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Wien

4. November 1845 bis zum Tode 13. Dezember 1863

Mit angegriffener Gesundheit, von dem Gespenst der Not umklammert, so kam Hebbel in Wien an. Zwar sagten ihm die Autoritäten der Literatur und des Theaters das Schmeichelhafteste über seine Dramen, aber auf tatkräftige Hilfe wartete er vergebens. So war er im Begriff, mit getäuschten Hoffnungen Wien zu verlassen und sich nach Prag und von dort aus nach Berlin zu wenden, als das Schicksal mit wirklichen Wundern in sein Leben eingriff. Auf dem Wege zur Post, wo er sich einen Platz im Eilwagen nach Prag bestellen wollte, wurde er zu zwei galizischen Edelleuten, Wilhelm und Julius Zerboni di Sposetti, geladen. Mit einer fast grotesken Begeisterung fielen sie über den Dichter her, feierten ihn mit einem Champagnersouper und toasteten und rezitierten vor ihm auf den Knien. Am Weihnachtsabend steckten sie ihn in neue, kostbare Kleider und mieteten ihm eine Wohnung im »Erzherzog Karl«. Inzwischen war die Wiener Jugend gleichfalls von Begeisterung für ihn ergriffen worden; Hebbel wurde beinahe Mode, und die Zeitungen waren voll von Berichten und Notizen über den großen Dichter. Was ihn jedoch mehr als alles andere in Wien festhielt, war seine Neigung zu der Burgtheaterschauspielerin Christine Enghaus, mit der er sich am 24. Mai 1846 verheiratete.

Elise Lensing hatte während der ganzen langen Zeit ihres Verkehrs Hebbel stets für frei erklärt und ihm versichert, sie werde im Falle einer in ihm erwachten Leidenschaft sofort zurücktreten; das war ihr heiliger Ernst gewesen, dennoch konnte ihre Natur der grausamen Tatsache einer Trennung unmöglich standhalten. Auf den Rand eines Pariser Briefes, in dem ihr Freund einst liebevoll aller ihrer Leiden gedacht hatte, setzte sie jetzt in den Tagen des ersten wilden Schmerzes die Worte: »Leide ich jetzt durch seine Grausamkeit, wo jedes Gefühl der Teilnahme sogar aus seiner Seele für mich erloschen ist – viel mehr?!! – er entwürdigt das tiefste, heiligste Gefühl in mir und wirft mir mein Herz mit Hohn und Spott zu Füßen einer Schauspielerin – ich hab nun einmal keinen Glauben zu diesen Leuten, sie wechseln wie mit Kleidern so mit ihren Gefühlen.« Leider hat Bamberg die Korrespondenz jener Tage vernichtet. »Briefe anklägerischen, verteidigenden, wehevollen und widerwärtigen Inhalts«, so charakterisiert sie Hebbels Biograph Emil Kuh, »liefen, besser schlichen zwischen ihm und Elise hin und her; alte Posten wurden gezählt und aneinandergereiht, Vergangenes und Verschollenes, Gutes wie Böses, Schönes wie Unschönes rekapituliert. Was das rastlos vorwärtstreibende Leben in seinem mannigfaltigen Wechsel der Lagen und Stimmungen zum Heil oder Unheil der beiden, zu ihrem Troste oder ihrer Pein hervorgebracht und was als Ursach und Wirkung, als Schicksal oder Zufall sich vor ihnen beglaubigt hatte, das nahm sich nun, in dem Briefgefecht zum Kriegsgebrauch herbeigeholt und erniedrigt, unhold und mißlich, halbwahr oder lügenhaft aus, das erschien als ein Leichenfeld von Fehltritten und Enttäuschungen, als eine Folgenreihe von Willkür und Traum. Die Wärme des Erlebten und Durchlebten hatte sich verflüchtigt und alles wurde kalt und häßlich und unwahr.« Erst später kam es zu einer Versöhnung. Als am 12. Mai 1847 Elisens zweiter Sohn Ernst gestorben war, da reiste sie auf Christines Veranlassung nach Wien und blieb über ein Jahr in Hebbels Hause. »Daß unser Verhältnis sich so rein gestaltete,« so schrieb sie, nach Hamburg zurückgekehrt, der hochherzigen Freundin, »verdanke ich meinem Dortsein, Eurem Ruf, nach Wien zu kommen. Soviel Schmerzensstunden mir in jener unvergeßlichen Stadt auch bestimmt waren – nimmer würde es sich so gewendet haben, hätt ich nicht Dich und alles dort selbst kennen gelernt. Jetzt ist unser Verhältnis gewiß eines von denen, deren es wenige gibt. Bleibe Du und die Deinen gesund, das ist ja die erste Lebensbedingung, genießt Euer Glück, denn Ihr seid glücklich!« Und ein anderes Mal schreibt sie: »Du, meine süße Tina, bist wie ein ewig klarer Stern, der, wenn er trüb uns erscheint, doch rein ist.«

Die Gunst der Wiener, die Hebbel so bald gewonnen hatte, sollte sich ebenso schnell teils in Gleichgültigkeit, teils in Gehässigkeit und Klatsch verwandeln. So sehr ihm die Kaiserstadt gefiel, so wenig sagte ihm der leichtlebige, liebenswürdige Wankelmut ihrer Bevölkerung zu, den er als den krassesten Gegensatz zu seiner norddeutschen ernsten Gewissenhaftigkeit und Beständigkeit empfand. Das von der Zensur unterjochte Theater blieb ihm verschlossen. Für solche Übelstände entschädigte ihn das Glück im Hause, das zwar durch den Tod seines erst wenige Wochen alten Söhnchens getrübt, aber durch die Geburt eines Töchterchens, Christine, wieder erhellt wurde, und die Freundschaft mit dem jungen, geistvollen Sigmund Engländer.

Leider verlor er den Freund einstweilen, da sich dieser in die Wirren des Revolutionsjahres 1848 hineinreißen ließ und schließlich fliehen mußte. Hebbel selbst nahm zu den Ereignissen der erregten Zeit feste Stellung: den Sturz des Absolutismus begrüßte er, aber gegen die wüsten Unruhen machte er energisch Front. Auf politischem Gebiete ist er hervorgetreten als Kandidat für das deutsche Parlament der Wiener Josephstadt, doch hatte er wegen seiner, den Österreichern unverständlichen norddeutschen Aussprache keinen Erfolg, sodann als Mitglied und Sprecher einer Deputation des Schriftstellervereins Konkordia an den nach Innsbruck geflüchteten Kaiser und endlich als Berichterstatter der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Hebbels politische Ansichten waren vernünftig und weitzügig; er bekämpfte einen frühreifen Kosmopolitismus und ersehnte die Einigkeit des Deutschen Reiches.

Das Revolutionsjahr machte für Hebbel vorübergehend die Bühne frei, auf der »Judith« und »Maria Magdalena« mit starkem Erfolg gespielt wurden, sein neues Trauerspiel »Herodes und Mariamne« dagegen unverstanden vorüberging und das Märchenlustspiel »Der Rubin« kühl ließ. Außer den letztgenannten Stücken schuf Hebbel in jenen Jahren die beiden Dramen »Ein Trauerspiel auf Sizilien« und »Julia« und die satirische Komödie »Michelangelo«.

9. Nov. 1845.

An Elise

Ein eiskalter Wind blies mich an, Regentropfen fielen, mich fröstelte und auch meine Seele begann zu schaudern. Das war der Gruß des Vaterlandes, adio, bella Italia, Schnupfen, Husten und Zahnweh schickten ihre Gesandten. Ein unglaublicher Unterschied bei so kurzer Distanz. Am nächsten Morgen hielten wir in Laibach; es hatte über Nacht Eis gefroren; der Himmel schien wie mit Löschpapier ausgeschlagen, und ich rezitierte eine Schilderung Thules aus meinem Moloch und wunderte mich über ihre schreckliche Richtigkeit; denn es fiel mir in Italien schon gar nicht mehr ein, daß es in Deutschland kalt und trübe sei ...

19. Nov. 1845.

... Gottlob, noch immer sind die Kräfte frisch, und jede Schlacht will ich bestehen; nur das Gespenst der Not muß mir nicht nahekommen, das vernichtet mich. Dürftig lebe ich jetzt, ich ertrag es; alle Ehren, die mir gebühren, gehen an meinem Haupt vorüber, ich lache dazu; aber der wirklichen Misere würde ich erliegen; es ist Lebensbedingung für mich, daß sie mir fernbleibt ...

... Ich war schon im Begriff, abzureisen und ging eben auf die Post, als mir ein Herr, der mich ein wenig kannte, begegnete und mir sagte, es seien ein paar Barone aus Galizien hier, die sehnlichst wünschten, meine Bekanntschaft zu machen; sie hätten sich schon an Deinhardstein um meine Adresse gewendet, aber dieser habe ihnen geantwortet, er wisse sie nicht, ich hätte ihm eine verkehrte gegeben, er hätte mich schon fünfmal gesucht, ohne mich zu finden. Natürlich war ich augenblicklich geneigt, diesem Wunsch zu willfahren und bestimmte ein Café zum Rendezvous, unterließ aber auch, mich auf der Post einzuschreiben, da mir über Deinhardstein ein neues Licht aufging, und ich den nächsten Tag noch Zeit genug hatte. Ein merkwürdiger Abend erfolgte, einzig in seiner Art. Im Café erhielt ich durch jenen Herrn eine Einladung, die Barone zu besuchen und einige Stunden bei ihnen zu verbringen. Ich tats und wurde auf eine Weise empfangen, die mir fast peinlich war. Von einem solchen Enthusiasmus hatte ich noch keine Vorstellung gehabt, und es waren nicht junge Leute, sondern Männer, die dem Greise näherstanden, als dem Jüngling. Zunächst erfuhr ich, daß Deinhardstein sie dringend ersucht habe, auch ihm meine Adresse mitzuteilen, falls sie sie auftreiben sollten, und entschloß mich, gleich den folgenden Tag zu ihm zu gehen. Dann gabs eine wilde Nacht, kostbares Essen, Fasane und Rebhühner, Champagner, Toaste, auf den Knien vor mir ausgebracht, und, weil dritte Personen hinzukamen, fortwährendes leidenschaftliches Rezitieren und Interpretieren der Judith und der Genoveva. Ich konnte der Sache keinen Einhalt tun, so wenig durch Ernst, als durch Spaß; ich mußte mich daher benehmen, als ob ich meine eigne Bildsäule wäre, das heißt stillschweigen. Doch würzte ich mir die für mein Gefühl viel zu übertriebene, wenn auch wohlgemeinte Situation durch Torteessen und Weintrinken. Auch die Nacht mußte ich dableiben, mein kostbares Leben durfte der Gefahr einer Erkältung nicht ausgesetzt werden, und ich schlief unter damastenen Decken mit goldenen Frangen. Mir war, als ob mir ein Märchen passierte, halb ungereimt, halb tiefsinnig, aber im ganzen angenehm. Diese Herren sind seitdem in ihrem Eifer nicht erkaltet, sondern sie tun für mich, was sie mir nur an den Augen absehen können, und das ist ein noch größeres Wunder, als das erste; sie können mir, da sie hier mit den ersten Familien verwandt sind, von großem Nutzen sein ...

... Das mußt Du doch fühlen, daß die Verhältnisse von ehemals jetzt unmöglich sind, und daß mein Leben entweder einen höheren Schwung oder – ein Ende nehmen muß. So steht die Sache, täusche Dich nicht. Alle meine Gedanken sind jetzt auf Wirkung gerichtet; von allen Arten der Sehnsucht kenne ich nur noch die eine nach Taten, und nichts kann Pflicht für mich sein, was diese verhindert, weil es mich und alle meine Kräfte vernichtet ...

... Auf Deinem Sofa ruhte sichs ganz bequem, ich war gegen jeden rauhen Luftzug geschützt, aber ich hatte dafür auch gleich den Schnupfen, sowie ich ins Freie trat. Dies zurückgezogene Leben war für einen Menschen, der, wie ich, der Welt bedarf, der nur im Sprechen aufgeht, höchst unnatürlich. Wohl mir, daß die Reise mich herausriß! Wenn ich glücklich sein soll, so muß ich in der Mitte einer empfänglichen Umgebung stehen, auf die ich wirken kann; denn in mir ist gottlob der Mensch noch mehr, als der Künstler. Wie prächtig gehts jetzt? All dies verschüchterte Wesen hat sich verloren, ich mache Dutzende von Bekanntschaften, und das Interesse, was man an meiner Person nimmt, die Teilnahme, die meine von Gedanken und Einfällen, dummen und klugen, blitzende Unterhaltung einflößt, weckt Interesse und Teilnahme für meine Arbeiten. Und so solls sein. Einer Liederseele, wie Uhland, mag das in sich gekehrte Schweigen geziemen, aber ein dramatischer Dichter muß auch persönlich etwas von einem Feldherrn haben. Freilich kommt mir auch das zustatten, daß mir die Ansprüche, die ich früher im stillen machte, aber nicht laut und offen auszusprechen wagte, mir jetzt unaufgefordert bewilligt werden, daß die Jugend den König der Literatur in mir sieht und das Alter wenigstens den Kronprinzen. Alle Blätter sind hier voll von mir ...

... Ich ward in die Concordia, eine Gesellschaft, wo sie Sonnabends alle zusammenkommen, eingeführt. Es ward den Abend, wo ich dort war, dem böhmischen Dichter Karl Egon Ebert, durch Goethe empfohlen, ein Fest gegeben. Er gefiel mir recht wohl, trotz seines starken Oberkörpers, der, auf dünnen Beinen ruhend, ihm ein seltsames Ansehen gab. Der erste Toast galt, wie natürlich, ihm. Als zum zweiten geläutet wurde, erhob sich stürmisch die Jugend und brachte mir einen Toast, hierauf erhob sich Bauernfeld und erklärte, er habe nur ums Wort gegeben, um es selbst zu tun. Ich hatte nur zu tun, daß ich die Jüngeren in Ordnung hielt. Sie scharten sich um mich, als ihren Bannerherrn, und konnten es nicht ertragen, daß ich nicht allein gefeiert wurde. Napoleon hat recht, der Enthusiasmus der Jugend ist es, der die Welt neugebiert. Ich werde Dir, wie ich hoffe, nicht eitel vorkommen; ich erzähle Dir diese Dinge nur deshalb, weil sie mir als Zeichen einer besseren Zukunft erscheinen. Im übrigen sind sie mir schon darum gleichgültig, weil ich ein Recht auf sie zu haben glaube. Das gehört zu meiner Existenz; dies Wort mag nun so stolz klingen, als es will, ich werde so wenig davon überrascht, wie der Nackende von dem Kleide, das er endlich findet, und das er nie hätte entbehren sollen. So gefährlich es ist, sich Hoffnungen hinzugeben, so möchte ich es jetzt fast wagen, ich möchte fast glauben, daß mein Leben jetzt eine bessere Wendung nehmen wird, wenn ich auch über das Wie nichts zu vermuten wage. Warum? Weil ich weiß, daß es geschehen muß, wenn ich nicht zugrunde gehen soll. Jeder Lebensmut war in Italien in mir erstickt, ich trug mich schon mit den finstersten Gedanken, nie hätten meine Nerven sich ohne dies Bad wieder gespannt! Und ich bin hier in Wien doch wirklich durch ein Wunder festgehalten worden! Die Herren von Zerboni bleiben sich gleich. Fast täglich werde ich gepreßt, mit ihnen zu essen; ich habe in dieser kurzen Zeit mehr Champagner getrunken, wie in meinem ganzen übrigen Leben. Ich kann nicht widerstreben, ohne zu verletzen. Der Ältere hat einen Aufsatz über mich geschrieben, worin er mich alles Ernstes einen Propheten nennt. Gebe der Himmel, daß er ihn nicht drucken lasse! Es ist ein wunderbarer Mann, fast nur Seele ...

25. Febr. 1846.

An Gurlitt

Nicht leugnen will ichs, daß ein schönes, weibliches Wesen mich fesselt und möglich ist es – dies bleibt aber unter uns! – daß ich heirate. Du wirst staunen, da Du meine Verhältnisse kennst! Ich kanns nicht ändern. Alles Unwahre, Fundamentlose muß einmal ein Ende nehmen und so auch diese Verbindung ohne Liebe! ... Ich habe Dir oft über das Mädchen gesprochen. Wäre sie imstande, das Opfer einer liebeleeren Ehe anzunehmen, so wäre sie eines solchen Opfers nicht wert und hätte nur das zu ertragen, was ein Weib denn doch wohl verdient, welches weiß, daß ein Mann sie nicht liebt und den Mann doch nicht fahren läßt. Auch müßte ich jedenfalls, um in Hamburg ein Herz zu schonen, in Wien ein Herz brechen ...

März 1846.

An Bamberg

Dankbar will ichs anerkennen, der Aufenthalt in Wien hat mir außerordentlich genützt. Wie die Kiesel im Bach glatt werden, so bin ichs in diesem Menschenstrom geworden, der mich gewaltsam mit sich fortriß. All die kleinen Ecken und Spitzen, an denen man sich sonst so leicht bei mir ritzte, sind fort. Man hat mir hier unendlich viel Liebes und Gutes erzeigt; die Schriftsteller, vom ersten bis zum letzten, haben mir, ich kann mich nicht anders ausdrücken, gehuldigt; die Blätter haben sich in Aufsätzen über mich überboten, und das hat natürlich auch außerhalb des eigentlich literarischen Kreises Folgen gehabt ... Sie kennen mein Verhältnis in Hamburg, Sie kennen es ganz und wissen, daß ich dort verehrt, ja angebetet habe, ohne zu lieben. Hier verehre ich, wie ich dort verehrte und liebe, wie ich noch niemals liebte. Rechnen Sie die glühendste Gegenliebe, eine brillante Lebenssituation und die unbedingteste Ergebenheit in meine Wünsche, die entschiedenste Bereitwilligkeit, mir alle Verhältnisse zu opfern, hinzu, und fragen Sie, ob ich glücklich bin! ... Aber die in Hamburg? werden Sie fragen. Liebster Freund, alles Falsche muß ein Ende nehmen. Zehn Jahre lang habe ich versucht, ob die Liebe sich dem Herzen einimpfen lasse und es zuweilen geglaubt, im elften lehrt mich die Natur ihre schreckliche Wahrheit. Soviel über mich, weil Sie es so wollten!

Ach, sähen Sie die Enghaus einmal auf der Bühne! Jetzt die einzige tragische Schauspielerin Deutschlands! Keime zum Allerhöchsten! Dies sagt der Dichter, nicht der Liebhaber.

11. April 1846.

An Charlotte Rousseau

Fromm verlangt ihr mich, Götter? So macht mich glücklich!
Ich werd euch
niemals fürchten, ihr wißts, aber ich liebte euch gern!

Eine kecke Herausforderung, nicht wahr? Aber – sie hat geholfen! Wie? werden Sie fragen, hier die Antwort. Ich habe eine Braut und wahrscheinlich schon in vier Monaten eine Frau. Sie war schon sehr unglücklich und ist unendlich schwer geprüft worden, aber, solange die Welt steht, haben wohl nur wenige einen solchen Seelenadel, ein so reines, edels Herz aus einem Flammenbad, wie das ihrige, gerettet. Ich glaube nicht, daß ihr jemand ins Auge sehen kann, ohne sie zu lieben, die Güte ihres Wesens ist unwiderstehlich. Könnte ich Ihnen nur ihr Bild schicken! Aber so oft sie schon lithographiert wurde: auch nicht als Schattenriß kann ich eins dieser Porträts anerkennen! Ich liebe sie, wie ich noch nie geliebt habe und werde ebenso von ihr geliebt. Ein Tag bringt mir jetzt mehr Glück, wie ehemals ein ganzes Jahr. Sie ist lebenslänglich mit 5000 Gulden C. M. beim Hofburgtheater engagiert; ihre Stellung erlaubt uns daher, uns zu heiraten, sobald wir wollen, und es wird in wenigen Monaten geschehen. Auch ich selbst habe die ausgezeichnetsten Aussichten. Alles, was Dumpfheit und Bosheit mir in den Weg legte, ist beseitigt; ich finde in bezug auf mich ein ganz anderes Deutschland vor, als ich vor drei Jahren verließ; die Nation fängt an, den tiefen sittlichen Gehalt meiner Produktionen zu ahnen. Die Maria Magdalena, die man unmoralisch zu nennen den Mut hatte, während sie die echte Moral gerade aus ihrer dicken unmoralischen Kruste herausschälen will, ist von der Kritik mit Enthusiasmus aufgenommen worden; man hat sie in Gotha, Oldenburg, Königsberg schon gespielt; die ersten Schauspieler in Berlin geben sie jetzt auf eigene Hand auf einem Privattheater, und ohne Zweifel wird eine öffentliche Ausführung bald folgen. Man kann mich nicht länger ablehnen, es geht nicht; selbst hier, wo ganz andere Hindernisse zu besiegen sind, werden meine Werke Bresche schießen. Das ist mir, weniger meinet- als der Sache selbst wegen, lieb, denn für die Kunst gibt es nur noch eine Rettung auf dem Wege, den ich einschlug, jeder andere geht im Ring herum.

11. April 1846.

An Gurlitt

... Du bist berechtigt, lieber Freund, jetzt mit Ruhe an mich zu denken. Aus vielen Gründen muß Dich der Inhalt meines letzten Briefes überrascht haben. Du kanntest mein früheres unglückseliges Verhältnis, Du kanntest meine Abneigung gegen die Ehe. Aber die letztere entsprang bei mir einzig und allein aus dem ersteren. Die Liebe sei viel oder wenig, ich will mit niemandem darüber streiten, aber ohne die Liebe ist – vielleicht die Ehe, gewiß jedoch nicht ein freiwilliges Schließen der Ehe denkbar. Meine Prinzipien haben mir nichts zu schaffen gemacht, aber das Verhältnis, aus dem sie sich entwickelt hatten, desto mehr. Doch, da war ein Schnitt unvermeidlich. Mein Unglück kann nur scheinbar eines anderen Glück sein; ich kann es also selbst vom Opfer- und Aufopferungsstandpunkt nicht wählen. Überhaupt, es gibt innere Notwendigkeiten, wie äußere. Bei den äußeren gibt das Schicksal, das uns sie auferlegt, sich keineswegs Mühe, sich gegen uns über sein Recht dazu zu legitimieren; müßten wir uns bei den inneren wirklich dieser Verpflichtung unterziehen? Es ist zu bezweifeln.

Schon durch Auflösung jenes früheren Verhältnisses, das mir in Wahrheit, meine Korrespondenz wird es dereinst bezeugen, zehn Jahre lang den Horizont verfinsterte, ist eine heitere Ruhe über mich gekommen; mir ist, als ob das Leben, ja ich selbst, erst jetzt wieder mein geworden wäre. Mein neues Verhältnis dagegen füllt mein Leben aus, wie es noch niemals ausgefüllt wurde; es bringt mich um das Bewußtsein meiner selbst, um das Bewußtsein des Rings, in den wir alle eingepreßt sind. Du kennst mich und begreifst, daß ich mich über meine Braut nicht äußern kann ... Ich liebe sie unendlich, sie ebenso mich, und wir werden uns sehr bald verheiraten. Die bürgerliche Gesellschaft verlangts, nur der Unabhängigste kann ihr trotzen und warum es tun in gleichgültigen Dingen. Jedenfalls im Anfang Juni, wenn nicht früher, wird alles zum Schluß kommen. In einem Punkt, den Du berührtest, muß ich Dir freilich unbedingt recht geben. Man hat, unter uns gesagt, jetzt ein Mittel in Händen, um mich zu töten. Man richte auf sie die Pfeile und ich werde schnell fallen. Doch, das ist kaum zu fürchten, denn sie ist der Liebling des Publikums und, Du magst mir glauben, daß nicht der Liebhaber, sondern der Dichter diesen Ausspruch tut, jetzt die einzige große Schauspielerin in Deutschland. Ich nahm noch nie einen Eindruck aus dem Theater mit mir fort, wie aus dem elenden Raupachschen Nibelungenhort von ihrer Krimhilde. Man gebe ihr nur Rollen und sie wird riesenhaft in ihrer Kunst dastehen, wie je eine, denn die dämonische Kraft in ihrer Seele ist gewaltig ...

Tagebuch Juni 1846.

Noch nie hat mir ein Weib durch Tiefe des Geistes imponiert, aber wohl durch die Tiefe des Gemüts. Im Gemüt wurzelt die Kraft des Geschlechts, mag die Kraft einzelner Individuen auch allerdings im Geist wurzeln. Reizenderes gibt es nicht, als das weibliche Gemüt durch den weiblichen Geist beleuchtet zu sehen.

27. Juni 1846.

An Bamberg

... Schon in Rom war ich fest entschlossen, das in Hamburg bestehende Verhältnis auf ein rein freundschaftliches, was es für mich immer gewesen war, faktisch zurückzuführen, und ich richtete danach meine Briefe ein. Ich führe dies an, um Ihnen zu zeigen, daß nicht erst der überwiegend-mächtige Eindruck einer weiblichen Bekanntschaft den Wendepunkt herbeigeführt hat, was freilich bedenklich gewesen wäre. Ich schauderte vor dem Gedanken, mein Leben an der Seite eines Frauenzimmers zu Ende bringen zu müssen, das ich nie geliebt und das dies immer gewußt hatte; ich fühlte, daß sie mich unglücklich machen und dadurch selbst unglücklich werden mußte, unglücklicher, als bei der Aufhebung einer Verbindung, die bei ihr freilich im Naturgrund wurzelte, die sie aber bei ihrer unbedingten Kenntnis meiner Empfindungen nie hätte suchen sollen, und die mich für ewig von einer gesunden menschlichen Existenz ausschloß. Jedes Opfer darf man bringen, nur nicht das eines ganzen Lebens, wenn dies Leben einen Zweck hat, außer dem, zu Ende geführt zu werden. Das Leben erhält sich nur durch den Reiz; die völligste Abspannung ist die Folge davon, wenn dieser fehlt und wenn statt seiner die Pflicht eintritt, ihn zu meiden. Ein Weib, was einen Mann in seinen Armen verwesen sehen könnte und in dem Bewußtsein, ihn zu besitzen, wie man jede andere Sache besitzt, Ersatz fände, würde das Opfer des Mannes nicht verdienen, und ein anderes Weib würde ein solches Opfer nicht verlangen. Es gibt keine zweite Alternative ...

... Meine Hamburger Freundin hat mir hundert- und tausendmal gesagt und geschrieben – noch nach Rom, noch nach Wien, aber vor der Katastrophe – daß ich frei sei, daß ich jede Verbindung eingehen könne, wenn ich dadurch glücklich würde, daß sie sich auf eine endliche Trennung gefaßt mache. Gerade, weil sie dies tat, verehrte ich sie; gerade, weil sie mich freisprach, fühlte ich mich gebunden, denn sonst hätte ich ihr bei der dem Weibe in Lebensverhältnissen angeborenen Klugheit und bei den zehn Jahren, die sie vor mir voraus hatte, das Unnatürliche in unserer Situation ganz anders zur Last gelegt. Hören Sie nun, wie sie sich benommen hat. Kaum hatte ich in meinen Briefen an sie den Namen des Fräuleins Enghaus genannt, als sie mir, scheinbar naiv, aber unmöglich ohne Absicht, ich sage: unmöglich, eine der niedrigsten Verleumdungen mitteilte, die jemals über ein weibliches Wesen, ich sage nicht: über ein edles weibliches Wesen, ersonnen worden sind. Ich antwortete ihr mit jener Heftigkeit, die natürlich ist, wenn eine Dame, die man hochachtet, über ein Mädchen, das man liebt, Dinge schreibt, welche ihr selbst um so mehr schaden, je weniger sie diesem zu schaden vermögen; mit jener Heftigkeit, die ihr nach zehnjähriger vertrauter Bekanntschaft mit mir, gewiß nicht unerwartet kommen konnte; ich teilte ihr zugleich meine Neigung mit. Seit diesem Moment lernte ich eine ganz neue Seite ihrer Natur kennen; keine Idee, daß ihre Handlungen auch nur im entferntesten ihren Versicherungen glichen, keine Spur, daß sie sich mit einiger Würde in das Notwendige fände. In die jämmerlichsten Sophismen sich einspinnend, behauptete sie anfangs, es sei nicht die Sache, die sie verletze, sondern die Art, wie ich ihr die Sache mitgeteilt habe; dann, ich sei allerdings frei gewesen, aber nur für den Fall, daß ich ganz glücklich hätte werden können und ganz glücklich würde ich nicht; jetzt, nach der Trauung, verirrt sie sich bis zu den gröbsten Insulten, rechnet es sich als große Tat an, daß sie die Gerichte nicht gegen mich in Bewegung gesetzt hat, was sie bei dem Inhalt ihrer Briefe nicht konnte, überschüttet mich mit Auszügen aus meinen Briefen, die begreiflicherweise etwas ganz anderes sagen, als die Totalität der Korrespondenz, und fordert von mir, der ich sie seit Jahren ernähre, der ich mich ihretwegen in Italien mit Schulden beladen habe, gerichtliche Erklärungen über meine Bereitwilligkeit, für mein Kind zu sorgen. Natürlich fühle ich mich innerlich jetzt viel freier, als ich getan haben würde, wenn sie sich entgegengesetzt benommen hätte, aber ich gestehe Ihnen, daß mir diese Erfahrung sehr bitter ist, denn ich weiß nicht, soll ich sagen: so ist sie? oder: so ist der Mensch! ...

August 1846.

An Christine Enghaus

Du tränkst des Dichters dämmernde Gestalten,
die ängstlich zwischen Sein und Nichtsein schweben,
mit deinem Blut, und gibst den Schatten Leben,
in denen neugeborne Seelen walten.

Ich aber möchte nicht zu früh erkalten,
der Zeit die Form zu dem Gehalt zu geben
und über sie hinaus sie zu erheben
durch neuer Schönheit schüchternes Entfalten.

Doch dieses Deutschland wird uns schwer erwarmen,
und eh wirs denken, stehn wir ab, verdrossen,
drum laß uns eins das andere belohnen.

Wo treu und fest sich Mann und Weib umarmen,
da ist ein Kreis, da ist der Kreis geschlossen,
in dem die höchsten Menschenfreuden wohnen.

Tagebuch 10. Okt. 1846.

Gestern habe ich mit meiner Frau eine Wohnung am Josephstädter Glacis bezogen, die so schön ist, daß ich mir für meine ganze Lebenszeit keine schönere wünsche. Es ist ein äußerst angenehmes Gefühl, in irgend einem Punkt den Gipfel der Wünsche, der bei mir immer weit über den Gipfel der Hoffnungen hinausgeht, erreicht zu haben, und das ist diesmal der Fall. Was aber diesem Gefühl noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der Umstand, daß diese Wohnung über einem Café liegt, in welchem ich während der ersten Zeit meines Aufenthalts in Wien zu frühstücken pflegte, und von welchem ich, wie ich genau erinnere, auch an dem Morgen ausging, als ich mir für die Eisenbahn nach Prag ein Billet lösen wollte, was nur deshalb unterblieb, weil ich das Bureau vergebens suchte.

23. Okt. 1846.

An Bamberg

... Die »Empfänglichen«, die sich bei meiner Ankunft in Wien zu mir drängten, haben sich in Würmer verwandelt und die Würmer zum Teil in Schlangen. Niederträchtigkeiten sondergleichen habe ich erlebt; Ideendiebstähle, manuskriptliche Veruntreuungen und viel Schlimmeres. Eine momentane Verstimmung darüber war verzeihlich, längst ist sie vorüber. Für alles, was ich tue, wünsche ich mir gar keinen größeren Lohn mehr, als daß man mich dafür nur nicht steinigen, oder, wenn auch steinigen, doch nicht mit Kot bewerfen möge. Ich werde mich jedoch auch in dies Schicksal finden, wenn es mir beschieden sein sollte, denn ich weiß, daß der Himmel immer zur rechten Zeit regnen läßt. Diese Heiterkeit, womit ich allem entgegensehe, kommt zum größeren Teil auf Rechnung des engelguten Weibes, womit mich Gott beglückt hat. Ich müßte sehr undankbar sein, wenn ich noch mehr forderte ...

Tagebuch Dezember 1846.

Über Nacht hatte Christine wegen der zu starken Bewegungen des Kindes unter ihrem Herzen nicht schlafen können. »O, wie habe ich den armen Wurm bedauert!« sagte sie am Morgen mit ihrem engelfreundlichen Gesicht. Gutes Weib, gutes Geschlecht! Ein Mann hätte ihn verwünscht.

 

Heute, den 27. Dezember 1846, den Sonntag nach Weihnachten, nachmittags, zehn Minuten vor zwei Uhr, gebar meine teure Frau mir einen gesunden Knaben, den wir, da es ja auch ein Mädchen hätte sein können, lange vorher scherzend schon immer Ariel genannt hatten. Die ersten Wehen stellten sich um halbzwölf Uhr ein, die Geburt war also eine schnelle und glückliche, obgleich so schwer, daß ich mich am Ende der bittersten Tränen nicht enthalten konnte. Jetzt ist es sieben Uhr abends, und die Wöchnerin befindet sich so wohl, wie sie nur kann, ebenso das kleine Kind; möge es so fortgehen!

 

Bis jetzt geht alles gut. Das Kind ist wieder mein treues Abbild, und ich mache jetzt eine Erfahrung, an die ich nie geglaubt habe, daß man nämlich die Mutter lieben muß, um ein Kind lieben zu können. Der kleine Max war gewiß liebenswürdig, das erkannte ich, das sagte mir mein Verstand; aber erst mit seinem Tode erwachte mein Gefühl für ihn, und auch da nur in der Form der Reue; bis dahin war sein Dasein für mich nichts, als eine Fessel des meinigen. Darum sündigt ein Weib, das Liebe gibt, ohne Liebe zu empfangen; die Strafe trifft nicht sie allein. Wie ganz anders ist es jetzt!

 

Die alte gute Gewohnheit, die ich im vorigen Jahr versäumen mußte, weil mein Tagebuch im unausgepackten Reisekoffer lag, soll wieder in ihr Recht eingesetzt werden; ich will am Jahresschluß das Jahr rekapitulieren. Es hat alle meine Verhältnisse umgestaltet; ich bin verheiratet, und nicht mit Elise Lensing in Hamburg; damit ist alles gesagt. Ich verließ Italien, weil ich dort nicht länger verweilen konnte, wenn ich nicht meine Schulden bis zu einem unabtragbaren Grade erhöhen wollte; ich kam nach Deutschland zurück, ohne die geringste Aussicht zu haben. Mein Buchhändler Campe. würdigte mich auf zwei Briefe aus Rom, worin ich ihm Manuskripte antrug, nicht einmal einer Antwort; an eine andere Einnahme war nicht zu denken, von dem Reisestipendium war nicht allein nicht das Doktordiplom bezahlt worden, ich hatte davon nicht einmal meine Schuld an Rousseau abtragen können und noch überdies von meinem Freund Gurlitt in Rom 200 Speziestaler angeliehen. In Hamburg erwarteten mich Elisens Gläubiger, leben sollte man auch, es war eine verzweifelte Situation, in der bei mir kein Entschluß feststand, als der eine, nach Hamburg nicht zurückzukehren. Ich kam nach Wien und wurde die ersten vierzehn Tage völlig ignoriert; dann brachte ein Blatt eine Notiz über meine Anwesenheit, und gleich darauf erschien ein Aufsatz von Engländer über mich, der so viel Selbstgedachtes und Eigentümliches enthielt, daß ich den Verfasser aufzusuchen beschloß. Inzwischen die Bekanntschaft mit Deinhardstein. Nun die Einführung in den Leseverein, dann in die Konkordia, das Zusammentreffen mit Otto Prechtler in der Konkordia, sein Erbieten, mich mit dem Fräulein Enghaus bekanntzumachen; auf der anderen Seite die Bekanntschaft mit Zerboni, zu der der erste Faden in dem Augenblick, wo ich in Ancona das Dampfschiff betrat und ein Gespräch mit meinen polnischen Reisegefährten anknüpfte, geschlungen ward, der Weihnachtsabend im Erzherzog Karl, das Weihnachtsgeschenk. Auch Deinhardsteins lügnerische Vorspiegelungen hatten wohltätige Folgen; er sprach mit solcher Sicherheit von der Leichtigkeit, meine Stücke auf dem Hofburgtheater zur Aufführung zu bringen, daß ich meinen Aufenthalt in Wien bis auf unbestimmte Zeit verlängerte, was ich doch wegen Zerboni allein kaum gewagt haben würde. Nun ich blieb, wurde mein Verhältnis zu Zerboni immer inniger, und mit Fräulein Enghaus knüpfte sich eins an; das erstemal besuchte ich sie mit Armesünderempfindungen, die mein schlechter Reisehabit mir einflößte; aber mit einem anderen Rock wurde ich ein anderer Mensch. Ich bemerke dies ausdrücklich; es mag kleinlich scheinen, ist es aber keineswegs; ich antwortete schon in Heidelberg einmal auf die Frage, wie ich mich befände: wie meine Hose! und wollte nicht witzig sein; das Kleid weist dem Menschen überall seine Stelle an, und bei denen oft am ersten, die es am schärfsten bestreiten. Das Einfache, Seelenvolle dieses schwergeprüften Mädchens machte einen mächtigen Eindruck auf mich; kaum aber nannte ich ihren Namen in einem Brief nach Hamburg, als Elise, die sich schon über mein bloßes Verweilen in Wien auf die rücksichtsloseste Weise geäußert hatte, mir die ärgsten Schmählichkeiten über sie schrieb, und in einem Ton gemachter Naivität, der mich noch mehr verdroß, als die Sache selbst. Die Absicht, mich abzuschrecken, ohne daß ich es merken sollte, lag zutage, und wenn es mich schon an und für sich empören mußte, daß gerade sie, die selbst ein Opfer der Verleumdung gewesen war, der Verleumdung das Sprachrohr lieh, so erbitterte mich noch mehr das falsche Spiel, das sie dabei trieb; denn statt mir zuzurufen: nimm dich in acht! plauderte sie ihre boshaften Neuigkeiten aus, als ob sie gar nicht ahnte, daß sie verletzen könnten. Dieser Zug trat früher schon zuweilen hervor, aber noch nie mit solcher Deutlichkeit; sie hatte mir immer gesagt und geschrieben, daß ich frei sei, daß sie keinen Anspruch auf mich mache, sondern unbedingt zurücktreten werde, sobald sie meinem Glück im Wege stehe; ich hatte hierin stets einen Beweis hoher Sittlichkeit erblickt und oft davon gegen meine Freunde, zum Beispiel gegen Bamberg und Gurlitt, gesprochen; ich war also auf ein ganz anderes Benehmen gefaßt gewesen, und zum allerwenigsten auf ein offnes und ehrliches, nicht auf diese kleinliche List. Ich verlobte mich mit Fräulein Enghaus; ich tat es sicher aus Liebe, aber ich hätte dieser Liebe Herr zu werden gesucht und meine Reise fortgesetzt, wenn nicht der Druck des Lebens so schwer über mir geworden wäre, daß ich in der Neigung, die dies edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung sehen mußte. Ich zögere nicht, dieses Bekenntnis unumwunden abzulegen, soviel ich auch dabei verlieren würde, wenn ich einen deutschen Jüngling zum Richter hätte; auf eine unbesiegbare Leidenschaft darf man sich nach dem dreißigsten Jahre nach meinem Gefühl nicht mehr berufen, wenn man nicht ein völlig inhaltloses Leben führt, wohl aber auf eine Situation, die, ein Resultat aller vorhergegangenen, das Dasein selbst mit seinem ganzen Gehalt ins Gedränge bringt, wie es in jedem Sinn mein Fall war. Es ist meine Überzeugung und wird es in alle Ewigkeit bleiben, daß der ganze Mensch derjenigen Kraft in ihm angehört, die die bedeutendste ist; denn aus ihr allein entspringt sein eigenes Glück und zugleich aller Nutzen, den die Welt von ihm ziehen kann; diese Kraft ist in mir die poetische: wie hätte ich sie in dem miserablen Kampf um die Existenz lebendig erhalten, und wie hätte ich diesen Kampf, ohne sie auch nur notdürftig in die Länge ziehen sollen, da bei meiner unablenkbaren Richtung auf das Wahre und Echte, bei meiner völligen Unfähigkeit, zu Handwerkern, an einen Sieg gar nicht zu denken war. Wenn die Ruhe des Gewissens die Probe des Handelns ist, so habe ich nie besser gehandelt, als indem ich den Schritt tat, aus dem Elise mir eine Todsünde macht; ich will aber, so sehr sie sich auch in Sophistereien verstrickt, um den ungeheuren Abstand zwischen ihren Resignationsversicherungen und ihrem Betragen zu verkleistern, nicht den Stab über sie brechen, sondern darin nichts als den Beweis erblicken, daß der Mensch auf alles, nur nicht auf die Grundbedingung seiner Existenz Verzicht zu leisten vermag, und mich der Hoffnung ergeben, daß sie einmal, früher oder später, zu einer klareren Einsicht in das Sachverhältnis gelangen wird. Ich verheiratete mich, wie mir mein Trauring sagt, den ich in diesem Augenblick abziehe, am 26. Mai mit meiner Braut; ich geriet dadurch in eine singuläre Stellung zur Gesellschaft; ich werde es aber nie bereuen, mir um diesen Preis das edelste Herz erkauft zu haben, denn nie schlug ein besseres in einer weiblichen Brust, davon hab ich die vollgültigste Probe. Indem ich dies schreibe, liegt sie mit meinem kleinen Sohn, den sie mir vor vier Tagen gebracht hat, in ihrem Bett und gibt ihm die zärtlichsten Namen; ich kann mir nicht helfen, aber ich empfinde für dieses Kind ganz anders, wie für die beiden früheren; die Natur macht mehr von der Liebe, von dem unwillkürlichen Zug zweier Menschen zueinander abhängig, als man denkt, doch soll mich dies nicht abhalten, meine Pflichten gegen mein Kind von Elise zu erfüllen. »Wie er mich immer ansieht, der kleine Schnucksel! Bist du zufrieden mit deinem Plätzchen? Du wirst kein bessres finden!« sagt meine Frau zu ihrem Ariel und hätschelt ihn; kann ich dafür, bin ich ein schlechter Kerl deswegen, daß mir das Herz dabei überläuft, während es mir sonst gefror, wenn – weiter. Die Wiener Literaten machten mir im Anfang förmlich den Hof, als sie aber merkten, daß ich meinen Aufenthalt bleibend unter ihnen aufschlagen würde, verwandelten sich die glatten Aale in Schlangen ...

Tagebuch Januar 1847.

... Heute bin ich fast den ganzen Tag zu Hause gewesen und habe nur abends einen kleinen Spaziergang durch die Vorstadt gemacht, um frische Luft zu schöpfen. Meine liebe Frau (wozu das Adjektiv? und doch, wer läßt es aus, ohne ein ganz eigenes Gefühl zu haben!), meine liebe Frau befindet sich so wohl, als das Milchfieber und die damit verbundene Schlaflosigkeit es zuläßt ... Über Nacht werde ich die Obhut des Kindes übernehmen; ich habe die Mutter endlich soweit gebracht, daß sie in diese äußerst notwendige Trennung für die nächsten zwölf Stunden eingewilligt hat. Der kleine Schelm ist schon bei mir, sein Wiegenkorb steht auf meinem Sofa, und die Magd liegt hinter mir auf ihrer Matratze ... Merkwürdige Situationen zwischen mir und meiner Frau: sie liebt meinen Namen Friedrich und spricht ihn gern aus, ich kann ihn nicht ausstehen; an wem ist es nun, Rücksicht auf die Empfindungen des anderen zu nehmen und seine eignen zu opfern? Ich glaube, an ihr, auch zweifle ich nicht, daß sie es gern tun würde, wenn sie wüßte, daß ich, der ich durchaus nicht friedereich bin, mich so äußerst ungern Friedrich nennen lasse ...

 

Welch eine Freude mir mein kleines Kind macht, ist kaum zu sagen. Daran sehe ich, wie ich die Mutter liebe. Könnte ich der Welt zeigen, wie sehr sie es verdient!

 

... Eine unendliche Freude macht mir mein Kind. Es ist gesund und gedeiht sichtlich; die größte Wohltat der Natur. Das Leben legt so viele Lasten auf; wenn es auch noch an sich eine Last ist, muß es nicht zu ertragen sein, oder nur deshalb, weil Menschen, denen dies fürchterlichste Schicksal auferlegt wird, keinen besseren Zustand kennen. Mit hellen, stahlblauen Weltspiegeln in dem regelmäßigen, schon völlig entwickelten Gesicht schaut es mich an; sein kurzes Atmen rührt mich, es ist, als hätte es schon Mühe um sein Dasein.

 

Tagebuch Februar 1847.

Gleich heute morgen erhielt ich von Rousseaus Schwester einen Brief, worin sie mir den Tod ihres Vaters anzeigte. Was ein solcher Schlag Tröstliches mit sich führen kann, hat er diesmal mit sich geführt: der alte Mann ist schnell und schmerzlos gestorben. Dennoch hat mich die Nachricht tief erschüttert: ich sehe die Familie vor mir!

 

Tinens Geburtstag. Ich machte eine Hyazinthe zum Herold meiner Wünsche. Wir brachten den ganzen Tag in völliger Einsamkeit zu, aber darum nicht minder vergnügt. Abends tranken wir ein Glas Punsch, und ich suchte meine Tanzkünste wieder hervor.

... Abends zwei Briefe; von Campe und von Elise. Jener voll erfreulicher Nachrichten; dieser, wie immer, und ohne die Erklärung, daß der Inhalt nicht wieder ehrenrührig sei. Ich wollte ihn zurückschicken, Tine gab es nicht zu. Die Ärmste! Schon, wie ich in die Tür trat, sah ich, daß etwas vorgefallen sein müsse; auf meine Frage reichte sie mir das Kuvert und zerfloß dann in Tränen; dennoch hielt sie mich ab, zu tun, was recht war und notwendig dabei, weil es ihr zu hart schien.

 

Heute morgen mit Tine Besuche gemacht und den Tag darüber verloren; Elisens Brief gelesen und menschlicher gefunden, als der Anfang erwarten ließ.

