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Neapel

Mitte Juni bis Mitte Oktober 1845

Nachdem sich Hebbel beim König von Dänemark vergeblich um Verlängerung seines Reisestipendiums bemüht und nur das Geld für die Rückreise bewilligt bekommen hatte, ermöglichte ihm Gurlitt, der ihn schon einmal unterstützt hatte, durch eine auf die zarteste und vornehmste Weise geliehene Summe noch eine Reise nach Neapel, die er in Begleitung Kolbenheiers antrat. Der mehrmonatige Aufenthalt in Neapel ließ den von der Furcht um das Erlöschen seiner Produktionskraft geplagten Dichter wenigstens den ersten Akt seines Fragment gebliebenen »Moloch« finden, der freilich beweist, mit welch finsteren Gewalten er in Italien innerlich zu ringen hatte, mit Gewalten, zu denen die elementare, urweltliche Arbeit des Vesuvs besser stimmte, als die glanzvolle Schönheit des Golfes. In Neapel trat ihm der junge Hermann Hettner näher, der sich später als Literarhistoriker auszeichnete.

Mitte Oktober kehrte Hebbel nach Rom zurück, wo er noch zehn Tage blieb und sich, von Gurlitt abermals mit Geld versehen, zur Heimreise nach Deutschland rüstete.

10. Juli 1845

An Gurlitt in Rom

Neapel, abgesehen von seiner Umgebung, macht ganz den Eindruck von Paris, nur daß sich hier der Kontrast zwischen Glanz und Elend noch viel schneidender aufdrängt, wie dort, wo der Jammer in seine Ecke verwiesen ist, während er hier dem Glück nachschleicht, wie dem Licht der Schatten. Für mich ist der Aufenthalt in großen vielbewegten Städten, wo die Menge durch Massen für ihre Miserabilität im einzelnen entschädigt, ein Bedürfnis, deshalb bin ich in Neapel trotz der gründlichen Niederträchtigkeit des Volksschlags recht gern. Aber zu einer Arbeit komme ich hier nicht; auch war es töricht von mir, dies zu erwarten. Mich vernichtete schon der deutsche Sommer; wie sollte ich dem italienischen Widerstand leisten! Ich bringe, wie das Jahr, nur im Herbst Früchte.

... Ich blieb acht Tage in der Strada Lucia, die Aussicht auf den Golf und den des Abends flammenwälzenden Vesuvs war doch zu schön, um eines höchst unerheblichen Ersparnisses wegen gleich wieder darauf zu verzichten. Jetzt wohne ich in einer Nebengasse des Toledo, wo ich ein leidlich kühles Zimmer um erträglichen Preis gefunden habe. Götzlof gab mir die Adresse; es ist in der Locanda la bella Venezia. Vor mir, über mir, unter mir, neben mir, wohnen hübsche Mädchen, die des Abends alle nach und nach auf den Balkonen erscheinen. In einen schöneren Ring ist nie ein Junggesell gefaßt worden.

... Früher, als ich die Richtung meines Geistes und die Sphäre meiner Tätigkeit noch nicht kannte, war mir mein eigener Umgang genug, ich hatte die Friktion, die zu jedem Lebensprozeß notwendig ist, wenn er nicht ins Stocken geraten soll, in mir selbst. Jetzt bedarf ich der Berührung mit Menschen, auf die ich wirke, in denen ich meine Ideen Fleisch und Blut werden sehe ...

Tagebuch Juli 1845.

Heiraten sollen, ohne zu lieben: Dummheiten auf vernünftige Weise begehen sollen.

