Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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Dritter Teil.
Der glorreiche Zusammenbruch

1. Aus Bruck an der Leitha nach Sokal

Oberleutnant Lukasch ging aufgeregt in der Kanzlei der 11. Marschkompanie auf und ab. Es war ein dunkles Loch in der Kompaniebaracke, vom Gang durch einen Bretterverschlag getrennt. Ein Tisch, zwei Stühle, eine Kanne mit Petroleum und eine Pritsche.

Vor ihm stand Rechnungsfeldwebel Waněk, der die Listen zur Löhnungsauszahlung zusammenstellte, die Rechnungen der Mannschaftsküche führte, kurz, der Finanzminister der ganzen Kompanie war. Er verbrachte den ganzen Tag in der Kanzlei und schlief auch in ihr.

Bei der Tür stand ein dicker Infanterist mit einem Bart wie Rübezahl. Es war Baloun, der neue Diener des Oberleutnants, in Zivil Müller irgendwo in der Nähe von Krummau.

»Sie haben mir wirklich einen ausgezeichneten Putzfleck ausgesucht«, sagte Oberleutnant Lukasch zum Rechnungsfeldwebel, »ich danke Ihnen herzlich für die angenehme Überraschung. Den ersten Tag schick ich ihn ums Mittagmahl in die Offiziersmenage, und er frißt mir die Hälfte auf.«

»Ich habs ausgegossen, bitte«, sagte der dicke Riese.

»Gut, du hasts ausgegossen. Du hast aber nur Suppe oder Soße ausgießen können und nicht Frankfurter Braten. Du hast mir doch nur so ein Stückchen gebracht, was hintern Nagel geht. Und wohin hast du den Strudl gegeben?«

»Ich hab . . .« – »Aber leugne nicht, du hast ihn aufgefressen.«

Oberleutnant Lukasch brachte die letzten Worte mit einem solchen Ernst und so strenger Miene vor, daß Baloun unwillkürlich um zwei Schritte zurückwich.

»Ich hab mich in der Küche informiert, was wir heute gehabt haben. Es gab Suppe mit Leberknöderln. Wohin hast du die Knöderln gegeben? Du hast sie am Weg herausgefischt, das ist die pure Wahrheit. Dann gabs Rindfleisch mit Gurken. Was hast du damit gemacht? Auch aufgefressen. Zwei Scheiben Frankfurter Braten. Und du hast nur eine halbe Scheibe gebracht, he? Zwei Stück Strudl! Wohin hast du ihn gegeben? Du hast dich damit angestopft, Schwein, elendes, abscheuliches. Sprich, wohin hast du den Strudl gegeben? Daß er dir in den Kot gefallen ist? Du Lump, du. Kannst du mir die Stelle zeigen, wo er im Kot liegt? Daß gleich ein Hund gelaufen gekommen ist wie gerufen, ihn gepackt und weggetragen hat? Jesusmaria, ich werde dir paar solche ums Maul schmieren, daß du einen Kopf haben wirst wie ein Eimer! Er leugnet noch, das Schwein. Weißt du, wer es gesehn hat? Hier, der Rechnungsfeldwebel Waněk. Der ist zu mir gekommen und sagt: ›Melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, daß dieses Schwein, Ihr Baloun, Ihr Mittagmahl frißt. Ich schau aus dem Fenster, und er stopft sich, wie wenn er die ganze Woche nicht gegessen hätt.‹ Hören Sie, Rechnungsfeldwebel, haben Sie wirklich kein anderes Rindvieh für mich aussuchen können als diesen Kerl?«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß Baloun von unserer ganzen Marschkompanie der anständigste Mann zu sein schien. Er ist so ein Tölpel, daß er sich nicht einen Gewehrgriff merkt, und wenn man ihm eine Flinte in die Hand geben tät, möcht er noch ein Unglück anstelln. Bei der letzten Übung mit blinden Patronen hätt er fast seinem Nachbarn ein Aug herausgeschossen. Ich hab gedacht, daß er wenigstens so einen Dienst versehen kann.«

»Und seinem Herrn immer das ganze Mittagmahl auffressen wird«, sagte Lukasch, »als ob ihm nicht eine Portion genügen würde. Hast du vielleicht Hunger?«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich hab fort Hunger. Wenn jemandem Brot übrigbleibt, so kauf ichs ihm für Zigaretten ab, und das is alles noch zuwenig. Ich bin schon so von Natur aus. Immer denk ich, daß ich schon satt bin, aber keine Spur. In einer Weile fängts mir wieder wie vorm Essen im Magen zu knurren an, und richtig, das Luder meldet sich schon wieder. Manchmal denk ich, daß ich wirklich schon genug hab, daß nichts mehr in mich hineingehn kann, aber woher. Ich seh jemanden, daß er ißt, oder spür nur den Geruch, und gleich is mir im Magen wie nachn Auskehren. Gleich fängt der Magen an, sich wieder um sein Recht zu melden, und ich möcht am liebsten Nägel schlucken. Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich schon gebeten hab, daß ich eine doppelte Portion kriegen soll; ich war deshalb in Budweis beim Regimentsarzt, und der hat mich derweil auf drei Tage ins Marodenzimmer gegeben und hat mir täglich nur ein Tipferl lautere Suppe verschrieben. Ich wer dich, sagt er, du Kanaille, lernen, Hunger haben. Komm noch einmal her, so wirst du sehn, daß du von hier weggehn wirst wie eine Hopfenstange! Ich brauch nicht erst gute Sachen zu sehn, Herr Oberlajtnant, auch gewöhnliche fangen an, mich zu reizen, und gleich läuft mir Speichel zusammen. Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich untertänigst bitte, daß mir eine doppelte Portion bewilligt wird. Wenn schon kein Fleisch sein wird, so wenigstens die Zuspeis, Erdäpfel, Knödl, bißl Soße, das bleibt immer . . .«

»Gut, ich hab deine Frechheiten angehört, Baloun«, antwortete Oberleutnant Lukasch. »Sie, Rechnungsfeldwebel, haben Sie jemals gehört, daß ein Soldat früher noch zu allem so frech gewesen wäre wie dieser Kerl? Frißt mir das Mittagsmahl auf und will noch, daß man ihm eine doppelte Portion bewilligt: Aber ich werde dir zeigen, Baloun, daß du verdaun wirst.«

»Sie, Rechnungsfeldwebel«, wandte er sich an Waněk, »führen Sie ihn zu Korporal Wiederhofer, er soll ihn hübsch auf dem Hof bei der Küche auf zwei Stunden anbinden, bis man heute abend Gulasch verteilen wird. Er soll ihn hübsch hoch anbinden, damit er nur soso auf den Spitzen steht und sieht, wie im Kessel das Gulasch kocht. Und richten Sie es so ein, daß das Luder noch angebunden ist, bis man in der Küche das Gulasch verteilen wird, damit ihm der Speichel aus dem Maul fließt wie einer hungrigen Hündin, wenn sie vor einem Selcherladen schnuppert. Sagen Sie dem Koch, er soll seine Portion verteilen!«

»Zu Befehl, Herr Oberlajtnant. Kommen Sie, Baloun.«

Als sie sich anschickten zu gehen, hielt sie der Oberleutnant in der Türe an, und während er in das entsetzte Gesicht Balouns blickte, rief er siegesbewußt: »Da hast du dir geholfen, Baloun. Guten Appetit wünsch ich! Und wenn du mir das noch einmal anstellst, schick ich dich ohne Erbarmen vors Feldgericht!«

Als Waněk zurückkehrte und meldete, daß Baloun schon angebunden sei, sagte Oberleutnant Lukasch: »Sie kennen mich, Waněk, daß ich solche Sachen nicht gern mache, aber ich kann mir nicht helfen. Erstens werden Sie einsehn, daß der Hund knurrt, wenn man ihm den Knochen wegnimmt. Ich will keinen niederträchtigen Kerl um mich haben, und zweitens hat schon der Umstand, daß Baloun angebunden wird, eine große moralische und psychologische Bedeutung für die ganze Mannschaft. Die Kerle machen in der letzten Zeit, seit sie bei der Marschkompanie sind und wissen, daß sie morgen oder übermorgen ins Feld gehen, was sie wollen.«

Oberleutnant Lukasch sah recht abgehärmt aus und fuhr mit leiser Stimme fort: »Vorgestern bei der Nachtübung haben wir, wie Sie wissen, gegen die Einjährigfreiwilligenschule hinter der Zuckerfabrik manövrieren sollen. Der erste Schwarm, die Vorhut, der ist noch ruhig über die Straße gegangen, weil ich ihn selbst geführt hab, aber der zweite, der nach links gehen und Vorpatrouillen zu der Zuckerfabrik vorschicken sollte, der hat sich betragen, wie wenn er von einem Ausflug heimkehren würde. Sie haben gesungen und gestampft, daß mans bis im Lager hören mußte. Dann ist am rechten Flügel der dritte Schwarm das Terrain unterhalb des Waldes rekognoszieren gegangen, gute zehn Minuten von uns entfernt, und noch auf diese Entfernung war zu sehn, wie die Kerle rauchen, lauter feurige Punkte in der Finsternis. Und der vierte Schwarm, der die Nachhut bilden sollte, der Teufel weiß, wie es geschehen ist, ist plötzlich vor unserer Vorhut aufgetaucht, so daß er für den Feind gehalten wurde, und ich vor der eigenen Nachhut zurückweichen mußte, die gegen mich vorrückte. Das ist die 11. Marschkompanie, die ich übernommen habe. Was kann ich aus ihnen machen? Wie werden sie sich im wirklichen Gefecht benehmen?«

Oberleutnant Lukasch hatte dabei die Hände gefaltet, sah aus wie ein Märtyrer, und seine Nasenspitze wurde immer länger.

»Daraus machen Sie sich nichts, Herr Oberlajtnant«, bemühte sich Rechnungsfeldwebel Waněk ihn zu beruhigen, »zerbrechen Sie sich nicht damit den Kopf. Ich war schon bei drei Marschkompanien, jede ham sie uns samtn ganzen Bataillon zerdroschen, und wir sind uns neu formieren gegangen. Und alle Marschkompanien waren eine wie die andere, keine war um ein Haar besser als die Ihre, Herr Oberlajtnant. Am ärgsten war die neunte. Die hat alle Chargen samt dem Kompaniekommandanten in die Gefangenschaft geschleppt. Mich hat nur das gerettet, daß ich zum Regimentstrain für die Kompanie Rum und Wein fassen gegangen bin, und sie es ohne mich abgemacht ham.

Und das wissen Sie nicht, Herr Oberlajtnant, daß bei der letzten Nachtübung, von der Sie erzählt ham, die Einjährigfreiwilligenschule, die unsere Kompanie einkreisen sollte, bis zum Neusiedler See gekommen is? Sie is fortweg marschiert, bis früh, und die Vorposten sind bis in den Sumpf geraten. Und Hauptmann Sagner hat sie selbst geführt. Sie wären vielleicht bis nach Sopron gekommen, wenns nicht getagt hätt«, fuhr der Rechnungsfeldwebel, dem solche Vorkommnisse viel Vergnügen bereiteten und der alle ähnlichen Begebenheiten in Evidenz hielt, mit geheimnisvoller Stimme fort.

»Und wissen Sie, Herr Oberlajtnant«, sagte er, vertraulich blinzelnd, »daß der Hauptmann Sagner Bataillonskommandant unseres Marschbataillons werden soll? Zuerst hat man, wie der Stabsfeldwebel Hegner gesagt hat, gedacht, daß Sie, weil Sie der älteste Offizier bei uns sind, Bataillonskommandant sein wern, und dann is es herich von der Division zur Brigade gekommen, daß Herr Hauptmann Sagner ernannt ist.«

Oberleutnant Lukasch bohrte die Augen in den Sand und zündete sich eine Zigarette an. Er wußte davon und war überzeugt, daß ihm ein Unrecht geschah. Hauptmann Sagner hatte ihn bereits zweimal im Avancement übersprungen; aber er sagte nichts anderes als: »Was den Hauptmann Sagner . . .«

»Ich hab davon keine große Freude«, meinte der Rechnungsfeldwebel vertraulich. »Stabsfeldwebel Hegner hat erzählt, daß sich Herr Hauptmann Sagner in Serbien bei Kriegsbeginn irgendwo bei Montenegro in den Bergen auszeichnen wollt und eine Kompanie seines Bataillons nach der andern in die Maschinengewehre der serbischen Stellungen gejagt hat, obzwar das eine ganz unnütze Sache war und die Infanterie dort einen alten Dreck wert war, nur die Artillerie hätt die Serben von dort aus diesen Felsen wegbekommen können. Vom ganzen Regiment sind nur achtzig Mann übriggeblieben, Herr Hauptmann Sagner selbst hat einen Handschuß bekommen und dann im Spital noch Ruhr und is wieder in Budweis beim Regiment aufgetaucht, und gestern abend hat er herich im Kasino erzählt, wie er sich auf die Front freut, daß er das ganze Marschbataillon dort lassen aber etwas leisten wird und das Signum laudis kriegen wird, daß er für Serbien eine Nase bekommen hat, aber jetzt, daß er herich entweder mit dem ganzen Bataillon fallen oder zum Oberstleutnant befördert werden wird und daß das Marschbataillon dran glauben muß. Ich denk, Herr Oberlajtnant, daß dieses Risiko auch uns angeht. Stabsfeldwebel Hegner hat neulich erzählt, daß Sie mit Herrn Hauptmann Sagner nicht sehr gut stehn und daß er grad unsre 11. Kompanie zuerst an den ärgsten Stellen ins Gefecht schicken wird.«