 

Auf dem zweiten Kirchhof zu Schmelz, Nummer 1776, oberhalb des Grabes von einem zehnjährigen Knaben, so daß man, wenn man sich mit dem Rücken gegen den Grabstein des letzteren stellt und mit dem rechten Fuß einen Schritt tut, auf das Grab tritt, ruht mein Ariel, mein teures, heißgeliebtes Kind. Diese Adresse glaubte ich in diesem Tagebuch nicht sobald einzutragen. Sonntag, den 14. Februar, abends 9 Uhr, ist der Engel gestorben, ohne vorher krank gewesen zu sein, an den Fraisen, oder am Herzkrampf, wie der Arzt sagte. Den ganzen Tag hielt ich mich, meines Schnupfens wegen, zu Hause; ab und zu besuchte ich, von meiner Arbeit an dem Rötscherschen Aufsatz aufstehend, das Kind, zuweilen brachte seine arme Mutter es mir herein. Nachmittags nach dem Kaffee hatte ich es bei mir auf dem Sofa; es schlief ein, wachte aber noch einmal wieder auf und lächelte mich himmlisch-süß an, dann wurde es fortgetragen. Abends nach sieben Uhr ging ich in die Kinderstube, wo Tine sich befand; eben hatte das Kind mit Appetit gegessen; ich nahm es auf den Arm, scherzte, sagte: solange, als deine Mutter dich getragen hat, wird dich keiner wieder unausgesetzt tragen, gab es an das Mädchen zurück und ging in unser Wohnzimmer, um meinen Kaffee zu trinken. Eine Viertelstunde später, ehe ich noch mit dem Kaffeetrinken fertig war, ging ich wieder hin und traf meine Frau in der größten Aufregung; das Kind schrie heftig, es hatte die Augen im Kopf verdreht, wie ich hörte, und um sich geschlagen; ich ahnte nicht, daß der Zufall etwas Schlimmes bedeuten könne, aber es ward zum Arzt geschickt. Der Arzt erschien in wenigen Minuten, ich kannte ihn nicht, er war aus der Nachbarschaft, wir hatten sonst einen anderen, er sprach von der größten Gefahr; ich hielt ihn für einen rohen Charlatan und sagte das zu meiner Frau, als sie zusammensank. Es wurden dem Kinde kalte Umschläge auf den Kopf und ein Senfpflaster auf den Rücken gelegt; nach und nach hörte es zu schreien auf, ich sah darin einen Beweis, daß ich den Arzt richtig beurteilt habe, und fragte ihn: nicht wahr, es geht besser?, er antwortete: ich fürchte, daß alles zu spät ist, ja, es ist zu spät, sehen Sie, es ist aus! Das Kind hatte zu atmen aufgehört. Den ganzen Tag hatte ich mich, meines Schnupfens wegen, enthalten, es zu küssen, nun –. Ich will nicht mit meiner Lebensphilosophie in Widerspruch treten, ich habe einen raschen Tod immer für den besten erklärt, und er ist es. Aber nur für den Sterbenden selbst, auf den man freilich auch allein sehen soll, nicht für die Hinterbliebenen; diese werden sich unendlich viel eher mit ihm versöhnen, wenn er als Wohltat erscheint, als das Ende schwerer Leiden und bittrer Kämpfe. Was man leidet, wenn man sich so plötzlich ohne Vorbereitung und Übergang an die äußerste Grenze der Menschheit gedrängt sieht, ist nicht auszusprechen; aber ich halte es für Pflicht, die Lebenskräfte zu sparen und zusammenzuhalten, darum gestatte ich es der Erinnerung nicht, in der Wunde zu wühlen, obgleich die Wollust, die darin liegt, der Wonne des Besitzes fast gleich ist. Das einzige Mittel, dieser Pflicht genugzutun, ist dasjenige, das der Instinkt von selbst ergreift, sich mit Gewalt zu zerstreuen, wie es die Sprache so außerordentlich tiefsinnig nennt, das heißt sich nicht in den Schmerz zu vertiefen, ihn nicht in seine Einzelheiten aufzulösen; den Gedanken: Dein Liebling ist tot! konnte ich in seiner nackten Allgemeinheit schon während der letzten drei Tage ertragen, aber stromweis rannen meine Tränen, wenn mir irgend ein konkreter Zug, das Lächeln des Kindes, sein Auge, vor die Seele trat, ja wenn ich nur etwas, das ihm angehört hatte, erblickte, sein Mützchen oder was es war. Unendlich haben wir gelitten, die arme Mutter und ich, denn wir haben das kleine Wesen geliebt, als ob es statt sieben Wochen sieben Monate, ja Jahre, alt gewesen wäre; ich habe es nie geahnt, wie fest die Natur bindet, wenn menschliche Verhältnisse nicht durch den Zwang der Umstände herbeigeführt, sondern auf die rechte Basis gegründet sind, und den Trost entbehre ich jetzt nicht, wie einst, die schuldige Vaterempfindung aus vollstem Herzen gezahlt und mein Kind für ewig, mag es mir nun wieder begegnen, in welcher Gestalt es will, an mich gefesselt zu haben. – Gestern, um vier Uhr nachmittags, wurde es beerdigt, bei Regen und Wind, in seinem eignen Grabe, das ich für 35 Gulden kaufte, so daß ich jetzt Landbesitzer geworden bin. Ach, all dies Drum und Dran, dies Füllen gieriger Fäuste, dies Abfinden der durch Kirche und Staat privilegierten Bettler! Getauft war der Engel nicht; an seinem Todestag setzte seine liebe Mutter ihm das für die Taufe bestimmte Mützchen auf und sagte: mach, Vater, daß dein Söhnchen getauft wird, sonst wird das Köpfchen für das Mützchen zu groß; nun trägt er dies Mützchen im Sarg! Der protestantische Pfarrer, der übrigens mit der Beisetzung protestantischer Leichen nichts zu schaffen hat, riet meinem Schwager, dem katholischen zu sagen, das Kind habe die Nottaufe empfangen, um großen Unannehmlichkeiten zu entgehen; dies ist denn geschehen, sonst wäre die Erde vielleicht noch nicht zu dem Ihrigen gekommen. – Nun ruhe sanft, du holdes Wesen, Freude hast du deinen Eltern gemacht, Freude hast du, soweit dein Traumleben dafür erschlossen war, selbst genossen, gelitten hast du nicht viel, und wiederbegegnen werden wir dir, so oder so, gewiß! ...

... Öde! Öde! Und die Mutter! Die Mutter! Diese plötzlich in einer Träne zerspringenden Augen!

 

... Heute morgen, in einer innig-schönen Stunde, sah Tine mir lange ins Gesicht und fing dann auf einmal heftig zu weinen an. »Dein Auge erinnert mich so oft an das Auge des Kindes!«

1. Mai 1847.

An Elise

... Vielleicht ist das Schicksal noch gnädiger, als ich zu hoffen wage. Es wiederholt sich nicht gern. Dann hast Du für die ausgestandene Angst und Sorge den Lohn und es bedarf meiner Bitte nicht, Dich zu schonen. Vielleicht – Dann möchte ich Dich beschwören, keinen Tag länger in Hamburg zu bleiben, den Rest des Geldes zu nehmen, Dir von Campe noch 6 Friedrichdor, die er gern noch zahlen wird, dazu geben zu lassen und nach Berlin zu Madame Baumgarten zu reisen! Ich möchte Dich bitten, Dich so einzurichten, daß Du nie nach Hamburg zurückzukehren brauchst. Im Sommer würden wir Dich sehen und Du würdest mit uns gehen. Das war das erste Wort, was meine engelgute Frau, trotz aller ihr von Dir widerfahrenen empörenden Kränkungen, sagte, als sie Deinen Brief gelesen hatte. Nimmermehr würde ich darauf eingegangen sein, wenn Du wirklich wärest, wie Du Dich bis jetzt gegen sie zeigtest. Aber ich weiß, Du bist anders. Du wirst es, wenn Du sie erst einmal kennst, bitterlich bereuen, Dich zum Sprachrohr des Pöbels hergegeben zu haben, Du wirst sogar – ich sage es Dir voraus – meine beiden Briefe, solchen Anklagen gegenüber, natürlich finden! Ich habe immer wahre Pflichten erfüllt und mich davon durch scheinbare nicht abhalten lassen, und ich werde fortfahren, es zu tun ...

Tagebuch Mai 1847.

Auch mein kleiner Ernst in Hamburg! Den 12. Mai. Ich sah ihn nie!

 

Was war das erste, das meine Frau sagte, als sie die Todesbotschaft wegen meines Kindes erfuhr? »Laß sie – die Mutter – zu uns kommen, laß sie gleich kommen!« Und aufs tödlichste war sie von der gekränkt und beleidigt. Lebt noch eine zweite auf Erden, die so spräche und gleich ein Zimmer einrichtete, Betten besorgte und so weiter. Ich zweifle!

17. Mai 1847.

An Elise

Hebbels letzter Brief an Elise, da die spätere Korrespondenz von Christine geführt wurde.

Soeben kommt Dein Brief! Wir saßen gerade beim Essen. Meine arme Frau zitterte krampfhaft, sowie sie ihn nur erblickte. von mir ist nicht die Fassung zu verlangen, daß ich etwas anderes, als das Notwendigste schreiben soll. Ich erwartete keinen anderen Ausgang, dennoch triffts!!!

Nun, man muß sich finden, wie man kann. Für uns liegt eine große Beruhigung darin, Dich hier bei uns zu sehen. Wir können nichts sagen, als: je eher, je lieber! Ich darf hinzusetzen: Du wirst ein Wesen kennen lernen, vor dem wir alle uns beugen müssen! Und auch ein Kind, ein liebes, gutes Kind wirst Du finden!

Reise daher gleich, auf der Stelle! Wie schnell bist Du hier! Du schreibst an Christine, auf wie lange Du kommen sollst? Mein Gott, das versteht sich ja von selbst! Meine Briefe und was sich dort an wichtigeren Papieren von mir noch findet, bringe mit; alles übrige von mir, ich meine die Papiere, übergib den Flammen, auch die an mich eingegangenen und aufbewahrten Briefe. Doch nein, die nicht. Du wirst schon selbst sehen.

Eine Anweisung auf 6 Louisdor lege ich bei. Ich wünsche aber, daß Du sagst, wohin Du gehst. Spotten kann nur jener Pöbel, den ich verachte und vor dessen Richterstuhl mein Handel leider unvorsichtigt gebracht worden ist. Jeder andere wird von dem Augenblick an, wo er das erfährt, wissen, wer ich und meine Frau sind, wenn sie es früher noch nicht wußten.

Ein paar Zeilen schreibst Du mir wohl am Tage vor Deiner Abreise, damit ich weiß, wann ich Dich erwarten darf.

Ruhe den Toten, Friede den Lebendigen!

26. Mai 1847.

An Robert Schumann in Dresden

der Hebbel um Überarbeitung von Robert Reinicks Operntext »Genoveva« gebeten hatte.

Geehrtester Herr! Was Sie von mir verlangen, ist so wenig, daß Sie der Gewährung unbedingt sicher sein konnten. Mir kann es ja nur zur Freude gereichen, wenn ein Mann, wie Sie, sich durch meine Produktionen zum musikalischen Schaffen angeregt fühlt, da mir das beweist, daß ihr ein lebendiger Hauch nicht ganz abgehn kann, und es versteht sich von selbst, daß ich Ihnen dabei gern, soweit ich es vermag, hilfreiche Hand leiste. Ich sage: soweit ich es vermag, denn ich weiß, daß der Komponist, durch seine selbständige Kunst gezwungen, einige Anforderungen an die Poesie stellt, die diese als solche sich nicht von selbst auflegt, und von denen ich schon darum, weil ich sie nicht anders, als von Hörensagen kenne, nicht im voraus bestimmen kann, wieweit ich imstande werde, ihnen zu entsprechen. Doch wird das im vorliegenden Fall, wo ich ein Libretto bloß überarbeiten, nicht schreiben soll, wohl leichter gehen, wie es sonst ginge; da Sie das Gerippe ja doch approbiert haben. Senden Sie es mir also zu, sobald Sie wollen, und teilen Sie mir zu meiner Richtschnur Ihre etwaigen Spezialbemerkungen mit; ich werde dann soviel daran tun, als mir möglich ist und es Ihnen entweder in der mir von Ihnen zu bestimmenden längsten Frist remittieren oder es Ihnen in der letzten Hälfte des Julimonates, wo ich nach Leipzig und also auch nach Dresden komme, persönlich mitbringen. Sie werden nicht mehr und nicht weniger verlangen, als was Zeit, Stimmung und Kräfte gestatten; dessen können Sie aber auch gewiß sein.

Übrigens trauten Sie mir gegen Ihre schöne, der meinigen so nah verwandte Kunst eine große Gleichgültigkeit zu, wenn Sie es für möglich hielten, daß Sie mir unbekannt seien. Ich weiß sehr wohl, was Ihr Name in der musikalischen Welt bedeutet; ich habe Ihre Frau Gemahlin schon vor Jahren in Hamburg mit großem Genuß gehört ...

Tagebuch 30. Mai 1847.

Gestern morgen um 8 Uhr kam Elise! Gewiß ist sie edel und gut, nie habe ich das bezweifelt! Möge sie sich in unserem Hause wohl fühlen, möge sie sich die Lebensaufgabe nicht zu schwer gestellt haben!

23. Juni 1847.

An Gurlitt

... Für das mir mitgeteilte Brieffragment danke ich Dir. Es ist sehr interessant, und ich kann mir zu Freunden, die meinen Produktionen bei soviel ästhetischer Bildung so energische Teilnahme zuwenden, nur Glück wünschen. Auch hat der Verfasser in allem recht, nur nicht in seinen Gedanken über meine Zukunft, die nach einer Seite hin seine Erwartungen übertreffen wird, da ich mich an nichts, am wenigsten aber an meine Vergangenheit, gebunden fühle. Der Unterschied zwischen Goethe und mir, um den Vergleich, den er geist- und sinnreich anstellt, fortzuführen, besteht darin, daß Goethe die Schönheit vor der Dissonanz, die Traumschönheit, die von den widerspenstigen Mächten und Elementen des Lebens nichts weiß, nichts wissen will, gebracht hat, ich dagegen die Schönheit, die die Dissonanz in sich aufnahm, die alles Widerspenstige zu bewältigen wußte, zu bringen suche. Auf diesem Standpunkt löst sich alles, was in meinen Produktionen auf jedem anderen dunkel und seltsam erscheinen mag. Wie schwer er auch zu erringen, wieviel schwerer ihm noch zu genügen sei: er ist der allein gütige ...

Tagebuch August 1847.

Heilges Licht, das alles scheidet! Du machst die Dinge, beleuchtest sie nicht bloß. Ohne dich ein Chaos.

Tagebuch Dezember 1847.

Weihnachtsabend! Meine liebe Frau befindet sich in demselben ängstlichen Zustande, wie das vorige Jahr; sie erwartet jeden Tag ihre Niederkunft. Es geht ihr heute aber wohl, und sie ist eben beschäftigt, den Tannenbaum aufzuputzen ...

Tagebuch Weihnachten 1847.

Mit einem Herzen voll Dank und Freude schreibe ich es nieder, daß meine teure Christine mir heute, am ersten Weihnachtstag, nachmittags, eine Viertelstunde vor fünf Uhr ein kleines Mädchen geboren hat. Möge alles fortgehen, wie es anfing!

 

Noch steht alles wohl. Das Kind hat gleich den ersten Abend herzhaft getrunken. Freilich sind wir noch immer im Anfang.

Tagebuch Januar 1847.

Alles geht besser. Die Patientin ist auf dem Wege, wieder gesund zu werden. Das Kind ist freilich sehr unruhig und läßt uns so wenig bei Nacht als am Tage schlafen, dennoch befindet meine Frau sich leidlich wohl ...

 

Mittwoch, den 12. Januar, ist mein kleines Töchterlein auf die Namen Christine Elisabeth Adolphine durch den Pfarrer der hiesigen protestantischen Gemeinde getauft worden. Paten waren Herr Adolph von Kolatschek aus Teschen und Elise.

 

Heute habe ich meinem Bruder 10 Taler Pr. Cour, geschickt und das Versprechen hinzugefügt, diese Sendung jährlich zu wiederholen, vor drei Wochen ungefähr schrieb ich ihm seit Jahren zum erstenmal wieder und erhielt vor einigen Tagen seine Antwort. Mein langes Stillschweigen war mir durch sein Benehmen abgedrungen; er wollte haben, immer haben, und ich konnte nichts geben, da ich nichts hatte. Sein Brief gefiel mir. Wenn er ist wie der, hat er sich geändert, und alles ist gut.

 

Ohne alle Tätigkeit verstreichen mir die Tage, weil ohne allen Schlaf die Nächte. Ich stehe jeden Morgen mit einem Gehirn auf, das mir wie ausgebrannt erscheint und sicher auch ausgebrannt ist. Unser Kind ist so unruhig und mehr noch, wie sein Geschrei, stört mich die Angst. Sie ist sicher zu groß, aber nach meinen Erfahrungen doch so natürlich! ...

 

Welch ein ängstlicher Besitz ist der eines geliebten Kindes! Bis jetzt ist mein kleines Mädchen nicht krank, aber auch nicht gesund. Mich schreckt jedes Geschrei, das es von sich gibt, und ich komme weder bei Tage noch bei Nacht zur Ruhe. Diesen Zoll will ich gern bezahlen, wenn es mir nur erhalten bleibt. Ist das Schicksal aber noch einmal so grausam gegen mich, so steht mein Entschluß fest. Ein fünftes Kind will ich nicht haben.

 

O, welche Qualen knüpfen sich an den Besitz des Kindes! Es gedeiht so schön, ist schon so ausgebildet und doch – das Übel gibt sich nicht; schon zeigen sich gelinde Krampfanfälle, und der Arzt verordnet Senfpflaster! Nie, nie wieder eins! Solche Schmerzen soll meine arme Frau nicht wieder leiden, und müßt ich – Das steht fest!

Tagebuch 9. Febr. 1848.

Tines Geburtstag. Elise hatte den guten Einfall gehabt, das kleine Kind sehr früh anzukleiden, wie es bei der Taufe gekleidet war, ihm einen Blumenstrauß in die Hand zu geben und es der Mutter beim Erwachen zu bringen. Es war allerliebst.

Tagebuch 15. März 1848.

Ich lebe jetzt in einem anderen Österreich, in einem Österreich, worin ich sichrer bin, wie Fürst Metternich, wo Preßfreiheit proklamiert, Nationalbewaffnung eingeführt, eine Konstitution versprochen ist! Wer hat Zeit, das Nähere niederzuschreiben, aber soviel muß hier stehen! ...

25. März 1848.

Auch in Preußen ist alles durchgesetzt, jedoch nur nach einem furchtbaren Blutvergießen in Berlin! Der König von Preußen wußte nichts davon, daß Blut ein ganz besonderer Saft ist, und Blut der Untertanen noch mehr, wie jedes andere Blut. Gleichviel, man ist am Ziel, was aber weiter werden wird, ist schwer zu sagen, und jubeln kann ich nur, wenn ich an eine spätere Generation denke, die jetzige ist wohl zu schweren Dingen bestimmt!

28. März 1848.

Die großen Weltereignisse greifen auch in meinen kleinen Privatkreis hinein. Das Hofburgtheater wird meine Stücke spielen, Julia ist angenommen, Holbein Direktor Franz v. Holbein. zeigte es mir heute morgen persönlich an. Wer Kind genug wäre, sich darüber freuen zu können! Mir schmeckt das Ei nicht, das der Weltbrand geröstet hat.

1. Mai 1848.

An Amalie Schoppe

in Hamburg.

... Lassen wir das vergangene auf sich beruhen. Der Mensch verwandelt ein kleines Recht dadurch, daß er es zu eifrig verfolgt, sehr oft in ein großes Unrecht. Das ist der Fluch des Geschlechts, dem auch verfallen zu sein, kein einzelner schamrot zu werden braucht. Die ganze Weltgeschichte predigt uns diese Wahrheit und ist nur darum eine Tragödie, deren Lösung nicht in unseren Gesichtskreis fällt.

Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, mit welchem tiefen Schmerz mich Ihr häuslich Unglück, das ich schon erfuhr, als ich mich in Paris befand, erfüllt hat. Zu meiner Beruhigung hörte ich den letzten Sommer in Leipzig von der jüngern Assing, die ich dort bei Kühne traf, schon manches Tröstliche über Sie, das Janinski mir jetzt bestätigt. Das zeigt mir, daß Sie denselben Weg eingeschlagen haben müssen, den auch ich fand, als das Schicksal mich zerschmetternd zu treffen meinte.

»Wenn der Mensch sein individuelles Verhältnis zum Universum in seiner Notwendigkeit begreift, so hat er seine Bildung vollendet und eigentlich auch schon aufgehört, Individuum zu sein, denn der Begriff dieser Notwendigkeit, die Fähigkeit, sich bis zu ihm durchzuarbeiten und die Kraft, ihn festzuhalten, ist eben das Universelle im Individuellen, löscht allen unberechtigten Egoismus aus und befreit den Geist vom Tode, indem er diesen im wesentlichen antizipiert.«

Dies schrieb ich einmal in einem der schwersten Momente meines Lebens, eine unendliche Reihe von Gedanken in mir abschließend. In dem Begriff dieser Notwendigkeit, die freilich von der blinden, nicht in Vernunft aufgelösten, der sich jeder beugt, weil er muß, sehr verschieden ist, wohne ich seitdem, wie in einer Burg. Dieser Begriff waltet über mich, wie über meine Kunst, in der mein Ich eben am geläutertsten hervortritt und mit der ich mich mehr und mehr völlig identifiziere. Von ihm allein gehen Versöhnung und Friede aus, denn wenn ich die Grundbedingungen aller individuellen Existenz in ihrer Unabänderlichkeit erkannt und eingesehen habe, daß nur aus den mir auferlegten Beschränkungen die Freiheit des großen Organismus, dem ich eingegliedert bin, hervorgehen kann, so ist in mir die Möglichkeit, ihnen auch nur trotzen zu wollen, aufgehoben. Alles übrige führt zu nichts, und wenn ich nicht leider notgedrungen von der Kapazität der Massen eine sehr geringe Meinung gefaßt hätte, so möchte ich wünschen, daß die jetzt eingetretene ungeheuere Weltkrisis den sanktionierten Beschwichtigungsanstalten des modernen Staats bald und gründlich ein Ende machte. Aber ich fürchte, das sittliche Gesetz wird noch einige Zeit durch den Mund eines Moloch sprechen müssen ...

17. Mai 1848.

An H. Th. Rötscher in Berlin

Dramaturg und Ästhetiker.

... Vorgestern hatten wir wieder eine Revolution. Nationalgarde und akademische Legion überreichten dem Kaiser eine Petition mit geladenen Musketen. Das Resultat war, daß das zum Teil Unmögliche bewilligt, daß also das Gouvernement gezwungen wurde, sich mit eigener Hand zu brandmarken. Alles jubelte, ich hätte fluchen mögen. Und von welchen Hammeln diese Revolutionsherde geleitet wird! Es ist unglaublich! Ich bewundre Napoleon nicht um die Hälfte mehr, wie sonst; sein Spiel war viel leichter, als ich dachte! ...

15. Juni 1848.

An Bamberg

... Jetzt sind wir hier mit den Wahlen für den Reichstag beschäftigt. Ich beteilige mich an diesem Akt sehr, denn von ihm hängt es ab, ob die revolutionären Zuckungen bei uns endlich ein Ende nehmen sollen oder nicht. Ich selbst würde ohne Zweifel als Kandidat für ihn in Betracht kommen, wenn ich schon Staatsbürger wäre. Allein das bin ich nicht, kann es auch noch nicht werden, da ich zuvor in Schleswig-Holstein aus dem Nexus entlassen sein muß ... Sie verweisen mich auf die Kunst und haben in der Idee freilich recht, denn der Mensch nützt der Welt ohne Zweifel durch seine primitiven Kräfte am meisten und das sind in mir die poetischen. Aber, wer kann während eines Erdbebens malen? Und wer kann das Erdbeben malen? Ohnehin wird für mich die Politik jetzt umso sichrer zu Poesie, je gründlicher ich sie selbst durchmache ...

... Zu dichten, dramatisch zu gestalten, werde ich erst aufhören, wenn mir der Schädel mit einer Axt oder einem Kolben zerschmettert ist, ein Moment, der vielleicht nicht lange mehr auf sich warten läßt. Es ist meine innerste Natur, mein Ausatmen, nicht Resultat eines Willensakts. Das andere, die einfache Mannestätigkeit, gewährt mir aber auch Genuß und sobald sich mir die Gelegenheit bietet, werde ich mich ins Geschäftsleben stürzen. Ich bereite mich jetzt schon vor, durch Studien, deren Trockenheit unsre jetzigen Herren von zweiundzwanzig Jahren mit Entsetzen erfüllen würde. Sehen Sie darin nicht bloß die Influenza der Zeit oder gar des Tags. Ich habe es von jeher für wichtig gehalten, daß der Mensch alles, was in und an ihm ist, entwickle ...

Tagebuch Juni 1848.

Man reißt jetzt das Pflaster des Staats und der Gesellschaft auf. Ich habe dabei ein eigentümliches Gefühl. Mir ist, als ob dem Bau, der jetzt zerstört wird, uralte Erfahrungen zugrunde lägen, aus Zuständen gewonnen, wie sie jetzt wieder im Anzug sind, als ob jeder Pflasterstein auf der umgekehrten Seite die Inschrift trüge: auch wir wissen, daß dies ein Pflasterstein ist, wenn wir ihm gleich das Bild eines Gottes aufgeprägt haben; seht ihr zu, wie ihr ohne Pflastersteine, die man für mehr als Pflastersteine hält, fertig werden wollt!

Tagebuch 25. Dez. 1848.

Der gestrige Weihnachtsabend wurde auf eine fast vornehme Weise bei uns gefeiert. Ein Tannenbaum für das kleine Titele, an dem mehr hing, als ich mein ganzes Lebelang beschert erhalten habe; freilich alles von außen her ins Haus geschenkt, sonst wär es sündlich gewesen. Gesellschaft; Fasanen, Karpfen, Champagner, unerhört, wie weit man es auf Erden bringen kann. Meine liebe Frau schenkte mir Walter Scotts Romane, die ich längst gern besessen hätte; Frau von Laroche überraschte mich mit einem Autograph von Goethe!

31. Dez. 1848.

Das Jahr ist wieder herum. Es hat Deutschland eine Revolution gebracht; ob mehr, soll sich erst zeigen. Alle Erbfehler unserer Nation stehen wieder in voller Blüte; hie Guelf, hie Ghibelline! Mich wundert nur, daß in dem Körper eines Deutschen Einigkeit herrscht, daß sich nicht das Herz gegen den Kopf, der Arm gegen das Bein empört. Zu einem imponierenden, wohl gegründeten Staatsbau werden wir es wohl nicht bringen, das ist unmöglich, wo jeder Stein Schlußstein werden will. Aber der Absolutismus ist doch, wie es scheint, beseitigt, und daß er nicht wiederkehren kann, möchte ich hoffen. Das ist denn freilich schon ein unendlicher Gewinn. Hier in Wien machte ich den Oktober mit durch; ich schloß meine Mariamne in dieser Zeit, sonst hätte mich das Element des Widerwärtigen vielleicht erstickt. Furchtbare, ekelhafte Tage; man erfuhr, was das Chaos eigentlich für ein Ding ist, und lernte das Pflaster der Sozietät, von dem niemand mehr weiß, wie schwer es zu legen war, gründlich schätzen. Ich sah in die Vergangenheit bis in den mit Bären bevölkerten deutschen Urwald hinein. Ein Tagebuch hätte ich führen sollen; doch durch zu ängstliche Bemühungen, außerordentliche Eindrücke festzuhalten, stumpft man sich selbst ab und raubt ihnen ihr Frisches. – Mein kleines Mädchen gedeiht und macht mir große Freude; an meiner lieben Frau ängstigt mich ein hartnäckiger Husten, den die Ärzte freilich für die Folge eines Schleimhautkitzels erklären, der nichts bedeutet. Mögen sie recht haben! Als Deputierter des Schriftstellervereins machte ich im Mai eine Reise nach Tirol zum Kaiser und war Sprecher bei der Majestät; über diese verfaßte ich einen in der Donauzeitung veröffentlichten Bericht ...

1. Okt. 1849.

Gestern bereitete meine liebe Frau mir eine schöne Überraschung, die ihr vollkommen gelang. Sie hatte zur Erinnerung an einen wichtigen Moment unser Kind malen lassen, ohne daß ich etwas davon wußte. Nun hatte sie auf den Abend Freunde geladen, und wie ich um 6 Uhr vom Spaziergang zu Hause kam, fand ich unser großes Zimmer festlich erleuchtet. Ich trat hinein, begrüßte meine Gäste und merkte noch immer nichts, bis mein Auge endlich auf die Wand fiel, an der das Bild aufgehängt war. Anfangs war ich, wie es mir bei Überraschungen immer geht, konsterniert, dann freute ich mich herzlich, mein Titele nun auch so zu besitzen. Das Bild ist außerordentlich gelungen, und das kleine Ding, ausgelassen vergnügt wegen der vielen Lichter, trat immer vor die Wand hin und rief: Tietzi! Tietzi! Das wiederholte sie diesen Morgen gleich wieder.

25. Dez. 1849.

Gestern wurde ich am Weihnachtsabend durch ein allerliebstes Bild überrascht. Wie ich in das erleuchtete Zimmer zu dem prachtvollen Tannenbaum hineingerufen wurde, trappte mir mein Töchterlein in der Gestalt eines Braunschweiger Bauernmädchens, wie sie dort auf den Markt gehen, entgegen. Schwarzes Hütchen, nur den Hinterkopf deckend, mit langen roten Bändern; rotes Kleid, kurz geschürzt; Zwickelstrümpfe nebst Lederschuhen; eine geflochtene Kiepe auf dem Rücken, angefüllt mit Nüssen und Kuchen für mich. Das alles hatte meine liebe Frau an den Abenden gemacht, wenn ich nicht zu Hause und sie nicht auf der Bühne beschäftigt war; ich hatte nicht das geringste davon gemerkt. Das närrische kleine Ding wollte die Kiepe den ganzen Abend nicht wieder ablegen, es saß damit auf dem Stuhl und aß und trank. Des Morgens holt sie immer meine Tasse, wenn ich, noch im Bett liegend, ausgetrunken habe; heute morgen kam sie ebenfalls im Häubchen der Mutter, blieb aber vor dem Baum bewundernd stehen, den ich durch die Glastüre erblickte, küßte das darin hängende Konfekt, rief einmal über das andere: schön! schön!

31. Dez. 1849.

Wieder ein Jahr zu Ende. Im allgemeinen dieselbe Unsicherheit der Zustände, wie im vorigen Jahr; nirgends eine Hoffnung auf endliche Lösung des ungeheuren gesellschaftlichen Rätsels; nirgend auch nur ein ernstlicher Versuch; dagegen wieder überall die Furcht, die Krankheit beim rechten Namen zu nennen und die Wunden zu sondieren; überall der alte Haß gegen die Männer, die als redliche Ärzte das tun. Man lebt so hin und genießt, wie am Abend vor einer Schlacht, was sich eben bietet; selbst dem Künstler wird es schwer, sich in seiner Montgolfière über den Dunstwolken zu halten ...

... Das kleine Mädchen gedeiht, es hat seine Blattern glücklich überwunden; zu dem Zweck brachten wir den Sommer auf dem Lande zu. Es ist unsere größte Freude und steht jetzt in der Periode, wo man die Fortschritte der Kinder nach den Worten mißt, die sie aussprechen können. Mit der Gesundheit meiner lieben Frau geht es besser, wie es im vorigen Jahre ging, obgleich sie jetzt überbeschäftigt ist. In mir selbst regt sich das Leben noch immer mächtig, so viele Steine man mir auch auf den Kopf wirft. Voilà tout!

Januar 1850.

Die Krankheiten, die das Wachstum der Menschheit bezeichnen, nennt man Revolutionen.

 

Ich trug mein Mädchen auf den Armen, drückte es innig an mich und sagte: Gott erhalte dich! »Ja, ja!« sprach das kleine Ding, als ob es das verstanden hätte.

31. Aug. 1850.

An Bamberg

... In Hamburg Bei diesem Aufenthalt in Hamburg sah er frühere Freunde und Bekannte wieder und erkannte, daß er nichts mehr mit ihnen gemein hatte. So fand er Gravenhorst verkommen, dem Trunk ergeben, und Rendtorf, der Arzt geworden war, als ungenießbaren Philister. war ich kaum zwei Tage, als die Schlacht bei Idstedt geschlagen wurde. Ich befand mich gerade bei Campe und ließ mir von ihm auseinandersetzen, daß die Schleswig-Holsteiner durchaus siegen müßten, daß sie gar nicht besiegt werden könnten, als die Nachricht kam, daß sie besiegt seien. Meine Lage war eigen. Bis 1848 war ich bloß Mensch; 1848 mußte ich mich wieder auf den Deutschen besinnen; 1850 gar auf den Schleswig-Holsteiner. Aber ich war bald wieder Schleswig-Holsteiner, und zwar mit Haut und Haar, denn wenn man ganze Bahnzüge mit Toten und Verwundeten ankommen sieht, wie ich in Altona, so macht die Stammsverwandtschaft sich wieder mächtig geltend. Überhaupt muß ich Ihnen sagen, daß Deutschlands Schmach und Mißgeschick mich drückt, wie ein persönliches Leid, und daß ich erst seit dem schmählichen Umschwung der Dinge, der uns in den tiefsten Abgrund hinunterwirbeln zu sollen scheint, das natürliche Land kenne, was den Menschen mit seinem Vaterlande verknüpft ...

Tagebuch Dezember 1850.

Am ersten Weihnachtstage trank ich mit meinem alten Freunde Fritsch Sein Schriftstellername war Franz von Braunau. auf du und du. Heute morgen sagt mir meine Frau: »Im ersten Moment war mir das nicht recht, mir war – dabei traten ihr die Tränen in die Augen – als obs ein Raub an mir wäre!« Ein allerschönster Zug des tiefsten Gemüts, wert, an einer Julia, eines Desdemona zu leuchten! Und vollkommen berechtigt!

31. Dez. 1850.

Abermals der Jahresschluß da! Im allgemeinen ist nichts geschehen: Deutschland liegt zerrissen und zerschlissen da, wie immer, und auch die europäischen Zustände sind ganz die alten geblieben. Aber der Strom, der im vorigen Jahre doch noch Wellen schlug, ist jetzt völlig wieder eingefroren, und die Diplomatie kann Schlittschuh laufen, wie sie will. Was daraus werden soll, weiß ich nicht, aber ich fürchte früher oder später böse Folgen, denn ich sehe nicht, daß die Regierungen sich irgendwo ernstlich bestreben, die unabweisbaren Nationalbedürfnisse, deren brennendes Gefühl die Revolution allein hervorrief, auch nur annähernd zu befriedigen, und wahrlich, sie lassen sich auf die Länge nicht mit Gewalt ersticken! Ich selbst bin jetzt ruhiger, wie in den letzten zwei Jahren; ich weiß, daß es wieder Winter ist, aber auch, daß der einzelne den Frühling nicht zurückrufen kann, darum lasse ich meinen Pflug im Stall stehen und tue, was sich hinterm Ofen tun läßt. Meine Privatverhältnisse haben sich verschlechtert, seit der Doktor Laube das Burgtheater dirigiert; der Mann ist vom ersten Augenblick an aufs gehässigste gegen mich und meine Frau aufgetreten und sucht uns bis zur Stunde den Boden unter den Füßen wegzuziehen ...

... Im Frühling hatte ich eine schlimme Krankheitsperiode durchzumachen; ein rheumatisch-hämorrhoidalisches Leiden ergriff mich und verursachte mir große Schmerzen; doch taten Schröpfköpfe und dann die Kaltwasserkuren gute Dienste, und jetzt bin ich, wenn ich das Übel auch noch fühle, doch schon längst so gut als hergestellt. Mein Titele gedeiht, ist dick und fett; an meiner lieben Frau ängstigt mich noch immer das Hüsteln, sonst geht es auch ihr wohl ...

Durch die Angriffe seiner vielen, teilweise sehr einflußreichen Gegner und die Feindschaft Heinrich Laubes, des neuen artistischen Direktors am Hofburgtheater, oft bedrängt und erbittert, aber niemals aus seinem sicheren Gleichgewicht gebracht, erlebt Hebbel ein sich stetig steigerndes und festigendes Glück. Der Meister, der so sein Leben in starken Händen hält, söhnt sich aus mit Amalie Schoppe, mit Gutzkow und knüpft älteste Beziehungen mit dem Jugendfreund Hedde wieder an. Neue Freunde gesellen sich hinzu: so Julius Glaser, der spätere österreichische Justizminister, der Tiroler Dichter Adolf Pichler, der Schriftsteller Franz Xaver Fritsch, Professor Ernst Brücke, der Musiker Karl Debrois und namentlich Emil Kuh. Und die wahrhaft Bedeutenden unter den Zeitgenossen, wie Gervinus, Friedrich Vischer, Rückert, Robert Schumann, der alte Ludwig Tieck, Eduard Möricke, bewundern ihn.

Im August 1855 erwarb er ein Häuschen am Traunsee, in Orth bei Gmunden, wo ihm in Gegenwart seiner Frau und seines Kindes jeden Sommer das Gefühl tiefster Daseinsfreude zuteil wurde. Fünf Wochen in Marienbad, wo er mit dem Dichter Friedrich von Uechtritz Freundschaft schloß, verschiedene andere Reisen, mehrere nach Berlin und Hamburg, eine kurze nach Oberitalien, eine große durch ganz Deutschland, die ihn an den Rhein, nach Frankfurt, Weimar und Stuttgart führte, sein zweiter, kurzer Aufenthalt in Paris, ein Besuch der Londoner Weltausstellung, bereicherten ihn mit neuen Eindrücken und bedeutungsvollen Bekanntschaften. Das, was Laube in Wien versäumte: den größten Dramatiker der Zeit auf der Bühne zu Worte kommen zu lassen, das tat in München Franz von Dingelstedt, der »Judith« und »Agnes Bernauer« aufführte und Hebbel dazu einlud, so daß dieser die ihm vertraute Stadt wiedersah, diesmal freilich als ein Gefeierter, dem auch bei Hofe reges Interesse gezeigt wurde. Dingelstedt bewährte sich als Freund und Vorkämpfer und bewirkte, als er Generalintendant des Weimarer Hoftheaters geworden war, daß in den Blättern, die uns von der Geschichte jener kleinen und doch so großen Stadt erzählen, auch Hebbels Name unauslöschlich geschrieben steht. Zunächst wurde »Genoveva« aufgeführt und einige Jahre später die ganze Nibelungentrilogie, in der Christine Hebbel als Gast die Brunhild und Kriemhild spielte. Der Großherzog Karl Alexander war dem Dichter sehr geneigt und sorgte ebenso wie der Kreis um Franz Liszt dafür, daß die Beziehungen zwischen Weimar und Hebbel innig wurden und blieben. Ganz besonders nahe trat ihm die junge Prinzessin Marie von Wittgenstein. Ihr herber und fremder Zauber und die seltene Anmut ihres Geistes haben über seine letzten Lebensjahre Glanz gebreitet.

Das, was Hebbel in seiner düsteren Kindheit die einzelnen Lichtblicke sammeln ließ, was ihm in München, bei kärglichster Nahrung die ärmliche Kammer hell machte, das, was ihn in Hamburg befähigte, sich aus den ihn umschnürenden Verhältnissen loszureißen, was ihm in Paris in schwersten Leiden Geist und Phantasie frisch erhielt, was ihn in Wien die Möglichkeit zu einem neuen Leben ergreifen ließ, diese bei aller unbegrenzten Schmerzfähigkeit jedem Schicksalsschlage trotzbietende Lebenskraft, die schließlich das Schicksal zwingen mußte, verschaffte ihm eine an Orden und Ehren, Auszeichnungen und Anerkennungen reiche, vor Freunden und Feinden repräsentative Stellung und ließ ihn in den Werken » Agnes Bernauer«, » Gyges und sein Ring«, » Die Nibelungen« die künstlerische und in seinem Leben die menschliche Vollendung finden.

Uechtritz schreibt an Emil Kuh: »Es äußert sich bei Hebbel eine Kraft und Fülle und dabei geniale Gewandtheit des Wortes, die ihm ebensosehr den prägnantesten Ausdruck für seine Gedanken und Bemerkungen zuführte, als sie seiner Rede eine freie, anmutende Strömung gab, und ihr noch in der Entladung von Unmut und Entrüstung über ihm Ungefälliges und Widerwärtiges die Würde eines eigentümlichen Stils erhielt. Es war ein eigentümlicher Gegensatz zwischen der nachdrücklichen volltönenden Kraft, die sich in seinem Wort vernehmen ließ, und seinem blonden Haare, der Weiche und Weiße seiner Haut und der Zartheit seiner Gesichtsfärbung; ein Gegensatz, der sich durch das geistige Feuer, das in den blauen Augen leuchtete, harmonisch vermittelte. Weder etwas Vornehmes, noch weniger aber aufgetragen Geniehaftes war in seiner Erscheinung, aber bei aller bürgerlichen Schlichtheit edel Unbeengtes und ruhig Sicheres.« »Nie«, so urteilt der Biograph selber, »bin ich einem heftigeren, leidenschaftlicheren Menschen begegnet und nie einem gerechteren.« Und Felix Bamberg sagt: »Wie die Schönheit bei seinen einzelnen Werken weniger im Einzelnen als im Ganzen besteht, so gipfelt die seines ganzen Werkes darin, daß er die Schönheit des Lebens dargestellt hat, soviel er auch in Gefahr war, in seinen Fluten unterzugehen. Nur ein wahrhaft sittlicher Mensch konnte ein solcher Künstler sein. Härte und Milde durchdrangen sich in seinem Charakter dergestalt, daß er nur das Unwürdige abstieß, das Edle aber belehrend befruchtete.«

17. Febr. 1851.

An Dingelstedt in München

Hierbei, lieber Dingelstedt, übersende ich Ihnen, was Sie verlangten. Entschuldigen Sie die Gestalt, in welcher dies Theaterstück vor Ihnen erscheint; ich hätte Ihnen gern eine vollständige neue Abschrift machen lassen, aber das würde ziemlich viel Zeit weggenommen haben, da mein Kopist nicht zu den Raschesten gehört, und Sie wollten baldmöglichst mit dem opus versehen werden. Darum richtete ich das alte Buch ein, von dem sich glücklicherweise noch ein Exemplar vorfand; es stimmt jetzt buchstäblich mit dem Souffleurbuch des Burgtheaters, nach dem das Stück noch vor anderthalb Monaten gegeben wurde.

So wünsche ich Ihnen denn, wie zu dem neuen Posten überhaupt, so auch zur Darstellung der Judith, von ganzem Herzen Glück und empfehle dem Herrn Intendanten, der so gütig ist, sich meiner gleich am Anfang seiner schwerlich dornenlosen Laufbahn freundschaftlich zu erinnern, meine geratenen und ungeratenen dramatischen Kinder zur weiteren Protektion. Ihr Vorgänger im Amt ließ die Maria Magdalena durch den hiesigen Kommissionär Nolding von mir einziehen und sprach dann die Annahme aus; sie liegt aber bereits anderthalb Jahre vor Anker.

München ist eine sehr liebe Stadt, in der ich als Student über zwei Jahre verbrachte; ich sähe sie gern einmal wieder, was vielleicht im nächsten Sommer auf einer größeren Reise geschieht ...

Berlin 13. April 1851.

An Christine

… Am meisten entbehrte ich die Reisekappe, da man sich mit dem Hut nicht anlehnen kann; ich drehte mir in der Nacht einen Turban aus meinem wollenen Winter-Schal und muß wie ein verunglückter Pascha ausgesehen haben. Jetzt habe ich nach einem kurzen, aber gesunden Schlaf vortrefflich gefrühstückt: sehr guten Kaffee und echt holsteinische Butter. Im Kopf ist mir noch wüst, doch das wird sich in der Luft schon geben, und es ist ein Tag, so schön, daß Ihr ihn in Wien nicht schöner haben könnt, überhaupt habe ich wenig klimatischen Unterschied gespürt; in Wien blühten ein paar Bäume, in Breslau auch und in Berlin würden sie es ebenfalls tun, wenn es dort Bäume gäbe. Du siehst, mein teures Herz, aus diesem Brief, daß ich guten Humors bin; das beweist, daß ich auf den alten Gott vertraue und bei Euch ein Gleiches voraussetze. Gestern habe ich den ganzen Tag das Pinscherlied (»was ist das für ein Pinscherle usw.«) in Gedanken gesungen und mitunter in der Manier, die Dir so wohl gefällt, dazu getanzt; das zeigt Dir wohl am besten, wo ich im Geiste war. Den heutigen Tag werde ich nach Porubskys Ausdruck: verlumpen, das heißt niemand besuchen, sondern mir die Merkwürdigkeiten, zum Beispiel bei Gropius usw. ansehen, und abends ins Theater gehen. Der »Vergnügungsanzeiger«, ein neues Blatt, liegt schon vor mir und ich entnehme daraus, daß ich Mazarin von Frau Birchpfeiffer und Rübezahl von Herrn Raupach (der wieder so fruchtbar wird, als ob er bis dahin Jungfrau gewesen wäre) sehen kann: ist das nicht beneidenswert? Meine Sachen habe ich schon ausgepackt, es war mir dabei zumute, als ob ich die liebe Hand, die alles so vorsorglich zusammengelegt hatte, fassen könne; irrte ich mich, oder hast Du einen Druck gespürt? Es schlägt elf Uhr, nun will ich den Brief schließen und ihn dann, das Pinscherlied singend, auf die Post tragen. Küsse den Allerkleinsten, grüße die Freunde und behalte lieb Dein

Nuxel.

Berlin 17. April 1851.

... Bisher habe ich Dir jeden Tag geschrieben, Du bist daher von allem unterrichtet, nur gestern war es mir unmöglich, da ich von früh 8 Uhr an herumlief. Erst auf die Polizei wegen meiner »Reisezwecke«, übrigens höfliche Behandlung vonseiten der Beamten; Grobheit vonseiten Nuxels ...

... Wie freu ich mich auf Dein Tagsblättchen! Heute mittag hoff ich mit den Herren zusammen vergnügt zu sein, abends muß ich einmal wieder zu Mundt. Kritiker und Literarhistoriker. Den Kuß des liebsten Titele habe ich aufgetrunken! Behalte lieb Dein Nuxel.

11. Mai 1851.

An Adolf Pichler in Innsbruck

Es tut mir sehr leid, daß Ihre Erfahrungen über die akademische Jugend die meinigen nicht nur nicht bestätigen, sondern ihnen auf die schneidendste Weise widersprechen. Freilich stehen Sie den Massen näher, während mir nur die ausgezeichneteren Individuen vor die Augen kommen, so daß ich mich gar wohl geirrt haben mag, wenn ich von den Einzelnerscheinungen aufs allgemeine schloß. Ich habe jedoch noch immer die Freude, kräftigen jungen Leuten zu begegnen, und es entschädigt mich für manche Unbill, daß diese sich gerade mir anschließen. Ihre Schilderung der dortigen gebildeten Stände paßt leider fast auf jede Stadt, nur wird es einem nicht so gut, daß man in einem so urkräftigen, kerngesunden Bauernstand, wie es der Tiroler ist, auch anderwärts Ersatz für die Martern findet, welche diese Misere jedem auslegt. Ich bin noch nie mit einem Handwerker, einem Landmann, einem Matrosen zusammengestoßen, wärs auch nur auf der Landstraße, ohne daß ich irgend etwas Neues von ihm erfahren, einen Blick in mir fremde Zustände getan oder eine originelle Welt- und Lebensanschauung kennen gelernt hätte, während ich bei den meisten Gebildeten ein Omar werde, der alle Bücher verbrennen und, um das Recht dazu zu erlangen, die eigenen zum Fidibus hergeben möchte. Das einzige Resultat dieser Dressur, die den heutigen Namen der Bildung usurpiert, scheint darin zu bestehen, daß sie die Adern unterbindet, die das Individuum mit der Natur verknüpft, daß sie den Instinkt tötet, ohne den Verstand oder die Vernunft zu wecken ...

5. Juni 1851.

An Rötscher

Es ist mir absolut unmöglich, in Dingen, die nicht Kopf und Kragen angehen, einen Entschluß zu fassen. Darum ist mir der Beistand meiner Freunde doppelt und dreifach nötig und sie tun wohl, zuweilen die Reitpeitsche bei mir anzuwenden, wie bei jenem Esel in Italien, der sich mit aus dem Halse hängender Zunge drei Schritte vom Brunnen in der glühenden Mittagshitze unerquickt niederlegen wollte ...

17. Sept. 1851.

An Christian Hebbel in Wolfenbüttel in Holstein.

