Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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3. Schwejk wiederum bei seiner Marschkompanie

Jener Major, der am Vormittag des vorhergehenden Tages während der Verhandlung mit Schwejk als Auditor fungiert hatte, war der nämliche Offizier, der am Abend beim General mit dem Feldkuraten Bruderschaft getrunken und weitergeschlummert hatte.

Fest steht, daß niemand wußte, wann und wie der Major in der Nacht den General verlassen hatte. In dem Zustand, in dem sich alle Anwesenden befanden, bemerkte niemand seine Abwesenheit; der General verwechselte sogar, wer eigentlich sprach. Der Major war bereits seit zwei Stunden nicht mehr zugegen, aber der General drehte sich dennoch den Schnurrbart und rief mit idiotischem Lachen: »Gut haben Sie das gesagt, Herr Major!«

Am Morgen konnte man den Major nirgends finden. Sein Mantel hing im Vorzimmer, der Säbel an dem Kleiderhaken, und nur seine Offiziersmütze fehlte. Man nahm an, daß er vielleicht irgendwo auf einem Klosett im Hause eingeschlafen sei, durchsuchte alle Klosetts, fand ihn aber nirgends. Statt seiner entdeckte man im zweiten Stock einen schlafenden Oberleutnant aus der Gesellschaft des Generals, der kniend, mit dem Mund über der Öffnung, schlief, wo ihn der Schlaf beim Erbrechen übermannt hatte.

Der Major war wie ins Wasser gefallen.

Hätte aber jemand hinter das vergitterte Fenster der Zelle geschaut, in der Schwejk eingesperrt war, dann hätte er gesehen, wie unter Schwejks russischem Soldatenmantel zwei Personen auf einem Kavallett schliefen und unter dem Mantel zwei Paar Stiefel hervorguckten.

Die mit den Sporen gehörten dem Major, die ohne Sporen Schwejk.

Die beiden lagen aneinandergeschmiegt wie zwei Kätzchen. Schwejk hatte die Pratze unter den Kopf des Majors geschoben, und der Major hielt Schwejks Leib umfangen, während er sich an ihn drückte wie ein junger Hund an die Hündin.

Daran war nichts Rätselhaftes. Es war nichts anderes als die Erfüllung der Obliegenheiten des Herrn Majors.

Auch euch ist gewiß schon folgendes widerfahren. Ihr sitzt mit jemandem beisammen und trinkt die ganze Nacht hindurch bis zum nächsten Vormittag, und plötzlich packt sich euer Zechgenosse am Kopf, springt auf und schreit: »Jesusmaria, ich hab um acht Uhr im Amt sein solln!« Das ist ein sogenannter Anfall von Pflichtbewußtsein, der sich gewissermaßen als aufgepfropftes Produkt von Gewissensbissen einstellt. Einen Menschen, den dieser Anfall erfaßt, bringt nichts von der heiligen Überzeugung ab, daß er augenblicklich im Amt ersetzen muß, was er versäumt hat. Das sind jene Gestalten ohne Hut, die der Portier in den Ämtern auf dem Gang abfängt und in seiner Klappe aufs Kanapee legt, damit sich der Betreffende ausschläft.

Einen ähnlichen Anfall bekam der Major.

Als er im Lehnstuhl erwachte, fiel ihm plötzlich ein, daß er Schwejk augenblicklich verhören müsse. Dieser Anfall amtlicher Pflichten kam so plötzlich und rasch und wurde so eilig und entschlossen ausgeführt, daß überhaupt niemand das Verschwinden des Majors bemerkte.

Um so fühlbarer machte sich die Anwesenheit des Majors in der Wachstube des Militärarrestes. Er platzte hinein wie eine Bombe.

Der diensthabende Feldwebel schlief am Tisch, und ringsumher schlummerte die übrige Mannschaft in den verschiedensten Stellungen.

Der Major mit der schiefgerückten Mütze fluchte so kräftig, daß alle mitten im Gähnen innehielten; ihre Gesichter wurden zu Fratzen, und den Major blickte nicht ein Haufen Soldaten verzweifelt und affektiert an, sondern ein Haufen grimassenschneidender Affen. Der Major schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte den Feldwebel an: »Sie indolenter Kerl, ich hab Ihnen schon tausendmal gesagt, daß Ihre Leute eine beschissene Saubande sind.« Während er sich an die erschrockene Mannschaft wandte, schrie er: »Soldaten! Euch schaut sogar, wenn ihr schlaft, die Blödheit aus den Augen, und wenn ihr aufwacht, ihr Kerle, so benehmt ihr euch, wie wenn jeder von euch einen Waggon Dynamit aufgefressen hätt.«

Hierauf folgte eine lange und ausgiebige Predigt über die Pflichten der Wachmannschaft und die Aufforderung, ihm sofort den Arrest zu öffnen, in dem sich Schwejk befinde, er wolle den Delinquenten einem neuen Verhör unterwerfen.

So kam also der Major in der Nacht zu Schwejk.

Er kam zu ihm in einem Stadium, in dem – wie man zu sagen pflegt – alles zum Reifen gekommen war. Sein letzter Ausbruch bestand in der Anordnung, ihm die Arrestschlüssel zu übergeben.

Der Feldwebel lehnte dies, gleichsam in einer letzten verzweifelten Erinnerung an seine Obliegenheiten, ab, was auf den Major plötzlich einen großartigen Eindruck machte.

»Ihr beschissene Saubande«, schrie er auf dem Hof, »wenn ihr mir so die Schlüssel in die Hand gegeben hättet, ich hätt euch gezeigt!«

»Melde gehorsamst«, antwortete der Feldwebel, »daß ich gezwungen bin, Sie einzusperren und Ihrer Sicherheit wegen zum Arrestanten eine Wache zu stellen. Bis Sie herauszugehen wünschen, klopfen Sie bitte an die Tür, Herr Major.«

»Du Dummkopf«, sagte der Major, »du Pavian, du Kamel, denkst du denn, daß ich mich vor dem Arrestanten fürchte, daß du mir eine Wache zu ihm stelln willst, wenn ich ihn verhören werde? Kruzihimmeldonnerwetter, sperrt mich ein, und schaut schon, daß ihr draußen seid!«

In der Öffnung über der Tür strömte eine vergitterte Petroleumlampe mit herabgezogenem Docht ein mattes Licht aus, so schwach, daß der Major den erwachten Schwejk kaum finden konnte, der in militärischer Haltung bei seinem Kavallett stand und wartete, was sich aus diesem Besuch entwickeln werde.

Schwejk überkam der Einfall, daß es am besten sein werde, dem Herrn Major Rapport zu erstatten, deshalb rief er energisch: »Melde gehorsamst, Herr Major, ein eingesperrter Mann, sonst nichts vorgefallen.«

Der Major konnte sich plötzlich nicht erinnern, wozu er eigentlich hierhergekommen sei, deshalb sagte er: »Ruht! Wo hast du den eingesperrten Mann?«

»Das bin ich, melde gehorsamst, Herr Major«, sagte Schwejk stolz.

Der Major beachtete diese Antwort aber nicht, denn die Weine und Liköre des Generals begannen in seinem Hirn die letzte alkoholische Reaktion hervorzurufen. Er gähnte so fürchterlich, daß sich jeder Zivilist die Kinnladen verrenkt hätte. Beim Major verschob dieses Gähnen seine Gedanken jedoch in jene Gehirnwindungen, die beim Menschen der Sitz der Gabe des Gesanges sind. Er fiel völlig ungezwungen auf Schwejks Kavallett und kreischte wie ein abgestochenes Schwein vor dem Tode:

»O Tannenbaum! O Tannenbaum,
wie schön sind deine Blätter!«

was er einigemal hintereinander wiederholte, wobei er unverständliche Schreie in das Lied mengte.

Dann wälzte er sich auf den Rücken wie ein kleiner Bär, rollte sich im Winkel zusammen und begann zu schnarchen.

»Herr Major«, weckte ihn Schwejk, »melde gehorsamst, Sie wern Läuse kriegen.«

Es nützte aber nichts. Der Major schlief wie ins Wasser gefallen.

Schwejk blickte ihn zärtlich an und sagte: »Also schlaf nur, du Schnapsnase«, und deckte ihn mit dem Mantel zu. Später kroch er zu ihm, und so fand man sie denn am Morgen eng aneinandergeschmiegt.

Gegen neun Uhr, als die Jagd nach dem Major ihren Gipfelpunkt erreichte, kroch Schwejk vom Kavallett und hielt es für angezeigt, den Herrn Major zu wecken. Er rüttelte ihn einigemal sehr gründlich und nahm ihm den russischen Mantel ab; schließlich setzte sich der Major auf dem Kavallett auf, schaute stumpf auf Schwejk und suchte bei ihm die Lösung des Rätsels: was war eigentlich vorgefallen?

»Melde gehorsamst, Herr Major«, sagte Schwejk, »daß man schon paarmal ausn Wachzimmer nachschaun war, ob Sie noch am Leben sind. Drum hab ich mir erlaubt, Sie jetzt zu wecken, weil ich nicht weiß, wie lang Sie gewöhnlich schlafen, damit Sie am Ende nicht verschlafen. Im Bräuhaus in Ourschinovetz war Ihnen ein Tischler, der hat immer bis sechs Uhr früh geschlafen, wenn er aber verschlafen hat, meinetwegen nur ein Viertelstündchen, bis Viertel sieben, so hat er dann schon bis Mittag geschlafen, und das hat er so lang gemacht, bis man ihn aus der Arbeit herausgeworfen hat, und er hat Ihnen dann vor Wut das Verbrechen der Beleidigung eines Mitglieds unseres Herrscherhauses begangen.«

»Du bist blöd, gelt?« sagte der Major in gebrochenem Tschechisch, nicht ohne den Unterton einer gewissen Verzweiflung, weil ihm nach dem gestrigen Abend der Kopf herumging wie ein Mühlrad und er in keiner Weise eine Antwort darauf fand, warum er eigentlich hier sitze, wieso er aus der Wachstube hergekommen sei und warum der Kerl, der vor ihm stand, solchen Blödsinn quatsche, der weder Hand noch Fuß hat. Das alles kam ihm furchtbar komisch vor. Undeutlich erinnerte er sich, daß er schon einmal in der Nacht hier gewesen war, aber wozu?

»War ich schon hier bei Nacht?« fragte er unsicher.

»Zu Befehl, Herr Major«, antwortete Schwejk, »wie ich den Reden des Herrn Major entnommen hab, is mich, melde gehorsamst, der Herr Major verhören gekommen.«

Und da leuchtete es im Kopf des Majors auf, und er schaute auf sich selbst und dann hinter sich, als ob er etwas suchen würde.

»Machen Sie sich nicht die geringsten Sorgen, Herr Major«, sagte Schwejk, »Sie sind grad so aufgekommen, wie Sie hergekommen sind. Sie sind ohne Mantel gekommen, ohne Säbel und mit der Mütze. Die Mütze is dort, ich hab sie Ihnen aus der Hand nehmen müssen, weil Sie sie sich ham untern Kopf geben wolln. Eine Paradeoffiziersmütze, das is so wie ein Zylinder. Aufn Zylinder schlafen, das hat nur ein gewisser Herr Karderaz in Loděnic getroffen. Der hat sich im Wirtshaus auf den Bauch ausgestreckt, hat sich den Zylinder untern Kopf gegeben, er hat nämlich bei Begräbnissen gesungen und is auf jedes Begräbnis im Zylinder gegangen; er hat sich also hübsch den Zylinder untern Kopf gegeben und hat sich suggeriert, daß er ihn nicht durchdrücken darf, und hat die ganze Nacht auf irgendeine Art mit einem unbedeutenden Körpergewicht über ihm geschwebt, so daß es dem Zylinder überhaupt nicht geschadet hat, sondern noch eher genützt hat, weil er ihn, wie er sich von einer Seite auf die andere umgedreht hat, langsam mit seinen Haaren gebürstet hat, bis er ihn ausgebügelt gehabt hat.«

Der Major, der bereits wußte, um was es sich handelte, hörte nicht auf, stumpf auf Schwejk zu schauen, und wiederholte nur: »Du bist blöd, gelt? Ich bin also hier und geh jetzt weg.« Stand auf, schritt zur Tür und trommelte auf sie.

Bevor man öffnete, sagte er noch zu Schwejk: »Wenn kein Telegramm kommt, daß du du bist, wirst du hängen!«

»Herzlichsten Dank«, sagte Schwejk, »ich weiß, Herr Major, daß Sie sich sehr um mich kümmern, aber wenn Sie, Herr Major, hier am Kavallett vielleicht eine erwischt ham, so sein Sie überzeugt, wenn sie klein is und einen rötlichen Hintern hat, so is es ein Männchen, und wenns nur eine is und Sie nicht so eine lange mit rötlichen Streifen aufn Bauch finden, so is es gut, denn sonst is es ein Pärchen, und diese Luder vermehren sich unglaublich, noch mehr wie Kaninchen.«

»Lassen Sie das!« sagte der Major niedergeschlagen zu Schwejk, als ihm dieser die Tür öffnete.

Der Major machte in der Wachstube keine Szene mehr; er befahl ganz gemessen, man möge eine Droschke holen, und während die Droschke über das elende Pflaster Przemysls ratterte, hatte er nur die Vorstellung im Kopf, daß der Delinquent zwar ein Idiot ersten Ranges, wahrscheinlich aber dennoch nur ein unschuldiges Rindvieh sei. Soweit es sich um ihn selbst, den Major handle, so bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich entweder sofort nach seiner Ankunft in der Wohnung zu erschießen oder sich beim General Mantel und Säbel holen zu lassen, ins Stadtbad zu fahren, sich nach dem Bad in der Weinstube beim Vollgruber aufzuhalten, den Appetit aufzufrischen und telefonisch für den Abend eine Eintrittskarte zur Vorstellung im Stadttheater zu bestellen.