Der Rechnungsfeldwebel seufzte: »Ich war der Ansicht, daß man in so einem Krieg, wie dieser is, wos so viel Militär gibt und so eine lange Front, eher was mit ordentlichem Manövrieren erreichen möcht wie mit irgendwelchen verzweifelten Attacken. Ich habs unterm Duklapaß bei der 10. Marschkompanie gesehn. Damals is das alles ganz glatt abgelaufen, ein Befehl is gekommen, ›nicht schießen‹, und so hat man nicht geschossen und gewartet, bis die Russen bis zu uns gekommen sind. Wir hätten sie ohne Schuß gefangengenommen, nur daß wir damals neben uns am linken Flügel die ›eisernen Fliegen‹ gehabt ham, und die idiotische Landwehr is so erschrocken, daß die Russen heranrücken, daß sie angefangen ham, sich am Schnee den Hang herunterzulassen wie auf einer Rutschbahn, und wir ham den Befehl gekriegt, daß die Russen den linken Flügel durchbrochen ham, wir solln trachten, zur Brigade zu kommen. Ich war damals grad bei der Brigade, damit ich mir das Kompanieverpflegungsbuch bestätigen laß, weil ich unsern Regimentstrain nicht finden konnt, und in dem Moment fangen die ersten aus der 10. Marschkompanie an, zur Brigade zu kommen. Bis zum Abend sind 120 gekommen, die andern sind herich übern Schnee, wie sie sich beim Rückzug verirrt ham, irgendwo in die russischen Stellungen heruntergerutscht, wie wenns ein TobogganKufenloser, auf der ganzen Unterfläche gleitender Rodelschlitten. wär. Dort wars fürchterlich, Herr Oberlajtnant, die Russen ham in den Karpaten oben und unten Stellungen gehabt. Und dann, Herr Oberlajtnant, Herr Hauptmann Sagner . . .«

»Geben Sie mir schon Ruh mit Herrn Hauptmann Sagner«, sagte Oberleutnant Lukasch, »ich kenn das alles, und glauben Sie nicht, daß Sie, wenn irgendein Sturm oder Gefecht sein wird, wieder zufällig irgendwo beim Regimentstrain Rum oder Wein fassen werden. Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Sie schrecklich saufen, und wer sich Ihre rote Nase anschaut, der sieht gleich, wen er vor sich hat.«

»Das is von den Karpaten, Herr Oberlajtnant, dort hamr das machen müssen, die Menage is kalt zu uns hinaufgekommen, die Schützengräben hamr im Schnee gehabt, Feuer hat man keins machen dürfen, so hat uns nur der Rum gehalten. Und wenn ich nicht gewesen wär, wärs so ausgefalln wie bei den andern Kompanien, daß es nicht mal Rum gegeben hat und die Leute gefroren ham. Dafür hamr bei uns alle rote Nasen vom Rum gehabt, aber das hat wieder den Nachteil gehabt, daß vom Bataillon der Befehl gekommen is, daß nur die Mannschaft auf Patrouille gehn soll, was eine rote Nase hat.«

»Jetzt haben wir den Winter schon hinter uns«, warf der Oberleutnant bedeutungsvoll dazwischen.

»Rum is, Herr Oberlajtnant, im Feld in jeder Jahreszeit immer eine unvermeidliche Sache genauso wie Wein. Er bewirkt, damit ichs so sag, eine gute Laune. Für eine halbe Eßschale Wein und einen Viertelliter Rum wern sich Ihnen die Leute mit jedem raufen. – Welches Rindvieh klopft da schon wieder an die Tür, kann es denn nicht an der Tür lesen: ›Nicht klopfen‹?! Herein!«

Oberleutnant Lukasch drehte sich auf dem Stuhl zur Türe und sah, wie sich die Türe langsam und leise öffnete; und ebenso leise trat in die Kanzlei der 11. Marschkompanie der brave Soldat Schwejk, der bereits zwischen der Türe salutierte, was er augenscheinlich schon getan hatte, als er geklopft und die Aufschrift »Nicht klopfen« betrachtet hatte.

Dieses Salutieren war die vollklingende Begleitung zu seinem unendlich zufriedenen, sorglosen Gesicht. Er sah aus wie der griechische Gott des Diebstahls in der nüchternen Uniform eines österreichischen Infanteristen.

Oberleutnant Lukasch schloß für einen Augenblick die Augen vor dem Anblick des braven Soldaten Schwejk, der ihn mit seinem Blick umarmte und küßte.

Ungefähr mit demselben Wohlgefallen hatte der verschwenderische verlorene und wiedergefundene Sohn seinen Vater betrachtet, als dieser ihm zu Ehren ein Lamm am Spieße drehte.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich wieder hier bin«, meldet sich Schwejk von der Tür her mit einer so aufrichtigen Ungezwungenheit, daß der Oberleutnant mit einem Schlag zu sich kam. Seit dem Augenblick, da Oberst Schröder ihm mitgeteilt hatte, daß er ihm Schwejk wieder auf den Hals schicken werde, hatte Oberleutnant Lukasch im Geiste täglich dieses Zusammentreffen hinausgeschoben. Jeden Morgen sagte er sich: »Er kommt heut noch nicht, er hat dort vielleicht etwas angestellt, und sie lassen ihn noch dort.«

Und all diese Kombinationen führte Schwejk mit seinem so lieb und einfach durchgeführten Eintreten auf das richtige Maß zurück.

Schwejk schaute jetzt den Rechnungsfeldwebel Waněk an, wandte sich an ihn und reichte ihm mit einem freundlichen Lächeln die Papiere, die er aus der Manteltasche zog: »Melde gehorsamst, Herr Rechnungsfeldwebel, daß ich diese Papiere übergeben soll, die man mir in der Regimentskanzlei ausgestellt hat. Es is wegen der Löhnung und meiner Verpflegungsvorschüsse.«

Schwejk bewegte sich so frei und gesellschaftlich in der Kanzlei der 11. Marschkompanie, als wäre er Waněks bester Kamerad, worauf der Rechnungsfeldwebel einfach mit den Worten reagierte: »Legen Sies aufn Tisch.«

»Sie werden sehr gut daran tun, Rechnungsfeldwebel, wenn Sie mich mit Schwejk allein lassen werden«, sagte Oberleutnant Lukasch mit einem Seufzer.

Waněk ging und blieb hinter der Türe stehen, um zuzuhören, was die beiden einander sagen würden.

Anfangs vernahm er nichts, denn Schwejk und Oberleutnant Lukasch schwiegen. Beide blickten einander lange an und beobachteten einander; Lukasch blickte auf Schwejk, als wollte er ihn hypnotisieren; wie ein Hahn, der einem Hühnchen gegenübersteht und sich anschickt, sich darauf zu stürzen.

Schwejk blickte wie immer mit seinem feuchten, sanften Blick auf Oberleutnant Lukasch, als wollte er ihm sagen: »Wieder vereint, mein süßes Seelchen, jetzt wird uns nichts mehr trennen, mein Täubchen.«

Und als der Oberleutnant lange nicht sprach, redete der Ausdruck in Schwejks Augen in wehmütiger Zärtlichkeit: »Also sag etwas, mein Goldener, äußer dich!«

Oberleutnant Lukasch unterbrach dieses peinliche Schweigen mit folgenden Worten, in die er eine tüchtige Portion Ironie zu legen suchte: »Schön willkommen, Schwejk. Ich danke Ihnen für den Besuch. Sind das aber Gäste.«

Er konnte sich jedoch nicht zurückhalten, und die Wut der letzten Tage machte sich Luft in einem furchtbaren Faustschlag auf den Tisch, so daß das Tintenfaß in die Höhe sprang und Tinte auf die »Löhnungsliste« spritzte.

Gleichzeitig sprang Oberleutnant Lukasch empor, stellte sich direkt vor Schwejk und brüllte ihn an: »Sie Rindvieh!« Dann fing er an, in dem schmalen Raum der Kanzlei auf und ab zu gehen, wobei er immer vor Schwejk ausspuckte.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant«, sagte Schwejk, als Oberleutnant Lukasch nicht aufhörte, herumzugehen und zerknüllte Papierklumpen, die er jedesmal vom Tisch nahm, zornig in eine Ecke zu werfen, »daß ich den Brief ordentlich abgegeben hab. Ich hab Frau Kakonyi glücklich gefunden und kann sagen, daß sie ein sehr hübsches Frauenzimmer is, ich hab sie zwar gesehn, wie sie geweint hat . . .«

Oberleutnant Lukasch setzte sich auf das Kavallett des Rechnungsfeldwebels und rief mit heiserer Stimme: »Wann wird das ein Ende nehmen, Schwejk?«

Schwejk erwiderte, als hätte er es überhört: »Dann hab ich dort eine kleine Unannehmlichkeit gehabt, aber ich hab alles auf mich genommen. Man hat mir zwar nicht geglaubt, daß ich mit der Frau korrespondier, so hab ich den Brief lieber beim Verhör verschluckt, damit ich jede Spur verwisch. Dann hab ich mich durch einen puren Zufall, anders kann ich mirs nicht erklären, in ein kleines und ganz unbedeutendes Prügeleichen verwickelt. Auch draus bin ich herausgekommen, und man hat meine Unschuld eingesehn und mich zum Regimentsrapport geschickt und beim Divisionsgericht die ganze Untersuchung eingestellt. In der Regimentskanzlei war ich paar Minuten, bis der Herr Oberst gekommen is, und der hat mich bißl ausgeschimpft und hat gesagt, daß ich mich sofort bei Ihnen, Herr Oberlajtnant, als Ordonnanz melden soll, und hat mir befohlen, ich soll Ihnen melden, daß er Sie auffordert, daß Sie sogleich wegen der Marschkompanie zu ihm kommen solln. Es is schon mehr wie eine halbe Stunde, nämlich der Herr Oberst hat nicht gewußt, daß man mich noch in die Regimentskanzlei schleppen wird und daß ich dort noch über eine Viertelstunde sitzen wer, weil man in der ganzen Zeit meine Löhnung zurückgehalten hat und sie mir hat vom Regiment und nicht von der Kompanie ausgezahlt wern solln, weil ich als Regimentsarrestant geführt worn bin. Überhaupt is dort alles so konfus und durcheinand, daß man davon verrückt wern könnt.«

Als Oberleutnant Lukasch hörte, daß er bereits vor einer halben Stunde hätte bei Oberst Schröder sein sollen, sagte er, während er sich schnell ankleidete: »Sie haben mir wieder auf die Beine geholfen, Schwejk.«

Er sagte dies mit einer so verzweifelten Stimme voll Hoffnungslosigkeit, daß Schwejk versuchte, ihn mit freundschaftlichen Worten zu beschwichtigen; so rief er also, als Oberleutnant Lukasch aus der Türe stürzte: »Aber er wird ja schon warten, der Herr Oberst, er hat eh nichts zu tun.«

Kurz nachdem der Oberleutnant gegangen war, trat Rechnungsfeldwebel Waněk in die Kanzlei.

Schwejk saß auf einem Stuhl und fachte das Feuer in dem kleinen eisernen Ofen an, indem er Kohlenstückchen durch das offene Türchen hinein warf. Der Ofen rauchte und verbreitete einen üblen Geruch, und Schwejk fuhr in seiner Unterhaltung fort, ohne Waněk zu beachten, der Schwejk eine Zeitlang beobachtete, dann aber mit dem Fuß in das Türchen stieß und ihn aufforderte, sich von hier wegzuscheren.

»Herr Rechnungsfeldwebel«, sagte Schwejk würdig, »ich erlaube mir, Ihnen bekanntzugeben, daß ich Ihrem Befehl, mich meinetwegen ausn ganzen Lager zu stehlen, beim besten Willen nicht Folge leisten kann, denn ich untersteh höheren Anordnungen.«

»Nämlich ich bin hier Ordonnanz«, fügte er stolz hinzu, »Herr Oberst Schröder hat mich her zur 11. Marschkompanie zu Oberlajtnant Lukasch zugeteilt, bei dem ich Putzfleck war, aber durch meine angeborene Intelligenz bin ich zur Ordonnanz avanciert. Ich und der Herr Oberlajtnant sind schon alte Bekannte. Was sind Sie denn in Zivil, Herr Rechnungsfeldwebel?«

Der Rechnungsfeldwebel war so überrascht von diesem familiär-kameradschaftlichen Ton des braven Soldaten Schwejk, daß er seine Würde – die er sehr gern vor den Soldaten der Kompanie zur Schau trug – außer acht ließ und antwortete, als wäre er Schwejks Untergebener:

»Ich bin sozusagen der Drogist Waněk aus Kralup.«

»Ich war auch bei einem Materialisten in der Lehre«, sagte Schwejk, »bei einem gewissen Herrn Kokoschka am Bergstein in Prag. Das war ein großer Sonderling, und wie ich ihm mal aus Versehn im Keller ein Faß Benzin angezündet hab und er abgebrannt is, so hat er mich herausgeworfen, und das Gremium hat mich schon nirgends angenommen, so daß ich wegen einem dummen Faß Benzin nicht auslernen hab können. Erzeugen Sie auch Gewürz für Kühe?«

Waněk schüttelte den Kopf.

»Bei uns hat man Gewürz für Kühe mit geweihten Bildern erzeugt. Nämlich unser Herr Chef Kokoschka war ein sehr frommer Mensch und hat einmal wo gelesen, daß der heilige Pelegrinus bei Wassersucht beim Vieh geholfen hat. So hat er sich irgendwo in Smíchov Bilder vom heiligen Pelegrinus drucken lassen und hat sie in Emaus für 200 Gulden weihn lassen. Und dann hamr sie in die Packerln von unserem Gewürz für Kühe beigelegt. Der Kuh hat man dieses Gewürz in warmes Wasser gemischt, hat ihrs ausn Schaff zu trinken gegeben und dabei hat man dem Vieh ein kleines Gebet zum heiligen Pelegrinus vorgelesen, das Herr Tauchen, unser Kommis, verfaßt hat. Nämlich wie die Bilder vom heiligen Pelegrinus gedruckt waren, so hat man noch auf der andern Seite ein kleines Gebet abdrucken müssen. So hat sich unser alter Kokoschka abends Herrn Tauchen gerufen und hat ihm gesagt, er soll bis früh irgendein kleines Gebet auf das Bild und auf das Gewürz zusammenstelln, bis er um zehn Uhr in den Laden kommt, daß es schon fertig sein muß, damits in die Druckerei geht, daß die Küh schon auf das Gebet warten. Entweder – oder. Verfaßt ers hübsch, so hat er einen Gulden am Brett, oder er kann in vierzehn Tagen gehn. Herr Tauchen hat die ganze Nacht geschwitzt und is früh ganz unausgeschlafen in den Laden aufmachen gekommen und hat nichts geschrieben gehabt. Er hat sogar vergessen gehabt, wie der Heilige in diesem Gewürz für Kühe heißt. Da hat ihn unser Diener Ferdinand aus der Not herausgerissen. Der hat alles getroffen. Wenn wir am Boden Kamillentee getrocknet ham, is er immer hinaufgekrochen, hat sich die Stiefel ausgezogen und hat uns gelernt, wie die Füße aufhören zu schwitzen. Er hat am Boden Tauben gefangen, hat das Pult mit Geld aufmachen getroffen und hat uns noch andre Schwindeleien mitn Waren gelernt. Ich hab als Junge zu Haus so eine Apotheke gehabt, was ich mir ausn Laden nach Haus gebracht hab, daß sie nicht mal ›Bei den Barmherzigen‹Ein von »Barmherzigen Brüdern« geleitetes Krankenhaus in Prag. so eine gehabt ham. Und der hat Herrn Tauchen geholfen; er hat nur gesagt: ›Also geben Sies her, Herr Tauchen, daß ich mirs anschau‹, und schon hat ihm der Herr Tauchen um Bier geschickt. Und bevor ichs Bier gebracht hab, da war unser Diener Ferdinand schon halb fertig damit und hats schon vorgelesen.

