Thomas Theodor Heine
Seltsames geschieht
Thomas Theodor Heine

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Der Teufel im Warenhaus

Herrn Siegfried Hagens Gemischtwarenhandlung stand vor dem Bankrott. Bis spät in die Nacht hatte Herr Hagen Inventur gemacht. Nun war er hinter seinen Geschäftsbüchern erschöpft und verzweifelt zusammengesunken. Er seufzte: »Kein Teufel kann mir mehr helfen.«

Da hörte er eine flüsternde Stimme hinter 59 sich: »Vielleicht doch, Herr Hagen.« Erschrocken sprang er auf und sah sich einem wohlbeleibten, elegant gekleideten Herrn gegenüber, von exotischem, dunkelhäutigem Typus. Auf die Frage, wie er hereingekommen sei, ging der nächtliche Besucher nicht ein, sondern er verneigte sich devot und, verbindlich lächelnd, sprach er: »Verzeihen Sie die Störung. Ich garantiere Ihnen nicht nur eine völlige Sanierung Ihres Geschäfts, sondern auch einen unerhörten Aufschwung. Auf welche Weise? Sehr einfach: ich liefere Ihnen sämtliche Waren in garantiert prima Qualität ganz umsonst.« Da hätte Herr Hagen beinahe gelacht, aber dann wurde er doch bös und rief: »Machen Sie keine Witze, sondern machen Sie, daß Sie hinauskommen, möglichst schnell!« »Einen Moment!« bat der Besucher, höflich grinsend, »mein Angebot ist restlos seriös. Allerdings sehen wir uns auch genötigt, unsere Bedingungen zu stellen: Sie müssen sich verpflichten, jeden neuen Posten Ware billiger zu verkaufen als den vorhergehenden. Das können Sie ja leicht tun, da Sie die Ware nichts kostet. Sollten Sie jedoch diese Verpflichtung nicht einhalten, so tritt §13 unseres Vertrages in Kraft. Ihre Seele sowie die Ihrer sämtlichen Angestellten geht dann in unser unumschränktes Eigentum zu sofortiger Besitzergreifung über.« »Sie sind der Teufel!« schrie Hagen entsetzt. »Das ist allerdings mein Name. Bitte, lassen Sie sich aber nicht durch die verleumderischen Ausstreuungen der Konkurrenz davon abhalten, unser wirklich einzig dastehendes Angebot zu akzeptieren.« Er entnahm seiner Aktentasche zwei auf Pergament gedruckte gleichlautende Vertragsentwürfe sowie eine Injektionsspritze und eine Füllfeder.

»Darf ich Ihren geschätzten Adern ein wenig Blut entnehmen? 60 – So – danke verbindlichst – ich wußte ja, daß Sie ein gewiegter Geschäftsmann sind.« Mit dem Blut, das er Herrn Hagens Arm entnommen hatte, füllte er die Feder und reichte sie ihm zur Unterzeichnung der Urkunde. Herr Hagen, wie im Traum, unterschrieb. »Und jetzt bitte, mir nur anzugeben, was wir Ihnen liefern sollen.« Aber Hagen schüttelte den Kopf: »Ich brauche nichts, es war ja fast kein Umsatz mehr.«

»All right!« sagte der Herr Teufel, »setzen Sie Ihre Preise so nie dagewesen herunter, daß die Ware reißend abgeht. Wir werden Ihre Lager stets automatisch wiederauffüllen. Bei erhöhtem Bedarf oder Neuaufnahmen bitte ich diese Bestellzettel unserer Firma auszufüllen und sie uns zuzustellen, indem Sie dieselben in der Feuerung verbrennen.« Ein leichter Schwefelgeruch verbreitete sich, und der Besucher war verschwunden.

Noch ganz benommen verschloß Herr Hagen den Vertrag im Kassenschrank. Dann brummte er: »So ein Schwindel! Aber jetzt 61 ist schon alles gleich.« In dieser Nacht schlief er seit langem wieder gut.

Am andern Morgen wurden alle Preisauszeichnungen halbiert. Riesige Schaufensterplakate verkündeten: »Infolge günstiger Abschlüsse bin ich in der Lage, staunend anomal billig zu verkaufen.«

Und es ging. Zuerst war der Kaffee bis auf die letzte Bohne geräumt, dann der Zucker, dann die Büstenhalter, die Schmierseife, die Sardinen – und so ging es weiter. Mit einigem Herzklopfen füllte Hagen die Bestellzettel aus und verheizte sie. Richtig, am nächsten Morgen war die neue Ware da, immer. Die Kunden fluteten herein, sie mußten in Schlangen anstehn. Alle anderen Läden blieben leer, erst in der Nachbarschaft, dann im ganzen Städtchen. Das Geld staute sich in den Kassen und mußte in Badewannen zur Bank gebracht werden.

