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Tausend und eine Nacht. Band V
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Hundertundsechsundvierzigste Nacht.

Fabeln und Parabeln.

Die Tiere und der Mensch.

»Glückseliger König, in alter Zeit und in längstentschwundenen Tagen hauste einmal ein Pfau mit seiner Frau am Meeresgestade in einer raubtier- und wildreichen Gegend, welche außerdem reich an Bäumen und Bächen war. Jener Pfau pflegte deshalb mit seiner Frau aus Furcht vor den wilden Tieren die Nacht über auf einem der Bäume daselbst zuzubringen und am Tage seiner Nahrung nachzugehen, bis schließlich ihre Furcht so groß wurde, daß sie fortwanderten und sich einen andern Aufenthalt suchten. Während sie nun so auf der Suche nach einem Wohnplatz waren, zeigte sich ihnen ein baumreiches, von vielen Bächen bewässertes Eiland, so daß sie sich dort niederließen und von den Früchten des Eilandes speisten und von seinen Bächen tranken. Während sie hier in dieser Weise lebten, kam mit einem Male eine Ente in großer Furcht auf sie zu und hemmte ihre Eile erst als sie bei dem Baume, auf welchem der Pfau mit seiner Frau saß, angelangt war und sich hier in Sicherheit fühlte. Da der Pfau nicht zweifelte, daß die Ente eine wunderbare Geschichte erlebt hätte, fragte er sie nach ihrem Befinden und der Ursache ihrer Furcht, und die Ente antwortete ihm: »Ich bin krank aus Kummer und Furcht vor dem Menschen, und ich sage, hüte dich und abermals hüte dich vor den Kindern Adams.« Da sagte der Pfau zur Ente: »Sei nunmehr, wo du zu uns gekommen bist, ohne Furcht,« und die Ente rief: »Gelobt sei Gott, welcher mir durch eure Nähe meinen Kummer und meine Sorge genommen hat! Ich kam hierher, um eure Liebe zu gewinnen.«

Als sie ihre Worte beendet hatte, stieg die Pfauhenne zu ihr hinab und sprach zu ihr: »Willkommen von Herzen und sei unbesorgt! Von wannen sollte wohl der Mensch zu uns kommen, wo wir auf diesem Eiland mitten im Meere leben? Vom Land aus kann er nicht zu uns kommen und auch zu Wasser kann er nicht zu uns an den Strand steigen; freu' dich deshalb und erzähl' uns, was dich vom Menschen betroffen und befallen hat.« Die Ente erzählte nun: »Wisse, o Pfauin, ich verbrachte auf dieser Insel mein ganzes Leben in Sicherheit, ohne irgend eine Widerwärtigkeit zu sehen; da schlief ich eines Nachts und sah im Traum das Bild eines Menschen, das mich anredete, und dem ich Antwort gab; da hörte ich jedoch eine Stimme zu mir sprechen: »Hüte dich vor dem Menschen, o Ente, und laß dich weder durch seine Worte noch seine Einflüsterungen verführen, denn der Mensch ist voll Falsch und Trug; darum hüte dich, so sehr du kannst, vor seiner List, denn er ist voll List und Verschlagenheit, wie der Dichter von ihm sagt:

Mit der Zunge wird er dir Konfekt reichen
Und wird dich dabei wie ein falscher Fuchs beschleichen.

