Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Schwejks Erlebnisse in Királyhida

Das Einundneunziger-Regiment übersiedelte nach Bruck an der Leitha, nach Királyhida.

Gerade drei Stunden bevor Schwejk nach dreitägigem Arrest in Freiheit gesetzt werden sollte, wurde er mit dem Einjährigfreiwilligen auf die Hauptwache geführt und mit einer Eskorte Soldaten auf den Bahnhof gebracht.

»Man hat schon längst gewußt«, sagte ihm unterwegs der Einjährigfreiwillige, »daß man uns nach Ungarn versetzen wird. Dort werden Marschbataillone zusammengestellt, die Soldaten werden im Feldschießen ausgebildet, raufen sich mit den Magyaren, und es geht vergnügt in die Karpaten. Hier nach Budweis kommt eine magyarische Garnison, und die Rassen werden sich vermischen. Es gibt eine Theorie, daß die Vergewaltigung von Mädchen einer fremden Nation das beste Mittel gegen Degeneration ist. Das haben die Schweden und Spanier im Dreißigjährigen Krieg und die Franzosen unter Napoleon gemacht, und jetzt werden es in der Budweiser Gegend die Magyaren machen, und es wird nicht mit groben Vergewaltigungen verbunden sein. Mit der Zeit gibt sich alles. Es wird ein bloßer Austausch werden. Der tschechische Soldat wird mit einem magyarischen Mädchen schlafen und das bedauernswerte tschechische Mädchen einen magyarischen Honvéd bei sich empfangen, und nach Jahrhunderten wird es für die Anthropologen eine interessante Überraschung sein, an den Ufern der Maltsch Menschen mit hervorstehenden Backenknochen zu finden.«

»Mit dieser gegenseitigen Paarung«, bemerkte Schwejk, »is es überhaupt eine interessante Sache. In Prag is ein Kellner, der Neger Kristian, sein Vater war ein abyssinischer König und is in Prag auf der Hetzinsel in einem Zirkus aufgetreten. In den hat sich eine Lehrerin verliebt, die in der ›Lada‹Tschechische Jugendzeitschrift. Gedichte von Hirten und Bächlein im Wald geschrieben hat, die is mit ihm ins Hotel gegangen und hat mit ihm Unzucht getrieben, wies in der Heiligen Schrift heißt, und hat sich sehr gewundert, daß ihr ein ganz weißes Knäblein geboren worden is. Ja, aber in vierzehn Tagen hat das Knäblein angefangen, braun zu wern. Brauner und brauner is es geworn, und in einem Monat hat es angefangen, schwarz zu wern. Mit einem halben Jahr is es schwarz wie sein Vater, der abyssinische König. Sie is mit ihm auf die Klinik für Hautkrankheiten gegangen, damit man ihr ihn irgendwie entfärbt, aber dort hat man ihr gesagt, daß es eine wirkliche schwarze Negerhaut is und daß sich nichts machen läßt. Sie is davon verrückt geworn, hat angefangen, in Zeitschriften um Rat zu fragen, was man gegen Neger machen soll, und man hat sie in die KateřinkyIrrenanstalt in Prag. geschafft, und den kleinen Neger hat man ins Waisenhaus gegeben, wo man mit ihm einen großen Jux gehabt hat. Dann is er ausgelernter Kellner worn und is in Nachtcafés tanzen gegangen. Heut wern nach ihm mit großem Erfolg tschechische Mulatten geboren, was nicht mehr so gefärbt sind wie er. Ein Mediziner, der zum ›Kelch‹ gegangen is, hat uns mal erklärt, daß das nicht so einfach is. Nämlich so ein Mischling bringt wieder Mischlinge zur Welt, und die sind schon nicht von weißen Menschen zu unterscheiden. Aber plötzlich in einem Geschlecht zeigt sich herich ein Neger. Stelln Sie sich das Malör vor. Sie heiraten ein Fräulein. Das Luder is ganz weiß, und plötzlich bringt sie Ihnen einen Neger zur Welt. Und wenn sie sich vor neun Monaten ohne Sie im Varieté athletische Wettkämpfe angeschaut hat, wo ein Neger aufgetreten is, so wirds Ihnen, denk ich, doch bisserl im Kopf herumgehn.«