Von Himmelshöhen komm ich her,
verkünde allen frohe Mär.
Kuh und Kalb und Ochs und Schwein
brauchen nicht mehr krank zu sein.
Denn Kokoschkas Kräuterlein
heilen alle, groß und klein.

Dann, wie er das Bier ausgetrunken und ordentlich an der Tinktura Amara geleckt gehabt hat, is es ihm rasch gegangen, und er hats in einem Moment sehr hübsch fertiggebracht:

Pelegrinus Sanctus hats ersonnen,
für zwei Gulden nur ist es gewonnen.
Pelegrine Sancte, schütze unsre Herden,
Dein Lob singt der Landmann spät und frühe,
Pelegrine Sancte, schütze unsre Kühe!

Dann, wie Herr Kokoschka gekommen is, is Herr Tauchen mit ihm ins Kontor gegangen, und wie er herausgegangen is, hat er uns zwei Gulden gezeigt, nicht einen, wie er versprochen gehabt hat, und hat mitn Herrn Ferdinand zur Hälfte teiln wolln. Aber den Diener Ferdinand hat auf einmal, wie er die zwei Gulden gesehn hat, der Mammon gepackt. Herich daß nein, entweder alles oder nix. So hat ihm Herr Tauchen also nix gegeben und hat sich die zwei Gulden für sich gelassen, hat mich daneben ins Magazin genommen, hat mir eine Watsche gegeben und hat gesagt, daß ich hundert solche Watschen kriegen wer, wenn ich mich wo zu sagen unterstehn wer, daß er das nicht zusammengestellt und verfaßt hat und daß ich, auch wenn sich der Ferdinand zu unserm Alten beschweren gehn möcht, sagen muß, daß der Diener Ferdinand ein Lügner is. Das hab ich ihm vor einem Ballon mit Estragonessig beschwören müssen, und unser Diener hat angefangen, sich an diesem Gewürz für Kühe zu rächen. Nämlich wir hams in großen Kisten aufn Boden gemischt, und er, wo er einen Mausedreck hat zammkehren können, hat er ihn gebracht und hat ihn ins Gewürz gemischt. Dann hat er auf der Straße Roßäpfel zusammgeklaubt, hat sie zu Haus getrocknet, im Mörser zu Gewürz zerstoßen und hat das auch in das Gewürz für Kühe mit dem Bild vom heiligen Pelegrinus geworfen. Und dran hat er noch nicht genug gehabt. Er hat in diese Kisten gepischt, hat sich in sie ausgemacht und hats zusammgemischt, daß es wie Kasch aus Kleie war . . .«

Das Telefon klingelte. Der Rechnungsfeldwebel sprang zur Hörmuschel und schleuderte sie mißmutig beiseite: »Ich muß in die Regimentskanzlei gehn. So plötzlich, das gefällt mir nicht!«

Schwejk war wieder allein.

Kurz danach klingelte abermals das Telefon.

Schwejk fing an, sich zu verständigen: »Waněk? Der is in die Regimentskanzlei gegangen. Wer beim Telefon ist? Die Ordonnanz von der 11. Marschkompanie. Wer is dort? Die Ordonnanz von der 12. Marschka? Servus, Kollege. Wie ich heiß? Schwejk. Und du? Braun. Bist du nicht verwandt mit einem gewissen Braun, Hutmacher aus der Ufergasse in Karolinental? Nein, du kennst ihn nicht? – Ich kenn ihn auch nicht, ich bin nur mal mit der Elektrischen vorbeigefahren, da is mir die Firma ins Aug gefallen. Was Neues is? – Ich weiß nix. – Wann wir fahren?«

»Ich hab noch mit niemandem von der Abfahrt gesprochen. Wohin solln wir fahren?«

»Du Schafskopf, mit der Marschka an die Front.«

»Davon hab ich noch nichts gehört.«

»Da bist du eine feine Ordonnanz. Weißt du nicht, ob dein Lajtnant . . .«

»Der meinige is Oberlajtnant . . .«

»Das is alles eins, also dein Oberlajtnant zur Besprechung zum Oberst gegangen is?«

»Er hat sich ihn hin eingeladen.«

»Also siehst du, der unsrige is auch hingegangen und der von der 13. Marschka auch; grad hab ich mit der Ordonnanz von ihr telefonisch gesprochen. Mir gefällt diese Eile nicht. Und weißt du nichts, ob man bei der Musik packt?«

»Ich weiß von nichts.«

»Mach keinen Ochsen aus dir. Nicht wahr, euer Rechnungsfeldwebel hat das Aviso gekriegt? Wieviel Mannschaft habt ihr?«

»Ich weiß nicht.«

»Du Trottl, wer ich dich denn auffressen? (Man hört, wie der Mann beim Telefon daneben spricht: ›Nimm dir den zweiten Hörer, Franz, damit du weißt, was für eine blöde Ordonnanz sie dort bei der 11. Marschka ham.‹) – Haloo, schläfst du dort, oder was? Also antwort, wann dich ein Kollege fragt. Du weißt also noch nichts? Lüg nicht. Hat euer Rechnungsfeldwebel nichts gesagt, daß ihr Konserven fassen werdet? Daß du mit ihm von solchen Sachen nicht gesprochen hast? Du Trottl, du. Daß dich das nichts angeht? (Man hört lachen.) Du bist, mir scheint, am Kopf gefalln. Bis du also was wissen wirst, so telefoniers uns zur 12. Marschkompanie, mein goldnes Söhnchen, mein blödes. Woher bist du?«

»Aus Prag.«

»Da solltest du gescheiter sein. – Und noch was! Wann is euer Rechnungsfeldwebel in die Kanzlei gegangen?«

»Vor einer Weile hat man ihn gerufen.«

»Da schau her, das hast du nicht früher sagen können? Der unsrige is auch vor einem Weilchen gegangen, da geht was vor. Hast du nicht mitn Train gesprochen?«

»Nein.«

»Jesus Maria Josef, und du sagst, daß du aus Prag bist? Du kümmerst dich um nichts. Wo lungerst du denn den ganzen Tag herum?«

»Ich bin erst vor einer Stunde vom Divisionsgericht gekommen.«

»Das is ein anderer Kren,Südostdeutsch für Meerrettich. Kamerad, da komm ich dich noch heut besuchen. Läut zweimal ab.«

Schwejk wollte sich die Pfeife anzünden, als das Telefon abermals klingelte: »Steigt mir am Buckel mit euerm Telefon«, dachte Schwejk, »ich wer mich mit euch unterhalten!«

Das Telefon ratterte aber unerbittlich weiter, so daß Schwejk schließlich die Geduld verlor, er ergriff ein Hörrohr und brüllte ins Telefon:

»Haloo, wer dort? Hier Ordonnanz Schwejk von der 11. Marschkompanie.« An der Antwort erkannte Schwejk die Stimme Oberleutnant Lukaschs:

»Was treibt ihr dort alle? Wo ist Waněk, rufen Sie sofort den Waněk zum Telefon!«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, vorhin hat das Telefon geklingelt.«

»Hören Sie, Schwejk, ich hab keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten. Telefonische Gespräche beim Militär, das ist keine Plauderei per Telefon, wie wenn man jemanden einlädt, er soll zum Mittagessen kommen. Telefongespräche müssen klar und kurz sein. Bei Telefongesprächen fällt auch das ›melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant‹ weg. Ich frage Sie also, Schwejk, haben Sie den Waněk bei der Hand? Er soll gleich zum Telefon kommen!«

»Ich hab ihn nicht bei der Hand, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, er is vor einer Weile von hier aus der Kanzlei, es kann noch nicht mal eine Viertelstunde sein, in die Regimentskanzlei abberufen worn.«

»Bis ich komm, wer ich mit Ihnen Ordnung machen, Schwejk. Können Sie sich nicht knapp ausdrücken? Passen Sie jetzt gut drauf auf, was ich Ihnen sagen werde. Verstehn Sie deutlich, damit Sie sich dann nicht ausreden, daß es im Telefon heiser geklungen hat? Augenblicklich, sofort wie Sie den Hörer aufhängen . . .«

Pause. Neuerliches Läuten. Schwejk ergriff den Hörer und wurde von einer Fülle von Schimpfworten überschüttet. »Sie Rindvieh, Sie Gassenbub, Sie Halunke, Sie. Was machen Sie da, warum unterbrechen Sie das Gespräch?«

»Sie ham mir, bitte, gesagt, ich soll den Hörer aufhängen.«

»Ich bin in einer Stunde zu Haus, Schwejk, und dann freun Sie sich – Sie packen sich also gleich zusammen, gehn in die Baracke und treiben irgendeinen Zugführer auf, meinetwegen den Fuchs, und sagen ihm, daß er gleich zehn Mann nehmen soll und mit ihnen ins Magazin Konserven fassen gehn soll. Wiederholen Sie das, was soll er machen?«

»Mit zehn Mann ins Magazin Konserven für die Kompanie fassen gehn.«

»Endlich blödeln Sie einmal nicht. Ich werde inzwischen dem Waněk in die Regimentskaserne telefonieren, er soll auch ins Magazin gehn und die Konserven übernehmen. Wenn er inzwischen in die Baracke kommt, soll er alles liegenlassen und Laufschritt ins Magazin nehmen. Und jetzt hängen Sie den Hörer auf.«

Schwejk suchte nicht nur Zugführer Fuchs, sondern auch die übrigen Chargen hübsch lange vergeblich. Sie waren in der Küche, nagten das Fleisch von den Knochen ab und erfreuten sich am Anblick des angebundenen Baloun, der zwar mit den Füßen fest auf dem Boden stand, weil sie sich seiner erbarmt hatten, trotzdem aber einen interessanten Anblick bot. Einer von den Köchen brachte ihm ein Stück Rippenfleisch und steckte es ihm in den Mund, und der angebundene Riese Baloun, der nicht die Möglichkeit hatte, mit den Händen zu manipulieren, schob den Knochen behutsam im Mund herum und ließ ihn mit Hilfe der Zähne und des Zahnfleisches balancieren, wobei er das Fleisch mit dem Ausdruck eines Waldschrecks abnagte.

»Wer is denn hier von euch der Zugführer Fuchs?« fragte Schwejk, als er sie schließlich fand.

Zugführer Fuchs hielt es nicht einmal der Mühe wert, sich zu melden, als er sah, daß ein gemeiner Soldat nach ihm fragte.

»Holla«, sagte Schwejk, »wie lange wer ich noch fragen? Wo is denn der Zugführer Fuchs?«

Fuchs trat vor und fing voll Würde an, auf alle möglichen Arten zu schimpfen, er sei kein Zugführer, man solle nicht sagen: »Wo ist der Zugführer?«, sondern »Melde gehorsamst, wo ist der Herr Zugführer?« Wenn jemand bei seinem Zug nicht sage: »Ich melde gehorsamst«, so bekomme er gleich eins übers Maul.

»Nur nicht so hastig«, sagte Schwejk bedächtig, »packen Sie sich gleich zusamm, gehn Sie in die Baracke, nehmen Sie dort zehn Mann und im Laufschritt mit ihnen zum Magazin, Sie wern Konserven fassen.«

Zugführer Fuchs war so überrascht, daß er nur aus sich hervorstieß: »Was?«

»Gar kein ›was‹«, antwortete Schwejk, »ich bin Ordonnanz bei der 11. Marschkompanie, und grad vor einer Weile hab ich telefonisch mit Herrn Oberlajtnant Lukasch gesprochen. Und der hat gesagt: ›Laufschritt mit zehn Mann zum Magazin.‹ Wenn Sie nicht gehn wern, Herr Zugführer Fuchs, so geh ich sofort zurück zum Telefon. Der Herr Oberlajtnant wünscht sich ausdrücklich, daß Sie gehn. Es is überhaupt unnütz, darüber zu reden.

›Ein telefonisches Gespräch‹, hat Herr Oberlajtnant Lukasch gesagt, ›muß kurz und klar sein. Wenn man sagt: Zugführer Fuchs geht, so geht er. So ein Befehl, das is keine Plauderei per Telefon, wie wenn man jemanden zum Mittagessen einladen möcht. Beim Militär, besonders im Krieg, is jede Verspätung ein Verbrechen. Wenn der Zugführer Fuchs nicht gleich gehn wird, bis Sies ihm melden, so telefonieren Sies mir gleich, und ich wers mir mit ihm schon ausmachen. Vom Zugführer Fuchs wird nicht mal ein Andenken übrigbleiben.‹ Ja, mein Lieber, Sie kennen den Herrn Oberlajtnant nicht.«

Schwejk schaute siegesbewußt auf die Chargen, die sein Auftreten in der Tat überraschte und deprimierte.

Zugführer Fuchs brummte etwas Unverständliches und entfernte sich schnellen Schritts, während Schwejk ihm nachrief: »Kann ich also dem Herrn Oberlajtnant telefonieren, daß alles in Ordnung is?«

»Gleich wer ich mit zehn Mann im Magazin sein«, rief von der Baracke der Zugführer Fuchs, und Schwejk, der kein Wort mehr sagte, entfernte sich aus der Gruppe der Chargen, die ebenso überrascht waren wie Zugführer Fuchs.