Wisse, daß der Mensch die Fische im Meere bethört und sie aus der Tiefe herausholt, daß er die Vögel mit Lehmkugeln schießt und selbst den Elefanten durch seine List zu Fall bringt. So ist keiner vor des Menschen Unheil sicher, und weder Vogel noch Tier können ihm entrinnen. Nun hab' ich dir erzählt, was ich vom Menschen vernahm.« In Furcht und Schrecken erwachte ich aus meinem Traum, und noch bis jetzt ist meine Brust nicht frei von Furcht vor dem Menschen, daß er mich mit seiner List überfallen und in seinen Stricken fangen könnte. Noch ehe der Tag sich zu Ende neigte, war meine Kraft gebrochen und mein Mut geschwunden. Als ich dann Hunger und Durst bekam und mit verdüstertem Gemüt und bedrücktem Herzen hinausging, kam ich zu jenem Berg und fand dort vor dem Eingang einer Höhle einen jungen Löwen von gelber Farbe. Als mich der junge Löwe erblickte, freute er sich mächtig über mich und rief mir zu, meine Farbe und meine niedliche Person bewundernd: »Komm näher heran zu mir!« Wie ich nun an ihn herangetreten war, fragte er mich: »Wie heißt du und zu welcher Gattung gehörst du?« Ich antwortete ihm: »Ich heiße Ente und gehöre zur Gattung der Vögel.« Darauf fragte ich ihn: »Warum sitzest du hier an diesem Ort zu dieser Zeit?« und der junge Löwe antwortete: »Der Grund hiervon ist der, daß mich mein Vater, der Löwe, vor einigen Tagen vor dem Menschen gewarnt hat, und zufällig sah ich heute Nacht im Traum die Gestalt eines Menschen.« Darauf erzählte mir der Löwe ganz das gleiche, was ich dir erzählte. Als ich seine Worte vernommen hatte, sagte ich zu ihm: »O Löwe, ich suche meine Zuflucht bei dir, auf daß du den Menschen erschlägst und den festen Entschluß ihn zu erschlagen fassest. Denn, siehe, ich bin in großer Furcht vor ihm um meines Lebens willen und bin nun noch mehr besorgt geworden durch deine Furcht vor dem Menschensohne, wo du doch der Sultan der Raubtiere bist.« So, meine Schwester, warnte ich den jungen Löwen in einem fort vor dem Menschen und forderte ihn auf den Menschen umzubringen, bis er sich zur selbigen Zeit und Stunde von seinem Platz, an dem er gelegen hatte, erhob, und, den Rücken mit seinem Schweif peitschend, einherschritt, während ich ihm nachwatschelte, bis wir zu einer Stelle kamen, wo sich der Weg trennte, und wir hier eine Staubwolke aufsteigen sahen. Nachdem sich dieselbe zerteilt hatte, erblickten wir unter derselben einen nackenden Esel, welcher in wilder Flucht bald im Galopp einherrannte, bald sich auf dem Boden kollerte. Als der Löwe den Esel erblickte, rief er ihn an, und fragte ihn, als der Esel unterwürfig herankam: »Du albernes Tier, zu welcher Gattung gehörst du und weshalb kommst du hierher?« Da antwortete der Esel: »O Sohn des Sultans, ich bin vom Geschlecht der Esel und komme hierher auf der Flucht vor dem Sohne Adams.« Der junge Löwe versetzte darauf: »Fürchtest du etwa auch, daß dich der Mensch töten möchte?« Der Esel antwortete: »Nein, o Sohn des Sultans; ich fürchte mich nur davor, daß er mich mit List fängt und dann auf mir reitet; denn er hat etwas, das er Sattel nennt, und mir auf den Rücken legt, und etwas, das er Gurt nennt und mir um den Leib schnürt, und etwas, das er Schwanzriemen nennt und mir unter den Schwanz legt, und noch etwas, das er Zaum nennt und mir ins Maul legt; dann macht er noch einen Stachel für mich und stachelt mich damit und schindet mich über meine Kräfte mit Laufen. Stolpere ich, so verflucht er mich, und brülle ich, so schmäht er mich. Hernach, wenn ich alt geworden bin und nicht mehr laufen kann, legt er mir einen Packsattel aus Holz auf und übergiebt mich den Wasserträgern, welche das Wasser in ziegenledernen Schläuchen und dergleichen als Krügen aus dem Fluß schöpfen und auf meinen Rücken packen; so lebe ich beschimpft, erniedrigt und geplagt bis zum Tode, wo man mich auf die Schutthaufen den Hunden zum Fraß hinwirft. Was kann größer sein als der Kummer über solches Schicksal, und welches Unheil schlimmer als dies?«

Als ich, o Pfauin, des Esels Worte vernahm, erschauerte mein Leib vor dem Menschen, und ich sprach zum Löwen: »Mein Herr, der Esel ist zu entschuldigen, und seine Worte haben meine Angst noch vermehrt.« Da fragte der Löwe den Esel: »Wohin willst du laufen?« Der Esel antwortete ihm: »Ich sah den Menschen vor Sonnenaufgang aus der Ferne und lief vor ihm fort. Nun möchte ich Abschied nehmen und in meiner großen Furcht immer weiter laufen, bis ich irgendwo einen Zufluchtsort vor dem treulosen Menschen finde.«