22. Juli 1845.

An Elise

... Sonnabend, den 19., bestieg ich den Vesuv, von zwei jungen Doktoren Der eine war Hettner., einem Schlesier und einem Dänen, die mich hier besucht haben, begleitet; ich hatte es bis dahin aufgeschoben, weil ich bei meiner Ankunft nicht dazu gekommen war und später den Vollmond abwarten wollte. Solche Partien kosten immer Geld und nicht wenig, weshalb man sie nicht so oft machen kann, als derjenige, der nicht selbst hier gewesen ist, sich denkt, denn alle interessante Punkte sind von Neapel zu weit entfernt, als daß man sie zu Fuß erreichen könnte. Wir fuhren nachmittags um 3 Uhr mit der Eisenbahn nach Portici oder vielmehr Resina, welches die Fortsetzung von Portici bildet und über dem eben aus diesem Grunde nicht völlig aufzugrabenden Herkulanum liegt. Hier nahmen wir Führer und Esel und machten uns auf den Weg. Der Däne, ein kleines, spindeldürres Kerlchen mit breitkrämpigem Hut, sah aus, als ob er noch nie ein Pferd bestiegen hätte; um ihn zu vexieren, ritten wir, obgleich es beständig in die Höhe und über Stock und Stein ging, im rasendsten Galopp; die Führer hingen sich mit der einen Hand an den Schwanz des Esels und peitschten ihn mit der anderen. Bald holten wir ein paar Engländer, die voraus waren, wieder ein und machten nun also eine Kavalkade von fünf Personen aus. Es geht lange zwischen Weinbergen fort, denn der Vesuv hat eine gewaltige Unterlage und erhebt sich nur sehr allmählich; dann kommt man in die Region der ältesten Lava und wird vom Führer auf die Spuren des ersten Ausbruchs von 79, bei dem Herkulanum und Pompeji den Untergang fanden, aufmerksam gemacht. Hier ist es mit der Vegetation vorbei; eine schwarze Wüste, frischgepflügtem Lande nicht unähnlich, aber nur in der Farbe und den Wellenlinien, dehnt sich vor dem Auge aus, und der eigentliche Bergkegel, von dem Hintergrund des Horizonts abgelöst, tritt schauerlich und nackt in öder Selbständigkeit hervor. Es war kein ganz heller Tag, Wolken standen am Himmel; der Schatten, den eine derselben warf, kroch unheimlich auf seinem Nacken herum. Von Zeit zu Zeit kehrten wir uns um und erquickten uns an dem Anblick des Meers, dessen köstliche Bläue seltsam mit unserer Umgebung kontrastierte. Bei der sogenannten Eremitage machten wir Halt, traten jedoch nicht ein, da die ungeheuren Preise, die von diesen frommen Vätern für die schlechteste Bewirtung gefordert werden, selbst die Engländer abschreckten. Nun ging es noch eine kurze Strecke zu Esel weiter; dann befanden wir uns am Fuß des Kegels und mußten unsre eigenen Kräfte versuchen. Er ist streckenweise mit Steinen, die, von der Größe abgesehen, den Schmiedeschlacken gleichen, und mit Asche, die jedoch sehr grobkörnig ist, überdeckt, und zwar so, daß man, je nachdem man will, völlig in der Asche hinaufwaten oder auf den Steinen hinaufklettern kann. Wir zogen das Letztere vor; fünf Lazzaroni sprangen voraus und schleppten uns an Stricken, die sie über die Schultern schlugen, nach, was die Mühe bedeutend erleichterte. Wir waren sehr bald, etwa in einer guten halben Stunde, oben; die Beschwerlichkeiten waren nicht so groß, als sie uns geschildert worden waren, dennoch fühlte ich die Lungenstiche wieder, die seit meiner Krankheit von 1839 bei jeder etwas stärkeren Anstrengung zurückkehren. Nun galt es zunächst einen Kampf mit den Lazzaroni. Wir hatten in der Eile das Bedingen ihres Lohns vergessen und nun verlangten sie nach echt neapolitanischer Weise das Hundertfache dessen, womit sie sonst zufrieden gewesen wären. Natürlich erreichten sie nicht ihren Zweck, aber man mußte sich doch erst mit ihnen abzanken, und das ist in solchen Momenten nicht viel besser, als ob man, im Begriff, das