»Es fängt schon an«, sagte der kleine Korporal Blažek, »wir wern packen.«

Als Schwejk in die Kanzlei der 11. Marschkompanie zurückkehrte, fand er wiederum keine Zeit, seine Pfeife anzuzünden, denn das Telefon klingelte abermals. Es war wiederum Oberleutnant Lukasch, der mit Schwejk sprach:

»Wo laufen Sie herum, Schwejk? Ich klingle schon zum drittenmal, und niemand meldet sich.«

»Ich hab alles zammgetrommelt, Herr Oberlajtnant.«

»Sind sie also schon gegangen?«

»Versteht sich, daß sie gegangen sind, aber ich weiß nicht, ob sie schon dort sein wern. Soll ich vielleicht noch mal hinlaufen?«

»Haben Sie also Zugführer Fuchs gefunden?«

»Jawohl, Herr Oberlajtnant. Erst hat er mich angefahren: ›Was?‹, und erst wie ich ihm erklärt hab, daß Telefongespräche kurz und klar sein müssen . . .«

»Unterhalten Sie sich nicht, Schwejk – Waněk ist noch nicht zurückgekommen?«

»Nein, Herr Oberlajtnant.«

»Brüllen Sie nicht so ins Telefon. Wissen Sie nicht, wo dieser verfluchte Waněk sein könnt?«

»Ich weiß nicht, Herr Oberlajtnant, wo dieser verfluchte Waněk sein könnt.«

»In der Kanzlei beim Regiment war er und ist irgendwohin gegangen. Ich denke, er wird wahrscheinlich in der Kantine sein. Gehn Sie ihm also nach, Schwejk, und sagen Sie ihm, er soll gleich ins Magazin gehn. Dann noch etwas. Treiben Sie Korporal Blažek auf, und sagen Sie ihm, er soll diesen Baloun sofort abbinden, und den Baloun schicken Sie zu mir. Hängen Sie den Hörer auf!«

Schwejk fing tatsächlich an, sich um das alles zu kümmern. Als er den Korporal Blažek gefunden und ihm den Befehl des Oberleutnants bezüglich des Losbindens Balouns übermittelt hatte, brummte Korporal Blažek: »Sie kriegen Angst, wenns ihnen in die Stiefel fließt.«

Schwejk schaute sich das Losbinden an und ging ein Stück mit Baloun, weil dessen Weg an der Kantine vorüberführte, wo Schwejk Rechnungsfeldwebel Waněk finden sollte.

Baloun blickte Schwejk an wie seinen Erlöser und versprach ihm, jede Sendung, die er von zu Hause bekommen werde, mit ihm zu teilen.

»Bei uns wird man jetzt schlachten«, sagte Baloun melancholisch, »hast du gern Speckwurst aus Blut oder ohne Blut? Ich sag dir, ich schreib heut abend nach Haus. Mein Schwein wird so beiläufig 150 Kilo haben. Es hat einen Kopf wie eine Bulldogge, und so ein Schwein is am besten. Unter solchen Schweinen gibts keine Drückeberger. Das is eine sehr gute Rasse, die schon was aushält. Es wird gegen acht Finger Fett haben. Wie ich zu Haus war, hab ich mir die Leberwürste selbst gemacht, und immer hab ich mich so vollgestopft, daß ich zerspringen könnt. Das vorjährige Schwein hat 160 Kilo gehabt.«

»Aber das war ein Schwein«, sagte er begeistert, Schwejk beim Abschied fest die Hand drückend, »ich habs nur mit lauter Erdäpfeln großgezogen und hab mich selbst gewundert, wies hübsch zunimmt. Die Schinken hab ich in Salzwasser gegeben und so ein hübsches gebratenes Stück ausn Salzwasser mit Erdäpfelknödeln, mit Grieben bestreut und mit Kraut, das is was Delikates. Dann schmeckt das Bier! Man is so zufrieden. Um das alles hat uns der Krieg gebracht!«

Der bärtige Baloun seufzte schwer und wandte sich zur Regimentskanzlei, während Schwejk durch die Allee alter hoher Linden auf die Kantine zuschritt.

Rechnungsfeldwebel Waněk saß inzwischen zufrieden in der Kantine und erzählte einem bekannten Stabsfeldwebel, wieviel man vor dem Krieg an Emailfarben und Zementanstrich hatte verdienen können.

Der Stabsfeldwebel war schon unzurechnungsfähig. Am Vormittag war ein Gutsbesitzer aus Pardubitz angekommen, dessen Sohn im Lager war, und hatte ihm eine anständige Bestechung gegeben und ihn den ganzen Vormittag unten in der Stadt bewirtet. Jetzt saß er verzweifelt da, weil ihm nichts mehr schmeckte, er wußte nicht einmal, wovon er sprach, und auf das Gespräch über die Emailfarben reagierte er gar nicht.

Er beschäftigte sich mit seinen eigenen Vorstellungen und lallte irgend etwas davon, daß eine Lokalbahn von Wittingau nach Pilgram und wieder zurück führen sollte.

Als Schwejk eintrat, bemühte sich Waněk nochmals, dem Stabsfeldwebel in Ziffern klarzumachen, was man an einem Kilo Zementanstrich bei einem Bau verdient hatte, worauf der Stabsfeldwebel, an etwas ganz andres denkend, erwiderte:

»Auf dem Rückweg is er gestorben, er hat nur Briefe hinterlassen.«

Als er Schwejk erblickte, verwechselte er ihn offenbar mit einem ihm unsympathischen Menschen und fing an, ihn Bauchredner zu schimpfen.

Schwejk näherte sich Waněk, der ebenfalls in Stimmung, dabei aber sehr freundlich und lieb war.

»Herr Rechnungsfeldwebel«, meldete ihm Schwejk, »Sie solln gleich zum Magazin gehn, dort wartet schon Zugführer Fuchs mit zehn Gmanen, man wird Konserven fassen. Sie solln Laufschritt nehmen. Der Herr Oberlajtnant hat schon zweimal telefoniert.«

Waněk brach in ein Gelächter aus: »Da wär ich ein Narr, Schatzerl. Da müßt ich mich selbst ausschimpfen, mein Engerl. Alles hat Zeit genug, es brennt nicht, Kind, goldenes. Bis der Herr Oberlajtnant Lukasch so oft Marschkompanien ausgerüstet haben wird wie ich, dann kann er erst von was reden, und unnütz wird er niemanden nicht belästigen mit seinem Laufschritt. Ich hab schon in der Regimentskanzlei so einen Befehl bekommen, daß wir morgen fahren, daß man packen und gleich auf die Fahrt fassen gehn soll. Und was hab ich gemacht: Ich bin hübsch her auf ein Viertel Wein gegangen, hier sitzt sichs mir hübsch, und ich laß alles laufen. Konserven bleiben Konserven, Fassung bleibt Fassung. Ich kenn das Magazin besser als der Herr Oberlajtnant und weiß, was man bei so einer Besprechung der Herren Offiziere beim Herrn Obrscht redet. Das stellt sich der Herr Obrscht nur in seiner Phantasie vor, daß im Magazin Konserven sind. Das Magazin von unserm Regiment hat nie nicht keine Konserven in Vorrat gehabt und hat sie von Fall zu Fall von der Brigade bekommen oder sich sie von andern Regimentern ausgeborgt, mit denen es in Verkehr getreten is. Dem Beneschauer Regiment allein sind wir über dreihundert Konserven schuldig. Cheche! Sie solln nur bei der Besprechung sagen, was sie wolln, nur keine Eile nicht! No, der Magazineur wird ihnen schon selbst sagen, bis die unsrigen hinkommen, daß sie verrückt geworn sind. Nicht eine Marschka hat Konserven aufn Weg bekommen.«

»Gelt, du alter Erdäpfel«, wandte er sich an den Stabsfeldwebel. Der aber war entweder im Einschlafen begriffen oder bekam einen kleinen Anfall von Delirium, denn er erwiderte:

»Wie sie schritt, hielt sie einen offenen Regenschirm über sich.«

»Am besten machen Sie«, fuhr Rechnungsfeldwebel Waněk fort, »wenn Sie alles schwimmen lassen. Wenn man heut in der Regimentskanzlei gesagt hat, daß man morgen fährt, so darfs nicht mal ein kleines Kind glauben. Können wir ohne Waggons fahren? Während ich noch dort war, hat man aufn Bahnhof telefoniert. Sie ham dort nicht einen leeren Waggon. Mit der vorigen Marschka wars dasselbe. Wir sind damals zwei Tage am Bahnhof gestanden und ham gewartet, bis sich unser jemand erbarmt und einen Zug um uns schickt. Und nachher hamr nicht gewußt, wohin wir fahren. Nicht mal der Obrscht hats gewußt, wir sind dann schon durch ganz Ungarn gefahren, und fort hat niemand nix gewußt, ob wir nach Serbien oder nach Rußland fahren. Auf jeder Station hat man direkt mitn Divisionsstab gesprochen. Und wir waren nur so ein Flicklappen. Schließlich hat man uns bei Dukla angenäht, dort hat man uns zerdroschen, und wir sind uns neu formieren gefahren. Nur keine Hast nicht. Alles wird sich mit der Zeit aufklären, und auf nichts muß man eilen. Jawohl, noch amol.«

»Wein hams hier heut einen ungewöhnlich guten«, fuhr Waněk fort, ohne auch nur darauf zu hören, wie der Stabsfeldwebel vor sich hin plapperte:

»Glauben Sie mir, ich hab bisher wenig von meinem Leben gehabt. Ich wundere mich über diese Frage.«

»Wozu sollt ich mir unnütz Sorgen mit der Abfahrt vom Marschbataillon machen. Nämlich bei der ersten Marschka, mit der ich gefahren bin, war alles in zwei Stunden in bester Ordnung. Bei den andern Marschkompanien von unserm damaligen Marschbataillon ham sie sich drauf schon ganze zwei Tage vorbereitet. Aber bei uns war Lajtnant Přenosil Kompaniekommandant, ein sehr fescher Kerl, und der hat uns gesagt: ›Habts keine Eile nicht, Jungens‹, und es is gegangen wie geschmiert. Zwei Stunden vor der Abfahrt vom Zug hamr erst angefangen zu packen. Sie wern gut machen, wenn Sie sich auch erst setzen wern . . .«

»Ich kann nicht«, sagte mit fürchterlicher Selbstverleugnung der brave Soldat Schwejk, »ich muß in die Kanzlei, was, wenn jemand telefonieren möcht.«

»Gehn Sie also, mein Gold, aber merken Sie sich Ihr ganzes Leben lang, daß das nicht hübsch von Ihnen is und daß eine richtige Ordonnanz nie dort sein darf, wo man sie braucht. Sie dürfen sich nicht gar so eifrig in den Dienst stürzen. Es gibt wirklich nichts Scheußlicheres als eine meschuggene Ordonnanz, was das Militär fressen möcht, Seelchen, liebes.«

Aber Schwejk war bereits aus der Tür und eilte in die Kanzlei seiner Marschkompanie.

Waněk blieb verlassen zurück, denn man kann unmöglich behaupten, daß ihm der Stabsfeldwebel Gesellschaft geleistet hätte. Der machte sich vollständig selbständig und lallte, die Weinflasche streichelnd, auf deutsch und tschechisch höchst sonderbare Dinge ohne jeden Zusammenhang:

»Oft bin ich durch dieses Dorf gegangen und hatte nicht einmal eine Ahnung davon, daß es auf der Welt ist. In einem halben Jahr habe ich meine Staatsprüfung hinter mir und meinen Doktor gemacht. Aus mir ist ein alter Krüppel geworden, ich danke Ihnen, Luzi. Erscheinen Sie in schön ausgestatteten Bänden – vielleicht ist hier jemand unter Ihnen, der sich nicht daran erinnert.«

Der Rechnungsfeldwebel trommelte aus Langweile irgendeinen Marsch; aber er mußte sich nicht lange langweilen, denn die Türe öffnete sich, und herein trat Jurajda, der Koch aus der Offiziersmenage, und sank auf einen Stuhl.

»Wir ham heut«, plapperte er, »Befehl bekommen, aufn Weg Kognak fassen zu gehn. Weil wir keine Korbflasche vom Rum leer gehabt ham, ham wir sie ausleeren müssen. Das hat uns gegeben! Die Mannschaft bei der Küche hats ganz umgeworfen. Ich hab mich um paar Portionen verrechnet. Der Herr Oberst ist spät gekommen und auf ihn ist nichts gekommen. So machen sie ihm dort jetzt eine Omelette. Das ist euch eine Hetz.«

»Das is ein nettes Abenteuer«, bemerkte Waněk, dem beim Wein hübsche Worte immer sehr gut gefielen.

Koch Jurajda fing an zu philosophieren, was tatsächlich seiner früheren Beschäftigung entsprach. Er hatte nämlich vor dem Krieg eine okkultistische Zeitschrift und die Bibliothek »Rätsel des Lebens und des Todes« herausgegeben.

Im Krieg hatte er sich in die Offiziersküche des Regiments gedrückt und ließ sehr häufig einen Braten anbrennen, wenn er sich in die Lektüre von Übersetzungen der altindischen »Sûter Pragûa-Paramita« (Offenbarte Weisheit) vertiefte.

Oberst Schröder schätzte ihn als ein Original des Regiments, denn welche Offiziersküche konnte sich eines Okkultisten als Koch rühmen, der, in die Rätsel des Lebens und des Todes blickend, mit einem so guten Lungenbraten oder so einem Ragout überraschte, daß der bei Komorn tödlich verwundete Leutnant Dufek ununterbrochen nach Jurajda verlangt hatte.

