Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band V
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Das Wiesel und die Maus.

Ferner erzählt man, daß einmal eine Maus und ein Wiesel bei einem armen Manne ihre Wohnung aufgeschlagen hatten. Einmal trug es sich nun zu, daß dessen Freund erkrankte, und daß der Arzt ihm enthülsten Sesam verordnete. Infolgedessen gab dieser dem armen Manne etwas Sesam, damit er ihm denselben enthülste, und der arme Mann gab ihn seiner Frau und befahl ihr den Sesam zurecht zu machen, worauf dieselbe ihn enthülste und für ihn zurecht machte. Wie nun das Wiesel den Sesam sah, kam es heran und schaffte den ganzen Tag über Sesam in sein Loch, bis es den größten Teil fortgeschafft hatte. Als die Frau wieder kam und sah, daß der Sesam merkbar abgenommen hatte, setzte sie sich auf die Lauer, um zu sehen, wer zum Sesam käme, um hierdurch die Ursache seiner Abnahme zu erfahren. Wie nun das Wiesel wieder kam, um wie gewöhnlich Sesam fortzuschaffen, und die Frau dasitzen sah, merkte es, daß sie auf der Lauer saß, und sprach bei sich: »Dieses Thun hat einen tadelnswerten Ausgang; ich fürchte, jene Frau lauert mir auf; wer aber das Ende nicht erwägt, hat am Schicksal keinen Freund. Ich muß daher etwas Gutes thun, wodurch ich meine Schuldlosigkeit an all dem Bösen, das ich gethan habe, an den Tag bringe.« Darauf fing es an den Sesam wieder aus seinem Loch zurückzuschaffen, so daß die Frau angesichts dessen bei sich sprach: »Hierdurch hat nicht der Sesam abgenommen, da das Wiesel den Sesam aus dem Loch des Räubers schleppt und ihn zum andern trägt. Es handelt gut an uns, daß es den Sesam zurückschafft; dem aber, der Gutes thut, soll nur mit Gutem gelohnt werden. Das Wiesel hat den Schaden nicht verursacht; ich will deshalb weiter auf der Lauer sitzen, bis der Räuber kommt, und ich weiß, wer es ist.« Das Wiesel, welches die Gedanken der Frau durchschaute, machte sich nun zur Maus fort und sagte zu ihr: »Meine Schwester, nichts gutes ist an einem, der keine Nachbarschaft pflegt und in der Liebe nicht feststeht.« Da entgegnete die Maus: »Jawohl, meine Freundin, und ich bin sehr erfreut über dich und deine Nachbarschaft, was aber bewegt dich zu diesen Worten?« Das Wiesel erwiderte: »Der Hausherr hat Sesam gebracht, hat sich mit seiner Familie daran satt gegessen und noch übrig gelassen. Der Sesam liegt da, und alles, was Odem hat, hat schon davon genommen. Nun nimm dir auch davon, da du es mehr als die andern verdienst.« Erfreut hierüber tänzelte und schwänzelte die Maus und machte sich, von ihrer Gier nach dem Sesam verführt, sogleich auf und verließ ihr Haus. Beim Anblick des enthülsten, weißlich schimmernden Sesams ließ die Maus, obwohl sie die Frau neben ihm auf der Lauer sitzen sah, die Folgen außer acht und vermochte nicht mehr an sich zu halten, so daß sie auf den Sesam lief, ihn auseinander wühlte und von ihm fraß. Die Frau aber, die sich einen Knittel zurecht gelegt hatte, schlug ihr damit den Kopf ein, und so war ihre Gier und ihre Unachtsamkeit auf die Folgen die Schuld daran, daß sie ihr Leben verlor.«

Als der König diese Erzählung vernommen hatte, sagte er: »Bei Gott, Schehersad, diese Geschichte ist hübsch. Weißt du vielleicht noch eine Erzählung über gute Kameradschaft, die nicht nur in der Not aushielt, sondern auch vor dem Tode errettete?« Schehersad erwiderte: »Jawohl.«

 


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