Bevor er seine Wohnung erreichte, entschloß er sich für das letztere.

In der Wohnung erwartete ihn eine kleine Überraschung. Er war gerade zur rechten Zeit gekommen . . .

Auf dem Gang seiner Wohnung stand General Fink, hielt den Burschen des Majors am Kragen fest und brüllte ihn an: »Wo hast du deinen Major, Rindvieh? Sprich, du Tier!«

Das Tier sprach aber nicht, weil es im Gesicht blau wurde, so fest würgte es der General.

Der Major bemerkte beim Eintreten, daß der unglückliche Putzfleck den vermißten Mantel und Säbel, die er offenbar aus dem Vorzimmer des Generals gebracht hatte, unter der Achsel festhielt.

Die Szene begann den Major sehr zu amüsieren, deshalb blieb er in der halbgeöffneten Türe stehen und fuhr fort, auf die Leiden seines treuen Dieners zu blicken, der die merkwürdige Eigenschaft besaß, dem Major schon seit langem wegen verschiedener Diebereien im Magen zu liegen.

Der General ließ den blaugewordenen Burschen für einen Augenblick los, und zwar deshalb, um aus der Tasche ein Telegramm zu ziehen, mit dem er den Putzfleck des Majors aufs Maul und auf die Lippen zu schlagen begann, wobei er schrie:

»Wo hast du deinen Major, du Rindvieh, wo hast du deinen Major-Auditor, du Rindvieh, damit du ihm ein amtliches Telegramm übergeben kannst?«

»Hier bin ich!« rief Major Derwota, den die Kombination der Worte: Major-Auditor und Telegramm neuerlich an eine gewisse Pflicht erinnerte.

»Ah!« rief General Fink, »du kommst zurück?« In der Betonung lag so viel Bosheit, daß der Major nicht antwortete und unentschlossen stehenblieb.

Der General sagte ihm, er möge mit ihm ins Zimmer kommen, und als sie sich an den Tisch setzten, warf der General das an dem Burschen zerfetzte Telegramm auf den Tisch und sagte mit tragischer Stimme: »Lies, das ist dein Werk!«

Während der Major das Telegramm las, erhob sich der General vom Stuhl, lief im Zimmer auf und ab, warf Stühle und Taburetts um und schrie: »Und ich werde ihn doch hängen!«

Das Telegramm lautete folgendermaßen:

»Infanterist Josef Schwejk, Ordonnanz der 11. Marschkompanie, ist am 16. d. M. beim Übergang Chyrow-Feldstein bei einem Dienstwege als Quartiermacher verlorengegangen. Infanterist Schwejk ist unverzüglich zum Brigadekommando nach Wojalycza zu überführen.«

Der Major öffnete das Tischfach, zog eine Landkarte heraus und wurde nachdenklich; Feldstein lag 40 km südöstlich von Przemysl, so daß das schreckliche Rätsel auftauchte, auf welche Weise der Infanterist Schwejk an über 150 km von der Front entfernten Orten zu einer russischen Uniform gekommen sein konnte, da die Front in der Linie Sokal-Turze-Kozlow verlief.

Als der Major dies dem General mitteilte und ihm auf der Landkarte die Stelle zeigte, wo Schwejk dem Telegramm zufolge vor einigen Tagen verlorengegangen war, brüllte der General wie ein Stier, denn er fühlte heraus, daß all seine Hoffnungen auf ein Standgericht zuschanden wurden. Er ging zum Telefon, ließ sich mit der Wachstube verbinden und erteilte den Befehl, ihm den Arrestanten Schwejk augenblicklich in der Wohnung des Majors vorzuführen.

Bevor der Befehl erfüllt wurde, gab der General unzähligemal durch fürchterliche Flüche sein Mißfallen darüber kund, daß er Schwejk nicht auf eigenes Risiko ohne jede Untersuchung sofort hatte hängen lassen.

Der Major opponierte und sprach etwas davon, daß Recht und Gerechtigkeit einander die Hände reichen; er sprach in glänzenden Perioden über gerechte Urteile im allgemeinen, über Justizmorde und alles mögliche, was ihm der Augenblick auf die Zunge brachte, denn er hatte nach dem verflossenen Abend einen unbeschreiblichen Kater, der einer Auslösung bedurfte.

Als man Schwejk endlich vorführte, forderte der General von ihm eine Aufklärung: Was war eigentlich in Feldstein vorgefallen und was bedeutete die Geschichte mit der russischen Uniform?

Schwejk erklärte ihm dies gründlich und belegte es mit einigen Beispielen aus seiner Geschichte menschlicher Mißgeschicke. Als der Major ihn dann fragte, warum er das alles nicht schon beim Verhör vor Gericht gesagt habe, antwortete Schwejk, daß ihn eigentlich niemand danach gefragt habe, wie er zu der russischen Uniform gekommen sei, sondern daß alle Fragen nur gelautet hätten: »Gestehn Sie, daß Sie freiwillig und ohne jede Pression die Uniform des Feindes angezogen haben?« Da dies der Wahrheit entsprochen habe, hätte er nichts anderes sagen können als: »Freilich – ja – gewiß – so ists – ohne Zweifel.« Deshalb habe er doch auch mit Entrüstung die bei Gericht gefallene Beschuldigung zurückgewiesen, daß er Seine Majestät den Kaiser verraten habe.

»Der Mann ist ein vollkommener Idiot«, sagte der General zum Major. »Auf dem Damm eines Teiches eine russische Uniform anziehen, die dort Gott weiß wer gelassen hat, sich in eine Abteilung russischer Gefangener einreihen lassen, das kann nur ein Idiot tun!«

»Melde gehorsamst«, ließ sich Schwejk vernehmen, »daß ich wirklich manchmal an mir selbst bemerk, daß ich schwachsinnig bin, besonders so gegen Abend . . .«

»Kusch, Ochs«, sagte ihm der Major und wandte sich an den General mit der Frage, was mit Schwejk geschehen solle.

»Sollen sie ihn bei seiner Brigade aufhängen«, entschied der General.

Eine Stunde später wurde Schwejk von einer Eskorte, die ihn zum Brigadestab nach Wojalycza begleiten sollte, auf den Bahnhof gebracht.

Im Arrest hinterließ Schwejk ein kleines Andenken, indem er an die Wand mit einem Stückchen Holz in drei Kolonnen ein Verzeichnis sämtlicher Suppen, Soßen und Zuspeisen einkratzte, die er in Zivil gegessen hatte. Es war gewissermaßen ein Protest dagegen, daß man ihm innerhalb vierundzwanzig Stunden keinen Bissen verabreicht hatte.

Mit Schwejk ging gleichzeitig ein Aktenstück nachstehenden Inhalts an die Brigade ab:

»Auf Grund des Telegramms Nr. 469 wird Infanterist Josef Schwejk, Deserteur der 11. Marschkompanie, dem Brigadestab zur weiteren Amtshandlung eingeliefert.«

Die Eskorte selbst, die aus vier Mann bestand, war ein Durcheinander von Nationen. Sie bestand aus einem Polen, einem Magyaren, einem Deutschen und einem Tschechen, der Eskortenkommandant war und den Rang eines Gefreiten bekleidete. Er spielte sich gegen seinen Landsmann, den Arrestanten, groß auf und ließ ihn sein schreckliches Übergewicht fühlen. Als Schwejk nämlich auf dem Bahnhof den Wunsch äußerte, man möge ihm gestatten zu urinieren, sagte ihm der Gefreite ganz grob, er könne Wasser abschlagen, bis er bei der Brigade anlangen werde.

»Gut«, sagte Schwejk, »das müssen Sie mir schriftlich geben, damit man weiß, bis mir die Harnblase platzt, wer dran schuld is. Drauf is ein Gesetz, Herr Gefreiter.«

Der Gefreite, ein Viehknecht, erschrak vor der Harnblase, und so wurde Schwejk auf dem Bahnhof feierlich von der ganzen Eskorte auf den Abort geführt. – Der Gefreite machte überhaupt während des ganzen Wegs den Eindruck eines eigensinnigen Menschen und benahm sich so aufgeblasen, als sollte ihm am nächsten Tage zumindest der Rang eines Korpskommandanten verliehen werden.

Als sich der Zug auf der Strecke Przemysl-Chyrow befand, sagte Schwejk zum Gefreiten:

»Herr Gefreiter, wenn ich Sie mir anschau, so erinner ich mich immer an einen gewissen Gefreiten Bosber, was in Trient gedient hat. Nämlich, wie man den zum Gefreiten gemacht hat, hat er gleich den ersten Tag angefangen, an Umfang zuzunehmen. Die Backen ham ihm angefangen anzuschwellen, und der Bauch is ihm so aufgelaufen, daß ihm am zweiten Tag nicht mal mehr die ärarischen Hosen genügt ham. Und was das ärgste war, die Ohren ham ihm angefangen in die Länge zu wachsen. Man hat ihn also ins Marodenzimmer gebracht, und der Regimentsarzt hat gesagt, daß es so ein schwerer Fall is, daß er platzen könnt, weils ihm von dem Sternderl bis zum Nabel geht. Um ihn zu retten, hat man ihm das Sternderl abschneiden müssen, und er is wieder abgefallen.«

Von diesem Augenblick an bemühte sich Schwejk vergeblich, mit dem Gefreiten ein Gespräch anzuknüpfen und ihm freundschaftlich zu sagen, warum man allgemein sage, daß der Gefreite das Unglück der Kompanie sei.

Der Gefreite antwortete nur mit ein paar dunklen Drohungen, wer von den beiden wohl lachen werde, bis sie zur Brigade kommen würden. Kurz, der Landsmann bewährte sich nicht, und als Schwejk ihn fragte, woher er sei, antwortete er, das gehe Schwejk nichts an.

Schwejk versuchte es mit ihm auf verschiedene Arten. Er erzählte ihm, es sei nicht das erste Mal, daß ihn eine Eskorte begleite, aber er habe sich dabei immer mit allen Begleitern gut unterhalten.

Aber der Gefreite schwieg unentwegt, und Schwejk fuhr fort: »Mir scheint, Herr Gefreiter, Ihnen hat auf der Welt ein Unglück zustoßen müssen, so daß Sie die Sprache verloren ham. Ich hab viele traurige Gefreite gekannt, aber so ein Unglück Gottes, wie Sie, Herr Gefreiter, verzeihn Sie und ärgern Sie sich nicht, hab ich noch nicht gesehn. Vertraun Sie mir an, was Sie kränkt, vielleicht kann ich Ihnen raten, weil ein Soldat, was man mit einer Eskorte führt, der hat immer größere Erfahrungen wie die, was ihn bewachen. Oder wissen Sie was, Herr Gefreiter, damit uns der Weg besser vergeht, erzähln Sie was, meintwegen wies bei Ihnen in der Umgebung ausschaut, obs dort einen Teich gibt, oder vielleicht is eine Ruine dort von einer Burg, und Sie könnten uns dann erzähln, was für eine Sage sich dranknüpft.«

»Jetzt hab ich schon genug«, schrie der Gefreite.

»Da sind Sie ein glücklicher Mensch«, sagte Schwejk, »mancher Mensch hat nie nicht genug.«

Der Gefreite sagte noch: »Bei der Brigade wern sie dir den Standpunkt klarmachen, aber ich wer mich nicht mit dir abgeben«, und hüllte sich dann in vollständiges Schweigen.

Bei diesem Transport gab es überhaupt sehr wenig Amüsement. Der Magyare unterhielt sich mit dem Deutschen auf eigenartige Weise, da er von der deutschen Sprache nur die Worte: »Jawohl«, »und« und »was« kannte. Wenn der Deutsche ihm was erklärte, nickte der Magyare mit dem Kopf und sagte: »Jawohl«, und wenn der Deutsche verstummte, sagte der Magyare »was?«, und der Deutsche legte von neuem los. Der Pole von der Eskorte verhielt sich aristokratisch, kümmerte sich um niemanden und unterhielt sich mit sich allein, indem er sich auf den Boden schneuzte, wozu er ungemein geschickt den Daumen der rechten Hand benutzte; dann verschmierte er den Schleim auf dem Boden melancholisch mit dem Gewehrkolben und wischte hierauf den verschmutzten Kolben manierlich an der Hose ab, wobei er unaufhörlich vor sich hinbrummte: »Heilige Jungfrau.«

»No, da kannst du grad nicht viel«, sagte ihm Schwejk. »Na Bojischti hat in einer Kellerwohnung der Straßenkehrer Machatschek gewohnt, der hat sich aufs Fenster geschneuzt und hats so geschickt verschmiert, daß draus ein Bild geworn is, wie Libuscha den Ruhm der Stadt Prag prophezeit. Für jedes Bild hat er von der Frau so ein Staatsstipendium gekriegt, daß er ein Maul gehabt hat wie ein Schlauch, aber er hats nicht gelassen und hat sich drin fort vervollkommnet. Es war auch sein einziges Vergnügen.«

Der Pole antwortete ihm darauf nicht, und zum Schluß versank die ganze Eskorte in tiefes Schweigen, als fahre sie zu einem Begräbnis und denke mit Pietät des Verstorbenen. So näherten sie sich dem Brigadestab in Wojalycza.

 

Inzwischen waren beim Brigadestab gewisse grundlegende Veränderungen vor sich gegangen.