Abendmahl zu nehmen, mit dem Priester erst über die Taxe handeln müßte. Zwar war das Bild, das uns oben entgegentrat, zu gewaltig, als daß der Eindruck hätte gestört und verringert werden können. Wir hatten ein vulkanisches Meer vor uns, zusammengeflossen aus den noch zu unterscheidenden einzelnen Strömen von Lava, wie sie im Lauf der Jahrhunderte aus dem geheimnisvollen Schoß des Bergs hervorgebrochen sind. In der Mitte, ziemlich steil, erhebt sich der kleinere Kegel mit dem gegenwärtigen Krater, aus dem, wie man es schon von unten bemerkt, in regelmäßigen Pausen nicht Flammen, sondern glühende Steine von zuweilen sehr beträchtlicher Größe herauffahren; dabei vernimmt man ein Geräusch, das aus einem dumpfen Kollern und einem heulenden Gezisch zusammengesetzt und zum Teil ein unterirdisches ist, und ein roter Lavastrom, einem kochenden Brei ähnlich, wälzt sich langsam vorwärts, diesmal nicht breiter, wie ein mäßiger Fußsteig, bei einer Eruption aber die ganze Fläche, auf der wir standen, überdeckend und alles Lebendige vor sich herjagend. Wir näherten uns dem Kegel, so weit wir konnten und hielten an, als die Hitze zu groß wurde; an ein Besteigen und Besichtigen des Kraters war nicht zu denken, es ist nur zu einer Zeit möglich, wo der Berg nur kleine Steine auswirft, und auch dann nur, wenn der Wind, der fast ruhte, sehr scharf von einer bestimmten Seite herweht und den Auswurf, nebst der alles einhüllenden Rauchwolke abtreibt. Ich konnte mich anfangs, solange es noch Tag war, von der Gefährlichkeit des Unternehmens nicht überzeugen und bestand darauf, es auszuführen; aber ich fand nicht allein keinen Begleiter, sondern der mit uns gekommene Schutzsoldat schien sich mir sogar widersetzen zu wollen, und als später die Nacht einbrach und ich die Größe der niederfallenden Steine und die Regellosigkeit, womit der Berg sie verstreute, deutlicher bemerken konnte, mußte ich allerdings einräumen, daß ich die Vernunft nicht auf meiner Seite gehabt hatte, denn es wäre an kein Ausweichen zu denken gewesen, und wenn ein dreißig- oder fünfzigpfündiger Stein und ein menschlicher Schädel zusammenstoßen, pflegt der Stein eine geringere Wunde davonzutragen, als der Schädel. Goethe war oben, aber gewiß an einem ruhigeren Tage. Einen grauenhaften Anblick gewährten die erstarrten Lavaströme, die den Kegel, sich durcheinanderwindend, umringen; sie sehen aus, wie Schlangen, Krokodile, Sphinxe, und nicht etwa bloß für die Phantasie, sondern für das Auge; es ist, als ob die fabelhaften Ungeheuer, womit der Kindertraum der Menschheit das Chaos bevölkerte, hier lebendig geworden wären. Ich sagte schon oben, daß der Tag nicht ganz hell und deshalb die Aussicht beschränkt war; aber ich konnte das nicht bedauern, das schreckliche Bild ging um so besser zur Totalität zusammen, Wolken und Nebel legten sich als Rahmen herum und schnitten es ab von der übrigen Welt. Die Sonne paßt nicht zu einem feuerspeienden Berg, die Hölle muß sich selbst beleuchten; erst nach ihrem Untergang schloß sich der Eindruck in seiner ganzen Eigentümlichkeit ab. Man kann jedoch für andere so wenig sehen, als Wein trinken, oder was weißt Du mehr, als Du jetzt schon weißt, wenn ich sage, daß der Berg mächtiger zu arbeiten anzufangen schien, daß die Steine, die er um sich herumsäte, röter glühten, daß das donnerähnliche Gekoller unter der Erde und das zischende Geheul sich verstärkte? Nachher ging der Mond auf und brachte durch sein mildes, unschuldiges Licht einige Versöhnung in die düstre Szene, die ein ergreifendes Vorspiel jenes letzten Zeitmoments abgab, wo die Erde sein wird, wie dieser Berg, kahl und öde, und den Elementen zur völligen Zerstörung überantwortet ...