Während der Esel mit dem jungen Löwen noch hierüber sprach und sich verabschieden und weiterziehen wollte, sahen wir plötzlich wieder eine Staubwolke; da brüllte der Esel und schrie und schaute, einen lauten Wind streichen lassend, in der Richtung der Staubwolke aus. Nach einer Weile zerteilte sich die Staubwolke, und ein Rappe mit einer Blässe wie ein Dirhem kam zum Vorschein. Es war ein edles Pferd mit hübscher weißer Zeichnung an den Hufen und mit schönen Füßen, welches laut wieherte und seinen Lauf nicht eher hemmte, als bis es vor dem jungen Löwen stand. Als der Löwe es erblickte, bewunderte er es und sprach zu ihm: »Von welcher Art bist du, herrliches Tier, und weshalb kommst du in wilder Flucht in diese weite und breite Steppe?« Das Pferd antwortete: »O Herr der Tiere, ich bin das Roß vom Geschlecht der Pferde und komme einhergesprengt auf der Flucht vor dem Menschen.« Da verwunderte sich der Löwe über die Worte des Pferdes und sagte: »Sprich nicht dieses Wort, das dir zur Unehre gereicht. Du bist groß und dick, wie also wolltest du dich bei deiner Leibesgröße und deinem schnellen Lauf vor dem Menschen fürchten, wo ich bei meinem kleinen Körperbau entschlossen war dem Menschen entgegen zu gehen, mich auf ihn zu stürzen und sein Fleisch zu fressen, um das Herz dieser armen Ente zu beruhigen und sie in Frieden wohnen zu lassen? Jetzt aber hast du in dieser Stunde mein Herz durch deine Worte zerschnitten und mich von meinem Vorhaben abgebracht, dieweil dich der Mensch trotz deiner Größe bezwang und sich weder vor deiner Größe noch Breite fürchtete, obwohl du ihn mit einem Fußschlag töten könntest, und er keine Macht über dich zu gewinnen vermöchte, sondern du ihm den Becher des Verderbens zu trinken geben könntest.«

Als das Pferd die Worte des jungen Löwen vernahm, lachte es und sagte: »Weit gefehlt, weit gefehlt, daß ich ihn bezwingen könnte, o Prinz. Laß dich weder durch meine Größe, noch meine Breite und meinen Leibesumfang rücksichtlich des Menschen täuschen. In seiner großen Arglist und Verschlagenheit macht er etwas für mich, das Fußfessel heißt, und legt dann um meine vier Füße zwei Fußfesseln aus Palmenfaserstricken, die mit Filz umwunden sind, und bindet meinen Kopf an einem hohen Pflock fest, daß ich in solcher halb aufgehängten Haltung stehen muß, ohne liegen oder schlafen zu können. Will er auf mir reiten, so macht er ein eisernes Ding für mich, worin er seine Füße steckt und das Steigbügel heißt, legt ein Ding, das man Sattel nennt, auf meinen Rücken und schnürt es mit zwei Gurten unter meinem Bauch fest, legt dann ein eisernes Ding in mein Maul, welches er Gebiß nennt, und befestigt daran ein Ding aus Leder, das Zügel heißt. Wenn er dann auf meinem Rücken auf dem Sattel sitzt, so faßt er den Zügel mit der Hand und lenkt mich mit ihm, während er mir den Steigbügel in die Weichen stößt, bis sie bluten. Frag' nicht, o Sohn des Sultans, was ich vom Menschen zu erdulden habe. Wenn ich dann alt geworden bin, und mein Rücken abgemagert ist, und ich nicht mehr schnell laufen kann, so verkauft er mich dem Müller, der mich die Mühle drehen läßt, und so muß ich sie fortwährend Tag und Nacht drehen, bis ich altersschwach geworden bin. Dann verkauft mich der Müller dem Schlächter, und der Schlächter schlachtet mich, zieht mir die Haut ab, rupft mir den Schwanz aus und verkauft beides den Siebmachern, während er selber mir das Fett ausschmilzt.«

Als der Löwe die Worte des Pferdes vernommen hatte, wuchs sein Zorn und Ärger, und er fragte das Pferd: »Wann hast du den Menschen verlassen?« Das Pferd antwortete: »Ich verließ ihn um Mittag, und er folgt meiner Spur.«