Ihre Zuschrift, mein werter unbekannter Vetter, erhielt ich, als ich eben mit meiner Frau von Berlin zurückgekommen war, wo wir uns vier Wochen aufgehalten hatten. Es war mir damals unmöglich, von Ihren drei Bitten auch nur die letzte, Ihnen gleich zu antworten, zu erfüllen, denn ich fand in Wien eine Menge dringender Arbeiten vor. An Briefen und Sendungen waren wenigstens dreißig eingegangen, von nah und von fern, die alle erledigt sein wollten. Ferner hatte ich für die Münchner Hofbühne meine Genoveva einzurichten, weil die Intendanz mit diesem Stück die Wintersaison eröffnen will. Dann mußte ich an fünfzig Novellen lesen, weil der Österreichische Lloyd in Triest einen Preis von 50 Dukaten auf die beste Novelle gesetzt hat, die für sein Familienbuch einläuft, und ich Preisrichter bin. Endlich hatte ich von den Werken unseres früheren Unterrichtsministers, des verstorbenen Freiherrn von Feuchtersleben, die ich herausgebe, den dritten und vierten Band für den Druck zu ordnen. Da blieb denn keine Zeit übrig, wie Sie wohl selbst sehen.

Jetzt will ich tun, was ich kann, und Ihnen schreiben. Ihr Brief hat mich allerdings, wie Sie voraussetzten, sehr überrascht, schon deshalb, weil ich gar nichts von Ihrer Existenz wußte. Noch mehr aber durch seinen Inhalt, aus dem ich mit erlaubter Verwunderung abnehme, daß meine Landsleute so gut, wie gar nichts von mir wissen. Um diesen Punkt zuerst abzutun, so hätten Sie sich alle Erkundigungen ersparen und Ihren Brief ohne alle weitere Adresse an mich absenden können; er wäre sicher in meine Hände gelangt; denn in Deutschland lebt kein gebildeter Mensch, der mich nicht kennt. Es ekelt mir, das über mich selbst zu sagen, was hundert und aber hundert Zeitungen in allen Sprachen längst über mich gesagt haben und was in jeder Geschichte der neueren Literatur zu lesen steht; da ich meiner eigenen Familie jedoch einige Aufklärungen schuldig zu sein glaube, so lege ich eines dieser Blätter bei, das meine neuesten Arbeiten bespricht. Daraus werden Sie erfahren, in welchem Sinne ich Dichter bin; ich habe statt einer gelehrten Abhandlung, wie sie dutzendweise über mich erscheinen, einen populären Artikel gewählt, der Ihnen verständlich sein wird, und würde ein paar meiner Werke hinzufügen, wenn Ihnen für diese die nötige Reife nicht noch fehlte. Österreichischer Professor bin ich dagegen nicht und wer meine Dramen versteht, wird das begreiflich finden, wohl aber ist meine Frau die erste tragische Schauspielerin am Kaiserlichen Hofburg- und National-Theater in Wien und nach dem übereinstimmenden Urteil aller Kunstrichter eine der größten, die Deutschland jemals hatte.

Was nun Ihre Wünsche betrifft, so finde ich Ihren Drang, sich geistig zu entwickeln, nur achtungswert, bin jedoch nicht imstande, Sie zu mir zu nehmen, oder Sie studieren zu lassen, wozu viel gehört. Ich habe alle Ursache, mit meiner Lage zufrieden zu sein, und wünsche sie mir gar nicht besser, aber sie wirft bei der Wiener Teuerung keinen Überfluß ab ... Eine Wenigkeit lege ich Ihnen bei, für die Sie sich ein Buch oder was Sie wollen, kaufen mögen; was ich sonst übrig habe, gehört meinem hilfsbedürftigen Bruder. Mein Rat ist nun der. Wenn Sie keine hervorragende geistige Fähigkeiten besitzen, so stehen Sie von der Gelehrtenlaufbahn ab und wenden sich dem Handwerk zu. Mit dem bloßen Studieren ist es in unserer Zeit, wo alle Fächer überfüllt sind, nicht mehr getan; von dem, was man jetzt braucht, um in die Höhe zu kommen, kann man nur das Allerwenigste lernen. Hat die Natur Sie aber ganz besonders begabt, so harren Sie einstweilen in Ihrem engen Kreise aus und arbeiten an sich selbst so gut es geht; das mußte ich auch sieben lange Jahre, und es hat mir eher genützt, als geschadet. Mir antworten Sie auf diesen Brief und schreiben Sie mir ausführlich Ihre Jugendgeschichte; wenn Ihr Pfarrer, der Sie ja genauer kennen muß, ein Gutachten über Sie hinzufügen will, wird es mir lieb sein. Dann lassen Sie mich alle Jahr einmal (nicht öfter) von sich hören und seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen zur Erreichung Ihrer Zwecke, wenn Sie dieselben in Einklang mit Ihren Anlagen und den Umständen formulieren, gern behilflich sein werde. Dazu ist Geld ja nicht das einzige Mittel; ich habe überall vielfache Verbindungen, und wenn Sie früher oder später einmal nach Deutschland kommen, so wird Ihnen schon der Name, den Sie tragen, zur Empfehlung gereichen ...

Tagebuch Dez. 1851.

Titi. Wir waren mit ihr im Krippenspiel, was auf mich selbst einen Kindereindruck hervorbrachte. Es kam ein Elefant, der den Kopf hin und her bewegte, da rief sie aus: »Ich will brav sein!«

»Die Sonne und mein Kind.«

Ihr »So?« wenn sie fragt, ist süß, wie eine Erdbeere. Ewige Sonne, empfingst du je ein reineres Opfer?
Ich der Wandelnde, sah dir, der Versinkenden nach, auf dem Arme mein Kind; ich nickte dir grüßend, doch dieses
hauchte den brünstigsten Kuß in die vergoldete Luft.

Tagebuch 31. Dez. 1851.

Die Weltlage hat eine feste Gestalt wieder gewonnen, die letzten Ereignisse in Frankreich entscheidend gewesen; es tritt eine Periode ein, wo die Gegensätze sich ins Auge fassen und unter Benutzung der auf beiden Seiten gemachten Erfahrungen auf dauernde Vermittlung ausgehen können. Dazu gebe Gott seinen Segen! Meine persönlichen Verhältnisse haben sich, wo möglich, noch mehr verschlechtert, und es ist wahrlich keine Kleinigkeit, seine Frau zum moralischen Tode in ihrer künstlerischen Blüte verurteilt zu sehen, weil man von Deutschland für einen besseren Dichter gehalten wird, wie der neue Theaterdirektor ...

... Mein Kind gedeiht, ich studiere die menschliche Natur in ihm; meine liebe Frau ist ihren Husten los, der mich früher so ängstigte. Möchte in meinem Hause alles bleiben, wie es ist!

16. Febr. 1852.

An Professor Karl Werner in Olmütz

Ihr großer Brief hat mir viele Freude gemacht, sein kleiner Nachfolger mit dem allerliebsten Spielzeug für Titele viel Spaß. Wie die Kleine es empfing, beauftragte sie mich, Ihnen zu sagen, Sie seien »recht brav« und sie würde Ihnen ebenfalls etwas schicken. Das wäre denn hierdurch bestellt. Übrigens bin ich in meinem Hause der Erste, und bis jetzt Einzige, gewesen, der die Kugel mit dem Becher wirklich auffing. Es hat mir aber auch Mühe und Schweiß gekostet, und ich bin wohl nicht zu anmaßend, wenn ich annehme, daß meine Tochter beträchtlich älter sein muß, ehe sie daran denken darf, in diesem Spiel mit ihrem Vater um die Krone zu ringen. Jedem das Seine! ...

München 22. Febr. 1852.

An Christine

Wenn ich Dir gestern noch hätte schreiben können, so würden die Klagelieder Jeremiae um eins vermehrt worden sein. Das war aber, wie du gleich sehen wirst, keine Möglichkeit, und heute werde ich Dir meine Fatalitäten mit epischer Ruhe, statt mit lyrischer Leidenschaftlichkeit erzählen.

Du hast gestern abend gegen acht Uhr, als du Deinem Titele sein Nachtmahl brachtest, gewiß gedacht: nun sitzt der Nux schon ruhig und warm in München und es ist nicht mehr nötig, daß ich ihn noch im Geist umschwebe! Aber niemals bedurfte er seines Genius mehr, denn erst um Mitternacht traf er bei dem heftigsten Schneegestöber und mit einem ansehnlichen Schnupfen in der blauen Traube ein! Ich hatte also zweieinhalbvolle Tage und zweieinhalbvolle Nächte im Postwagen zugebracht und das ist im Winter keine Kleinigkeit, besonders, wenn man nicht gehörig mit Schutzmitteln gegen die Kälte versehen ist, und das war ich nicht, da diese durch das bloße Sitzen von Stunde zu Stunde steigt. Ein Schlafrock ist höchst respektabel für Sofa oder Lehnstuhl, aber auf der Reise kann er den Mantel nicht ersetzen, und obgleich ich dem meinigen dadurch einen höheren Grad von Wärme abzupressen suchte, daß ich ihn des Nachts mit dem Schal, der eigentlich für den Hals bestimmt war, um die Beine zusammenschnürte, so erlöste mich das doch nur halb vom Zähnklappern. Ich faßte mich daher kurz, als wir des Morgens um drei Uhr Schärding und die bayrische Grenze erreichten, und nahm bei der Visitation meines Koffers den dicken Braunen heraus, den wir schonen wollten, von da an ging es gut, er leistete treffliche Dienste und litt, wie ich wenigstens hoffe, selbst nicht viel dabei, indem ich ihn bloß über die Beine legte. Wenn Du zu diesem allen nun noch hinzurechnest, daß ich während der ganzen Zeit aus der Übelkeit, die ich von Wien schon mitnahm, nicht wieder herauskam, so stimmst Du mir ohne Zweifel bei, wenn ich behaupte, daß der mich beleidigt, der diesen Winterausflug mit zu meinen Freuden zählt. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich so wenig zum Gedankenspinnen, als zur reinen Aufnahme äußerer Eindrücke gelangte, ja nicht einmal das innerliche Rezitieren von Gedichten, womit ich mir sonst zu helfen pflege, wollte verfangen. Sprechen konnte ich auch nicht, denn ich und mein Reisegefährte, ein amerikanischer Geistlicher, der mir übrigens recht wohl gefiel, standen in linguistischer Beziehung ganz und gar auf gleicher Stufe, uns beiden war nur die Muttersprache geläufig und ich bin, wie Du weißt, so groß im Englischen, wie er im Deutschen. Nun arbeiteten wir denn in allen Zungen der Welt aufeinanderlos, um uns irgend eine Trivialität mitzuteilen; für die große Wahrheit, zum Beispiel, daß es schneie, und daß der Schnee die Straße zu verschütten drohe, wurde das Italienische, das Französische und das Lateinische zugleich gebrandschatzt. Unsre Köpfe glichen Letternkasten in einer unordentlichen Druckerei, die durcheinandergestürzt sind, und da man unter solchen Umständen nur das auszudrücken vermag, was nicht ausgedrückt zu werden verdient, so entschließt man sich am Ende lieber zum Schweigen. Einmal sangen wir jedoch einen Kanon zusammen, einen alten neapolitanischen Gassenhauer, der mir auf einmal wieder einfiel und den ich ihm vorsagte, weil er so ganz aus unsre Lage gemacht zu sein schien.

Colombo, cosi celebre,
Cerca di qua e la,
Finiva miserabile,
Cercando Novità.
»Der so berühmte Kolumbus suchte hier und dort und kam auf der Suche nach Neuem elend um«.

Das geschah sogar unter lautem Gelächter, es war aber das Gelächter der Verzweiflung. Als wir zuletzt um Mitternacht in München eintrafen, wurden wir unter freiem Himmel abgeladen und mußten noch eine Viertelstunde warten, ehe wir unsre Bagage erhielten. Im Gasthof gab es dann glücklicherweise noch etwas kalte Küche, dazu mußte ich aber ein fürchterliches Bier trinken, weil die Keller schon geschlossen waren, und das läßt man sich auf Münchens klassischem Boden am wenigsten gefallen. Erst um ein Uhr lag ich im Bett, um sieben saß ich aber schon wieder am Schreibtisch; die paar Stunden festen Schlafs haben mich völlig wiederhergestellt, und ich will erst ausgehen, wenn ich gleich diesen Brief auf die Post mitnehmen kann. Das ist dir doch recht, nicht wahr? Übrigens scheint die Sonne hell in mein Fenster und ich werde, wenn auch nicht einen guten Tag, so doch wenigstens einen guten Morgen haben. So werde ich denn auf der Stelle meine Besuche machen.

Weißt Du, was mich diese drei Tage aufrechtgehalten hat? Einzig und allein der Gedanke an Dich, oder vielmehr das Gefühl von Dir! So bist Du mir niemals nah gewesen, wie diesmal. Mir war wirklich, als ob die Mütze, die Du mir noch ganz zuletzt mit rührender Emsigkeit stricktest, elektrische Funken ausströmte, ich glaubte zuweilen von Deinen eignen Fingern berührt zu werden, was mir immer so wohl tut! Mit Deinem Kaffee ging ich so sparsam um, daß ich erst auf der Station vor München die letzten Tropfen trank! Ich grub mich hinein in Dich, sah Dein teures Angesicht über mich geneigt, faltete die Hände und schloß die Augen! Das war ein Bild, das mir, wie gemalt, vorschwebte, obgleich ich selbst ein Teil davon war; es gibt ja auch im Wachen solche Traumzustände, worin sich alles durcheinanderschiebt. Diese einzelnen Momente meiner Reise soll man gern zu meinen Freuden rechnen, denn süßere habe ich nie gehabt, nur nicht sie selbst als solche! Dann rief ich so halblaut vor mich hin: Du guter, guter Pinscher! und in diesen Ausruf ging mehr von meinem Herzen hinein, als in tausend Gedichte! Das glaube mir, und darin liegt der Grund, warum bedeutende Dichter so selten oder nie auf Wesen, die zu ihnen gehören und von denen sie sich in ihrem eignen Bewußtsein kaum noch geschieden fühlen, ein Gedicht machen. Sie können sich ja auch da nicht verleugnen, sie müssen ja auch in einem solchen Fall nach der höchsten Vollendung der Form streben, da sie, wenn sie das nicht wollen, ja beim Brief oder beim simplen Wort stehen bleiben können, und die Form erkältet alles Subjektive, da sie verallgemeinert! Auch habe ich persönlich ein Gefühl dabei, als ob ich auf mich selbst dichtete, da es wahrlich keine Phrase ist, daß Mann und Weib eins sind! Lei Liebenden ist das etwas anderes, sie sollen erst eins werden und gleichen einem edlen Wein, der in zwei verschiedenen Pokalen funkelt; es ist wenigstens äußerlich noch eine Trennung.

Heute bist Du zu Tisch bei der Feuchtersleben, gestern warst Du im Kunstverein. wie freut es mich, daß ich das weiß! Schreib mir alles, was Du machst und tust! das geringste interessiert mich mehr, wie Sonne, Mond und Sterne! Es ist zehn Uhr, ich muß gehen. Ob ich was ausrichte? Gleichviel! Wenn nicht, so bin ich um so eher wieder bei Euch und das entschädigt mich für alles. Ich hoffe, Dein Lebenszeichen an mich ist schon unterwegs! Den Freunden herzliche Grüße, dem Titele, was beiliegt, Dir Gruß, Kuß und Umarmung!

23. Febr. 1852.

... Grüße alles, dem Titele sage, hier wären die Tauben so zahm, daß man sich in acht nehmen müsse, ihnen auf die Füße zu treten und frag es, ob ich eine fangen und mitbringen soll.

Küsse Deinen nächsten Brief, laß Titerl ihn auch küssen und bezeichne die Stellen! ...

25. Febr. 1852.

Heute sind es nun schon acht Tage, daß ich fort bin. Aber sehr unrecht würdest Du mir tun, wenn Du glaubtest, daß ich Dich, Deine liebevolle Nähe und Dein freundliches Walten um mich her, jetzt weniger vermißte, wie in der ersten Stunde. Der Tag geht mir im Wirbel der Geschäfte, wegen deren ich hier bin, und der Zerstreuungen, die sich daran knüpfen, rasch und eilig dahin; er läuft mir fast unter den Händen weg. Aber des Abends und des Morgens, wo ich zur Besinnung und zum Aufatmen komme, packt mich eine unendliche Sehnsucht, und es ist mir jedesmal ein Fest, wenn ich mich niedersetze, um an Dich zu schreiben.

Wie ich mich gestern freute, als ich Deinen lieben Brief empfing, kann ich Dir gar nicht sagen. Deine bloßen Schriftzüge sind für mich elektrisch, mir ist, als ob ein Teil Deines Wesens in sie übergegangen wäre, so daß ich nie einen Zettel von Dir, und wenns ein Waschzettel sein sollte, zerreißen könnte. Das weißt Du und hast oft darüber gelacht; es ist aber so. Darum kommt es gar nicht darauf an, ob in Deinen Briefen viel oder wenig steht; mir sind sie, wie lebendige Boten Deiner Seele, die mir in ihrer bloßen Existenz immer viel mehr bedeuten, als alles, was sie bringen oder melden. Das vergiß nicht; wenn Du mir ein bloßes, weißes Blatt mit Deinem Namen schicktest, so wäre ich schon zufrieden. Dein gestriger Brief war nun aber auch obendrein gar lieb und herzig. Mach Dir ja keine Sorge um mich; wohl kann ich mich nur da fühlen, wo Du bist, aber die Reise habe ich bis auf einen kleinen Schnupfen schon verwunden. Über Titele habe ich gelächelt; seltsam und unerklärlich ist und bleibt es doch immer, daß dem Kinde in so zartem Alter solche Einfälle kommen. Küß ihn, wenn Du dies liesest, recht ab in meinem Namen, den kleinen Narren; gewiß gefallen ihm meine Küsse besser, wenn ich sie ihm nicht unmittelbar, sondern durch Dich aufdrücken lasse ...

29. Febr. 1852.

... Wie dank ich Dir für Deine lieben, lieben Zeilen! Wie oft hab ich sie geküßt! Unendlich fehlst Du mir; ich bin ein geteilter, auseinandergespaltener Mensch, einer, der unaufhörlich rückwärtsschaut, während er unbarmherzig vorwärtsgepeitscht wird ...

1. März

... Das Klima ist hier rauh, das Wetter so ungünstig, daß wir bis über die Knie im Schnee waten und, was die Hauptsache ist, den Speisen, die mein Pinscher nicht bereitet, fehlt der Teil, der vom Pinscher in sie überströmt, und das ist natürlich der beste ...

... Heut abend, wie wir durch die Stadt gingen, wurde ich tief gerührt; ich schaute zufällig in ein Bäckergewölb hinein, wo ein kleines Mädchen von Titeles Alter mit auf den Tisch gelegten Ärmchen vor seiner Mutter stand und mit dem süßen Kinderblick zu ihr emporsah. Meine Sehnsucht nach Euch ist unbeschreiblich; tausendmal am Tage rufe ich Deinen Namen. Glaube aber ja nicht, daß ich dies in Berlin nicht auch empfunden habe; die elenden Reiseberichte, die ich abzufassen hatte, ließen mich nur nicht dazu kommen, meine Gefühle auszusprechen ...

2. März

... Eben aufgestanden und sehr traurig darüber, daß noch immer ein Kellner mir den Kaffee bringt, nicht Deine liebe Hand mir ihn einschenkt, erhalte ich Deinen teuren Brief, mein edles, edles Weib. Wie habe ich ihn geküßt, ehe ich ihn öffnete, wie doppelt und dreifach, als ich ihn geöffnet hatte, die Stellen, wo Sonne und Abendstern stehen und ihren Segen auf mich ausströmen! ...

Kuh hat das poste restante abermals vergessen, mir völlig unbegreiflich, da es auf Deinem Kuvert jedesmal steht. Das hat meine Freude diesmal freilich nicht so lange verzögert wie sonst, da sie mir ihn gleich heut morgen herüberschickten. Laß ihn denn jetzt nur fortmachen, wie er angefangen hat, ich spiele aus der Ferne nicht gern den Korrektor und er glaubt wahrscheinlich, ich sei so bekannt, wie die Sonne. Der Jugend steht ihr Enthusiasmus so schön, wie der eben aus der Erde gekrochenen Blume ihre frische Farbe, wenn der Mann auch oft darüber lächeln muß. Sag ihm also nichts, grüß ihn bloß herzlich und danke ihm für seinen Fleiß ...

Wien 1. März 1852.

Emil Kuh an Hebbel

Hochgeehrter Herr. Schon eine volle Stunde nach Mitternacht ist verstrichen, und ich springe aus dem Bette und setze mich an den Schreibtisch, um an Sie zu schreiben. Staunen Sie nicht über diesen wunderlichen Anfang! Ich habe Ihnen keine wichtigen Neuigkeiten mitzuteilen, aber ich hielt es auf meinem Lager nicht länger aus, und zwar vor Aufregung und Leidenschaft, durch das Denken an Sie, hervorgerufen. Ihr Bild schwebte um, neben und über mir, ich mußte mit Ihnen sprechen, da ich schon einmal eine so verflucht unbändige Natur bin und mich in jede Stimmung, wie in das All auflöse. Es ist gut, wenn ein Wesen, das man heiß liebt und tief verehrt, von Zeit zu Zeit von einem scheidet, denn man kann sodann das schreiben, was gesagt für Wahnsinn ausgelegt werden müßte. Das Gefühl, das mich an Sie dämonisch fesselt, muß meiner Ansicht nach das heiligste sein, dessen ein Erdensohn fähig sein kann. Liebe ist nicht so rein, Freundschaft nicht so flammend, und doch trägt es, ich kann mich nicht anders ausdrücken, einen sinnlichen Charakter an sich.

Ich glaube an eine Bestimmung im höchsten Sinn, die sich mir in dem wahlverwandtschaftlichen Verhältnisse, das durch die ganze Natur geht, majestätisch enthüllt. Und ich bin deshalb der festesten Überzeugung, daß ich mit Ihnen zusammenstoßen mußte, weil ich sonst ein halber Mensch geblieben wäre. Deshalb lebe ich auch stets in einer gewissen unheimlichen Angst, Sie könnten sich einmal von mir abwenden, und diese unerklärliche Angst trübt mir oft die schönsten Momente, die mich von dem Gegenteile gerade überzeugen. Mir ist physisch dabei zumute, wie wenn man für einen Augenblick zuweilen fürchtet, blind zu werden. Soll ich es aufrichtig gestehen, ich empfinde Ihnen gegenüber, wenn ich Ihre übrigen Freunde vor meine Seele führe, Eifersucht! Und obgleich es der schönste Moment meines Lebens war, als Sie sich äußerten, ich sei Ihnen der liebste von Ihren Freunden in Wien, so stachelt der Gedanke an diesen Ausspruch meine Leidenschaft nur desto stärker auf, weil der Unglaube sein bleiches Antlitz zeigt, ohne daß ich über all dies mir Rechenschaft zu geben imstande wäre.

Darum, Teurer, schlage nicht zusammen
das Gefäß, das heilge, leicht und kühn!!
Wisse! daß es in sich birgt die Flammen,
die mich nähren können und verglühn!!

Ich komme aber auch, Sie für all das um Verzeihung zu bitten, wenn es auch leichter Art und unbewußt geschehen ist, was ich beging, und verlange dagegen, daß Sie mir unbedingt vertrauen und fest auf mich bauen mögen, denn ich sage es stolz und sicher: daß außer Ihrer Frau kein Mensch auf Erden lebt, der Ihnen so angehört wie ich. Ich juble schon, daß ich mit Ihnen die Triumphe jetzt feiern werde, und daß mir jeder die goldenen Schalen, die für Sie bestimmt sind, reichen wird, wie ich den Wermut trank, der Ihnen oft gespendet wurde.

Doch genug – ich habe getrunken, indem ich den Becher ausgoß, und mich kümmerts nicht, wenn Sie verwundert dreinschaun und über die vielen Handbewegungen lachen, welche ich jetzt vielleicht gemacht habe.

München 5. März 1852.

An Christine

... Mein teuerstes, teuerstes Herz, glaube ja nicht, daß die hiesigen Zerstreuungen, der bunte Wechsel der mannigfaltigsten Erscheinungen mich auch nur eine Minute über die Trennung von Dir zu trösten vermögen. Fieberhaft sehne ich mich nach dem Augenblick, wo ich mich wieder in den Postwagen setzen darf und wie Auferstehung von den Toten wirds mir sein, wenn ich wieder in mein kleines Zimmer eintrete. Ich habe, so gut es mir hier auch geht, die größte Mühe, auszuhalten, und mir ist oft, als ob eine einzige der liebenswürdigen Unarten des allerkleinsten Pinschers alles aufwöge, was mir hier allenfalls verloren ginge, weil er gar zu nett ist. Doch, ich darf dem Schlachtfeld nicht den Rücken wenden. Behaltet mich nur recht lieb, wie ich Euch! ...

... So wurde ich in der Lecouvreur durch das Andenken an Dich aufs tiefste gerührt. Das prunkt da mit Pariser Garderobe herum, die allein mehr kostet, als die ganze Gage. Da sah ich Dich auf einmal an einem Tischchen sitzen, wie Du flickst und zusammenstückelst, und von mir wohl noch gar mit finstrem Gesicht betrachtest wirst, weil mir das Notwendigste überflüssig scheint. Edles, edles, so oft verkanntes Herz, ich gäbe einen Finger darum, wenn ich Dich in diesem Augenblick an die Brust drücken dürfte! ...

10. März.

... Wie ich mich sehne, so bald, als irgend möglich wieder bei Dir zu sein, kann ich Dir gar nicht sagen; mir blutet jetzt das Herz sogar, wenn ich Dir schreibe, was mich sonst immer beruhigte. Nein, ich kann ohne Dich nicht leben; meine Augen werden feucht, wenn ich nur an Dich denke, und ich sehe Dich immer vor mir, wie Du bald dies tust und bald das. Ich fühle eine schreckliche Öde in mir, obgleich man mich hier wirklich mit Huldigungen der treugemeintesten Art überhäuft – ich bin, wie ohne Mund. Ich habe mit mir zu kämpfen, daß ich nicht noch zuguterletzt einen dummen Streich mache und ohne die Aufführung abzuwarten, in den Reisewagen steige, – mir ist oft, als hört ich durch die weite Ferne Deine Stimme: komm, komm! ... O Gott, wie tief erkenne ichs, daß zwei Menschen, die sich lieben, sich nie trennen und sich auch aus der äußeren Misere, die immer wiederkehrt, seis nun in dieser oder jener Gestalt, nichts machen sollten? halten wir an diesem Glauben fest! ...

12. März.

Ich denke und träume hier nichts, als Euch. Wenn ichs noch nicht gewußt hätte: jetzt würd ichs wissen, daß ich ohne Euch gar nicht existieren kann. Bin ich in einer Gesellschaft, so sehe ich Dich, wie Du in unserem Hause unter Deinen Gästen waltest. Geh ich spazieren, so rede ich mit Dir, als ob Dus hören könntest, hüpft ein Kind an mir vorüber, so werd ich traurig und frage: was macht Titele! Ich würde hypochondrisch werden, wenn nicht eine Menge von Zerstreuungen, denen ich mich nicht entziehen darf, weil es im Grunde, ich möchte sagen, nur vergoldete Arbeiten sind, mich unerbittlich meinen trüben Stimmungen wieder entrisse. Aber da hat man Besuche zu machen, Konzerten beizuwohnen, Liedertafeln die Reverenz zu bezeigen, vorzulesen, zu schwatzen usw., alles um der Agnes Bernauer einen guten Boden zu bereiten. Ich sage: es ist Deine Pflicht! und gehe ans Geschäft. Aber so fortzuleben, wär für mich die Hölle.

Neulich ging ich, an unserem ersten schönen Tage, dem gestern gleich wieder einer voll Nebel und Schnee folgte, allein in den Englischen Garten, in dem ich vor dreizehn Jahren immer spazierte. Niemand war da, als der König, der spazieren ritt; ringsum alles weiß und gefroren. Wie ich so fortschlenderte, stieß ich auf eine Baumgruppe, unter der ich einst, bei einem plötzlichen Regenguß aus blauer Luft herab, den ersten Gedanken zum Diamant gefaßt hatte. Nun führte die Erinnerung mich weiter und weiter. Dort entstand der junge Jäger (ein Gedicht), hier kam mir die Idee zur Maria Magdalena, hier zeigte mir Genoveva zum erstenmal ihr Gesicht. Als ich wieder in den Hofgarten zurückkehrte, bezog das Militär gerade die Wache und marschierte mit klingendem Spiel von seiner Kaserne bis zur Residenz. Das geschah früher auch immer um dieselbe Stunde, und, wie früher als Student, schloß ich mich an, in Phantasien versenkt und mehr taumelnd, als wandelnd. Ein wunderbares Gefühl, so ganz in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt zu werden, und ein ebenso süßes, als wehmütiges, wenn, wie bei mir, die damaligen Träume nicht bloß Wahrheit geworden sind, sondern von der Wirklichkeit übertroffen und überholt. Ich habe in Dir, mein herrliches Weib, unendlich viel mehr, als ich je zu besitzen hoffen durfte, und Gott weiß, daß ichs dankbar erkenne ...

15. März.

... Nein, mein Herz, schlaf ruhig, etwas Arges können wir gar nicht erfahren, es handelt sich bloß um den Grad des Beifalls, er selbst ist uns gewiß! Dies würde ich niemand schreiben, als Dir, aber da es zu einem guten Zweck geschieht, so darf ich es wagen, ohne fürchten zu müssen, die bösen Dämonen zu reizen. Nur behalt es für Dich. Übrigens werd ich Dir, wenn mir nur jemand dabei hilft, den Ausfall wirklich, wie Du wünschest, telegraphieren lassen ...

16. März.

... Es sind in der Tat die seltsamsten Stimmungen, die hier durch meine Seele ziehen, weil sich Alt und Neu so wunderbar ineinandermischt. Ein Dichter! Ein berühmter Dichter! Was war mir das früher, wie hob sich die Brust bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit, wie tröstete es mich über so manche Entbehrungen. Jetzt hab ich den Bettel und es gilt mir nicht viel mehr, wie eine leere Erbsenschote. Darüber vergeh ich denn oft, was es anderen gilt, vernachlässige Personen, ohne zu ahnen, daß es ihnen von mir doppelt wehtut, spreche kurzweg und berechne nicht, wie schwer meine Worte jetzt ins Gewicht fallen und wie sie umhergetragen werden. Wie mag mir das schon geschadet haben! Auch versteh ich mich geistig durchaus nicht aufs Sparen. Andere sitzen den ganzen Abend und tun nicht das Maul auf. Dann sagen sie irgend eine Trivialität, in einen vergoldeten oder versilberten Ausdruck eingepackt, und alle Welt erstaunt. Ich werde nicht müde, meine Gedanken auszugeben, ja ich fühle mich dazu verpflichtet und nun merken die Leutchen oft gar nicht mehr, was sie zu hören bekommen, überhaupt: wie die Phrase auf Erden herrscht, habe ich erst seit 1848 gründlich kennen gelernt.

Ich muß schließen! Mein Herz, mein teures, teures Herz, lebe wohl. Wir sind jetzt, wie ein zerbrochener Ring. Die eine Hälfte liegt hier, die andere dort, aber bald werden sie wieder zusammengeschmiedet! Darauf verlaß Dich, am 25. ist Agnes und am 27. segle ich ab ...

25. März 1852.

... Zu Tränen hat mich gerührt, was Du mir von Titele und seinem in meinem Zimmer hergesagten Spruch schreibst; ich glaube mit Dir, daß der liebe Gott Menschen, wie wir, lieben muß, mich wenigstens Euretwegen! Es bestätigt sich auch überall; ich brauche mein ehrliches Gesicht nur zu zeigen, und bis auf die Schufte reicht mir jedermann warm und herzlich die Hand. Das ist doch auch was wert.

Ich muß schließen! Verlaß Dich auf alles, was im Brief steht, und komm mir Mittwoch, wenn Kuh die Stunde der Ankunft mit einiger Bestimmtheit erfahren kann, auf der Post entgegen, von mir erhältst Du morgen einen Detailbericht; von Euch verlange ich jetzt keinen Brief mehr! Ich küsse Dich, wie am Hochzeitstage! ...

Wien 1. April 1852.

An Dingelstedt

Mein teuerster Freund! Gestern nachmittag zwischen zwei und drei langte ich in Wien wieder an und wurde von Frau und Töchterlein aus dem alten Fleischmarkt empfangen. Klopstock würde auf den Moment gleich eine Ode gemacht haben, wenn er ihn erlebt hätte; Leute unsrer Art begnügen sich, zu sagen: er war schön! Das war er aber auch wirklich, ein Wiedersehn wird mit einer Trennung nicht zu teuer bezahlt. Dies soll uns auch trösten, denn ich habe mich, trotz dessen, was mich erwartete, von Euch nur schwer losgerissen. Nun, im Juli bin ich wieder da!

Wie soll ich Dir und Deiner lieben Frau all die Güte und Liebe danken, womit Ihr mich aufgenommen und bis zum letzten Augenblick überschüttet habt! Ich saß wirklich unter dem Wunderbaum, der durch Geben reicher wird und für eine Blüte, die er auf den Wanderer zu seinen Füßen fallen läßt, zwei neue aus sich erzeugt, die er ihm ebenfalls herunterwirft! Und ich bedarf dessen so sehr, daß die Wohltat, mir erwiesen, eine zwiefache ist, wenn ichs mir auch nur selten merken lasse. Nicht ohne die tiefste Rührung verließ ich die letzte Nacht Dein Haus, und nicht, ohne Euch aus vollster Seele gewünscht zu haben, was ich mir selbst wünsche, überschritt ich die Schwelle. Ich glaube, ein wahrer Wunsch ist ein Segen! Genug davon! Das Wort, das nicht schon einmal entweiht wäre, ist ja nicht mehr zu finden! ...

18. Aug. 1852.

An Bamberg

... Ich habe mich schon einmal gedrungen gefühlt, Ihnen einen Abriß meiner Lage zu geben. Sie hat sich seitdem wenig verändert und nur verschlechtert, indem es dem Fünfteil von Jungdeutschland, das sich im Burgtheater den Direktorposten erkrochen hat, durch Anwendung der allernichtswürdigsten Mittel geglückt ist, mir diese Bühne wieder zu verschließen. Das wird nicht ewig so bleiben, aber für längere Zeit ist mir die am reichlichsten fließende Erwerbsquelle verstopft, und dies habe ich nicht etwa der Regierung, sondern einzig und allein der persönlichen Niederträchtigkeit eines literarischen Gegners, den der Adler deckt, wie jenen in der Fabel die Schlange, beizumessen. Ich schreibe jedes Wort wohlbedächtig nieder und habe mir zur Entscheidung zwei volle Jahre Zeit genommen, werde auch, wenn der Tag der Rechenschaft einmal kommt, die Beweise beibringen, wenn ich gleich aus naheliegenden Gründen wünschen muß, daß mein Urteil unter uns bleibe ...

Tagebuch 31. Dez. 1852.

– Die Weltlage hat sich wieder verändert, und ich fürchte, weit mehr, als die meisten Menschen sich gestehen wollen: ein Bonaparte trägt die französische Kaiserkrone und nennt sich Napoleon den Dritten. Ich zweifle stark, daß er ein Großsiegelbewahrer des Weltfriedens sein wird, ich glaube sogar, daß er es nicht werden kann, wenn er es auch werden will. In Deutschland ist alles beim alten, doch wird mir versichert, daß wenigstens die Zollvereinigung zustande komme. Gott gebs, es wäre ein Ansang! Im Frühling war ich in München: Dingelstedt nahm mich sehr herzlich auf und tat alles mögliche für mich ...

7. Jan. 1853.

Bogumil Goltz an Hebbel

Als Bogumil Goltz von einer Reise nach Ägypten zurückkehrte, lernte Hebbel ihn in Wien kennen. »Ein starkknochiger, etwas hagerer Mann mit durchdringenden Augen, mächtig hervorspringender Nase und einer Stirn, die Eigensinn und Willenskraft zugleich abzuspiegeln schien, perorierte in einem Kreise von erschrockenen Damen und staunenden Herren gegen das schöne Italien; seine Garderobe erinnerte an einen Professor aus der ehrwürdigen Zeit, wo Lessing, als er tanzen und fechten lernte, sich gegen seinen Vater weitläufig darüber verantworten mußte; der Frack schien ein uraltes Erbstück zu sein, und ein weites Tuch, bis über das Kinn hinauf gebunden, vollendete den urväterlichen Eindruck. Aber seine Gedanken waren nicht alt und bestäubt; in kernigster Sprache entwickelte er eine Reihe der originellsten Ansichten und Ideen; die schlagendsten Ausdrücke, die treffendsten Bilder standen ihm zu Gebot, und das schneidende seiner Äußerungen wurde durch die Unmittelbarkeit ihrer Erzeugung, die das Wägen und Messen ausschließt, doch wieder gemildert ... Der erste Gedanke, den er, und nicht bei mir allein erweckte, war: er müßte in der nächsten Stunde vom Nervenfieber befallen werden: aber gleich der zweite: er habe mit Krankheiten garnichts zu schaffen«. Goltz war Ostpreuße, ein Landsmann von Hippel, Hoffmann, Hamann und Kant. Über sein »Buch der Kindheit« schreibt Hebbel: »Wenn es jemals einen Dichter gab, der den Pfad zum Paradies der Kindheit zurückfand, so ist es Goltz ... Hippel scheint jenen Blick fürs Detail des Stillebens auf ihn vererbt zu haben, der seinen »Lebensläufen« die klassische Seite gab: Hoffmann das glänzende. Ader und Nero zugleich in den Rahmen bringende Darstellungstalent ... Von Hamann hat er einen mystischen Zug ...«

Verehrter Herr und Freund! Leben Sie noch; – haben Sie noch einen getreulichen Gedanken für einen gewissen Ägypter im altmodigen Frack, mit altmodigen Empfindungen und neumodigen Gedanken ... Gut denn. Sie sind noch der Alte! – warum lassen Sie denn kein Wörtchen von sich hören? ...

Ich sage Ihnen dies und schwöre Ihnen dies: Es steht ein Bild vor meiner Seele: Ihre liebe, prächtige, stattliche, herzige Frau – »als Judith« in dem frischen, originell gefärbten Dichtwerk des Herrn und Gemahls. Lebhafter ergriffs mich noch, wie diese Frau mich nach wenig Minuten versicherte, »ich müsse in Wien bleiben, der Freund ihres Mannes werden« – und diesen Mann Hab ich ebensowenig vergessen, der so gescheit und herzig war: daß ihm sogar meine Ungebärdigkeit und meine Schimpferei Spaß machte ...

Lieber Herr und Freund: ich habe eine wütende Bangigkeit nach Ihnen, nach Wien – nach jenen Stunden, die ich dort gelebt! ...

Ich habe in Königsberg unter großem Zulauf Vorlesungen über Ägypten gehalten – aus dem Leibe, der Seele, dem Geiste heraus, aus meiner Art heraus, ich hasse die Konvenienzen und Affektation, die Schablonen – die adoptierten Manieren der Männchen etc. Ich bin ich. Bin ich ein Gaukler, so werd ich durch Halsrecken kein Schwan.

Ich muß Wien, ich muß Sie sehen; Ihre herzliebe Gattin, die Judith mit den schönen Armen – mit den prächtigen herzigen Augen, warum konnte ich sie nicht in Berlin sehen. Donnerwetter! – Sagen Sie mir, schreiben Sie mir: Kann man in Wien Vorlesungen halten; würden die Leute für 6 Vorlesungen 2 Taler oder 1½ zahlen –

In Königsberg lieset, kennt man, liebt und ehrt man Sie – Sie haben sich durchgeschlagen durch die Unmasse der Literaten. Gott oder unser guter Engel schütze uns alle aber ohne Muckerei; (von der ich kein Freund bin). Ich küsse Ihrer Judith die Hand und bin Ihr getreuester Freund und Diener

B. Goltz

Bis dat, qui cito dat. Ich weiß, Sie sind ein herziger Mann – schreiben Sie bald.

9. März 1853.

In das Album meiner Frau

In deiner Seele unbeflecktem Adel,
in ihrer Unschuld, wurzeln deine Schwächen,
und was die meisten vor gemeinem Tadel
bewahrt, das ist ihr innerstes Gebrechen.

Es könnte einer dir das Leben rauben,
und wäre dir schon halb dein Blut entquollen,
so würdest du ihm noch im Sterben glauben,
er hätt dir bloß die Ader öffnen wollen.

Will die Natur die Schönheit rein entfalten,
so darf sie nichts von ihrem Feind ihr sagen,
sie kann nur dann das Herrlichste gestalten,
doch muß sie seinen Untergang auch wagen.

Oft wünscht ich dir zu deinem vollen Frieden,
du möchtest in der Brust des Feindes lesen,
doch weiß ich wohl, es wird dir nicht beschieden,
denn dieser Mangel trägt dein ganzes Wesen!

Tagebuch 14. April 1853.

Mein alter Jugendlehrer F. C. Detlefsen schrieb aus Dithmarschen um Unterstützung an mich. Ich schickte ihm zehn Taler, und schämte mich innerlich, daß es nicht mehr war, denn großen Dank bin ich diesem braven Manne schuldig. Er antwortete mir, und sein Brief rührte mich tief, denn er wußte seiner Erkenntlichkeit für die kleine Summe gar keine Grenze zu finden, versicherte, nun könne er seine Schulden (!) bezahlen und so weiter. Daraus sehe ich, daß er ein edler Mensch ist, und das will um so mehr heißen, als er, wie ich leider nur zu gut weiß, sich schon seit zwanzig Jahren aus Mißmut und so weiter dem Trunk ergeben hat.

10. Mai 1853.

An Robert Schumann

Sie haben nicht aufgehört, mir von Zeit zu Zeit die schönsten Proben Ihrer fortgesetzten Teilnahme zu geben und Ihre Güte durch die Komposition meines Nachtliedes und deren Widmung auf eine mich wahrhaft beschämende Weise gekrönt. Längst hätte ich Ihnen dafür wenigstens meinen Dank gesagt, wenn unser junger Freund Debrois mir nicht Hoffnung gemacht hätte, daß ich vielleicht einen Abdruck erhalten würde; jetzt, da er Ihnen gerade schreibt, muß ich aber durchaus mein Gewissen erleichtern. Ihre Werke, soweit sie mir zugänglich waren, sind schon seit Jahren eine Quelle hohen Genusses für mich gewesen, denn Sie erweitern den Kreis der Musik, ohne ihn zu zersprengen, und zwar, wie ich es in meiner Kunst ebenfalls versuche, auf dem Wege größerer Vertiefung in die gegebenen Elemente. Dieser Genuß steigt nun natürlich noch um ein Unendliches, wenn Ihre Schöpfung, um mich so auszudrücken, eine Wiedergeburt der Meinigen ist und mich in meine eigensten früheren Zustände zurückversetzt, ja, mir dieselben erst recht eigentlich aufschließt. So ist es mir besonders mit dem Nachtliede ergangen, obgleich ich es bis jetzt nur sehr unvollständig vernahm; ich habe das Gedicht immer lieb gehabt und es bis auf den heutigen Tag lieb behalten, bin aber erst durch Ihre Musik, die mich in die Heidelberger Dämmernacht, in der es entstand, ganz zurückführte, zu der Erkenntnis gekommen, daß der Dichter so ahnungsreichen Natur- und Seelenmomenten doch nur die äußersten Umrisse abgewinnt, und daß das Leben durch die verwandte Kunst hinzugetan werden muß. Empfangen Sie meinen wärmsten Dank für die Auferstehungsfeier einer vergangenen Zeit, die mir durch Sie zuteil wurde, und lassen Sie sich denselben durch die Zusendung meines Michel Angelo ausdrücken, den wohl (leider!) niemand besser verstehen wird, als Sie. Er hat mir gute Dienste getan und mich nicht bloß momentan, sondern für immer der widerwärtigen Misere, mit der wir in unserem eigenen Kreise kämpfen müssen, entrückt ...

Leipzig 3. Juli 1853.

An Christine

die nach Hamburg vorausgereist war.

In Gutzkow habe ich mich nicht getäuscht, er ist ein ganz anderer Mensch geworden, und wir haben uns vortrefflich miteinander verständigt. Wir waren beide Tage viel beisammen; gestern aß ich bei ihm und fuhr dann augenblicklich auf den Eisenbahnhof, denn ich hatte schon vorher gepackt. Es machte mir einen eigenen Eindruck, zwei lang aufgeschossene Söhne, von denen der eine dem Vater schon über den Kopf sieht, mir gegenüber sitzen zu sehen, und ich erinnerte mich gar wohl, daß ich in Hamburg gerade mit Gutzkow aß, als er die Nachricht von der Geburt des jüngsten durch einen Brief aus Frankfurt erhielt. Er wollte es nicht glauben, als ich es ihm ins Gedächtnis zurückrief und seine Frau, ein sehr einfaches, naives Weibchen, das Dir gefallen wird, wenn Du es kennen lernst, wollte durchaus von mir wissen, wie er sich denn bei Empfang des Briefs benommen habe. Natürlich stellte ich ihm das beste Zeugnis aus. Auch ein allerliebstes kleines Mädchen haben sie, mit dem Titele sich sehr gut unterhalten würde ... Auch die alte Harkort traf ich auf der Brühlschen Terrasse; sie läßt Dir ebenfalls das Freundlichste sagen. Gutzkows letztes Wort zu mir war: »in unsers Vaters Hause sind viele Wohnungen!« und da in uns beiden die Erkenntnis gereift ist, daß wir auf verschiedenen Wegen dasselbe suchen, so wüßte ich nicht, warum wir nicht von jetzt an sollten zusammengehen können ...

... In der Bildergalerie (in Dresden) war ich nur auf flüchtigem Besuch, denn sie war Sonnabend verschlossen und wurde Sonntag erst um halb eins geöffnet, doch sehe ich hier überhaupt nur ein Gemälde an, indem man alles übrige auch an anderen Orten wiederfindet, und dazu war denn immer noch Zeit genug. Wie vermißte ich Dich und Deine Begeisterung, als ich vor der Madonna stand – nie ist Dein Auge schöner, als wenn die Glut der inneren Bewegung mit der Träne der Überwältigung darin kämpft, und Du sollst sie auf der Rückreise auf jeden Fall sehen, denn selten steht man vor einer Spitze der Menschheit, und nie ohne innere Furcht ...

... Elisen sage von mir, sie soll sich ganz wahr und ohne Rückhalt gegen mich geben, sie soll ein Interesse, das sie nicht hat, und das wenigstens nicht tief bei ihr sitzt, auch nicht an den Tag legen, sie soll dies wohlgemeinte Wort am allerallerwenigsten übelnehmen und sie wird zufrieden mit mir sein ...

Marienbad August 1853.