Nach vierzehn Tagen war das ganze Lager vollständig umgesetzt und erneuert.

Getreu dem Vertrag wurde die neue Ware immer ein wenig billiger verkauft. Zuerst durchschnittlich um ein Prozent, dann um 62 ein halbes, schließlich nur um ein Promille. Bloß schwerverkäufliche Gegenstände, wie Majolikavasen und Spucknäpfe, wurden mit zehn Prozent Ermäßigung des halbierten Preises abgegeben.

Bald war der Laden zu klein geworden. Das große Hagensche Warenhaus wurde projektiert, gebaut und bar bezahlt.

Vergeblich hatten die andern Geschäftsleute eine Klage wegen unlautern Wettbewerbs angestrengt. Denn keinem Richter hätte es seine Frau verziehen, wenn sie auf ihre billigen Einkäufe hätte verzichten müssen. »Werden ja sehen, wie lange er es aushält«, trösteten sich die unglücklichen Konkurrenten.

Hagen wurde der reichste Mann der Stadt, Vorsitzender der Handelskammer, Ehrenbürger, Besitzer eines Schlosses, mehrerer Luxusautos und eines Flugzeuges. Seine Frau, die immer etwas kränklich war, wurde andauernd von den teuersten Professoren der Medizin behandelt und operiert. Der Sohn hatte einen Golfklub ins Leben gerufen und eine Stiftung für minderbemittelte Bridgespieler. Eine Tochter bekam ein Kind von einem 63 Angehörigen eines vormals regierenden Hauses, die andere war mit einem Hochstapler verlobt. So lebten Hagens üppig und in Freuden.

Im Warenhaus wurde billiger und billiger verkauft, der Umsatz stieg noch täglich. 860 Angestellte waren beschäftigt. Schon waren viele Preise fast auf Null gesunken, und es wurde in Betracht gezogen, ob man nicht bei einzelnen Waren den Käufern noch Geld herauszahlen könnte.

Da wurde Herrn Hagen ängstlich zumute. Wieder hatte er schlaflose Nächte und sah schlecht aus.

Endlich vertraute er sich einem Advokaten an und klärte ihn über die Grundlage seines Reichtums auf. Lange berieten sie hinter verschlossenen Türen. Dann wurde Hagen wieder heiter und blühte wieder auf. Die ganze Stadt war in Aufregung: Zum erstenmal seit Bestehen des Warenhauses wurden alle Preise erhöht, wenn auch nur um ein geringes. Doch hieß es in den Ankündigungen, weitere Preissteigerungen würden bald folgen, man solle seinen Bedarf decken.

Am Nachmittag ließ sich ein Besucher bei Herrn Hagen im Büro melden, wollte nicht warten und betrat es, ohne anzuklopfen. Hagen, zuerst empört, lachte dann und sagte: »Ah, Sie sind es, Herr Teufel! Bitte, legen Sie ab.« Der Besucher legte nicht nur seinen Mantel ab, sondern alles, Anzug, Hemd und Schuhe.

Nun stand er da als der Teufel in seiner ganzen Furchtbarkeit. »Womit kann ich dienen?« fragte Herr Hagen. »Bedaure«, war die Antwort, »konstatieren zu müssen, daß Sie den Vertrag gebrochen haben.« Dann brüllend: »Deine Seele gehört uns, wie die deiner Angestellten.« Damit streckte er die riesigen Hände nach Hagen aus und wollte ihn packen. »Halt!« rief der, »oder ich telefoniere 64 nach dem Überfallkommando.« – »Wieso?« fragte der Teufel. Da lachte Hagen: »Unsinn! Ich habe den Vertrag bis zuletzt restlos erfüllt. Vor vierzehn Tagen bin ich aus der Firma ausgeschieden. Sie gehört jetzt meiner Frau. Wir haben Gütertrennung. Sie können sie ja fragen, ob sie auch einen Vertrag mit Ihnen machen will.«

Da sah der Teufel, daß er geprellt war, nahm seine Kleider und verließ mit einem fürchterlichen Fluch unter starker Absonderung von Schwefeldämpfen das Warenhaus. 65

Herr und Frau Hagen aber zogen sich bald vom Geschäft zurück und leben weiter in ihrem Schloß als die reichsten Bürger der Stadt, wenn sie nicht inzwischen gestorben und in den Himmel gekommen sind. 66

 


 


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