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Heidelberg

April bis September 1836

Obwohl sich Hebbel in Heidelberg vergeblich um die Matrikel bemühte, begann er doch das juristische Studium und belegte bei Thibaut römisches Recht und bei einem Privatdozenten juristische Enzyklopädie. Am studentischen Treiben wenig teilnehmend, lebte er seiner inneren Entwicklung, die auf poetischem Gebiete Gedichte und die Erzählung »Anna« zeitigte. Einen neuen Freund fand er in Emil Rousseau, dem Sohne eines Ansbacher Oberappellationsrates. Der junge Mann, von reinstem und ernstestem geistigen Streben erfüllt, ordnete sich Hebbel mit edler Hingabe voller Verehrung und Bewunderung unter, mit wie schroffer, unnachsichtiger Beurteilung seiner Ansichten und dichterischen Versuche dieser ihm auch zusetzte.

In der Abneigung gegen das gewählte Studium durch ein Gespräch mit Thibaut, der ihm sagte, es stecke etwas anderes als ein Jurist in ihm, bestärkt, vertauschte Hebbel nach einem mit kaum mehr als 120 Mark übersparsam verbrachten Semester Heidelberg mit München, wo er sich eine literarische Existenz zu gründen hoffte.

Ostersonntag 1836.

An Elise Lensing in Hamburg

Meine teure, gute Elise! Soeben habe ich von meinem Logis Besitz genommen und fühle jetzt kein anderes Bedürfnis, als Dir zu schreiben. Ich bin so sentimental, wie ein junges Mädchen, welches zum erstenmal empfindet, daß es ein Herz hat; ich könnte mich sogleich auf den Postwagen setzen und nach Hamburg zurückfahren; Berge sind ein schlechter Ersatz für geliebte Menschen ...

... Freilich, so, wie wirs in Hamburg hatten, konnte und durfte es nicht länger bleiben, aber, bei Gott, der Faden ist nur darum abgerissen, um ihn sobald wie möglich fester wieder anzuknüpfen. Du bist nicht die erste in Schönheit und Jugend, aber Du bist in Deiner grenzenlosen Liebe und Hingebung das einzige weibliche Wesen auf Erden, welches mich noch mit Glück und Freude zusammenknüpfen kann ...

13. April 1836.

An eine Unbekannte

Die Dämmerung war längst hereingebrochen,
ich hatt dich nie gesehn, du tratst heran,
da hat dein Mund manch mildes Wort gesprochen
in heilgem Ernst, der dir mein Herz gewann.
Still, wie du nahtest, hast du dich erhoben
und sanft uns allen gute Nacht gesagt,
dein Bild war tief von Finsternis umwoben,
nach deinem Namen hab ich nicht gefragt.

Nun wird mein Auge nimmer dich erkennen,
wenn du auch einst vorübergehst an mir,
und hör ich dich von fremder Lippe nennen,
so sagt dein Name selbst mir nichts von dir.
Und dennoch wirst du ewig in mir leben,
gleichwie ein Ton lebt in der stillen Luft,
und kann ich Form dir und Gestalt nicht geben,
so reiht auch keine Form dich in die Gruft.

Das Leben hat geheimnisvolle Stunden,
drin tut, selbst herrschend, die Natur sich kund;
da bluten wir und fühlen keine Wunden,
da freun wir uns und freun uns ohne Grund,
vielleicht wird dann zu flüchtigstem Vereine
Verwandtes dem Verwandten nah gerückt,
vielleicht, ich schaudre, jauchze oder weine,
ists dein Empfinden, welches mich durchzückt!

3. Mai 1836.

An Elise Lensing

... Man spricht soviel vom Fleiß und von der lieben, lieben Geduld; ach Gott, ja, ich hab allen Respekt, aber man weiß wohl, es ist die Art des Vogels, zu fliegen, und er wird sich schwerlich an den Paßgang eines Ackergauls gewöhnen, wenn dieser gleich jeden Abend eine volle Krippe findet ...

Nachtlied 6. Mai 1836.