Kuhs Mutter an Hebbel

Verehrter Herr von Hebbel! Nehmen Sie, verehrter Herr, den innigsten tief gefühlten Dank einer Mutter gütigst an, das sind auch die einzigen Worte, die sich über Ihr Benehmen in Beziehung meines Emil in seiner Krankheit sagen lassen, ich wußte es schon längst, daß Sie all der unendlichen Liebe dieses Menschen nicht widerstehen können, glaubte aber, obwohl ich mir Ihr Herz so reich an Liebe dachte, daß Sie in Ihrer Größe wohl meines Sohnes Liebe, Verehrung und reine Anbetung sich gefallen lassen, aber nicht so leicht erwidern. Der Vesuv in all seiner Höhe und Unergründlichkeit läßt Millionen Menschen zu sich hinaufsteigen, aber in seine Tiefe schauen nicht; noch viel weniger nimmt er eine Seele auf. Meinem Sohne ist also das so seltene Glück geworden, Ihr Freund zu sein, und Sie, den einst kommende Geschlechter gleich einem Gott verehren werden, Sie sitzen gemütlich an dem Krankenlager eines jungen Menschen, der so gar nichts noch ist, als daß er das große Verdienst hat, Sie als seinen Meister errungen zu haben, es kann Sie mein Sohn, ich fühle es, durch nichts lohnen, als daß Sie ihn heranbilden und dann einst die Freude an ihm haben, daß er geistig Ihr Geschöpf ist, und so können sie sich versichert halten, daß, nachdem ich durch Emils Unvorsichtigkeit erfahren, daß er vier Wochen krank war, nie aufhören werde, Ihnen stets mit Dankbarkeit und Verehrung anzuhängen und ich zu Gott bitte, mir Gelegenheit zu geben, Ihnen nur einst in freudiger, guter Situation beweisen zu können, wie ich stets bin und bleibe Ihre dankbar ergebenste

Antonie Kuh.

20. Aug. 1853.

An Gutzkow in Dresden

... Wir können gegenseitig geben und nehmen, auch ich bin nicht so exklusiv, wie ich Ihnen vor Jahren erschienen sein mag: die Knospen sind es ja alle, aber was aufsprang, trinkt und saugt. Und wir wollen die Sache äußerst einfach fassen! Was Sie in Ihrem ersten Brief schreiben, ist so wahr, daß es in Gold gefaßt zu werden verdiente: die Literatur ist in einer Anarchie begriffen, daß sie sich auflösen muß, wenn sich nicht Zentralpunkte finden, welche der Fieberbewegung der Atome einen Damm setzen. Nun, dahin wollen wir gemeinschaftlich streben, und die Trivialität auf der einen Seite, die originell zu sein glaubt, während sie nachahmt und stiehlt, sowie die hohle Abstraktion auf der andern, die alles Lebendige erstickt, kräftig bekämpfen. Das Mittel: daß wir uns überall die Arena zu öffnen suchen, wo man sie uns verschließt, ohne dem Spruch der dort richtenden Instanz vorzugreifen ...

Tagebuch 4. Jan. 1854.

Die Jammerperiode ist vorüber, ich fühle mich in meinen vier Wänden wieder wohl, kann aber doch eine Betrachtung nicht unterdrücken, die sich mir immer von neuem wieder aufdrängt. Ohne Zweifel stehe ich jetzt auf der Höhe meiner Existenz; ich habe ein teures Weib, ein lieblich aufblühendes Kind und wenigstens einen wahren erprobten Freund; mit meiner Gesundheit kann ich zufrieden sein, die Geistes- wie die Leibeskräfte sind ungeschwächt, und meine Tätigkeit ist keine wirkungslose; dabei habe ich, was man zu einem bequemen Leben braucht, und bin sogar imstande, für die Zukunft einen Pfennig zurückzulegen. Ich bin, das Zeugnis darf ich mir geben, von ganzem Herzen dankbar dafür und freue mich jedes Tags; das Mittagsmahl und besonders die bei einem Glase Bier und einem Butterbrot verplauderte Abendstunde ist mir immer ein Fest, und ich nähre keinen andern Wunsch mehr, als den natürlichen, der in allen Verhältnissen übrig bleibt, daß es bleiben möge wie es ist!

26. Jan. 1854.

An Gutzkow

... Ich habe mich, wie Sie wissen, zur Zeit meiner Entwicklung ganz für mich gehalten, weil ich das Bedürfnis fühlte, den reinen Widerklang der Welt zu vernehmen, um zur Selbsterkenntnis und zur richtigen Schätzung meiner Kräfte zu gelangen ...

Tagebuch Marienbad 4. Juli 1854.

Ein außerordentlich schöner Morgen, als wir um halb sechs Uhr erwachten und aufstanden! Über Nacht ein possierlicher Zufall; ich fiel aus dem Bett, was mir, seit ich in der Wiege lag, nicht mehr passierte ...

... Das Bad macht einen sehr freundlichen Eindruck; überall die schönsten Waldspaziergänge und geschwätzige Bäche, die bald still dahinrieseln, bald tosen und aufschäumen; in unser Zimmer rauscht eine Fontäne hinein, die nicht weit von unserm Hause steht. Ich glaube, es muß schwer sein, sich in einem Badeorte zu verlieben, da alle Damen, die einem begegnen, und bei denen man sonst an Werther und Lotte denken kann, nur des Purgierens wegen im Walde herumlaufen; wir sind eben von unserer Morgenpromenade zurückgekommen und, während ich dem Geist des Brunnens infolge der genossenen drei ersten Becher an einem gewissen Ort mein Opfer darbrachte, wurde mir vor meinem Fenster von der Musikkapelle ein Ständchen gemacht. Übrigens macht ein besuchter Badeort einen Eindruck, wie ein Jahrmarkt, der in einer kleinen Stadt abgehalten wird; viele Menschen drängen sich in einem kleinen Raum, und jedem sieht mans an, daß er nicht zu bleiben gedenkt. Dabei hier die fortwährende Erinnerung des Menschen an eine Pflicht, die er nicht gerne nennt, wenn er sich auch zu ihr bekennt; wie der Kirchhof ihm unaufhörlich zuruft: bedenke, daß du sterben mußt, so mahnt Marienbad ihn unermüdlich: vergiß nicht, daß du – – mußt! Wohin man auch komme, überall kleine Häuschen in Pyramidalform, deren Bestimmung sich keine Minute verkennen läßt, mögen sie nun über einem silbern dahinrieselnden Bach, oder unter blühendem Hollunder und flüsternden Birken angebracht sein, und wie oft stößt man auf bebänderte Herren oder nach Ambra duftende Damen, die mit verlegenen Gesichtern auf sie zuweilen oder mit beschämten herausschlüpfen.

9. Juli.

Winterkälte, bleierner Himmel, dennoch um fünf Uhr am Brunnen. Dann klärte sich das Wetter auf, die Sonne brachte es wenigstens zu messingnen Strahlen, wenn die Wolken auch das Gold verschluckten, und wir machten gleich nach dem Frühstück einen Spaziergang zum Moorlager. Nie sah ich die Tanne noch so schlank und so stämmig, wie hier, wo sie der einzige Baum ist, jedesmal rauschten die Kronen im frischen Winde, und nie vernahm ich noch ein solches Rauschen; leise, fast säuselnd, begann es, als ob in der Ferne nur ein einziger Baum geschüttelt würde, dann verstärkte es sich, wurde dichter und dichter und konzentrierte sich zum Sturmakkord über unserem Haupt, darauf schwächte es sich ab, und endlich verlor es sich mit Tönen, wie sie ein langsam fortrollender Wagen wohl von sich gibt ...

13. Juli.

Nach Tisch mitten im Regen mit meiner Frau zur Friedrich-Wilhelmshöhe hinauf, dem höchsten Punkt des Orts, den wir noch nicht erstiegen. Unter den dichten Tannen gingen wir ziemlich geschützt, und wie wir oben waren, kam die Sonne. Links und rechts Felsblöcke, oft von Steinnelken überwuchert, und ein üppiger Blumenflor, der doppelt heiße Düfte ausströmte, versteckte Bäche, laut und wild unter den breiten Farrenkräutern dahinhüpfend, und von Zeit zu Zeit ein dreister Vogel oder ein nasser, nur noch schwer flatternder Schmetterling. Zwischendurch Partien, die recht schauerlich an Tod und Verwesung mahnten, weil unter den grünen Tannen schichtenweis die seit vielen Jahren abgefallenen Nadeln vergilbt und modernd und dem Wind unzugänglich liegen geblieben waren; bemooste Stümpfe darunter gesät, so faul und morsch, daß sie in der Nacht leuchten und glimmen müssen. Die Aussicht vom Gipfel herab imposant; man hat das Tal, das Marienbad einschließt, zweigeteilt vor sich und sieht in eine wahre Unendlichkeit hinaus ...

15. Juli.

Der Morgen wunderschön. Mit Puttlitz Märchen- und Lustspieldichter. in Schönau gefrühstückt, dann über die Anhöhe mit dem Pavillon zurück. Das herrliche, frische Wasser, das wir im Hause haben, veranlaßte mich zu der Frage, woher es komme. Die Antwort lautete: aus dem Keller! Dort springt eine Quelle, man denke sich, welch ein reizendes Bild! Das ist ein freundlicher Spiritus familiaris, den ich einem widerwärtigen Kobold bei weitem vorzöge. Nachmittags mit Uechtritz in der Waldmühle; fein im Innern, wie im Äußern, scheint er mir ein Mensch, mit dem sich fürs Leben ein Verhältnis anknüpfen läßt; übrigens hat er nie etwas von mir gelesen, und das ist mir gar nicht unangenehm, denn ich wirke lieber durch meine Persönlichkeit, wie durch die Werke.

Marienbad, 15. Juli.

An Kuh

– – – An Putlitz und Uechtritz haben wir einen sehr angenehmen Umgang, nur verführen wir uns gegenseitiges, nicht zum Essen oder gar zum Trinken, sondern zum geistigen Zechen, zum übertrieben vielen Sprechen, was auch seinen Rausch erzeugt. Beide sind aber ebenso treuherzige und offne, als feine Männer, mit denen sich vortrefflich verkehren, wohl auch für die Zukunft der Faden fortspinnen läßt. Sie lernen mich jetzt als Doppelgänger kennen, einmal in Person, wo ich ihnen als ein ganz leidlicher Mensch vorkomme, vor dem keiner zurückzuschrecken braucht und einmal in Emil Kuhs Charakteristik, die hier leider viel gelesen wird, und in der ich als böser Dämon herumspuke, vor dem man das Kreuz schlagen muß. –

Marienbad 15. Juli 1854.

An Kirchspielvogt Mohr

in Wesselburen.

Es tut mir leid, daß ich im Lauf meines Lebens noch einmal mit Ihnen in Berührung treten muß. Aber ich sehe mich dazu gezwungen, denn ich kann die zwischen dem Herrn Dr. Kuh in Wien und Ihnen in betreff meiner geführte Korrespondenz nicht ignorieren. Diese Korrespondenz wurde mir erst wenige Tage vor meiner Abreise ins Bad mitgeteilt, und auch jetzt nur, weil ich den Herrn Dr. Kuh zur Rede stellte, warum er Ihrer in seiner »Charakteristik Friedrich Hebbels« auf eine so herbe Weise gedacht habe; ich selbst hatte ihm dazu keinen Anlaß gegeben, denn ich habe mich nie über Sie geäußert. Zu seiner Rechtfertigung übersandte er mir Ihre beiden Briefe, nebst seiner Antwort, und ich muß bekennen, daß er vollkommen gerechtfertigt ist, ja, daß er es wäre, wenn er sich noch ganz anders über Sie ausgelassen hätte. Nur darin irrte er, wenn er dachte, daß ich von dem Vorgang keine Notiz zu nehmen brauchte; er kannte die Verhältnisse nicht und konnte sie nicht kennen.

Glauben Sie nicht, daß ich mich von Ihnen beleidigt fühle; das ist nicht der Fall und kann nicht der Fall sein. Ihr ästhetisches Urteil berührt mich nicht, denn Sie sitzen nicht mit in dem Areopag, der über mich und meinesgleichen richtet, und müssen sich es selbst sagen. Ihr moralisches Urteil, um Ihre Expektoration über meine Bescheidenheit so zu nennen, ist mir günstig, soweit es die Ihnen bekannte erste Hälfte meines Lebens betrifft, und wenn Sie der letzte Jurist der Welt sein sollten, so müßten Sie noch wissen, was es hinsichtlich der Ihnen gänzlich unbekannten zweiten bedeutet. Ihre Kritik eines nicht für Sie bestimmten Briefes beweist endlich nur, daß Sie ihn nicht verstanden haben, und das ist ein Unglück, aber kein Verbrechen. Zwar ist der Ton, in dem Sie sich gefallen, nicht der feinste und dem Witz, in dem Sie exzellieren, völlig ebenbürtig, doch daraus geht nur hervor, daß Sie zu den Leuten gehören, die immer aus den Windeln des Kindes auf den Rock des Mannes schließen, und deshalb oft am unrechten Orte plump und zart sind. Das ist ein Naturfehler, und wer wird einen solchen nicht entschuldigen?

Hätte ich also bloß einen inkompetenten und zudringlichen Pseudorichter vor mir, so hätte der Herr Dr. Kuh recht gehabt, mir den Vorgang zu unterschlagen; den würde der erste beste Büttel der Themis schon ohne meine Beihilfe von seinem angemaßten Sitz verjagen. Aber ich habe es auch mit einem Pseudowohltäter zu tun, der behauptet, daß ich in seinem Hause »aufgewachsen« sei, und dadurch zu verstehen gibt, daß er Ansprüche an mich habe, und den muß ich zurechtweisen, denn der könnte gehört werden. Ich bin nun nicht in Ihrem Hause aufgewachsen, ich kam in meinem vierzehnten Jahr, mit vortrefflichen Schulkenntnissen ausgerüstet, zu Ihnen und leistete Ihnen vom ersten Tage an Dienste, die anfangs zwar gering waren, die Sie aber sehr bald in den Stand setzten, Ihren Schreiber zu entlassen und mich an seiner Statt zu verwenden. Dadurch ersparten Sie den nicht unbeträchtlichen Gehalt, den Sie ihm zahlen mußten, und ich erhielt als Äquivalent Ihre abgelegten Kleider und die Beköstigung am Gesindetisch; für meine Bildung aber taten Sie gar nichts, wenn Sie es sich nicht etwa als Verdienst anrechnen, daß Sie mir Ihre paar Bücher nicht geradezu aus der Hand rissen, und auch später trugen Sie zu meinen Studien nicht das mindeste bei. Noch leben Hunderte, die das bestätigen müssen; wie können Sie sich denn unterstehen, das Gegenteil zu schreiben? Wohl stand es bei Ihnen, mich zu Ihrem ewigen Schuldner zu machen; Sie aber brauchten mich, unbekümmert um meine Zukunft, wozu ich eben gut war, und gefielen sich, wenn Sie mir die letzten Jahre auch aus Scham eine Kleinigkeit aussetzten, bis zu dem Tage, wo ich Ihr Haus und Wesselburen zugleich verließ, in einem rohen Benehmen. In jenem Fall würde ich Ihnen bis an mein Lebensende dankbar gewesen sein, so gewiß, als ich es meinem braven Jugendlehrer, dem Herrn Rektor Dethlefsen, und der Frau Doktorin Amalie Schoppe bin, die mit mir recht zufrieden sind; ein bloßes Dienstverhältnis aber begründet keine Rechte und Verbindlichkeiten, die über das bedungene momentane Leisten hinausgehen.

Nein, Herr Mohr, ich stehe nicht in Ihrer Schuld, wohl aber Sie in der meinigen, denn Sie haben sich schwer an meiner Jugend versündigt, und der Mann ist in der Lage, sich Satisfaktion für das zu verschaffen, was Sie an dem Jüngling verbrachen. Schlägt Ihnen das Herz nicht, indem Sie dies lesen? Nach meiner Kenntnis der menschlichen Natur möchte ich es annehmen, aber nach der Rücksichtslosigkeit, die sich in Ihren Briefen ausspricht, muß ich es bezweifeln, darum will ich Ihr Gewissen wecken. Sie schwängerten Ihre Dienstmagd und hatten bei der Gelegenheit den brutalen Mut, mir einen Antrag zu tun, der sogar für einen Bäckergesellen, der ihn nachher einging, entehrend war und ihm die Verachtung seiner Genossen zuzog. Damals waren Sie mein Prinzipal und mein Obervormund, hatten also die zwiefache Pflicht, mich zu allem Guten anzuleiten und vom Schlechten und Nichtswürdigen abzuhalten; wissen Sie, was das heißt, und mit welchem Verdikt die ganze moralische Welt Sie belegen würde, wenn ich das Faktum in meinen Memoiren erzählte? Bis jetzt hatten Sie nichts zu befürchten, es ziemt dem Menschen, zu vergeben und zu vergessen, und ich war entschlossen, Ihrer nur im allgemeinsten zu gedenken und jene scheußliche Szene mit Nacht zu bedecken. Auch in diesem Augenblick noch wünsche ich, mit einer so traurigen moralischen Exekution verschont zu bleiben, nun aber hängt das nicht mehr von mir, sondern von Ihnen ab, denn ehe ich großmütig gegen Sie sein kann, muß ich mich sicher gegen Sie gestellt haben. Ginge das Selbstbewußtsein in mir auch nur um eine Linie über das Erlaubte, ja durch die erworbene Position Gebotene und von allen Seiten Bestätigte hinaus, so würde ich Ihnen eine schwere Bedingung setzen; aber die Beschäftigung mit der tragischen Kunst stimmt das Gemüt demütiger, als die stündliche Betrachtung eines Totenkopfs, und ich will nur das unbedingt Notwendige fordern. Sie erklären dem Herrn Dr. Kuh, daß Sie Ihre beiden Briefe nach Form und Inhalt als übereilt mißbilligen und erbitten sie sich zum Zweck der Vernichtung zurück. Damit will ich zufrieden sein, bemerke Ihnen jedoch zugleich, daß ich selbst keine Zeile von Ihnen annehmen kann.

Erwägen Sie nun wohl, was Sie tun! Sie haben die Wahl zwischen einem einfachen Akt der Reue und zwischen der Ehre, die Ihnen aus der dereinstigen Veröffentlichung der obigen Szene erwachsen wird. Jener Akt bleibt unter drei Personen und wird bald vergessen; diese Ehre dürfte keine flüchtige sein, denn meine Memoiren werden länger dauern, als die von mir im Dithmarscher und Eiderstedter Boten mitgeteilten Produktionen, denen Sie den Maßstab für mich zu entlehnen scheinen. Mir ist Ihr Entschluß natürlich gleichgültig; ich werde, wenn Sie nicht innerhalb der nächsten vier Wochen meinem sehr mäßigen Verlangen auf angemessene Weise entsprechen, gleich nach der Rückkehr in mein Haus dem Herrn Dr. Kuh zur einstweiligen Ergänzung seiner Akten und demnächstigen beliebigen Verfügung eine Abschrift des gegenwärtigen Briefes zustellen, und dann meine Jugendgeschichte zum Abschluß zu bringen suchen, da ich während der Nachkur ohnehin nichts Dramatisches ausführen darf.

Schließlich noch ein Gruß an den alten treuen Christoph, dessen Sie auf eine Art gedenken, als ob Sie glaubten, daß ich mich seiner schäme. Das ist durchaus nicht der Fall, wenn ich auch vor zwanzig Jahren seine Rekonvaleszenz nach dem Fleckfieber nicht auf Ihren Befehl mit ihm in einem und demselben Bett durchmachen wollte, um Ihnen mit Gefahr meines Lebens eine kleine Ausgabe zu ersparen. Im Gegenteil, ich habe ihm in meiner Julia schon ein Denkmal gesetzt, und er wäre mir in Wien von Herzen willkommen; hätte er das Unglück, gerade einen Freund bei mir zu treffen, der ihm an Bildung, Rang und Stand gar zu weit überlegen wäre, zum Beispiel den Fürsten Schwarzenberg, so würde er gewiß im Vorzimmer etwas warten oder sich noch einmal zu mir bemühen. Dies könnte vornehm klingen, aber dem Absender solcher Briefe gegenüber muß ich mich notgedrungen auf den zweifelhaftesten aller Größenmesser, den Hof- und Staatskalender berufen, da die Koryphäen der Wissenschaft und der Kunst offenbar nicht hinreichten, um Ihnen das Wunder begreiflich zu machen, daß man der Sohn eines armen Mannes sein, sieben Jahre lang für Sie Lizitationsakten abfassen und es doch noch zu etwas bringen kann. – übrigens habe ich die Ehre, zu sein Ihr ergebener Friedrich Hebbel.

Tagebuch 20. Juli.

Um zehn einsamer Spaziergang zur kleinen Schweiz hinauf, etwas dort gesessen und das Auge am Grün der Tannen gestärkt, das sich vom Pavillon aus fast wie eine ungeheure Wiese ausnimmt, weil die Bäume terrassenförmig hintereinander aufsteigen, dann hinunter zur Waldquelle. Die Tannen rauschten diesmal im leisen Winde, der sie nur leicht bewegte, ganz so, als ob hoch oben in jeder Krone ein Bienenschwarm säße und emsig arbeitend sein Wohlbehagen in Tönen aussummte; daneben an der einen Seite ein fröhlicher Bach, wie denn überhaupt diese ewig sprudelnden Wasser, die bald als Quellen, gleich naiven Kindern, die nicht viel nach Ort und Stunde fragen, aus der Erde hervorbrechen, bald als Bäche aus den Wäldern herausstürzen, einen Eindruck machen, als ob die Natur hier ein unaufhörliches Freudenfest feierte. – Heute hat der liebe kleine Pinscher mir das Tagebuch geschenkt, was er über Venedig geführt hat.

26. Juli.

Heute wegen des Soldaten Johann Dengler aus Kleinsichtig (Gemeinde Großsichtig, kuriose Ortsnamen) an den Fürsten Schwarzenberg In Wien, mit dem Hebbel viel verkehrte. geschrieben, weil der arme Teufel elf Schlachten mitgemacht, seinem Rittmeister das Leben gerettet, eine arge Handwunde bekommen, auch die große goldene Verdienstmedaille erhalten hat, nun aber ohne Bedienstung und Pension herumläuft ...

26. Juli.

– Mittags, wie wir zum Essen gingen, fand meine liebe Frau im Klee ein Fünfblatt; gleich darauf begegnete uns Hossauer mit seinem Töchterlein, das sehr herausgeputzt war, weil es seinen Namenstag feierte; meine Frau gab dem Kinde als Gratulation das Glückszeichen: ein schönes Bild! – Abends, ich allein auf der Friedrich-Wilhelmshöhe; durch die Waldallee fielen die roten Sonnenstrahlen, wie Streifen, die regelmäßig abgeschnitten sind, und übergossen ein paar bräunliche Baumstümpfe mit dunklem Gold; in den Büschen und Zweigen hingen die Regentropfen, die der Wolkenbruch vom Mittag hineingesät hatte, und glänzten in allen Farben; zuweilen zitterten einige nieder, weil ein Vögelchen oder auch nur ein Käfer sich bewegte, und dann war es wirklich, als ob zerschmolzene Edelsteine zur Erde tröpfelten ...

Marienbad 29. Juli 1854.

An Kuh

– – Sie meinen, Sie könnten für Ihre Arbeiten im Eisenbahnbureau kein »Pathos« aufbringen. Wer verlangt das von Ihnen? Sie können nicht leben ohne Fleisch und Brot; sollen Sie darum die Kälber wie Ihr Liebchen behandeln und Roggen und Weizen wie Ihre Freunde? Kein Mensch wird eine solche Forderung an Sie stellen! Fassen Sie die Sache einfach, wie sie zu fassen ist. Sie sind ein Dichter und können eben deshalb nie ein Schriftsteller werden; was bleibt Ihnen also übrig, als eine Existenz, die nicht aus der Feder gesogen werden soll? Das Schicksal ist Ihnen günstig, Sie erreichen schnell, worum viele andere sich jahrelang bemühen müssen, freuen Sie sich und richten Sie sich ein! Wohl ist es nicht ganz so angenehm, des Morgens am Aktentisch zu sitzen und ein riesenhaftes Tintenfaß nebst einer kolossalen Streusandbüchse zum vis-a-vis zu haben, als bis zehn Uhr im Bett zu liegen und dann ins Kaffeehaus zu gehen. Aber eine Lebensweise, wie diese, hätte zur schmählichsten Sklaverei geführt, während es jetzt ganz bei Ihnen steht, sich zum freien Mann zu machen. Nichts Jämmerlicheres auf der Welt, als dazu verdammt zu sein, bei Buchhändlern und Redakteuren mit Manuskripten herumzuziehen, und das hätte Ihnen bevorgestanden. Nichts Leichteres, Menschenwürdigeres, als die Hälfte des Tags für äußere Zwecke zu verwenden, um sich den Rest rein und ungetrübt für die inneren zu bewahren! Ihr Onkel fordert gewiß nicht, daß Sie eine Relation oder eine Rechnung mit so viel Begeisterung in die Hand nehmen sollen, wie den Macbeth oder den Lear; er ist zufrieden, wenn Sie dieselbe akkurat und flink expedieren. Aber Sie brauchen nun auch nicht mehr über ein tiefsinniges Kunstwerk in einem Abend eine Kritik zu liefern, deren Sie sich nachher ein ganzes Jahr schämen. Mit einem Wort, Sie sind in gleichgültigen Dingen gebunden, aber in den heiligsten fessellos, Ihre Hand ist geknechtet und Ihr Geist ist frei. Wünschten Sie es umgekehrt?

Glauben Sie jedoch nicht, daß ich Ihnen das Unbequeme des Übergangs aus Ihrer bisherigen Art zu sein in die neue nicht nachempfinden kann! Vollkommen! Sie lernen die Disziplin zum erstenmal kennen, denn Sie waren nicht einmal auf der Schule, wo sie auch regiert, und diese Bekanntschaft hat etwas Abstoßendes. Aber eben darum müssen Sie ins Allgemeine gehen und Gewinn und Verlust im ganzen und großen berechnen! ...

Tagebuch 31. Juli.

Eben, 10 Uhr morgens, fährt unser Reisegefährte, Herr Rodisch, im Postwagen an unserem Hause vorbei und winkt mit dem Taschentuch hinauf; heute über acht Tage werden wir folgen. Schon sind die Menschen, die wir bei unsrer Ankunft vorfanden, fast alle verschwunden, lauter fremde Gesichter wandeln umher, und ich habe ein Gefühl, wie es etwa ein Greis haben mag, der durch die neue Generation hindurch seinen Jugendfreunden langsam folgt und auf den Kirchhof zuschreitet. Und im Grunde geht es uns mit der Erde selbst ganz so, wie mit diesem kleinen Fleck Erde, nur nicht so rasch, und ohne daß wirs merken, nach und nach lichten sich die Reihen und füllen sich wieder, und erst ganz zuletzt wird mans gewahr, daß man keinen einzigen alten Bekannten hat, als die Sonne, die einen bescheint, wie sie Adam auch beschien.

Marienbad 1. Aug. 1834.

An Julius Glaser in Wien

... Ihren Brief erhielt ich, als ich gerade im Begriffe stand, ins Bett zu steigen, schließen Sie daraus aber nicht, daß es schon zu spät war. Wir legen uns hier mit den Hühnern nieder, stehen aber freilich auch wieder mit ihnen auf und sind des Morgens um fünf Uhr schon am Brunnen ...

... Die Natur hat mir in Marienbad zum erstenmal Beschäftigung und Genuß zugleich gegeben. Ich bin ihr in ihrem Kleinleben auf Schritt und Tritt nachgegangen und sie hat mich dankbar in ihre Ökonomie hineinschauen lassen ...

... Kuh ist ein Glücklicher; er hat erreicht, was er wollte, denn was lag ihm mehr am Herzen, als eine Anstellung, aber er singt seinen Jubelhymnus mit einem Stockschnupfen ab und bläst sein te deum auf einer verstimmten Posaune. Ich habe von hieraus diesen Schnupfen durch einen Brief zu vertreiben gesucht, lassen Sie sich den Brief einmal zeigen und kommentieren Sie ihn, damit auch die Posaune heller ertöne, wenn ich wiederkomme ...

Tagebuch 2. Aug.

Frische, kühle Morgen und kalte Abende, dazwischen stets ein heißer Mittag; schon erscheinen die Georginen und die Stockrosen, daneben blühen freilich auch noch die Linden, und die Kirschen kommen erst an. Wie reizend ist es, wenn der Frühling schon durch den Winter seine Kette hindurchspinnt, wenn die ersten Blumen noch unter Eis und Schnee die Augen aufschlagen und die Lerche des Morgens singt, obgleich sie des Abends noch friert und sich bei dem Sperling unterm Dach im warmen Nest einquartieren möchte! Einen schwermütigen Eindruck macht es dagegen, wenn der Herbst und der hinter ihm kauernde Winter schon in den Sommer hineinschauen, und wenn die ersten Glieder der Kette sichtbar werden, die in der Aster endet. Das ist hier schon der Fall, man wittert schon etwas von dem Hauch, vor dem die Farben erblassen und das Laub vergilbt! Abends mit der Familie Prittwitz nach dem Dorf Auschowitsch, wo die Kurgäste ehemals begraben wurden; ein hochliegender Kirchhof, rings von Getreidefeldern umgeben, der eine weite Aussicht darbietet, sonst viel Schmutz und lauter hölzerne Häuser, die jedoch hier und da auf rührende Weise mit Blumen verziert waren.

Tagebuch 31. Dez.

Elise ist nicht mehr; am 18. November 1854 gegen Morgen ist sie verschieden. Lange vorher schon war für sie nichts mehr zu hoffen, und also nur der Tod zu wünschen; so erschütterte mich die Schmerzenskunde denn im Moment des Eintreffens nicht so sehr, als sie in mir nachzitterte und nachzittern wird! Welch ein verworrenes Leben; wie tief mit dem meinigen verflochten, und doch gegen den Willen der Natur und ohne den rechten inneren Bezug! Dennoch werde ich niemand lieber, als ihr, in den reineren Regionen begegnen, wenn sie sich mir dereinst erschließen ...

Gmunden 22. Juli 1855.

An Kuh

... Die Meinigen grüßen Sie auf das herzlichste, Titi, die mich nur »aus Langeweile« liebt, das heißt: nur dann, wenn die Mama nicht da ist, feiert heute ihren Namenstag, sie bildet sich übrigens zur guten Katholikin aus, betet in jeder Kapelle am Wege und schmückt jeden Altar mit Ähren und Blumen ...

4. Aug. 1855.

... Eines neckischen Abends sei gedacht, an dem ich, von einem Spaziergang bei leisem Sprühregen an der Traun heimkehrend und meiner vorausgeschickten Familie in »den goldenen Brunnen« folgend, die ganze Wirtsstube zu der Gäste Verwunderung und Titeles Entsetzen, mit Nachtschmetterlingen erfüllte, die sich zu Hunderten unterm Regenschirm auf meinen Kleidern niedergelassen hatten und sich nun, vom Licht geblendet, durchs Zimmer verbreiteten, ja in Wein-Bouteillen und Suppen-Terrinen hineinsegelten. Doch vor allem Erwähnung verdienen die Bäder, die ich im Freien in der herrlichen grünen Traun nehme, und zwar zweimal des Tags, wenn die Witterung es gestattet. Da haben Schleusenwerke und Mühlendämme eine natürliche Dusche gebildet, der ich in der Welt nichts zu vergleichen wüßte und bei der ich, meine Kleider über die Leiter hängend, die herunterführt, ganze halbe Stunden zubringe, von dem milden Geplätscher an, das wie eine halb warme, halb kalte Hand über den Rücken gleitet, bis zu dem Strahl, der es mit der Helgoländer Sturmwoge aufnimmt und mit dem Menschen Fangball spielt, kann man alle Grade und Abstufungen durchkosten; dabei steht man in einem Wasser, das den Champagnerschaum an Weiße und quellendem Perlenreichtum übertrifft, und wenn man sich unter das Gefäll stellt, wo es am stärksten ist, so kommt man sich vor, als ob man in einen Kristallmantel gehüllt wäre, denn links und rechts verteilt es sich, wie in Falten über die Brust, und die Sonne wirkt alle Farben des Regenbogens hinein ...

14. Aug. 1855.

Mein Kontrakt ist abgeschlossen, ich bin souveräner Herr des Hauses Nr. 31 in Orth und werde es noch auf ein paar Tage beziehen. Titele hat sich gestern schon einen Aprikosenbaum ausgesucht, der ihr feierlichst versprochen wurde, als sie neulich an einem Fieberchen darniederlag, für Sie lege ich eine Blume aus dem Garten bei, und zum Herbst wird köstliches Winterobst eintreffen ...

Tagebuch 21. Aug. 1855.

Gmunden oder vielmehr Orth, im eigenen Hause, Nr. 31, den 21. August. Die erste Nacht im eigenen Hause zugebracht und gut geschlafen, so knapp und eng auch alles war. Da die alten Leute, die es mir verkauft haben, noch da sind, so haben wir nur ein einziges kleines Zimmer, das ungefähr so unter uns zu verteilen ist, wie das Jean Paulsche in den Flegeljahren zwischen Walt und Vult. Zwei große Betten und ein ungeheurer Ofen füllen es fast allein aus, und wir schlüpfen in die Ecken hinein, der eine in diese, der andere in jene, und dürfen uns nicht rühren, wenn wir uns nicht gegenseitig erdrücken wollen. Mein Verschlag ist hinter den Betten, wo ich jetzt auch schreibe, und ich gucke aus demselben hervor, wenn ich mich umdrehe, wie die Löwen aus ihrem Käfig in Schönbrunn. Übrigens ist das Zimmerchen hell und freundlich, und das ganze Häuschen könnte in Amsterdam stehen, so holländisch-reinlich ist es in jedem Winkel gehalten. Auch brauchen wir das Zimmer nur als Nest für die Regentage anzusehen, denn unser Garten ist groß und bietet die Aussicht auf den Traunstein und den See, so daß man bei gutem Wetter gar keinen schöneren Platz finden kann. – Heute morgen fiel mir ein, wie glücklich mein armer Vater gewesen wäre, wenn er es jemals zu einem so bescheidenen kleinen Besitz gebracht hätte! Es war ihm nicht vergönnt, und doch hat er mehr Tropfen Schweiß vergossen, als das Haus Atome zählt! Bei meinem heutigen Morgenspaziergang erzählte mir ein Fräulein, meine Nachbarin, daß der Adler in dem Garten ihres Vaters bestimmt ist, ausgebälgt und ausgestopft zu werden, sobald er ausgewachsen sein wird. Das junge, kühne Tier mit seinen feurigen Augen hat uns alle schon oft ergötzt; welch ein Schicksal!

24. Aug. 1855.

An Kuh

Ja, wir sitzen jetzt bereits in und auf unserem Eigenen; es gibt eine Tür, aus der ich nicht herausgeworfen werden kann und einen Garten, über dessen Planke ich nach Belieben klettern oder springen darf, ohne daß mir irgend ein Mensch etwas darein zu reden hat. Das ist für mich ein höchst possierliches Gefühl, denn ich habe in früheren Jahren so wenig darauf gerechnet, Grundbesitzer zu werden, als ich jetzt darauf zähle, Flügel zu bekommen, und ich könnte mir selbst die Fenster einwerfen, um zu erproben, ob ich wirklich Eigentümer sei.

Lassen Sie sich meinen heutigen Tag schildern! Heute morgen um sieben Uhr hörte ich mit meiner ganzen Familie in der Pfarrkirche die Messe. Mein Freund Gärtner fungiert hier nämlich während der Dauer seines Aufenthaltes als Priester, und wir wollten ihn doch auch einmal in pontificalibus sehen. Dann saß ich wohl eine Stunde im Garten unter dem schattigsten meiner Apfelbäume; wir haben deren dreizehn und einer ist noch schwerer beladen, als der andere. Darauf ging ich mit Gärtner in die Traun. Nach dem Essen ruhte ich mich ein Stündchen auf meinem Boden in duftigem Heu und las, wenn ich nicht schlief, wozu die schwüle Hitze es nur wenige Minuten kommen ließ, in Soll und Haben; dabei fand ich, daß dieser Freytag so langweilig ist, wie ein Sonnabend. Nun ging ich mit meiner kleinen Familie zum Baden an den See und selbst Titele mußte mit hinein. Darauf kehrte ich zu meinem Apfelbaum zurück und genoß, den Gyges neben mir im Grase, die göttliche Abendbeleuchtung des Traunsteins, der mir gerade ins Fenster sieht. Dann wurde gegessen und währenddem kam der Vollmond über die Gebirge herauf. Diesen Anblick hätte ich Ihnen gegönnt; er hielt uns bis tief in die Nacht hinein fest, und wenn wir uns gar zu sehr in die Betrachtung des himmlischen Gestirns verloren, so rief uns der dumpfe Fall eines Apfels oder einer Birne wieder auf die Erde zurück und versetzte namentlich mich wieder in die Zeit, wo ich als kleiner Knabe oft stundenlang auf solch eine Begebenheit wartete, um dann mit meinem Bruder, der auch hinter irgend einem Busch gekauert hatte und nun zu meinem Entsetzen plötzlich hervorsprang, um die wurmstichige Beute zu raufen.

So weit schrieb ich gestern, heut morgen habe ich mir meinen Tisch in den Garten stellen lassen und fahre fort. Es ist wieder ein Göttertag, der Traunstein schält sich langsam aus dem blauen Nebel heraus, der See dampft und über dem Bassin in meinem Gärtchen flattern die Libellen, die meine täglichen Gäste sind. Leider sind nur noch vier solcher Tage unser, denn am Mittwoch treten wir die Rückreise an und am Donnerstag sind wir in Wien. Nun, wir freuen uns, daß wir wenigstens so lange bleiben durften und zur Entschädigung für das, was uns hier entgeht, sehen wir Sie und unsre übrigen Freunde wieder. Ich rechne darauf, Sie bei Ankunft des Dampfboots in Nußdorf zu treffen, aber Sie allein; für die paar Stunden können Sie sich schon frei machen, und wenn Sie kommen, so will ich es Ihnen dafür verzeihen, daß Sie Ihrer jungen Geliebten statt eines Gebetbuchs als erste Lektüre meine Maria Magdalena in die Hände gegeben haben. Der Anna melden Sie wohl den Tag unserer Ankunft; wir lassen sie bestens grüßen ...

... Apropos, wenn Sie mein Haus besingen wollen, so werden Sie jedenfalls nicht mehr der erste sein; Pastor Kolbenheyer in Oedenburg hat es schon getan. Gärtner hat es malen lassen, und so haben sich beide Konfessionen schon darum verdient gemacht. Es ist acht Uhr morgens, eben fällt mir eine Birne fast auf den Fuß, ich schließe, um meiner Frau auf den längst angetretenen Spaziergang zu folgen. –

Tagebuch 27. Aug. 1855.

Es geht nach Wien zurück, meine Frau ist eifrig mit Packen beschäftigt, ich muß aber des gestrigen Abends noch mit einigen Worten gedenken. Wir waren mit Gärtner auf ein einsames Bauergehöft in der Nähe von Münster gegangen, das er zu kaufen gedenkt, und erlebten dort ein Idyll. Großmutter, Vater und drei Töchter, drei Generationen, die gegenseitig aufeinander herab- und zueinander hinaufsahen, dieselben Züge, kein Unterschied, als der des Alters. Die Mädchen sangen einige Liedchen, anspruchslos, schlicht und fromm, der Vater stand mit gefalteten Händen dabei und sang innerlich mit, ein kleiner Dachs lag zu ihren Füßen, schaute vergnüglich zu ihnen hinauf und schlug mit seinem Schwänzchen den Takt. Als wir gingen, sangen sie sogar das Lebewohl, was sich bei den schwachen, leise verhallenden Tönen der begleitenden Zither tief rührend ausnahm. Unterwegs eine Bewegung am Himmel, ein Arbeiten, wie ichs noch niemals sah, ein Wetterleuchten hinter allen Bergspitzen hervor, das unsern Pfad fast mit Feuer überschüttete und sich zuweilen zu einem wahren Flammenfall steigerte, im Gegensatz dazu arbeitete sich der Vollmond hinter dem Traunstein herauf und drückte, sich in voller Pracht ausbreitend, das sich türmende Gewitter eine Zeitlang siegreich zurück, dann aber verschwand er wieder, und Donner und Blitz triumphierten.

27. Nov. 1855.

An Werner in Iglau

... Auch ich habe vor neun Jahren mein erstes Kind, einen Sohn, der Emil hieß, wie der Ihrige, mit neun Wochen verloren und zwar in einer Stunde! Dennoch wüßte ich Ihnen nichts zu sagen; in den Anfang, wie in das Ende müssen wir uns ein für allemal ergeben, nur die Mitte, die krumme Linie zwischen den beiden Punkten gehört uns. Soviel ist gewiß, daß nichts aus der Welt verschwinden kann, und daß es sich immer nur um ein gelöstes Verhältnis, nie um eine zerstörte Wesenhaftigkeit, handelt. Warum sollte aber ein Verhältnis nicht früher oder später wieder angeknüpft werden können?

Wenden Sie also dem Grabe den Rücken und dem Leben das Angesicht wieder zu. Reif sein, ist alles, meint Hamlet und er hat recht. Wirken, schaffen, sich nach allen Seiten entwickeln, damit die Hand, die von oben heruntergreift, unten den Faden nicht vermißt, bei dem sie den Menschen packen kann! ...

18. Dez. 1855.

An Heinrich Heine in Paris

... Über Ihre körperlichen Zustände hörte ich neulich von einem hiesigen Arzt, der Sie im letzten Sommer mehrmals sah und sprach, das Traurigste. Um so bewunderungswürdiger ist freilich das Schauspiel, das Ihre ungeschwächte Geisteskraft den Mitlebenden gibt. Doch, das ist für Sie ein schlechter Trost, vielleicht sollen Sie den Theologen, die Sie so oft geärgert haben, einen neuen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele liefern. Das würde Sie eher ergötzen, denn es wäre eine Übereinstimmung mehr zwischen dem Ihnen eigenen und dem Welthumor.

Ich höre, daß Sie noch lesen und sich vorlesen lassen. Damit entschuldigen Sies, wenn ich Ihnen mein neustes Stück übersende. Ich bin damit sonst sehr sparsam, denn ich weiß wohl, daß ich für die eigentümlichen Wege meines Geistes einer größeren Hingabe bedarf, als man im allgemeinen verlangen kann. Diese Zurückhaltung, die doch nur in der Bescheidenheit wurzelt, ist mir nicht selten für Sprödigkeit ausgelegt worden; hoffentlich von Ihnen nicht! Ich höre ebenfalls, daß Sie noch manches Lebenszeichen nach Deutschland flattern lassen; sollte sich davon nicht auch einmal eins zu mir verirren? Ein Wort über meinen Gyges wäre ein schönes Neujahrsgeschenk; Sie haben mir in Paris über die Judith einmal in einer halben Stunde mehr Tiefes gesagt, als alle deutschen Kritiker zusammen ...

30. Dez 1855.

An Pichler

... Alles Schreiben ist doch nur ein trauriger Ersatz für den persönlichen Verkehr und je tiefer man dies erkennt, um so nachlässiger wird man dabei. Ich wenigstens nehme, wenn mich die Produktion nicht drängt, kaum noch die Feder in die Hand und auch jene geht mir nur im Freien unter Gottes blauem Himmel vonstatten, so daß der Prater meine eigentlichste Arbeitsstube ist. In einem Epigramm sagt Hebbel:
Ja, ich schweife herum ganz wie der alte Homer,
mein ist das erste der Veilchen und mein die letzte der Astern,
Regen sogar und Sturm halten mich selten zu Haus!
Aber, wo hörtest du denn, daß Mauern und Wände den Dichtern
je als Musen gedient, oder der Druckergesell?
Niemals saßen sie noch gebückt vor hungrigen Bogen,
aufgekrempelt den Arm, wie es dem Weber gebührt!
Nein, sie lauschten den Wellen, sie horchten dem Brausen des Windes,
und ein Lilienblatt reichte als Täfelchen aus.
Freilich sollte man erwägen, daß der andere immer mehr empfängt, oder doch zu empfangen glaubt, als man sich zu geben eingebildet, und daß er besser suppliert, als man denkt ...

3. Jan. 1856.

An Uechtritz

... Übrigens nimmt sich das Häuslein ganz artig aus und der Garten hat uns schon für den Winter mit Obst versorgt; es liegt an dem schönen See, wenn auch, was ich nicht einmal möchte, nicht ganz unmittelbar, und der riesige Traunstein sieht uns ins Fenster. Natürlich hatte ich bei diesem Erwerb nur die Zukunft im Auge, denn zurzeit wäre so wenig meine Frau, wie ich, imstande, uns dort für immer einzuspinnen, wenn es uns die äußeren Verhältnisse auch gestatteten. Aber der Kauf war gut, denn er wurde nicht durch mich, sondern durch einen bewährten Geschäftsmann, abgeschlossen, und es war nichts dabei zu riskieren, da sich immer Liebhaber finden, selbst wenn die Jahre mir nicht Asche genug aufs Haupt streuen sollten, um die gänzliche Abgeschiedenheit und Einsamkeit aushalten zu können. Ich habe jedoch, wenn ich mich nicht sehr irre, einige Anlage dazu, obgleich ich sie früher nie in mir vermutet hätte ...

12. April 1856.

Eben komme ich, mit Einbruch der tieferen Dämmerung, aus dem Prater zurück, wo ich meiner kleinen Tochter einen hohlen Baum von ungeheurem Umfang gezeigt habe, in welchem sie, nebst ihrem Vater und dem begleitenden Hündchen, bequem Platz fand; Sie können sich die Verwunderung und den Jubel des Kindes denken, besonders, als sie in einem Astloch auch noch ein Fensterchen entdeckte, vor welches ich treten und fragen mußte, wer drinnen wohne ...

Tagebuch 15. April 1856.

Ich bin, nach einiger Stockung, in das Gedicht Die idyllisch-epische Dichtung »Mutter und Kind«. wieder hineingekommen und habe den vierten Gesang fast geendigt. Er ist fast ganz im Prater beim Veilchenpflücken entstanden; es waren himmlische Tage. Sowie ich einen Strauß beisammen hatte, waren auch dreißig oder vierzig Hexameter fertig.

5. Juni 1856.

An Kuh in Troppau

Moralische Erschütterungen haben das mit Erdbeben und ähnlichen Elementarereignissen gemein, daß sie zeigen, was im Menschen wirklich unwandelbar feststeht und was in Ermangelung der Probe nur festzustehen schien. Je mehr der Mensch in solchen Fällen auf sich selbst gestellt wird, um so leichter und um so reiner ergibt sich das Resultat; wenn ich Sie also, nachdem ich Ihnen meine wohlerwogene Meinung über Ihre Rechte, wie über Ihre Pflichten mit auf den Weg gegeben hatte, eine Weile sich selbst überließ, so hätten Sie das, ich möchte sagen, mit Dank anerkennen, aus meiner Selbstbescheidenheit aber nicht einen Schluß ableiten sollen, zu dem nicht der kleinste Grund vorhanden war. Ich bin Ihnen nicht mehr entfremdet, als Sie sich selbst entfremdet sind; seien Sie nur der Alte, so werde ich es gewiß sein. Wenn Ihr vorletzter Brief nicht das flüchtige Produkt einer erregten Stimmung gewesen ist, sondern das Bleibende Ihrer jetzigen Gemütszustände in treuem Ausdruck fixiert hat, so ist nicht alles, wie es sein soll. Ich war es aber wohl Ihnen, wie mir selbst schuldig, Sie augenblicklich dabei zu fassen, denn dem ersten Irrtum, wenn Ihre siebenjährige Jüngerschaft im Verhältnis zu mir einer gewesen wäre, was ich nicht glaube, dürfte unter keiner Bedingung ein zweiter folgen. Prüfen Sie sich also und schreiben Sie mir dasselbe, wenn Sie können, noch einmal.