Mit dem Kommando des Brigadestabs war Oberst Gerbich betraut worden. Das war ein Mann von großen militärischen Fähigkeiten, die sich ihm in der Form von Podagra in die Beine geschlagen hatten. Er hatte jedoch im Ministerium sehr einflußreiche Bekannte, die dahin wirkten, daß er nicht in Pension ging und sich nun in verschiedenen Stäben größerer militärischer Formationen herumtrieb, eine erhöhte Gage nebst den mannigfachsten Kriegszuschlägen bezog und so lange an einem Ort blieb, als er nicht in einem Podagraanfall irgendeinen Blödsinn begangen hatte. Dann versetzte man ihn wieder anderswohin, und gewöhnlich war dies eigentlich ein Avancement. Mit den Offizieren pflegte er beim Mittagessen von nichts anderem zu sprechen als von einer geschwollenen Zehe, die von Zeit zu Zeit schreckliche Dimensionen annahm, so daß er einen eigens angefertigten großen Schuh tragen mußte.

Während des Essens bildete es seine liebste Unterhaltung, allen zu erzählen, wie feucht seine Zehe sei und wie diese unaufhörlich schwitze, so daß er sie in Watte wickeln müsse und daß ihre Ausdünstungen den Geruch sauer gewordener Rindssuppe hätten.

Deshalb nahm auch immer das ganze Offizierskorps mit großer Aufrichtigkeit von ihm Abschied, wenn er nach einem andern Ort abging. Sonst war er ein sehr jovialer Herr und verhielt sich recht freundschaftlich zu den Subalternoffizieren, denen er erzählte, wieviel Gutes er früher, bevor ihn das Podagra gepackt hatte, getrunken und gegessen hatte.

Als man Schwejk zur Brigade brachte und über Befehl des diensthabenden Offiziers mit den entsprechenden Akten Oberst Gerbich vorführte, saß gerade Leutnant Dub bei ihm in der Kanzlei.

Während der wenigen Tage seit dem Marsch Sanok-Sambor hatte Leutnant Dub abermals ein Abenteuer erlebt. Hinter Feldstein war die 11. Marschkompanie nämlich einem Pferdetransport begegnet, der zum Dragonerregiment nach Sadowa Wisznia instradiert war.

Leutnant Dub wußte eigentlich selbst nicht, wie es kam, daß er Oberleutnant Lukasch seine Reitkunst zeigen wollte und auf ein Pferd sprang, das mit ihm im Tal des Flusses verschwand, wo man Leutnant Dub später in einem kleinen Sumpf so festgeklemmt fand, daß ihn vielleicht der beste Gärtner nicht hätte geschickter einsetzen können. Als man ihn mit Hilfe von Kufen herauszog, klagte Leutnant Dub über nichts, sondern stöhnte nur leise, als gehe es mit ihm zu Ende. Deshalb lieferte man ihn beim Vorbeimarsch beim Brigadestab ab und legte ihn dort in das kleine Lazarett.

Nach einigen Tagen erholte er sich, so daß der Arzt erklärte, man werde ihm nur noch zwei- oder dreimal Rücken und Bauch mit Jodtinktur einschmieren, dann könne er wieder ruhig bei seiner Abteilung einrücken.

Jetzt saß er also bei Oberst Gerbich und erzählte ihm von den verschiedensten Krankheiten.

Als er Schwejk erblickte, rief er mit mächtiger Stimme, denn ihm war das rätselhafte Verschwinden Schwejks bei Feldstein bekannt: »Also wir haben dich schon wieder! Viele ziehen als Bestien aus und kommen als noch größere Raubtiere zurück. Du bist auch einer von ihnen.«

Der Vollständigkeit halber ziemt es sich zu bemerken, daß Leutnant Dub bei seinem Abenteuer mit dem Pferd eine kleine Gehirnerschütterung erlitten hatte; deshalb dürfen wir uns nicht wundern, daß er, während er dicht an Schwejk herantrat, Gott zum Kampf mit diesem herausfordernd, in Versen schrie: »Vater, ich rufe dich, brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze, sprühend umzucken mich rasselnde Blitze, Lenker der Schlachten, ich flehe dich an, Vater, hilf mir diesen Lumpen . . . Wo warst du so lange, Kerl? Was hast du da für eine Uniform an?«

Es ziemt sich noch hinzuzufügen, daß der von Gicht geplagte Oberst alles in seiner Kanzlei sehr demokratisch eingerichtet hatte, wenn er nicht gerade an einem Anfall litt. Alle möglichen Chargen lösten einander bei ihm ab, um seine Anschauungen über die geschwollene Zehe mit dem Geruch sauer gewordener Rindssuppe anzuhören.

An Tagen, an denen Oberst Gerbich nicht an Anfällen litt, war seine Kanzlei immer voll von den verschiedensten Chargen, denn in diesen außergewöhnlichen Fällen war er recht lustig und gesprächig und hatte gern Zuhörer um sich, denen er schweinische Anekdoten erzählte, was ihm wohltat und den andern die freudige Gelegenheit gab, über die alten Anekdoten zu lachen, die vielleicht schon zur Zeit des Generals Laudon im Umlauf waren.

Der Dienst bei Oberst Gerbich war zu solchen Zeiten sehr leicht, alle taten, was sie wollten, und es galt als Regel, daß bei jedem Stab, bei dem Oberst Gerbich auftauchte, gestohlen und Allotria aller Art getrieben wurde.

Auch jetzt drangen zugleich mit dem vorgeführten Schwejk die verschiedensten Chargen in die Kanzlei des Obersten und harrten der kommenden Dinge, während der Oberst die von dem Major aus Przemysl verfaßte Zuschrift an den Brigadestab studierte.

Leutnant Dub setzte jedoch in seiner gewohnten, reizenden Art seine Unterredung mit Schwejk fort: »Du kennst mich noch nicht, aber bis du mich kennenlernen wirst, wirst du vor Angst verrecken.«

Der Oberst konnte aus dem Aktenstück des Majors nicht klug werden, denn der Major hatte es noch unter dem Eindruck einer leichten Alkoholvergiftung diktiert.

Oberst Gerbich war aber trotzdem gut gelaunt, da die unangenehmen Schmerzen heute und gestern nicht eingetreten waren und seine Zehe sich ruhig verhielt wie ein Lämmchen.

»Also was haben Sie eigentlich angestellt«, fragte er Schwejk in liebenswürdigem Tone, und Leutnant Dub fühlte einen Stich im Herzen, was ihn dazu bewog, statt Schwejk zu antworten.

»Dieser Mann, Herr Oberst«, stellte er Schwejk vor, »spielt sich auf einen Idioten auf, um mit seiner Blödheit seine Niedertracht zu bemänteln. Ich kenne zwar nicht den Inhalt der mit ihm eingelangten Akten, vermute aber nichtsdestoweniger, daß der Kerl wieder etwas angestellt hat, diesmal aber in größerem Maßstab. Wenn Sie erlauben, Herr Oberst, daß ich in den Inhalt des Aktenstückes Einblick nehme, könnte ich Ihnen entschieden eventuell bestimmte Direktiven geben, wie man mit ihm zu verfahren hat.«

Sich an Schwejk wendend, sagte er zu ihm auf tschechisch: »Du saugst mir das Mark aus den Knochen, nicht wahr?«

»Jawohl«, antwortete Schwejk würdevoll.

»Da haben Sie ihn, Herr Oberst«, fuhr Leutnant Dub auf deutsch fort. »Sie können ihn nach nichts fragen. Sie können mit ihm überhaupt nicht sprechen. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, und man wird ihn exemplarisch bestrafen müssen. Erlauben Sie, Herr Oberst . . .«

Leutnant Dub vertiefte sich in das von dem Major in Przemysl verfaßte Aktenstück, und als er zu Ende gelesen hatte, rief er Schwejk feierlich zu: »Jetzt ist Schluß mit dir. Wohin hast du die ärarische Uniform gegeben?«

»Ich hab sie auf dem Teichdamm gelassen, wie ich probiert hab, wie sich die russischen Soldaten in diesen Hadern fühlen müssen«, antwortete Schwejk, »das Ganze is eigentlich nichts anderes wie ein Irrtum.«

Schwejk fing an, Leutnant Dub zu erzählen, was er wegen dieses Irrtums alles erlitten hatte, und als er schloß, brüllte ihn Leutnant Dub an:

»Jetzt wirst du mich erst kennenlernen. Weißt du, was das ist, ärarisches Eigentum zu verlieren, du Fallott, weißt du, was das heißt, im Krieg die Uniform zu verlieren?«

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant«, antwortete Schwejk, »ich weiß, wenn ein Soldat eine Uniform verliert, muß er eine neue fassen.«

»Jesusmaria«, schrie Leutnant Dub, »du Ochs, du Vieh, du wirst dich so lange mit mir spielen, daß du nach dem Krieg noch hundert Jahre nachdienen wirst.«

Oberst Gerbich, der bisher still und rechtschaffen hinter dem Tisch gesessen hatte, schnitt plötzlich eine gräßliche Grimasse denn seine bisher ruhige Zehe hatte sich plötzlich aus einem sanften und ruhigen Lämmchen durch einen Gichtanfall in einen brüllenden Tiger, in einen elektrischen Strom von 600 Volt, in ein von einem Hammer langsam zu Schotter zermalmtes Glied verwandelt. Oberst Gerbich winkte nur mit der Hand und brüllte mit der fürchterlichen Stimme eines allmählich auf dem Rost gebratenen Menschen: »Alle heraus! Reichen Sie mir den Revolver!«

Das kannten bereits alle, deshalb stürzten sie samt Schwejk, den die Wache auf den Gang schleppte, aus dem Zimmer. Nur Leutnant Dub blieb und wollte noch in dieser ihm günstig scheinenden Stunde gegen Schwejk hetzen, deshalb sagte er dem grimassenschneidenden Oberst: »Ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, Herr Oberst, daß dieser Mann . . .«

Der Oberst miaute und warf das Tintenfaß auf Leutnant Dub, worauf dieser erschrocken salutierte, »allerdings, Herr Oberst« sagte und in der Tür verschwand.

Dann drang aus der Kanzlei des Obersten lange hindurch Gebrüll und Gewinsel, bis das schmerzliche Jammern schließlich verstummte. Die Zehe des Obersten hatte sich plötzlich wieder in ein ruhiges Lämmchen verwandelt, der Gichtanfall war vorüber, der Oberst klingelte und befahl, daß man ihm Schwejk wieder vorführe.

»Also was ist eigentlich mit dir los?« fragte der Oberst, als wäre alles Unangenehme von ihm abgefallen; ihm war so wohl und leicht zumut, als wälze er sich im Sand auf dem Meeresstrand herum.

Schwejk lächelte den Oberst freundschaftlich an und erzählte ihm seine ganze Odyssee; er sei Ordonnanz der 11. Marschkompanie des 91. Regiments und wisse nicht, was man dort ohne ihn anfangen werde.

Der Oberst lächelte gleichfalls und erteilte dann folgenden Befehl: Schwejk eine Soldatenkarte über Lemberg nach der Station Zoltanecz auszufertigen, wo morgen seine Marschkompanie eintreffen soll, und ihm im Magazin eine neue ärarische Montur sowie 6 Kronen 82 Heller als Menagerelutum auf die Reise auszuhändigen.

Als dann Schwejk in der neuen österreichischen Montur den Brigadestab verließ, um sich auf den Bahnhof zu begeben, saß Leutnant Dub beim Stab und war nicht wenig überrascht, als Schwejk sich streng militärisch bei ihm abmeldete, die Dokumente vorwies und besorgt fragte, ob er Oberleutnant Lukasch etwas von ihm bestellen solle.

Leutnant Dub raffte sich zu keiner anderen Bemerkung auf, als zu dem Wörtchen: »Abtreten!« Und als er dem sich entfernenden Schwejk nachschaute, murmelte er nur vor sich hin: »Du wirst mich noch kennenlernen, Jesusmaria, du wirst mich kennenlernen . . .«

 

Auf der Station Zoltanecz war das ganze Bataillon Hauptmann Sagners versammelt; nur die »Nachhut« von der 14. Kompanie fehlte, die beim Abmarsch aus Lemberg irgendwo verlorengegangen war.

Beim Betreten der Stadt befand sich Schwejk in einem vollständig neuen Milieu, denn hier war bereits an dem allgemeinen Treiben zu merken, daß man nicht allzuweit von der Front entfernt war, wo gekämpft wurde. Überall lag Artillerie und Train, aus jedem Haus traten Soldaten der verschiedensten Regimenter, zwischen denen gleichsam als Elite die Reichsdeutschen umhergingen und als Aristokraten an die Österreicher Zigaretten aus ihren reichen Vorräten verteilten. Bei der reichsdeutschen Küche auf dem Ringplatz standen sogar Fässer mit Bier, aus denen man den Soldaten zum Mittagessen und Abendbrot Bier in Krüge verzapfte; um die Fässer schlichen wie naschhafte Kätzchen die vernachlässigten österreichischen Soldaten mit ihren von dem schmutzigen Absud der gesüßten Zichorie aufgeblähten Bäuchen herum.

Gruppen von Juden mit Schläfenlöckchen, in langen Kaftans, zeigten einander die Rauchwolken im Westen und fuchtelten mit den Händen herum. Überall hieß es, daß es am Flusse Bug, in Ucezskow, Busk und Derewjan brenne.

Der Donner der Kanonen war deutlich hörbar. Bald darauf hieß es wieder, daß die Russen von Grabow her Kamionka Strumilowa bombardierten, daß man den ganzen Bug entlang kämpfe und daß das Militär die Flüchtlinge anhalte, die wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten.