Quellende, schwellende Nacht
voll von Lichtern und Sternen:
In den ewigen Fernen,
sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt,
steigendes, neigendes Leben,
riesenhaft fühle ichs weben,
welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,
wie dem Kinde die Amme,
und um die dürftige Flamme
ziehst du den schützenden Kreis.

Nachtgefühl 31. Mai 1836.

Wenn ich mich abends entkleide,
gemachsam, Stück für Stück,
so tragen die müden Gedanken
mich vorwärts oder zurück.

Ich denke der alten Tage,
da zog die Mutter mich aus;
sie legte mich still in die Wiege,
die Winde brausten ums Haus.

Ich denke der letzten Stunde,
da werdens die Nachbarn tun;
sie senken mich still in die Erde,
dann werd ich lange ruhn.

Schließt nun der Schlaf mein Auge,
wie träum ich oftmals das:
Es wäre eins von beidem,
nur wüßt ich selber nicht was.

»Nächtlicher Gruß« 14. Mai 1836.

An meine Freunde

In dieser dunkeln Stunde
der rings ergoßnen Nacht
Hab ich bei euch die Runde
zu Gruß und Kuß gemacht.
In eines jeden Hause
sprach ich getreulich vor,
bis in des letzten Klause
mein Geist sich ganz verlor.

Nun seid ihr längst versunken
in Schlaf und tiefen Traum,
und schwingt euch ahnungstrunken
hoch über Zeit und Raum.
Leicht glaubt ihr zu erstreben,
was nie die Erde bot,
und habt so doppelt Leben
für einen halben Tod.

Ich aber habe leise
der Pforte mich genaht,
die in die ewgen Kreise
euch aufgetan den Pfad,
und all die stumme Trauer,
die mir das Herz noch schwellt,
umschwebt als letzter Schauer
euch kalt aus dieser Welt.

Tagebuch 1836.

All mein Leben und Streben ist jetzt eigentlich nur noch ein Kämpfen für Mutter und Leichenstein. Jene soll nicht darben, wenigstens nicht an Hoffnung – mehr kann ich ihr seit lange schon nicht geben – dieser soll nicht durch hämische Zeugen verunglimpft werden. Sonst, wie sie mich drückt, diese hohle, flache Existenz, wie es mich drückt, für eine Last, der ich erliege, auch noch, damit sie mir bleibt, arbeiten zu müssen!

Wirf nicht immer weg, was du verwirfst! Bist du was, so hängt all dein Tüchtiges oft mit deinem Fehler zusammen, wie der Baum mit seinem Erdreich. Sei dieses so schlecht, wie es wolle: es muß geduldet werden, des Baumes wegen.

14. Juli 1836.

An Kirchspielschreiber Voß in Wesselburen

... Die tollen Wellen des akademischen Lebens rollen an mir, wie an einem Felsblock, vorüber und reißen mich selten mit sich fort. Dies ist so wenig mein Verdienst, als meine Schuld. Es bedarf des vollen Gefühls unverkümmerter Jugend, des durch keine Verhältnisse getrübten, heiteren Lebensmuts, wenn man sich freudig in einen Kreis hineinstürzen soll, der so wenig mit des Menschen, als mit der Menschheit höchsten Interessen etwas zu tun hat und der, weil Kraft und Vermögen immer ihr Medium suchen, für die Notwendigkeit das Willkürlich-Phantastische supponiert. Ich wollte, daß ichs könnte; aber niemand kommt von der Galeere, wie er sie betrat. All mein Bestreben ist auf poetisches Schaffen und praktisches Wirken gerichtet; was damit nicht nach irgend einer Seite hin zusammenhängt, das ist für mich nicht da. Dennoch bin ich weit entfernt, den Stubenhocker und Sonderling zu machen; im Gegenteil besuche ich wöchentlich einmal die Kneipe und stehe bei den alten Häusern im Kredit eines, wenn auch nicht vielversprechenden, so doch leidlichen Fuchses, dem man seine Eigenheiten nachsehen muß, da er – ich muß mich hier der Kunstausdrücke bedienen – kamelisiert und auerstiert ...