»Ja«, sagte von nichts und wieder nichts Jurajda, der sich kaum auf dem Stuhl hielt und nach zehn Runden Rum roch, »wie heut nichts aufn Herrn Oberst gekommen ist und wie er nur geröstete Erdäpfel gesehn hat, ist er in den Stand der Gaki verfallen. Wißt ihr, was das ist, Gaki? Das ist der Stand hungriger Geister. Ich hab gesagt: ›Haben Sie, Herr Oberst, Kraft genug, die Bestimmung des Schicksals zu überwinden, daß kein Nierenbraten auf Sie gekommen ist? Im Karma ist bestimmt, daß Sie, Herr Oberst, heut zum Nachtmahl eine fabelhafte Omelette mit gekochter und gedünsteter Kalbsleber bekommen.‹«

»Lieber Freund«, sagte er nach einer Weile leise zum Rechnungsfeldwebel, wobei er unwillkürlich eine Handbewegung machte, mit der er alle Gläser umwarf, die vor ihm auf dem Tisch standen.

»Alle Erscheinungen, Gestalten und Dinge sind wesenlos«, meinte nach dieser Tat melancholisch der Koch-Okkultist. »Die Gestalt ist Wesenlosigkeit und die Wesenlosigkeit ist Gestalt. Die Wesenlosigkeit ist nicht verschieden von der Gestalt, die Gestalt ist nicht verschieden von der Wesenlosigkeit. Was Wesenlosigkeit ist, ist Gestalt, was Gestalt ist, ist Wesenlosigkeit.«

Der Koch-Okkultist hüllte sich in Schweigen, stützte den Kopf auf die Hand und schaute auf den nassen, begossenen Tisch.

Der Stabsfeldwebel fuhr fort etwas zu plappern, was weder Hand noch Fuß hatte.

»Das Getreide is vom Feld verschwunden, verschwunden – in dieser Stimmung erhielt er eine Einladung und ging zu ihr – die Pfingstfeiertage sind im Frühling.«

Rechnungsfeldwebel Waněk trommelte ununterbrochen auf den Tisch, trank und erinnerte sich ab und zu, daß zehn Mann mit dem Zugführer beim Magazin auf ihn warteten.

Bei diesem Gedanken lachte er jedesmal vor sich hin und winkte mit der Hand.

Als er spät in die Kanzlei der 11. Marschkompanie zurückkehrte, fand er Schwejk am Telefon.

»Die Gestalt is Wesenlosigkeit und die Wesenlosigkeit is Gestalt«, stieß er aus sich heraus, kroch angezogen aufs Kavallett und schlief sofort ein.

Und Schwejk saß fortwährend am Telefon, denn vor zwei Stunden hatte Oberleutnant Lukasch mit ihm gesprochen und hatte ihm gesagt, daß er noch immer bei einer Besprechung beim Herrn Oberst sei, hatte aber vergessen hinzuzufügen, daß Schwejk vom Telefon weggehen könne.

Dann rief ihn Zugführer Fuchs an, der die ganze Zeit hindurch mit zehn Mann nicht nur vergeblich auf den Rechnungsfeldwebel wartete, sondern sogar sah, daß das Magazin versperrt war.

Schließlich ging er fort, und die zehn Mann kehrten einer nach dem andern in die Baracken zurück.

Zeitweilig unterhielt sich Schwejk damit, den Hörer zu ergreifen und zu lauschen. Es war ein Telefon nach irgendeinem neuen System, das gerade bei der Armee eingeführt wurde und den Vorteil hatte, daß man ziemlich klar und deutlich fremde Telefongespräche auf der ganzen Linie vernehmen konnte.

Der Train und die Artilleriekasernen beschimpften einander, die Sappeure drohten der Kriegspost, die Artillerieschießstätte brummte die Maschinengewehrabteilung an.

Und Schwejk saß fortwährend am Telefon.

Die Beratung beim Oberst zog sich in die Länge.

Oberst Schröder entwickelte die neueste Theorie des Felddienstes und legte hauptsächlich Gewicht auf die Minenwerfer.

Er redete alles mögliche Zeug durcheinander, sprach von der Front, wie sie noch vor zwei Monaten im Süden und im Osten verlaufen sei, von der Wichtigkeit einer genauen Verbindung zwischen den einzelnen Truppenteilen, von Giftgasen; von der Beschießung feindlicher Aeroplane, von der Versorgung der Mannschaft im Felde mit Nahrungsmitteln, worauf er auf die inneren Verhältnisse in der Armee überging.

Er fing an, von dem Verhältnis der Offiziere zur Mannschaft und dem Verhältnis der Mannschaft zu den Chargen zu sprechen, vom Überlaufen an den Fronten zum Feind, von politischen Ereignissen und davon, daß fünfzig Prozent der tschechischen Soldaten »politisch verdächtig« seien.

»Jawohl, meine Herren, der Kramař, Scheiner und Klófač.« Die Mehrzahl der Offiziere dachte dabei, wann das alte Ekel wohl endlich aufhören werde zu quasseln, aber Oberst Schröder quatschte weiter von den neuen Aufgaben der neuen Marschbataillone, von den gefallenen Offizieren des Regiments, von Zeppelinen, spanischen Reitern, vom Eid.

Bei dem letzteren erinnerte sich Oberleutnant Lukasch daran, daß der brave Soldat Schwejk, als das ganze Marschbataillon den Eid ablegte, nicht daran teilgenommen hatte, weil er zu dieser Zeit gerade im Divisionsgericht saß.

Und plötzlich mußte er darüber lachen. Es war gleichsam ein hysterisches Lachen, das die Offiziere ansteckte, zwischen denen er saß, wodurch er die Aufmerksamkeit des Obersten erregte, der gerade zu den beim Rückzug der deutschen Truppen in den Ardennen erworbenen Erfahrungen gelangt war. Er warf alles durcheinander und schloß: »Meine Herren, das ist nicht zum Lachen.«

Dann begaben sich alle ins Offizierskasino, weil Oberst Schröder vom Brigadestab ans Telefon gerufen wurde.

Schwejk setzte seinen Schlaf beim Telefon fort, als ihn ein Läuten weckte.

»Haloo«, hörte er, »hier Regimentskanzlei.«

»Haloo«, antwortete er, »hier Kanzlei der 11. Marschkompanie.«

»Halt nicht auf«, hörte er eine Stimme, »nimm einen Bleistift und schreib. Nimm ein Telefonogramm auf.«

»11. Marschkompanie . . .«

Jetzt folgten nacheinander irgendwelche Sätze in einem merkwürdigen Chaos, weil die 12. und 13. Marschkompanie gleichzeitig dazwischensprachen und das Telefonogramm in dieser Panik von Tönen vollständig verlorenging. Schwejk verstand kein Wort. Zu guter Letzt beruhigte sich der Lärm und Schwejk stand: »Haloo, halloo, also jetzt lies es vor und halt nicht auf.«

»Was soll ich vorlesen?«

»Was du vorlesen sollst, du Ochs? Das Telefonogramm.«

»Was für ein Telefonogramm?«

»Krutzihimmel, bist du denn taub? Das Telefonogramm, das ich dir diktiert hab, Blödian.«

»Ich hab nichts gehört; jemand hat hier hineingesprochen.«

»Du Aff du, denkst du denn, daß ich mich mit dir nur unterhalten werde? Also nimmst du das Telefonogramm auf oder nicht? Hast du Bleistift und Papier? Daß du keins hast, du Rindvieh, daß ich warten soll, bis dus findest? Das sind Soldaten. Also was, wirds? Daß du schon vorbereitet bist? Na, daß du dich endlich aufgerafft hast! Am Ende hast du dich nicht dazu umgekleidet, Menschenskind, also hör zu: 11. Marschkompanie. Wiederhols!«

»11. Marschkompanie . . .«

»Kompaniekommandant, hast du das? Wiederhols.«

»Kompaniekommandant . . .«

»Zur Besprechung morgen . . .«

»Zur Besprechung morgen . . .«

»Um neun Uhr . . . Unterschrift. Weißt du, was das ist Unterschrift, du Aff? Das ist der Name. Wiederhols!«

»Um neun Uhr . . . Unterschrift. Weißt du – was – das ist Unterschrift, du Aff? – Das ist – der Name.«

»Du Idiot, du. Also die Unterschrift: Oberst Schröder, Rindvieh. Hast du das?«

»Oberst Schröder, Rindvieh.«

»Gut, du Ochs. Wer hat das Telefonogramm aufgenommen?«

»Ich.«

»Himmelherrgott, wer ist das, dieser Ich?«

»Schwejk. Noch was?«

»Gott sei Dank, schon nichts. Aber du solltest Kuh heißen. – Was gibts bei euch Neues?«

»Nichts, alles beim alten.«

»Da bist du froh, was? Bei euch hat man heut herich jemanden angebunden?«

»Nur den Putzfleck vom Herrn Oberlajtnant, er hat ihm die Menage aufgefressen. Weißt du nicht, wann man geht?«

»Menschenskind, das is eine Frage, das weiß nicht mal der Alte. Gute Nacht. Habt ihr dort Flöh?«

Schwejk legte den Hörer hin und fing an, den Rechnungsfeldwebel zu wecken, der sich zornig wehrte; und als Schwejk ihn zu rütteln begann, versetzte ihm Waněk eins in die Nase. Dann legte er sich auf den Bauch und schlug mit den Füßen auf dem Kavallett rings um sich.

Schwejk gelang es aber trotzdem, Waněk so weit zu erwecken, daß dieser sich, während er sich die Augen rieb, auf den Rücken legte und erschrocken fragte, was geschehen sei.

»Soweit nichts«, antwortete Schwejk, »ich möcht mich nur gern mit Ihnen beraten. Jetzt grad hamr ein Telefonogramm gekriegt, daß Herr Oberlajtnant Lukasch morgen um neun Uhr zum Herrn Oberst zur Besprechung kommen soll. Ich weiß jetzt nicht, woran ich bin. Soll ich ihms gleich ausrichten gehn oder erst früh? Ich hab lang geschwankt, ob ich Sie wecken soll, wenn Sie so schön geschnarcht ham, aber dann hab ich mir gedacht, was liegt dran, lieber berätst du dich.« –

»Um Gottes willn, bitte Sie, lassen Sie mich schlafen«, stöhnte Waněk, übers ganze Gesicht gähnend, »gehn Sie erst früh hin und wecken Sie mich nicht!« Er wälzte sich auf die Seite und schlief augenblicklich wieder ein.

Schwejk ging abermals zum Telefon, setzte sich und fing an, über dem Tisch einzunicken. Ein Läuten weckte ihn.

»Haloo, 11. Marschkompanie.«

»Ja, 11. Marschkompanie. Wer dort?«

»13. Marschka. Haloo. Wieviel Uhr hast du? Ich kann die Zentrale nicht errufen. Mich kommen sie etwas lang nicht ablösen.«

»Bei uns steht die Uhr.«

»Da seid ihr so dran wie wir. Weißt du nicht, wann man fährt? Hast du nicht mit der Regimentskanzlei gesprochen?«

»Dort wissen sie einen Dreck, wie wir.«

»Sein Sie nicht so ordinär, Fräulein. Habt ihr schon Konserven gefaßt? Von uns sind sie hingegangen und ham nichts gebracht. Das Magazin war zugesperrt.«

»Die Unsrigen sind auch leer zurückgekommen.«

»Es is überhaupt eine unnütze Panik. Wohin glaubst du, fahren wir?«

»Nach Rußland.«

»Ich denk, daß eher nach Serbien. Das wern wir sehn, bis wir in Pest sind. Wenn man uns nach rechts fahren wird, so schaut draus Serbien heraus, und nach links Rußland. Habt ihr schon Brotsäcke? Herich wird jetzt die Löhnung erhöht wern? Spielst du Frische Viere? Spielst du? Also komm morgen. Wir spielns jeden Abend. Wieviel seid ihr dort beim Telefon? Allein? Also scheiß drauf und leg dich. Da habt ihr bei euch eine komische Ordnung. Daß du dazu gekommen bist wie ein Blinder zu einer Geige? Na, endlich sind sie mich ablösen gekommen. Schnarch süß.«

Und Schwejk schlief tatsächlich beim Telefon süß ein, nachdem er vergessen hatte, den Hörer anzuhängen, so daß ihn niemand in seinem Schlummer auf dem Tisch störte und der Telefonist in der Regimentskanzlei schimpfte, weil er die 11. Marschkompanie mit einem neuen Telefonogramm nicht erreichen konnte, dessen Inhalt lautete: Alle diejenigen, die nicht gegen Typhus geimpft worden sind, mögen sich morgen bis zwölf Uhr in der Regimentskanzlei einfinden.

Oberleutnant Lukasch saß einstweilen noch im Offizierskasino mit Militärarzt Schanzler, der, rücklings auf einem Stuhle sitzend, in regelmäßigen Intervallen mit einem Queue auf den Boden schlug und dabei nacheinander folgende Sätze hervorstieß:

»Der sarazenische Sultan Salah-Edin hat zum erstenmal die Neutralität des Sanitätskorps anerkannt.«

»Man soll die Verwundeten bei beiden Parteien pflegen.«

»Man soll ihnen die Medikamente und die Pflege gegen Ersatz der Kosten durch die andere Partei bezahlen.«

»Es soll erlaubt sein, ihnen Ärzte und deren Gehilfen mit Pässen von Generalen zu schicken.«

»Gefangene Verwundete sollen auch unter dem Schutz und der Garantie von Generalen zurückgeschickt oder ausgetauscht werden. Aber sie können dann weiterdienen.«

»Die Kranken auf beiden Seiten sollen nicht gefangengenommen und erschlagen, sondern ohne Gefahr in die Spitäler geschafft werden, und es soll ihnen eine Wache belassen werden, die ebenso wie die Kranken mit den Pässen der Generale zurückkehren soll. Das gilt auch für Feldgeistliche, Ärzte, Chirurgen, Apotheker und Krankenpfleger, Gehilfen und andere Personen, die für die Bedienung der Kranken bestimmt sind. Sie dürfen nicht gefangengenommen werden, sondern müssen auf die gleiche Art zurückgeschickt werden.«

Doktor Schanzler hatte dabei bereits zwei Queues zerbrochen und war noch immer nicht fertig mit seinen sonderbaren Erörterungen der Verwundetenfürsorge im Kriege, in die er unablässig etwas von irgendwelchen Generalpässen einflocht.

