er ist der beste Lenker.« Alsdann sagte die Königin Budûr zu Hajât en-Nufûs: »Ach, meine Geliebte, wider meinen Willen habe ich dich verschmäht und mich deiner enthalten,« und erzählte ihr alles von Anfang bis zu Ende, entdeckte sich ihr als Mädchen und beschwor sie bei Gott, ihre Sache zu verheimlichen und ihr Geheimnis zu hüten, bis Gott sie mit ihrem Geliebten Kamar es-Samân vereinigt hätte, möge dann auch geschehen, was da wolle.

Zweihundertundelfte Nacht.

Aufs äußerste hierüber verwundert, empfand die Herrin Hajât en-Nufûs mit der Herrin Budûr Mitleid, so daß sie für ihre Vereinigung mit ihrem Geliebten Kamar es-Samân betete und zu ihr sagte: »Meine Herrin, sei unbesorgt und fürchte dich nicht; gedulde dich nur, bis Gott beschließt, was geschehen muß, der Edeln Brust ist das Grab der Geheimnisse, ich werde dein Geheimnis nicht aufdecken.« Hierauf tändelten beide miteinander, umarmten sich und schliefen bis nahe zur Zeit des Azâns. Bei Anbruch des Tages erhob sich dann die Königin Budûr und begab sich, nachdem sie sich im Warmbad gewaschen und das Morgengebet verrichtet hatte, wieder zur Regierungshalle, wo sie sich auf den Thron des Königreiches setzte und Recht sprach, während die Herrin Hajât en-Nufûs dem König Armanûs guten Bescheid brachte, so daß dieser erfreut Festgelage veranstaltete.

Soviel was die beiden anlangt; was nun aber den König Schahrimân betrifft, so wartete derselbe, nachdem sein Sohn mit Marsawân, wie oben erzählt, auf die Jagd ausgezogen war, bis die Nacht anbrach. Als aber sein Sohn nicht zurückkehrte, wurde er bestürzt und fand die Nacht über keinen Schlaf. Seine Unruhe quälte ihn aufs schwerste, seine Erregung und seine brennende Angst wuchs, und kaum konnte er den Anbruch der Morgenröte erwarten. Bis zum Mittag wartete er noch auf seinen Sohn, dann aber, als er auch jetzt noch nicht zurückgekehrt war, ahnte sein Herz die Trennung; er entbrannte in Besorgnis um seinen Sohn, weinte, bis seine Kleider von den Thränen naß geworden waren, und klagte aus zerrissenem Herzen den Vers:

»Gelobt hatte die Zeit uns voneinander zu trennen,
Und nun hat die Zeit ihr Gelöbnis erfüllt.«

Hierauf wischte er sich die Thränen ab und ließ durch einen Herold den Truppen ansagen sich marschbereit zu machen und sich zu einer langen Reise zu beeilen. Das ganze Heer setzte sich dann auf, und der Sultan zog, entbrannt in seinem Herzen um seinen Sohn Kamar es-Samân und von Trauer erfüllt, aus. Nachdem er sein Heer in sechs Abteilungen, je eine zur Rechten und Linken,Die beiden mittleren Abteilungen, die er selber führt, werden nicht erwähnt. vorn und hinten, geteilt hatte, sagte er zu ihnen: »Morgen treffen wir bei dem Scheideweg wieder zusammen. Die Truppen trennten sich nun, wie beschrieben, und die Reiter ritten den ganzen Tag über, bis die Nacht dunkelte, und die Nacht hindurch bis zum nächsten Mittag, bis sie zum Scheideweg gelangten, wo sich der Weg nach vier Richtungen teilte, so daß sie nicht wußten, wie sie weiter ziehen sollten, als sie hier mit einem Male die Spuren von zerrissenen Sachen sahen, die Fleischstücke und Blutspuren fanden, und jeden verstreuten Kleider- und Fleischfetzen gewahrten. Bei diesem Anblick stieß der König Schahrimân einen lauten Schrei aus tiefstem Herzensgrund aus und rief: »Ach, mein Sohn!« dann schlug er sich ins Gesicht, riß sich den Bart aus, zerriß seine Kleider und glaubte fest an den Tod seines Sohnes. Er weinte und stöhnte so bitterlich, daß das ganze Heer mit ihm weinte, und alle, in dem gleichen Glauben, daß Kamar es-Samân umgekommen sei, sich Erde aufs Haupt streuten und bis zur Nacht weinten und stöhnten, so daß sie dem Tode nahe waren. Alsdann kehrte der König mit dem Heere wieder nach seiner Stadt zurück.