... Genug, Sie sehen, daß das Leben, welches ich hier führe, sich aushalten läßt; sogar an einem Hund, den ich allerdings auch schmerzlich entbehren würde, fehlts mir nicht, denn neulich hat ein Freund Emil Rousseau. mir ein schönes, braunes, wohlgenährtes Tier mit weißen Pfoten und dem appetitlichsten Gesicht geschenkt, so daß mich nun, was für mich einen unendlichen Wert hat, immerwährend, auf Spaziergängen, wie im Zimmer, eine freundliche, tölpelhaft-schmeichlerische Kreatur umgibt ...

Tagebuch 1836.

Im allgemeinen ist die Heidelberger Gegend, dem letzten Punkt des Begriffs nach, trist, wenigstens für mich; denn statt der himmelanstrebenden Berge, die früher die Phantasie auftürmte, drängte sie mir Zwerge entgegen. Eine Ebene, selbst die dithmarsische, hat etwas Unendliches.

 

Mitten unter den ungeheuersten Kräften, die ihn umbrausen, mit verbundenen Augen allein zu stehen und doch das lösende Zauberwort auf der Lippe zu fühlen, das ist des Menschen schweres Los. Ein Schiffer in der Sturmnacht auf unbekanntem Gewässer.

 

Heute abend von Rendtorfs Zimmer am Neckar aus das imposanteste Gewitter beobachtet. Die Wolken türmten sich, anfangs ballenweise, später in ungeheuren, schwarzen, festen Massen hinter dem Heiligenberg auf, dann, wie ein Heer, stiegen sie über das Haupt des Berges empor und ergossen sich nun in Strahlenformen im gewaltigsten, den ganzen Berg unsichtbar machenden, von Blitzen durchkreuzten Regen, der sich wie ein in der Luft befindliches Meer ausnahm; man sah einzelne Wolken fast, wie zusammenbrechend unter der Last, auseinanderfließen; der Neckar verlor seine gewöhnliche Wellenbewegung und trieb sein Wasser wie in Rauch- oder Wolkenfiguren, und gleich nachher stieg in Höhenrauch die zur Erde gekommene Masse wieder als Wolkenknäuel auf und lagerte sich abermals um den Berg.

3. Sept. 1836.

An Elise Lensing

Es hat mir leid genug getan, liebe, teure Elise, daß ich den halben Sommer von meiner Rückkehr nach Hamburg gefaselt und erst am Schluß des Semesters den einzig vernünftigen Plan gefaßt habe. Ich konnte mir, als ich Dir den letzten Brief schrieb, wohl denken, wie schmerzlich Dich sein Inhalt bewegen würde und nicht ohne ein gewisses beklemmendes Gefühl konnte ich den deinigen, der gestern abend bei mir einging, erbrechen. Habe Dank für Deine Entschlossenheit, Deine Festigkeit. Ich hätte unmöglich Heiterkeit und Frieden um mich verbreiten können, denn ich brachte sie nicht mit; und auch in der Ferne läßt sich ein freundlich-menschliches Verhältnis denken, was wenigstens durch die Stürme des Augenblicks nicht gestört wird. Ich hoffe von meinem Aufenthalt in München viel; ich werde bei bedeutenden äußeren Anregungen besser, wie bis jetzt, in eine mir zusagende beständige Tätigkeit hineinkommen und schon das wäre ein unermeßlicher Gewinn ...

... Unter allen Beschwerlichkeiten meiner Lage drückt es mich am meisten, daß ich nichts für meine Mutter tun kann; wenn dann ein Mensch, der für nichts, als für sein Vergnügen zu sorgen hat, von Unmöglichkeiten zu schwatzen anfängt, sobald er eine heilige Schuld zahlen soll, so mag michs billig ärgern ...

Tagebuch 1836.

Mir ward das Wort gegeben,
daß ichs gebrauche frei,
und zeige, wieviel Leben
drin eingeschlossen sei.
Ich will ihn mutig schwingen,
den geistgen Donnerkeil,
und kann ers mir nicht bringen,
so bringt er andern heil!


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