Thomas Theodor Heine
Seltsames geschieht
Thomas Theodor Heine

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Galatea

Der begabte junge Maler Bocassi hatte die Kunstakademie mit Auszeichnung absolviert und war nun auf den jährlichen Ausstellungen mit Gemälden vertreten, die, in Farbe wie Form gleich tadellos, doch keinerlei Beachtung fanden. Das kunstverständige Publikum hatte nämlich begriffen, daß nur solche Bilder bleibenden Wert haben, die ihm nicht gefallen, und daß man das künftige Genie an dem Hohn und den Lachsalven erkennt, mit denen des Künstlers Erstlingswerke aufgenommen werden. Auch den Kunsthändlern war das schon eine Alltagsweisheit. Einer derselben verirrte sich einmal in Bocassis Atelier, wo er den Maler betrübt zwischen seinen unverkauften Bildern antraf, und klärte ihn über den Grund seiner Erfolglosigkeit auf.

»Aber da hätte ich doch nicht jahrelang zu studieren brauchen«, rief Bocassi verzweifelt, und als der Besuch fortgegangen war, nahm er wutentbrannt seine Palette, ergriff den breitesten Pinsel, und im Nu hatte er sein letztes Bild überstrichen, das eine lieblich lächelnde Aphrodite darstellte. Nichts blieb übrig von aller Schönheit, ein überlebensgroßes nacktes Weib füllte nun die Leinwand bis zum Rande. Ihre unheimlich dicken Glieder sahen aus wie mächtig aufgeblasener Gummi; Hände und Füße, ebenso breit wie 33 formlos, mit wenigen zornigen Pinselhieben angedeutet. Nur der Kopf zeigte noch Spuren des klassischen Profils.

Als am nächsten Morgen die Aufwartefrau kam, um das Atelier aufzuräumen, sah sie mit Entsetzen, was geschehen war, erzählte den Nachbarn, der Herr sei närrisch geworden. Die kamen, einer nach dem andern, unter irgendeinem Vorwand, sagten, so etwas hätten sie noch nie gesehen. Die Kunde verbreitete sich im ganzen Viertel. Man sprach bald überall von Bocassis Bild.

Er nannte es nun »Aphrodite Anadyomene« – die auftauchende Venus –, es war das Zugstück der nächsten Ausstellung. Die Leute drängten sich davor, lachten, schimpften, bewunderten. Ein ganz großer Erfolg. Nach dem Rate des Kunsthändlers setzte Bocassi den Verkaufspreis sehr hoch an. Ein Sammler erlegte ihn sofort. Man witterte Genie. Andere Sammler, Kunstverständige des Auslands bestürmten den Meister mit Angeboten. Auch jedes Museum wollte einen echten Bocassi erwerben. Er konnte kaum die genügende Anzahl derartiger Werke herstellen. Glücklicherweise ließen sie sich schnell anfertigen, ohne Modellstudium, nur so aus dem Handgelenk.

Vor seinem letzten Gemälde, »Galatea« nannte er es, saß der Meister im abenddämmernden Atelier. Es war die dickste und unförmigste Gestalt, die er noch gemalt hatte. Nun war er so an diesen Typ gewöhnt, daß er selbst anfing, ihn schön zu finden. Lange betrachtete er sein Werk, ganz versunken, tief im Innersten bewegt, schließlich von Leidenschaft überwältigt. Er kniete vor der Staffelei, breitete die Arme aus und rief: »Du bist so schön – ich liebe dich.« Da wurde die nackte Dame lebendig, stieg aus der Leinwandfläche und umfaßte ihn stürmisch, beider Lippen 34 vereinigten sich in einem Kusse.

Er wollte sie auf das Sofa tragen, fand aber, daß sie zu schwer war. So hob die Riesin ihn in die Höhe und trug ihn zur Lagerstätte.

Am nächsten Morgen sagte er zu ihr: »Liebe Galatea, nun wird es Zeit, daß du dich wieder auf die Leinwand begibst. Heute kommt der Amerikaner, der dich für das Metropolitan-Museum haben will.« – »Fällt mir gar nicht ein«, rief sie mit ihrer 35 volltönenden, etwas rauhen Stimme, »du wirst mich gefälligst heiraten.« Es gelang ihr, ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen. Kaffee wurde gekocht, und sie frühstückten zusammen. Es war sehr gemütlich.

Sie haben tatsächlich bald geheiratet.

Auf der Straße drehten sich die Leute nach dem merkwürdigen Paar um, lachten.

»Eine echte Bocassi-Schönheit«, sagten sie.

Ein befreundeter Arzt besuchte den Meister im Atelier, nahm ihn beiseite und sprach leise: »Ich halte die Sache für sehr ernst.« 36

»Welche Sache, Doktor?«

»Nun, die Krankheit deiner Frau. Ich habe selten so einen typischen Fall von Elefantiasis gesehen, das ist ein schweres Leiden, verursacht durch krankhafte Veränderung der Lymphgefäße. Symptom: ungeheure Verdickung und Anschwellung. Die Medizin hat leider kein sicheres Heilmittel dagegen, kann nur aufschiebend und lindernd eingreifen.«

Der besorgte Ehemann ließ seine Gattin gründlich untersuchen. 37

Die Diagnose wurde bestätigt, einige Medikamente und Landaufenthalt in gesunder Luft verordnet.

Sie begaben sich ins Gebirge, mieteten eine schloßartige Villa in der Nähe des Waldes, lebten nur der Gesundheit und ihrem ehelichen Glück. Frau Galatea konnte leider keine ausgedehnten Spaziergänge machen, so streifte der Meister oft allein mit seinem Skizzenbuch durch die herrliche Landschaft. Es scheint, daß er dabei eine ästhetische Wandlung erlebte.

Eines Nachts hörte Galatea, wie ihr Gatte im Schlafe ausrief: »Sie ist so fein und schlank, ich liebe sie.« Die Frau begriff, daß 38 er auf Abwege geraten war. Da galt es auf der Hut zu sein. Als er am nächsten Tage wieder in den Wald ging, schlich sie ihm nach.

Hinter einem Gebüsch versteckt, hörte sie seine glühenden Liebesbeteuerungen, hörte, wie er seufzte: »Ach wenn Galatea nur halb so schlank wäre wie du! Nur dich kann ich lieben.« In rasender Eifersucht wollte sie sich auf die Nebenbuhlerin stürzen, bog die Äste des Gebüsches auseinander, um sie zu sehen. Aber sie erblickte nur eine hochgewachsene, junge Tanne, der Bocassi seine Liebe erklärte.

Gekränkt, aber beruhigt ging sie langsam nach Hause. So sah sie nicht mehr, wie sich die Tanne zu Bocassi herabneigte und ihre Zweige um ihn schlang, hörte nicht mehr das Stöhnen der Wollust.

Aber als ihr Gatte nicht zum Abendessen erschien, wurde Frau Galatea wieder bedenklich. In einsamer, schlafloser Nacht beschloß sie, die junge Tanne am nächsten Tage umhauen zu lassen.

Morgens ging sie mit einem Waldarbeiter hinaus. Zwischen den Zweigen der Tanne sahen sie Bocassis blauverfärbtes Gesicht, es lächelte verzückt, seine Füße berührten den Boden nicht.

Der Waldarbeiter nahm Wiederbelebungsversuche vor. Sie blieben erfolglos. 39

 


 


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