... Die Bildungen der Natur, die sich in Rom bis zu ewigen Formen erheben, sinken hier schon wieder zum Lieblichen herab, und dabei bin ich weit mehr beteiligt, denn die Schönheit wird mir in Kunst und Leben immer mehr Bedürfnis. Dennoch sieht man auch in Neapel noch Gestalten und Züge, vor denen man mit Golo In »Genoveva«. ausrufen möchte: o, sei gewiß, die bildende Natur hat sich bisher im Schaffen nur versucht und so weiter. So wohnt ein Mädchen neben mir an, das ich nicht sehen kann, ohne mich glücklich zu fühlen. Gerade in diesem Augenblick steht sie unter ihren Blumen auf dem Balkon; quanto e bella, quanto e carina! Verzeih dies, Elise; ich flechte zuweilen ein paar italienische Worte ein, weil ich denke, daß sie mir, wenn ich einmal diese Briefe lese, eine angenehme Erinnerung sein werden ...

25. Juli.

... Meine Lebensweise ist denn jetzt die vernünftigste, die ein Baron führen kann. Ich esse, trinke, amüsiere mich und schlafe. Nichts ist übel dabei, als daß ich kein Baron bin. Aber merkwürdig genug, nun alles zu Ende geht, fängt das Sparen mich zu langweilen an, und ich gebe mehr aus, wie früher. Wie es mit meiner Gesundheit steht, mag Gott wissen. Der Knoten, den ich in der Seite hatte, sitzt noch immer da; er geniert mich jetzt nicht, was er später tun wird, muß die Zukunft lehren. Ich nehme hier die Woche mehrere Male Seebäder; eins kostet aber fast soviel, als das Diner. Was ich in Deutschland schon immer sagte, weil ich es fühlte, das weiß ich jetzt gewiß: es haben sich in meinem Körper so viele Übel gesammelt, daß nur eine ernste und lange Kur unter Leitung eines bedeutenden Arztes mich wieder davon befreien könnte. Dazu ist kein Geld vorhanden und die Folgen werden schrecklich sein. Schon jetzt spüre ich sie in der fürchterlichsten Abspannung, womit ich fortwährend zu kämpfen habe; ich würde ganz anders arbeiten können, wenn ich gesund wäre. Halte dies nicht für Einbildung, ich weiß, was ich sage, wie ich es früher wußte ...

... Die eigentliche Frucht meiner Reise ist die, daß ich nicht mehr leben kann, wenn ich nicht reise. Mich in eine Eck hinzuhocken, Familienpapa zu werden und mich daran zu ergötzen, wie der Junge wächst, wird mir ewig unmöglich sein. Ich werde in Deutschland versuchen, ob sich nicht Verhältnisse anknüpfen lassen, die mir die Existenz im Auslande durch literarische Arbeiten sichern und dann wieder nach Paris oder Italien gehen. Es ist möglich, daß mir dies nicht gelingt, obgleich ich nach den Wirkungen meiner bisherigen Werke, wie sie mir selbst hier sichtbar werden, nicht zweifeln sollte. Dann werde ich mich aber auch immer unglücklich fühlen. Für Dich und das Kind werde ich tun, was in meinen Kräften steht. Das bedarf keiner Worte, das ist heilige Pflicht ...

... Wenn Du mir zuweilen von »Durchkommen« schreibst, überschleicht mich ein unsäglich peinliches Gefühl. Nein, damit bin ich jetzt nicht mehr zufrieden. Lieber den Tod, als ein so enges Dasein, wo man von Tag zu Tag, wie die Raupe von Blatt zu Blatt hinüberkriecht und selig ist, wenn man sich satt fühlt. Es mag sein, daß der Mensch sündigt, sobald er mehr verlangt, aber mit dem Dichter sind diese Sünden geboren und was sollte ein Tragödienschreiber denn anderes sein, als ein Tragödienheld? Der Widerspruch zwischen meinen kümmerlichen äußeren Verhältnissen und meinem genuß- und tatendürstigen Innern wird immer schneidender: aber ich hoffe viel von meiner späteren Zukunft, vorausgesetzt, daß ich nicht einen Schritt tue, der entschieden das Glück verscheucht, und bin nur besorgt für die nächste ...

12. Juli 1845.

Das Venerabile in der Nacht

Ein Bild aus Neapel.

Auf benachbartem Balkone
sah ich, wenn die Nacht sich senkte,
oft zwei Schwestern traulich gehn;
doch, wie nah ich ihnen wohne,
und wie drob mein Herz sich kränkte:
Tags hab ich sie nie gesehn;
nur mit seiner Flammenkrone,
die er wie in Feuer tränkte,
sah ich den Granatbaum stehn.

Heute auch sind sie erschienen,
ihre Kleider, ihre weißen,
schimmern durch die Nacht wie Licht;
und die Düfte ziehn von ihnen
her zu mir, die sich befleißen,
zu erfrischen ihr Gesicht;
nur die süßen Mädchenmienen,
die den Himmel uns verheißen,
nur ihr Antlitz, seh ich nicht.

Horch! da zieht es durch die Gassen,
beten höre ich und singen,
fromm gebeugt steht jedermann;
mit dem Christusbild, dem blassen,
kommen Knaben, Glocken klingen,
und Gott selber naht heran;
aber meine Nachbarn fassen
nach den Lampen rings und bringen
sie zum Fenster, knieen dann.