So viel zur Verständigung und, wie ich denke, zugleich zur Ausgleichung und Beschwichtigung. Von anderem bei anderer Gelegenheit; nur dies noch, daß ich Sonntag mit meiner Frau bei Ihrer Familie war. Wir hatten diesen Besuch längst beabsichtigt, aber Ihr Bruder, der uns hinauszuführen versprach, als er mir Ihre ersten Zeilen aus Troppau brachte, hat sich bei mir nicht wieder sehen lassen und ich mußte mir daher erst von Ihrem Vater die Adresse verschaffen. Mir war, ich darf Ihnen das nicht vorenthalten, als ob ich in ein Totengewölbe träte, in dem nur noch Leben gespielt würde. Der Zustand Ihrer Mutter besonders hatte etwas Erschreckendes für mich; nie habe ich ein menschliches Wesen erblickt, das innerlich so kochte. Verhält es sich denn wirklich so, daß Sie bei Ihrer Abreise nicht Abschied von ihr genommen haben? Meine ernste Mahnung: seien Sie nicht zu rasch fertig mit Menschen und Dingen und vergessen Sie nicht, daß das größte Recht (Ihr Recht habe ich gegen Ihre Mutter verteidigt) durch die Art der Ausführung in das größte Unrecht verwandelt werden kann! –

29. Juni 1856.

An Kirchspielschreiber Dethlefs in Wesselburen.

... Wohl weiß ich, daß ich in ganz Deutschland als schroff und unzugänglich verschrien bin; das rührt aber nur von den Tausenden von Skribenten her, die mir aus allen Ecken und Winkeln ihre Bücher zuschicken und das Lob, auf das sie spekulierten, nicht erhielten. Es ist ja bequemer, den Richter einen harten Mann zu nennen, als sich selbst einen armen Sünder ... Allerdings habe ich diesen oder jenen wohl auch wirklich von oben herab behandelt, aber die hatten es früher mit meiner Mutter und meinem Bruder ebenso gemacht. Wie ich meine Landsleute sonst aufnehme, möge der Doktor Eggers aus Reinsbüttel sagen, wenn er zurückkehrt ...

Recht würde es mich freuen, wenn ich bei meiner Rückkunft einen Brief voll Dithmarsischer Neuigkeiten von Ihnen vorfände; hier in Wien erfahre ich, was ich will, aus Kopenhagen, aber nichts aus Holstein. Was macht M. P. Hansen, was H. H. P. Schäfer, was C. W. Plähn? Sie sehen, ich weiß alle Vornamen!

13. Juli 1856.

An Kuh in Troppau

Seit ungefähr acht Tagen sind wir wieder in Gmunden. Nach einer raschen und angenehmen Fahrt trafen wir beim schönsten Wetter hier ein. Unsere Tür war zum Empfang von der alten Frau, die das Häuschen bewohnt, mit einer Blumengirlande geschmückt. Rosen und Lilien stachen in ausnehmender Schönheit hervor, und da diese mir so nahe stehen, als ob ich schon im Schoß meiner Mutter von ihnen geträumt hätte, so können Sie sich denken, wie sehr die kleine Aufmerksamkeit mich gerührt hat. Noch ein paar Tage blieb es schön und ich erlebte mit Vögeln zwei reizende Abenteuer. Einmal flog eine Taube so dicht an mir vorbei, daß ihr Flügel mein Ohr streifte, obgleich ich eilig den Kopf wandte, und niemand hatte sie aufgescheucht. Ein andermal hätte ich einen Sperling, der unbemerkt zu meinen Füßen hüpfte, fast zertreten; ich schleuderte ihn mit der Stiefelspitze fort, wie einen Stein. Das ist doch artig, nicht wahr? Seitdem können wir die Stunden, wo die Sonne scheint, freilich zählen. Dennoch wird an meinem Garten fleißig gearbeitet, es werden Wege gemacht, auch wird ein kleiner Pavillon angelegt. Ich selbst werde von morgen an in der steyrischen Tracht herumgehen; mein grauer Rock mit den grünen Aufschlägen, sowie der spitze Hut kommen noch heute. Diese Tracht bezeichnet nämlich nicht, wie ich im vorigen Jahre glaubte, wo ich sie mit Entschiedenheit ablehnte, den Jäger, sondern den Grundbesitzer. Nur des Federschmucks muß man sich enthalten, und das wird mir, wie ich wenigstens hoffe, nicht schwer fallen.

Hier haben Sie ein Pfand, daß ich gegen Sie wieder der Alte bin. Ich bin es aber erst seit gestern, wo ich aus einem Briefe von Debrois eine Tatsache erfuhr, die ich nicht ahnen konnte, die er selbst, nach der naiven Art der Mitteilung zu schließen, gar nicht würdigen zu können scheint, die aber für mich eine ungeheure Tragweite hat und mich vollständig mit Ihnen aussöhnt. Nicht, als ob ich Ihnen sonst nicht von hier aus geschrieben hätte; so gewiß, wie allen andern, denen ich Antworten schuldig bin. Aber so hätte ich Ihnen nicht schreiben können, denn so wenig ängstlich meine Zunge ist, so gewissenhaft ist meine Feder! Das Nähere später, am besten mündlich, weil gerade heute meine Zeit gemessen ist; es wohl auch einstweilen genug. Antworten Sie mir nun umgehend, schreiben Sie mir über alles, auch über Ihre Herzensangelegenheit, und seien Sie überzeugt, daß Ihr Wohl und Weh Ihnen selbst nicht mehr am Herzen liegen kann, als mir ...

13. Juli 1856.

An Debrois

Sehr spät, erst am 14. dieses Monats, erhielt ich Ihre Sendung. Ihrem Freunde hat sie genützt; ich bin vollkommen mit ihm ausgesöhnt und habe ihm gleich geschrieben. Mit Ihnen selbst habe ich freilich einiges zu erörtern; das kann aber nur mündlich geschehen, von der Frau Professorin Bonitz höre ich, daß Sie Ihren Plan, mich in Gmunden zu besuchen, nicht aufgegeben haben; ich rechne also mit Bestimmtheit darauf, Sie hier zu sehen. Es steht aber ganz bei Ihnen, ob das, was zwischen uns besprochen werden muß, schon hier oder erst in Wien besprochen werden soll. Ich selbst bin sogar, obgleich ich Ihrem Wunsch nicht entgegentreten will, falls er mit dem meinigen nicht übereinstimmt, für Wien. Sie werden mir wohl im voraus zutrauen, daß ich zwischen dem Eifer für einen Freund und dem für das eigne Ich zu unterscheiden weiß. Sie werden aber auch gewiß die Antwort nicht vergessen, die der Hammer dem Eisen gab, als es sich über seine Schläge beschwerte. Sei nur erst Stahl – sagte er – so höre ich von selbst auf. Verlassen Sie sich darauf, ich werde nicht hinter dem Hammer zurückstehen, und ich dächte, ich hätte es zum Teil schon bewiesen.

Im allgemeinen ist zu erwägen, daß der Mann den Jüngling begreift, weil er Jüngling gewesen ist, nicht aber der Jüngling den Mann, weil er erst Mann werden soll. Am allerschwersten findet der Jüngling sich wohl in das Herz des Mannes hinein, denn die Keuschheit des Mannes besteht darin, daß er sein Herz verhüllt. Im früheren Lebensalter ist das anders, ob aber darum auch besser, ist noch sehr die Frage. Im besonderen bedarf es wohl keiner Versicherung, daß niemand eine freundliche Lösung der in unserem kleinen Kreise eingetretenen Verwirrungen mehr wünschen kann, wie ich, wenn ich mich auch gegen die Gefahr sichern muß, mit Lessing erst im Alter ausrufen zu müssen: Alles verläßt mich! ...

18. Juli 1856.

An Glaser

Gestern abend, mein sehr lieber Freund, erhielt ich Ihren Brief, und gleich heute morgen setze ich mich hin, ihn zu beantworten. Mir gegenüber an demselben Tisch sitzt mein Töchterlein und übt sich mit glühenden Wangen und blitzenden Augen im Schönschreiben, und eine Rose, die ich eben in meinem Garten pflückte, steht zwischen uns, während meine Frau sich, wie wir durch die Tür hören, draußen mit den Vögeln zu schaffen macht. Hieraus werden Sie auf gutes Wetter schließen; dessen erfreuen wir uns jedoch keineswegs, vielmehr gießt der Regen schon die ganze Nacht durch in Strömen und vom Traunstein, der uns sonst gerade ins Fenster schaut, sehen wir kaum in schwachem Umriß das Untergestell. Ein seltsamer Eindruck, wenn man sich mitten im Gebirg einbilden kann, in der Ebene zu sein ...

24. Juli 1856.

An Kuh in Troppau

Ich schreibe Ihnen in meinem neuen Pavillon. Langsam zog ein Gewitter über die Berge herauf, jetzt beginnt es, sich zu entladen; über dem Traunstein kreuzen sich die Blitze und das Höllengebirg, das langgestreckt hinter ihm herumkriecht, beginnt in den finsteren Wolken zu verschwinden. Meine Nachbarn stecken rasch abgerissene grüne Zweige in die Fenster, auch bei mir, weil sie gegen das Einschlagen schützen sollen; jetzt erhebt sich der Herold, der den jähen Ausbruch ankündigt, der Wirbelwind, gleich muß der erste schwere Regentropfen fallen, und ich kehre in mein Haus zurück, um, wie ich es in solchen Momenten gerne bin, bei meiner Familie zu sein. Ich fahre im Zimmer fort, meine Frau sitzt mir gegenüber und näht, Titi liest in einem Kinderbuch von Houwald und unser kleiner Hund läuft mit heraushängender Zunge ängstlich hin und her. In bezug aus Ihre Hauptangelegenheit kann ich Sie nur an unser letztes Gespräch und an meinen ersten Brief erinnern. Diesen legten Sie nicht in meinem Sinne aus; nicht von Ihren Rechten und Pflichten in Ihren Beziehungen zu mir wollte ich reden, sondern von Ihren Rechten und Pflichten vis-a-vis Ihrer Familie, die ich besucht und die einen sehr beängstigenden Eindruck auf mich gemacht hat. Hüten Sie sich, Entscheidungen heraufzurufen, die erst in Jahren nötig sein werden und seien Sie versichert, daß jede Leidenschaft, die sich durch die Zeit als echte beglaubigt, sich durchsetzt. Die Zivilehe will mir durchaus nicht gefallen; aparte Verhältnisse sind nichts wert und werden von Tag zu Tag drückender.

Emil Kuh war Jude: es war also der Religionsunterschied, der die eheliche Verbindung zwischen ihm und der Tänzerin Adele Ferrari erschwerte.

19. Aug. 1856.

... Es freut mich, daß Sie entschlossen sind, meinen Rat zu befolgen und Ihrer Familie gegenüber zu lavieren. Glauben Sie mir, die Menschen fügen sich viel leichter in die Tat, wie in das Wort, und das gilt nicht bloß von Staatsstreichen. Aber was wollen Sie damit sagen, daß ich Ihre Geliebte »mit Silberbleistift« gezeichnet hätte? Ich weiß durchaus nicht, worauf sich dies bezieht. Seien Sie versichert, daß ich kein Wort über sie vernahm, daß nicht aus Ihrem eigenen Munde kam, wenn ich die sich selbst widersprechenden Reden Ihres Vaters ausnehme, und diese fielen wahrlich nicht bei mir ins Gewicht ...

18. Dez. 1856.

Daß Sie sich mehr und mehr von dem inneren Wert Ihrer Geliebten überzeugen, kann Ihre Freunde nur freuen; Besseres kann keinem begegnen, als daß dasjenige, was er im Fieber der Leidenschaft mit Ungestüm ergriffen hat, später die Prüfung der Vernunft und der Zeit besteht. Da sich nun auch äußerlich alles im besten Sinne zu machen scheint, so wüßte ich nicht, warum Sie nicht mit Hoffnung und Zuversicht in das neue Jahr hineinschreiten sollten, was ich Ihnen denn von ganzem Herzen wünsche. Zu der Herausgabe Ihrer Gedichte gratuliere ich, dagegen verlangen Sie wohl nicht von mir, daß ich Ihre Ansichten über die Juden unterschreibe, da Sie wissen, daß ich mich vor vielen Jahren schon mit einem christlichen Freunde auf lange entzweite, als er ähnliche aussprach, und da Ihnen früher obendrein mein Wort: der Jude ist gerade so schlecht, wie der Mensch! recht wohl gefiel. Der Jude ist freilich, wie jeder Aristokrat, zu Anmaßung und Undankbarkeit geneigt, und da seine Ansprüche aus historischen Gründen immer derber abgewiesen und stärker darniedergehalten wurden, wie die der übrigen Adelskasten, so hat sich auf der einen Seite das in ihm ausgebildet, was ich die kleine Courage nennen möchte, und was leichter zur Unverschämtheit im Hause, als zur Tapferkeit auf der Straße führt, und auf der anderen hat er sich eine Dialektik angeeignet, die alle ursprünglichen Verhältnisse zu verschieben sucht, um leichter mit ihnen fertig zu werden, und aus der schon der Talmud hervorging. Aber diese Eigenschaften können sich zunächst nie gegen Sie kehren, da Sie ja selbst zu den Auserwählten gehören, und dann denke ich viel zu groß vom Menschen, obgleich ich ihn wahrlich nicht überschätze, um nicht an dem Glauben festzuhalten, daß er die kleinen Hindernisse, welche die Rasse ihm allenfalls in den Weg legen mag, durch die kleinste sittliche Anstrengung überwinden kann. Erwägen Sie diese Gedanken in ihrer ganzen Tiefe und söhnen Sie sich mit Ihrer Nation wieder aus; es tut nicht gut, sich von dem Boden loszutrennen, dem man angehört, und ich sehe Sie nicht gerne auf diesem Wege. Ihrer Familie nehme ich nichts übel, sie hat nie Verpflichtungen gegen mich gehabt, und ich finde es natürlich, daß sie jetzt gegen alles Christliche etwas eingenommen ist ...

Tagebuch 31. Dez. 1856.

Weihnachtsabend mit den alten Freunden äußerst vergnügt zugebracht ... Titi verschenkte an uns alle selbstgestickte Buchzeichen und war selig, daß sie nicht mehr bloß empfing, sondern auch gab. Meinen Epigrammen »An die Götter« und » Conditio sine qua non«, die einen unbefriedigten Zustand scharf und spitz aussprachen, fügte ich im neuen Manuskript Nachstehendes hinzu:

»Götter, öffnet die Hände nicht mehr, ich würde erschrecken, denn ihr gabt mir genug: hebt sie nur schirmend empor!«

Ich wiederhole dies Gebet hier aus innerster Seele!

Hamburg 26. April 1857.

An Christine

... Heute morgen war ich nun schon um acht in der Spaldingstraße, und zwar zuerst bei Elisens alten Eltern. Der Vater hat sich für seine siebzig Jahre erstaunlich erhalten; es ist noch immer das alte, treuherzige, fast kindliche Gesicht, wenn auch die Zähne etwas auszufallen anfangen. Die Mutter dagegen ist ihres rechten Arms nicht mehr mächtig und hat schon etwas Blödes; ihr: »Setzen Sie sich auf diesen Sofa, Herr Doktor, Sie saßen so oft darauf« hatte etwas Erschütterndes für mich ...

Weimar 6. Mai 1857.

... In Frankfurt traf ich um zwölf Uhr ein und begrüßte gleich im Vorüberfahren das Standbild Goethes, das freilich in das Börsentreiben der christlichen und hebräischen Juden hineinblickt, wie in Italien die antike Statue in den Ziegen- und Eselstall ...

Am Montag erging es mir besser, ich besuchte den Doktor Jordan Wilhelm Jordan. auf, der in seinem Demiurgos die begeisterten Verse Von jener Warte, drauf die Meister standen
In unsrer Dichtung schönster Blütenzeit,
Von welcher sie die Richtungspunkte fanden
Für neue Bahnen, frei und weltenweit,
Die Sänger freilich nach und nach verschwanden;
Nun stehn sie tief im Tageslärm und Streit,
Ihr Seherblick ins All wird immer trüber,
Und Goethes Krone ging auf Humboldt über.

??? Kein Absatz. Hell.

Beim Singturnier, bei dem Gedankenblöße
Gefordert wird und Kunstvollendung heißt,
Beneid ich keinem die Posaunenstöße,
Mit welchen man die Mondscheinsänger preist.
Ich lobe mir die still bewußte Größe
Von Friedrich Hebbels tiefem Dichtergeist;
Man lehrt ihn keck und lernt ihn kaum begreifen,
Der Sprosser singt – und läßt die Gimpel pfeifen.
an mich richtete und dieser ließ mich nicht wieder los. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und besitzt am Taunusplatz ein freundliches Haus mit einem Gärtchen; ich aß zu Mittag bei ihm und lernte einen vielseitig begabten Mann in ihm kennen, der zum Beispiel eben im Begriff ist, eine nach ganz neuen und teilweise wohl begründeten Prinzipien verfaßte Übersetzung des Sophokles zum Druck vorzubereiten. Er und ich gingen auch miteinander zu Schopenhauer. Ich wäre lieber allein gegangen, aber er kannte den Philosophen auch noch nicht, und ich konnte sein Anerbieten, mich zu begleiten, nicht ablehnen, obgleich es sich hier um ein vis-a-vis handelte. Schopenhauer ist als grob und unzugänglich verrufen, wie ich selbst es bin. Das erfuhr ich schon in Berlin und Jordan bestätigte es mir nicht nur, sondern warnte mich auch. Doch ich wußte aus eigener Erfahrung zu gut, welches Gesindel dergleichen Gerüchte in Umlauf bringt, um mich abschrecken zu lassen; es sind jene hohlen Gesellen, die dem Mann von Geist ebensogut ihre ausgestopften Kleider schicken könnten und die, wenn er ihnen endlich die Tür weist, weil er vergebens irgend eine Lebensäußerung von ihnen zu erwarten hat, den Grund natürlich nicht in sich selbst, sondern in ihm suchen. Ich fand einen äußerst jovialen alten Herrn, der meinte, er sei mit einem Menschen zu vergleichen, der sich auf dem Theater hinter den Kulissen versäumt habe und nun der Vorhang aufgehe, ängstlich und beschämt davonlaufe; die Komödie meines Ruhms fängt an – setzte er hinzu – was will der Graukopf noch dabei? Wir würden ohne Frage Freunde werden, wenn ich in Frankfurt lebte, diesmal wollte ich bloß eine Pflicht erfüllen, denn für einen Mann, der zu schreiben begann, als ich geboren wurde, bin ich der Herold der Nachwelt. Hier ist alles; in Weimar treffe ich den jungen Goethe nicht mehr und Dingelstedt noch nicht, ich werde mir also einfach die Reliquien besehen, soweit sie zugänglich sind und am Nachmittag weitergehen ...

Weimar 6. Mai 1857.

... Laß Dir meinen heutigen Tag erzählen, so gut es geht. Gleich nachdem ich Dir geschrieben hatte, verließ ich das Hotel und suchte zunächst Goethes Haus auf. Es lag dicht um die Ecke und ist keineswegs so prächtig, als man es sich nach den Beschreibungen vorstellt; die große Treppe im Innern paßt durchaus nicht zum Äußern, sie scheint aus einem Palast geraubt und bis auf bessere Verwendung an dem ersten besten Ort ungeschickt untergebracht zu sein. Sie ist übrigens auch das einzige, was ich dort gesehen habe, denn niemand konnte hinein und auch für mich war keine »Ordre« hinterlassen. Ich ging nun zu dem Schillerhause, das dem Goetheschen so nah liegt, daß die beiden Freunde einander die Briefe und Zettel hätten in die Fenster werfen können, wenn sie sich ein wenig geübt hätten. Dies ist nun wieder nicht so klein und so eng, als man es sich denkt, sondern freundlich und bequem und sogar mit einem Gärtchen geziert. Es gehört jetzt einem Kunsthändler, der die Fremden herumführt und dem man, da man ihm kein Trinkgeld anbieten kann, eine Kleinigkeit abkauft; ich habe es auch getan und bringe Titi zum Ersatz für ihr Theater ein paar Bilder mit. Hätte ich geahnt, wie sehr mich der Besuch dieser Stätte erschüttern würde, so wäre ich nicht gegangen; ich konnte meiner Bewegung kaum Meister werden und lernte mich von einer ganz neuen Seite kennen. Um das zu begreifen, muß ich mich in meine Jugend zurückversetzen, wo Schiller mir über alles ging, vor allem sein Arbeitszimmer bewegte mich aufs tiefste; hier stand sein Schreibtisch, Briefe von ihm darauf, dort sein kleines Klavier, auf dem seine Gitarre lag, und dicht daneben an der Wand das braune Bettgestell, auf dem er vor mehr als fünfzig Jahren sein Leben aushauchte. Es überwältigte mich und mich freute nur, daß ich keinen Lohnbedienten, sondern einen gebildeten Mann an der Seite hatte, der mir Zeit ließ, mich zu fassen. Von dem Schillerhause begab ich mich auf den neuen Friedhof zur Fürstengruft, wo die beiden großen Dichter schlafen, die Deutschland und das deutsche Volk unter den übrigen Nationen würdig gemacht haben. Ich klopfte beim Totengräber an, aber ich erhielt keine Antwort, und mir wurde die Tür nicht geöffnet, ich schaute zuletzt in eins der Fenster und sah einer Leiche ins Gesicht, es war das Leichenhaus. Da kam eine junge Dame daher von einem Grabe, dem ihrer Mutter, wie ich nachher vernahm, ich fragte sie und vernahm von ihr, daß ich mich an den Kastellan im Schloß wenden müsse, sie zeigte mir sogar den Weg und begleitete mich bis an einen Punkt, wo ich nicht mehr fehlen konnte, wie denn die Leute hier alle sehr freundlich und gefällig sind. Der Kastellan, ein alter Mann, der noch mit in Rußland gewesen ist und dort durch den Frost einige Zehen verloren hat, ging gleich mit mir zurück, und bald war ich Schiller und Goethe so nah, als man ihnen jetzt noch kommen kann. Es ist ein eigenes Gefühl, vor Kisten zu stehen, in denen die Asche solcher Menschen stäubt, doch ertrug ich dies eher, als das Frühere ...

23. Mai 1857.

An Uechtritz

Ihr letzter Brief, mein teurer Freund, ist allerdings sehr ernster Natur und ohne Zweifel sind Sie auf eine ebenso ernste Erwiderung von meiner Seite gefaßt. Nicht, als ob ich glaubte, daß zwischen Ihrem absolut christlichen und meinem Standpunkt eine Vermittlung möglich wäre, wenn die ethische nicht ausreicht, die Christus selbst zu genügen schien, als er das Wort aussprach: »an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!« Das ist mir nie in den Sinn gekommen und kann mir jetzt am allerwenigsten einfallen. Wenn ich die Differenz, die uns trennt, noch einmal berührte, so geschah es, weil Sie nach Ihren Ausstellungen gegen gewisse Produktionen von mir einen Respekt für die christliche Mythologie (stoßen Sie sich nicht an diesen Ausdruck, den ich nur wiederhole, um mich über ihn zu erklären) bei mir vorauszusetzen schienen, den ich nicht haben konnte und nicht zu haben brauchte. Was hätte Sie in ethisch-reinen, die Selbstkorrektur der Welt abspiegelnden Gedichten, wie Vater unser, Virgo et mater und so weiter verletzen können, wenn nicht der Gebrauch, den ich in einem vom Vater unser und in den anderen von der Madonna machte? Und wenn es mir vor einer Reihe von Jahren nicht gelang, Arnold Rüge darüber zu beruhigen, daß ich, wie er sich ausdrückte, meine tiefsten Ideen an diese »weltgeschichtlichen Fratzen« anknüpfte, so glaubte ich doch, mich mit Ihnen leichter darüber zu verständigen, daß ich diese tiefsinnigen Symbole in meinen Kreis hineinzöge. Religiös-unnahbar können sie mir ja nicht sein, wie dem Offenbarungsgläubigen, der sich ihrer freilich so wenig in meinem Sinn bedienen darf, wie des Abendmahlskelch zum Trinken, und Willkühr und Vorwitz liegt doch auch nicht darin, wenn ich sie vorzugsweise anwende, da sie aufs untrennbarste mit der jetzigen Weltanschauung verbunden und darum jedermann, dem Letzten, wie dem Ersten, zu jeder Zeit klar und gegenwärtig sind. Ich dachte, der kleinste Fingerzeig von meiner Seite würde Ihnen diese ganze Gedankenreihe erleuchten und Sie überzeugen, daß Ihrem Tadel eine Forderung zugrunde läge, die ich ablehnen dürfe. Statt dessen rücken Sie die Differenz selbst in voller Schneide wieder in den Vordergrund, und nun ich nachgewiesen habe, daß dies ohne meine Schuld geschehen ist, und daß ich unserem Kompromiß nicht untreu geworden bin, muß ich antworten. Die Wahrheit wollen wir alle beide; Sie glauben, sie zu besitzen, ich suche sie und bitte nur, überzeugt zu sein, daß nicht die Herren Strauß und so weiter aus mir reden, sondern daß ich so unabhängig von diesen, wie von den Kirchenvätern, die Sie mir zitieren, mein ureigenstes Denken ausspreche. Das Resultat, das mir aus allen Sphären entgegentrat, ist allerdings, daß der Mensch das Herz der Welt so wenig zu sehen bekommen wird, als sein eigenes, und daß es sein heiligstes Recht ist, sich den allmächtigen Pulsschlag, den er fühlt, auf seine Weise auszulegen. Wo man dies bestreitet, da ist der Papst, und mit dem Papst auch der Großinquisitor, fertig; wo man es einräumt, da ist das Individuum gegen einen Zwang, der nur zur Zerknickung oder zur Heuchelei führen kann, geschützt und die sittliche Ordnung der Dinge nicht im mindesten gefährdet. Dies hätte ich zu beweisen.

Wer sich nicht einspinnt in unbestimmte Gefühle, der muß sich sagen, daß es sich bei den unberechenbaren historischen Enthüllungen auf der einen Seite und den Schwindel erregenden Fortschritten der Naturwissenschaften auf der anderen in unserer Zeit gar nicht mehr um das Verhältnis der Religionen untereinander handelt, sondern um den gemeinschaftlichen Urgrund, aus dem sie alle im Lauf der Jahrhunderte hervorgegangen sind, um das Verhältnis des Menschen zur Natur und um seine Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von ihren unerbittlichen Gesetzen. Ob der Christ oder der Jude oder der Buddhist recht haben, muß so lange unentschieden bleiben, bis ausgemacht ist, ob der Mensch die vornehme Ausnahme wirklich bildet, für die er sich hält. Die Wage und das Messer haben nun zu höchst bedenklichen, ja furchtbaren Resultaten geführt und mit dem obligaten: »Der Herr sprach«, aus Büchern entlehnt, die man seit Entdeckung der Keilschrift weit über den Berg Sinai hinaus bis zu ihren letzten Quellen verfolgen kann, wird keiner die Männer, die sie handhaben, noch zum Schweigen bringen wollen. Wenden Sie mir ja nicht ein, der Materialismus sei alt und in den Herren Helvetius, Holbach und so weiter längst zurückgeschlagen; er ist neu in den Gründen, und wer sich mit diesen, nicht etwa durch Moleschott und Vogt, sondern durch die ernstesten und parteilosesten Forscher bekannt und vertraut macht, der wird es sich nicht verhehlen können, daß von allen Faktoren der Menschennatur nur das Gewissen als unzerstörte und, wie ich glaube, unzerstörbare Burg des Spiritualismus übrig geblieben ist. Denn das Gewissen steht mit den sämtlichen Zwecken, die sich auf dem Standpunkt des Materialismus für den Menschen ergeben, in schneidendem Widerspruch, und wenn man auch versuchen mag, ihm den Geschlechtserhaltungstrieb im Sinn eines Regulators und Korrektivs des Individuellen zugrunde zu legen, was gewiß früher oder später geschieht, falls es noch nicht geschehen sein sollte, so wird man es dadurch so wenig erklären, als aufheben, oder steht es nicht fest, daß die Faktoren sich im Produkt nur steigern, nicht verändern? Das Gewissen weiß aber nur von Gut und Böse, von Recht und Unrecht, es stellt keine einzige Glaubensforderung, nicht einmal die allgemeine, geschweige eine positive, es gewährt seinen Frieden um den Preis sittlichen Handelns und verlangt nicht, daß dies im Namen irgend einer Religion geschehe. Ich kann nicht so mißverstanden werden, als ob ich leugnete, daß das Gewissen den Menschen, dem eine bestimmte Religion anerzogen worden ist, nicht auch wegen Abweichungen von dieser zu Rede stellte; kein Türke wird mit ruhigem Gemüt Wein trinken, kein Jude Speck essen, kein Katholik die österliche Beichte versäumen. Ich gehe von der ursprünglichen Tatsache aus, die auch der Offenbarungsgläubige als solche gelten lassen muß, wenn er nicht mit Natur und Geschichte zugleich in Widerspruch treten will, und frage: warum ruft das Gewissen, das allen Völkern ohne Ausnahme und ohne Unterschied gebietet, das Gute zu tun und das Böse zu lassen, ihnen nicht ebenso laut und vernehmlich zu, sich ihren Gott so und nicht anders zu denken und ihn so und nicht anders zu verehren? Das tut das Gewissen aber nicht und darum hat man nie blutige Kriege geführt, weil man Mord, Raub, Diebstahl und so weiter in dem einen Lande für Tugenden, in dem anderen für Laster hielt, wohl aber haben die Kämpfe um Bundeslade, Kreuz und Halbmond die Erde dezimiert, ohne daß ein Einverständnis zu erreichen gewesen wäre; ja, diese haben das sittliche Gesetz selbst zuweilen auf lange verfälscht und verdunkelt, indem man sich in majorem Dei gloriam gegen Andersgläubige alles erlaubte, und Mohammed nebst seinen Kalifen gewiß in ebenso fester Überzeugung, wie Moses und Josua, oder wie die Ritter der Kreuzzüge. Dies ist entscheidend. Einen Ort gibts, wo der unnahbare Urgrund der Welt, den man nach meinem Gefühl durch jeden Namen und jede Bezeichnung an etwas Endliches anknüpft und also beschränkt und begrenzt, sich deutlich vernehmen läßt, und das ist die menschliche Brust. Und hier sollte die Offenbarung unvollständig sein? Hier sollte sie nur auf die Pflicht, nicht auch auf den Glauben gehen, wenn von diesem für den Menschen nicht bloß so viel, sondern unendlich viel mehr abhinge, wie von jener? Unbegreiflich, unbegreiflich bis auf den Grad, daß selbst die Ahnung, die doch nie ganz verstummt, keinen Anhaltspunkt mehr findet, wenn sie ihn nicht darin setzen will, daß dem Menschen alle vermögen, die ihn vom Tier unterscheiden, nur zur Vexation gegeben seien. Im Ernst kann die Frage gar nicht aufgeworfen werden, so lange man den Boden, auf dem man mit den uns allen gemeinsamen Mitteln nach Wahrheit forscht, nicht verläßt und eben jene Unbegreiflichkeit zu ihrem eigensten Kennzeichen macht. Dann aber ist das Resultat: strengste Gebundenheit des Menschen im Handeln und vollkommenste Freiheit im Glauben, denn auf der einen beruht die sittliche Welt und aus der anderen die intellektuelle. Dafür, daß die Tugend, die man vorzugsweise, obgleich ohne Not, die christliche zu nennen pflegt, nämlich die Demut, nicht leidet, ist auch gesorgt; wie käme der tiefere Mensch, eingeklemmt zwischen eine unendliche Aufgabe und den ebenso ungewissen, als unerbittlichen Tod, wie er es ist, zur Selbstüberhebung? Der Flache aber ist stolz auf seine Art, das Kreuz zu schlagen oder seinen Vers aus der Thora abzulesen; er spielt als Christ, Jude, Türke oder Heide die Pharisäerrolle, denn er ist überall der Auserwählte und hat das Eine, was not tut, und er findet eben jetzt im Mormonentum seine letzten karikierenden Ausläufer.

... Die sittliche Welt sollen wir alle gemeinsam bauen, darum erging an uns alle mit gleicher Eindringlichkeit der gleiche Ruf; das spekulative Bedürfnis soll sich jeder auf seine Weise befriedigen, daher sind hier keine Schranken gesetzt. Wenn der absolute Christ mir die Versicherung gibt, daß ihm die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, die uns andere vom ersten bis zum letzten Odemzug beschäftigen, ein für allemal gelöst sind, so bin ich weit entfernt, ihn zu bestreiten. Nur muß er mir einräumen, daß ihm gleich bei seiner Geburt ein besonderer Sinn zuteil geworden ist, welcher ihn der Aufnahme einer Offenbarung fähig machte, die wir vergebens mit unserem Schweiß und Blut zu erkaufen suchen. Das ist dann Gnadenwahl und als solche der konsequente Abschluß eines erst durch sie vollkommen gerundeten Mysteriums. Wenn er mir aber statt dessen zuruft: mit nichten, Sünder; Komponisten, Dichter und Künstler mögen sich auf einen besonderen Sinn berufen, aber ich bin Dir in der Zerknirschung voran und so weiter, so wende ich ihm den Rücken und sage: weiche von mir, du Heuchler, deine Demut ist verkappter Hochmut! denn dann habe ich den Papst vor mir, der, mit göttlicher Allwissenheit und Unfehlbarkeit bekleidet, in die Herzen schaut und sich in den Großinquisitor verwandelt, sobald es ihm gefällt. Wäre ich selbst Christ, so würde ich mich jedes Streits über den Kelch begeben, damit der edle Wein, den er enthält, nicht verschüttet werde. Denn diese Gefahr ist näher, als die Abschließer der Konkordate und die Beförderer der Gustav-Adolf-Vereine denken, und da ich den ethischen Kern des Christentums hoch über den aller anderen Religionen stelle, so würde ich es unendlich beklagen, wenn sie wirklich hereinbräche.

Ich habe, wie mein Brief gewiß beweist, Ihren Ernst nicht verkannt; den meinigen werden Sie auch nicht verkennen. Und nun frage ich Sie, ob mir die dogmatische Seite des Christentums mehr sein kann, als eine Mythologie neben anderen Mythologien? Wenn Ihnen der Ausdruck hart klang, so müssen Sie einen Begriff damit verbinden, der dem meinigen entgegengesetzt ist, und das konnte ich nicht ahnen. Mir ist die Mythologie eines Volks der Inbegriff aller seiner religiösen Anschauungen, soweit sie nicht im Allgemein-Menschlichen aufgehen, und als gemeinschaftliches Ergebnis seiner historischen, philosophischen und poetischen Prozesse das Höchste, was es überhaupt in seinem ersten Entwicklungsstadium liefert. Der Schwan der Leda, dessen Sie gedenken, gehört freilich auch mit dazu, aber doch nicht anders, wie zum Beispiel die Tierfratzen über dem Portal zum Gotischen Dom. Wollen Sie mir die altnordische und die griechische nicht gelten lassen, deren jede wenigstens als großartige Natursymbolik in schwindelerregender Majestät über alles Individuelle hinausragt, so können Sie die indische mit ihrem unergründlichen Tiefsinn gewiß nicht zurückweisen. Ich darf daher meine Frage wiederholen, denn ich kann doch nicht der christlichen Offenbarung gegenüber zugleich frei und gebunden sein ...

13. Juli 1857.

Eben ist ein Gewitter vorüber, nachmittags 5 Uhr. Titi ist mit ihrer Gespielin bei uns im Zimmer, die Vögelchen draußen werden bedauert, ich sage: die Vögel leben von dem, was der Mensch liegen läßt, und frage das Kind dann: Was läßt der Mensch liegen? Es erwidert: nichts, aber zuweilen verliert er was!

27. Sept. 1857.

An Klaus Groth in Kiel

Lieber Groth! Ja, wohl wiegt im Norden das einfache Wort schwerer, wie im Süden Schwur und Beteuerung. Darum hat mich Ihr Brief sehr erfreut, und indem ich ihn beantworte, setze ich mich, wie Sie sehen, gleich über all die Formalitäten weg, von welchen die gesunde alte Welt nichts wußte, und welche in die neue ungefähr so hineingekommen sind, wie die Handschuhe, die bekanntlich der Pest wegen erfunden wurden. Ein Orden ist eine Batterie und ein Titel eine ganze Festung; wir brauchen aber alle beide keine Deckung und können auf gut dithmarsische Manier ohne Umstände ins Freie treten, wie es vor der Zeit der Ritter ohne Roß und der Räte ohne Stuhl ein jeder tun mußte. Wenn Sie mir für »geistige Wohltat« Dank schuldig zu sein glaubten, so befand ich mich, Ihnen gegenüber, längst in demselben Fall; selten oder nie hat mich eine dichterische Erscheinung der modernen Literatur so angeregt und überrascht, wie Ihr Quickborn und Ihre Tat fällt für mich um so schwerer ins Gewicht, als Sie Ihr Instrument erst zu bauen hatten, bevor Sie Ihre Melodie spielen konnten. Ich bin in ganz Deutschland als stolz und unzugänglich verschrien, weil ich über die Hunderte von Trauerspielen und so weiter, die im Lauf des Jahres gedruckt oder ungedruckt bei mir eingehen, meine Meinung immer aufrichtig abgebe; davon erhielt ich im letzten Frühling noch in Stuttgart einen schlagenden Beweis, und zwar durch den von mir sehr geschätzten Pastor Mörike, der sich anfangs gar nicht darein finden konnte, daß ich ihn aufsuchte. Aber ich habe noch nie vernommen, daß Offiziere, die vor der Schlacht zu Generalen erhoben wurden, viel leisteten, und ich will den sehen, der das wirklich Vortreffliche bereitwilliger anerkennt und mehr dafür tut, wie ich. Ich bin nicht müde geworden, für Sie »Propaganda« zu machen, mein Töchterlein weiß Ihren »Matten Has« auswendig, den ich übrigens, es nebenbei zu sagen, für eine der köstlichsten Spitzen deutschen Humors halte, und ich selbst kann jederzeit mit dem »Orgeldreier« und ganzen Stellen aus »Hans Schander« aufwarten. Noch vor zwei Abenden müßten Ihnen die Ohren stark geklungen haben; der alte Geheimrat Loebell aus Bonn brachte den Mittwoch im Kreise meiner Freunde bei uns zu, das Gespräch kam auf Sie, und in welchem Sinn, können Sie daraus entnehmen, daß der alte Herr mir immer nur das eine antwortete: ich bin erstaunt, aus Ihrem Munde so etwas zu hören! Das wird mich wohl entschuldigen, wenn ich manches andere Produkt aus Holstein zum »übrigen« legte, denn auch aus dem engeren Vaterlande ist nicht selten ein Kommentar zu Schillers tiefsinnigem Distichon »Weil ein Vers dir gelingt« und so weiter Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? bei mir eingetroffen. Doch, Sie haben Gurlitt gesprochen und wissen das alles. Dagegen sind Sie mir für die Rezension im Wanderer nicht verpflichtet; die Wiener Blätter (ich könnte auch sagen: die Deutschen) lese ich nicht einmal und das ganze Zeitungswesen verachte ich, es steht noch unter der malhonettesten Advokatie. Mein Votum werde ich in meinen vermischten Schriften abgeben. Was Sie mir über meine Gedichtsammlung schreiben, sollte mich eigentlich nicht freuen, denn gerade das Männliche in mir trennt mich von der Masse meiner Zeitgenossen, und bei der Beschaffenheit unserer öffentlichen Zustände darf ich es ihnen kaum übelnehmen. Aber es freut mich doch, und ich werde den ernsten Musen, die Sie mir nennen, und die ich, bis auf die Grübelei, als die meinigen anerkenne, nicht untreu werden, obgleich sie mich nicht mit Süßholz und Lakritzensaft versehen. Mit dem verzuckern ist es so wenig getan, wie mit der bengalischen Flamme, und Gervinus hat ganz recht, wenn er vom Dichter der Gegenwart vor allem Charakter fordert. Überhaupt ist seine Literaturgeschichte zwar kein Speisehaus, aber eine gute Apotheke, in der man zuweilen seinen »Bittern« nehmen muß. Holstein war ich oft nah, ohne den Mut zu finden, hineinzugehen, wie Sie gewiß begreifen; noch diesen Frühling. Doch werde ichs einbringen, wenn ich das nächstemal nach Hamburg komme, ich weiß ja: »in Kiel ists am schönsten im ganzen Holstein« und auch: »Herr Schmidt, Herr Schmidt, was kriegt Rosalje mit« ist nicht vergessen. Mein Persönliches anlangend, so lebe ich zunächst in einer unendlich glücklichen Ehe, und dann halten wir Norddeutschen, Brücke, Bonitz und so weiter wacker zusammen; dazu nimmt fast die ganze österreichsche Jugend, die sehr tüchtig ist, wie es der ungebrochene Boden mit sich bringt, den Weg durch mein Haus, sei es nun zur akademischen Kanzel oder ins Bureau. Das ist denn ganz behaglich! – Wenn Landsleute in Kiel sind, die meiner mit Teilnahme gedenken, so grüßen Sie sie herzlich; wir selbst aber wollen dafür sorgen, daß wir einander nicht wieder fremd werden, darum habe ich geschrieben, wie ich zu sprechen pflege.

6. Okt. 1857.

An Kuh in Berlin

Wir sind jetzt vollauf mit Bauen beschäftigt; in Gmunden wird schon eingerissen und der Plan zu dem neuen Hause, vom Schloßhauptmann auf das zierlichste ausgeführt, ging vor einigen Tagen ab. Ich mußte ihn, der Behörden wegen, unterzeichnen und hatte dabei ein Gefühl, wie es mancher Monarch haben mag, wenn er ein Gesetz unterschreibt, wovon er nichts versteht.

17. Dez. 1857.

An Th. Hedde in Hamburg-Altona

Lieber, alter Jugendfreund! Glaube nicht, daß unsere unerwartete Wiederbegegnung im Frühling ohne bleibende Nachwirkung bei mir geblieben ist. Sie hat mich außerordentlich gefreut, und wenn Du nicht längst schon ein Lebenszeichen von mir erhieltest, so lag der Grund darin, weil ich Dir zugleich meine Gedichte senden wollte, und weil die ersten Exemplare, die nach Wien kamen, so rasch ausgingen, daß ich selbst keins bekommen habe. Hier sind sie nun!

... Ich ließ mich überreden, den Umbau meines Hauses zu unternehmen und dazu 2500 Gulden zu bestimmen. Einer meiner Freunde, der Schloßhauptmann des Kaisers ist und alles unter sich hat, was in ganz Wien vom Kaiser gebaut wird, wollte die Sache leiten. Schon hatte ich die Kontrakte unterzeichnet, als die Handwerker zurücktraten und Erhöhung der Preise verlangten. Anfangs war ich höchst verdrießlich, jetzt, bei dieser furchtbaren Geldkrisis, danke ich Gott. Zwar bin ich bereits glücklicher Besitzer von Kalk, Sand, Steinen und anderen nützlichen Utensilien, die für meine Rechnung angefahren wurden. Aber wenn ich das alles in den See werfen lassen und den Fahrlohn obendrein bezahlen müßte, so kann ich mir doch noch gratulieren.

Du siehst, ich unterhalte Dich, als ob Du noch in Neunkirchen säßest, ich in Wesselburen. Mach es ebenso und erzähl mir von Weib und Kind, denn daß Du mir rasch antwortest, setze ich voraus. Das ist meine Art mit jedermann, der mit mir auf der Schulbank saß, vorausgesetzt, daß er selbst sich in meiner Abwesenheit nicht schlecht gegen die Meinigen benahm. An solchen Leuten fehlt es aber nicht und denen gegenüber tritt dann allerdings gerechterweise das jetzige Verhältnis ein, bei dem selbst der dithmarsische Landvogt bedeutend zu kurz käme. Wenn Dir daher jemand sagt, ich hätte ihn nicht kennen wollen, so verlaß Dich darauf, daß es eine Zeit gegeben hat, wo er meine Mutter oder meinen Bruder nicht kannte ...

11. März 1858.

An Kuh in Berlin

... Das geistige Bild, das Sie sich von mir machen zu müssen glaubten, um sich den Umstand zu erklären, daß ich nicht näher auf Ihre Legende einging, ist mir so ähnlich, wie ein leibliches Porträt, was in dem Moment aufgenommen würde, wo ich gerade wegen eines Tritts auf meine Hühneraugen zusammenführe. Es mag einmal auf mich gepaßt haben, in einer jener Stunden, wo der Mensch unter der ihm aufgelegten Last zu erliegen anfängt, und Sie hatten sich mir nahe genug gestellt, um in den Kampf zwischen der Selbstbeherrschung und den Schmerz mit hineingezogen zu werden, ohne daß ich mir deshalb Vorwürfe zu machen brauchte. Jetzt aber verhält es sich zu mir und meinen Zuständen, wie das ecce-homo-Antlitz zu dem Jubelgesicht des Heilands auf der Hochzeit zu Kana, denn ich gehöre zu den glücklichsten Menschen, die auf der Erde leben; mein innerer Friede wächst von Tage und Tage, und da mein Glück nicht darauf beruht, daß mein kleiner Acker mir tausendfältige Frucht trägt, sondern darauf, daß ein Körnlein mir mehr ist, wie anderen eine ganze Ähre, was ich freilich meiner Jugend verdanke, die mich früh den bescheidensten Maßstab an die Dinge zu legen lehrte, so brauche ich nicht einmal stark vor der Nemesis zu zittern. Wenn ich des Morgens erwache und den ersten Laut meiner Frau und meines Kindes vernehme, so kann ich mich freuen, daß mir die Tränen ins Auge treten; wenn ich meine Schale Kaffee trinke, so habe ich einen großen Genuß, wenn ich meinen Spaziergang mache, so hab ich ein Gefühl, als ob ich allein Beine hätte, ja, wenn ich des Mittags nach dem Essen das kleine Hündchen nach der Küche herüberhole und es mit fröhlichem Gebell um mich herumspringt, weil es nun auch seinen Teil erwartet, so ergötze ich mich so, daß ich mich jedesmal ärgre, wenn das Tierchen von selbst kommt, weil eine der Mägde die Tür offengelassen hat. Dabei komm ich mir gar nicht genügsam und demütig vor, sondern ich fühle mich überschwenglich mit allem, was ich als Mensch verlangen kann, gesegnet, und ich habe auch alle Ursache dazu, denn ich habe eine Frau, in der Gemüt und Seele fast verleiblicht sind, ich habe ein Kind, das sich aufs liebenswürdigste entwickelt, ich habe Freunde in allen Kreisen, und ich brauche nicht ängstlich mehr für die Zukunft zu sorgen. Wenden Sie mir ja nicht ein: das alles hattest du früher auch und empfandest den Fußtritt, den »schweigendes Verdienst vom Unwert hinnimmt«, desungeachtet stark genug; zum Teil besaß ich diese Güter in einem viel beschränkteren Maß, und dann kommt eben erst im reiferen Alter der Sinn für das wahre Glück, auch mußte ich meine Frau unter den miserablen Theaterverhältnissen nicht mehr leiden sehen und sie brauchte Zeit, um sich an das Unabänderliche zu gewöhnen.

... Vernunft und Verstand haben aber mit Verstimmungen nichts zu schaffen, und wenn ich auch nicht mit Ihnen ausrufen will: »ist es nun in Ordnung?« so muß ich doch wünschen, die Resultate meiner Menschen- und Mannsbildung nicht mit Launen und Grillen verwechselt zu sehen ...

... Ich hoffe, daß Sie das Gewicht dieses Briefes zu würdigen wissen und über sich selbst lächeln, indem Sie ihn lesen; wäre es nicht der Fall, so würden wir uns nicht mehr verstehen und bessere Zeiten abwarten müssen. Mir fällt es nicht ein, in Ihre treue Teilnahme einen Zweifel zu setzen; es darf Ihnen aber ebensowenig einfallen, die meinige zu bezweifeln. Ich bin fest und unveränderlich, denn ich bin alt, Sie sind beweglich, denn Sie sind jung; das erwägen Sie, so sind Ihnen alle Rätsel, wenn nicht gelöst, so doch in ihrer Möglichkeit und Notwendigkeit motiviert ...