Oberleutnant Lukasch trank den schwarzen Kaffee aus und ging nach Hause, wo er den bärtigen Riesen Baloun antraf, der damit beschäftigt war, in einem Töpfchen auf dem Spirituskocher Oberleutnant Lukaschs Salami zu braten.

»Ich erlaube mir«, stotterte Baloun, »erlaube mir, melde gehorsamst . . .«

Lukasch blickte ihn an. In diesem Augenblick erschien ihm Baloun wie ein großes Kind, ein naives Geschöpf, und Oberleutnant Lukasch tat es plötzlich leid, daß er ihn seines großen Hungers halber hatte anbinden lassen.

»Koch dir nur, Baloun«, sagte er, den Säbel abknöpfend, »morgen laß ich dir noch eine Portion Brot zuschreiben.«

Oberleutnant Lukasch setzte sich an den Tisch und war so melancholisch gestimmt, daß er anfing, seiner Tante einen sentimentalen Brief zu schreiben:

»Liebe Tante!

Soeben habe ich den Befehl erhalten, mich mit meiner Marschkompanie zur Abfahrt an die Front bereit zu halten. Es kann sein, daß dieses Schreiben das letzte ist, das du von mir erhältst, denn es wird überall hart gekämpft und unsere Verluste sind groß. Deshalb fällt es mir schwer, diesen Brief mit den Worten zu schließen: ›Auf Wiedersehen!‹ Es wäre passender, Dir ein letztes Lebewohl zu schicken.«

Das Weitere werde ich erst früh zu Ende schreiben, dachte Oberleutnant Lukasch und ging zu Bett.

Als Baloun sah, daß der Oberleutnant fest eingeschlafen war, fing er abermals an, in der Wohnung zu wirtschaften und zu schnüffeln wie Schaben in der Nacht. Er öffnete den Koffer des Oberleutnants und biß eine Tafel Schokolade an, erschrak aber, als der Oberleutnant im Schlaf zusammenzuckte. Er legte schnell die angebissene Schokolade in den Koffer und verhielt sich still.

Dann schaute er leise nach, was der Oberleutnant geschrieben hatte.

Er las und war gerührt, insbesondere durch das »Letzte Lebewohl!«

Er legte sich auf seinen Strohsack bei der Tür und dachte an daheim und die Schlachtmesser.

Er konnte sich nicht von der Vorstellung befreien, daß er eine Preßwurst durchsteche, damit er die Luft aus ihr herausbekomme, weil sie sonst beim Kochen platzen könne.

Und bei der Erinnerung daran, wie beim Nachbarn einmal eine ganze Speckwurst geplatzt und zerkocht war, schlief er zufrieden ein.

Ihm träumte, daß er irgendeinen Schlemihl von einem Metzger eingeladen hatte und daß diesem beim Füllen der Leberwürste die Leberwurstdärme platzten. Dann wieder, daß der Metzger vergessen hatte, Blutwürste zu machen, daß das Wellfleisch verlorengegangen war und nicht genug Speile für die Leberwürste vorhanden waren. Dann träumte ihm etwas vom Feldgericht, denn man hatte ihn erwischt, als er aus der Feldküche ein Stück Fleisch gezogen hatte. Zum Schluß sah er sich selbst, wie er an einer Linde in der Allee des Militärlagers in Bruck an der Leitha hing.

Als Schwejk mit dem anbrechenden Morgen, der mit dem Geruch gekochter Kaffeekonserven aus allen Kompanieküchen in das Zimmer drang, erwachte, hängte er mechanisch, als hätte er gerade ein Telefongespräch beendet, den Hörer auf und unternahm in der Kanzlei einen kleinen Morgenspaziergang, wobei er sang.

Er fing sofort mitten im Text des Liedes an: ein Soldat verkleidet sich als Mädel und geht seiner Liebsten in die Mühle nach, wo ihn der Müller zu der Tochter legt, nachdem er vorher der Müllerin zugerufen hat:

Gebt, Gevatterin, zu essen,
das Mädchen hat noch nicht gegessen.

Die Müllerin füttert den nichtswürdigen Kerl. Und dann folgt die Familientragödie:

Müllers wachten auf um sieben,
auf der Türe stand geschrieben:
Eure Tochter, liebe Leute,
ist nicht Jungfrau mehr ab heute.

Schwejk legte in den Schluß des Liedes so viel Stimme, daß die Kanzlei sich neu belebte, denn Rechnungsfeldwebel Waněk erwachte und fragte, wie spät es sei.

»Grad vor einer Weile hat man geblasen.«

»Da steh ich erst nachm Kaffee auf«, entschloß sich Waněk, der immer zu allem genug Zeit hatte, »ohnedies wern sie uns heut wieder mit Eile sekkieren und unnütz herumhetzen, wie gestern mit den Konserven . . .« Waněk gähnte und fragte, ob er, wie er nach Hause gekommen war, noch lange geredet habe.

»Nur so bißl unverständliches Zeug«, sagte Schwejk, »immerfort ham Sie was aus sich herausgestoßen von Gestalten, daß eine Gestalt keine Gestalt is, und was keine Gestalt is, daß eine Gestalt is, und diese Gestalt, daß wieder keine Gestalt is. Aber es hat Sie bald übermannt, und Sie ham bald angefangen zu schnarchen, wie wenn eine Säge sägt.«

Schwejk verstummte, ging bis zur Tür und wieder zurück zum Kavallett des Rechnungsfeldwebels, vor dem er stehenblieb, und bemerkte:

»Was meine Person anlangt, Herr Rechnungsfeldwebel, wie ich das gehört hab, was Sie von diesen Gestalten gesagt ham, so hab ich mich an einen gewissen Zatka, einen Gasarbeiter, erinnert, was auf der Gasstation am Belvedere gearbeitet und Lampen angezündet hat und wieder ausgelöscht hat. Er war ein aufgeklärter Mann und is in allen möglichen Butiken am Belvedere herumgegangen, weil man zwischen dem Anzünden und Auslöschen der Lampen Langweil hat, und dann gegen früh hat er auf der Gasstation grad solche Gespräche geführt wie Sie, nur daß er wieder gesagt hat, der Würfel is eine Kante, deshalb is ein Würfel kantig. Ich habs auf eigene Augen gehört, wie mich ein besoffener Polizist wegen Verunreinigung der Straße irrtümlich statt auf der Polizeiwache auf der Gasstation vorgeführt hat.«

»Und dann«, sagte Schwejk leise, »hat das mit dem Zatka nach einiger Zeit sehr schlecht geendet. Er is in die Marienkongregation eingetreten, is mit den himmlischen Jungfrauen zu den Predigten vom Pater Jemelka zum heiligen Ignaz am Karlsplatz gegangen und hat mal, wie die Missionäre am Karlsplatz beim heiligen Ignaz waren, vergessen, die Gaslaternen in seinem Rayon auszulöschen, so daß dort auf der Straßen drei Tage und Nächte ununterbrochen Gas gebrannt hat.«

»Das ist sehr schlecht«, fuhr Schwejk fort, »wenn jemand auf einmal anfängt, sich ins Philosophieren einzulassen, draus stinkt immer ein delirium tremens. Vor Jahren ham sie zu uns von den Fünfundsiebzigern einen gewissen Major Blüher versetzt. Der hat sich uns immer einmal im Monat ins Karree stelln lassen und hat mit uns nachgedacht, was das is: militärische Obrigkeit. Der hat nichts anderes getrunken wie Sliwowitz.

›Jeder Offizier, Soldaten‹, hat er uns aufn Kasernhof erklärt, ›is von sich selbst das vollkommenste Geschöpf, was hundertmal soviel Verstand hat wie ihr alle zusamm, ihr könnt euch überhaupt nichts Vollkommeneres vorstelln, Soldaten, wie einen Offizier, nicht mal, wenn ihr euer ganzes Leben dran denken möchtet. Jeder Offizier is ein notwendiges Geschöpf, derweil ihr Soldaten nur bloß zufällige Geschöpfe seid. Ihr könnt existieren, aber ihr müßt nicht. Wenns zu einem Krieg kommen möcht, Soldaten, und ihr für Seine Majestät den Kaiser falln möchtet, gut, damit möcht sich nichts ändern, aber wenn zuerst euer Offizier falln möcht, dann erst möchtet ihr sehn, wie ihr von ihm abhängig wart und was für ein Verlust das is. Der Offizier muß existieren, und ihr habt eure Existenz eigentlich nur von den Herrn Offizieren geliehen: ihr hängt von ihnen ab, ihr könnt nicht ohne Offiziere bestehn, ihr könnt ohne eure militärische Obrigkeit nicht mal furzen. Für euch, Soldaten, is der Offizier ein moralisches Gesetz, ob ihrs versteht oder nicht, und weil jedes Gesetz seinen Gesetzgeber haben muß, Soldaten, so is es nur der Offizier, dem ihr euch in allem verpflichtet fühlt und verpflichtet fühlen müßt und dessen jede Anordnung ihr erfüllen müßt, wenns euch auch nicht gefalln sollt.‹

Dann einmal, wie er fertig war, is er ums Karree herumgegangen und hat einen nach dem andern gefragt:

›Was fühlst du, wenn du zu spät nach Haus kommst?‹

Sie ham so verwirrte Antworten gegeben, daß sie noch nie zu spät gekommen sind oder daß ihnen nach jedem Zuspätkommen schlecht vom Magen is, einem war, wie wenn er Kasernarrest hätt, usw. Die alle hat Major Blüher gleich zur Seite führen lassen, daß sie dann Nachmittag aufn Hof Klenkübungen machen wern zur Strafe, weil sie sich nicht ausdrücken können, was sie fühln. Bevor die Reihe an mich gekommen is, hab ich mich erinnert, worüber er zuletzt mit uns nachgedacht hat, und wie er zu mir gekommen is, hab ich ihm ganz ruhig gesagt:

›Melde gehorsamst, Herr Major, daß wenn ich zu spät komm, fühl ich immer irgendeine Unruhe, Angst und Gewissensbisse. Wenn ich aber, wenn ich Überzeit krieg, ordentlich zur Zeit in die Kaserne zurückkomm, dann befällt mich irgendeine glückselige Ruhe, kriecht eine Zufriedenheit in mich.‹

Alles herum hat gelacht, und Major Blüher hat mich angeschrien:

›Auf dich kriechen höchstens Wanzen, du Lümmel, wenn du am Kavallett schnarchst. Er macht sich noch eine Hetz, der Kerl, der elende.‹

Und ich hab dafür Spangen bekommen, daß es eine Freude war.«

»Beim Militär gehts nicht anders«, sagte der Rechnungsfeldwebel, während er sich faul auf seinem Bette rekelte, »das is schon so eingebürgert, du kannst antworten, was du willst, kannst machen, was du willst, immer müssen Wolken über dir hängen und die Donner fangen an zu rollen. Ohne das is keine Disziplin möglich.«

»Ganz gut gesagt«, meinte Schwejk. »Dran wer ich nie vergessen, wie sie den Rekruten Pech eingesperrt ham. Lajtnant bei der Kompanie war ein gewisser Moc, und der hat sich die Rekruten zusammengerufen und hat jeden gefragt, woher er is.

›Ihr grünen Rekruten, ihr verfluchten‹, sagt er zu ihnen, ›ihr müßt lernen, klar zu antworten, präzis und wie wenn man mit der Peitsche knallt. Also fangen wir an: Woher sind Sie, Pech?‹ Pech war ein intelligenter Mensch und hat geantwortet: ›Unterbautzen, 267 Häuser, 1936 tschechische Einwohner, Hauptmannschaft Jitschin, Bezirk Sobotka, ehemalige Herrschaft Kost, Pfarrkirche der heiligen Katharina aus dem 14. Jahrhundert, renoviert durch Graf Wenzel Wratislav Netolitzky, Schule, Post, Telegraf, Station der böhmischen Handelsbahn, Zuckerfabrik, Mühle mit Säge, Einzelhof Walch, sechs Jahrmärkte.‹ Und da is Lajtnant Moc schon auf ihn zugesprungen und hat angefangen, ihm eine nach der andern übers Maul zu haun, und hat geschrien: ›Da hast du einen Jahrmarkt, da hast du den zweiten, den dritten, den vierten, den fünften, den sechsten.‹ Und Pech, obzwar er Rekrut war, hat sich zum Bataillonsrapport gemeldet. In den Kanzleien war damals so eine lustige Packasch, so hat sie aufgeschrieben, daß er wegen den Jahrmärkten in Unterbautzen zum Bataillonsrapport geht. Bataillonskommandant war Major Rohell. ›Also was gibts?‹ hat er Pech gefragt, und der hat losgelegt: ›Melde gehorsamst, Herr Major, daß in Unterbautzen sechs Jahrmärkte sind.‹ Da hat ihn Major Rohell angebrüllt, mit den Füßen gestampft und ihn gleich in die Meschuggenabteilung vom Militärspital abführen lassen; seit der Zeit is aus Pech der ärgste Soldat worden, lauter Strafe.«

»Soldaten sind schwer zu erziehen«, sagte Rechnungsfeldwebel Waněk gähnend. »Ein Soldat, der beim Militär nicht bestraft worden is, is kein Soldat. Das hat vielleicht im Frieden gegolten, daß ein Soldat, was sich seinen Dienst ohne Strafe abgetan hat, dann im Zivildienst den Vorrang gehabt hat. Heutzutag sind grad die ärgsten Soldaten, was sonst im Frieden nicht ausn Arrest gekrochen sind, im Krieg die besten Soldaten. Ich erinner mich bei der 8. Marschka an den Infanteristen Sylvanusa. Der hat früher eine Strafe nach der andern gekriegt, und was für Strafen. Er hat sich nicht geniert, einem Kameraden den letzten Kreuzer zu stehln, und wie er ins Gefecht gekommen is, hat er als erster die Drahthindernisse durchschnitten, drei Kerle gefangengenommen und einen gleich am Weg erschossen, weil er ihm herich nicht getraut hat. Er hat die große silberne Medaille bekommen, man hat ihm zwei Sterndln angenäht, und wenn man ihn später nicht bei Dukla gehängt hätt, wär er schon längst Zugführer. Aber hängen ham sie ihn müssen, weil er sich nach einem Gefecht zur Rekognoszierung gemeldet hat und irgendeine andere Patrouille von einem andern Regiment ihn gefunden hat, wie er Leichen ausgeraubt hat. Man hat bei ihm etwa acht Uhren und viele Ringe gefunden. So ham sie ihn beim Brigadestab gehängt.«

»Draus sieht man«, bemerkte Schwejk weise, »daß jeder Soldat sich seine Stellung selbst erobern muß.«

Das Telefon klingelte. Der Rechnungsfeldwebel ging zum Telefon, und man konnte die Stimme Oberleutnant Lukaschs unterscheiden, der fragte, wies mit den Konserven stehe. Dann vernahm man irgendwelche Vorwürfe.