Zweihundertundzwölfte Nacht.

In dem festen Glauben, daß sein Sohn umgekommen sei, sei es daß ihn ein wildes Tier oder ein Wegelagerer überfallen und zerrissen hätte, ließ er allem Volk auf den Inseln Châlidân ansagen sich in schwarze Trauerkleidung um seines Sohnes Kamar es-Samân willen zu kleiden, und baute sich selber ein Haus, welches er das Trauerhaus benannte. Jeden Montag und Donnerstag sprach er Recht in seinem Königreich unter seinen Truppen und Unterthanen, für den Rest der Woche aber zog er sich ins Trauerhaus zurück und beklagte dort seinen Sohn in Elegien.

Während der ganzen Zeit aber lebte die Königin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr als König im Ebenholzlande, und die Leute wiesen mit den Fingern auf sie und sagten: »Das ist der Schwiegersohn des Königs Armanûs.« Die Nächte über schlief sie dann bei der Herrin Hajât en-Nufûs, klagte über die Trennung von ihrem Gatten Kamar es-Samân, schilderte ihr seine Schönheit und Anmut und wünschte, sei es auch nur im Traume, mit ihm vereinigt zu sein.

Was aber Kamar es-Samân anlangt, so war derselbe die ganze Zeit über, Nacht und Tag weinend, seufzend und in Versen die Zeiten des Glücks und der Freude besingend, bei dem Gärtner geblieben, während der Gärtner ihn damit tröstete, daß am Ende des Jahres das Schiff zum Land der Moslems absegeln würde. Eines Tages nun sah Kamar es-Samân zu seiner Verwunderung, daß sich die Leute versammelten, und der Gärtner kam zu ihm und sagte zu ihm: »Mein Sohn, laß heute die Arbeit feiern und stelle das Bewässern der Bäume ein, denn heute ist ein Fest, an welchem die Leute einander besuchen. Ruhe dich aus und sorge nur für den Garten, derweil ich nach einem Schiff für dich ausschaue, denn schon nach kurzer Frist schicke ich dich heim nach dem Lande der Moslems.« Darauf verließ der Gärtner den Garten, und Kamar es-Samân blieb allein mit gebrochenem Herzen und weinenden Augen zurück, bis er vom Weinen in Ohnmacht sank.

Als er wieder zu sich gekommen war, erhob er sich und wanderte, nachdenklich über alles, was die Zeit an ihm gethan hatte, und über die lange Trennung mit bekümmertem Gemüt, durch den Garten, bis er stolperte und aufs Gesicht fiel, wobei seine Stirne auf eine Baumwurzel schlug, daß ihm das Blut lief und sich mit seinen Thränen vermischte. Nachdem er das Blut abgewischt, seine Thränen getrocknet und die Stirn mit einem Lappen verbunden hatte, machte er sich wieder auf und wanderte verstört weiter, als er mit einem Male auf einem Baum zwei Vögel miteinander kämpfen sah, von denen der Sieger dem andern einen Schnabelhieb in den Hals versetzte, daß er ihm den Kopf vom Rumpf trennte. Dann nahm er den Kopf und flog mit ihm fort, während der Rumpf zu Boden vor ihm niederfiel. Während Kamar es-Samân noch vor ihm stand, schossen plötzlich zwei große Vögel zu ihm nieder, von denen sich der eine ihm zu Häupten, der andere an seinem Schwanzende niederließ, deckten ihre Fittiche auf ihn, reckten die Hälse über ihn und weinten, so daß Kamar es-Samân, beim Anblick der Trauer dieser Vögel über ihren Gefährten, über die Trennung von seiner Gattin ebenfalls weinen mußte.