Überall herrschte Verwirrung, und niemand wußte etwas Bestimmtes, man vermutete, daß die Russen wieder zur Offensive übergegangen seien und ihren ununterbrochenen Rückzug an der ganzen Front eingestellt hätten.

Jeden Augenblick führten die Posten der Feldgendarmerie irgendeine eingeschüchterte Judenseele wegen Verbreitung falscher und trügerischer Nachrichten zum Hauptkommando des Städtchens. Dort wurden dann die unglücklichen Juden bis aufs Blut geschlagen und mit zerdroschenem Hintern nach Haus gejagt.

Mitten in diese Verwirrung kam nun Schwejk und forschte im Städtchen nach seiner Marschkompanie.

Schon auf dem Bahnhof wäre er beinahe mit dem Etappenkommando in Konflikt geraten. Als er sich dem Tisch näherte, wo den Soldaten, die ihre Truppenteile suchten, Informationen erteilt wurden, schrie ihn irgendein Korporal vom Tisch her an, ob er am Ende wolle, daß seine Marschkompanie ihn suche. Schwejk sagte ihm, er wolle nur wissen, wo hier im Städtchen die 11. Marschkompanie des 91. Regimentes einquartiert sei.

»Für mich is sehr wichtig«, bekräftigte Schwejk, »daß ich weiß, wo die 11. Marschkompanie is, weil ich die Ordonnanz von ihr bin.«

Zum Unglück saß am Nebentisch irgendein Stabsfeldwebel, der wie ein Tiger in die Höhe sprang und Schwejk anbrüllte: »Verfluchtes Schwein, du bist Ordonnanz und weißt nicht, wo deine Marschkompanie ist?«

Bevor Schwejk antworten konnte, verschwand der Stabsfeldwebel in der Kanzlei, und eine Weile später brachte er von dort einen dicken Oberleutnant mit, der so würdevoll aussah wie der Besitzer einer Großselcherei.

Die Etappenkommandos pflegten auch Fangeisen für herumstreichende verwilderte Soldaten zu sein, die am liebsten während des ganzen Kriegs ihre Truppenkörper gesucht, sich in den Etappen herumgeschlagen und in langen Zügen an den Tischen auf den Etappenkommandos gewartet hätten, wo sich die Anschrift befand: »Menagegeld.«

Als der dicke Oberleutnant eintrat, schrie der Feldwebel: »Habt acht!«, und der Oberleutnant fragte Schwejk: »Wo hast du die Dokumente?«

Schwejk legte sie dem Oberleutnant vor, und als sich dieser von der Richtigkeit der Marschroute Schwejks, von seinem Brigadestab nach Zoltanecz zu seiner Kompanie, überzeugt hatte, gab er sie Schwejk wieder zurück und sagte huldvoll zu dem Korporal am Tisch: »Geben Sie ihm Informationen«, worauf die Tür zur Kanzlei wieder geschlossen wurde.

Nachdem die Türe hinter dem Oberleutnant zugefallen war, packte der Stabsfeldwebel Schwejk an der Schulter, führte ihn zur Türe und erteilte ihm folgende Information: »Schau, daß du verschwindest, du Stinkvieh!«

Und so befand sich Schwejk abermals im unklaren und forschte nun nach jemandem Bekannten vom Bataillon. Er ging lange in den Gassen hin und her, bis er schließlich alles auf eine Karte setzte.

Er hielt einen Oberst an und fragte ihn in seinem gebrochenen Deutsch, ob er vielleicht wisse, wo Schwejks Bataillon mit der Marschkompanie liege.

»Mit mir kannst du Tschechisch sprechen«, sagte der Oberst, »ich bin auch ein Tscheche. Dein Bataillon liegt nebenan im Dorfe Klimontow hinter der Bahn, und ins Städtchen darf man nicht, weil sich die Soldaten von eurer Kompanie gleich nach ihrer Ankunft auf dem Marktplatz mit den Bayern gerauft haben.«

Schwejk machte sich also auf den Weg nach Klimontow.

Der Oberst rief ihn zurück, griff in die Tasche, gab Schwejk fünf Kronen, damit er sich dafür Zigaretten kaufe, nahm nochmals freundschaftlich von ihm Abschied, entfernte sich und dachte im Geiste: »Was für ein sympathischer Soldat.«

Schwejk setzte seinen Weg ins Dorf fort und dachte über den Oberst nach. Dabei kam er zu dem Schlusse, daß es vor zwölf Jahren in Trient einen Oberst namens Habermaier gegeben habe, der sich den Soldaten gegenüber auch so freundlich benahm, worauf es sich dann herausgestellt hatte, daß er homosexuell war, denn er wollte in einem Bad an der Ada einen Kadett-Aspiranten schänden und drohte ihm dabei mit dem Dienstreglement.

In solch düstere Gedanken versunken erreichte Schwejk langsam das unferne Dorf; es bereitete ihm keine große Mühe, den Bataillonsstab zu finden, denn obwohl sich das Dorf sehr in die Länge zog, befand sich darin nur ein einziges anständiges Gebäude, die große Volksschule, die in dieser rein ukrainischen Gegend von der galizischen Landesverwaltung zwecks ausgiebiger Polonisierung der Gemeinde erbaut worden war.

Die Schule hatte während des Krieges einige Phasen durchgemacht. Einigemal waren hier russische Stäbe, österreichische Stäbe einquartiert gewesen, eine Zeitlang, während der großen Schlachten, die über das Schicksal Lembergs entschieden, war der Turnsaal als Operationssaal benutzt worden. Hier wurden Beine und Arme abgeschnitten und Kopftransplantationen durchgeführt.

Hinter der Schule im Schulgarten befand sich eine große trichterförmige Grube, die durch die Explosion einer großkalibrigen Granate entstanden war. In der Ecke des Gartens stand ein starker Birnbaum; auf einem Ast desselben hing ein Stück eines entzweigeschnittenen Strickes, an dem kurz vorher der griechisch-katholische Pfarrer des Ortes gehangen hatte, der auf Grund einer Anzeige des polnischen Ortslehrers gehängt worden war; der Lehrer hatte angegeben, daß der Pfarrer Mitglied einer Gruppe von Altrussen sei und während der russischen Okkupation in der Kirche eine Messe für den Sieg des russischen rechtgläubigen Zaren gelesen habe. Das war zwar nicht wahr, denn der Angeklagte war zu jener Zeit gar nicht im Orte anwesend, sondern hielt sich gerade in einem kleinen, vom Kriege unberührten Badeort, in Bochnia-Zamurowan, zur Kur auf, allein, das tat nichts zur Sache.

Bei der Hinrichtung des griechisch-katholischen Pfarrers spielten einige Umstände mit: die Nationalität, die religiöse Streitfrage und eine Henne. Der unglückliche Pfarrer hatte nämlich knapp vor dem Kriege in seinem Garten eine von den Hennen des Lehrers, die ihm die eingesetzten Melonenkörner aus dem Boden gepickt hatten, erschlagen.

Nach dem Tode des griechisch-katholischen Pfarrers blieb das Pfarrgebäude verwaist zurück, und man kann sagen, daß jeder etwas zum Andenken an den Herrn Pfarrer mitnahm.

Ein polnisches Bäuerlein trug sogar das alte Klavier mit nach Hause, dessen Deckel er zum Ausbessern der Türe seines Schweinestalls benützte. Einen Teil der Möbel spalteten die Soldaten, wie dies üblich war, und nur durch einen glücklichen Zufall blieb der große Küchenofen unberührt, der eine ausgezeichnete Herdplatte hatte, denn der griechisch-katholische Pfarrer war in keiner Hinsicht anders als seine Ultra-Kollegen; er legte großen Wert aufs Essen und hatte gern viele Töpfe und Pfannen auf dem Herd und in der Röhre stehen.

Es war zur Tradition geworden, daß von allen durchmarschierenden Truppen in dieser Küche für die Offiziere gekocht wurde. Oben, in dem großen Zimmer, richtete man eine Art Offizierskasino ein. Tische und Stühle verschaffte man sich von der Dorfbevölkerung.

An jenem Tage veranstalteten die Offiziere des Bataillons gerade ein Festmahl; sie hatten aus gemeinsamer Kasse ein Schwein gekauft, und Koch Jurajda rüstete für die Offiziere ein Schweinefest; er war umringt von verschiedenen Günstlingen aus den Reihen der Offiziersburschen, unter denen die Hauptrolle der Rechnungsfeldwebel spielte. Er erteilte Jurajda Ratschläge, wie der Schweinskopf zu zerlegen sei, damit ein Stück vom Rüssel übrigbleibe.

Die heißhungrigsten Augen von allen jedoch hatte Nimmersatt Baloun.

So etwa schauen Menschenfresser lüstern und begierig zu, wenn von einem auf dem Rost gebratenen Missionär das Fett träufelt und beim Schmoren einen angenehmen Duft ausströmt. Baloun war ungefähr so zumute wie einem Hund, der einen Wagen mit Milch zieht und an dem ein Selcherlehrling mit einem Korb voll frisch geräucherter Würste auf dem Kopfe vorbeigeht. Aus dem Korb baumelt eine Kette von Würsten auf seinen Rücken herab, man brauchte nur nach ihnen zu springen und zu schnappen, wenn nicht der verfluchte Maulkorb und das widerwärtige Riemenzeug wäre, in das der bedauernswerte Hund eingespannt ist.

Und die Leberwurstfülle, die die erste Epoche ihrer Geburt durchlebte, ein ungeheures Leberwurstembryo, ein großer Haufen auf dem Hackbrett, roch nach Pfeffer, Fett und Leber.

Jurajda hantierte mit aufgestülpten Ärmeln so ernsthaft, daß er dem Bilde Gottes, wie dieser aus dem Chaos die Erdkugel schafft, hätte zum Modell dienen können.

Baloun konnte nicht mehr an sich halten und schluchzte auf. Sein Schluchzen steigerte sich zu einem unstillbaren Weinen.

»Was brüllst du wie ein Stier?« fragte ihn Koch Jurajda.

»Ich hab mich so an zu Haus erinnert», antwortete Baloun unter Schluchzen, »wie ich immer zu Haus dabei war, und wie ich nie nicht mal meinem besten Nachbarn was davon schicken wollt, ich hab nur immer alles allein auffressen wolln und auch aufgefressen. Einmal hab ich mich so mit Leberwürsten, Blutwürsten und Wellfleisch angepampft, daß alle gemeint ham, daß ich zerspringen wer, und mich mit einer Peitsche im Hof im Kreis herumgejagt ham, wie wenn eine Kuh nach zuviel Klee aufgebläht is. Herr Jurajda, erlauben Sie mir einen Griff in die Fülle, soll ich dann angebunden wern, sonst überleb ich diese Martern nicht.«

Baloun stand von der Bank auf, trat schwankend wie ein Betrunkener zum Tisch und streckte seine Pratze in der Richtung der Wurstfülle aus.

Ein hartnäckiger Kampf entspann sich. Nur mit Mühe konnten ihn sämtliche Anwesende davon abhalten, sich auf die Fülle zu stürzen. Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß er, als sie ihn aus der Küche hinauswarfen, in seiner Verzweiflung in den Topf mit den eingeweichten Därmen für die Leberwürste griff.

Koch Jurajda war so aufgeregt, daß er dem fliehenden Baloun ein ganzes Bündel Speile nachwarf und ihm nachbrüllte: »Friß dich an den Speilen satt, Biest!«

Um diese Zeit waren oben schon die Offiziere des Bataillons versammelt, und während sie feierlich erwarteten, was unten in der Küche in die Welt gesetzt wurde, tranken sie in Ermangelung eines anderen Getränkes ordinären, mittels eines Zwiebelabsuds gelb gefärbten Kornbranntwein, von dem der jüdische Händler behauptete, daß es der echteste französische Kognak sei, den er von seinem Vater geerbt habe, der ihn seinerseits vom Großvater geerbt habe.

»Du Kerl, du«, sagte ihm bei dieser Gelegenheit Hauptmann Sagner, »wenn du noch mal sagst, daß ihn dein Urgroßvater von einem Franzosen gekauft hat, wie er aus Moskau flüchtete, so laß ich dich einsperren, und du wirst spinnen, bis der jüngste von deiner Familie der älteste sein wird.«

Während sie bei jedem Schluck den unternehmungslustigen Juden verfluchten, saß Schwejk schon in der Bataillonskanzlei, wo sich niemand anders befand als der Einjährigfreiwillige Marek, der als Bataillonshistoriker die Rast des Bataillons in Zoltanecz benutzt hatte, um einige siegreiche Kämpfe zu beschreiben, die unbedingt in der Zukunft stattfinden mußten.