18. März 1858.

An Ludwig August Frankl in Wien

Was soll ich Ihnen auf Ihre gütige Zuschrift antworten? Wie soll ich Ihnen meinen Dank für Ihr köstliches Geschenk ausdrücken? Ich will mich mit Rührung daran erinnern, wie die Zeit im Menschenleben alles ausgleicht. In meiner Jugend wurde mein Geburtstag dadurch gefeiert, daß ich am 18. März von meinem Vater keine Schläge erhielt; wenn ich sie verdiente, bekam ich sie am nächsten Morgen. Jetzt wenden mir die Götter Wein vom Olymp zu, und doch dürften auch die Prügel noch eher am Platze sein! Die Situation Ihrer Frau Gemahlin, der ich mich aufs herzlichste zu empfehlen bitte, hat uns abgehalten, Sie zu ersuchen, den heutigen Abend bei uns zuzubringen. Dürften wir es wagen, so würden Sie uns die größte Freude machen, wenn Sie auch nur auf eine Stunde kämen; Titi tritt in einem von mir – zu meiner Überraschung gedichteten Drama populärster Art als Schauspielerin auf; Anfang präzise halb 8 Uhr.

6. Mai 1858.

An Hedde

Dein Brief, lieber Hedde, hat mich so herzinniglich gefreut, daß ich mich schämen müßte, Dir jetzt erst meinen Dank dafür abzustatten, wenn ich es anderen nicht ebenso gemacht hätte ...

Du wirst denken: das ist eine wunderliche Manier, aus der Menge der Sünden ihre Straflosigkeit im einzelnen Fall ableiten zu wollen! So tief bin ich jedoch noch nicht gesunken, daß ich dies beabsichtigte. Ich will Dir nur zeigen, daß auch ein Lasterhafter noch ein Prinzip beobachten und auch ein böser Zahler noch die Gerechtigkeit respektieren kann, indem er doch wenigstens nicht unterläßt, den ersten Gläubiger vor dem letzten zu befriedigen. Darin bin ich noch immer der Aristides von Wesselburen, der dem Handwerksburschen, wenn er vor dem Hofbesitzer ins Zimmer, oder vielmehr in den Käfig trat (denn die Kaiserlich Königlichen Löwen in Schönbrunn sind viel geräumiger logiert, wie damals ich) gewiß früher sein »Wanderbuch« visierte, als diesem seinen »Saatschein« ausfertigte. Doch Spaß beiseite, ich bin an und für sich ein äußerst saumseliger Korrespondent und habe überdies im verflossenen Winter ungewöhnlich viel zu tun gehabt ...

Dein Brief versetzte mich in jene Zeit zurück, wo man sich so oft schreibt, weil man sich so gar nichts zu sagen hat, während man jetzt im Grunde nur darum schweigt, weil man zu viel sagen möchte. Erinnerst Du Dich noch der Depeschen, die wir uns durch Reimer Söven zuschickten, so oft er sich aus einem Sekretär in einen Kutscher verwandelte und die wir, da das Petschier-Lack fehlte, anstatt des Siegels, in dorso mit einem Tintenklecks versahen? ...

Und nun lebe für diesmal wohl, alter Jugendfreund, und sorge Deinerseits mit dafür, daß der jetzt neu angeknüpfte Faden nicht wieder reiße. »Die frühe sich verloren hatten, begegnen sich im Abendschatten, und gehen Hand in Hand zur Ruh« ist ein sehr schönes Wort eines sehr schlechten Dichters.

 

Gestern feierten wir den zwölften Hochzeitstag. Unter denselben blühenden Kastanien in Schönbrunn, unter denen wir 1846 spazieren gingen, wandelten wir auch diesmal, aber Titi war mit dabei und warf uns mit Blüten Schneeballen, denn die Blüten lagen, vom etwas starken Wind heruntergefegt, so hoch auf den Wegen, wie der erste Winterschnee.

Weimar 23. Juni 1858.

An Christine

Mein teuerstes Herz. Einen Brief aus Dresden wirst Du empfangen haben, ein zweiter von hier ist gestern abgegangen, den dritten fang ich an, denn die ersten Morgenstunden gehören Dir. Gestern speiste ich also, wie Du schon weißt, bei Liszt oder vielmehr bei der Fürstin Wittgenstein auf ihrer an einem Berg gelegenen Altenburg. Sie selbst ist eine ältliche Frau, aber voll Feuer und Lebhaftigkeit, ihre Tochter, die »Prinzessin«, ein außerordentlich feines Mädchen mit vornehmen Zügen und Augen, wie sie hier und da auf den Bildern des Pietro Perugino vorkommen, und wie ich sie im Kopf einer Russin, denn die Familie ist eine russische, am wenigsten erwartet hätte. Die Konversation war anfangs französisch, was für einen Schleswig-Holsteiner, der die neueren Sprachen in seiner Jugend nicht lernt, immer fatal bleibt, doch schwenkte ich sie nach Tisch sehr bald ins Deutsche herum und nun ergab sich ein so animiertes Gespräch, wie ich in Wien, unser eigenes Haus ausgenommen, selten eins geführt habe. Du weißt, wie entschieden ich jeder Unterhaltung über meine eigenen Arbeiten aus dem Wege gehe, und wie rasch ich abbreche, sobald mir nur eine vorüberfliegende Mücke oder ein bellender Hund Gelegenheit gibt, wenn sich trotz meines Lavierens dennoch eine entspinnt. Ich kann nun einmal keine Komplimente vertragen, welche die Angst den Leuten ebenso auspreßt, wie gewisse schwüle Schweißtropfen, weil sie nur herausgequält werden, um sich selbst, wo möglich, gegen den Verdacht ästhetischen Stumpfsinns sicherzustellen; ich empfinde auch jedesmal ein mephistophelisches Behagen, wenn ich sehe, wie sie aufatmen, wenn sie um die scharfe Ecke des Schönen glücklich herum sind und sich nun ungestört in das vertrauliche Element des Zeitungsklatsches oder der Anekdoten hineinstürzen können. Denn daß die Welt auf physikalischen Gesetzen beruht, lehrt sie jeder Stein, der vom Dach fällt und daß sie ethischen Gesetzen unterworfen ist, erfahren sie als Kinder aus dem Katechismus und als Erwachsene von der Polizei; daß sie aber auch von ästhetischen Gesetzen beherrscht wird, ahnen sie nicht, und darum lernen sie Mathematik und üben Moral, bleiben der Kunst gegenüber aber Hottentotten, nennen den Shakespeare »groß in Kleinigkeiten« und machen dem Künstler, der sich »durchgesetzt« hat, ihre Reverenz, wie dem Kandidaten, der »wirklich aufgestellt« ist, weil sie die »Position« selbst am Bajazzo zu schätzen wissen. Das alles hatte ich gestern natürlich nicht vergessen und so oft Genoveva, Judith, Maria Magdalena und so weiter auch aufs Tapet gebracht wurden, so hartnäckig widerstand ich; ja selbst eine Äußerung, wie die, daß im Kandaules der letzte Funke eines Heroen erlösche, indem man den Herkules im Enkel sterben sehe, daß im Gyges aber der erste Funke eines Heroen sich entzünde, tat ich noch mit der Bemerkung ab, es sei nur bedauerlich, daß ein gebildetes Theaterpublikum gewöhnlich an irgend einen Hund denke, wenn es von Herkules höre. Endlich mußte ich mich jedoch ergeben, weil ich auf eine so gediegene allgemeine Bildung und eine so gründliche, bis ins allereinzelste gehende Kenntnis meiner eigenen Sachen traf, daß das Gegenteil absurd gewesen wäre ...

Weimar 24. Juni 1858.

Um sechs Uhr durch Militärmusik geweckt, die an meinem Fenster vorbei aufs Schloß zog, bin ich jetzt schon anderthalb Stunden in den Kleidern, und will Dir nun meinen gestrigen Tag erzählen, vor allem Dank für Deine lieben, lieben Zeilen, die ich richtig vorfand, als ich auf die Post ging, und die mich sehr glücklich machten! Den Appetit habe ich Dir aber nicht weggenommen; auch ich habe keinen; so wohl ich mich auch befinde.

Weißt Du, an welchen Ort unter den Tausenden, die ich kenne, Weimar mich am lebhaftesten erinnert? An Wesselburen! Du wirst Dich wundern, aber es ist so! Alles unglaublich eng und klein! Dabei erfahre ich denn, was ich freilich schon wußte und was der Bestätigung kaum noch bedurfte, daß ich es auf die Länge nimmer und nimmer in einem solchen Zirkus aushielte. Immer dieselben Schecken und dieselben Reiter; Sonntags die rote Schabracke und Montags die graue. Die Zunge rein überflüssig; einer weiß, was der andere denkt, bevor er den Mund noch auftut. Nein, lieber Hyänen zähmen, als Lämmer streicheln! In Weimar muß man entweder Goethe oder – sein Schreiber sein! von dem Alten wollte ich Dir noch berichten, aber es geht besser mündlich. Nur so viel in meinem eigenen Interesse (Du weißt, wie ich dies meine und wirst lachen): noch in hohem Alter erklärte er seine Meinung zuweilen mit einer solchen Stentorstimme, daß die Fenster klirrten und die Leute aus der Straße stillstanden! Auch verhinderten ihn Faust und Iphigenie ebensowenig, wie der große Ruhm und die weißen Haare, Possen zu treiben und zum Beispiel ein Rudel Knaben, die Räuber spielten und deren Hauptmann durch einen Zufall eingesperrt worden war, solange über ihren Mangel an Mut und Treue herunterzuhunzen, bis sie auf seine eigenen Kosten ein Fenster einschlugen und den Führer befreiten. Leidenschaft und Kindlichkeit! hieß es ehemals. Jetzt lautet die Parole: Raffinement und Diplomatie! Die Zukunft wird entscheiden, was am besten war ...

Weimar 26. Juni 1858.

... Inzwischen war bei Dingelstedt aus Luzern vom Großherzog nachstehende Depesche eingelaufen: »Genoveva am 30. wiederholen; Hebbel festhalten!« Da hast Du mein und Dein Schicksal für die nächsten Tage! Abends auf der Altenburg große Gesellschaft, wo Liszt spielte, was er nur sehr selten tun soll; Zigeuner-Rhapsodien, durch die er mich allerdings auch elektrisierte. Am Klavier ist er ein Heros; hinter ihm in polnisch-russischer Nationaltracht mit Halbdiadem und goldenen Trodeln die junge Fürstin, die ihm die Blätter umschlug und ihm dabei zuweilen durch die langen, in der Hitze des Spiels wild flatternden Haare fuhr. Traumhaft-phantastisch! Neben mir ein junger Dichter, Adolf Stern, Verfasser eines epischen Gedichts, Jerusalem, das ich schon in der Illustrierten Zeitung besprochen und gelobt habe; er flog an allen Gliedern und wurde totenbleich, als er mir vorgestellt wurde, ist aber ein gar herziger Junge und vertraute mir, als ich ihm durch einige Scherze wieder zu Atem verhalf, daß er in Zittau, wo er lebt, im letzten Winter Vorlesungen über mich gehalten hat. Ein ewiger Kreislauf! Wie ich einst vor Uhland, stehen sie jetzt vor mir und die noch in der Wiege liegen, werden wieder vor ihnen stehen und sie entschädigen! ...

Gmunden 11. Juli 1858.

An Glaser

Es ist acht Uhr Abend, der Regen klopft an mein Fenster, aber ich sitze in meinem großen, neu austapezierten Zimmer ganz behaglich im Schlafrock und ein mächtiger Strauß oder vielmehr Busch von weißen Lilien, die in meinem eigenen Garten gewachsen sind, steht in vergoldeter Vase vor mir. Da will ich versuchen, Ihnen mit einer bei Licht, und also schlecht geschnittenen Feder zu schreiben, oder doch wenigstens für Ihren Brief meinen Dank abzustatten.

Ich bin erst am Donnerstag zu Mittag in Gmunden eingetroffen. Montags in der Frühe ging ich von Weimar ab, blieb bis sechs Uhr abends in Leipzig und war Dienstag morgens in Nürnberg, von dort fuhr ich mit dem Eilwagen vier Uhr nachmittags nach Regensburg, wo ich Mittwoch, morgens um fünf, anlangte. Abends um acht war ich in Linz und Donnerstag um elf in Gmunden, wo mich mein Töchterchen mit einem Trompetenstoß auf einem ihrem Alter entsprechenden Instrument empfing ...

11. Juli 1858.

An Debrois

... Ich habe sehr schöne Tage in Weimar verlebt, vorzüglich aber auf der Altenburg bei der Fürstin Wittgenstein. Wie es sich mit Franz Liszts Musik verhält, kann ich als Laie nicht wissen; aber einen Kreis hat er um sich gebildet, wie ich auf Erden noch keinen sah. Mir war zumut, als ob ich mich »auf einer Insel in des Äthers Höhn« befände, so floß hier das individuellste Denken und Empfinden, wie Goldfäden, die nicht einen Augenblick vereinzelt für sich existieren, zur wunderbarsten Harmonie zusammen; es war noch das Spinnen des Menschen, aber ein Weben der Luft ...

12. Juli 1858.

An Fürstin Karoline von Wittgenstein

... Danken will ich Ihnen nicht; ich fange gar nicht an, denn ich wüßte nicht, wo ich aufhören sollte. Auch steh ich gern in Ihrer Schuld, während mich sonst eine Apfelblüte, die der Wind mir aus dem Garten meines Nachbars zuführt, schon drückt. Wer könnte auch rechnen und zahlen wollen? Nur, wer das einzige nicht zu schätzen weiß! Aber sagen muß ich Ihnen doch, welche Empfindungen mich ergreifen, wenn ich an die Altenburg zurückdenke. Wie oft habe ich in meinem Leben schon ausgerufen: für die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts dichten, oder für die Fische malen, ist eines und dasselbe. Wie bitter habe ich es noch diesen Winter bereut, vielfältigem Bitten und Drängen nachgebend, meinen häuslichen Kreis überschritten und mich auf eine Vorlesung von »Mutter und Kind« eingelassen zu haben, obgleich der Beifall kaskadenmäßig auf mich hereinbrach! Wer erträgts, für das Element, das man mit allen teilt, gelobt zu werden, statt für die Form, für das neue Mischungsverhältnis, das man allein hat! Aber jetzt bin ich mit meinem Beruf ausgesöhnt. Denn ein so schönes Vertrauen, wie Sie und die liebenswürdigste aller Prinzessinnen mir bewiesen, ist reichlicher Lohn für jedes Martyrium, und ich habe soviel empfangen, daß ich der »stumpfen« Welt nicht bloß für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft vollen Ablaß bewilligen muß. Erblicken Sie hierin keine Phrase; meine Feinde haben mir schon öffentlich das Zeugnis gegeben, daß ich mich nie einer schuldig machte ...

Gmunden 25. Juli 1858.

An Kuh in Wien

... Über meinen Aufenthalt in Weimar sage ich Ihnen nichts, da Sie meine Briefe gelesen haben, was ich von mir nicht rühmen kann, denn ich habe sie bloß geschrieben und versiegelt. Ich hatte dort Stunden, worin der Unterschied zwischen Leben und Poesie vollständig verschwand, und ich würde kein schlechter Poet sein, wenn ich das, was ich in diesen empfing und gab, wiederzugeben vermöchte. Doch tut es auch nichts, wenn sich die Brust darüber, wie über einen wunderbaren Nibelungenhort zusammenschließt, der nur blitzen, aber nicht gehoben werden soll. Jetzt sitze ich wieder in altgewohnter Behaglichkeit unter den Meinigen und genieße, was ihre Liebe mir alles zubereitet hatte, während ich abwesend war. Ich habe zunächst für ein großes, bequemes, schön austapeziertes Arbeitszimmer zu danken, das mir bereits ausnehmend zustatten gekommen ist: Nur ein Tisch und ein Stuhl, sowie ein Büchergestell stehen darin, und wenn ich auch Rothschilds Schätze hätte, so sollte nicht mehr hinein. Rosen und Lilien umspinnen die Fenster, mein Töchterchen hüpft fünfzigmal des Tags vorüber und haucht mir zuweilen, wenn ich gerade hinausschaue, einen Kuß auf die Lippen! ...

24. Aug. 1858.

An Prinzessin Marie von Wittgenstein

Ein goldnes Netz im vollen dunklen Haar,
dazu die Troddel, fremd und wunderbar.
mit Augen, die mich einst zu reinstem Glück
begrüßt auf Perugino's schönstem Stück,
als ich in Rom vor seiner Tafel stand
und Mond- und Sonnenstrahl zugleich empfand:
so schlägst du hier dem Meister still und stumm
am Instrument die heil'gen Blätter um.
der, Herr und Sklav des Tones, längst die Welt
und nun auch mich in seinen Banden hält.
Zwar horchst du selbst, doch rührst du dann und wann,
wie weihend, ihm die wilden Locken an:
Da ist's als ob er zwiefach Funken sprüht,
und zwiefach zünden sie mir im Gemüt! ...

... Wie unendlich freue ich mich, Ihre Büste wohlbehalten bis auf eine unbedeutende, leicht wiederhergestellte Beschädigung des Piedestales in der Kiste vorzufinden! Dennoch überkam mich ein ganz eigenes Gefühl, als ich sie herausnahm, was ich natürlich keinem meiner Leute überließ. Dieser leichenblasse Gips und das blühende Leben, an das er erinnern will und auch wirklich erinnert. Es war ein Moment, den ich mich nur mit Mühe enthielt, poetisch zu gestalten ...

Sie wissen, wie es kam, daß ich der Altenburg meine Nibelungen verleugnete. Hier sind sie jetzt in dem einzigen Exemplar, das ich besitze. Nicht ohne einen gewissen inneren Kampf sende ich sie ab, denn man behauptet, daß ich das Stück erträglich lesen kann, da selbst die Frauencharaktere sich bald zur höchsten Spitze des Pathos steigern, und ich begebe mich dadurch des Rechts, sie Ihnen vorzulesen, das Sie mir sonst vielleicht einräumen würden. Aber, wer weiß, ob das Leben so gefällig ist, mich sobald wieder mit Ihnen zusammenzuführen; im Traum, Sie werden lächeln, hatte ich schon in Gmunden die Ehre, Ihnen einen Adler mit grüngoldblauem Gefieder vorzustellen, den ich gefangen hatte und der sich sehr anständig benahm, indem er sich an einem seiner Flügel, wie ein Mensch an der Hand, von mir zu Ihnen führen ließ! Wer weiß überhaupt, was geschieht? Darum leiste ich auf die schönste aller Kritiken, auf die unmittelbare, oft sogar unausgesprochene, Verzicht und lege Ihnen mein Manuskript zu Füßen. Ich bitte nur, daß es in Ihrem engstem Kreise bleibe ...

O! auch Ihnen noch einmal meinen innigsten Dank für alles, für Ihren Brief, für jedes tiefe Wort aus Ihrem Munde, deren keines vergessen ist, für den Namen der Linde und für das rührende Zitat aus meiner Genoveva, durch das ich mich als Mensch und Dichter geehrt fühlte, wie selten in meinem Leben. Vielleicht, ja wahrscheinlich erinnere ich Sie da an Ding, die Sie selbst nicht mehr wissen; der Paradiesvogel sieht die Federn nicht, die er fallen läßt, wenn er sich auch noch so leise schüttelt, aber unten hebt man sie sorgfältig auf.

2. Okt. 1858.

... Ihrer fürstlichen Mutter meinen tiefsten Respekt, dem Meister, dessen Chopin hier von Hand zu Hand geht und die allgemeinste Bewunderung erregt, den herzlichsten Gruß. Ihnen, durchlauchtigste Prinzessin, sollte ich mich nur als Ihr trés humble serviteur zu Füßen legen, denn Sie haben mich nicht nur einen großen Dichter genannt, sondern Sie sind auch grausam genug gewesen, mich »Ihrer aufrichtigen Bewunderung« zu versichern, und das auf Deutsch, nicht auf Französisch, was einen gewaltigen Unterschied macht.

Tagebuch 29. Nov. 1858.

Vor ein paar Tagen erhielt ich von Professor Peißner in Neuyork einen Brief, worin er mir anzeigte, daß Amalie Schoppe gestorben sei und mich im Namen ihrer amerikanischen Schülerinnen aufforderte, ihr eine Grabschrift zu setzen. Ich antwortete: – »Die Todesnachricht, die Sie mir jetzt mitteilen, war schon durch die Zeitungen zu mir gedrungen, und Sie, möchte ich sagen, haben nur noch den Trost hinzugefügt, der in einem solchen Fall möglich ist. Denn die Verlängerung des Lebens in einem Zustande, der den Genuß, wie die Tätigkeit, auf gleiche Weise ausschließt, ist schwerlich ein Glück, und wenn auch ein ganz eigener Schauder den Menschen abhält, einem schwer und hoffnungslos Leidenden das Ende wirklich zu wünschen, so gelingt es ihm unter diesen Umständen doch leichter, seinen Schmerz zu unterdrücken, da er ihn für einen durchaus eigennützigen erklären muß. Darum wollen wir uns denn auch daran gewöhnen, unsere hartgeprüfte und noch ganz zuletzt, wie ich von Ihnen vernehme, schwer heimgesuchte Freundin Amalie Schoppe unter den Toten statt unter den Lebenden zu suchen, und uns auch in bezug auf sie der stillen Hoffnung getrösten, die der Instinkt des Geschlechts festhält, wie verstand und Vernunft des einzelnen auch darüber denken mögen.« Ich schlug das Distichon vor:

»Wie von den einzelnen Mühen und Lasten des Lebens im Schlummer,
ruht sie vom Leben selbst endlich im Tode sich aus.«

Tagebuch 10. Dez. 1858.

Gestern abend wurde ich durch einen häuslichen Vorfall stark an die Vergänglichkeit alles Indischen erinnert. Gleich nach unserer Hochzeit kauften meine Frau und ich bei einem Spaziergang über das Glacis ein kleines, gelbes Hündchen, das ein Schusterjunge feilbot. Es entwickelte sich allerliebst, blieb zwar aus Domestikengründen nicht lange im Hause, sondern wurde von der Schwiegermutter zu sich genommen, bewahrte uns aber eine große Anhänglichkeit und kam nach dem Tode der letzteren wieder zu uns zurück. Wahrhaft leidenschaftlich seiner Herrin ergeben, hatte es in ihrer Abwesenheit nicht Rast noch Ruhe; genau kannte es die Schlußzeit des Theaters und horchte, bis der Wagen vor der Tür hielt; mit einem rührend-fröhlichen Gebell stürzte es dann, ihr entgegen, die Treppe hinunter. Gestern sitzen wir, wie gewöhnlich, um 9 Uhr bei Tisch und rufen den Sindsal; er heult, aber er kommt nicht. Wir öffnen die Tür des Salons; er tappt hin und her und findet den Ausgang nicht. Wir nehmen ihn, setzen ihn auf das Sofa und halten ihm Fleisch hin; er bemerkts nicht und schnappt erst zu, wenn er den Bissen riecht. Meine Frau sagt mit feuchten Augen: wenn er nur nicht blind geworden ist! Ich lache darüber, da ich ihn am Mittag noch munter auf meinen Ruf: Essen! Essen! hinter mir herspringen sah, aber ich drohe ihm mit der Hand, und er fürchtet sich nicht. Heute morgen scheint es sich traurig zu bestätigen; welch ein entsetzlich-rascher Übergang! Du armes Tier! Wie oft hast du mich durch ein anmutiges Bitten bei Tisch innig ergötzt, wie zierlich kratztest du mit deinem Vorderpfötchen auf den Tisch und ticktest deiner Herrin an Arm und Schulter! Ich mag mir selbst nicht gestehen, wie mich der kleine Vorfall ergreift!

19. Febr. 1859.

Ich fühle mich jetzt unendlich zur Natur hingezogen; die Gedanken des Menschen verlieren Tag für Tag mehr in meinen Augen, und die Gedanken Gottes treten wieder in ihre Stelle. Man wird so von neuem Kind, aber mit Bewußtsein und darum für immer; man fühlt sich dem Urgrund eine lange Zeit durch die einzelnen Erscheinungen entfremdet, aber man kehrt zuletzt unbefriedigt wieder zu ihm zurück, weil man erkennt, daß nur er alles in allem bietet, wenn auch nichts so grell und bunt, daß Rausch und Wollust entstehen können. Dasselbe wiederholt sich in der Kunst, die immer die Probe des Lebens ist.

25. April 1859.

An Marie von Wittgenstein

Daß Ihnen statt eines Goldfingers deren fünf an der Rechten sitzen, ahnte ich längst; Ihr letzter Brief lieferte mir nur den glänzendsten Beweis. Er ist so ganz allerliebst, daß er den unwürdigen Empfänger nur in Verlegenheit setzen konnte, in eine sehr angenehme allerdings, aber doch in Verlegenheit. Denn für seltne Gaben wünscht man sich dankbar bezeigen zu können; was hätte ich aber zu bieten, das auch nur einigermaßen adäquat wäre? Sie schicken mir einen farbigen blitzenden Libellenflügel, dessen magische Charaktere nicht bloß etwas bedeuten, sondern in ihrer leuchtenden Gestalt gleich an sich etwas sind. Mir ist Ihre Zauberkraft versagt, ich kann ein Blatt Papier durch flüchtige Berührung nicht so wunderbar verwandeln, es ist und bleibt Papier und ob es gewinnt oder verliert, wenn ich Buchstaben darauf male, ist die Frage. Da tu ich am besten, mich jedes Versuchs zu begeben, Ihnen wett zu werden und mich darauf zu beschränken, ganz einfach Ihre Wünsche zu erfüllen. Nicht aber ohne Ihnen vorher wenigstens in Worten dafür zu danken, daß Sie mir eine Ihrer übermütig-schönsten Stunden schenken mochten. Denn Sie müssen in einer köstlichen Stimmung gewesen sein, als Sie mir diesmal schrieben, und haben in dem Wäldchen, auf das Sie von Ihren Fenstern herabsehen, gewiß keine Spur mehr von Eis und Schnee erblickt; Ihr Kommentar zum Pfingstprogramm ist einzig und hat mich für acht Tage glücklich gemacht.

Hierbei also in wortgetreuer Abschrift die Briefe von Robert Schumann an mich, einen einzigen ausgenommen, der sich mit den Privatverhältnissen einer dritten Person beschäftigt und nichts Mitteilungswertes darbietet. Ob meine Antworten noch vorhanden sind, weiß ich nicht; jedenfalls befinden sie sich im Besitz der Witwe. Ich hoffe, Sie werden mein kurzgefaßtes Benehmen bei meiner Zusammenkunft mit dem unglücklichen Komponisten nicht mehr zu hart verdammen, wenn Sie diese Korrespondenz gelesen haben. So dringend zum Rendezvous eingeladen zu sein und dann vor einem verschlossenen Schrank zu stehen: es war doch gewiß zu viel für einen Menschen, der nie den Anspruch erhob, in der christlichen Tugend der Geduld zu exzellieren. Jetzt beklage ich es freilich sehr, daß wir einander nicht näher gekommen sind, und habe diese Blätter nicht ohne tiefe Rührung aus meinen Papieren zusammengesucht. Aber ich konnte damals nicht anders handeln, ohne meine ganze Natur zu verleugnen, denn Schumann war nicht bloß ein hartnäckiger, sondern auch ein unangenehmer Schweiger, er schien ebensowenig zu hören, als zu reden. Denken Sie sich die Szene, wie er mit völlig ausdruckslosem Gesicht, vorübergebeugt und in sich zusammengeduckt, auf dem Sofa neben mir saß und fragen Sie sich, ob ich nicht verzweiflungsvoll wieder aufspringen mußte! Wenn ich, der ich keine Note kenne und nie eine Taste berührte, ihm auf seinem Klavier etwas vorgespielt hätte, würde er sich etwa so an mir amüsiert haben, wie ich mich an ihm ...

1. Mai 1859.

An Klaus Groth

... Der Himmel hat mich, ich muß es dankbar anerkennen, für die erste Hälfte meines Lebens aufs reichlichste durch die zweite entschädigt, und vor allem durch die Frau, die er mich finden ließ, als ich dem Grabe näher war, wie dem Brautbett, denn ich kam als ein Schatten aus Italien zurück und auf dem Schiff wurden Wetten angestellt, ob ich noch ein ganzes oder nur ein halbes Jahr vor mir habe ...

Tagebuch Sommer 1859.

Wenn ich mich mit einem Tier beschäftige, so habe ich es mit einem Gedanken der Natur zu tun, und mit einem unergründlichen, denn wer gelangt zum Begriff des Organismus? Wenn ich mich aber mit einem Menschen einlasse, der nicht ein höchstbedeutender ist, so dresche ich leeres Stroh, denn die Natur spricht nicht mehr unmittelbar durch ihn, und er selbst hat nichts zu sagen. Ja, selbst dem bedeutendsten Menschen gegenüber ist das Tier relativ im Vorteil, denn es spricht den Gedanken seiner Gattung rein und ganz aus; welcher Mensch aber täte das?

Gmunden 10. Juli 1859.

An Marie von Wittgenstein

Nicht bloß Bücher haben ihre Schicksale, sondern auch. Briefe, ja diese noch viel mehr. Sie ahnten nicht, als Sie Ihr letztes schönes Blatt fliegen ließen, daß Sie mir nicht bloß einen neuen Beweis Ihrer Liebenswürdigkeit geben, sondern auch ein Werk der Barmherzigkeit üben würden. Das war aber der Fall, denn Sie schenkten es einem Gefangenen und wenn der Wind oder ein freundlicher Vogel in einen wirklichen Kerker eine seltene Blume hineingeworfen hätte, so hätte sie durch Farbe und Duft keine größere Freude verbreiten können. Ich war und bin nämlich Zimmerarrestant und muß einmal wieder dafür büßen, daß ich mich nicht entschließen kann, kleine Übel zu respektieren, um zu verhüten, daß größere daraus werden. Zeigen Sie mir daher, wenn Sie dies lesen, ja kein »hold Erbarmen«, denn ich verdiene es nicht; wer einer Fußverrenkung ihre vierundzwanzig Stunden Ruhe vorenthält, der wird mit Recht für vierzehn Tage eingesperrt und muß sich obendrein von seinem eigenen Arzt verhöhnen lassen. Freilich trifft die Strafe mich härter, wie jeden anderen, denn ich habe nur Gedanken, wenn ich mich bewege, aber eine Stufe, die den Menschen bessern soll, muß ihn ja empfindlich treffen, und vielleicht bessre ich mich noch, so spät es auch ist. Ich freue mich nur, daß ich mich nicht durch Schmerzen und ärztliche Ratschläge abhalten ließ, nach Gmunden zu gehen. Wir halten hier das göttlichste Wetter, ich verliege fast meinen ganzen Tag angesichts des Traunstein, unter einem schattigen Apfelbaum, und die Lilien und Rosen meines Gärtchens sind so schön, daß ich mich nicht enthalten konnte, die Stöcke zu umarmen, als ich sie zuerst erblickte ...

Gmunden 25. Juli 1859.

An Uechtritz

... Wo ist der schöne Frühling, in dem ich Veilchen pflückte und Dutzende von Hexametern schrieb! Der jetzige Frühling hat mich anders behandelt; ich bin in den Orden der Gichtbrüchigen eingetreten, habe drei Wochen liegen müssen, wie ein krumm geschossener Soldat und genieße noch jetzt Kinderfreuden, indem ich Milch trinke und Gehen lerne ...

Weimar 5. Sept. 1859.

An Christine

Jetzt sitze ich im Erbprinzen wieder an demselben Sekretär, an dem ich Dir im vorigen Jahre die Briefe schrieb, und im Tintengeschirr liegt noch dasselbe Stück Lack, mit dem ich sie siegelte. Am Samstagabend um fünf Uhr traf ich ein und ging sogleich, nachdem ich mich in einen leidlichen Zustand versetzt hatte, auf die Altenburg. Ein scheuerndes Mädchen sagte mir, daß Liszt spazieren gegangen, und daß die Fürstin nach Berlin verreist sei; sehr unmutig entfernte ich mich wieder, ohne nach der Prinzessin auch nur zu fragen, da ich voraussetzte, daß sie die Mutter begleitete. Ich ging in den Park, die Jenaer Straße hinauf, betrachtete mir Goethes kleines Haus am Stern, hinter dem das unsrige in Gmunden wenig zurücksteht, suchte die übrigen Reliquien auf und kehrte erst bei Anbruch der Nacht in meinen Gasthof zurück. Ein Reisewagen hielt vor der Tür und die Kellner standen mit Lichtern am Schlag; als sie mich erkannten, meldeten sie mir, die Prinzessin Wittgenstein habe schon vor einer Stunde geschickt und lasse mich bitten, heraufzukommen. Ich war anfangs unschlüssig, ob ich so spät noch gehen sollte, ging zuletzt aber doch und fand sie mit ihrer Gesellschafterin allein bei der Lampe, das blasse Gesicht nicht, wie im vorigen Jahr, von einer Wolke dunkler Locken umgeben, sondern das Haar zurückgestrichen. Das machte sie mir schon etwas fremd, denn der Mensch, der sich selbst täglich verändert, prätendiert, daß sich um ihn herum nichts verändern soll; ich merkte aber auch bald, daß sie etwas auf dem Herzen hatte. So war es auch; als die Miß Anderson sich für einen Augenblick entfernte, teilte sie mir mit einer rührenden Verlegenheit mit, daß sie den größten Entschluß ihres Lebens gefaßt und ihre Hand vergeben habe. Die Szene war höchst eigentümlich, und ich werde sie so bald nicht vergessen; es sprach keine glückliche Braut, die alles zu erlangen hofft, sondern ein gebrochenes, opferbereites Wesen, das viel zu verlieren fürchtet, und ich fühlte mich auf die seltsamste Weise an die Einkleidung der Nonne in Gmunden erinnert. So ist es auch; sie hat mir gestern, Sonntag, wo ich oben saß, in einem stundenlangen Gespräch unter vier Augen mit unbegrenztem Vertrauen und nicht ohne bittre Tränen die nackte Situation auseinandergesetzt, und wenn sie auch vielleicht zu viel wagt, so gereicht ihr Entschluß und ihr ganzes Benehmen ihrem Charakter doch im höchsten Grade zur Ehre. Ihr Verlobter ist der Fürst Hohenlohe, Adjutant des Kaisers von Österreich, sie kommt schon Anfang November nach Wien, und ich bin überzeugt, sie wird Dein ganzes Herz gewinnen. »Bleiben Sie mir gut« – sagte sie beim Abschied, »denn wahrscheinlich gehe ich noch heute fort, da ich die Wartburg sehen und einige Tage in Dresden bleiben möchte – und beurteilen Sie Konstantin mild.« Daß dies alles unter uns bleibt, versteht sich von selbst; ich freue mich außerordentlich über ihren entschlossenen Schritt, so bedenklich er auch in mancher Beziehung ist, denn wie es war, durfte es nicht bleiben. Gestern abend gelang es mir, Dingelstedt und Liszt wieder zusammenzubringen; hätte ich geahnt, daß sie beide hier seien, wäre ich gar nicht gekommen, nun aber habe ich ein Werk vollbracht, wie Johanna von Orleans, als sie den Herzog von Burgund und den König Karl miteinander versöhnte. Heute fahren sie mit mir, wenn das Wetter nicht Einspruch tut, nach Eisenach auf die Wartburg; da denke ich sie noch enger miteinander zu verkitten. Die Dingelstedt läßt Dich herzlich grüßen. Schreibt mir nun nicht mehr; Eure Briefe, die unterwegs sein müssen, werde ich wohl heute erhalten. Wie freue ich mich, ins Nest zurückzukriechen; »die Welt ist gar so weit!« Euer altes Nux.

5. Okt. 1859.

An Dingelstedt

... Freund Gutzkow suchte ich, wie Du mir auf die Seele bandest, redlich auf, es bekam mir aber schlecht. Er wußte mir beim Glase Bier nichts Angenehmeres anzutun, als daß er Emil Kuh, von dem er sehr wohl weiß, daß er seit zehn Jahren in meinem Hause aus- und eingeht, einmal über das andere einen »höheren Kommis« nannte. Als ich das nicht so hingehen ließ und ihn zurechtwies, klagte er über Mangel an griechischen Sitten; wahrscheinlich kennt er einen verlorengegangenen Gesang der Ilias, worin Diomed sich schadenfroh die Hände reibt, weil er Glaukos für einen Kutscher erklären hört. Mir ist das tiefste Erbarmen als letzter Ausdruck geblieben; man muß weit gekommen sein, wenn man einen jungen Autor erst brieflich um ein Urteil ersucht und nachher auf ihn schimpft, weil es nicht nach Wunsch ausfällt. Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß ich, wenn sich irgend ein Weg zeigte, für Gutzkow etwas Nachhaltiges zu tun, aus allen Kräften und mit Freuden dafür wirken würde ...

2. Jan. 1860.

An Sigmund Engländer in London

... Glauben Sie aber ja nicht, daß der Weg durchs Leben mir mit Rosen bestreut gewesen ist. Ich kam nur durch Resignation zum Frieden, ich lernte meinen Sarg nach und nach als Bett betrachten, begnügte mich aber allerdings, darin zu schlafen und brachte mich nicht um, obgleich man mir Gift und Dolch mithineingegeben hatte. Was hätte ich Ihnen hierüber alles zu erzählen, wenn wir einmal wieder zusammen auf Ihrem oder meinem Sofa säßen! Schreiben läßt sich dergleichen nicht; man fällt dabei zu leicht in ein Pathos, das ungebührlich ist, weil man ja im Grunde die Geschichte jedes Menschen, der höheren Interessen lebt, nicht aber etwas Unerhörtes, mit einer Privatadresse versehenes zu berichten hat ...

Tagebuch 1. Febr. 1860.

Bei der letzten Vorstellung des Lear war ich mit Emil Kuh im Theater; es sind keine drei Wochen. Die Vorstellung regte uns beide an zu lebhaftem Gespräch. Gestern abend sah ich Lessings Emilia Galotti; Emil Kuh kam auch, saß dicht vor mir und grüßte mich nicht. Es war für mich die Reprise des Lear, nur, daß er diesmal nicht auf der Bühne, sondern im Parterre spielte. Ich habe durch diesen Menschen, wegen dessen ich mich noch vor einigen Monaten mit Gutzkow auf Tod und Leben entzweite, weil er ihn einen Kommis nannte, schweres Unrecht erlitten und gründlich erfahren, wie bitter der Undank ist. Aber ich habe es mir, obgleich ich vierzehn Tage lang keine Nacht schlief und dem Typhus nahe war, doch dadurch zu versüßen gewußt, daß ich es als eine Art von Kompensation für das Unrecht betrachtete, daß ich selbst begangen haben mag, und dadurch wirkliche Erleichterung gefühlt. So liegt der Gedanke der Buße in der Menschenseele.

Emil Kuh hatte 1858, nach zehnjährigem Verkehr mit Hebbel, an diesen geschrieben: »Wenn ich auf das verflossene Dezennium zurückschaue, so däucht es mir, als ob ich eine zweite Wiege erblickte, an der nicht meine Mutter, sondern an der Sie gestanden. Auch Sie erzählten mir lange Geschichten, die ich für Märchen hielt; ich lief und stolperte in Ihrer Nähe, ohne zu ahnen, daß irgend jemand die Füße anders zu brauchen vermöchte; Sie straften und unterwiesen mich, allein mein Gehorsam war Furcht, kein Erkennen, und jede neue Stufe, die ich erklomm, war mir unbegreiflich wie die erste. Das Dasein, Menschen und Dinge, starrten mich Jahre hindurch mit einem seltsamen Janusgesicht an, denn die Kindheit und meine Jünglingsepoche widersprachen von Grund aus den Verhältnissen und Anschauungen, auf welche ich in den Verkehr mit Ihnen trat. Ich hatte mich nicht nur aus den allgemein-menschlichen Schalen und Häuten herauszuarbeiten, sondern auch die traditionellen, nationalen und familiären Hülsen abzustreifen, die meine Geburt und Erziehung mit sich brachten; ich glich eigentlich einem Seiltänzer, der auf Ihrem wilden, arabischen Pferde den Zirkus umkreist und zugleich die verschiedenartigsten Vermummungen von sich wirft, in denen er das Roß bestiegen hat.« Hebbel war Emil Kuhs Schicksal. Das Leben des großen Mannes hatte dämonische Gewalt über ihn und überschattete sein eigenes, und wenn Emil Kuh starb, als er die Biographie des Meisters gerade bis zu seinem Bruch mit ihm geführt hatte, so erscheint das fast wie eine mystische Notwendigkeit. Bei dem Bruch zwischen den beiden Männern kann nicht von Schuld in gewöhnlichem Sinne gesprochen werden, er war tragisch bedingt. Wir kennen Emil Kuh, namentlich aus seiner Biographie Hebbels, als eine vornehme und unendlich feinfühlende Natur, als einen weitblickenden Menschen, der seiner Zeit weit voraus war in tiefer Erkenntnis der Bedeutung von Geistern wie Hebbel, Schopenhauer, Gottfried Keller und Eduard Mörike, und der eine solche Kunst der Sprache und der Interpretation ästhetischer Eindrücke besaß, daß man diese Eigenschaft als eine wirklich schöpferische anzusprechen geneigt ist. Hebbel hatte also seine tiefste Freundschaft einem Würdigen geschenkt, der nicht aus schwächlicher Unselbständigkeit, sondern mit der Kraft der Hingabe sein Vertrauter, sein Schüler und Jünger war. In dem mitgeteilten Briefe Kuhs und der oben zitierten Stelle liegt vorbereitet, was solchem edelsten Verhältnis dennoch schließlich ein Ende bereiten mußte. Hebbel hat einmal gesagt, er fresse Menschen. Wenn dieser Einsame einmal eine ergebene Seele fand, so bemächtigte er sich ihrer völlig, und sie mußte die großen Reichtümer, die sie erhielt, mit ihrer Freiheit zahlen. Den ersten wahren Freund Hebbels, Emil Rousseau, hat der Tod, fast wie ein gütiges Geschick, vor der vollen bitteren Erkenntnis bewahrt; der andere Emil, der sich in Hebbel verlor, hat alle Leiden im Banne dieser großen, diktatorischen, oft wild stürmenden und in jähem Zorn gebietenden Natur ausgekostet. Seine Hingebe ist bis zu jener letzten Grenze gegangen – wenn die überschritten wird, so verliert die Hingabe für den andern ihren Wert, und wenn sie nicht überschritten wird, so kommt es zum Bruch. Hätte Kuh sich nicht gerettet und die Gaben des Meisters, von seinem persönlichen Bann befreit, in selbständiger Entwicklung verarbeitet, so hätte er ihm nicht das unvergängliche Denkmal setzen können, durch das er jede etwaige Schuld gesühnt hat.

Hebbel hat den Verlust Emil Kuhs, mit dem die Jugend selber von ihm Abschied zu nehmen und der Reichtum des Daseins ihn zu verlassen schien, nie verwunden. »Wenn nur Kuh da wäre!«, rief er oft, »er war der einzige, mit dem ich reden konnte! Auf tausend Meilen hat er mich verstanden.« Erst als er auf dem Sterbebette lag, hat er den Freund wiedergefunden und sich mit ihm ausgesöhnt.

Wie lange und in welcher Weise der Schmerz um den Verlorenen in ihm wütete, beweist der am 23. Mai 1863 gedichtete

Epilog zu Shakespeares Timon von Athen

Was schiltst und fluchst du, Timon von Athen,
auf Gott und Welt, als wär dir viel geschehn?
Was hat sie dir getan, die edle Schar,
die Tag und Nacht um dich vereinigt war?
Sie leerte treu den schäumenden Pokal,
so oft du winktest, bei dem Jubelmahl,
sie nahm den Perlenschmuck von deiner Hand
und auch das purpurfarbge Prachtgewand,
sie sammelte dein Silber und dein Gold
und hielt es fest, als dus zurückgewollt.
Du spieltest die Fortuna ohne Horn
und bist am Ziel: was soll dein blöder Zorn?
Was dir auch durch die schlaffen Finger rann:
Kein Tropfe deines Schweißes saß daran,
du warfst es weg, als schafft es dir nur Pein,
dir war es nichts, was könnt es andern sein?
Der Wein, der jetzt in fremden Adern pocht,
ward nicht in deinen eignen ausgekocht,
du strömtest keine von den Tränen aus,
die sich im Meer versteint zum Perlenstrauß,
und auch das Gold, das sie von dir geerbt,
ward nicht in deinem Blute rot gefärbt.
Du hast, erkenne reuig deine Pflicht,
viel abzubüßen, doch zu rächen nicht.
Nein, gib ein Gastmahl wie der Pelikan,
und das nicht bloß, wenn deine Kinder nahn,
zerschlitze, reinster Großmut dir bewußt,
mit eignen Händen dir die volle Brust
und tränke mit dem besten Lebenssaft,
der dir entquillt in deiner höchsten Kraft,
den Menschen-Igel, der sich an dich hängt,
wie sich das Rädertier zum Wasser drängt;
wirf deine Blitze in das leere Hirn,
setz deine Lichter vor die flache Stirn,
beseele einen zweiten Erdenkloß,
und wird dein Adam endlich stark und groß,
so nimm als Lohn den ersten Keulenschlag
von ihm entgegen, den er führen mag.
Und trinke drauf zum vollen Dank ein Gift,
das Vipern tötet, weil es übertrifft,
was die erzeugen, aus dem Hefenrest
der heiligen Vergangenheit gepreßt,
den auch der Tag, verlebt im Paradies,
wie Blumen Staub und Asche, hinterließ.
Auch dann noch halte deinen Fluch zurück,
doch merk dir, wenn zu spät auch für dein Glück:
Du kannst auf Erden keinem eine Tracht
vom Rücken nehmen, ohne ihm die Macht
zu geben, eine doppelt schwere Last
dir selber aufzulegen, und er haßt
den Retter meistens von der Stunde an,
wo er den Helferarm entbehren kann!