»Wirklich, es sind keine, Herr Oberlajtnant!« schrie Waněk ins Telefon, »wo wären sie denn, das is nur eine Phantasie von oben, von der Intendantur. Das war ganz unnütz, die Leute hinzuschicken. Ich hab Ihnen telefonieren wolln . . . Daß ich in der Kantine war? Wer, daß das gesagt hat? Dieser Okkultistenkoch aus der Offiziersmenage? Ich hab mir erlaubt, dort einzukehren. Wissen Sie, Herr Oberlajtnant, wie dieser Okkultist diese Panik mit diesen Konserven genannt hat? ›Schrecken des Ungeborenen.‹ Keineswegs, Herr Oberlajtnant, ich bin ganz nüchtern. Was der Schwejk macht? Er is hier. Soll ich ihn rufen?«

»Schwejk, zum Telefon«, sagte der Rechnungsfeldwebel und fügte leise hinzu, »und wenn er Sie fragen möcht, wie ich gekommen bin, so sagen Sie in Ordnung.«

Schwejk beim Telefon: »Schwejk, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant.«

»Hören Sie, Schwejk, wie ist das mit diesen Konserven? Stimmt das?«

»Es gibt keine, Herr Oberlajtnant, es gibt gar keine Spur von ihnen.«

»Ich möchte mir wünschen, Schwejk, daß Sie sich immer früh bei mir melden, solange ich im Lager bin. Bis wir fahren werden, werden Sie fortwährend bei mir sein. Was haben Sie in der Nacht gemacht?«

»Ich war die ganze Nacht beim Telefon.«

»Gabs was Neues?«

»Jawohl, Herr Oberlajtnant.«

»Schwejk, fangen Sie nicht wieder an zu blödeln. Hat jemand von irgendwo etwas Wichtiges gemeldet?«

»Jawohl, Herr Oberlajtnant, aber erst auf neun Uhr. Ich hab Sie nicht beunruhigen wolln, Herr Oberlajtnant, ich war weit davon entfernt.«

»Also, sakra, sagen Sie mir schon, was es für neun Uhr so Wichtiges gibt!«

»Ein Telefonogramm, Herr Oberlajtnant.«

»Ich versteh Sie nicht, Schwejk.«

»Ich habs aufgeschrieben, Herr Oberlajtnant: ›Nehmen Sie ein Telefonogramm auf. Wer ist beim Telefon? Hast du das? Lies, oder so was Ähnliches.‹«

»Kruzifix, Schwejk, mit Ihnen ist ein Kreuz. Sagen Sie mir den Inhalt, oder ich spring auf Sie los und hau Ihnen eins herunter. Also, was gibts?«

»Wieder irgendeine Besprechung, Herr Oberlajtnant, heut früh um neun Uhr beim Herrn Oberst. Ich hab Sie in der Nacht wecken wolln, aber dann hab ich mirs überlegt.«

»Das hätten Sie sich so unterstehn solln, mich wegen jeder Dummheit herauszutrommeln, wenn dazu bis früh Zeit is. Wieder eine Besprechung, der Teufel soll das alles buserieren! Hängen Sie den Hörer auf und rufen Sie mir den Waněk zum Telefon.«

Rechnungsfeldwebel Waněk beim Telefon: »Rechnungsfeldwebel Waněk, Herr Oberlajtnant.«

»Waněk, finden Sie mir augenblicklich einen andern Putzfleck. Dieser Halunke Baloun hat mir bis früh alle Schokolade aufgefressen. Ihn anbinden? Nein, wir geben ihn zur Sanität. Der Kerl is wie ein Berg, soll er also die Verwundeten aus dem Gefecht tragen. Ich schick ihn gleich zu Ihnen. Richten Sies in der Regimentskanzlei aus und kommen Sie gleich zur Kompanie zurück. Glauben Sie, daß wir bald fahren werden?«

»Es is keine Eile nicht, Herr Oberlajtnant. Wie wir mit der 9. Marschkompanie ham fahren solln, hat man uns volle vier Tage an der Nase herumgezogen. Mit der 8. wars genauso. Nur mit der 10. wars besser. Da waren wir Felddienstfleck. Mittag hamr den Befehl gekriegt, und abends sind wir gefahren, aber dafür ham sie uns in ganz Ungarn herumgehetzt und ham nicht gewußt, welches Loch auf welchem Schlachtfeld sie mit uns zustopfen solln.«

Seit Oberleutnant Lukasch Kommandant der 11. Marschkompanie geworden war, befand er sich in dem Zustand eines sogenannten Synkretismus, das heißt philosophisch gesprochen: Er war bemüht, begriffliche Konflikte mit Hilfe von Kompromissen bis zur Begriffsvermischung auszugleichen.

Deshalb antwortete er auch: »Ja, kann sein, das ist schon so. Sie glauben also nicht, daß man heut fahren wird? Um neun Uhr haben wir eine Besprechung mit dem Herrn Oberst. – Apropos, wissen Sie davon, daß Sie Dienstführender sind? Ich sags Ihnen nur so. Stelln Sie mir fest – warten Sie, was könnten Sie mir feststelln –? Ein Verzeichnis der Chargen mit der Angabe, seit wann sie dienen. Dann die Vorräte der Kompanie. Nationalität? Jaja, das auch – aber Hauptsache ist, daß Sie mir diesen neuen Putzfleck schicken. – Was Fähnrich Pleschner heute mit der Mannschaft machen soll? Vorbereitung zum Abmarsch. Rechnungen? Ich komm die Menage unterschreiben. Lassen Sie niemanden in die Stadt. In die Kantine im Lager? Nach der Menage auf eine Stunde. – Rufen Sie den Schwejk!« – – –

»Schwejk, Sie bleiben indessen beim Telefon.«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich hab noch nicht Kaffee getrunken.«

»Also holen Sie sich Kaffee und bleiben Sie dort in der Kanzlei beim Telefon, solang ich Sie nicht rufe. Wissen Sie, was eine Ordonnanz ist?«

»Es lauft herum, Herr Oberlajtnant.«

»Daß Sie also zur Stelle sind, wenn ich Sie rufe. Sagen Sie dem Waněk noch einmal, er soll für mich einen Putzfleck aussuchen. Schwejk, haloo, wo sind Sie?«

»Hier, Herr Oberlajtnant, grad ham sie uns den Kaffee gebracht.«

»Schwejk, haloo!«

»Ich hör, Herr Oberlajtnant, der Kaffee is ganz kalt.«

»Sie wissen schon gut, wie ein Putzfleck sein soll, Schwejk. Schaun Sie sich den Mann an, und teiln Sie mir dann mit, was er für ein Mensch ist. Hängen Sie den Hörer auf.«

Waněk, der den schwarzen Kaffee schlürfte, in den er (der Vorsicht halber) Rum aus einer Flasche mit der Aufschrift »Tinte« zugoß, blickte Schwejk an und sagte: »Unser Oberlajtnant schreit aber ins Telefon; ich hab jedes Wort verstanden. Sie müssen sehr gut bekannt sein mitn Herrn Oberlajtnant, Schwejk.«

»Wir sind eine Hand«, antwortete Schwejk. »Eine Hand wäscht die andere. Wir ham schon viel zusamm mitgemacht. Paarmal hat man uns schon auseinanderreißen wolln, aber wir ham uns wieder gefunden. Er hat sich immer mit allem auf mich verlassen, daß ich mich manchmal selbst wunder. Sie ham jetzt sicher auch gehört, daß ich Sie noch mal erinnern soll, daß Sie ihm einen neuen Putzfleck finden solln und daß ich ihn besichtigen muß und ein Gutachten von ihm abgeben soll. Nämlich der Herr Oberlajtnant is nicht mit jedem Putzfleck zufrieden.«

Als Oberst Schröder alle Offiziere des Marschbataillons zu einer Konferenz berief, tat er dies abermals sehr gern, um sich aussprechen zu können. Außerdem war es nötig, eine Entscheidung in der Affäre des Einjährigfreiwilligen Marek zu treffen, der nicht die Aborte reinigen wollte und wegen Meuterei von Oberst Schröder zum Divisionsgericht geschickt worden war.

Vom Divisionsgericht war er gerade gestern in der Nacht auf die »Hauptwache« gebracht worden, wo er festgehalten wurde. Gleichzeitig mit ihm war in die Regimentskanzlei eine maßlos verworrene Zuschrift des Divisionsgerichtes eingeliefert worden, in der man darauf hinwies, daß es sich in diesem Falle nicht um Meuterei handle, weil Einjährigfreiwillige nicht Aborte reinigen sollen, daß es sich aber nichtsdestoweniger um eine »Subordinationsverletzung« handle, welches Delikt auf Grund eines tapferen Verhaltens im Felde nachgesehen werden könne. Aus diesen Gründen werde der angeklagte Einjährigfreiwillige Marek zu seinem Regiment zurückgeschickt. Die Untersuchung wegen Verletzung der militärischen Zucht sollte bis zum Abschluß des Krieges eingestellt oder bei der nächsten Übertretung, der sich der Einjährigfreiwillige Marek schuldig machen werde, neu aufgenommen werden.

Es handelte sich auch noch um einen zweiten Fall. Gleichzeitig mit dem Einjährigfreiwilligen Marek war der Hauptwache vom Divisionsgericht der falsche Zugführer Teweles eingeliefert worden, der vor kurzem beim Regiment aufgetaucht war, wohin man ihn aus dem Krankenhaus in Agram geschickt hatte. Er hatte die große silberne Medaille, die Abzeichen eines Einjährigfreiwilligen und drei Sternchen. Er erzählte von Heldentaten der 6. Marschkompanie in Serbien, von der er angeblich ganz allein übriggeblieben sei. Durch die Untersuchung wurde festgestellt, daß in der Tat zu Beginn des Krieges mit der 6. Marschkompanie irgendein Teweles abgegangen war, der jedoch nicht das Einjährigfreiwilligenrecht besessen hatte. Man forderte einen Bericht von der Brigade, zu der die 6. Marschkompanie kommandiert worden war, als man am 2. Dezember 1914 aus Belgrad flüchtete, und stellte fest, daß sich im Verzeichnis der für die silberne Medaille Vorgeschlagenen oder Ausgezeichneten kein Teweles befand. Ob aber der Infanterist Teweles in der Belgrader Kriegskompanie zum Zugführer befördert worden war, ließ sich auf keine Weise sicherstellen, weil die ganze 6. Marschkompanie bei der Kirche des heiligen Sava in Belgrad samt ihren Offizieren in Verlust geraten war. Beim Divisionsgericht verteidigte sich Teweles, indem er behauptete, daß ihm die große silberne Medaille tatsächlich versprochen worden war und er sich sie deshalb im Spital von einem Bosniaken gekauft habe. Was die Einjährigfreiwilligenstreifen betreffe, so habe er sich sie in der Trunkenheit angenäht und fahre deshalb fort, sie zu tragen, weil er fortwährend betrunken sei, da er einen durch Dysenterie geschwächten Organismus habe.

Als die Besprechung begann, teilte Oberst Schröder vor Erörterung dieser beiden Fälle mit, daß es nötig sei, vor der Abfahrt, die nicht lange auf sich warten lassen werde, häufiger zusammenzukommen. Von der Brigade sei ihm mitgeteilt worden, daß man Befehle von der Division erwarte. Die Mannschaft möge bereit sein, und die Kompaniekommandanten sollten wachsam dafür Sorge tragen, daß niemand fehle.

Er wiederholte dann nochmals alles, was er gestern vorgebracht hatte. Gab abermals eine Übersicht der Kriegsbegebenheiten und fügte hinzu, daß nichts den kampflustigen Charakter und den kriegerischen Unternehmungsgeist in der Armee hemmen dürfe.

Auf dem Tisch vor ihm befand sich eine Karte des Kriegsschauplatzes mit Fähnchen auf Stecknadeln, allein die Fähnchen waren überworfen und die Fronten verschoben. Herausgezogene Stecknadeln mit Fähnchen wälzten sich unter dem Tisch.

Der ganze Kriegsschauplatz war in der Nacht fürchterlich zugerichtet worden; ein Kater, den sich die Schreiber in der Regimentskanzlei hielten, hatte, als er sich in der Nacht auf dem österreichisch-ungarischen Kampfplatz ausmachte und den Dreck vergraben wollte, die Fähnchen herausgezogen, den Dreck auf allen Positionen verschmiert, auf die Fronten und Brückenköpfe gespritzt und alle Armeekorps verunreinigt.

Oberst Schröder war sehr kurzsichtig.

Die Offiziere des Marschbataillons schauten mit Interesse zu, wie der Finger des Obersten Schröder sich diesem Häufchen näherte.

»Von hier, meine Herren, nach Sokal am Bug«, sagte Oberst Schröder prophetisch und schob den Zeigefinger nach dem Gedächtnis auf die Karpaten zu, wobei er ihn in eines von den Häufchen bohrte, die der Kater in seinem Vorsatz, die Karte des Kriegsschauplatzes plastisch zu gestalten, hinterlassen hatte.

»Das scheint Katzendreck zu sein, Herr Oberst«, sagte für alle sehr höflich Hauptmann Sagner.

Oberst Schröder stürzte in die anstoßende Kanzlei, woher man fürchterliche Flüche und Verwünschungen nebst der entsetzlichen Drohung vernehmen konnte, daß er ihnen den ganzen Katzendreck anzulecken geben werde.