Vorläufig entwarf er nur diverse Skizzen, und als Schwejk eintrat, hatte er gerade niedergeschrieben: »Wenn vor unserem geistigen Auge all die Helden auftauchen, die an dem Kampf bei dem Dorfe N., wo an der Seite unseres Bataillons ein Bataillon des Regimentes N. und ein zweites Bataillon des Regimentes N. kämpften, teilgenommen haben, dann erkennen wir, daß unser n-tes Bataillon die glänzendsten strategischen Fähigkeiten an den Tag legte und unstreitig zu dem Siege der n-ten Division beigetragen hat, die die Aufgabe hatte, unsere Linie im Abschnitt N. definitiv zu festigen.«

»No also, siehst du«, sagte Schwejk zum Einjährigfreiwilligen, »ich bin schon wieder da.«

»Erlaube, daß ich dich beschnuppere«, sagte der Einjährigfreiwillige Marek angenehm berührt, »hm, du stinkst wirklich nach Kriminal.«

»Wie gewöhnlich«, sagte Schwejk, »war es nur ein kleines Mißverständnis; und was machst du?«

»Wie du siehst«, antwortete Marek, »werfe ich die heldenmütigen Retter Österreichs aufs Papier, aber es will mir irgendwie nicht klappen, lauter Schweinedreck kommt heraus. Ich unterstreiche darin das ›N‹, ein Buchstabe, der sowohl in der Gegenwart wie in der Zukunft eine ungewöhnliche Bedeutung in sich birgt. Außer meinen früheren Eigenschaften hat Hauptmann Sagner noch ein ungewöhnliches mathematisches Talent in mir entdeckt. Ich muß die Bataillonsrechnungen kontrollieren und bin bisher zu dem Rechnungsabschluß gekommen, daß das Bataillon vollständig passiv ist und nur darauf wartet, sich mit seinen russischen Gläubigern ausgleichen zu können, da nach einer Niederlage, ebenso wie nach einem Sieg am meisten gestohlen wird. Übrigens ist das alles wurscht. Auch wenn wir bis auf den letzten Mann aufgerieben werden sollten, hier sind die Dokumente über unsern Sieg, denn ich als Bataillonsschreiber habe die Ehre, schreiben zu dürfen: ›Eine neuerliche Wendung gegen den Feind, der bereits geglaubt hatte, der Sieg sei auf seiner Seite. Ein Ausfall unserer Krieger und ein Bajonettangriff waren das Werk eines Augenblicks. Der Feind flieht verzweifelt, wirft sich in die eigenen Schützengräben, wir stechen ohne Gnade in ihn hinein, so daß er in Unordnung seine Schützengräben verläßt und in unseren Händen verwundete und unverwundete Gefangene zurückläßt. Es ist einer der feierlichsten Augenblicke. Wer es überlebt, schreibt per Feldpost eine Karte nach Hause: »Haben übern Arsch gekriegt, teure Frau! Ich bin gesund. Hast du schon unsern Fratz abgestillt? Lehr ihn nur nicht fremden Leuten ›Vater‹ sagen, da das für mich traurig wäre.« Die Zensur streicht dann auf der Karte das: ›Haben übern Arsch gekriegt‹, da man nicht weiß, um wen es sich handelt und im Hinblick auf die unklare Ausdrucksweise mancherlei kombinieren könnte.«

»Die Hauptsache is, klar sprechen«, bemerkte Schwejk. »Wie die Missionäre im Jahre 1912, beim heilige Ignaz in Prag gepredigt ham, da war dir dort ein Prediger, und der hat von der Kanzel herunter gesagt, daß er wahrscheinlich niemanden im Himmel wiedersehn wird. Und bei diesem Abendexerzitium war ein Klempner namens Kulitschek zugegen, und der hat nach der Andacht im Gasthaus erzählt, daß der Missionär herich viel Sachen hat anstellen müssen, wenn er in der Kirche, wie bei einer öffentlichen Beichte ankündigt, daß er niemanden im Himmel wiedersehen wird; warum man solche Leute auf die Kanzel schickt. Man soll immer klar und deutlich sprechen, und nicht in solchen Schnörkeln. Beim ›Brejschka‹ war vor Jahren ein Kellermeister, und der hat in der Gewohnheit gehabt, wenn er in Wut war und nach der Arbeit nach Haus gegangen is, sich in einem Nachtcafé aufzuhalten und fremden Gästen zuzutrinken und immer beim Zutrinken zu sagen: ›Wir wern uns auf euch, ihr werdet euch auf uns . . .‹ Dafür hat er mal von einem anständigen Herrn aus Iglau so eins übers Maul gekriegt, daß der Cafetier früh, wie er die Zähne ausgekehrt hat, sein Töchterchen gerufen hat, was in die fünfte Volksschulklasse gegangen is, und sie gefragt hat, wieviel Zähne ein erwachsener Mensch im Mund hat. Weil sies nicht gewußt hat, so hat er ihr zwei Zähne herausgeschlagen, und am dritten Tag hat er eine Zuschrift vom Kellermeister gekriegt, in der sich dieser für alle Unannehmlichkeiten entschuldigt hat, daß er nichts Ordinäres hat sagen wolln, aber daß man ihn immer mißversteht, weil es eigentlich lauten soll: ›Ihr werdet euch auf uns, wir wern uns auf euch nicht ärgern!‹ Wer zweideutige Sachen redet, muß sichs zuerst überlegen. Ein aufrichtiger Mensch, was spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen is, kriegt selten übers Maul. Und wenns ihm paarmal passiert is, dann gibt er sich überhaupt acht und hält lieber in Gesellschaft die Goschen. Es is wahr, daß von so einem Mensch jeder denkt, er is geschnapst, und Gott weiß wie, und daß man ihn auch oft verprügelt, aber das bringt schon seine Überlegenheit mit sich, seine Selbstbeherrschung, weil er damit rechnen muß, daß er allein is und gegen ihn viele Menschen, was sich beleidigt fühlen, und wenn er anfangen möcht, sich mit ihnen herumzuschlagen, könnt er noch doppelt soviel abkriegen. So ein Mensch muß bescheiden und geduldig sein. In Nusle lebte ein gewisser Herr Hauben, den hat man mal Sonntag in Kundratitz auf der Straße aus Versehen mitn Messer gestochen, wie er von einem Ausflug heimgegangen is. Und er is mit dem Messer im Rücken nach Haus gekommen, und wie ihm seine Frau den Rock ausgezogen hat, hat sies ihm hübsch ausn Rücken herausgezogen, und Vormittag hat sie schon mit dem Messer Fleisch und Gulasch zerschnitten, weil es aus Solinger Stahl und gut geschliffen war und sie lauter stumpfe Messer zu Haus gehabt ham. Sie hat dann eine ganze Garnitur von solchen Messern in die Wirtschaft ham wolln und hat ihn immer Sonntag auf einen Ausflug nach Kundratitz geschickt, aber er war so bescheiden, daß er nirgends woanders hingegangen is als zu ›Banzet‹ nach Nusle, denn wenn er dort in der Küche gesessen ist, hat er gewußt, daß ihn der Wirt Banzet herauswirft, bevor ihn jemand anrühren kann.«

»Du hast dich gar nicht verändert«, sagte der Einjährigfreiwillige.

»Nicht verändert«, sagte Schwejk, »ich habe keine Zeit dazu gehabt. Man hat mich sogar erschießen solln, aber das wär noch nicht das ärgste, ich hab seit dem zwölften noch nirgendwo meine Löhnung gekriegt.«

»Bei uns wirst du sie jetzt nicht kriegen, weil wir nach Sokal gehn und die Löhnung erst nach der Schlacht ausgezahlt werden wird, wir müssen sparen. Wenn ich annehme, daß das Vergnügen in vierzehn Tagen abgetan sein wird, so belaufen sich die Ersparnisse bei jedem gefallenen Soldaten samt Zulage auf 24 Kronen 72 Heller.«

»Und was gibts sonst Neues bei euch?«

»Erstens ist uns die Nachhut verlorengegangen, dann gibts für das Offizierskorps in der Pfarre ein Schweinefest, und die Mannschaft treibt sich im Dorf herum und verübt allerhand Unsittlichkeiten an der hiesigen weiblichen Bevölkerung. Vormittag hat man einen Soldaten von eurer Kompanie angebunden, weil er einem siebzigjährigen Weib auf den Dachboden nachgekrochen ist. Der Mensch ist unschuldig, denn im Tagesbefehl ist nichts davon gestanden, bis zu wieviel Jahren es erlaubt ist.«

»Das denk ich mir auch«, sagte Schwejk, »daß der Mensch unschuldig is, weil, wenn so eine alte Babe auf der Leiter hinaufkriecht, so sieht man ihr nicht ins Gesicht. Grad so ein Fall is dir auf den Manövern in Tabor passiert. Ein Zug von uns war im Gasthaus einquartiert, und ein Frauenzimmer hat im Vorzimmer den Fußboden gescheuert, und ein gewisser Chramosta hat sich an sie herangemacht und hat ihr – wie soll ichs sagen – die Röcke getätschelt. Sie hat sehr entwickelte Röcke gehabt, und wie er sie so getätschelt hat, so macht sie, wie wenn nichts war, er tätschelt sie zum zweitenmal, tätschelt sie zum drittenmal, sie wieder wie wenn sies nichts angehn möcht, so hat er sich dir zu einer Tat entschlossen und sie hat ruhig weiter den Fußboden gescheuert, und dann dreht sie sich mitn ganzen Gesicht zu ihm um und sagt: ›Schön hab ich dich drangekriegt.‹ Die Alte war über siebzig Jahre alt, und sie hats dann im ganzen Dorf herumerzählt. – Und jetzt möcht ich mir erlauben, dich zu fragen, ob du in meiner Abwesenheit nicht auch eingesperrt warst.«

»Es war keine Gelegenheit dazu«, entschuldigte sich Marek, »dagegen muß ich dir, soweit es dich betrifft, mitteilen, daß das Bataillon einen Haftbefehl gegen dich erlassen hat.«

»Das macht nichts«, meinte Schwejk, »da ham sie ganz recht gehabt, das Bataillon hat das tun müssen und einen Haftbefehl gegen mich erlassen müssen, das war seine Pflicht, weil man so lange nichts von mir gewußt hat. Das war gar keine Übereilung vom Bataillon. – Du sagst also, daß alle Offiziere auf der Pfarre beim Schweinefest sind? Da muß ich hingehn und mich vorstelln, daß ich wieder hier bin, der Herr Oberlajtnant Lukasch hat ohnehin sicher große Sorgen um mich gehabt.«

Schwejk machte sich in festem Soldatenschritt auf den Weg nach der Pfarre, wobei er sang:

»Schau mich an und staune,
Meine Lust und Freude,
Schau mich an und staune,
Was für einen Herrn
Man aus mir gemacht hat . . .«

Dann stieg Schwejk in der Pfarre die Stiegen empor, dorthin, woher die Stimmen der Offiziere drangen.

Man sprach von allem möglichen und redete gerade über die Brigade und über die Unordnung, die dort beim Stab herrsche; auch der Brigadeadjutant warf einen Stein auf die Brigade, indem er bemerkte: »Wir haben doch wegen Schwejk telegrafiert, der Schwejk . . .«

»Hier!« rief durch die halbgeöffnete Türe Schwejk, trat ein und wiederholte: »Hier! Melde gehorsamst, Infanterist Schwejk, Kompanieordonnanz der 11. Marschkompanie!«

Als er Hauptmann Sagners und Oberleutnant Lukaschs verdutzte Gesichter sah, auf denen sich eine gewisse stille Verzweiflung spiegelte, wartete er keine Frage ab, sondern rief: »Melde gehorsamst, man hat mich erschießen wolln, weil ich Seine Majestät den Kaiser verraten hab.«

»Um Christi willen, was reden Sie da, Schwejk!« schrie der bleiche Oberleutnant Lukasch verzweifelt.

»Melde gehorsamst, das war so, Herr Oberlajtnant . . .«

Und Schwejk fing an, umständlich zu schildern, wie das alles eigentlich gekommen war.

Die Offiziere blickten ihn mit herausgewälzten Augen an, während er mit allen erdenklichen Einzelheiten in seiner Erzählung fortfuhr und zum Schluß nicht zu bemerken vergaß, daß auf dem Damm des Teiches, wo ihm das Unglück begegnet war, Vergißmeinnicht wuchsen. Als er dann die Namen der Tataren nannte, die er auf seiner Pilgerfahrt kennengelernt hatte, zum Beispiel den Namen Hallimulabalibej, dem er eine ganze Reihe selbst erfundener Namen, wie Valivolavalivej, Malimulamalimej hinzufügte, konnte der Oberleutnant nicht mehr die Bemerkung verbeißen: »Daß ich Ihnen eins aufhau, Sie Rindvieh, fahren Sie fort, kurz, aber zusammenhängend!«

Und Schwejk fuhr mit der ihm eigenen Konsequenz fort; als er dann beim Standgericht, beim General und beim Major angelangt war, ließ er nicht unerwähnt, daß der General auf dem linken Auge schielte und der Major blaue Augen hatte.

»Auf dem Kopfe eine Platte«, fügte er dann in einem Vers hinzu.

Hauptmann Zimmermann, Kompaniekommandant der 12. Kompanie, warf das Töpfchen, aus dem er den kräftigen Branntwein des Juden getrunken hatte, auf Schwejk.

Das brachte Schwejk jedoch nicht aus der Ruhe, und er erzählte, wie es dann zum geistlichen Trost gekommen sei und wie der Major bis früh in seinen Armen geschlafen habe. Dann verteidigte er glänzend die Brigade, wohin man ihn gesandt hatte, als das Bataillon seine Auslieferung als Vermißten gefordert hatte. Und als er dann vor Hauptmann Sagner seine Dokumente ausbreitete, aus denen hervorging, daß ihn die hohe Brigadeinstanz von jedwedem Verdacht reingewaschen hatte, meinte er:

»Ich erlaube mir gehorsamst zu bemerken, daß Herr Lajtnant Dub sich mit Gehirnerschütterung bei der Brigade befindet und alle grüßen läßt. Bitte um die Löhnung und um die Tabakzulage.«

Hauptmann Sagner und Oberleutnant Lukasch tauschten untereinander fragende Blicke aus, allein in diesem Augenblick öffnete sich bereits die Türe und herein wurde in einem Zuber die dampfende Leberwurstsuppe getragen.

Das war der Beginn all der Freuden, derer man hier harrte.