An die junge Brust sich schlagend,
sinken zu des Ewgen Preise
auch die Schwestern auf das Knie;
und die helle Lampe tragend
kommt die Mutter still, die greise,
und sie stellt sie zwischen sie;
doch der Baum, sie überragend,
streut auf sie die Blüten leise,
die der Sommer ihm verlieh.

An den Künstler

1.

Ob du auch bilden magst, was unvergänglich
durch alle Zeiten wandeln soll und glänzen,
doch wird dich die, in der du lebst, nicht kränzen,
sie wird dir trotzen, stumpf und unempfänglich.

Die Menschheit, schon an sich so unzulänglich,
kann sich in ihren enggesteckten Grenzen
nicht einmal aus dem Zauberquell ergänzen,
der aus ihr selbst hervorbricht überschwänglich.

Beklage es, doch einzig ihrethalben,
die mit dem Nichtgenießen dies verkennen
zu teuer büßt, und nimmer deinetwegen;

denn wollte sie dich gleich zum König salben,
so würden dich die Zweifel nicht mehr brennen,
durch die du zahlst für aller Götter Segen!

2.

Und ob mich diese Zweifel brennen müssen?
So rufst du aus und möchtest es verneinen,
auch mag der Frost dir unerträglich scheinen,
der oft dich schüttelt bei der Muse Küssen.

Doch sprich: wenn deinen schöpfrischen Ergüssen,
in denen alle Wonnen sich vereinen,
die Schmerzen fehlten, stünden nicht mit Weinen
die Brüder fern so einzigen Genüssen?

Drum nimm sie hin, die Ungerechtigkeiten
der Welt, die dir die Lust des Daseins trüben
und bittern Zwiespalt in dir selbst erwecken.

Sie sind bestimmt, von Anbeginn der Zeiten,
die höhere Gerechtigkeit zu üben
und einen Zwiespalt größrer Art zu decken.

Rom 18. Okt. 1845.

An Felix Bamberg

in Paris.

Am 13. bin ich von Neapel zurückgekehrt, nachdem ich dort volle vier Monate verweilt hatte. Diese Zeit gehört zu der glücklichsten meines Lebens. Es kam so manches zusammen, was sich selbst in Neapel nicht immer trifft. Ich kann nicht darüber schreiben, um so weniger, als ich den schönsten der gehabten vielen schönen Momente in meinen neueren Gedichten schon Denkmäler gesetzt habe. Nicht ohne tiefe Wehmut blicke ich zurück, nicht ohne einiges Grauen vorwärts. Schon höre ich die wohllautendste Sprache der Welt nicht mehr von dem lieblichsten Munde, bald werde ich sie gar nicht mehr hören. Dennoch verbanne ich mich selbst, denn nichts hindert mich, noch hierzubleiben, aber mir däucht, der Silberblick ist vorüber. Auch den hätte ich festhalten können, doch das erlaubten meine Verhältnisse nicht, und ich glaube eine schwere Probe nicht gar zu schlecht bestanden zu haben.

Also, es geht zurück nach Deutschland, statt vorwärts nach Sizilien. Dies steht fest, aber es steht nicht weniger fest, daß ich wiederkehre. Über Paris gehe ich nicht; dort war ich für die geringen Resultate meines Aufenthalts nur zu lange; auch hat Frankreichs Hauptstadt den größten Teil ihrer Reize für mich verloren, seit ich Italien kenne. Ich werde den Weg über Wien, Prag, Berlin, Leipzig wählen und weiß noch selbst nicht, wo ich zunächst anhalte; vielleicht schon in Wien, gewiß wohl in Berlin, denn in Hamburg habe ich nichts zu tun, wenigstens als Dichter nicht. Ehrlich gestanden, ich zittre vor der deutschen Atmosphäre, nicht, weil ich etwa nach Art manches andern, albernen Gesellen behaupte, daß man nur unter azurblauem Himmel atmen könne, einzig und allein, weil mir die nächste Frucht der an und für sich höchst bedeutenden und wünschenswerten politischen Bewegungen in einer jede künstlerische Regung erstickenden barbarischen Gleichgültigkeit gegen die höchsten Prozesse des menschlichen Geistes zu bestehen scheint. Wäre das metallne Fundament meines Lebens so wohl gegründet, wie das geistige, ich würde Deutschland nie wieder betreten, sondern meinen Anteil an dem nationalen Entwicklungsgeschäft nach dem Maß meiner Kraft ruhig und gelassen aus der Ferne besorgen und es den Göttern anheimstellen, wann und wie sie von meinen Arbeiten Gebrauch machen wollten. Nun muß ich in den Kampf hinein und mir für Todeswunden – Kommisbrot kaufen! ...