Am 22. März vollendete Hebbel »Die Nibelungen«. »Eben, abends 7 Uhr,« heißt es im Tagebuch, »schreibe ich die letzten Verse von Kriemhilds Rache nieder. Draußen tobt das erste Frühlingsgewitter sich aus, der Donner rollt, und die blauen Blitze zucken durch das Fenster, vor dem mein Schreibtisch steht.« Das Nibelungenlied hatte Hebbel zuerst im Garten der Amalie Schoppe gelesen, seine Frau hatte er zuerst in Raupachs Nibelungenhort gesehen. Ihr widmete er jetzt die Dichtung:

Meiner Frau

Ich war an einem schönen Maientag,
ein halber Knabe noch, in einem Garten
und fand auf einem Tisch ein altes Buch.
Ich schlug es auf, und wie der Höllenzwang,
der, einmal angefangen, war es auch
von einem Kindermund, nach Teufelsrecht,
trotz Furcht und Graun, geendigt werden muß,
so hielt dies Buch mich fest. Ich nahm es weg
und schlich mich in die heimlichste der Lauben
und las das Lied von Siegfried und Kriemhild.
Mir war, als saß ich selbst am Zauberborn,
von dem es spricht: die grauen Nixen gössen
mir alle irdschen Schauer durch das Herz,
indes die jungen Vögel über mir
sich lebenstrunken in den Zweigen wiegten
und sangen von der Herrlichkeit der Welt.
Erst spät am Abend trug ich starr und stumm
das Buch zurück, und viele Jahre flohn
an mir vorüber, eh ichs wiedersah.
Doch unvergeßlich blieben die Gestalten
mir eingeprägt, und unauslöschlich war
der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden,
und wärs auch nur in Wasser oder Sand.
Auch griff ich oft mit halb beherztem Finger,
wenn etwas andres mir gelungen schien,
nach meinem Stift, doch nimmer fing ich an.
Da trat ich einmal in den Musentempel,
wo sich die bleichen Dichterschatten röten,
wie des Odysseus Schar, von fremden Blut.
Ein Flüstern ging durchs Haus, und heilges Schweigen
entstand sogleich, wie sich der Vorhang hob,
denn du erschienst als Rächerin Kriemhild.
Es war kein Sohn Apolls, der dir die Worte
geliehen hatte, dennoch trafen sie
als wärens Pfeile aus dem goldnen Köcher,
der hell erklang, als Typhon blutend fiel.
Ein lauter Jubel scholl durch alle Räume,
wie du, die fürchterlichste Qual im Herzen,
und grause Schwüre auf den blassen Lippen,
dich schmücktest für die zweite Hochzeitsnacht;
das letzte Eis zerschmolz in jeder Seele
und schoß als glühnde Träne durch die Augen,
ich aber schwieg und danke dir erst heut.
Denn diesen Abend ward mein Jugendtraum
lebendig, alle Nibelungen traten
an mich heran, als wär ihr Grab gesprengt,
und Hagen Tronje sprach das erste Wort.
Drum nimm es hin, das Bild, das du beseelt,
denn dir gehörts, und wenn es dauern kann,
so seis allein zu deinem Ruhm und lege
ein Zeugnis ab von dir und deiner Kunst!

7. Juni 1860.

An Debrois

Allerdings, mein lieber Debrois, steht Ihr Brief im schneidendsten Widerspruch mit allem, was Sie im letzten Vierteljahr gesagt und getan haben. Glauben Sie jedoch nicht, daß ich angemessen finde, mit Ihnen darüber zu rechten. In Erinnerung rufen will ich Ihnen nur, daß ich Ihnen mein Haus bloß auf Ihren gegen meine Frau dringend ausgesprochenen Wunsch wieder öffnete, und bemerken muß ich Ihnen, da Sie mir die Wiederaufnahme der persönlichen Beziehungen in Aussicht zu stellen scheinen, daß ich fortan für Sie ein Mann bin, der schon jenseits des Styx wandelt, an dem ich ja auch wahrscheinlich um ein beträchtliches früher anlangen werde, wie Sie. Das schließt natürlich ein anständiges Benehmen bei einer zufälligen Begegnung und einen literarischen Gefälligkeitenwechsel nicht aus, indem wenigstens ich mich nicht bewogen fühle, der Schadenfreude des Pöbels, der immer jubelt, wenn menschliche Verhältnisse höherer Art auseinandergehen, ein Schauspiel aufzuführen.

Sie und Ihr Freund, in dessen Namen Sie teilweise mitreden, haben die fetten zehn Jahre der Produktion, der nie stockenden Lebensfülle, der Gesundheit und des Glücks, mit mir geteilt. Nun die magern vor der Tür stehen, nun Alter, Krankheit, Lebensüberdruß und so weiter sich melden, wenden Sie mir den Rücken und beziehen sich dabei auf eine Charaktereigenschaft, die Sie am ersten Tage entdecken mußten, und die mich, je nachdem man den hohen oder den niederen Stil liebt, den unschädlichen Dämonen oder den gutmütigen Polterern anreiht, da ich in meinen nordischen Berserkeranfällen, die ich keineswegs zu leugnen oder zu beschönigen gedenke, noch nie zum letzten Wort gekommen bin, ohne, wie Sie beide recht gut wissen, mir selbst zu sagen: Das ist ja alles nicht wahr! und jede mögliche Genugtuung zu geben. Sie wählen für Ihren Rückzug den Moment, wo ich mich, Ihres Freundes wegen, in Zeugengegenwart, auf Tod und Leben mit dem mächtigsten Schriftsteller des Tages entzweit, ja den Krieg mit ihm begonnen habe, und wo ich mich Ihretwegen mit dem dritten in unserem früheren Bunde, mit Glaser, fast überworfen hätte, weil ich mir in meiner Teilnahme für Sie einbildete, er habe sich bei Gelegenheit Ihres Konzertunternehmens nicht tätig genug gezeigt. Das sind Tatsachen, die durch keine Dialektik der Welt beseitigt oder alteriert werden können, und die ich bloß fixieren will. Aus Achtung vor Ihnen und Ihrem Freund, sowie vor mir selbst, möchte ich nicht annehmen, daß auch der Klatsch sein schmutziges Gewicht mit in die Wagschale gelegt hat; doch habe ich Grund, der Sache zu erwähnen und jede mir etwa beigemessene Äußerung und so weiter ausdrücklich für niederträchtige Verleumdung zu erklären, die mit dem in Widerspruch steht, was von mir zu erwarten war.

Dies zur Erwiderung, sowie zum Abschluß eines Verhältnisses, das ich nicht suchte, das die letzten zehn Jahre, in denen man überhaupt noch engere Verbindungen anknüpft, bei mir ausfüllte und das manchen, der sich möglicherweise auch mit in den Winter des Lebens hineingewagt hätte, von mir fernhielt. Gern füge ich jedoch das Zeugnis hinzu, daß Sie anständig von mir Abschied genommen haben; auch will ich, nach allem, was Sie mir jetzt mitteilten, und was Sie mir freilich mündlich nicht hätten vorenthalten sollen, gern glauben, daß Ihr Freund es nur aus verzeihlicher Unsicherheit anders gemacht hat. Ich scheide daher in Frieden und ohne Groll von Ihnen beiden und beklage nur mein Kind, das bei dieser Gelegenheit etwas früher, als mir lieb ist, den Unbestand alles Menschlichen kennen lernt. Der Versicherung, daß ich Sie in Kunst und Poesie immer auf meiner Seite erblicken werde, bedurfte es nicht, da ich das Gegenteil bei Ihrem vorgerückten Alter für unmöglich halte; Ihren Dank gebe ich Ihnen aber von Herzen zurück, denn auch ich habe die Anregungen, die mir der um mich versammelte jugendliche Kreis so oft gewährte, nicht vergessen, und ich werde sie nicht ohne Schmerz entbehren.

Den bängsten Traum begleitet
ein heimliches Gefühl,
daß alles nichts bedeutet,
und wär uns noch so schwül.
Da spielt in unser Weinen
ein Lächeln hold hinein,
ich aber möchte meinen,
so sollt es immer sein!

Gmunden den 4. Juli 1860.

An Glaser

Wir sind in Gmunden bei bestem Wohlsein und leidlichem Wetter eingetroffen, und haben unser kleines Nest um ein Beträchtliches bequemer und behaglicher vorgefunden, als es ehemals war. Wenn der Um- und Ausbau eben so solide ist, als er sich dem Auge gefällig und zierlich darstellt, so bin ich meiner Frau aufrichtig zu Dank verpflichtet und werde mich auch am Ende noch erbitten lassen, die Kosten zu bezahlen ... Ich schreibe Ihnen jetzt aus einem Balkonzimmer, das auf schlanken, wenn auch gerade nicht ionischen Säulen ruht; der See schimmert schwarzblau aus Schilf und Ried hervor, der Traunstein schaut durch die Kronen meiner Apfel- und Birnbäume, die freilich um einige ihrer Zweige gekommen sind, und die Jungfrau läßt allmählich ihren Schleier fallen, so daß wir auf einen halbwegs guten, vielleicht sogar auf einen schönen Tag rechnen dürfen. In unsrer Abwesenheit ist unser Garten das Asyl der sämtlichen Vögel von Orth geworden, wie eine befreundete Dame uns sagte; sie tritt eines Abends etwas spät noch hinein, um vom Pavillon aus den Mondschein zu genießen, wie sie sich dem Eingang aber nähert, rauschen ihr Hunderte aufgescheucht entgegen, die auf dem runden Tisch für die Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatten und flattern ängstlich hinaus. Kann es ein anmutigeres Bild geben? ...

München 5. Nov. 1860.

An Christine

... So bin ich denn fast nur herumgelaufen, und in der Regel ganz allein, und überall begegnen mir die »Schatten längst vergangener Zeiten«. Hier entstand dies Gedicht, dort jenes; ich treffe fast keinen Stein, der mir nicht etwas zu sagen hätte. Dazwischen dann das Neue, was für das menschliche Gefühl, welches am Alten hängt, etwas Unverschämtes hat! Kirchen, wo einst Spiel- und Trockenplätze waren, Straßen wo Bäume standen! Und die Menschen! In den Arkaden, wo einst Schelling mit dem pfiffig-stumpfen Silenkopf herumstolzierte, wo Görres, in einen schmierigen Schaftpelz gehüllt, einherschlich und Franz Baader, zusammengeschnurrt, wie eine putzige Figur aus Gummielastikum, seinen Meditationen für Jacob Böhme nachhing, lauter neue Aspiranten der Unsterblichkeit! Statt der Mystiker und Philosophen zur Abwechslung einmal Chemiker und Geschichtschreiber, und ebenso siegestrunken, ebenso zukunftsgewiß, wie diese; ich glaube, der einzige Mensch, der auf Erden noch an sich zweifelt, bin ich. Ich muß beständig an den Ballsaal denken; der Tanz hört nicht auf, aber die Lichter brennen nieder und werden umgetauscht. Mein Freund Gärtner hatte ehemals Elfenbeinzähne; jetzt sind sie ausgefallen. Sein Bruder, jünger wie ich, und noch vor acht Jahren Landrichter, ist stockblind; das eine Auge ist ihm bei einer verunglückten Operation ausgelaufen; das andere will er an eine zweite nicht wagen, obgleich es ihm so auch nichts hilft, versetze Dich einmal in den Seelenzustand dieses Mannes; wer ihm eine Zeitung vorliest, schenkt ihm ein Almosen. Und wie man auseinander wächst! Ich fragte Gartner, der sehr musikalisch ist und einst auch Sinn für Poesie hatte, wie ich meinen Abend wohl in Augsburg hinbringen könne. Er meinte, es seien höchst merkwürdige Spinnmaschinen dort! Ganz so, als ob er mir ein interessantes hebräisches Buch zur Nachtlektüre empfohlen hätte! ...

Paris 14. Nov. 1860.

... Ich bin seit meinem ersten Pariser Aufenthalt um volle sechzehn Jahre älter geworden und empfinde es sehr stark. Der große Guckkasten reizt mich nicht mehr, wie früher, und Zwecke habe ich hier nicht und kann ich hier nicht haben. Übrigens interessiert es mich doch, das Paris, das ich kannte, mit dem Paris, das der Napoleonide hergestellt hat, zu vergleichen und es läßt sich nicht verkennen, daß er im großen Stil arbeitet. In Deutschland würde der bloße Plan so viel Zeit kosten, wie hier die ganze Ausführung, und der Witz, den ich in Stuttgart hörte, daß es gut sei, wenn die Franzosen über kurz oder lang ihren Kaiser fortjagten, weil wir ihn dann ausnehmen könnten, ist so übel nicht. Unglaublich ist es auch, wie die schon immer so reichen Sammlungen sich vermehrt haben; man wird an den Magnetberg erinnert, der alles Eisen der Welt an sich zog, wenn man sie durchwandert. Einen ganz eigentümlichen Eindruck hat das Assyrische Museum auf mich gemacht; die Kunst, die diese kolossalen geflügelten Rosse und die übrigen, alles Maß der Phantasie überschreitenden Ungeheuerlichkeiten ins Leben rief, scheint auf ein anderes Geschlecht, als das menschliche, zu deuten. In mir erwachte, als ich vor diesen trotzigen Überbleibseln von Ninive stand, der kleine Knabe, der in Wesselburen die Bibel las und sich den furchtbaren Untergang der riesigen Stadt auf seine kindische Weise ausmalte. Doch es ist so unermeßlichen Schätzen gegenüber gar nicht nachzukommen: man hat ein Gefühl, als ob man an einer Tafel, auf der Millionen von schäumenden und überquellenden Flaschen stehen, auf Sturmwindsflügeln vorübergeführt würde. Wundern wirst Du Dich, wenn ich Dir sage, daß ich volle drei Tage lang in Paris nach einer Nähnadel suchen mußte, bis ich sie endlich auf der Karre eines Juden fand. Die Deinige war mir verloren gegangen, und ich brauchte eine neue, weil mir die Hose an einer sehr unangenehmen Stelle geplatzt war. Aber ich fragte überall umsonst, und war in nicht geringer Verlegenheit, bis ich zum Ziele kam. Ebensolange brauchte ich, bevor ich Bamberg fand, den ich erst gestern aufstöberte. Heute, ich schließe den Brief nachmittags, habe ich bei der Tochter des Restaurateurs gegessen, bei dem ich früher immer mein bescheidenes Diner einzunehmen pflegte; ich erzählte Euch oft von dem kleinen Mädchen, das mit zehn oder zwölf Jahren die Wirtschaft schon so gut versah. Der Vater ist gestorben und sie setzt das Geschäft, wie ich eben von Bamberg erfuhr, an einem andern Ort fort. Wie alt muß ich geworden sein, denn wie alt ist dieses Kind von ehemals geworden! Ich hätte sie so wenig wiedererkannt, wie sie mich; sie saß am Fenster und nähte, ein etwa dreijähriger Knabe kramte am Tisch. Wie fliegt doch alles vorüber! Kaum langsamer, wie die Wolkenbildungen, die Figuren, Tiere und Bäume, am Himmel ...

16. Okt. 1860.

An Pfarrer Lück in Wolfskehlen

Hebbel hatte ihn auf einer Reise kennen gelernt.

Sie möchten mich dem positiven Christentum näherbringen, als Sie mich ihm gestellt glauben. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihr Motiv auf keine Weise verkenne! Aber ich habe über denselben Gegenstand schon vor Jahren mit meinem Freunde Friedrich von Uechtritz eifrig korrespondiert, ohne daß es mehr als einen Waffenstillstand zur Folge gehabt hätte. Ich stehe durchaus in keinem feindlichen Verhältnis zur Religion, wie Sie selbst sehr richtig bemerken; das ist auch bei einem Dichter, und Sie erklären mich für einen solchen, nicht wohl möglich, wenn er anders den Namen verdient und nicht zu der französischen Zwittergattung gehört, denn Religion und Poesie haben einen gemeinschaftlichen Ursprung und einen gemeinschaftlichen Zweck, und alle Meinungsdifferenzen sind darauf zurückzuführen, ob man die Religion oder die Poesie für die Urquelle hält. Ich muß mich nun für die Poesie entscheiden und kann so wenig in den religiösen Anthropomorphismen, wie in den philosophischen Doktrinen etwas von den großen poetischen Schöpfungen spezifisch Verschiedenes erblicken; es sind für mich alles Gedankentrauerspiele, in denen bald die Phantasie, bald der Intellekt vorschlägt, bis beide sich im reinen Kunstwerk durchdringen und in gegenseitiger Sättigung zusammenwirken. Damit verschwindet denn für mich der christliche Gottmensch, wie der griechische und persische, oder vielmehr, sie treten in die symbolische Sphäre zurück, ohne daß die neuere Bibelkritik, die Straußsche zum Beispiel, mir diese erst hätte erschließen müssen, denn sie ist der Anfang aller Kunst und dürfte auch, nur in verwandelter Gestalt, ihr Ende sein. Sollte Ihnen das zu profan klingen, so erwägen Sie, daß ich ja von der Religion nicht geringer, sondern von der Poesie, der Allumfasserin, nur höher denke; jedenfalls glaube ich nicht, daß es einen Dichter geben kann, dem die universellen Formen des Dramas und des Epos zu Gebote stehen, und der zu der positiven Religion ein anderes Verhältnis hat. Calderon werden Sie mir nicht einwenden wollen; es fehlt ihm eben das Beste, wenn man ihn in Herz und Nieren prüft. Es ist nun freilich wahr, daß auch diejenigen Dichter, die uns hier allein beschäftigen dürfen, den religiösen Anschauungen und Empfindungen nicht selten einen Ausdruck verleihen, der den Gläubigsten nicht allein befriedigt, sondern ihm sogar in seinem eigensten Wesen ganz ungeahnte Tiefen öffnet. Das rührt aber nicht daher, weil der Poet in solchen Momenten gewissermaßen mit ihm zum Abendmahl geht, sondern, weil ihm das Geheimnis des Lebens anvertraut ist, weil er, immer den rechten Mann vorausgesetzt, instinktiv jede Existenz in ihrer Wurzel und jedes Moment einer Existenz in seinen allgemeinen und besonderen Bedingungen ergreift, und davon sind die religiösen natürlich nicht ausgenommen. Er ist also darum ebensowenig Christ, weil er dem Christen seine Sehnsucht erklärt und verklärt, als er gerade verliebt zu sein braucht, weil er den Liebenden über sein Herz belehrt; er ist einfach der Proteus, der den Honig aller Daseinsformen einsaugt (allerdings nur, um ihn wieder von sich zu geben), der aber in keiner für immer eingefangen wird. Wer diesen Standpunkt festhält, der würde sich nicht wundern, wenn der Hamlet und der standhafte Prinz einen und den nämlichen Verfasser hätten; wer ihn aus den Augen läßt, der muß über die Widersprüche des Poeten außer sich geraten und ihn in gut vulgärem Sinn für charakterlos erklären. Es sind aber die Widersprüche der Welt, die trotz ihrer des bindenden und regelnden Mittelpunkts nicht entbehrt, wenn man ihn auch auf keine Formel zurückführen kann! – Hierbei muß ich es bewenden lassen; Sie werden wenigstens meinen guten Willen nicht verkennen, mich mit Ihnen zu verständigen. Ich gehe nie ohne Kampf und Widerstreben in diese Dinge ein und kümmere mich für mich selbst eigentlich ganz und gar nicht um die Pole, zwischen denen meine Existenz sich dreht; die geistige Zeugung geht, wie die leibliche, am besten im Dunkeln vonstatten, und auch der Dichter erfährts erst von der Hebamme, ob seine Kinder männlichen oder weiblichen Geschlechts sind.

11. Dez. 1860.

An König Max II. von Bayern

Eure Königliche Majestät haben allergnädigst geruht, mir den Maximilians-Orden für Wissenschaft und Kunst zu verleihen und mir die Insignien desselben am gestrigen Tage zustellen zu lassen. Es ist dies eine Auszeichnung, die jeden Künstler, auch den vom zweifellosesten Verdienst und vom gerechtesten Selbstbewußtsein, mit Stolz erfüllen und zu ewiger Dankbarkeit verpflichten müßte. Ich, der ich mich nur auf ein ernstes und heiliges Streben und einen reinen Willen berufen kann, muß einen Lohn darin erblicken, der weit über meinen Anspruch hinausgeht und der mir für alle Zeiten um so unschätzbarer sein wird, als ich Bayern von jeher als meine geistige Heimat und München, wo ich drei Jahre lang unter unsterblichen Lehrern den Studien oblag, als meinen zweiten Geburtsort betrachtet habe. Aber um so tiefer bin ich der Gnade Eurer Königlichen Majestät verschuldet, und um so mehr fühle ich mich gedrungen, meinen Dank für die mir zuteil gewordene Huld durch das Gelübde auszusprechen, fortan mit noch größerem Eifer, wie bisher, um die Krone zu ringen, von der es, zum Trost der Unterliegenden, wohl auch heißen darf, daß viele berufen, aber wenige auserwählt sind.

19. Dez. 1860.

An Dingelstedt

Lieber alter Freund! Als Dein Briefchen bei mir eintraf, hielt ich den Maximilians-Orden nur noch für einen Zeitungspuff, denn meine Begegnung mit den Münchnern auf meiner Durchreise nach Paris war nicht allzu freundlich. Seitdem ist das blaue Band mit dem großen goldnen Stern jedoch wirklich bei mir eingetroffen, und ich habe dem König herzlich dafür gedankt, da dies Ehrenzeichen schon deshalb einen ganz besonderen Eindruck auf mich machte, weil es aus einer Stadt kam, in der ich dritthalb Jahre als armer Student, bald mit diesem, bald mit jenem Ringelhäubchen, herumgelaufen bin. Die Vergangenheit hat überhaupt eine sehr große Gewalt über mich, und da sie für mich nicht die freundlichste war, so ist das recht heilsam, indem sie mich mit manchem Übel der Gegenwart aussöhnt, was ich ohne die Vergleichung vielleicht nicht so gut ertragen würde. Für den Burschen, der im Jahr 1837 an schwülen Sommertagen im Englischen Garten am Chinesischen Turm sein Bier trank, stehe ich ein, daß er, wenn er im Geist den Herrn Doktor Hebbel mit dem Maximilians-Orden erblickt hätte, ganz gewiß nicht an die Identität mit seiner eigenen werten Person gedacht, sondern höchstens von fabelhafter Ähnlichkeit gebrummelt haben würde. So ist das Leben; bald bringt es weniger, als der Mensch erwarten durfte, bald auch mehr, und mir hat es mehr gebracht ...

21. Jan. 1861.

An Lück

Verehrter Herr und Freund! Auf Ihrem Standpunkt sind Sie des persönlichen Gottes und des unsterblichen Menschen gewiß; auf dem meinigen ist alles Geheimnis, und jeder Versuch, das Welträtsel zu lösen, ein Gedankentrauerspiel, nicht, wie Sie mich korrigieren, bloßes Drama und noch weniger Hymnus. Auf welcher Seite sich die größere Demut findet, lasse ich dahingestellt, obgleich Stolz und Eigensucht bei dem, der weiß, daß er gar nichts weiß, unmögliche Eigenschaften sein dürften; daß es keine Verständigung gibt, wenn nicht der Mangel an Übereinstimmung wohlfeilerweise auf gewissenlosen Leichtsinn oder grobe Unwissenheit zurückgeführt wird, leuchtet ein. Es ergibt sich daraus von selbst, daß ich, ohne das Geistreiche und Eigentümliche Ihres Ideenganges zu verkennen oder zu unterschätzen, auf das Materielle der Frage nicht weiter eingehen kann; ich weiß die Bibel, zu derer Lesung Sie mich ermahnen, von Jugend auf halb auswendig, und mir ist auch schwerlich irgend eine der bedeutenderen protestantischen oder katholischen Kirchengeschichten entgangen, aber Ihre religiösen Tatsachen sind und bleiben mir Anthropomorphismen. Dagegen muß ich mir erlauben, unser persönliches Verhältnis in dieser Angelegenheit, das mir durch Ihren letzten Brief ein wenig verschoben scheint, wieder zurechtzurücken. Sie sagen nämlich im Eingang, Sie hofften, daß ich »Ihrer ehrlichen Überzeugung und Ihrem wahrheitliebenden Denken ebensowohl Berechtigung zugestehen würde, wie meinem eigenen« und kommen am Schluß darauf zurück. Es handelt sich ja aber nicht um Ihre Denkfreiheit, sondern um die meinige; ich habe Sie nicht darüber zur Verantwortung gezogen, daß Sie glauben, was ich nicht glaube, sondern Sie mich darüber, daß ich nicht glaube, was Sie glauben. Ich habe mich einfach verteidigt, und schon das hätte ich, ohne Ihnen irgendwie zu nahe zu treten, ablehnen können, denn jeder Bekehrungsversuch ist ein Griff in Herz und Eingeweide hinein, und ich brauche mir das Kitzeln mit einem Seziermesser nicht darum gleich gefallen zu lassen, weil derjenige, der es ansetzt, es in guter Meinung tut. Ich habe mich weiter in meiner Verteidigung auch des leisesten Gegenangriffs enthalten, und, obgleich ich den Dichter sprechen ließ, da Sie diesen angeredet hatten, mir keineswegs ein künstlerisches Privilegium zu erschleichen gesucht, sondern mir bloß das allgemeine Menschenrecht, auf dem das ganze Prinzip der Reformation beruht, reserviert. Nichtsdestoweniger verfahren Sie, als ob es sich geradezu umgekehrt verhielte. Ich habe Sie nicht auf die Philosophen, Kritiker und Naturforscher verwiesen, die mein »hieroglyphisches Bekenntnis«, wie Sie meinen Brief nennen, allenfalls kommentieren könnten; Sie ersparen mir, als ob bei meiner Konfirmation etwas versehen wäre, nicht einmal das »kurzgefaßte Religionsbuch«. Meine Versicherung, daß ich in keinem feindlichen Verhältnis zur Religion stehe, die obendrein nur an Ihre eigene Bemerkung gleichen Inhalts angeknüpft wurde, begleiten Sie mit der Glosse: »sie wird sich dafür zu bedanken haben«. Mein Geständnis, daß ich nicht ohne Kampf und Widerstreben auf die Grundprobleme eingehe, erklären Sie für »bequem und indifferent«. Ich gebe Ihrem kalten Blut (Sie reden selbst von Ihrer Hitze und Ihrem Eifer) die Würdigung solcher Glossen und Abfertigungen anheim. Meinem Freunde Friedrich von Uechtritz stellen Sie einen »ganzen Menschen« gegenüber, als ob Sie wüßten, daß er selber keiner wäre, und als ob ich diesen ganzen Menschen seiner Konfession halber gleich aufs Christentum zurückführen und einräumen müßte, daß er nur durch dies zustande kommen könne. Aus Goethe wird unter Ihrer Feder »Herr von Goethe« und aus seinem Abendseufzer Wanderers Nachtlied« (»Der du von dem Himmel bist ...«) Es entstand schon 1776«. der nichts ausdrücken will, als das Christen, Juden, Heiden und Türken gemeinsame Gefühl, was auf den erschöpften und erschöpfenden Tag zu folgen pflegt, ein Verzweiflungsruf nach Bethlehem und Golgatha hinüber. Bei mir entdeckten Sie »Widerwärtigkeit« gegen das positive Christentum, die doch darum nicht gleich vorhanden zu sein braucht, weil ich nichts Ausschließliches darin finden, sondern es nur als ein Symbol neben anderen Symbolen betrachten und ehren kann. Es kommen sogar Ausdrücke, wie »titanenhaft-aristokratischer Stolz«, weil ich sage, daß der Dichter auch dem Gläubigsten Befriedigung zu gewähren, ja Ungeahntes zu bieten vermag, ohne in solchen Momenten gewissermaßen mit ihm zum Abendmahl zu gehen, wobei Sie augenscheinlich die bildliche Wendung, die ebensogut dem Judentum oder dem Mohammedanismus hätte entlehnt werden können, in einen faktischen Protest gegen einen Akt der christlichen Kirche verwandeln. Doch, es sei hiermit genug; ich will den Spieß nicht umkehren, ich will gern annehmen, daß Sie in Ihren religiösen Überzeugungen unerschüttert geblieben sind, obgleich Sie sich mit dem Gegensatz so vertraut gemacht haben, als ob Ihnen alles daran gelegen gewesen wäre, sie loszuwerden. Erweisen Sie mir dieselbe Gerechtigkeit; auch ich habe mir die Arbeit nicht erspart. Übrigens verstehen sich Demut und Bescheidenheit, sowie unbedingte Unterordnung und Unterwürfigkeit unter das große Ganze überall von selbst, wo man etwas Tüchtiges will; das Gegenteil ergibt sich nur da, wo man sich im Leeren herumtreibt, und wird dann ebensowenig durch das christliche Prinzip, wie durch ein anderes, erstickt, denn es ist völlig gleichgültig, ob der hohle Mensch sich bläht, weil er »weiß, was not tut«, oder ob er als »Lichtfreund« oder »Pantheist von der neuesten Fasson« mit einem grünen Band von Paulus oder einem roten von Feuerbach herumstolziert. –

– Gewiß können wir jetzt Frieden schließen, oder vielmehr auf den alten Friedensfuß zurückkehren. Mein Standpunkt hat nichts Ausschließliches, ich ehre einen jeden und lasse es ganz dahingestellt, wer den besseren hat; ich will nur nicht von dem rohen Zufall der Geburt, der dem Menschen seine Religion anweist, und den er nicht korrigieren kann, ohne das allen Völkern gemeinsame und äußerst schwer ins Gewicht fallende Vorurteil gegen Renegaten hervorzurufen, sein zeitliches und ewiges Heil abhängig gemacht wissen. Die absolute Philosophie gebe ich Ihnen von Herzen preis, wenn ich es auch an ihr schätzen muß, daß sie selbst in ihren ärgsten Verirrungen nur den intelligiblen Menschen angreift, nicht, wie die absolute Religion, den moralischen, denn wenn Hegel jemand das Begriffsvermögen abspricht, so liegt in dem angeschuldigten Mangel zugleich die Rechtfertigung, wenn demselben Individuo aber die Sünde gegen den heiligen Geist vorgeworfen wird, so gibt es keine Rettung mehr, denn der absichtlichen Verstockung muß die Verdammung folgen. Friedrich Schlegel erklärte seinem Freunde Tieck einmal, die himmlischen Gestirne würden dereinst zusammenrücken und in der Form des Kreuzes auf die Erde herabblitzen; ob er bei Tieck damit etwas ausrichtete, weiß ich nicht, aber für mich würde auch das, wenn es plötzlich geschähe, nichts weiter sein, als eine zufällige Konstellation der Himmelslichter, über die ich mir bei der Astronomie Rats zu erholen hätte. Ebensowenig freilich kümmert es mich, wenn der Philosoph mir versichert, er habe den Ring Salomonis wieder aufgefunden und trage ihn am Finger; wie seine Diamanten auch funkeln und schwache Augen blenden mögen, ich weiß, daß kein Talisman darunter ist, weil keiner darunter sein kann. Dabei verkenne ich durchaus nicht, daß mein Standpunkt sein Gefährliches hat, denn wenn es auf der einen Seite feststeht, daß die Welt jeden großen Fortschritt nur durch Individuen machte, welche, seien es nun Religionsstifter, Feldherrn oder Künstler, das Gesetz aus sich selbst nahmen und mit den Zuständen und Anschauungen brachen, die sie vorfanden, so läßt es sich auf der andern Seite nicht leugnen, daß das Prinzip scheußliche Karikaturen erzeugt, die sich wohl gar, wie der blöde Sand, in ihrem Dünkel zu Weltrichtern aufwerfen. Aber, genau besehen, werden das immer Nachbeter sein, die, sobald sie die Theorie in Praxis umzusetzen suchen, der bürgerlichen Gesellschaft verfallen, während, wenn man ein Absolutes für Millionen aufstellt, die schlimmsten Triebe der menschlichen Natur unter heiligem Deckmantel rasen und ungestraft von der einzelnen Ketzerverfolgung zur Bekehrung oder Vertilgung ganzer Völker durch Feuer und Schwert fortschreiten können, wie die Geschichte es uns schaudernd lehrt. Es steht daher ein Unendlich-Kleines dem Unendlich-Großen gegenüber, und da ist die Entscheidung leicht. Doch wozu mehr! Wir sind im Grunde ja einig. Auch ich halte es für schwerer, das Vaterunser zu beten, als alle Schlachten Napoleons zu gewinnen, ja, ich bezweifle es stark, daß es auf Erden schon gebetet worden ist, aber freilich nur wegen seiner ethischen Voraussetzungen, die ich nicht ausschließlich vom Christentum abhängig machen kann, wenn dieses ihnen auch in diesem Gebet für alle Zeiten eine unübertreffliche Fassung gegeben hat. Wenn ich sagte, dem Dichter sei das Geheimnis des Lebens anvertraut, so dachte ich allerdings nicht, wie Sie auch selbst schon bemerken, ans Wissen, sondern ans Können, nicht ans Erklären, sondern ans Hinstellen, und eins hängt im geistigen Gebiet so wenig, wie im physischen, vom andern ab, hier aber macht jedermann die Erfahrung, daß er frisches Blut in Zirkulation setzen kann, ohne den Blutumlauf zu kennen wie Haller. Goethes Gedicht »Friede« Wanderers Nachtlied« (»Der du von dem Himmel bist ...«) Es entstand schon 1776«. entstand, um auch diese Kleinigkeit zu berichtigen, 1789, also in seinem vierzigsten Jahre, wo er die größten seiner Taten noch vor sich hatte, nicht hinter sich; es kann daher nicht gut etwas anderes ausdrücken, als das, was ich ihm unterlegte –

Tagebuch Gmunden 14. Juli 1861.

Es wäre undankbar, von Gmunden abzureisen, ohne des überaus herrlichen Wetters zu gedenken, dessen wir uns mit kaum einer Ausnahme vom ersten bis zum letzten Tage erfreut haben. Immer Gold und himmelblau, dazwischen, wie noch gestern abend, ein imposantes Gewitter oder ein Sturm, dann wieder, als ob nichts geschehen wäre, die alte ungetrübte Herrlichkeit. Nur die Stürme waren jedesmal außerordentlich stark und erhoben sich zu verheerenden Orkanen, welche die dicksten Bäume, wie dürres Schilf, abknickten, so daß sie, wie grüne Leichen, herumlagen, wohin man trat. Den ersten erlebten wir in Traunkirchen, glücklicherweise unter Dach, im Gasthof zum Stein; ich sah zum erstenmal in meinem Leben Regen strahlen, die, wie Säulen, von dem hineinblasenden Winde zerbrochen und umhergeschleudert wurden, und eine Reihe hochgewachsener Pappeln bückte sich bei jedem Stoß so tief, wie Federn auf dem Jägerhut, mit denen der frische Hauch des Morgens spielt. Der zweite brach eines Sonntags mittags kurz vor dem Essen aus, nachdem ich eben vom Baden zu Hause gekommen war; ich sah durchs Fenster in mein Gärtchen hinaus und bemerkte, daß ein alter Birnbaum, der dicht davor steht, so gezaust wurde, daß die Erde sich spaltete. In einer Stunde war alles aus, und wir konnten das Schlachtfeld beim schönsten Sonnenlicht in Augenschein nehmen. Ganz wunderbar war der dritte, der eines Abends stundenlang mit einem Gewitter kämpfte, das sich entladen wollte; er jagte es wohl dreimal an der Himmelswölbung herum, zuweilen pausierend, aber augenblicklich wieder mit vollen Backen ansetzend, wenn sich ein Blitz hervorwagte oder eine Regenwolke brach, und nicht ablassend, als bis er es hinter den Traunstein getrieben hatte, wo der Kampf sich meiner weiteren Beobachtung entzog. – Die Wirtstochter in Ebenzweier, die mir zum großen Ergötzen der Anwesenden glaubte, als ich ihr erzählte, ich hätte in Triest einen Sturm erlebt, der den Leuten auf der Straße nicht bloß die Hüte, sondern auch die Köpfe abgerissen habe ...

Hamburg 17. Okt. 1861.

An Christine

... Die alte Witwe meines Lehrers Dethlefsen in Altona habe ich auch schon aufgesucht; sie ist viel kleiner geworden, nämlich ganz zusammengekrümmt, übrigens aber munter und vor Not geschützt. Wenn ich meine Bekannten von ehedem sehe, habe ich oft ein Gefühl, als ob sie schon bis ans Knie in die Erde gesunken wären und mit den Armen zappelten, wie die kleinen Kinder im Wasser; die älteren mein ich, die mir in den Jahren voraus sind ...

Hamburg 19. Okt. 1861.

Nun habe ich Holstein bereits im Rücken; ich war gestern in Rendsburg und sah meinen Bruder, seit zwanzig Jahren zum erstenmal! Weiter gehe ich nicht hinein und mache über den Ort, wo meine Wiege stand, jetzt für immer ein Kreuz; ich würde fast nur noch Gräber treffen, und allenfalls hier und da einen Maulaffen. Daß ich aber wirklich nach Rendsburg gekommen bin, ist mir sehr lieb.

... Ich nahm mir zur Betrachtung des Orts natürlich nicht viel Zeit, sondern eilte nach der Straße, wo ich meinen Bruder zu finden glaubte. Er hatte aber nicht bloß seine Wohnung gewechselt, sondern auch die Stadt mit dem Lande vertauscht, und eine zahnlückige alte Frau wies mich auf ein Dorf hinaus, das über eine Stunde entfernt war. Was sollte ich machen? Ich ließ mir den Weg beschreiben, so gut es ging, und begab mich auf den Marsch. Bald war ich in der tiefsten Einsamkeit, wie mein Heideknabe In der Ballade »Der Haideknabe«., kein Wanderer begegnete mir, links und rechts grasende (Ochsen und Kühe ohne Hirten, weil sie durch Hecken und Wälle verhindert sind, ihre Weideplätze zu verlassen, den widerspenstigen Sand unter meinen Füßen. Aber ich hatte mehr Glück, wie gewöhnlich, ich fand das rechte Dorf, das diesseits eines kleinen Gehölzes liegt, und ein Pflüger bezeichnete mir das Haus. Als ich um die Ecke bog, erblickte ich einen ältlichen Mann, der vor seiner Tür Holz hackte; ein verwittertes Gesicht, jedoch noch von starkem Haarwuchs eingezäunt, sah verwundert zu mir auf, als ich nähertrat, selbst noch zweifelnd, aber doch bald aus Falten und Runzeln die Jugendzüge hervorklaubend. Ich streckte die Hand aus und sagte: Johann! natürlich plattdeutsch; er ließ sein Beil fallen, schlug sich auf seine Knie, fuhr sich durch das Haar, brach in ein konvulsivisches Gelächter aus, genug, tat alles, was ich wohl in einem Moment freudig-schmerzlicher Überraschung zu tun pflege, und war gar nicht wieder ruhig zu machen. Den Kopf schüttelnd und die Hände reibend, führte er mich dann hinein; ich trat durch eine kleine Küche in eine Stube, die in Räumlichkeit und Meublement nicht schlechter, vielleicht, wie er selbst wenigstens meinte, etwas besser war, wie die ehemalige unserer Eltern. Seine Frau, eine Bäuerin, wie unsere Hausverwalterin in Gmunden, entschuldigte die Unordnung, in der ich alles fände, aber erst morgen sei Sonnabend; sie war viel gelassener, und erbot sich, Kaffee zu machen, was ich nicht um die Welt abgelehnt hätte, obgleich ich wohl wußte, welch ein Zichorien-Absud mich erwarte. Der kleine Konrad war nicht zu Hause, er holte Brot; die Katze, die in solchen Familien nie fehlt, lag im Bett, Titis hölzerner Kuckuck stand auf dem Schrank, mein Bruder begann darauf zu blasen. Der Kaffee erschien und war nicht ganz untrinkbar, frische Ziegenmilch dazu, von zwei Ziegen gewonnen, die ihm selbst gehören, und die ich nachher in ihrem kleinen Stall besuchte, die Nachbarskinder liefen zusammen und guckten neugierig ins Fenster, die Erwachsenen traten in ihre Türen. Endlich kam auch das Kind, ein hübscher blonder Knabe, der hell und klar aus seinen großen Augen schaut; er war scheu, wie ein Vogel, und kaum durch einen Silbertaler zum Nähertreten zu bewegen, schlüpfte auch gleich wieder fort und guckte nun von außen mit hinein. Auch mein Bruder verschwand, als ich mich nach ihm umsah, traf ich ihn in der Küche, wo er sich rasierte und die Haare schnitt; ich hatte ihn nämlich gebeten, mich nach Rendsburg zurückzubegleiten, und er meinte, er sei dazu denn doch zu struppig. In der Hast schnitt er sich mehr als dreimal mit seinem stumpfen Messer, und stopfte die Wunden wieder mit Löschpapier. Nach Verlauf von ungefähr anderthalb Stunden machten wir uns auf den Rückweg; er in dem alten steyrer Rock, den ich ihm im Frühling schickte, einen zerdrückten Sommerhut auf dem Kopf, und Stiefeln an den Füßen, die kaum noch zusammenhielten. Bittre Armut; ein kleiner Haufen Kartoffeln unter dem Ofen, und Ehestreit darüber, ob für das nächste Geld noch mehr Kartoffeln angeschafft werden sollten, oder Holz und Torf. Mein Bruder war für die Kartoffeln, seine Frau für die Feuerung; ich fürchte den Hunger – sagte er – und sie den Frost. Daß ich den Streit beilegte, kannst Du Dir denken. Dabei, damit dem rührenden, ja, ehrlich gestanden, tief erschütternden Bilde zur Milderung und Dämpfung das Komische nicht fehlte, unterwegs von seiner Seite die Versicherung, er habe die Frau vor der Verheiratung nie mit Augen gesehen, ein Tischler habe ihm zur Zeit des Kriegs vorgeschlagen, sich mit ihr zu verbinden, und da er dadurch als Militärpflichtiger gleich um fünf Jahre älter und des Dienstes quitt und ledig geworden sei, habe er geantwortet: meinetwegen! übrigens sei er auch ganz gut mit ihr zufrieden. In Rendsburg mußte ich einen Augenblick bei einem seiner Freunde eintreten, ich schlug es anfangs ab, weil ich den Grund nicht erriet, und er sagte nichts weiter, dann fragte ich: »Sähest dus gern?« und er antwortete: »Ja, ja, der Mann erfährt doch, daß du hier gewesen bist, und er hilft mir zuweilen aus.« In meinem Gasthof ließ ich (ich war selbst noch nüchtern) etwas zu essen geben; bei einem Glase Bier lebte er ordentlich wieder auf und gab manchen seiner alten humoristischen Funken von sich, wie zum Beispiel den: »Heute ist der Erntetag der Juden, denn die armen Leute ziehen aus.« Sonst ist er schrecklich zusammengebrochen und hat ein ganz krampfhaftes Wesen; es geht in Holstein, wie in Gmunden, alles wird ausgeführt, die Stockjobber schwellen an und die übrigen dörren zusammen, wie Regenwürmer im Sande. Fleisch kennt er nicht mehr; immer Kartoffeln und auch die stiehlt einer dem andern vom Felde. Das ist der Güterkreislauf der Nationalökonomen; ich habs immer gewußt und gesagt. Dabei hat er den Ehrgeiz unseres Vaters, der seine Armut auch ängstlich versteckte, wie der Geizhals seinen Schatz, und der gern hungerte, wenn der Nachbar ihn nur für satt hielt. So sagte er beim Bier: »Nicht wahr, unsre Stube ist recht nett? Hast du bemerkt, daß Friedrich der Große an der Wand hängt? Ich habe auch den Einzug in Paris!« Als ich einpackte, bat er mich um eins der seidenen Taschentücher, das zerrissen war. Ich fragte: »Du willst es deiner Alten wohl mitbringen?« Er erwiderte: »Das nun wohl auch, ja, aber es ist mehr der Leute wegen! Ich werde sagen: das ist sein schlechtestes.« Auch das Nichtkommen nach Gmunden ist durch die große Not einfach gelöst; gleich konnten sie nicht gehen, denn das Kind war wirklich verletzt, und nachher war kein Geld mehr da. Im Feuer haben sie viel verloren; sie hatte sich eine Ausstattung zusammengedient, und die ging drauf. Sie lassen alle grüßen; de lüttje Kunrad de grote Tiene«. Beim Abschied mußte ich durchaus seinen Handstock zum Andenken mitnehmen ...

Berlin 26. Okt. 1861.

Mein allerteuerster kleiner Pinscher! Ich danke von Herzen für Deinen wunderschönen Brief; ja wohl, so wollen wirs halten, immer herunterschauen, nie hinauf, und nichts wünschen, als Gesundheit und Lebenskraft. Aber habe ich Dir je die Geschichte meines ersten kleinen Pinschers erzählt, weißt Du, warum ich Dir gerade in den Stunden des Überfließens in inniger Liebe und Verehrung seinen Namen beilege? Denke Dir das zierlichste, zarteste aller Hündchen, das mitten im Winter, weil ich es in München nicht zurücklassen wollte, den weiten Weg von München nach Hamburg mit mir machen mußte, und zwar zu Fuß. Es würde das rührendste Idyll geben, wenn ich Dir den Kampf zwischen der angeborenen Reinlichkeitsliebe des Tierchens und seinem Abscheu vor dem Schmutz der Straßen, zwischen seinem in so rauher Zeit wahrlich doppelt gerechtfertigten Bequemlichkeitstrieb und seiner Anhänglichkeit an seinen Herrn schildern wollte! Besonders ein Moment ist mir unvergeßlich. Ich war zu Mittag eingekehrt, hatte selbst ein Glas Bier getrunken und dem kleinen Pinscher eine Suppe geben lassen, und brach wieder auf. Es hatte mittlerweile stark zu schneien angefangen, und das Tierchen wollte nicht fort, es schmeichelte, es trotzte, es verließ das Wirtshaus zwar am Ende, aber es rannte spornstreichs wieder dahin zurück und bellte mir nach. Als es jedoch sah, daß ich mich nicht daran kehrte, sondern weiterging, schied es auch seinerseits von der warmen gastlichen Stelle und humpelte hinter mir her, aber höchst verdrießlich, und für die Liebkosungen, mit denen ich es überhäufte, völlig unempfindlich. Wir kamen auf eine Chaussee, eine Menge Steine lag an der Seite und bildete einen fortlaufenden Damm, der das kaum fußhohe Hündchen vor dem Ungestüm des Wetters schützen konnte, auch trennte es sich von mir und setzte seine Reise hinter dem Damm fort. Aber jeden Augenblick guckte es mit seinem gelben Köpfchen ängstlich herüber, und spähte, ob ich auch noch da sei, und das rührte mich so tief, daß dieser kleine Pinscher von dem Moment an das Symbol der Treue für mich wurde, und daß ich das Höchste und Herrlichste, so wunderlich es für den, der die Geschichte nicht kennt, auch klingen mag, mit seinem Namen nenne! ...

Dresden 1. Nov. 1861.

... So lebe denn wohl und erwarte dein altes, graues, auf seiner Weltfahrt vollkommen verwittertes, ja bis auf das Herz, das sich, wie jener Tropfen Wein im tausendjährigen Faß, jung und glühend erhielt versteinertes

Nux.

Tagebuch Wien 6. Nov. 1861.