Zweihundertunddreizehnte Nacht.

Nachdem die beiden Vögel dann eine Grube gegraben und den toten Vogel darin bestattet hatten, flogen sie in den Luftraum und kehrten nach einer Weile mit dem Mörder des Vogels zum Grab des toten Vogels zurück. Hier knieten sie auf den Mörder, bis sie ihn getötet hatten, rissen dann seinen Leib auf, holten seine Eingeweide heraus und ließen sein Blut auf das Grab des getöteten Vogels laufen. Hierauf verstreuten sie sein Fleisch, zerrissen seine Haut, holten alles, was sich in seinem Leibe befand, heraus und verstreuten es auf verschiedenen Plätzen, während Kamar es-Samân alledem verwundert zuschaute. Mit einem Male fiel sein Blick auf den Platz, an welchem die beiden Vögel den Mörder getötet hatten, und er gewahrte dort einen schimmernden Gegenstand, in welchem er, wie er hinzutrat, den Kropf des Vogels erkannte. Wie er ihn nun aufhob und öffnete, fand er in ihm den Stein, welcher die Ursache der Trennung von seiner Gattin gewesen war; da sank er, sobald er ihn erkannte, vor Freude ohnmächtig zu Boden. Als er wieder zu sich gekommen war, sprach er bei sich: »Das ist ein gutes Omen und der Vorbote der Vereinigung mit meiner Geliebten.« Dann betrachtete er ihn, führte ihn über die Augen und band ihn in freudiger Erwartung an seinem Arm fest. Hierauf schritt er wieder weiter, und wartete auf den Gärtner; doch kam derselbe nicht, obwohl er bis zur Nacht nach ihm suchte, so daß er die Nacht über an seinem Platz verbrachte und sich am andern Morgen wieder an sein Geschäft machte, indem er einen Strick aus Palmenfasern um seinen Leib schnürte, das Beil und den Korb nahm und durch den Garten ging, bis er zu einem Johannisbrotbaum gelangte, an dessen Wurzel er mit dem Beil schlug. Da der Schlag hellen Widerhall gab, grub er die Erde an jener Stelle auf und fand nun eine Fallthüre. Er hob dieselbe auf –

Zweihundertundvierzehnte Nacht.