Während der Löwe noch mit dem Pferd hierüber redete, wirbelte eine neue Staubwolke auf; als sich dieselbe zerteilte, erschien unter ihr ein wütendes Kamel, welches gurgelnde Laute ausstieß und mit den Füßen die Erde stampfte und erst, als es bei uns anlangte, ruhig wurde. Als der junge Löwe das Kamel sah, groß und dick wie es war, glaubte er, es wäre der Mensch und wollte auf dasselbe losspringen. Da sagte ich zu ihm: »O Sohn des Sultans, das ist nicht der Mensch, das ist nur ein Kamel, und es sieht aus, als ob es auf der Flucht vor dem Menschen wäre.« Als ich so, meine Schwester, mit dem Löwen redete, kam das Kamel vor den Löwen getreten und begrüßte ihn. Der Löwe erwiderte ihm den Salâm und fragte es: »Weshalb kommst du hierher?« Das Kamel antwortete ihm: »Ich komme auf der Flucht vor dem Menschen hierher.« Da sagte der Löwe zu ihm: »Und du bei deinem gewaltigen Bau, deiner Höhe und Breite, wie kannst du dich vor dem Menschen fürchten, wo du ihn mit einem einzigen Fußstoß totschlagen könntest?« Das Kamel antwortete ihm darauf: »O Sohn des Sultans, wisse, der Mensch ist so verschlagen, daß man nichts wider ihn vermag, und nur der Tod kann ihn bezwingen. Er legt mir einen Strick durch die Nase, den er den Nasenring nennt, und einen Halfter um meinen Kopf und übergiebt mich dann dem kleinsten seiner Kinder, und das kleine Kind zieht mich nach sich, trotz meiner Größe und Massigkeit. Die schwersten Lasten laden sie mir auf und machen mit mir lange Reisen; zu schweren Arbeiten bedienen sie sich meiner die ganze Nacht über und den ganzen Tag. Bin ich aber alt und greisenhaft geworden, oder ist meine Kraft gebrochen, so duldet er mich nicht mehr in seiner Gesellschaft, sondern verkauft mich dem Schlächter, der mich schlachtet und meine Haut den Gerbern und mein Fleisch den Köchen verkauft. Frag' deshalb nicht, was ich vom Menschen zu erdulden habe.« Da fragte der Löwe das Kamel: »Um welche Zeit hast du den Menschen verlassen?« Es antwortete: »Ich verließ ihn gegen Sonnenuntergang, und ich glaube, er wird mir schnell nachkommen und mich suchen, sobald er nach meinem Entlaufen zu meinem Platze kommt und mich nicht findet. Laß mich daher, o Sohn des Sultans, in die Steppen und Wüsten fliehen.« Der Löwe entgegnete jedoch: »Warte ein wenig, bis du gesehen hast, wie ich ihn zerreiße und dir von seinem Fleisch zu fressen gebe, wie ich seine Knochen zermalme und sein Blut trinke.« Da sagte das Kamel zu ihm: »O Sohn des Sultans, ich fürchte für dich, denn der Mensch ist voll Falsch und Verschlagenheit.« Darauf sprach es das Wort des Dichters:

»Kehrt der Bedrücker in eines Volkes Land ein,
So bleibt den Bewohnern nichts übrig als abzuziehen.«