»Der Fall Ihres Negers Kristian«, sagte der Einjährigfreiwillige, »muß auch vom Standpunkt des Krieges aus erwogen werden. Nehmen wir an, man hat diesen Neger assentiert. Er ist Prager, also gehört er zum 28. Regiment. Sie haben doch gehört, daß die Achtundzwanziger zu den Russen übergegangen sind. Die Russen würden sich wohl nicht wenig wundern, wenn sie auch den Neger Kristian gefangengenommen hätten. Die russischen Zeitungen würden sicher schreiben, daß Österreich seine Kolonialtruppen, die es nicht besitzt, in den Krieg jagt und schon zu den Reserven gegriffen hat.«

»Es heißt«, warf Schwejk dazwischen, »daß Österreich doch Kolonien hat. Nämlich irgendwo im Norden. Ein Kaiser-Franz-Josef-Land . . .«

»Schenkt euch das, Jungens«, sagte ein Soldat aus der Eskorte, »es is sehr unvorsichtig, heutzutage von einem Kaiser-Franz-Josef-Land zu sprechen. Nennt niemanden, und ihr tut besser dran . . .«

»Also schauts euch auf der Karte an«, fiel ihm der Einjährigfreiwillige ins Wort, »daß es wirklich ein Land unseres allergnädigsten Monarchen Kaiser Franz Josef gibt. Nach der Statistik ist dort lauter Eis und wird von dort auf Eisbrechern ausgeführt, die den Prager Eiswerken gehören. Diese Eisindustrie wird auch von den Ausländern sehr geschätzt und gewürdigt, weil es ein einträgliches, aber gefährliches Unternehmen ist. Die größte Gefahr ergibt sich beim Transport des Eises aus dem Franz-Josef-Land über den Polarkreis. Könnt ihr euch das vorstellen?«

Der Soldat aus der Eskorte brummte etwas Undeutliches, und der Korporal, der die Eskorte begleitete, kam näher heran und hörte den weiteren Auseinandersetzungen des Einjährigfreiwilligen zu, der ernsthaft fortfuhr: »Diese einzige österreichische Kolonie kann ganz Europa mit Eis versorgen und ist ein hervorragender volkswirtschaftlicher Faktor. Die Kolonisation schreitet allerdings langsam vor, weil die Kolonisten sich zum Teil nicht melden, zum Teil erfrieren. Nichtsdestoweniger besteht infolge der Regelung der klimatischen Verhältnisse, an der das Handels- und Außenministerium großes Interesse hat, die Hoffnung, daß man die großen Flächen der Eisberge gründlich ausnützen wird. Durch die Erbauung einiger Hotels wird man eine Unmenge von Touristen anlocken. Es wird allerdings nötig sein, die Touristenwege und Straßen zwischen den Eisschollen vorteilhaft anzulegen und auf die Eisberge Orientierungszeichen zu malen. Die einzige Schwierigkeit bilden die Eskimos, die unseren Lokalbehörden die Arbeit unmöglich machen . . .«

»Die Kerle wollen nicht Deutsch lernen«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, während der Korporal mit Interesse lauschte. Er war aktiver Soldat, in Zivil war er Knecht gewesen, ein Dummkopf und Rohling, der nach allem schnappte, wovon er nichts verstand, und dessen Ideal es war, »Längerdienender« zu werden.

»Das Unterrichtsministerium, Herr Korporal, hat für sie mit großen Kosten und Opfern, wobei fünf Baumeister erfroren sind . . .«

»Die Maurer ham sich gerettet«, unterbrach ihn Schwejk, »weil sie sich an der brennenden Pfeife erwärmt ham.«

»Nicht alle«, sagte der Einjährigfreiwillige, »zweien ist ein Malör passiert, sie haben vergessen zu ziehn, und die Pfeifen sind ihnen ausgegangen. Man hat sie im Eis begraben müssen. – Aber zum Schluß wurde doch eine Schule aus Eisziegeln und Eisenbeton erbaut, was sehr gut hält, aber die Eskimos haben ringsherum aus den Holzbestandteilen von Handelsschiffen, die im Eis eingefroren waren, Feuer gemacht und erreicht, was sie wollten. Das Eis, auf dem die Schule erbaut war, ist aufgetaut, und die ganze Schule samt dem leitenden Lehrer und dem Vertreter der Regierung, der am nächsten Tag bei der feierlichen Einweihung der Schule anwesend sein sollte, ist ins Meer gestürzt. Man hörte nur noch, wie der Regierungsvertreter, als er schon bis zum Hals im Wasser stand, aufschrie: ›Gott strafe England!‹ Jetzt wird man wahrscheinlich Militär hinschicken, um bei den Eskimos Ordnung zu schaffen. Es versteht sich von selbst, daß es schwer sein wird, mit ihnen Krieg zu führen. Am meisten werden unserem Militär die zahmen Eisbären schaden.«