»Sie verdammter Kerl, Sie«, sagte Hauptmann Sagner in Anbetracht der nahenden Genüsse gut gelaunt zu Schwejk. »Sie hat nur das Schweinefest gerettet.«

»Schwejk«, fügte Oberleutnant Lukasch hinzu, »wenn noch etwas passiert, wirds mit Ihnen schlecht enden.«

»Melde gehorsamst, daß es mit mir schlecht enden muß«, sagte Schwejk, »wenn man beim Militär is, muß man wissen . . .«

»Verschwinden Sie!« brüllte ihn Hauptmann Sagner an.

Schwejk verschwand und begab sich hinunter in die Küche. Der bestürzte Baloun war bereits zurückgekehrt und bat, seinen Oberleutnant Lukasch beim Essen bedienen zu dürfen.

Schwejk kam gerade zu der Polemik zwischen Koch Jurajda und Baloun.

Jurajda benützte dabei ziemlich unverständliche Ausdrücke.

»Du bist ein gefräßiges Berstel«, sagte er zu Baloun, »du würdest fressen, bis du schwitzen möchtest, und wenn ich dich die Leberwürste hinauftragen lassen möcht, würdest du dich mit ihnen auf der Stiege dem Satan verschreiben.«

Die Küche hatte nunmehr ein anderes Aussehen. Die Rechnungsfeldwebel der Bataillone und Kompanien naschten dem Rang nach, einem von Koch Jurajda ausgearbeiteten Plan gemäß. Die Bataillonsschreiber, die Kompanietelefonisten und einige Chargen aßen gierig aus einem rostigen Waschbecken die mit heißem Wasser verdünnte Leberwurstsuppe, um auch etwas abzubekommen.

»Naz dar!« sagte Rechnungsfeldwebel Waněk, eine Klaue abnagend, zu Schwejk. »Vor einer Weile war unser Einjährigfreiwilliger Marek hier und hat uns mitgeteilt, daß Sie wieder hier sind und eine neue Montur anhaben. Sie ham mich jetzt in eine hübsche Schlamastik hineingebracht. Er hat mir Angst eingejagt, daß wir die Montur jetzt nicht mit der Brigade wern verrechnen können. Ihre Montur hat man auf dem Teichdamm gefunden, und wir hams schon durch die Bataillonskanzlei der Brigade gemeldet. Bei mir sind Sie als beim Baden ertrunken geführt. Sie ham überhaupt nicht mehr zurückkommen und uns mit den zwei Monturen Unannehmlichkeiten machen müssen. Sie wissen gar nicht, was Sie dem Bataillon eingebrockt ham. Jeder Teil Ihrer Montur is bei uns verzeichnet. Er befindet sich im Verzeichnis der Monturen bei mir und bei der Kompanie als Zuwachs. Die Kompanie hat um eine vollständige Montur mehr. Davon hab ich dem Bataillon Mitteilung gemacht. Jetzt bekommen wir von der Brigade die Verständigung, daß Sie dort eine neue Montur bekommen ham. Da das Bataillon derweil in den Bekleidungsausweisen anzeigt, daß ein Zuwachs von einer kompletten Montur . . . Ich kenn das, draus kann eine Revision wern. Wenn sichs um so eine Kleinigkeit handelt, kommen sie von der Intendanz zu uns gefahren. Wenn 2000 Paar Stiefel verlorengehn, kümmert sich kein Mensch drum . . .«

»Aber uns is Ihre Montur verlorengegangen«, sagte Waněk tragisch, indem er aus dem Knochen, der ihm in die Hände gefallen war, das Mark sog und den Rest mit einem Streichholz, das er als Zahnstocher benützt hatte, herausbohrte, »wegen so einer Kleinigkeit kommt bestimmt eine Inspektion her. Wie ich in den Karpaten war, is eine Inspektion zu uns gekommen, weil wir nicht den Befehl eingehalten ham, den erfrorenen Soldaten die Stiefel unbeschädigt auszuziehen. Man hat sie heruntergezogen und heruntergezogen, und dabei sind sie bei zweien geplatzt und einer hat sich schon vorn Tod zerrissen gehabt. Und das Malör war fertig. Ein Oberst von der Intendanz is gekommen, und wenn er nicht gleich, wie er gekommen is, von der russischen Seite eins in den Kopf erwischt hätt und ins Tal hinuntergekollert wär, weiß ich nicht, was passiert wär.«

»Hat man ihm auch die Stiefel abgezogen?« fragte Schwejk interessiert.

»Ja«, sagte Wanĕk melancholisch, »aber niemand hat gewußt wer, so daß wir diese Stiefel von dem Oberst nicht mal in den Ausweis ham aufnehmen können.«

Koch Jurajda kehrte von oben zurück, und sein erster Blick galt dem vernichteten Baloun, der traurig und niedergeschlagen auf der Bank beim Ofen saß und in fürchterlicher Verzweiflung auf seinen abgemagerten Bauch blickte.

»Du gehörst unter die Sekte der Hesychasten«, sagte der gelehrte Koch Jurajda mitleidig, »die haben auch den ganzen Tag auf ihren Nabel geschaut, bis ihnen vorgekommen ist, daß ihnen um den Nabel herum ein Heiligenschein leuchtet. Dann haben sie geglaubt, daß sie den dritten Grad der Vollkommenheit erreicht haben.«

Jurajda griff in die Ofenröhre und entnahm ihr eine Blutwurst.

»Friß, Baloun«, sagte er freundlich, »friß dich an, bis du zerspringst, erstick, du Vielfraß.«

Baloun schossen Tränen in die Augen.

»Zu Haus, wenn wir geschlachtet ham«, erklärte Baloun weinerlich, während er die kleine Blutwurst verspeiste, »habe ich zuerst ein tüchtiges Stück Wellfleisch aufgegessen, den ganzen Rüssel, das Herz, ein Ohr, ein Stück Leber, die Niere, die Milz, ein Stück Schlegel, die Zunge und dann . . .«

Und mit leiser Stimme fügte er hinzu, als erzählte er ein Märchen: »Und dann sind die Leberwürste gekommen, sechs Stück, zehn Stück und dickbäuchige Blutwürste mit Graupen und Semmeln, daß du gar nicht weißt, wohinein man zuerst beißen soll, in die aus Semmeln oder in die aus Graupen. Alles zerfließt auf der Zunge, alles duftet, und der Mensch frißt und frißt.«

»So denk ich mir«, fuhr Baloun zu plaudern fort, »daß mich die Kugeln verschonen wern, aber der Hunger wird mich umbringen, und ich wer nie mehr im Leben so eine Pfanne mit Wurstfülle sehn wie zu Haus. Sulz hab ich nicht so gern gehabt, weils zittert und nichts ausgibt. Die Frau wieder hätt sich für Sulz erschlagen lassen, und ich hab ihr in die Sulz nicht mal ein Stück Ohr gegönnt, weil ich alles allein auffressen wollt, so wies mir am besten geschmeckt hat. Ich hab sie mir nicht geschätzt, die Leckerbissen nämlich, den Überfluß, und dem Schwiegervater auf dem Altenteil hab ich mal sogar ein Schwein abgeleugnet; ich habs geschlachtet und aufgefressen, und dann hats mir noch leid getan, ihm, dem armen Alten, auch nur ein kleines Stück davon zu schicken – und er hat mir prophezeit, daß ich mal vor Hunger krepiern wer.«

»Und schon is es da, das Malör«, sagte Schwejk, dem heute unwillkürlich Verse von den Lippen strömten.

Koch Jurajda hatte den plötzlichen Anfall von Mitleid mit Baloun bereits überwunden; Baloun wandte sich auffällig rasch zum Herd, zog aus der Tasche ein Stück Brot hervor und versuchte, die ganze Scheibe in die Soße zu tauchen, die in einer großen Pfanne auf allen Seiten eines großen Schweinebratens brodelte.

Jurajda schlug ihm über die Hand, so daß die Brotscheibe in die Soße fiel, wie wenn ein Schwimmer auf der Schwimmschule von der Brücke in den Fluß springt.

Ohne ihm Gelegenheit zu geben, den Leckerbissen aus der Pfanne zu ziehen, packte Jurajda Baloun und warf ihn zur Tür hinaus.

Der bestürzte Baloun sah noch durchs Fenster, wie Jurajda mit der Gabel die von der Soße braun gefärbte Brotscheibe herauszog, ein von der Oberfläche des Bratens abgeschnittenes Stück Fleisch hinzufügte und es mit den Worten: »Essen Sie, mein bescheidener Freund«, Schwejk reichte.

»Jungfrau Maria«, jammerte Baloun hinter dem Fenster, »mein Brot is beim Teufel.« Mit den langen Armen schlenkernd ging er ins Dorf, um etwas für den Gaumen aufzutreiben.

Während Schwejk die edelmütige Gabe Jurajdas verzehrte, sagte er mit vollem Mund: »Da bin ich wirklich gern, daß ich wieder unter den Meinigen bin. Es möcht mich sehr verdrießen, wenn ich der Kompanie nicht länger meine wertvollen Dienste erweisen könnte.« Und sich die von der Brotscheibe geflossenen Tropfen und das Fett vom Kinn wischend, fuhr er fort:

»Weiß Gott, weiß Gott, was ihr hier ohne mich angefangen hättet, wenn man mich dort irgendwo zurückbehalten hätt und der Krieg sich noch um paar Jahre verlängern tät.«

Rechnungsfeldwebel Waněk fragte mit Interesse:

»Was meinen Sie, Schwejk, wird der Krieg lange dauern?«

»Fünfzehn Jahre«, antwortete Schwejk. »Das ist selbstverständlich, weils schon einmal einen dreißigjährigen Krieg gegeben hat und wir jetzt um die Hälfte gescheiter sind wie früher, also 30 : 2 = 15.«

»Der Putzfleck unseres Hauptmanns«, ließ sich Jurajda vernehmen, »hat erzählt, daß er gehört hat, daß wir, sobald wir die Grenzen Galiziens besetzt haben werden, nicht mehr weiterziehn werden. Die Russen werden dann anfangen wegen Frieden zu verhandeln.«

»Das möcht nicht mal dafür stehn, Krieg zu führen«, sagte Schwejk nachdrücklich. »Wenn schon Krieg, so solls ein ordentlicher Krieg sein. Ich wer entschieden nicht früher von Frieden reden, solang wir nicht in Moskau und in Petersburg sind. Das steht doch nicht dafür, wenns schon einen Weltkrieg gibt, nur hinter den Grenzen herumzustänkern. Nehmen wir zum Beispiel die Schweden während dem Dreißigjährigen Krieg. Von wo waren die her und sind doch bis zu Deutschbrod und Leipnik gekommen und ham dort so eine Bresche geschlagen, daß man dort noch heut in den Gasthäusern nach Mitternacht schwedisch spricht, so daß sich gegenseitig niemand versteht. Oder die Preußen, die waren auch nicht grad Nachbarn, und in Leipnik gibts nach ihnen Preußen in Überfluß. Sie sind bis nach Jedouch und nach Amerika gekommen und wieder zurück.«

»Übrigens«, sagte Jurajda, den das Schweinefest heute vollständig aus dem Gleichgewicht gebracht und verwirrt hatte, »sind alle Menschen aus Karpfen entstanden. Nehmen wir die Entwicklungstheorie Darwins, liebe Freunde . . .«

Seine weiteren Erwägungen wurden durch den Eintritt des Einjährigfreiwilligen Marek unterbrochen.

»Rette sich, wer kann«, rief Marek. »Leutnant Dub ist vor einer Weile beim Bataillonsstab angekommen und hat den beschissenen Kadetten Biegler mitgebracht.«

»Es ist schrecklich mit ihm«, setzte Marek seine Information fort, »wie er mit ihm aus dem Automobil geklettert ist, ist er in die Kanzlei gestürzt. Ihr wißt, daß ich die Absicht gehabt hab, wie ich von hier gegangen bin, ein Schläfchen zu machen. Ich hab mich also in der Kanzlei auf eine Bank gestreckt und hab grad angefangen einzuschlafen, wie er auf mich zuspringt. Kadett Biegler hat gebrüllt: ›Habt acht!‹ Leutnant Dub hat mich auf die Füße gestellt, und dann hat er losgelegt: ›Da schaun Sie, was, wie ich Sie in der Kanzlei bei Nichterfüllung Ihrer Pflicht überrascht hab! Geschlafen wird erst nach dem Zapfenstreich‹, wozu Biegler hinzufügte: ›Abschnitt 16, § 9 der Kasernenordnung.‹ Dann hat Leutnant Dub mit der Faust auf den Tisch geschlagen und geschrien: ›Vielleicht habt ihr mich beim Bataillon loswerden wollen, glaubt nicht, daß es Gehirnerschütterung war, mein Schädel hält schon was aus.‹ Kadett Biegler hat inzwischen auf dem Tisch geblättert und dabei laut für sich aus einem Schriftstück vorgelesen: ›Divisionsbefehl Nr. 280!‹ Der Leutnant hat gedacht, daß er sich über ihn wegen des letzten Satzes, daß sein Schädel was aushält, lustig macht, und hat angefangen, ihm sein unwürdiges und freches Verhalten älteren Offizieren gegenüber vorzuhalten, und jetzt führt er ihn zum Hauptmann, um sich über ihn zu beschweren.«

Kurz darauf kamen die beiden durch die Küche, die man passieren mußte, um in das Zimmer zu gelangen, wo das ganze Offizierskorps saß und wo der feiste Fähnrich Maly nach dem Schweinsschlegel eine Arie aus »Traviata« sang, wobei er infolge des Krautes und des fetten Mittagessens rülpste.