Während das Kamel noch mit dem Löwen hierüber redete, erhob sich plötzlich eine neue Staubwolke. Nach einer Weile verzog sie sich, und nun kam darunter ein kleiner, dünner Scheich zum Vorschein, welcher auf seinen Schultern einen Korb mit Tischlerwerkzeug und auf dem Kopf einen Baumast und acht Bretter trug, an der Hand aber kleine Kinder führte. Er kam munter herangeschritten und hielt erst nahe vor dem jungen Löwen an, während ich, o Schwester, bei seinem Anblick in meiner großen Furcht umfiel. Der Löwe erhob sich jedoch und ging ihm entgegen, und der Tischler lachte ihm ins Gesicht, als er zu ihm gekommen war, und sagte zu ihm mit beredter Zunge: »O herrlicher König und Herr des langen Armes, Gott segne deinen Abend und dein Streben und mehre deine Tapferkeit und Stärke! Beschütze mich vor dem, was mich betroffen und mit seinem Unheil verwundet hat, denn ich finde keinen Helfer als dich.« Darauf stellte sich der Tischler vor den Löwen und weinte, seufzte und klagte, so daß der Löwe, wie er sein Weinen und Klagen hörte, zu ihm sagte: »Ich will dich vor dem Gegenstand deiner Furcht in Schutz nehmen. Wer ist's, der dich vergewaltigt hat, und was bist du, o Tier, desgleichen ich in meinem Leben noch nicht sah, und auch keins, das eine schönere Gestalt oder beredtere Zunge gehabt hätte?« Da sagte der Tischler zu ihm: »O Herr der Tiere, was mich anlangt, so bin ich ein Tischler, der aber, welcher Gewalt an mir verübt hat, ist der Mensch, und nächsten Morgen wird er hier bei dir eintreffen.« Als der junge Löwe diese Worte vom Tischler vernahm, verwandelte sich das Licht in seinem Angesichte in Finsternis. Er schnaubte und schnarchte, sprühte Funken aus den Augen und brüllte: »Bei Gott, ich will die Nacht über bis zum Morgen wach bleiben und nicht eher zu meinem Vater heimkehren als bis ich mein Ziel erreicht habe.« Dann wendete sich der Löwe zum Tischler und sagte zu ihm: »Ich sehe, daß deine Schritte kurz sind, und ich kann dich nicht betrüben, da ich großmütig bin; ich vermute, daß du nicht imstande bist mit den Tieren gleichen Schritt zu halten, sag' mir daher, wohin du gehen willst?« Der Tischler antwortete ihm: »Wisse, ich gehe zum Wesir deines Vaters, dem Luchs, welcher bei der Nachricht, daß der Mensch dieses Land betreten hätte, für sein Leben in gewaltige Furcht geriet und zu mir einen Boten von den Tieren schickte, daß ich für ihn ein Haus anfertige, in welchem er wohnen und wo er einen Unterschlupf finden und vor seinem Feinde geschützt sein könnte, so daß keiner der Söhne Adams zu ihm zu gelangen vermöchte. Als der Bote zu mir kam, nahm ich diese Bretter und machte mich zu ihm auf den Weg.«

Wie nun der junge Löwe die Worte des Tischlers vernahm, wurde er neidisch auf den Luchs und sagte zu ihm: »Bei meinem Leben, du mußt mir aus diesen Brettern zuerst ein Haus machen, bevor du für den Luchs eins machst. Hast du die Arbeit für mich besorgt, so magst du zum Luchs gehen und ihm machen, was du willst.« Der Tischler antwortete jedoch auf die Worte des Löwen: »Mein Herr, ich kann nicht eher für dich etwas machen, als bis ich dem Luchs das Verlangte gemacht habe. Dann will ich zu deinen Diensten kommen und dir ein Haus machen, das dich vor deinem Feinde schützt.« Da entgegnete ihm der Löwe: »Bei Gott, ich lasse dich nicht eher von hier fort, als bis du mir aus diesen Brettern ein Haus gemacht hast.« Hierauf duckte sich der Löwe und sprang auf den Tischler und schlug ihm im Spiel mit der Tatze den Korb von der Schulter, daß der Tischler bewußtlos hinstürzte. Dann lachte ihn der Löwe aus und sagte zu ihm: »Wehe dir, Tischler, du bist schwach und hast keine Kraft und bist deshalb zu entschuldigen, daß du dich vor dem Menschen fürchtest.« Als der Tischler aber auf den Rücken fiel, ergrimmte er mächtig; indem er jedoch seinen Zorn aus Furcht vor dem Löwen verbarg, richtete er sich wieder auf und sagte zu ihm, ihm ins Gesicht lachend: »Ich will dir das Haus machen.« Dann nahm er seine Bretter und nagelte das Haus, nach dem Maß des Löwen, indem er dasselbe in der Form einer Kiste anfertigte. Er machte für die Thür eine große Öffnung, machte für dieselbe einen Deckel, in den er viele Löcher bohrte, und sagte zum Löwen, indem er neue Nägel hervorholte: »Geh' durch diese Öffnung in dieses Haus, daß ich es über dich wölbe.« Der Löwe trat erfreut an die Öffnung, doch fand er, daß sie eng war. Da sagte der Tischler zu ihm: »Geh' nur hinein und leg' dich auf alle Vier nieder.« Nun that es der Löwe und stieg in die Kiste hinein, wobei jedoch sein Schwanz draußen blieb. Als er deshalb wieder rückwärts heraus wollte, sagte der Tischler zu ihm: »Wart' noch, bis ich gesehen habe, ob dein Schwanz nicht auch hineingeht.« Der Löwe gehorchte ihm, der Tischler aber wickelte nun den Schwanz des Löwen zusammen, stopfte ihn in die Kiste, legte dann schnell die Platte über die Öffnung und vernagelte sie. Da schrie der Löwe: »Tischler, was ist das für ein enges Haus, das du mir gemacht hast, laß mich wieder heraus!« Der Tischler aber entgegnete ihm: »Weit gefehlt! Weit gefehlt! Reue für Geschehenes ist nutzlos; du wirst aus dieser Kiste nicht mehr herauskommen.« Dann lachte er und sagte zum Löwen: »Du hast dich in diesem Käfig gefangen und bist das gemeinste Tier geworden.« Da sagte der Löwe: »O mein Bruder, was sind das für Worte, mit denen du mich anredest?« Aber der Tischler entgegnete ihm: »Wisse, du Hund der Wüste, du bist in das gefallen, vor dem du dich fürchtetest; das Schicksal hat dich getroffen, und Vorsicht kann dir nicht mehr helfen.« Als der Löwe die Worte des Tischlers vernahm, meine Schwester, erkannte er, daß es der Mensch war, vor welchem ihn sein Vater im Wachen und El-Hâtif im Schlaf gewarnt hatte, und es stand bei mir fest, daß er es ohne Zweifel und Irrtum war. In gewaltiger Furcht vor ihm wich ich ein wenig vor ihm zurück und wartete, was er mit dem Löwen thun würde; und nun, meine Schwester, sah ich, wie der Mensch an derselben Stätte nahe bei der Kiste, in welcher der Löwe saß, eine Grube grub, ihn in jene Grube stürzte und dann Holz darauf warf und es anzündete. Da, o meine Schwester, ward mein Schrecken noch größer, und nun sind es zwei Tage her, daß ich in meiner Furcht vor dem Sohne Adams auf der Flucht bin.«