und fand darunter eine Thür; da stieg er durch dieselbe hinab und stieß auf einen alten und großen Saal aus der Zeit Thamûds und AdsZwei alte, vorabrahamitische arabische Stämme von riesenhaftem Wuchs, welche Gott ihres Unglaubens wegen vernichtete., der mit rotem Gold angefüllt war. Als Kamar es-Samân das Gold erblickte, sprach er bei sich: »Die Plage ist vorüber und Lust und Freude hat angehoben.« Dann stieg er aus dem Raum wieder zum Garten hinauf, legte die Fallthür, wie sie gewesen war, und machte sich wieder daran, das Wasser zwischen die Bäume zu leiten. Er arbeitete hieran bis zum Abend, als der Gärtner zu ihm kam und sagte: »Mein Sohn, freue dich über die Nachricht von deiner Heimkehr, denn die Kaufleute sind schon zur Fahrt gerüstet, und das Schiff wird nach drei Tagen zur Ebenholzstadt, der ersten Stadt der Moslems, absegeln, von welcher du noch sechs Monate zu Land zu reisen hast, bis du zu den Inseln Châlidân und dem König Schahrimân gelangst.« Erfreut hierüber, küßte Kamar es-Samân dem Gärtner die Hand und sagte zu ihm: »Mein Vater, wie du mir eine gute Nachricht gebracht hast, so sollst du auch von mir eine gute Nachricht hören.« Alsdann erzählte er dem Gärtner von dem Saal, der erfreut hierüber zu Kamar es-Samân sagte: »Mein Sohn, ich habe achtzig Jahre in diesem Garten gelebt und nichts gefunden, und du hast bei mir noch nicht ein Jahr zugebracht und hast diesen Schatz entdeckt; er ist deshalb dein Gut und ein Mittel, deinen Widerwärtigkeiten ein Ende zu machen und dir zur Heimkehr zu deinen Angehörigen und zur Vereinigung mit deinen Lieben zu verhelfen.« Kamar es-Samân entgegnete ihm jedoch: »Wir müssen untereinander teilen.« Dann nahm er den Gärtner und führte ihn in jenen Saal, wo er ihm das Gold zeigte, daß in zwanzig großen Lederkruken aufbewahrt war. Zehn davon nahm er und zehn der Gärtner, der zu ihm sagte: »Mein Sohn, fülle die Kruken mit Sperlingsoliven, die in diesem Garten wachsen, da sie nur in unserm Lande vorkommen und von den Kaufleuten nach allen andern Ländern ausgeführt werden, packe das Gold unter die Oliven in die Kruken und verschließe sie dann und nimm sie aufs Schiff.« Da erhob sich Kamar es-Samân unverzüglich, füllte fünfzig Kruken mit Oliven, nach dem er das Gold darunter gepackt und den Stein ebenfalls in eine der Kruken gelegt hatte, und verschloß sie. Dann saß er mit dem Gärtner da und plauderte mit ihm, zuversichtlich auf seine Vereinigung mit seinen Angehörigen rechnend und sich ihnen bereits nahe wähnend, indem er bei sich sprach: »Wenn ich nach der Ebenholzinsel gekommen bin, will ich von dort nach meines Vaters Land reisen und mich nach meiner Geliebten Budûr erkundigen. Ob sie wohl in ihr Land heimgekehrt sein mag oder nach dem Lande meines Vaters gereist ist, oder ob ihr ein Unfall unterwegs zugestoßen ist?« Hierauf saß Kamar es-Samân da und wartete auf den Ablauf der drei Tage, wobei er dem Gärtner die Geschichte der Vögel erzählte, der sich hierüber verwunderte. Dann schliefen beide bis zum Morgen, doch fühlte sich der Gärtner nun schwach und seine Schwäche nahm zwei Tage lang zu, so daß sie am dritten Tage an seinem Leben verzweifelten. Während Kamar es-Samân aber betrübt über den Gärtner dasaß, kam mit einem Male der Kapitän mit den Matrosen an und erkundigte sich nach dem Gärtner. Als Kamar es-Samân sie von seiner Krankheit benachrichtigte, fragten sie: »Wo ist der junge Mann, der mit uns zur Ebenholzinsel reisen wollte?« und Kamar es-Samân erwiderte ihnen: »Der Mamluk, der vor euch steht, ist's.« Darauf befahl er ihnen die Kruken aufs Schiff zu schaffen, und, nachdem sie es gethan hatten, sagten sie zu Kamar es-Samân: »Eile, denn der Wind ist gut.« Kamar es-Samân antwortete: »Ich höre und gehorche,« und schaffte seine Wegzehrung aufs Schiff. Als er aber wieder zurückkehrte, um sich von dem Gärtner zu verabschieden, fand er ihn im Verscheiden, so daß er sich deshalb ihm zu Häupten setzte, bis er gestorben war, worauf er ihm die Augen zudrückte, ihn zurecht machte und zur Erde bestattete. Hierauf begab er sich wieder zum Schiff, doch fand er, daß es bereits die Segel ausgespannt hatte und nun das Meer durchschnitt, bis es vor seinen Blicken entschwand. Bestürzt und niedergeschlagen und voll Kummer und Gram kehrte er wieder zum Garten zurück und streute sich Erde aufs Haupt.