Als Leutnant Dub eintrat, rief Schwejk: »Habt acht, alles aufstehn!«

Leutnant Dub trat dicht zu Schwejk, um ihm direkt ins Gesicht zu rufen: »Jetzt freu dich, jetzt ist Schluß mit dir! Ich laß dich zum Andenken fürs 91. Regiment ausstopfen.«

»Zu Befehl, Herr Lajtnant«, salutierte Schwejk, »ich hab mal gelesen, melde gehorsamst, daß es mal eine große Schlacht gab, in der ein schwedischer König mit seinem treuen Pferd gefalln is. Beide Kadaver hat man nach Schweden geschafft, und jetzt stehn die beiden Leichen ausgestopft im Stockholmer Museum.«

»Woher hast du diese Kenntnisse, Kerl!« schrie Leutnant Dub.

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, von meinem Bruder, was Professor is.«

Leutnant Dub drehte sich um, spuckte aus und schob Kadetten Biegler vor sich hinaus, in der Richtung zum Speisezimmer. Aber er konnte nicht widerstehen, sich noch in der Türe umzudrehen und mit der unerbittlichen Strenge eines Cäsaren, der im Zirkus über das Schicksal verwundeter Gladiatoren entscheidet, eine Gebärde mit dem Daumen der rechten Hand zu machen und Schwejk zuzuschreien: »Daumen herunter!«

»Melde gehorsamst«, schrie ihm Schwejk nach, »ich gib sie schon hinunter.«

 

Kadett Biegler war wie eine Fliege. Er hatte in der Zwischenzeit einige Cholerastationen passiert und sich mit vollem Recht nach all den Manipulationen, deren man ihn als choleraverdächtig unterzog, daran gewöhnt, unwillkürlich ununterbrochen in die Hose zu machen. Schließlich geriet er in so einer Beobachtungsstation einem Fachmann in die Hände, der in den Exkrementen Bieglers keine Cholerabazillen fand, ihm die Gedärme mit Tannin stählte wie ein Schuster zerrissene Schuhe mit Pechdraht, und ihn zum nächsten Etappenkommando schickte, zumal er Kadett Biegler, der dem Dampf über einem Topfe glich, für »frontdiensttauglich« erklärte.

Es war ein »lieber« Mensch.

Als ihn Kadett Biegler darauf aufmerksam machte, daß er sich sehr schwach fühle, sagte der Arzt mit einem Lächeln: »Die goldene Tapferkeitsmedaille werden Sie noch ertragen. Sie haben sich doch freiwillig zum Militär gemeldet.«

So machte sich Kadett Biegler also auf, um die goldene Tapferkeitsmedaille zu erwerben.

Seine abgehärteten Gedärme schleuderten keine dünne Flüssigkeit mehr in die Hose, aber das häufige Drängen blieb doch noch zurück, so daß der Weg von der letzten Etappe bis zum Brigadestab, wo er mit Leutnant Dub zusammentraf, eigentlich ein Manifestationsweg über alle möglichen Aborte war. Einigemal versäumte er den Zug, weil er auf den Bahnhöfen so lange in den Aborten saß, bis der Zug abgefahren war. Einigemal geschah es, daß er nicht umstieg, weil er im Zug auf dem Aborte saß.

Aber dennoch, trotz aller Klosetts, die ihm im Wege standen, näherte sich Kadett Biegler der Brigade.

Leutnant Dub sollte damals noch einige Tage bei der Brigade in Pflege bleiben, aber an dem Tage, als Schwejk zum Bataillon fuhr, wurde der Stabsarzt bezüglich Leutnant Dubs anderer Meinung; der Stabsarzt hatte nämlich erfahren, daß am Nachmittag in der Richtung des Standortes des 91. Regimentes ein Sanitätsautomobil abfahren sollte.

Er war sehr erfreut, Leutnant Dub loszuwerden, der seine Behauptungen unentwegt mit den Worten bekräftigte: »Davon habe ich schon vor dem Kriege bei uns mit dem Herrn Bezirkshauptmann gesprochen.«

»Mit deinem Bezirkshauptmann kannst du mir den Arsch auswischen«, dachte der Stabsarzt und dankte dem Zufall, der das Sanitätsautomobil zufällig über Zoltanecz hinauf nach Kamionka-Strumilowa führte.

Schwejk hatte den Kadetten Biegler bei der Brigade nicht gesehen, weil dieser schon wieder seit mehr als zwei Stunden auf einem für die Offiziere der Brigade bestimmten Wasserklosett saß.

Man kann schlechthin behaupten, daß Kadett Biegler an ähnlichen Orten nie die Zeit vertrödelte, denn er wiederholte sich dort die berühmten Schlachten der glorreichen österreichisch-ungarischen Armee, angefangen von der Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634 bis zu der von Sarajewo am 19. August 1878.

Während er so unzähligemal nacheinander die Schnur des Wasserklosetts zog und das Wasser geräuschvoll in das Becken stürzte, stellte er sich, die Augen schließend, den Schlachtenlärm vor, den Artillerieangriff und den Donner der Geschütze.

Die Begegnung zwischen Leutnant Dub und Kadett Biegler war nicht gerade erfreulich und bildete unzweifelhaft die Ursache der Bitterkeit in ihren späteren Beziehungen im Dienst und außerhalb desselben.

Als Leutnant Dub nämlich bereits zum viertenmal die Klosettür öffnen wollte, schrie er erzürnt:

»Wer ist dort?«

»Kadett Biegler, 11. Marschkompanie, Bataillon N, 91. Regiment«, lautete die stolze Antwort.

»Hier Leutnant Dub von derselben Kompanie!« stellt sich der Konkurrent vor der Türe vor.

»Sofort bin ich fertig, Herr Leutnant!«

»Ich werde warten!«

Leutnant Dub schaute ungeduldig auf die Uhr. Niemand würde glauben, welcher Energie und Beharrlichkeit es bedarf, in so einer Situation neuerlich fünfzehn Minuten vor der Türe auszuharren, dann nochmals fünf und noch weitere fünf, und auf sein Klopfen, Trommeln und Klopfen unablässig die gleiche Antwort zu erhalten:

»Sofort bin ich fertig, Herr Leutnant!«

Leutnant Dub begann zu fiebern, insbesondere als nach dem hoffnungsvollen Rascheln von Papier weitere sieben Minuten verflossen, ohne daß die Türe sich geöffnet hätte.

Kadett Biegler war überdies noch so taktvoll, noch immer kein Wasser fließen zu lassen.

Leutnant Dub begann, von einem leichten Fieber geschüttelt, zu überlegen, ob er sich vielleicht beim Brigadekommandanten beschweren solle, der möglicherweise den Befehl geben werde, die Türe zu sprengen und Kadetten Biegler herauszutragen. Ihm fiel auch ein, daß dieses Verhalten vielleicht eine Subordinationsverletzung sei.

Leutnant Dub wurde es im Verlauf von noch weiteren fünf Minuten klar, daß er dort hinter der Tür nichts mehr zu suchen habe und daß ihm das Verlangen danach schon längst vergangen sei. Aus irgendeinem Prinzip verharrte er jedoch vor dem Klosett und fuhr fort, mit den Füßen an die Tür zu stoßen, hinter der sich unablässig dieselben Worte vernehmen ließen: »In einer Minute bin ich fertig, Herr Leutnant.«

Endlich hörte man, wie Biegler das Wasser laufen ließ, und bald darauf standen einander beide Angesicht in Angesicht gegenüber.

»Kadett Biegler«, donnerte Leutnant Dub, »glauben Sie nicht, daß ich zu demselben Zweck hier war wie Sie. Ich bin gekommen, weil Sie sich bei Ihrer Ankunft beim Stab nicht bei mir gemeldet haben. Kennen Sie nicht die Vorschriften? Wissen Sie, wem Sie den Vorzug gegeben haben?«

Kadett Biegler forschte ein Weilchen in seinem Gedächtnis nach, ob er vielleicht nicht doch etwas begangen habe, was nicht mit der Disziplin und den Verordnungen über den Verkehr zwischen niedrigeren Offizieren mit höheren im Einklang stand.

In seinem Bewußtsein klaffte in dieser Hinsicht ein ungeheurer Zwischenraum und Abgrund.

In der Schule hatte sie niemand darüber belehrt, wie sich in so einem Fall ein niedrigerer Offizier einem andern, höhergestellten gegenüber zu verhalten habe.

Hätte er nicht zu Ende scheißen und zur Aborttür stürzen sollen, mit einer Hand die Hose festhaltend und mit der anderen die Ehrenbezeigung leistend?

»Also antworten Sie, Kadett Biegler!« rief Leutnant Dub herausfordernd.

Und da fiel Biegler eine ganz einfache Antwort ein, die alles aufklärte: »Herr Leutnant, bei meiner Ankunft beim Brigadestab wußte ich nicht, daß Sie hier zugegen sind, und nachdem ich in der Kanzlei meine Angelegenheiten geregelt hatte, begab ich mich sofort auf den Abort, wo ich blieb, bis Sie kamen.«

Wozu er mit feierlicher Stimme hinzufügte:

»Kadett Biegler meldet sich gehorsamst bei Herrn Leutnant Dub.«

»Sehn Sie, daß das keine Kleinigkeit ist«, sagte Leutnant Dub mit Bitterkeit, »meiner Ansicht nach hätten Sie sofort, wie Sie zum Brigadestab gekommen sind, in der Kanzlei fragen sollen, Kadett Biegler, ob nicht zufällig ein Offizier von Ihrem Bataillon hier zugegen ist. Über Ihr Verhalten werden wir beim Bataillon entscheiden. Ich fahre per Automobil hin, und Sie fahren mit. – Kein aber!«

Kadett Biegler wandte nämlich ein, man habe ihm in der Brigadekanzlei eine Marschroute per Eisenbahn ausgehändigt, eine Art zu reisen, die ihm in Anbetracht des Zitterns seines Mastdarms angezeigter schien. Weiß doch jedes Kind, daß Automobile nicht für derlei Dinge eingerichtet sind. Bevor man 180 Kilometer durchfliegt, hat mans schon längst in der Hose.

Der Teufel weiß, wie es geschah, daß die Erschütterungen des Automobils anfangs, als sie losfuhren, auf Biegler keinen Einfluß hatten.

Leutnant Dub war ganz verzweifelt, daß es ihm nicht gelang, seinen Racheplan auszuführen.

Zu Beginn der Fahrt dachte Leutnant Dub nämlich im Geiste: »Warte nur, Kadett Biegler, wenns über dich kommt, glaub nicht, daß ich halten laß.«

In diesem Sinn knüpfte er auch, soweit dies in Anbetracht der Geschwindigkeit möglich war, ein angenehmes Gespräch darüber an, daß die Militärautomobile, da sie ihren Weg genau bemessen haben, mit Benzin nicht verschwenderisch umgehen und nirgends halten dürfen.

Kadett Biegler wandte dagegen ganz richtig ein, daß ein Automobil, wenn es irgendwo auf etwas warte, überhaupt kein Benzin verbrauche, da der Chauffeur den Motor abstelle.

»Wenn ein Automobil«, fuhr Leutnant Dub unerschütterlich fort, »zur bestimmten Zeit an seinem Bestimmungsort ankommen soll, darf es sich nirgendwo aufhalten.«

Seitens Kadett Bieglers erfolgte keine Antwort mehr.

So durchschnitten sie über eine Viertelstunde lang die Luft, als Leutnant Dub plötzlich fühlte, daß er einen aufgeblähten Bauch hatte und daß es angezeigt wäre, zu halten, auszusteigen, sich in den Straßengraben zu begeben, die Hose hinunterzulassen und Erleichterung zu suchen.

Er hielt sich wie ein Held bis 126 Kilometer; dann zog er den Chauffeur energisch am Mantel und schrie ihm ins Ohr: »Halt!«

»Kadett Biegler«, sagte Leutnant Dub gnädig, indem er rasch aus dem Automobil in den Straßengraben sprang, »jetzt haben Sie auch Gelegenheit.«

»Danke«, erwiderte Kadett Biegler, »ich will das Automobil nicht überflüssig aufhalten.«

Und Kadett Biegler, der auch schon höchste Zeit hatte, sagte sich im Geiste, daß er sich lieber bemachen werde, als die schöne Gelegenheit zu verpassen, Leutnant Dub zu blamieren.

Bevor sie Zoltanecz erreichten, ließ Leutnant Dub noch zweimal halten, und nach der letzten Station sagte er zornig zu Biegler: »Ich hab zum Mittagsmahl Bikosch mit polnischer Soße gehabt. Vom Bataillon aus werde ich eine Beschwerde an die Brigade telegrafieren. Verdorbenes Sauerkraut und zum Essen ungeeignetes Schweinefleisch. Die Frechheit der Köche übersteigt alle Grenzen. Wer mich noch nicht kennt, der wird mich kennenlernen.«

»Feldmarschall Nostiz-Rhieneck, die Elite der Reservekavallerie«, entgegnete Biegler, »hat eine Schrift mit dem Titel ›Was schadet dem Magen im Kriege‹ herausgegeben, in der er nicht empfiehlt, während der Strapazen und Leiden des Krieges Schweinefleisch zu essen. Jede Unmäßigkeit auf dem Marsch schadet.«

Leutnant Dub antwortete nicht auf diese Worte, sondern dachte nur: »Deine Gelehrsamkeit werde ich dir schon austreiben, Kerl.« Dann überlegte er sichs doch und antwortete Biegler mit einer recht dummen Frage: »Sie denken also, Kadett Biegler, daß ein Offizier, dem gegenüber Sie sich Ihre Charge gemäß als Untergebener betrachten müssen, unmäßig ist? Wolln Sie damit vielleicht sagen, Kadett Biegler, daß ich mich überfressen habe? Ich danke Ihnen für diese Aufrichtigkeit. Seien Sie versichert, daß ich mit Ihnen abrechnen werde; Sie kennen mich noch nicht, aber bis Sie mich kennenlernen werden, dann werden Sie an Leutnant Dub denken.«

Bei den letzten Worten hätte er sich beinahe die Zunge abgebissen, weil sie auf der Straße über eine Spalte sausten.