Als die Pfauhenne diese Worte von der Ente vernahm,

Hundertundsiebenundvierzigste Nacht.

verwunderte sie sich über die Maßen und sagte: »Meine Schwester, du bist hier vor dem Menschen geborgen, da wir auf einem Meereseiland leben, zu welchem es für den Menschen keinen Zugang giebt. Erwähle dir daher bei uns eine Stätte, bis daß Gott deine Sache und die unsrige leicht macht.« Die Ente erwiderte darauf: »Ich fürchte, daß mich irgend ein nächtliches Unheil oder das Schicksal treffen möchte, dem kein Flüchtling entkommen kann.« Doch die Pfauhenne erwiderte: »Bleib' bei uns und sei gleich uns,« und ließ nicht eher von ihr ab, bis sie dablieb und zur Pfauhenne sagte: »Ach, meine Schwester, du weißt, wie wenig Ruhe ich habe; hätte ich dich nicht hier gesehen, ich würde nicht hier bleiben.« Die Pfauhenne entgegnete ihr darauf: »Was auf unserer Stirn geschrieben steht, muß sich an uns erfüllen, und wenn unser Termin genaht ist, wer wollte uns davor befreien? Doch keine Seele stirbt, bevor sie nicht ihren Unterhalt genossen und ihre Zeit erfüllt hat.«

Während sie solche Worte miteinander führten, kam plötzlich eine große Staubwolke auf sie zu. Da schrie die Ente auf, tauchte ins Meer und rief: »Hüte dich, hüte dich, auch wenn es kein Entrinnen vor dem Schicksal giebt!«Koran 2. Sure V. 191. Als sich nun die Staubwolke zerteilte, wurde eine Gazelle unter ihr sichtbar, worauf sich die Ente und die Pfauhenne wieder sicher fühlten, und die Pfauhenne zur Ente sagte: »Meine Schwester, das, vor dem du dich fürchtest, ist eine Gazelle, und siehe, da kommt sie auf uns zu. Wir haben nichts vor ihr zu besorgen, weil die Gazelle nur das Gras auf dem Felde frißt und zur Gattung der Tiere gehört wie du zur Gattung der Vögel gehörst. Sei daher sicher und unbesorgt, zumal die Sorge den Leib verzehrt.«

