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Tausend und eine Nacht. Band V
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Der Sperling und der Pfau.

Zu seiner Zeit lebte auch ein Sperling, welcher Tag für Tag einen König der Vögel besuchte, indem er sich zu ihm als der erste des Morgens in der Frühe begab und ihn als der letzte des Abends verließ. Da traf es sich einmal, daß sich eine Schar Vögel auf einem hohen Berge versammelte, und daß sie zu einander sprachen: »Siehe, wir sind unser viele geworden, und viel ist des Streites zwischen uns entstanden. Laßt uns deshalb einen König erwählen, der unsere Angelegenheiten ins Augenmerk nimmt, so daß wir einig werden und unser Zwiespalt aufhört.« Da nun aber gerade jener Sperling bei ihnen vorüberflog, gab er ihnen den Rat, den Pfau, den König nämlich, den er zu besuchen pflegte, zu ihrem König zu erwählen. Und sie erwählten auch den Pfau und machten ihn zu ihrem König, und der Pfau machte ihnen Geschenke und erwählte sich den Sperling zu seinem Schreiber und Wesir. Nun aber pflegte der Sperling bisweilen seinen Dienst zu verlassen und sich um alles, was sonst vorging, zu bekümmern. Eines Tages war er wieder beim Pfau ausgeblieben, so daß dieser schwer beunruhigt wurde und den Sperling bei seinem Erscheinen fragte: »Was hat dich so lange verhindert, wo du mir doch von meinen Dienern am nächsten stehst?« Der Sperling antwortete ihm darauf: »Ich sah etwas, das mir dunkel war, und wodurch ich erschreckt wurde.« Da fragte ihn der Pfau: »Was hast du denn gesehen?« Und der Sperling erwiderte: »Ich sah einen Mann, der ein Netz bei sich hatte, und dasselbe bei meinem Nest aufstellte, indem er die Pflöcke einsetzte und mitten in dasselbe Korn streute, worauf er sich abseits setzte. Da blieb ich dort, um zu schauen, was er thun würde, und während ich so dasaß, kam mit einem Male ein Kranich mit seiner Frau vom Schicksal und Verhängnis dahergetrieben an, und fielen mitten ins Netz. Auf ihr Geschrei erhob sich der Vogelsteller und griff sie zu meinem Entsetzen. Das war die Ursache meines Ausbleibens, o König der Zeit, und hinfort will ich nicht mehr in jenem Nest wohnen, um vor dem Netz auf der Hut zu sein.« Da entgegnete ihm der Pfau: »Wandere nicht von deiner Stätte aus, da dich die Vorsicht nicht vor dem Schicksal schützt.« Und der Sperling gehorchte seinem Befehle und sagte: »So will ich denn standhaft sein und nicht fortziehen aus Gehorsam gegen den König.« Hierauf nahm sich der Sperling weiterhin in acht und brachte dem Pfau wie gewöhnlich seine Speise, um wieder fortzugehen, wenn der Pfau sich satt gegessen und nach dem Mahl zum Wasser gelangt hatte. Wie der Sperling aber eines Tages wieder einmal ausschaute, sah er zwei Spatzen miteinander auf dem Boden kämpfen; da sprach er bei sich: »Wie darf ich als Wesir des Königs zwei Spatzen miteinander in meiner Nachbarschaft kämpfen sehen! Bei Gott, ich muß sie miteinander aussöhnen.« Alsdann flog er zu ihnen, um unter ihnen Frieden zu stiften, als der Vogelsteller mit einem Male das Netz über alle zusammenklappte, und der Sperling mitten hineinfiel, worauf der Vogelsteller an ihn herantrat, ihn griff und seinem Gefährten mit den Worten übergab: »Gieb gut auf ihn acht, denn er ist fett, und ich sah noch keinen feineren.« Da sprach der Sperling bei sich: »Nun bin ich in das gefallen, wovor ich mich fürchtete, und nur der Pfau war unbesorgt. Meine Vorsicht hat mich nicht vor dem Schicksal bewahrt, und dem Verhängnis vermag keiner, trotz aller Vorsicht, zu entrinnen. Wie schön lautet doch das Dichterwort:

Was nicht geschehen soll, bringt keine List zuwege,
Und was geschehen soll, das muß geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Zeit,
Und nur ein Narr sitzt da geprellt.«

Da sagte der König: »O Schehersad, erzähle mir noch eine solche Geschichte.« Und Schehersad erwiderte: »Kommende Nacht, wenn mich der König, dem Gott Ehre zuteil werden lasse, am Leben läßt.«


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