Zweihundertundfünfzehnte Nacht.

Alsdann pachtete er den Garten von jenem Besitzer und stellte einen Mann als Untergehilfen beim Bewässern der Bäume an. Hierauf begab er sich zur Fallthür, stieg in den Saal hinunter, füllte den Rest des Goldes in fünfzig große Kruken und deckte es wieder mit Oliven zu. Dann fragte er wieder nach dem Schiff, und die Leute antworteten ihm: »Das Schiff segelt nur einmal in jedem Jahre aus;« da wuchs seine Unruhe, und er beseufzte sein Mißgeschick, insbesondere aber den Verlust des Steines der Herrin Budûr und weinte Tag und Nacht und klagte sein Leid in Versen.

Soviel von Kamar es-Samân; das Schiff aber war mit günstigem Wind gesegelt und zur Ebenholzinsel gelangt, als nach dem vorausbestimmten Geschick die Königin Budûr gerade am Fenster saß. Als sie das Schiff erblickte, wie es gerade die Anker am Strande auswarf, pochte ihr Herz, und sie setzte sich mit den Emiren und Kämmerlingen aufs Pferd und ritt zum Strand, wo sie bei dem Schiff Halt machte, als man eben mit dem Hinüberschaffen der Waren nach den Magazinen beschäftigt war. Sie ließ deshalb den Kapitän vor sich kommen und fragte ihn, was für Waren er gebracht hätte, und der Kapitän antwortete ihr: »O König, ich habe auf diesem Schiff soviel Drogen, Pulver, Augenschminken, Pflaster und Salben, Güter, prächtige Stoffe und kostbare Waren, daß sie die Kamele und Maultiere gar nicht fortschaffen können, unter deren Menge sich auch allerlei Parfüme, Gewürze, sumatranische Aloe, Tamarinthen und Sperlingsoliven befinden, welche letztere in diesem Lande sehr selten vorkommen.«

Wie nun die Königin Budûr die Oliven erwähnen hörte, bekam sie Verlangen nach denselben und fragte den Besitzer des Schiffes: »Wieviel Oliven hast du bei dir?« und derselbe antwortete ihr: »Ich habe fünfzig große Kruken voll; ihr Besitzer ist zwar nicht mit uns mitgekommen, doch mag der König nur immer so viel Oliven nehmen, wie er will.« Da sagte die Königin Budûr: »Bringt sie aufs Land, daß ich sie mir ansehen kann.« Der Kapitän rief nun über die Matrosen, und dieselben brachten die fünfzig Kruken ans Land, worauf sie einen derselben öffnete und nach Besichtigung der Oliven sagte: »Ich nehme alle fünfzig Kruken und bezahle dir, was du dafür verlangst.« Der Kapitän antwortete ihr darauf: »Die Oliven haben in unserem Lande keinen Wert, doch ist ihr Besitzer ein armer Mann, der uns verpaßt hat.« Da fragte die Königin Budûr: »Was ist ihr Preis?« Und wie der Kapitän erwiderte: »Tausend Dirhem,« antwortete sie: »Ich nehme sie für tausend Dirhem,« und befahl die Oliven ins Schloß zu schaffen.

Als nun die Nacht kam, befahl sie, ihr eine Kruke mit Oliven zu bringen und öffnete sie, als niemand außer ihr und der Herrin Hajât en-Nufûs anwesend war. Wie sie dann aber eine Schüssel vor sich stellte und etwas von dem Inhalt der Kruke auf dieselbe schüttelte, fiel ein Haufen Gold heraus, so daß sie zur Herrin Hajât en-Nufûs sagte: »Das ist nichts andres als Gold.« Dann untersuchte sie alle Kruken und fand, daß alle voll Gold waren, und daß sie kaum so viel Oliven enthielten, um eine Kruke damit anzufüllen. Wie sie dann das Gold durchsuchte, fand sie den Stein darunter und erkannte bei genauerem Zusehen, daß es ihr Stein war, den sie an ihrem Hosenband getragen, und den Kamar es-Samân ihr fortgenommen hatte. Sobald sie ihn aber erkannte, stieß sie einen Freudenschrei aus und brach ohnmächtig zusammen.