Kadett Biegler antwortete wieder nicht, was Leutnant Dub abermals aufstachelte, weshalb er grob fragte: »Hören Sie, Kadett Biegler, ich denke, Sie haben gelernt, daß Sie auf Fragen Ihres Vorgesetzten antworten sollen.«

»Allerdings«, sagte Kadett Biegler, »einen solchen Passus gibt es. Aber es ist erforderlich, vorher unser gegenseitiges Verhältnis zu analysieren. Soweit mir bekannt ist, bin ich noch nirgendshin zugeteilt, so daß von einer unmittelbaren Subordination Ihnen gegenüber überhaupt keine Rede sein kann, Herr Leutnant. Das Wichtigste jedoch ist, daß man auf Fragen von Vorgesetzten in Offizierskreisen nur in dienstlichen Angelegenheiten antwortet. So wie wir zwei hier im Auto sitzen, stellen wir keine militärische Einheit dar. Zwischen uns besteht kein Dienstverhältnis. Wir fahren beide zu unseren Truppenkörpern, und es wäre entschieden keine dienstliche Äußerung, wenn ich Ihre Frage, ob ich sagen wollte, daß Sie sich überfressen haben, beantworten würde, Herr Leutnant.«

»Sind Sie fertig?« brüllte Leutnant Dub ihn an, »Sie einer, Sie . . .«

»Jawohl«, erklärte Kadett Biegler mit fester Stimme, »vergessen Sie nicht, Herr Leutnant, daß über das, was zwischen uns geschehen ist, wahrscheinlich das Offiziersehrengericht entscheiden wird.«

Leutnant Dub war beinahe ohnmächtig vor Zorn. Er hatte die merkwürdige Gewohnheit, in der Aufregung noch mehr Dummheiten und Blödsinn zu sprechen, als wenn er ruhig war.

Deshalb murmelte er auch: »Über Sie wird das Kriegsgericht entscheiden.«

Kadett Biegler benützte diese Gelegenheit, um Dub vollständig aus der Fassung zu bringen; deshalb sagte er in freundschaftlichem Ton: »Du scherzest, Kamerad.«

Leutnant Dub rief dem Chauffeur zu, er möge halten.

»Einer von uns muß zu Fuß gehen«, stotterte er.

»Ich fahre«, sagte Kadett Biegler hierauf ruhig, »und du mach, was du willst, Kamerad.«

»Fahren Sie weiter«, donnerte Leutnant Dub den Chauffeur mit einer Stimme an, die wie im Delirium zitterte, und hüllte sich dann würdevoll in Schweigen, wie Julius Cäsar, als ihm die Verschwörer mit Dolchen nahten, um ihn zu erstechen.

So langten sie in Zoltanecz an, wo sie die Spur des Bataillons fanden.

 

Während Leutnant Dub und Kadett Biegler noch auf der Treppe darüber stritten, ob ein Kadett, der noch nirgends eingereiht ist, Anspruch auf die Leberwürste jener Ration hat, die dem Offizierskorps der einzelnen Kompanien zugeteilt ist, hatte man sich unten in der Küche bereits gesättigt und auf die breiten Bänke gelegt; jetzt wurde über alles mögliche geplaudert, wobei, was das Zeug hielt, die Pfeifen qualmten.

Koch Jurajda erzählte: »Heut hab ich euch eine großartige Erfindung gemacht. Ich glaube, daß sie einen vollständigen Umsturz in der Kochkunst bedeuten wird. Du weißt doch, Waněk, daß ich nirgends in diesem verdammten Dorf Majoran für die Leberwürste auftreiben könnt.«

»Herba majoranae«, sagte Rechnungsfeldwebel Waněk, der sich daran erinnerte, daß er Drogist war.

Jurajda fuhr fort: »Es ist unerforschlich, wie der menschliche Geist in der Not zu den verschiedensten Mitteln greift, wie sich ihm neue Horizonte erschließen, wie er anfängt, die unmöglichsten Dinge zu erfinden, die sich die Menschheit bisher nicht einmal träumen ließ. – Ich suche also in allen Bauernhöfen Majoran, lauf herum, versuch alles mögliche, erklär ihnen, wozu ich ihn brauch, wie er aussieht . . .«

»Du hast noch den Geruch beschreiben solln«, ließ sich von seiner Bank her Schwejk vernehmen. »Du hast sagen solln, daß Majoran so riecht, wie wenn man in einer Allee von aufgeblühten Akazienbäumen zu einer Flasche Tinte riecht. Auf dem Berg Bohdaletz bei Prag . . .«

»Aber Schwejk«, unterbrach ihn der Einjährigfreiwillige Marek mit bittender Stimme, »laß Jurajda ausreden.«

Jurajda fuhr fort: »In einem Bauerngut bin ich auf einen alten ausgedienten Soldaten aus der Zeit der Okkupation von Bosnien und Herzegowina gestoßen, der bei den Ulanen in Pardubitz ausgedient und noch heute nicht Tschechisch vergessen hat. Der hat angefangen mit mir zu streiten, daß man in Böhmen nicht Majoran, sondern Kamillen in Leberwürste gibt. Ich hab also wirklich nicht gewußt, was ich anfangen soll, denn wahrhaftig, jeder vernünftige und unvoreingenommene Mensch muß Majoran für die Königin aller Gewürze halten, die man in Leberwürste gibt. Ich mußte also rasch einen Ersatz finden, der tüchtig nach Gewürz schmeckt. Und da hab ich in einem Bauernhof unter dem Bild irgendeines Heiligen einen Hochzeitskranz aus Myrten hängen gesehn. Es war ein junges Ehepaar, die Myrtenzweige an dem Kranz waren noch ziemlich frisch. Ich hab also die Myrte in die Leberwürste gegeben, allerdings hab ich den ganzen Hochzeitskranz dreimal mit kochendem Wasser abbrühen müssen, damit die Blätter weich werden und den etwas beißenden Duft und Geschmack verlieren. Selbstverständlich hat es viele Tränen gesetzt, wie ich ihnen den Myrtenkranz zu den Leberwürsten genommen hab. Sie haben von mir mit der Versicherung Abschied genommen, daß mich für diese Lästerung – der Kranz war nämlich geweiht – die nächste Kugel töten wird. Ihr habt doch meine Leberwurstsuppe gegessen, und niemand von euch hat erkannt, daß sie statt nach Majoran nach Myrten riecht.«

»In Königgrätz«, ließ sich Schwejk vernehmen, »gabs vor Jahren einen Selcher namens Josef Linek, und der hat auf dem Regal zwei Schachteln stehn gehabt. In einer war eine Mischung von allen Gewürzen, was er in Leberwürste und Blutwürste gegeben hat. In der zweiten Schachtel war Insektenpulver, weil dieser Selcher paarmal festgestellt hat, daß seine Kundschaften in einer Wurst eine Wanze oder einen Schwaben zerbissen ham. Er hat immer gesagt, was die Wanzen betrifft, so ham sie den Geschmack von bittern Mandeln, was man in Gugelhupf gibt, daß aber Schwaben in Würsten stinken wie eine alte, verschimmelte Bibel. Drum hat er in seiner Werkstatt auf Sauberkeit gehalten und hat überall dieses Insektenpulver gestreut. Einmal macht er euch Blutwürste und hat dabei Schnupfen gehabt. Er packt die Schachtel mit dem Insektenpulver und schüttet sie in die Wurstfülle, und seit der Zeit hat man in Königgrätz nur beim Linek Leberwürste gekauft. Die Leute ham sich geradezu um sie gerissen. Und er war so gscheit, daß er draufgekommen is, daß es dieses Insektenpulver macht, und seit der Zeit hat er sich per Nachnahme ganze Kisten von diesem Pulver bestellt, nachdem er vorher die Firma, von der er es gekauft hat, drauf aufmerksam gemacht hat, daß sie auf die Kiste aufschreiben soll ›Indisches Gewürz‹. Das war sein Geheimnis, mit dem is er ins Grab gegangen, und das interessanteste dran is, daß bei den Familien, wo man seine Blutwürste gekauft hat, alle Schwaben und Wanzen ausgewandert sind. Seit der Zeit gehört Königgrätz zu den reinsten Städten in ganz Böhmen.«

»Bist du schon fertig?« fragte Einjährigfreiwilliger Marek, der sich offenbar auch ins Gespräch mischen wollte.

»Damit wär ich schon fertig«, antwortete Schwejk, »aber ich kenn noch einen ähnlichen Fall in den Beskiden, aber den wer ich euch erzählen, bis wir im Gefecht stehn wern.«

Einjährigfreiwilliger Marek begann zu sprechen: »Die Kochkunst lernt man am besten im Krieg kennen, besonders an der Front. Ich erlaube mir, einen kleinen Vergleich anzustellen. Im Frieden haben wir von sogenannten Eissuppen gehört, das sind Suppen, in die man Eis gibt und die in Norddeutschland, Dänemark und Schweden sehr beliebt sind. Und seht ihr, der Krieg ist gekommen, und heuer im Winter in den Karpaten haben die Soldaten so viel gefrorene Suppen gehabt, daß sie sie nicht einmal gegessen haben, und doch ist es eine Spezialität.«

»Gefrorenes Gulasch kann man essen«, wandte Rechnungsfeldwebel Waněk ein, »aber nicht lange, höchstens so eine Woche. Seinetwegen hat unsere 9. Kompanie die Front verlassen.«

»Im Frieden«, sagte Schwejk mit ungewöhnlichem Ernst, »hat sich der ganze Dienst nur um die Küche und die verschiedensten Speisen gedreht. Da hamr euch in Budweis einen gewissen Oberlajtnant Zakrejs gehabt, der is fortwährend um die Offiziersküche herumscherwenzelt, und wenn ein Soldat was angestellt hat, hat er sich ihn Habtacht hingestellt und hat losgelegt: ›Du Kerl, du, wenn sich das noch mal wiederholt, so mach ich aus deinem Maul einen gründlich geklopften Rostbraten, zertret ich dich zu Erdäpfelkasch und gib dirs dann aufzufressen. Reisgekrös wird aus dir herausfließen, du wirst ausschaun wie ein gespickter Hase in der Pfanne. Also siehst du, daß du dich bessern mußt, wenn du nicht willst, daß die Leute denken solln, daß ich aus dir Hackbraten mit Kraut gemacht hab.‹«

Die weitere Auseinandersetzung und das interessante Gespräch über die Verwendung der Speisekarte zur Erziehung der Soldaten vor dem Krieg wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen, das von oben kam, wo das feierliche Mahl beendet war.

Aus dem Durcheinander von Stimmen löste sich das Geschrei des Kadetten Biegler: »Ein Soldat soll schon im Frieden wissen, was der Krieg fordert, und im Krieg nicht vergessen, was er auf dem Exerzierplatz gelernt hat.«

Dann wurde das Keuchen Leutnant Dubs vernehmbar: »Bitte zu konstatieren, daß ich bereits zum drittenmal beleidigt wurde!«

Oben gingen große Dinge vor.

Leutnant Dub, der bekanntlich mit dem Kadetten Biegler in bezug auf den Bataillonskommandanten hinterhältige Absichten hegte, war von den Offizieren gleich bei seinem Eintritt mit großem Geschrei begrüßt worden. Der jüdische Schnaps wirkte auf alle ausgezeichnet.

Deshalb rief einer über den andern, auf die Reitkunst Leutnant Dubs anspielend: »Ohne Stallmeister gehts nicht! – Ein scheugewordener Mustang! – Wie lange hast du dich unter den Cowboys im Westen herumgetrieben, Kamerad? – Der Kunstreiter!«

Hauptmann Sagner goß ihm rasch ein Wasserglas von dem verdammten Schnaps ein, und der beleidigte Leutnant Dub setzte sich an den Tisch. Er schob einen alten zerbrochenen Stuhl neben Oberleutnant Lukasch, der ihn mit den freundschaftlichen Worten begrüßte: »Wir haben schon alles aufgegessen, Kamerad.«

Die traurige Gestalt des Kadetten Biegler ging um den Tisch herum, um sich streng vorschriftsmäßig bei allen zu melden; bei Hauptmann Sagner dienstlich und bei den anderen Offizieren, indem er, obwohl ihn alle sahen und kannten, einigemal wiederholte: »Kadett Biegler wieder eingerückt beim Bataillonsstab.«

Biegler ergriff ein volles Glas, setzte sich dann ganz bescheiden ans Fenster und wartete einen geeigneten Augenblick ab, um etwas von seinen Kenntnissen aus Lehrbüchern von sich geben zu können.

Leutnant Dub, dem der schreckliche Fusel in den Kopf gestiegen war, klopfte mit dem Finger auf den Tisch und wandte sich aus heiterem Himmel an Hauptmann Sagner:

»Mit dem Bezirkshauptmann zusammen haben wir immer gesagt: Patriotismus, Pflichttreue, Selbstüberwindung, das sind die richtigen Waffen im Krieg. Ich erinnere mich gerade heute daran, wo unsere Armee in absehbarer Zeit die Grenzen überschreiten wird.«

 

*

 

Hier endet das Manuskript Hašeks (gestorben am 3. Januar 1923 im Alter von vierzig Jahren).

 

Das Zeichen ´ auf den Vokalen bedeutet im Tschechischen die Dehnung. Das Häkchen ˇ verleiht dem Laut Weichheit; infolgedessen wird ĕ wie je gesprochen, ž wie das französische ge, ř wie rsch.

 


 


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