Das Verhör war kurz. Es wurde sichergestellt, daß der jüngste Schreiber Zwiebelfisch den Kater vor vierzehn Tagen in die Kanzlei gebracht hatte. Nach dieser Feststellung packte Zwiebelfisch seine sieben Zwetschken, und ein älterer Schreiber führte ihn auf die Hauptwache, wo er bis auf einen weiteren Befehl des Herrn Oberst sitzen sollte.

Damit war eigentlich die ganze Konferenz beendet. Als Oberst Schröder mit purpurrotem Gesicht zu dem Offizierskorps zurückkehrte, vergaß er, daß er noch über das Schicksal des Einjährigfreiwilligen Marek und des Lügen-Zugführers Teweles hatte sprechen wollen.

Er sagte ganz kurz: »Ich bitte die Herren Offiziere bereit zu sein und die weiteren Befehle und Instruktionen abzuwarten.«

Und so blieben der Einjährigfreiwillige und Teweles weiterhin auf der Hauptwache, und als später Zwiebelfisch hinzukam, konnten sie Mariage spielen und nach Beendigung der Partie ihren Wärter mit dem Verlangen belästigen, die Flöhe auf dem Strohsack zu fangen.

Dann steckte man noch den Gefreiten Peroutka von der 13. Marschkompanie zu ihnen, der, als sich am Tage vorher im Lager das Gerücht verbreitet hatte, daß man an die Front fahre, verschwunden und am Morgen von der Patrouille bei der »Weißen Rose« in Bruck gefunden worden war. Er redete sich aus, er habe vor der Abfahrt das bekannte Glashaus des Grafen Harrach bei Bruck besichtigen wollen und sei auf dem Rückweg fehlgegangen und erst am Morgen todmüde bei der »Weißen Rose« angelangt. (Inzwischen hatte er mit dem Dornröschen aus der »Weißen Rose« geschlafen.)

 

Die Situation blieb fortwährend ungeklärt. Wird gefahren werden oder nicht? Schwejk hörte beim Telefon in der Kanzlei der 11. Marschkompanie die verschiedensten pessimistischen und optimistischen Ansichten darüber. Die 12. Marschkompanie telefonierte, jemand in der Kanzlei habe gehört, daß man auf Schießübungen mit beweglichen Figuren warten und erst nach den feldmäßigen Schießübungen fahren werde. Dieser optimistischen Meinung war nicht die 13. Marschkompanie, die telefonierte, daß soeben Korporal Hawlík aus der Stadt zurückgekehrt sei und von einem Eisenbahnbediensteten gehört habe, daß die Waggons bereits auf der Station bereitstehen.

Waněk riß Schwejk den Hörer aus der Hand und schrie aufgeregt, daß die Eisenbahner einen alten Dreck wissen, gerade jetzt sei er in der Regimentskanzlei gewesen.

Schwejk harrte mit wahrer Liebe beim Telefon aus und erwiderte auf alle Fragen, was es Neues gebe, daß man noch nichts Bestimmtes wisse.

Auf solche Weise beantwortete er auch die Frage Oberleutnant Lukaschs:

»Was gibts bei uns Neues?«

»Man weiß noch nichts Bestimmtes, Herr Oberlajtnant«, entgegnete Schwejk stereotyp.

»Sie Ochs, hängen Sie den Hörer auf.«

Dann kam eine Reihe Telefonogramme, die Schwejk nach längerem Mißverständnis entgegennahm. Vor allem dasjenige, das ihm in der Nacht nicht diktiert werden konnte, weil er den Hörer nicht aufgehängt hatte und schlief, und das die Geimpften und Nichtgeimpften betraf.

Dann wieder ein verspätetes Telefonogramm betreffs der Konserven, das bereits gestern aufgeklärt worden war.

Und dann kam ein Telefonogramm an alle Bataillone, Kompanien und Regimentsteile.

»Kopie des Telefonogrammes Brigade Nr. 75 692, Brigadebefehl Nr. 172. – Bei Ausweisen über den Verbrauch bei den Feldküchen ist nachfolgende Ordnung bei der Aufzählung von verbrauchten Produkten einzuhalten: 1. Fleisch, 2. Konserven, 3. frisches Gemüse, 4. getrocknetes Gemüse, 5. Reis, 6. Makkaroni, 7. Graupen und Grieß, 8. Kartoffeln, statt des früheren: 4. getrocknetes Gemüse, 5. frisches Gemüse.«

Als Schwejk dies dem Rechnungsfeldwebel vorgelesen hatte, verkündete Waněk feierlich, daß man solche Telefonogramme in die Latrine werfe.

»Das hat sich irgendein Idiot beim Armeestab ausgedacht und schon schickt mans an alle Divisionen und Brigaden und Regimenter.«

Dann nahm Schwejk noch ein Telefonogramm in Empfang, das so rasch diktiert wurde, daß Schwejk davon auf dem Block nur etwas einfangen konnte, das wie eine Chiffre aussah:

»In der Folge genauer erlaubt gewesen oder das selbst einem hingegen immerhin eingeholt werden.«

»Das sind lauter überflüssige Sachen«, sagte Waněk, als sich Schwejk ungeheuer über das, was er aufgeschrieben hatte, wunderte und es dreimal hintereinander laut las, »lauter Dummheiten, obzwar der Teufel weiß, es kann auch chiffriert sein, aber drauf sind wir bei uns bei der Kompanie nicht eingerichtet. Man kanns auch wegwerfen.«

»Ich denk auch«, sagte Schwejk, »wenn ich dem Herrn Oberlajtnant melden möcht, daß es in der Folge genauer erlaubt gewesen oder das selbst einem hingegen immerhin eingeholt werden, möcht er sich noch beleidigen.«

»Mancher is Ihnen heiklig, daß es geradezu schrecklich is«, fuhr Schwejk, abermals in Erinnerungen versunken, fort. »Einmal bin ich von Wysotschan mit der Elektrischen nach Prag gefahren, und in Lieben hat sich ein gewisser Herr Novotný zu uns gesetzt. Gleich wie ich ihn erkannt hab, bin ich zu ihm auf die Plattform gegangen und hab mit ihm zu sprechen angefangen, daß wir beide aus Drosau sind. Er hat mich aber angeschrien, ich soll ihn nicht belästigen, daß er mich herich nicht kennt. Ich hab angefangen, es ihm zu erklären, er soll sich nur erinnern, daß ich als kleiner Junge mit der Mutter, was Antonie geheißen hat, oft zu ihm gegangen bin, daß der Vater Prokop geheißen hat und Meier war. Nicht mal dann hat er was davon wissen wolln, daß wir uns kennen. So hab ich ihm noch nähere Einzelheiten gesagt, daß in Drosau zwei Novotnýs waren, der Tonda und der Josef. Er, daß der Josef is, daß sie mir von ihm aus Drosau geschrieben ham, daß er seine Frau erschossen hat, weil sie ihn wegen dem Saufen gezankt hat. Und da hat er Ihnen einen Anlauf genommen, ich bin beiseite gesprungen, und er hat die Tafel auf der vordem Plattform zerhaut, die große vorm Lenker.

So hat man uns herausgesetzt, abgeführt und am Kommissariat hat sichs gezeigt, daß er drum so heiklig war, weil er überhaupt nicht Josef Novotný geheißen hat, sondern Eduard Doubrava und aus Montgomery aus Amerika war und hier auf Besuch bei Verwandten war, von denen seine Familie abgestammt is.«

Das Telefon unterbrach seine Erzählung, und eine heisere Stimme aus der Maschinengewehrabteilung fragte abermals, ob man fahren werde. Es finde angeblich am Morgen eine Besprechung beim Herrn Oberst statt.

In der Tür zeigte sich der sehr blasse Kadett Biegler, der größte Trottel bei der Kompanie, denn er hatte sich in der Einjährigfreiwilligenschule bemüht, durch seine Kenntnisse hervorzuragen. Er winkte Waněk, er möge ihm auf den Gang folgen, wo er eine lange Auseinandersetzung mit ihm hatte.

Als Waněk zurückkehrte, lächelte er verächtlich:

»Is das ein Ochs«, sagte er zu Schwejk, »hier bei unserer Marschka hamr aber Exemplare. Er war auch bei der Besprechung, und wie sie auseinandergegangen sind, so hat der Herr Oberlajtnant angeordnet, daß alle Zugkommandanten eine Gewehrvisitation machen und dabei streng sein solln. Und jetzt kommt er mich fragen, ob er den Zlabek anbinden lassen soll, weil er sich das Gewehr mit Petroleum ausgeputzt hat.«

Waněk regte sich auf.

»So eine Blödheit fragte er mich, wo er weiß, daß man ins Feld geht. Na, der Herr Oberlajtnant hat sichs gestern ganz gut überlegt mit dem Anbinden von seinem Putzfleck. Ich hab diesem Grünschnabel aber auch gesagt, er soll sichs gut überlegen, aus der Mannschaft Tiere zu machen.«

»Wenn Sie schon von dem Putzfleck reden«, sagte Schwejk, »wissen Sie vielleicht nicht, ob man schon irgendeinen für den Herrn Oberlajtnant aufgetrieben hat?«

»Ham Sie doch bißl Grütze«, antwortete Waněk, »auf alles is genug Zeit, übrigens denk ich, daß sich der Herr Oberlajtnant an Baloun gewöhnen wird, hie und da wird er ihm noch was auffressen und dann wird er sichs auch abgewöhnen, bis wir im Feld sein wern. Dort wern sie oft beide nichts zu fressen haben. Wenn ich sag, daß Baloun bleibt, so läßt sich nichts machen. Das is meine Sorge, und der Herr Oberlajtnant hat nichts dreinzureden. Nur keine Eile nicht.«

Waněk legte sich wieder auf sein Bett und sagte: »Schwejk, erzähln Sie mir eine Anekdote ausn Soldatenleben.«

»Das möchte gehen«, antwortete Schwejk, »aber ich hab Angst, daß wieder jemand auf uns läuten wird.«

»Also schalten Sie aus, Schwejk, schrauben Sie die Leitung ab oder nehmen Sie den Hörer herunter.«

»Gut«, sagte Schwejk, den Hörer abnehmend, »ich wer Ihnen was erzählen, was in diese Situation paßt, nur daß damals statt dem wirklichen Krieg nur Manöver waren und auch so eine Panik war wie heut, weil man nicht gewußt hat, wann wir aus der Kaserne ausrücken. Mit mir hat ein gewisser Schic vom Porschitsch gedient, ein braver Mann, aber fromm und furchtsam. Der hat sich vorgestellt, daß die Manöver was Schreckliches sind, daß die Menschen auf ihnen vor Durst umfalln und daß die Sanitäter das aufklauben wie Fallobst. Drum hat er in Vorrat getrunken, und wie wir zu den Manövern aus den Kasernen ausgerückt sind und nach Mnischka gekommen sind, so hat er gesagt: ›Ich halts nicht aus, Jungens, mich kann nur Gott allein retten.‹ Dann sind wir zu Horschowitz gekommen und dort hamr zwei Tage Rast gehabt, weils irgendein Irrtum war und wir so schnell vorgerückt sind, daß wir mit den übrigen Regimentern, was mit uns an den Flügeln gegangen sind, den ganzen feindlichen Stab gefangengenommen hätten, was ein Schkandal gewesen wär, weils unser Armeekorps hat bescheißen und der Feind gewinnen solln, weil bei den Feinden so ein abgelebtes Erzherzogerl war. Da hat der Schic folgendes angestellt. Wie wir gelagert sind, hat er sich zusammengepackt und is sich was in irgendein Dorf hinter Horschowitz kaufen gegangen und is Mittag ins Lager zurückgekommen. Heiß wars, beschwipst war er auch grad akkurat, da hat er aufn Weg eine Säule gesehn, und auf der Säule war ein Kästchen und drin eine ganz kleine Statue vom heiligen Johann von Nepomuk. Er hat vom heiligen Johann gebetet und sagt zu ihm: ›Heiß is dir, was, wenn du wenigstens bißl was zu trinken hättest. Bist hier auf der Sonne, sicher schwitzt du fort.‹ So hat er die Feldflasche geschüttelt, hat getrunken und sagt: ›Ich hab dir auch einen Schluck gelassen, heiliger Johann von Nepomuk.‹ Aber er hat sich erschreckt, hat alles ausgesoffen und aufn Heiligen is nix geblieben. ›Jesusmariandjosef‹, sagt er, ›heiliger Johann von Nepomucky, das mußt du mir verzeihn, ich wer dirs einbringen, ich nimm dich mit ins Lager und geb dir so viel zu trinken, daß du nicht aufn Füßn stehn wirst.‹ Und der liebe Schic hat aus Mitleid mitn heiligen Johann von Nepomuk das Glas zerdroschen, die Statue des Heiligen herausgezogen und hat sich sie unter die Bluse gesteckt und ins Lager getragen. Dann hat der heilige Nepomucky mit ihm am Stroh geschlafen, er hat ihn auf den Märschen im Tornister mitgetragen und hat großes Glück in den Karten gehabt. Wo wir gelagert ham, dort hat er gewonnen, bis wir in die Gegend von Prachatitz gekommen sind; da sind wir in Drahenitz gelegen, und er hat alles sackumpack verspielt. Wie wir früh ausgerückt sind, so is aufn Birnbaum beim Weg der heilige Johann Nepomucky aufgehängt gehangen. So, das ist die Anekdote, und jetzt häng ich wieder den Hörer auf.«

Und das Telefon vermittelte wiederum die Erschütterungen eines neuen nervösen Lebens, denn die alte Harmonie im Lager war gestört.

Zu dieser Zeit studierte Oberleutnant Lukasch in seiner Kemenate die soeben vom Regimentsstab an ihn gelangten Chiffren samt der Belehrung, wie sie zu lösen seien, und gleichzeitig den chiffrierten Geheimbefehl über die Richtung, in der das Marschbataillon sich an die galizische Grenze (erste Etappe) begeben sollte:

7217 - 1238 - 475 - 2121 - 35 = Wieselburg
8922 - 375 - 7282 = Raab
4432 - 1238 - 7217 - 35 - 8922 - 35 = Komorn
7282 - 9299 - 310 - 375 - 7881 - 298 - 475 - 7979 = Budapest.

Während er diese Chiffren löste, seufzte Oberleutnant Lukasch: »Der Teufel soll das buserieren.«


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