Zweihundertundsechzehnte Nacht.

Als sie wieder zum Bewußtsein gekommen war, sprach sie bei sich: »Dieser Stein hat die Trennung von meinem Geliebten Kamar es-Samân verschuldet, doch bringt er nun gute Botschaft.« Hierauf teilte sie der Herrin Hajât en-Nufûs mit, daß sie aus dem Wiederfinden des Steines ein glückliches Vorzeichen zu ihrer Wiedervereinigung mit Kamar es-Samân entnähme.

Am nächsten Morgen setzte sie sich auf den Thron des Königreiches, ließ den Schiffskapitän vor sich kommen und fragte ihn, als er vor ihr erschienen war und die Erde vor ihr geküßt hatte: »Wo habt ihr den Besitzer dieser Oliven verlassen?« Der Kapitän antwortete: »O König der Zeit, er blieb im Land der Magier zurück, woselbst er Gärtner ist.« Da sagte sie zu ihm: »Wenn du ihn mir nicht bringst, so weißt du nicht, welches Unheil dir und dem Schiffe widerfahren wird.« Darauf befahl sie die Magazine der Kaufleute zu versiegeln und sagte zu ihnen: »Der Besitzer dieser Oliven ist mein Schuldner; kommt er nicht her, so lasse ich euch alle hinrichten und ziehe eure Güter ein.« Da wendeten sich alle an den Kapitän und versprachen ihm, die Kosten der Fahrt zu ersetzen, wenn er die Fahrt noch einmal machen und sie von diesem Tyrannen befreien würde. Infolgedessen stieg der Kapitän wieder aufs Schiff und spannte die Segel aus, und Gott verzeichnete ihm eine gute Fahrt, so daß er wohlbehalten zur Nachtzeit die Insel erreichte und sich zum Garten begab, während Kamar es-Samân gerade schlaflos im Garten dasaß und seiner Geliebten gedachte und all sein Mißgeschick beweinte. Mit einem Male pochte der Kapitän an den Garten und verlangte nach Kamar es-Samân; kaum aber hatte dieser die Thür geöffnet und war herausgetreten, da packten ihn auch schon die Matrosen, trugen ihn aufs Schiff, spannten die Segel aus und segelten Tage und Nächte lang, ohne daß Kamar es-Samân wußte, weshalb dies mit ihm geschah. Auf seine Frage nach der Ursache hiervon antwortete man ihm: »Du hast dich gegen den König, den Herrn der Ebenholzinseln, den Schwiegersohn des Königs Armanûs, vergangen und hast sein Geld gestohlen, Unseliger!« Kamar es-Samân antwortete: »Bei Gott, mein Leben lang bin ich nicht in jenes Land gekommen und kenne es nicht.« Sie aber segelten weiter mit ihm, bis sie zu den Ebenholzinseln gelangten und ihn vor die Herrin Budûr führten.

Als sie ihn sah, erkannte sie ihn und sagte: »Lasset ihn bei den Eunuchen, daß sie ihn ins Bad führen.« Dann gab sie das Gut der Kaufleute frei, schenkte dem Kapitän ein Ehrenkleid im Werte von zehntausend Dinaren und begab sich zu Hajât en-Nufûs, welche sie davon benachrichtigte und die Sache zu verheimlichen bat, bis sie ihr Vorhaben erreicht und eine That gethan hätte, die man in die Akten eintragen und nach ihrem Tode noch Königen und Unterthanen vorlesen sollte.