Der gestrige Abend war ein sehr trauriger für uns alle; unser Liebling Herzi-Lampi-Schatzi ist verschieden, kaum drei Jahre und einige Monate alt. Erst zwei Tage bin ich von einer Reise zurück, alle meine kleinen Zwecke habe ich erreicht, eine neue, schönere Wohnung hat mich empfangen, aber ich wollte, das alles wäre anders, und das liebe Geschöpf lebte noch. Wieder etwas vorüber, und diesmal etwas Himmelschönes, das so nicht wiederkehrt! Wen die Gattung für das Individuum zu entschädigen vermag, der ist gegen jeden Verlust gedeckt; ich kenne keine Surrogate, ich liebe das Individuum, und dies Tier war so einzig, daß es jedermann wie ein Wunder vorkam, und mir wie eine Offenbarung der Natur. Ich glaube jetzt an den Löwen des Andronikus, an die säugende Wölfin der Römer, an die Hirschkuh der Genoveva, ich werde nie wieder eine Maus oder auch nur einen Wurm zertreten, ich ehre die Verwandtschaft mit dem Entschlafenen, sei sie auch noch so entfernt, und suche nicht bloß im Menschen, sondern in allem, was lebt und webt, ein unergründliches göttliches Geheimnis, dem man durch Liebe näherkommen kann. So hat das Tier mich veredelt und meinen Gesichtskreis erweitert; wenn ich nun aber gar die Unsumme von Freude und Heiterkeit aufzählen sollte, die es für seine paar Nüsse und seinen Fingerhut voll Milch ins Haus brachte, so würden wir wie arme Schächer dastehen, die ihre Schuld nie bezahlen können. Daß ein Hund sein eigenes Geschlecht verleugnet und sich dem Menschen anschließt, ist man gewohnt; daß aber auch ein Eichkätzchen es tut, daß es dem Menschen seine Händchen entgegenbreitet, wenn er ins Zimmer tritt, daß es sich liebebedürftig zeigt und, wenn man es küßt, den Kuß mit seinem süßen Samtzüngelchen erwidert, das ist wunderbar! Wie an einen Traum denk ich schon jetzt, wo die kleine Leiche noch im tiefstem Frieden zwischen meinen Fenstern liegt, an das Tier zurück; wie Fragmente eines Traums will ich zu meinem ewigen Gedächtnis die Erinnerungen an seine kurze Laufbahn, denn es hätte noch drei bis vier Jahre um mich herumhüpfen können, trotz meiner Rührung und Erschütterung, aufzeichnen. Aber zunächst sein Ende. Bei meiner Zurückkunft war Schatzi lustig und gesund, er spielte noch um den Fikustopf herum und wühlte sich in die Blumenerde ein, doch fand ich ihn noch ebenso grau, wie bei der Abreise, wenn nicht grauer, anstatt wieder braun, wie ich gehofft hatte. Lustig und gesund blieb er auch bis zum Mittag des fünften, auch da fehlte ihm noch nichts, nur wollte er nicht essen, als ich ihn aus seinem Bettchen nahm, was jedoch oft vorkam, ich kümmerte mich daher auch nicht darum, scherzte mit ihm, trug ihn herum, hielt ihn den abräumenden Mägden vor, küßte ihn, ach, zum letztenmal! und ging in mein Zimmer. Als ich zum Kaffee gerufen wurde, sagte mir meine Frau, daß er sich mehrmals, wohl zwanzigmal, erbrochen habe, wimmernd aus seinem Bettchen im Korb hervorsteigend, um es ja nicht zu verunreinigen, dann mit Begierde kaltes Wasser schlürfend und wieder zurückschlüpfend. Ich fand ihn ruhig und wollte ihn nehmen, er glitt aber rasch aus meiner Hand wieder in seine Tücher, und ich ließ ihm seinen Willen, damit er sich wieder gesund schlafe. Um fünf ging ich ohne alle Unruhe fort, um sechs fuhr meine Frau ins Theater, um neun kamen wir alle beide zurück. Als wir das Kind nach ihm fragten, sagte es: er ist still, er schläft, ich glaube es wenigstens! Ich griff, noch ohne Angst, in den Korb, und er war kalt, steif und tot! Fürchterliches Gefühl, wenn sich ein heißes, warmblütiges Geschöpf in ein Amphibium verwandelt hat! Dann erfuhren wir, er habe gegen sieben noch einmal leise gewimmert, gezuckt und sich gestreckt, auch noch einmal sein großes schönes Auge geöffnet und die Hand meines Töchterleins ein wenig geleckt; darauf sei er eingeschlummert und mit warmen Tüchern bedeckt worden. Der Abend verstrich uns unendlich trübe, und ich schäme mich der Seufzer und Tränen nicht, obgleich ich kurz zuvor in Hamburg den Tod eines Universitätsgenossen ohne die geringste Bewegung vernommen hatte, denn hier war ein inniges Band zerrissen, wenn auch nur zwischen Mensch und Tier, dort war nie eins vorhanden gewesen ...

– Ganz jung, kaum vierzehntägig, brachte meine liebe Frau das teure Geschöpf am 18. August 1858 ins Haus; ich war krank, und die ersten vier Wochen wohnte es in meiner Achselhöhle, wohin es sich der Wärme wegen verkroch. Es war wunderschön, braun, als ob es unmittelbar aus einer Kastanie hervorgesprungen wäre und ein Rosenblatt als Junge im Mäulchen trüge, übrigens ein geborener Italiener und aus Triest nach Wien herübergekommen. Wunderbarerweise unterschied es gleich zwischen den Familienmitgliedern und Fremden; wir drei, meine Frau und das Kind, konnten mit ihm machen, was wir wollten, es ließ sich alles gefallen, im Schlaf wie im Wachen, aber wenn eine der Mägde sich ihm näherte oder es gar berührte, wies es sie durch die possierlichsten Töne des Unwillens und des Zorns zurück, und wenn das nicht half, bediente es sich seiner Zähnchen. Mich hat es nur ein einziges Mal gebissen, und da war es in seinem Recht; es war gewohnt, wenn ich schrieb, über den Tisch zu laufen, und zuweilen an meiner Feder zu zupfen und geriet dabei einmal mit seinen Händchen in die Tinte. Emsig begann es sich zu reinigen, ich besorgte, die Tinte könnte ihm schaden, und tauchte es mehrmals ins Waschbecken, das mußte es natürlich für eine Feindseligkeit halten und sich zur Wehr setzen ... Größer geworden, nahm es, wie es mir des Morgens immer ins Bett gebracht wurde, regelmäßig an unserem Abendessen teil, kostete überall, speiste auf das zierlichste, trug in den ersten anderthalb Jahren, später nicht mehr, Nüsse und Zucker beiseite, schleppte oft eine ganze Semmel den Fenstervorhang hinauf und versteckte sie oben in der Brüstung, glitt dann wieder herunter, knäulte die Servietten in seinem Mäulchen zusammen, trug sie, eine nach der anderen, in den Schoß meiner Frau, stürzte zuletzt sich selbst hinein und bedeckte sich damit. Dagegen sang es in der Frühe, beim Kaffee, so lieblich wie ein Vogel, und modulierte die Stimme auf das mannigfaltigste; wenn das Stück Zucker, das es zu seiner eingeweichten Semmel erhielt, zu groß war, trug es den Rest selbst in den Zuckerkasten zurück und vergrub ihn unter dem anderen Zucker. Es schlief später stets in dem grünen Bettvorhang meiner Frau und hatte ohne alle Frage den Begriff vom Ort, den der dünkelhafte Mensch sich so gern allein vindizieren möchte, denn wenn es abends nach dem Essen in sein Bettchen zurückwollte und meine Frau aufstand, um es mir abzunehmen und aus dem Speisezimmer ins Schlafgemach hinüberzubringen, so blieb es ruhig in meiner Hand liegen, solange sie sich an meiner rechten Seite hielt, wurde aber höchst ungeduldig, sobald sie an die linke trat, da jene zum Fenster, diese aber zur Tür führte, woraus aufs bestimmteste hervorgeht, daß es den Weg genau kannte. Im Sommer, in seiner munteren Zeit, behielt ich es fast den ganzen Tag bei mir, und auf das allerdeutlichste gab es mir alle seine Wünsche zu erkennen; wollte es auf den Bücherschrank, so stieß es gewisse Töne aus, die ich verstand, wie das menschliche Wort, wollte es herunter, so lief es hin und her, dann fragte ich von meinem Schreibtisch herüber: soll ich kommen? und zur Antwort breitete es seine Händchen aus. Mit ausgebreiteten Händen begrüßte es mich auch, wenn ich zu Hause kam; auch vertrat ich in seiner Jugend bei ihm den Baum, indem es immer um mich, wie um einen solchen, herumlief. Dreimal war es mit in Gmunden; dort schlief es das erste Jahr in einem Käfig, der nachts vor meinem Bette stand, und aus dem es des Morgens, die kleinen Arme auf die Tür gestützt, wie ein Müllerknappe hervorschaute, später in einem Wandkorb, auf den es gleich wieder zustrebte, als wir zurückkehrten. Setzte ich es in einen Baum, so kletterte es hinauf, sah sich um, probierte eine Zwetsche, betrachtete die Vögel, die es verwundert umkreisten, und glitt dann in meine Hand zurück. Setzte ich es auf die Erde, so hüpfte es auf dem gebahnten, mit Sand bestreuten Wege mit unendlicher Eile ins Haus zurück! Wer will dieser Fülle anmutiger Bilder nachkommen; in dem Gedicht: »das Geheimnis der Schönheit«, welches das liebliche Tier hervorrief, sind sie aufsummiert, ich aber muß endigen, denn meine Augen füllen sich wieder mit Wasser ...

Das Geheimnis der Schönheit

Was ist es, das an alle deine Schritte
uns fesselt und das Herz uns schwellt,
und uns zugleich in diese reine Mitte
von Heilger Scheu und süßer Neigung stellt?
Zwar scheinst du wie aus einer lichtern Sphäre
in unsre Nacht hinabgetaucht,
als ob der Duft in dir verleiblicht wäre,
den still der Lotos in die Lüfte haucht.
Doch ists nicht dieser Zauber, der uns bindet,
uns trifft ein höherer durch ihn,
bei dem die Seele schaudernd vorempfindet,
wie alle Welten ihre Bahnen ziehn.
Du magst dein Auge senken oder heben,
den Reigen führen oder ruhn,
so spiegelt sich das allgemeine Leben,
dir selbst Geheimnis, ab in deinem Tun.
Du bist der Schmetterling, der aus den Flügeln
den Schlüssel zu der Schöpfung trägt
und sie im Gaukeln über Kun und Hügeln
vorm Strahl der Sonne auseinanderschlägt.
Du folgst nur einem flüchtigen Verlangen,
nur einer Wallung der Natur,
wenn wir mit trunknen Blicken an dir hangen,
als zög ein neuer Stern die erste Spur.
Du pflückst in einer kindlich-leichten Regung
dir Blüte oder Frucht vom Baum
und weckst durch eine liebliche Bewegung
in uns den frühsten Paradiesestraum.
heil uns, daß du in unbewußtem Walten,
wenn du auch selbst nur spielen willst,
durch deiner Schönheit leuchtendes Entfalten
in uns das ewige Bedürfnis stillst.

27. Dez. 1861.

Den Weihnachtsabend haben wir diesmal ganz unter uns zugebracht; zum erstenmal, aber darum nicht weniger vergnügt ... Titi spielte uns zum erstenmal etwas vor; etwas geht es schon über »Ach, du lieber Augustin!« hinaus, obgleich nicht viel, eine Schumann steckt nicht in ihr, und das tut auch nichts. Die Feiertage waren wunderschön; tiefblauer Himmel, italienischer Sonnenschein, freilich etwas kalt, aber das ist mir gerade recht.

22. März 1862.

An Adolf Stern in Jena

... Sie legen mir eine sehr ernste Frage vor. Nach meiner Erfahrung und Überzeugung hält der Mensch auf die Länge alles eher aus, als Not und Sorge um die Existenz. Das wußten unsere Großväter und darum waren sie gegen die freien Künste so eingenommen und von der Begeisterung für die Brotstudien so erfüllt. Die Welt ist für die Enkel nicht freundlicher geworden, aber die Kunst hat seitdem ihren goldenen Boden erhalten, dessen sich ehemals das Handwerk allein berühmte, und so wenig der Maler noch in der Dorfschenke die Bauern dutzendweise zu porträtieren braucht, um mit ihnen Dünnbier trinken zu können, so wenig braucht der Dichter auf ihre Hochzeits- und Leichenschmäuse zu warten, um für sein Carmen einmal etwas Warmes in den Leib zu bekommen. Genauer untersucht, ist das jedoch eine Täuschung, denn nur selten für den Maler und so weiter, fast nie aber für den Dichter ist dieser goldene Boden ergiebig, immer nur für den Schriftsteller, der sich den Zwecken der Buchhändler, Redakteure, Theaterdirektoren anbequemt und die höchsten Forderungen entweder beiseite setzt, oder ihnen, was wohl das Richtigere sein wird, obgleich Tieck mit seiner Zwitternatur zu widersprechen scheint, überall nicht gewachsen ist. Nehmen wir nun aber auch den besten Fall, nämlich die Selbstverleugnung bei der vollkommenen Befähigung an, so verlangt doch der Staat und die bürgerliche Gesellschaft offenbar kein schwereres, sondern vielmehr ein leichteres Opfer, wie die Literatenrepublik, da eine gewisse geistige Simonie immer ausgeschlossen bleibt und das momentane Schwimmen im fremden Elemente immer erträglicher sein dürfte, als die Besudelung des eigenen. Hier haben Sie meine allgemeinen Gedanken; zuletzt rufe ich Ihnen zu, was ich der Prinzessin Wittgenstein sagte: prüfen Sie sich, was Ihnen innerste Lebensbedingung ist, und daran halten Sie fest! ...

London 10. Juni 1862.

An Christine

Und London? wirst Du fragen, ungeduldig über diesen Kommentar eines Briefes, den Du selbst mir zugeschickt hast. Teures Weib, ich habe hier schon viel gesehen, aber Fausts Zaubermantel bis jetzt nicht entdeckt, sonst hätte ich ihn gekauft und Dich auf der Stelle herübergeholt. Schildern kann ichs Dir aber so wenig, wie den Regenbogen und den Rheinfall. Nicht, daß ich mich übertäubt fühlte; meine Natur ist auf große Dimensionen eingerichtet und Multiplikationen imponieren mir nicht lange, auf Multiplikationen läuft aber zuletzt alles hinaus. Allein es ist zu viel, ein Objekt drängt das andre, die Feder schwankt und die Hand erlahmt. Am nachhaltigsten wirkt auf mich das moralische Klima, das, wie das physische, jeden Atemzug tingiert, die freie Bewegung des Volks innerhalb der Schranken strenger Gesetzlichkeit, mit einem Wort: der Respekt, den es vor sich selbst hat. Das verrät sich in tausend Zügen; wie der Engländer sich das Gesetz selbst gibt, so überwacht er es auch selbst, und beides muß zusammenfallen oder nichts ist erreicht. Übrigens fühle ich mich hier, wie unter Verwandten; Engländer und Deutsche stehen sich näher, als ich je gedacht hätte ...

Paris 23. Juni 1862.

... Mir war in London zumute, wie in einer Mühle; Du kannst bei Tage nicht denken und bei Nacht nicht schlafen, und der Müller hat in dem mäßigen Raum, der für die freie Bewegung zwischen den Mehlsäcken und Rädern übrigblieb, noch überdies allerlei überflüssige Stricke angebracht, damit man keinen Augenblick vergesse, daß er der Herr ist. Wer Hamburg kennt, der hat auch zu der Metropole Großbritanniens den Schlüssel, nur daß sich die deutsche Stadt zu der englischen verhält, wie die Kreideskizze zum ausgeführten Bilde; in der Woche der krasseste Egoismus in brutalster Form und Sonntags eine noch scheußlichere Abfütterung des Gewissens und der Moral durch den widerwärtigsten Puritanismus, der übrigens seine Wurzeln im Volke hat, weil er sich mit Gewalt nicht aufrechterhalten ließe. England will das reichste Land der Erde sein und jeder Engländer der reichste Engländer; das ist zugleich Staats- und Privatprinzip, um das sich alles dreht, und das allerdings einen Riesenbau zustande gebracht hat, der dem römischen Weltreich an Großartigkeit gleich ist, es aber an Solidität bei weitem übertrifft. Allein um welchen Preis! Ich weiß nicht, ob Du Dich der Geschichte noch erinnerst, die Gurlitt einmal mit einem seiner sogenannten Freunde, einem Hamburger Bankier, auf Helgoland passierte. Er fand die Wirtshausrechnung zu unverschämt, sein »Freund« kam darüber hinzu und sagte, statt ihm gegen den Preller beizustehen: »Lieber Gurlitt, eine Rechnung bezahlt man bloß, man sieht sie nicht durch!« Gurlitt war das ganz gesund, da er sich immer zu solchem Volk drängt, aber an und für sich betrachtet, gehört sie zu dem Niederträchtigsten, was mir je vorgekommen ist, und in London wollte sie mir gar nicht aus dem Kopf. Der Arme soll hier gar nicht existieren, der Penny, der dem preußischen Silbergroschen gleich sieht, ist die kleinste Münze, wer seine Bedürfnisse nicht bestreiten kann, mag zugrunde gehen, Gottes Kirchhof ist groß. Der Sklave ist für frei erklärt, damit sein Herr der letzten Pflichten gegen ihn los und ledig wird und sich, wenn er ihn an Leib und Seele ausgequetscht hat, nicht mehr um ihn zu bekümmern braucht, wie Griechen und Römer mußten. Ob es ihn entschädigt, daß man ihn nicht niederstechen darf und ihn, wenn er einmal durch Zufall einen Treffer macht, auf der Börse als Bruder willkommen heißt, bleibe dahingestellt. Übrigens glaube ich gern, daß die historische Größe der Nationen, wie die der Individuen, auf einer und derselben Bedingung beruht, nämlich auf dem unerschrockenen Egoismus, der nichts, als sich selbst kennt ...

... Im übrigen hat sich Engländer förmlich für mich aufgeopfert und sich mir von des Morgens früh bis Mitternacht zur Verfügung gestellt, doch mag es auch für ihn gut gewesen sein, daß wir uns einmal wieder gesehen haben. Er fühlt sich hier höchst unbehaglich, obgleich er viel Geld verdient und schaudert vor dem Gedanken, in englischer Erde ruhen zu sollen; ebenso Freiligrath, bei dem ich einen Abend zubrachte und in dem ich einen sehr wackern Burschen kennen lernte ...

Gmunden 2. Aug. 1862.

An Frankl

An einem Sonntagabend, im Winter des Jahres 1847, saß ich mit meiner Frau beisammen; es war zwischen 7 und 8 Uhr. Die Magd brachte uns das Kind, es war lustig und vergnügt und aß unter unseren Augen seine Nachtkost. Die Magd entfernte sich wieder mit dem kleinen Emil und legte ihn zu Bett; eine Weile darauf meldete sie uns, er sei unruhig, und noch vor 11 Uhr lag er mit blauem Gesicht, von den Fraisen hinweggerafft, tot in seinem Kissen. Noch bewahre ich unter meinen Heiligtümern den Rest seiner letzten Semmel. Ich kenne Ihren Schmerz, ich teile ihn und bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie ihn gegen mich ausgesprochen haben. Nichts Verächtlicheres in meinen Augen, als das feige eigensüchtige Sichwegdrücken der »guten Kameraden«, die zu »stören« fürchten, wenn der Mensch mit allem Schauder der Welt, mit Tod und Teufel allein ist und jede Fliege, die an ihm vorüberschwirrt, mit den Blicken verfolgt, um nur nicht zu erliegen. Damals machte ich die Bekanntschaft dieser zarten Gemüter, die das Zerspringen des Brustkastens nicht zu riskieren wagen und zu Hause bleiben, obgleich sie Tür an Tür mit uns wohnen, in meiner eigenen Familie, und mußte denjenigen, der mir die bitteren Gänge zu Tischler und Totengräber abnahm und die Leiche mit mir zum Kirchhof begleitete, wegen »Versäumnis« mit barem Gelde entschädigen. Aber freilich, was hilft alle Teilnahme, die nicht unmittelbar durch Zerstreuung und Hinwegräumung des scheußlichen Nebenbei, das ein Todesfall mit sich zu führen pflegt, eingreifen kann? Aus diesem finstern Abgrund bringt keiner der unfreiwilligen Taucher etwas herauf, als, wenn es gut geht, sich selbst, und höchstens einen neuen Kommentar zu einem furchtbaren Wort in »Macbeth«: »Die Erde hat Blasen, wie das Wasser, und wir gehören dazu!« Ja wohl, ja wohl! Ich erhielt Ihren Brief gestern nachmittag, allerdings an einem sehr schönen Tage voll himmelblau und Sonnengold. Meine Frau fragte natürlich gleich, was Sie schrieben; ich sagte bloß: »Er kömmt nicht auf unsere Einladung!« und ging auf der Stelle fort. Erst heute morgen habe ich ihrs mitgeteilt, nun hat sie doch den ganzen Tag vor sich, um damit fertig zu werden. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie es sie erschüttert hat; es gibt wenig Seelen, in denen Freundes Leid und eigenes so zusammenfließen, wie in der ihrigen. Für mich gehört es in Gmunden zu den größten Freuden, den Fuß des Traunsteins zu besuchen; ich hatte mir es diesmal bis zu Ihrer Ankunft aufgespart und bin nun gestern allein gegangen. Dort, an der kolossalen Zeh, die der Riese in den See hinausschiebt, in tiefster Einsamkeit habe ich Ihren Brief noch einmal gelesen und bin bis Sonnenuntergang sitzen geblieben. Der einzige Gewinn, den man von so ungeheueren Erfahrungen hat, besteht darin, daß man es mit dem Bagatell des Lebens leichter nimmt und den alten Samuel Johnson begreift, der seinem Freunde Goldschmidt einmal zurief: »Teurer Sir, was schadet es einem Menschen, wenn man ihn Holofernes nennt!« Ob dieser Gewinn aber nicht auf einem Verlust beruht, ist eine andere Frage. Die Hand läßt fahren, um wieder zu ergreifen, aber das Herz schließt sich zu, und so kann gar wohl Schwäche sein, was Stärke scheint.

Daß Sie Ihre Frau Gemahlin sogleich fortgeschickt haben und ihr allernächstens folgen, ist sehr gut; es gibt kein besseres Mittel, sich der hohlen, fruchtlosen Selbstqual, der Sie sich beide nicht hingeben dürfen, nach und nach zu entziehen.

Meine Frau dankt Ihnen für Ihr Gedicht, daß ich ihr auch erst heute eingehändigt habe: es gehört zu Ihrem allerbesten, nur die zwei gleichen Reime im neunten Vers müssen Sie noch ändern. Auch die Grabschrift für Ihr Kind ist schmerzlich-schön und soweit religiös, als ich es mag, denn der Urgrund aller Religion, die ängstliche große Frage nach dem Woher und Wohin, die der flache Rationalismus auch tilgen möchte, wird der Mensch nimmer los, nur in etwas Positives, das wohl mehr als Poesie sein will, muß er sie nicht umsetzen ...

Tagebuch 8. Okt. 1862.

Eben rezitiert mein Töchterlein mir zu meiner großen Verwunderung mein Gedicht: »Drei Schwestern«; ich ahnte nicht, daß sie es auswendig weiß. Als sie an die Stelle kommt:

»Sie weiß noch kaum, daß sie ein Mädchen ist«

versteckt sie sich hinter ihrer Mutter und fängt herzlich zu lachen an. Ich dachte, sie fühle den Bezug auf sich selbst und verrate das naiverweise durch ihr Lachen: es war aber das Ergebnis einer noch größeren Naivität, sie fand den Vers doch gar zu dumm, denn »daß sie ein Mädchen sei, werde die jüngste doch wohl wissen« ...

18. Oktober 1862.

An Engländer

Glauben Sie mir, als den Hauptgewinn meines Londoner Aufenthalts betrachte ich die Erneuerung meines Verhältnisses mit Ihnen. Wenn menschliche Beziehungen sich von selbst auflösen, so ist nichts dagegen einzuwenden; die wenigstens sind für die Dauer ausreichend und ein Kotillon, bei dem es ziemlich gleichgültig ist, ob man mit einem Fräulein oder einem Leuchter tanzt, scheint mir das treffendste Symbol des sozialen Verkehrs. Etwas ganz anderes aber ist es, wenn ein wirklicher Goldfaden durch die Brutalität einer von außen herankommenden Schere zerschnitten wird; da ruht man nicht eher, bis er wieder angeknüpft ist, denn der Mensch ist auf die Notwendigkeit eingerichtet, nicht auf den Zufall. So stand es mit uns. Sie sind in London einsam; glauben Sie, daß ich es in Wien weniger bin? Ich kann Umgang haben, soviel ich will; Sie natürlich auch. Ich weiß es auch zu schätzen, daß ich mich über alles mögliche, wenn ich es gerade brauche, auf dem nächsten Wege unterrichten kann, indem die Wissenschaft mir mit allen ihren Häuptern zu Gebote steht. Aber, was kommt sonst dabei heraus? Ehemals hatte ich Schüler, die sich allabendlich bei mir sammelten; da gab es doch noch ästhetisches Gespräch, wenn ich die Kosten auch größtenteils allein zu tragen hatte. Sie haben sich beweibt und sind für mich so gut wie tot. Welch ein Gewinn wäre es für mich, wenn Sie, der Sie Freund und Familienhaupt zugleich sein können, wie ich, wieder nach Deutschland kämen! Aber freilich, wer gibt Ihnen hier Ihre 2000 Pfund! ...

Gleich nach meiner Zurückkunft besuchte ich Ihre Eltern. Ihre Mutter ist noch frisch und rüstig, kaum verändert, seit ich sie zuletzt sah; sie besucht noch mit Vergnügen das Theater. Ihr Vater aber, ich darf es Ihnen nicht verhehlen, ist sehr zusammengegangen; blöde Augen, eingefallener Mund. Nie sah ich eine solche Freude, wie bei ihm, als ich ihm von Ihnen und Ihrer Häuslichkeit erzählte; es soll Blumen geben, die ihre Reiche augenblicklich wieder öffnen, wenn man sie in welkem Zustande begießt, ich habe sie nie erblickt, aber ich glaube daran, seit ich Zeuge war, daß ein Mensch durch bloße Worte wieder auflebt und jung und gesund wird. Ich habe mich wohl gehütet, Hoffnungen zu erwecken, aber wenn Sie es möglich machen könnten, auf vier Wochen herüberzukommen, so würden Sie nicht bloß eine gute Tat verrichten, sondern vielleicht sogar, ich meine es im buchstäblichen Sinn, ein Wunder tun, denn was alle Ärzte und alle Heilquellen nicht vermögen, das werden Sie durch Ihren ersten Händedruck vollbringen ...

Tagebuch Nov. 1862.

Die Gegner des christlichen Prinzips, die es aus Gründen der Schönheit sind, wie Heinrich Heine, sollten sich doch fragen, ob denn die Welt der Resignation, der freudigen Entsagung, nicht ihre eigentümliche Schönheit habe, und ob sie diese auslöschen möchten.

Mit dem Erscheinen der »Nibelungen« im Buchhandel und auf verschiedenen Bühnen, die der Weimarer folgten, wuchs Hebbels Ruhm so sehr, daß sich sogar Laube entschließen mußte, die einst abgelehnten Teile aufzuführen. Das Vorspiel und »Siegfrieds Tod« wurde am 17. Februar gespielt, ohne daß Hebbel zugegen war. »vollständiger Erfolg; neunmal gerufen und nicht einmal gekommen. Gestern sah ich mir das Stück nun selbst an; Laube hatte mich mit Titi in seine Loge eingeladen, und ich saß sehr gut, ohne gesehen zu werden. Gesteckt voll, große Aufmerksamkeit, nicht einmal Gelächter bei der Nachahmung der Vögelstimmen. Ich wurde wieder fünfmal gerufen; der alte Anschütz dankte und zeigte mir, wie ich mich in fünfundzwanzig Jahren präsentieren werde, wenn sie mir noch beschieden sind. Ich wurde den ganzen Abend den Gedanken nicht los, daß der Schöpfer eines solchen Gedichts bis auf den Namen vergessen werden konnte. Das geht mir über den Untergang Babylons und Ninives. Heute gratulierten mir zu dem Erfolg zwei Damen, deren Namen ich schon oft las, als ich mich noch in Wesselburen befand, nämlich Charlotte von Hagn (die Schauspielerin), die zu der Vorstellung ausdrücklich von München herübergekommen ist, und Fanny Elsler (die berühmte Tänzerin). Wer mir damals, als meine Werke in Lizitations- und Distributionsprotokollen bestanden, so etwas vorausgesagt hätte, wenn ich Sonntags morgens aus dem Hamburger »Freischütz« ersah, wie viele Kränze man beiden die Wochen zuvor in den verschiedenen Städten Deutschlands geworfen hatte! Märchenhaft; man schläft ein auf Stroh und erwacht in einem Palast.«

Tagebuch 25. März 1863.

Über meinen Geburtstag bin ich wie im Traume weggekommen; ich war krank. Das ist denn so übel nicht; ich war ohnehin entschlossen, ihn nicht zu feiern. Nun sind die Fünfzig überschritten, und ich denke, man treibts fort wie bisher. Doch ist mir an diesem Tage soviel Herzliches und Freundliches zuteil geworden, daß es undankbar von mir wäre, wenn ich nicht eine kleine Um- und Rückschau hielte. Moritz Kolbenheyer in Ödenburg schickte mir zwölf Flaschen Ungarwein; ich habe ihn noch nicht gekostet, aber ich habe gesehen, mit welcher Andacht ihn andere tranken. Die Großherzogin von Sachsen-Weimar verehrte mir einen kostbaren silbernen Pokal; dafür bin ich Marshall den Dank schuldig. Marshall schrieb mir zugleich, der Großherzog habe mich zu seinem Hofbibliothekar ernannt, ohne Besoldung natürlich, wie ohne Verpflichtung; doch ist das Patent nicht eingetroffen. L. A. Frankl schenkte mir die Canovasche Gruppe, wie Theseus den Zentauren erlegt, und fügte in Anspielung auf den Erfolg der Nibelungen sinnig bei, sie sei ein Symbol meines Doppelsiegs: der Kunst und des gebändigten Widerstandes; möge es ein prophetisches Wort gewesen sein! A. Stern aus Chemnitz stellte sich mit einem Sonett ein, Laroche brachte mir einen Toast der grünen Insel Wiener Künstlergesellschaft., von Konstantin Wurzbach gedichtet und am Abend zuvor gesprochen, Eitelberger gratulierte mir in ein paar herzlichen Worten, Tampe telegraphierte aus Hamburg, und das vierjährige Töchterchen von Littrow brachte mir einen Blumenstrauß und eine Malerei der Schwester vor mein Bett. Auch Adolf Strodtmann ließ sich vernehmen, meinte jedoch seltsamerweise, ich würde wohl nicht mit Jubel, sondern mit Wehmut auf das abgelaufene halbe Jahrhundert zurückschauen, und hielt mir eine förmliche Parentation, wie einem Lebendigbegrabenen. Das Schönste aber kam von Glasers; zwei Aquarellgemälde, die mir die ferne Vergangenheit unmittelbar vor die Augen und die Seele rückten, nämlich das Bild der Wesselburner Kirche und des Kirchspielvogt Mohrschen Hauses. Diese zarte Aufmerksamkeit hat mich tief gerührt! Das war kein flüchtiger, momentaner Einfall, den man ausführt, weil der Laden, an dem man zufällig vorbeigeht, Gelegenheit dazu bietet; das war ein Gedanke, der durch eine lange Kette von Händen laufen mußte, bevor er verkörpert werden konnte. An die Kosten freilich mag ich nicht denken!

8. April 1863.

An Campe

... Der Großherzog von Sachsen-Weimar hat mich zu seinem Hofbibliothekar gemacht; ohne Verpflichtung und auch ohne Besoldung, aber es nützt mir hier. Sie waren so freundlich, mir einen Glückwunsch telegraphieren zu lassen; lebhaft erinnerte ich mich, als ich das Blatt in Händen hielt, des Moments, wo ich vor fast dreißig Jahren zum erstenmal als guter, dummer Junge in Ihren Laden trat.

Tagebuch 26. Mai 1863.

Unser siebzehnter Hochzeitstag! Wir waren nachmittags in Schönbrunn; allein, Vater, Mutter und Kind, und ich wollte, wir wären es immer gewesen. Die praktischen Nationen, die Italiener, Franzosen und Engländer, die sich fest in ihrem Familienkreis abschließen und kein fremdes Element zulassen, folgen einem sehr richtigen Instinkt. Was hab ich davon, daß ich mich zehn Jahre lang mit sogenannten Freunden schleppte und jeden Abend um acht Uhr ängstlich zu Hause eilte, um ja für sie daheim zu sein! Viele kostbare Stunden habe ich geopfert, den Meinigen oder meinen Arbeiten entzogen, und mein Gewinn besteht darin, daß ich mich nicht umsehen darf. Denn, wie hell auch das Licht in der Vergangenheit brennen mag, überall fällt mein Blick zuerst auf diese Larven, die es umtanzen, und das erfüllt mich mit einem solchen Schauder, daß ich selbst von der schönen Sternenkette der Weihnachtsabende mein Auge abwenden muß.

28. Mai 1863.

An Campe

Wundern Sie sich nicht, daß ich Ihren ebenso freundschaftlichen, als wichtigen Brief nicht sogleich beantwortet habe. Er traf bei mir ein, als ich wieder an einem argen Rückfall in mein vermaledeites Übel daniederlag. Ist es Rheumatismus? Sind es versteckte Hämorrhoiden? Ist es ein Teufel, der gar keinen Namen hat? Ich weiß es nicht, und die Ärzte scheinen es auch nicht zu wissen. Aber kaum fühle ich mich acht Tage wieder wohl in meiner Haut, so braucht nur ein Schmetterling an mir vorbeizufliegen, und ich habe eine neue Erkältung davongetragen und falle um ...

Gmunden 22. Juni 1863.

An Christine

Regen, Regen, rull – Regen, Regen, strull!

sang meine Mutter in Dithmarschen, wenn sie mich und meinen Bruder bei schlechtem Wetter im Sommer als kleine Jungen aus dem Fenster gucken ließ. Sie könnte heute wieder so singen, denn es gießt und es scheint nicht aufhören zu wollen. An ein Bad ist nicht zu denken, so ungern ich darauf verzichte. Das gestrige, obgleich dem Unwetter nur mühsam abgerungen, ist mir sehr wohl bekommen; ich spürte zwar keine Abnahme meines Übels, aber ich erfreute mich eines gewissen allgemeinen Gehobenseins aller Lebenskräfte, die sich auch darin betätigten, daß ich mit größerem Appetit, wie sonst, zu Nacht aß. Das überraschte mich einigermaßen, denn es stürmte und regnete, als ich aus dem Bade zu Hause ging, und ich schützte mich nur dadurch gegen das Ärgste, daß ich meinen roten Schal, unbekümmert um den Hut, über den Kopf nahm und wie ein vom Erntefeld entlaufener, zur Abschreckung der Vögel aufgestellt gewesener Popanz mit Riesenschritten durch die Sonntagsmenge stapfte. Die Kinder spotteten hinter mir her, die jungen Mädchen kicherten und Titi wäre, wenn sie das Unglück gehabt hätte, mir zu begegnen, gewiß auf die andere Seite gegangen und hätte mich verleugnet, wie Petrus seinen Herrn und Heiland ...

Tagebuch 23. Juni 1863.

Einen allerliebsten Brief von Titi; acht Seiten lang. Seltsames Gefühl, eigentümliche, den eigenen zum Teil widersprechende Gedanken und Empfindungen von einem Wesen entgegenzunehmen, das ohne einen nicht da wäre. Sie richtet mir Grüße nach der »Jelänger-Jelieberliste« aus, nämlich von der Mama, von Schatzi, Schelmi, Pintschi, Drossi und Zeisi. Da ist auch wirklich so ziemlich alles aufgezählt, was ich mit Liebe und Vertrauen zugleich umfasse. Alle übrigen Verhältnisse sind mehr oder weniger konventioneller Natur und werden durch den Strick von Sand aus dem Kindermärchen zusammengehalten, den man bekanntlich nicht anrühren darf und auch vor dem Luftzug in acht nehmen muß.

27. Juni 1863.

An Christine

... Übrigens haben die heißen Tage mir wohl getan. fange an, die wohltätigen Folgen der Bäder zu spüren. Von dem Rippenschmerz an der linken Seite ist nur noch ein kleiner Rest da; ich muß lange herumdrücken, bis ich die Stelle finde. Aber die Wirbelsäule und der schwere Kopf! Ich bin überzeugt, dies Übel hängt mit dem früheren gar nicht zusammen. Allein ich halte es für hämorrhoidalisch, also nicht für gefährlich.

In der Jugend darf man sagen: heut ist es schön, aber morgen ist es schöner und übermorgen wird es zum Entzücken sein! Dort steht ein Veilchen, doch wer wird sich beim Pflücken aufhalten, denn schon blinzelt das Maiblümchen aus der Knospe hervor, und was ist nun wieder das gegen Lilie und Rose! Im Alter muß man denken: dieser Tag ist traurig, aber ich will ja nicht murren, denn der morgende wird noch trauriger sein und der letzte ist der traurigste von allen! Es ist das allgemeine Menschenlos und nur ein Narr wird sich beklagen ...

8. Juli 1863.

An Dr. med. Benedikt Schulz in Wien

Lieber Freund! Über drei Wochen bin ich jetzt in Gmunden und sechzehn Solebäder habe ich genommen. Mein äußeres Aussehen wird allgemein vortrefflich gefunden, aber mein Übel ist noch immer da, wenn auch bis auf einen kleinen Rest gedämpft, wie es in Wien auch schon einmal war ...

Hier ist alles, lieber Schulz, was ich Ihnen sagen kann, es mag ein miserables Krankheitsbild sein. Aber es hilft dem Laien nicht viel, daß er im Burdach geblättert hat; er weiß sich, wenn es zum Treffen kommt, nicht deutlicher zu machen, wie die Kalenderfrau. Aber soviel werden Sie hoffentlich daraus ersehen, ob der Prozeß seinen richtigen Gang geht, oder ob eingegriffen werden muß.

P.S. Husten, Räuspern und Niesen schneiden mich in den Rücken, wie polnische Sensenhiebe. Ich kann mich nicht bücken, mich noch viel weniger waschen. In der Nacht ist mir jedes Lager zu hart, bei Tage nicht. Das Atmen hat keinen Anstand, doch fühle ich sowohl hinten, zwischen den Schultern, wie vorn eine geringe Beklemmung. Sind das die Abschiedszeichen? Die des Rheumatismus, mein ich? Man drückt sich die Hand ja etwas derber, wenn man auseinandergeht.

6. Aug. 1863.

An Professor Ernst Brücke in Wien

... Unsere Altvordern wußten wohl, was sie taten, wenn sie das Licht zur rechten Zeit ausbliesen, und der moderne Mensch, dem Odins Schwert zu hoch hängt, sollte sich wenigstens an demselben Tage, wo er sein erstes Testament macht, mit einem Fläschchen Blausäure versehen, um das letzte Mittel, das der Arzt nun einmal im christlichen Staat nicht verordnen darf, für alle Fälle bei der Hand zu haben. Oder ist der Kerl immer so jämmerlich illusionsfähig, wie in der Schwindsucht, die ihn noch den letzten Hauch auf Baupläne und Reiseprojekte verwenden läßt? Das wissen Sie besser, wie ich, und dann ists freilich überflüssig, denn dann wird es beständig heißen: morgen, morgen, nur nicht heute! ...

Baden bei Wien 5. Sept. 1863.

An Christine

Heute morgen habe ich nun das zweite Bad genommen. In meinem Zustand fühle ich keine Veränderung, doch ist das natürlich auch nicht zu erwarten. Während ich schreibe, spüre ich, daß meine Hände nach Schwefel riechen, so fest setzt er sich in die Poren; da wird er doch auch wohl seine Schuldigkeit tun. Übrigens geht der Tag bei schönem Wetter herum; nur die Nächte sind schlecht und lang. Gestern abend war ich bis neun Uhr im Park, um die letzte diesjährige Musik mit zu genießen. Schilt mich nicht der Unvorsichtigkeit, das ganze Invalidenkorps war vertreten, die Krückengänger und Rollstuhlinsassen nicht ausgeschlossen, und ich richtete mich nach den andern. Im Bade repräsentiere ich noch immer – die Jugend; was sich außer mir einfindet, ist uralt. Wenn diese Greise so bis an den Hals im Wasser sitzen, glaube ich Köpfe zu sehen, die aus Bildern von Rembrandt herausgeschnitten sind. Die Weiber erinnern, besonders, wenn sie herumgehen, an die Hexen im Macbeth, und ein bucklichtes kleines Mädchen mit einem superklugen Gesicht, das von einer Magd geschleppt und geschaukelt wird, ist als Gnom daruntergemischt. Von oben blickt eine Madonna, mit frischen Spätlingsrosen bekränzt, auf das Quallen und Sprudeln der Gewässer und den wüsten Tanz der Gichtbrüchigen herab.

6. Sept. 1863.

Um sieben Uhr ging ich ins Bad; bei meiner Zurückkunft fand ich Dein liebes Briefchen vor. Dank Dir für das schöne Sonntagsgeschenk!

Von einer Verschlimmerung meines Zustandes ist nicht die Rede; im Gegenteil, es geht langsam, langsam vorwärts. Auch bin ich im Grünen Baum ganz gut ausgehoben; ein Essen will ich Dir vorsetzen, wie Dus in Wien nicht bekommst, nur das Bett ist mir, bei der jetzigen Empfindlichkeit meines Körpers, zu hart und mein Schlaf darum schlecht.

Auch gestern war ich, trotz des Orkans, der die Akazien in dem Gärtchen vor meinem Fenster knickte, viel im Freien; wohl sechs Stunden lang. Glaube nicht, daß ich mich dazu zwinge, das Gehen und Steigen kostet mir keine Anstrengung, nur das Liegen macht mir Mühe, so komisch das klingt ...

Dieses Leiden – Knochenerweichung, wozu später Lungenentzündung trat –, das sich schon seit langen Jahren in dem bei größten Entbehrungen durch geistige und seelische Arbeit überanstrengten Organismus vorbereitet hatte und dessen wahre Natur man erst jetzt erkannte, zwang den nach Wien zurückgekehrten Dichter aufs Kranken- und Sterbelager. Über die letzten Tage und das Ende berichtet Rudolf Waldeck in seiner Ergänzung der unvollendeten Kuhschen Biographie: Am 10. November erhielt er die Nachricht, daß ihm für seine Nibelungen der Berliner Schillerpreis zuerkannt worden war. Er empfing sie lächelnd: »Das ist Menschenlos,« sagte er, »bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher«. Die mannigfaltigen Beweise der Teilnahme, die sich an seinem Krankenlager häuften, wirkten auf ihn mit der Kraft glücklicher Ereignisse. Ein solches war ihm auch der Besuch, den ihm Emil Kuh in den letzten Tagen machte. Hebbel hatte seiner kurz zuvor im Gespräche mit Julius Glaser voll Anteil und trauriger Teilnahme gedacht und betont, wie sehr er zwischen ihm und anderen zu unterscheiden wisse. Jetzt empfing er ihn, als ob nicht vier Jahre der Entfremdung zwischen ihnen lägen. Mit der feinen weißen Hand winkte er ihn freundlich zu sich. Mühselig Atem schöpfend, erzählte er ihm den Verlauf seiner Krankheit und sprach dann über literarische und politische Gegenstände. Auf das innigste schieden sie. – Einige Tage später fühlte Hebbel sich auffallend wohler und faßte neue Lebenshoffnung. »O Gott!« rief er, »wie gerne lebe ich! Ich bin ja so ganz zufrieden.« Dann setzte er hinzu: »Niemand ist schläfrig zum Todesschlaf; jeder hat noch Lust, ein Stündchen aufzubleiben.« Er machte Pläne für die Zukunft, sprach von der Gesamtausgabe seiner Werke, von einer Badereise, die er im künftigen Sommer antreten werde, und sein Auge strahlte heller, wenn er sich den 18. März 1864 vergegenwärtigte, seinen Geburtstag, an welchem er zum ersten Male auszugehen hoffe, um seiner Frau, wie alljährlich, die ersten Veilchen zu holen. Zu Doktor Schulz sagte er: »Warum soll ich die erhebende Anerkennung Ihres freundschaftlich geleisteten Beistandes, der sogar die Krankenwärterdienste in sich schloß, nicht aussprechen? Ihnen, lieber Freund, setze ich ein Denkmal, aber kein metallenes, ein papierenes!« und drückte dem Arzte die Hand. Als dieser ihn, den Unrettbaren, fragte, ob er nicht Lust hätte, ein Gläschen Wein zu nehmen, fragte Hebbel, zufrieden lächelnd: »Darf ich das?« und dankte am andern Morgen innig für die Fürsorge, welche seinen sehnlichen Wunsch, den er nicht auszusprechen wagte, erraten hatte. – Diese letzte Täuschung verschwand bald, und rasch mehrten sich die Vorboten des Todes. Auch Hebbel wurde es inne. Am 12. Dezember fühlte er sich sehr schwach. Nachmittags bat er seine Frau, ihm etwas vorzulesen. Auf ihre Frage, ob er etwas von Goethe hören wolle, antwortete er: »Nichts von Goethe, etwas von Schiller!« Die nur mühsam ihre Fassung behaltende Frau meinte, er werde die Stimme seiner Tochter gern vernehmen, und so las diese dem sterbenden Vater den »Spaziergang« vor, eines seiner Lieblingsgedichte. Er war nicht mehr fähig, es bis zum Schlusse anzuhören. Gegen Abend fragte er seinen Freund Professor Brücke: ob sein Ende herannahe. Brücke antwortete: es sei schwer, ihm darauf eine bestimmte Antwort zu geben; wenn er aber Dispositionen zu treffen habe, so möge er es tun. Hebbel besprach sich hierauf mit den Seinigen, machte einige Anordnungen und lag dann, von der Anstrengung erschöpft, schwer atmend und schweigsam da. Er schlummerte viel, war aber stets, wenn er erwachte, bei vollkommen klarem Bewußtsein. Regelmäßig begehrte er zur bestimmten Zeit die ihm verordnete Arznei. Um elf Uhr nachts fragte er den Doktor Schulz, der noch einmal gekommen war: »Wann wird mir besser werden?« »Morgen!« antwortete Schulz. »Also morgen«, sprach Hebbel und sah ihn lange an. Um Mitternacht entfernte sich Schulz. Dann bewog Professor Brücke Hebbels Frau und Tochter, die schon einen großen Teil der vorigen Nacht wachend zugebracht hatten, sich in ein anstoßendes Zimmer zurückzuziehen; Brücke blieb am Krankenbette. Bald darauf erwachte Hebbel; Brücke reichte ihm die Arznei; Hebbel schüttelte ihm die Hand, ohne zu sprechen und schloß die Augen wieder. Einige Stunden später bemerkte Brücke an einer Veränderung in den Atembewegungen, daß Hebbels Ende unmittelbar bevorstehe. Er klopfte an die Tür des Nebenzimmers, Frau und Tochter traten herein, aber Hebbel erwachte nicht mehr zum Bewußtsein. Nach wenigen unregelmäßigen Atemzügen hatte er aufgehört zu leben. Es war fünf Uhr vierzig Minuten morgens, am 13. Dezember 1863. Während der ganzen Nacht tobte ein furchtbarer Orkan über die Stadt hin. – Hebbel hatte schon im Mai 1856 sein Testament gemacht. Es lautet in seinem ersten Teil wie folgt: »Der Tod ist gewiß, die Stunde aber ungewiß, sagt ein schöner alter Spruch. Ich habe mich daher, obgleich ich mich voller Gesundheit und des Gebrauchs aller meiner Kräfte erfreue, am heutigen Tage entschlossen, mein Haus zu bestellen und meinen letzten Willen zu Papier zu bringen. – Was zunächst mich selbst betrifft, so wünsche ich, auf die möglichst einfachste Weise zur Erde bestattet zu werden. Meinen teueren Hinterbliebenen überlasse ich mit Ruhe die Sorge, mich gegen die Gefahren sicherzustellen, die sich an den Scheintod knüpfen. Am liebsten wäre es mir, wenn mein Leichnam den Flammen übergeben würde, wie es bei den Alten geschah; denn von Jugend auf habe ich vor dem Wurm geschaudert, und mein Wunsch steht mit dem Grundprinzip der christlichen Religion in keinem Widerspruch. Kann dies jedoch nicht geschehen, ohne den stillsten Akt zu einem lauten zu machen, so muß es davon sein Abkommen haben. Nur in jedem Fall keine Todesanzeige, keine Trauerzettel, kein Leichengefolge und keine Rede am Sarge. – Zur Universalerbin meines ganzen Nachlasses, bestehe er nun in liegenden Gründen und in barem Vermögen oder in literarischen Werken und daher entspringenden Rechten und Forderungen, setze ich meine teure Gattin Christine, geborene Engehausen ein. Es ist dies nur ein kleiner Dank für ihre große Liebe, denn unendlich bin ich ihr verschuldet, und ich sage nicht zuviel, wenn ich die Überzeugung ausspreche, daß ich ohne sie längst Staub und Asche sein würde ...« –


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