24. Okt. 1845.

An Elise

... Deinen Brief lasse ich unbeantwortet, da er natürlich nur die allerunangenehmsten Gedanken in mir angeregt hat.

... O Du hast recht, ich schwimme in Genüssen allerart! Glaube mir, ich würde mit Freuden nach Deutschland zurückgehen, denn ich hoffe, dort wieder arbeiten zu können, wenn nicht die allerfurchtbarste Misere des Lebens mich erwartete. Dennoch stelle Dir Deinen Freund nicht zu melancholisch vor. Ich weiß nicht, ist es Kraft, ist es Leichtsinn, aber ich halte den Kopf noch immer einigermaßen oben. Hier in Italien kann ich jedoch unter solchen Verhältnissen nicht bleiben. Wer könnte etwas genießen, wenn er vom Schuldenmachen lebt? Ohnehin habe ich einstweilen genug, und lüge mir wenigstens vor, um mir den Abschied zu erleichtern, daß ich einst wiederkehren werde.

Von Triest werde ich nach Wien, von Wien nach Berlin gehen. In Wien denke ich etwas zu verweilen, vorausgesetzt, daß ich Duller dort treffe. Die Wiener Jahrbücher haben schon den dritten Artikel über mich gebracht, vielleicht ist der Boden mir günstig. Jedenfalls werde ich mir dort Kleider kaufen, ehe ich mich vor jemand sehen lasse, denn ich bin gar zu abgerissen, habe nichts mehr als einen alten, abgeschabten Frack, nicht einmal für die Reise einen Oberrock ...

Von Neapel bin ich, solange ich auch da war, nicht ohne Schmerz geschieden. Wie trieb es mich hinüber nach Sizilien! Für 5 Speziestaler war ich in Palermo und fast alle meine Bekannten machten die Tour! Aber zurück wieder 5, das sind schon 10, und dafür hat man in Deutschland einen Rock. Also blieb ich und freute mich dessen, was ich hatte. Sehr schöne Gedichte habe ich noch gemacht, Liebesgedichte, und vom Moloch den ersten Akt. Am frühen Morgen, es war noch völlig dunkel und die Straßenlaternen brannten noch, verließ ich die schöne Stadt. Es regnete, als ob der Ozean neu zu füllen wäre! Lebe wohl, Neapel, lebe wohl, Villa reale, lebt wohl, ihr drei nachbarlichen Balkone, lebt wohl, Emilia und Angiolina, ihr süßen Kinder aus Messina, aus deren Munde ich die schönste Sprache der Welt jeden Morgen hören durfte! Alles ist vorbei, wie ein Schauspiel, wir ziehen die bunten Kleider wieder aus; wann werden wir zu Bett gehen? – –

Wenn Hebbel nicht, wie Goethe, in ein sehr inniges Verhältnis zu den bildenden Künsten kam, so lag das nicht nur an der gewaltigen Kluft, welche die Welt dieses Norddeutschen von den Gestalten trennt, die ihn in allzu hohem Frieden von den Postamenten grüßten oder die in starkem, freiem Sinnentum auf den Leinwänden feierten, sondern auch an seinen, von inneren Gärungen, Krankheit, materiellen Nöten und unablässiger Sorge um die nächste Zukunft getrübten Blicken. Dennoch liegt auf den reinen Formen seiner damaligen Gedichte viel von dem Glanz des italienischen Himmels, und der Mensch Hebbel verdankt der südlichen Natur und ihren Menschen einen neuen Mut zur klaren, notwendigen Entwicklung und natürlichen, kräftigen Sinnlichkeit, wodurch er sich von Elise Lensing innerlich loslöste. »Im ganzen bestätigte sich mir die allgemeine Erfahrung,« schreibt er daher später mit vollem Recht, »daß man in Italien etwas zurückläßt, was man nur dort los wird, und aus Italien etwas mitfortnimmt, was man nur dort erlangt. Auch ich datiere seit meinem römischen Aufenthalt eine neue Epoche.«


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