Die Diener hatten inzwischen ihren Befehl, Kamar es-Samân ins Bad zu führen, vollzogen und ihn in einen königlichen Anzug gekleidet, so daß er, als er aus dem Bade herauskam, einem Bânzweige glich oder einem Planeten, dessen Glanz Sonne und Mond beschämte. Neubeseelt begab er sich dann zu ihr ins Schloß, sie aber zwang ihr Herz, als sie ihn erblickte, zur Geduld, bis sie ihr Vorhaben ausgeführt hätte, und schenkte ihm Mamluken, Dienerschaft, Kamele und Maultiere, gab ihm einen Schatz Geld und beförderte ihn von Grad zu Grad, bis sie ihn zum Schatzmeister gemacht und ihm alles Gut anvertraut hatte. In ihrer Huld zog sie ihn in ihre Nähe und teilte allen Emiren seinen Rang mit, so daß ihn alle liebten, und erhöhte seinen Rang von Tag zu Tag, ohne daß Kamar es-Samân wußte, weshalb er so von ihr geehrt würde. Da er aber auf diese Weise sehr reich wurde, machte er nun seinerseits wieder reiche Geschenke und diente dem König Armânûs so eifrig, daß dieser und alle Emire und Hoch und Gering ihn liebgewannen und bei seinem Leben zu schwören pflegten, während bei alledem Kamar es-Samân sich über die Ehren, die ihm die Königin Budûr erwies, verwunderte und bei sich sprach: »Bei Gott, diese Liebe muß doch einen Grund haben! Vielleicht ehrt mich dieser König nur so übermäßig, weil er irgend etwas Böses mit mir vorhat, ich muß ihn daher um Erlaubnis bitten, aus seinem Lande fortziehen zu dürfen.« Hierauf begab er sich zur Königin Budûr und sagte zu ihr: »O König, du hast mir überreiche Ehren zu teil werden lassen und nun mache noch das Maß deiner Güte voll und gestatte mir fortzureisen, indem du wieder alles, was du mir geschenkt hast, an dich nimmst.« Da lächelte die Königin Budûr und fragte ihn: »Was treibt dich dazu, deine Abreise zu erbitten und dich kopfüber in Gefahren zu stürzen, wo du in höchsten Ehren stehst und von Wohlthaten überhäuft wirst?« Kamar es-Samân entgegnete: »O König, wenn diese Ehren alle keinen Grund hätten, so wäre es das wunderbarste Ding, zumal wo du mir Würden übertragen hast, die nur alten Scheichen gebühren und ich noch ein grünes Bürschlein bin.« Da erwiderte ihm die Königin Budûr: »Der Grund ist der, daß ich dich um deiner ganz außerordentlichen Anmut und deiner wunderbaren Schönheit willen liebe, und dir, falls du in mein Begehren einwilligst, noch reichere Ehren, Geschenke und Hulderweisungen zu teil werden lasse, ja, dich trotz deiner jungen Jahre zu meinem Wesir machen will, wie mich die Leute trotz meiner Jugend zu ihrem Sultan gemacht haben. Schau nur meine Schönheit und liebe mich.«

Als Kamar es-Samân diese Worte von ihr vernahm, röteten sich seine Wangen vor Scham, daß sie einem Feuerbrand glichen, und erschrocken sprach er zu ihr: »Leben wir denn in den Tagen Lots?« Da fiel die Königin Budûr vor Lachen auf den Rücken und sagte zu ihm: »Ach, mein Geliebter, wie schnell hast du doch die Nächte vergessen, die wir zusammen verbrachten!« und nun endlich erkannte er in ihr seine Gattin, die Königin Budûr, die Tochter des Königs El-Ghajûr, des Herrn der Inseln und der Meere. Und sie preßten einander ans Herz und küßten sich und ruhten selig bei einander, wobei sie einander ihre Erlebnisse erzählten.