Noch hatte die Pfauhenne ihre Worte nicht beendet, da kam auch schon die Gazelle bei ihnen an, um sich unter dem Baume in den Schatten zu legen. Als sie die Pfauhenne und die Ente erblickte, begrüßte sie dieselben und sagte zu ihnen: »Ich kam heute zu dieser Insel und sah keine grasreichere und zum Wohnen geeignetere.« Dann forderte die Gazelle sie auf einander Gesellschaft zu leisten und treu miteinander zusammen zu halten, und die Pfauhenne und Ente hießen sie, als sie ihre Liebe zu ihnen sahen, willkommen und trugen nach ihrer Gesellschaft Verlangen. Sie schwuren einander Treue und Freundschaft, schliefen zur Nacht an derselben Stätte und aßen in Gemeinschaft am Tage, bis einst, nachdem sie in dieser Weise in Sicherheit gelebt und gegessen und getrunken hatten, ein auf dem Meere umherirrendes Schiff bei ihnen vorüberkam und nahe bei ihnen ankerte, worauf die Leute an den Strand stiegen und sich auf der Insel zerstreuten. Als sie die Gazelle, die Pfauhenne und die Ente bei einander erblickten, gingen sie auf dieselben zu; da flüchtete die Gazelle in die Steppe, die Pfauhenne flog in die Luft, die Ente aber blieb verstört zurück, so daß sie dieselbe so lange jagten, bis sie sie fingen, wobei sie schrie: »Mir hat die Vorsicht nichts wider das Schicksal und Verhängnis genützt.« Dann gingen sie mit ihr aufs Schiff zurück. Als aber die Pfauhenne sah, was mit der Ente geschah, zog sie von der Insel fort und sagte: »Ich sehe, daß das Verderben auf jeden lauert. Ohne dieses Schiff hätte ich mich nicht von der Ente trennen müssen, die einer der besten Freunde war.« Dann flog sie wieder zu der Gazelle, welche sie begrüßte, sie zur Errettung beglückwünschte und sich bei ihr nach der Ente erkundigte. Da sagte sie: »Der Feind hat sie genommen, und der Aufenthalt auf jener Insel ist mir nach der Trennung von ihr verleidet.« Weinend über die Trennung von der Ente sprach sie dann den Vers:

Siehe, der Tag der Trennung hat mir das Herz zerschnitten,
So zerschneide Gott das Herz dem Tag der Trennung!

und folgenden Vers:

Ich wünschte, ich sähe ihn eines Tages wieder,
Und erzählen wollt' ich ihm, was die Trennung geschaffen.

Die Gazelle war hierüber tief bekümmert, doch brachte sie die Pfauhenne von ihrem Entschluß auszuwandern wieder ab und lebte mit ihr auf jener Insel in Sicherheit, und sie aßen und tranken, doch trauerten sie fortwährend über die Trennung von der Ente, und die Gazelle sagte zur Pfauhenne: »Meine Schwester, du weißt, daß jene Leute, die vom Schiff zu uns an den Strand stiegen, die Ursache unserer Trennung und des Verderbens der Ente gewesen sind; darum nimm dich vor ihnen in acht und hüte dich vor ihnen und vor der List und dem Falsch der Kinder Adams.« Aber die Pfauhenne antwortete ihr: »Ich weiß bestimmt, daß sie nur deswegen umkam, daß sie Gottes Preis außer acht ließ, wiewohl ich zu ihr sagte: »Ich fürchte für dich, weil du Gott zu preisen unterlässest, denn alle Wesen, die Gott erschaffen hat, preisen ihn, und Nachlässigkeit hierin hat ihren Untergang zur Folge.« Als die Gazelle diese Worte von der Pfauhenne vernahm, sagte sie: »Gott gebe dir eine schöne Gestalt!« Darauf fing sie an, Gott unaufhörlich zu preisen, und man sagt, daß die Gazelle bei ihrer Lobpreisung Gottes ruft: »Preis dem Vergelter, dem Herrn der Stärke und Macht!«

Man erzählt, daß einmal ein Gottesmann seiner Andacht auf einem Berge lebte, auf welchem ein Taubenpaar wohnte, und daß dieser Eremit seine tägliche Speise in zwei Teile zu teilen pflegte,

 


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