Thomas Theodor Heine
Seltsames geschieht
Thomas Theodor Heine

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Der Schwan

Fräulein Leda war ein in allen Ateliers geschätztes Aktmodell. Es gab keinen berühmten Maler, der sie nicht, zusammen mit ihrem Schwan, bildlich dargestellt hätte, oft in den anstößigsten Situationen. Sie hatte nämlich ein Liebesverhältnis mit einem Schwan.

Die Künstler fanden das sehr malerisch, aber die älteren Damen der Nachbarschaft entrüsteten sich darüber, überhaupt: Unzucht mit Tieren sei verboten und gehöre bestraft. Das Verbrechen wurde angezeigt, Leda zur polizeilichen Vernehmung vorgeladen. Weinend gestand sie: »Ja, es ist wahr, wir lieben einander. Aber er ist eigentlich kein Tier, sondern der Obergott Zeus, der sich in Gestalt eines Schwans zu mir begibt.« Zur Gerichtsverhandlung wurde Herr Zeus als Zeuge vorgeladen, erschien aber nicht. So lautete das Urteil auf ein Jahr Gefängnis. Wenn Ledas Geliebter wirklich ein Gott gewesen wäre, hätte er sie leicht befreien können. Es scheint aber, daß er nur ein gewöhnlicher Schwan war; denn als sie ihn nicht mehr füttern konnte, geriet er in Not und mußte sich nach einem Verdienst umsehen. Er verkaufte eine Skizze, die Leda von einem berühmten Maler geschenkt bekommen hatte, und für den Erlös konnte er sich ein nettes, kleines, weißlackiertes Boot 45 anschaffen. Das vermietete er an Ausflügler und Sommerfrischler, spannte sich davor und zog es über das Wasser. Man freute sich über die originelle Fahrt, und auf Wochen im voraus war das Schwanenboot bestellt. Ein einträgliches Unternehmen.

Auch der berühmte Opernsänger Lohengrin mußte warten, aber 46 endlich kam die Reihe an ihn. Er ließ sich nach dem gegenüberliegenden Ufer befördern. Brabant hieß der Ort. Dort stand ein wunderschönes Mädchen im Badekostüm am Ufer. Beide verliebten sich sofort ineinander. Tenöre und Mädchen verlieben sich immer auf den ersten Blick.

»Mein Name ist Lohengrin«, sagte er, »ich liebe Sie«.

»Ich heiße Elsa«, antwortete sie, »sind Sie der berühmte Sänger Lohengrin?«

»Allerdings«, antwortete er geschmeichelt und begann sofort eine Arie zu singen. Das war das Dümmste, was er machen konnte, denn Elsa hatte gedacht, er würde sich mit ihr auf einer der Bänke niederlassen, die zu diesem Zweck das Ufer zierten. Doch er blieb stehen, sang noch etwas und noch und noch.

Da wurde es ihr zu langweilig und sie sprach: »Nun hören Sie aber mal auf mit der Singerei, ich kann Tenor nicht leiden.«

Eben kam der Schwan herauf, um nachzusehen, weshalb es da so laut zugehe. Elsa umarmte ihn und sagte: »Sei mir gegrüßt, du süßes Vöglein, du singst wenigstens nicht.« Der Schwan begriff die Sache sofort, schlang die Flügel um Elsa und legte sie ins Gras. 47 Lohengrin war tief gekränkt. »Adieu, Elsa, und viel Vergnügen!« rief er und ging zum Dampfschiffhalteplatz, kam gerade zur rechten Zeit.

Schwanenlos fuhr er zurück.

Der Schwan blieb in Brabant bei Elsa. Es stellte sich heraus, daß Ledas Behauptung, er sei kein gewöhnlicher Schwan, doch richtig gewesen war. Allerdings war er kein Zeus, sondern ein verzauberter Mensch, ein Hochstapler, den eine von ihm beschwindelte Hexe aus Rache in einen Schwan verwandelt hatte. Nun brach sich der Bann, der Schwan wurde wieder Mensch und Heiratsschwindler, vermählte sich mit Elsa und verschwand unter Mitnahme ihres Vermögens.

Herr Lohengrin erzählte im Hotel sein Brabanter Erlebnis, 48 konnte den Sommergästen berichten, daß nun der Schwanenbootsbetrieb zu Ende sei und daß die Vorausbesteller vergebens warten würden. Jetzt erst erfuhr er, was sich früher mit der Leda zugetragen hatte. Er hörte auch, daß ihr die Hälfte ihrer Strafzeit infolge musterhaften Verhaltens erlassen sei; gerade in diesen Tagen solle sie frei werden.

Mit einem mächtigen Blumenstrauß bewaffnet holte er sie am Gefängnistor ab. Er fand sie bedeutend schöner als die Elsa, verliebte sich nach seiner Tenorgewohnheit sofort in sie. Aber er war durch die Erfahrung klüger geworden, sang ihr nichts vor, 49 sondern nahm sie mit ins Hotel, wo gerade an diesem Abend eine Tanzunterhaltung sein sollte. Sie durchlebten eine herrliche Nacht. Er verschwieg ihr nicht, wie treulos sich ihr Schwan in Brabant benommen hatte.

Leda und Lohengrin wurden ein glückliches Ehepaar, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch. 50

 


 


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