Karl Henckell
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Karl Henckell

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Form und Leben

1

        Hab Dank, du mein Leben, du hast mich durchbraust
Und früh mich behütet, ein Priester zu werden
Erhabener Gesten, gezierter Geberden,
In denen der Hochmut der Förmlinge haust.

Abgründiges Leben, du schlugst Melodie
Mir aus klaffenden Schroffen, zerrissenen Kanten,
Da lach' ich der prunkhaft preziösen Pedanten
Und Dichtkunstgeschmäckler vom heiligen Pli.

Lichtjubelndes Leben, du hast mich entzückt
Zu zitternden Wonnen, beschwingteren Stunden,
Ich habe verborgene Weisen gefunden
Und schlummernde Lieder dem Urtraum entrückt.

O Rose des Lebens, Tautropfen der Kunst,
Darinnen die wandelnden Himmel sich spiegeln –
Was frommt es, die Worte zu schniegeln und striegeln
Und Blüten am Draht zu besprengen aus Tiegeln
Mit Weihrauch und Myrrhen und künstlichem Dunst?

2

        Stets schätzt' ich hoch die Kunst der edlen Formen,
Den stolzen Bau, das tiefgeschöpfte Bild,
Wenn mit dem schönen, blanken Spiegelschild
Die Muse schreitet fern gemeinen Normen.

Auch können seltne Reime stark mich bannen,
Wenn sie wie kühne Lichter Gottes sind,
Sie blitzen auf, sie brechen aus dem Wind,
Ein Staunen selbst gewiegten Worttyrannen.

Ja, immer mehr lieb' ich das Souveräne,
Das sich sein eignes Formgesetz bestimmt,
Der Versgestalt die schwanke Willkür nimmt
Und dauernd fügt die festen Rhythmenpläne.

Heil auch der reichen Zier! – Nur alabastert,
Byzanzelt, mosaikt mir nicht zu viel!
Die ihr – es ist der pure Protzenstil –
Den heiligen Hain mit Diamanten pflastert.


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