Als aber der Morgen anbrach und es hell ward und tagte, schickte die Königin Budûr zum König Armanûs, dem Vater der Königin Hajât en-Nufûs und teilte ihm die Wahrheit mit; sie erzählte ihm, daß sie Kamar es-Samâns Gattin sei, trug ihm ihre und ihres Gatten Geschichte vor und die Ursache ihrer Trennung und sagte ihm auch, daß seine Tochter Hajât en-Nufûs noch Jungfrau sei. Wie nun der König Armanûs. der Herr der Ebenholzinseln, die Geschichte der Königin Budûr, der Tochter des Königs El-Ghajûr, vernahm, verwunderte er sich aufs äußerste und befahl dieselbe mit goldener Tinte aufschreiben zu lassen. Dann wendete er sich zu Kamar es-Samân und fragte ihn: »Mein Prinz, hättest du wohl Lust, mein Schwiegersohn zu werden und meine Tochter Hajât en-Nufûs zu heiraten?« Kamar es-Samân entgegnete ihm: »Ich muß zuvor die Königin Budûr um Rat fragen, da ich ihr unbegrenzte Wohlthaten verdanke.« Als er sie dann um Rat anging, sagte sie zu ihm: »Dieser Vorschlag ist herrlich; heirate sie nur, und ich will ihre SklavinDies ist natürlich nur bildlich gemeint sein, da ich ihrer Güte und Huld, und all dem Guten und den Wohlthaten, die sie mir erzeigt hat, zu Dank verpflichtet bin, zumal wo wir in ihrem Hause sind, und uns ihr Vater mit seiner Güte überhäuft hat.« Wie nun Kamar es-Samân sah, daß die Königin Budûr dem Vorschlag geneigt war und keine Eifersucht gegen Hajât en-Nufûs verspürte, hieß er ihren Rat gut, –

Zweihundertundsiebenzehnte Nacht.

und teilte dem König Armânûs mit, daß die Königin Budûr einwillige und Hajât en-Nufûs' Sklavin sein wolle. Hocherfreut hierüber, ging der König Armanûs hinaus, setzte sich auf den Thron seines Königreiches, ließ alle Wesire, Emire, Kämmerlinge und Großen seines Reiches kommen, teilte ihnen von Anfang bis zu Ende die Geschichte Kamar es-Samâns und seiner Gemahlin, der Königin Budûr, mit, und sagte ihnen, daß er nun seine Tochter Hajât en-Nufûs mit Kamar es-Samân vermählen und ihn zum Sultan über sie an Stelle seiner Gattin, der Königin Budûr, einsetzen wolle. Da erwiderten alle: »Sintemalen Kamar es-Samân der Gatte der Königin Budûr ist, welche unser Sultan vor ihm war, dieweil wir sie für den Schwiegersohn unsers Königs Armânûs hielten, so wollen wir ihn gern zu unserm Sultan haben, wollen ihm dienen und ihm stets gehorsame Untertanen sein.« Der König Armânûs war hocherfreut hierüber und ließ nun die Richter, Zeugen und Häupter des Reiches kommen und den Ehekontrakt seiner Tochter Hajât en-Nufûs mit Kamar es-Samân aufsetzen. Dann veranstaltete er Freudenfeste und prächtige Gelage, verlieh allen Emiren und Truppenführern kostbare Ehrenkleider, verteilte Almosen an die Armen und Bettler und ließ alle Gefangenen los, und das Volk freute sich über den neuen Sultan Kamar es-Samân und wünschte ihm Ruhm, Gedeihen, Glückseligkeit und Ehren in beständiger Dauer. Kamar es-Samân aber schaffte, als er Sultan geworden war, die Steuern ab, ließ den Rest der Gefangenen frei, führte unter ihnen einen gepriesenen Wandel und lebte mit seinen beiden Gemahlinnen in Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Treue und Sorglosigkeit, indem er die Nächte abwechselnd heute bei der einen und morgen bei der andern verbrachte.

 


 

Ende des fünften Bandes.

 


 << zurück