Thomas Theodor Heine
Seltsames geschieht
Thomas Theodor Heine

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Zum ewigen Frieden

Es waren einmal zwei mächtige Reiche. Das eine hieß Ostland, und das andere hieß Westland. Natürlicherweise konnten sie, als Nachbarländer, nicht immer in Frieden miteinander leben, und so bekriegten sie sich oft. Wenn Ostland gesiegt hatte, erholte sich Westland nach fünf Jahren so weit, daß es nun seinerseits siegen konnte, und so ging es in abwechselnder Reihenfolge weiter. Jeder dieser Kriege ließ seine Spuren zurück, als da waren: Tausende von Heldengräbern, Tausende von Einbeinigen und sonstigen Kriegsbeschädigten und Tausende von Denkmälern der siegreichen Heerführer. Für die Krüppel fand sich ja immer Raum in den ungeheuren Reichen, aber der Platz für die Monumente begann zu mangeln, und das wurde zu einem schwierigen Problem. Schon waren alle Straßenkreuzungen und Parke damit überfüllt, und mit großer Sorge sah man dem nächsten Krieg entgegen. Es mußte etwas geschehen, das sahen sowohl König Ostloff wie König Westhill ein, gerade zur rechten Zeit, als wieder die üblichen fünf Friedensjahre verflossen waren.

Diesmal hatte Ostland ein Ultimatum gestellt. König Westhills Antwort lautete: »Seine Majestät König Ostloff haben vollkommen recht, Wir unrecht. Ich bin bereit, alle Forderungen zu 141 erfüllen. Nie wieder Krieg! Westhill Rex«

König Ostloff war wütend. Wie sollte sich die Weltgeschichte in der gewohnten Weise weiterentwickeln?! Er schlug eine Konferenz vor, an der auch Vertreter der beiderseitigen Untertanen teilnehmen sollten. Zum Ort der Zusammenkunft wurde die neutrale Stadt Genf gewählt. Hier fühlten sich die Abgeordneten der Untertanen so sicher, daß sie die wahre Volksmeinung zum Ausdruck bringen konnten. Sie sagten, daß sie ihre gesunden Glieder selbst den besten Prothesen vorzögen, lieber etwas weniger Ehre und mehr Beine hätten; Kriege seien zwar notwendig, aber eine Privatangelegenheit der Regierenden; König Ostloff und König Westhill sollten die unter sich ausmachen, am besten durch einen Zweikampf. König Ostloff stimmte begeistert zu, und auch König Westhill wollte zeigen, daß er zu jedem Opfer für das Vaterland bereit sei und nicht etwa aus Feigheit den Frieden gewollt habe.

Die Generale beider Länder setzten in achttägiger Arbeit die Bedingungen des Duells fest. Es sollte in dem gänzlich verdunkelten Keller des Beratungshauses stattfinden. Keine Schußwaffen sollten gebraucht werden, sondern scharfgeschliffene Dolche. Die Kontrahenten sollten nur im königlichen Hermelinmantel, die Krone auf dem Haupt, im übrigen unbekleidet, ohne Zeugen einander gegenübertreten. Auf ein Trompetensignal sollte der Keller verschlossen werden, auf ein zweites das Duell beginnen.

Alles verlief programmgemäß. Ernst, aber gefaßt traten die beiden Könige, nur mit Hermelin und Krone bekleidet, an zur schwersten und bedeutungsvollsten Amtshandlung ihrer Regierungsepoche. Sie nahmen tiefbewegt Abschied von Familie und Freunden und wurden für die Wochenschau fotografiert. 143 Weihevoll, mit eigens angefertigtem goldenem Schlüssel, wurde die Kellertür hinter ihnen verschlossen. Nachdem das zweite Trompetensignal ertönt war, horchte die Versammlung atemlos auf das Schreckliche, das dort in der Dunkelheit vor sich ging. – Kein Ton war zu hören.

Nach etwa fünf Minuten nieste jemand darin. Eine der beiden Majestäten war also noch am Leben, man stritt darüber, ob es König Ostloffs oder König Westhills Stimme sei. Dann dehnten sich die fünf Minuten zu zehn, zu einer Viertelstunde. Es blieb völlig still. Nach einer halben Stunde war die Geduld der Wartenden zu Ende. Vielleicht waren beide Helden schon tot. Feierlich wurde die Tür geöffnet. Ein Schauer überlief alle Rücken, als man in das schweigende Dunkel starrte. Bahren standen bereit. Licht wurde gebracht. Ein entsetzlicher Anblick bot sich den Eintretenden: In einer Ecke kauerte König Westhill, nackt auf seinem Hermelinmantel, anscheinend unverletzt, die Krone, da mit Gummiband befestigt, zierte noch das majestätische Haupt. Der Dolch lag neben ihm auf dem Boden, offenbar nicht benutzt. In der gegenüberliegenden Ecke hockte König Ostloff, ebenso unbekleidet, vor Kälte zitternd, den Dolch hatte auch er fortgeworfen. Beide lebten, waren ohne Verwundung, nur ein bißchen nervös. Sie wurden sofort warm eingewickelt und abtransportiert. Einige Hochrufe ertönten. Die Pressefotografen traten in Tätigkeit.

Am Abend fand ein großes Festmahl statt. Reden wurden gehalten, welche die historische Wichtigkeit des Tages betonten. »Das war der letzte Krieg«, sagte König Westhill. »Ja, der letzte«, rief König Ostloff mit großer Entschlossenheit. Dann umarmten sie einander und küßten sich. 144

Im Hintergrund tauchten schon einige Bildhauer auf und skizzierten das Friedensmonument, auf dem die beiden Helden Hand in Hand stehen sollten.

 


 


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