»Das tät noch fehlen«, bemerkte der Korporal leise, »es gibt ohnedies schon verschiedene Kriegserfindungen. Zum Beispiel die Gasmasken zum Vergiften mit Gas. Du ziehst dirs übern Kopf und bist vergiftet, wie mans uns in der Unteroffiziersschule erklärt hat.«

»Man macht euch nur Angst«, ließ sich Schwejk vernehmen, »kein Soldat soll sich nie vor nichts fürchten. Sogar wenn er im Kampf in eine Latrine fällt, so soll er sich nur ablecken und wieder ins Gefecht gehn, und an Giftgase is jeder aus der Kaserne gewöhnt, wenns frisches Kommißbrot und Erbsen mit Graupen gibt. Aber jetzt ham herich die Russen was gegen die Chargen erfunden . . .«

»Das wern wahrscheinlich besondere elektrische Ströme sein«, ergänzte der Einjährigfreiwillige, »sie werden mit den Sternchen am Kragen verbunden, und die explodieren, weil sie aus Zelluloid sind. Das wird wieder eine neue Katastrophe sein.«

Obwohl der Korporal in Zivil mit Ochsen zu tun hatte, begriff er vielleicht zu guter Letzt dennoch, daß man ihn zum besten hielt, und begab sich an die Spitze der Patrouille.

Man näherte sich bereits dem Bahnhof, wo die Budweiser von ihrem Regiment Abschied nahmen. Der Abschied hatte keinen offiziellen Charakter, aber der Platz vor dem Bahnhof war voll von Menschen, die das Militär erwarteten.

Schwejks Interesse konzentrierte sich auf das spalierstehende Publikum, und wie dies immer zu sein pflegt, so geschah es auch jetzt, daß die braven Soldaten rückwärts schritten und die unterm Bajonett voran. Die braven Soldaten sollten später in Viehwagen gezwängt werden, während Schwejk und der Einjährigfreiwillige in einem separaten Arrestantenwagen fahren sollten, den man den Militärzügen immer gleich hinter dem Stabswaggon beigab. In so einem Arrestantenwagen gibts Platz im Überfluß.

Schwejk konnte sich nicht enthalten, dem Spalier »Nazdar!« zuzurufen und die Mütze zu schwenken. Das wirkte so suggestiv, daß die Menge es laut wiederholte; das »Nazdar« flog von Mund zu Mund und erdröhnte vor dem Bahnhof, wo man bereits zu sagen begann: »Sie kommen schon.«

Der Korporal der Eskorte war ganz unglücklich und brüllte Schwejk zu, er möge das Maul halten. Aber der Ruf verbreitete sich wie eine Lawine. Die Gendarmen drängten das Spalier zurück und bahnten der Eskorte einen Weg, die Massen fuhren fort, »Nazdar!« zu brüllen und winkten mit Mützen und Hüten.

Es war eine richtige Manifestation. Aus den Fenstern des dem Bahnhof gegenüberliegenden Hotels winkten Damen mit Taschentüchern und schrien: »Heil!« In das »Nazdar« mengten sich Heilrufe aus der Menge, und einem Begeisterten, der die Gelegenheit benützte, um auszurufen: »Nieder mit den Serben!«, stellte man ein Bein und trat in einem künstlichen Gedränge ein bißchen auf ihm herum.

Und wie ein elektrischer Funke sprang es überall empor: »Sie kommen schon!«

Und sie kamen, wobei Schwejk unter den Bajonetten den Massen freundlich zuwinkte und der Einjährigfreiwillige ernsthaft salutierte.

So betraten sie den Bahnhof und näherten sich dem bereitstehenden Zug; die Scharfschützenkapelle, deren Kapellmeister durch die unerwartete Manifestation ernstlich verwirrt war, hätte beinahe angefangen, »Gott erhalte, Gott beschütze« zu spielen. Zum Glück tauchte im letzten Augenblick der Oberfeldkurat Pater Lacina von der 7. Reiterdivision in schwarzem hartem Hut auf und schaffte Ordnung.

Seine Geschichte war recht einfach. Er – ein Nimmersatt und der Schrecken aller Offiziersmenagen – war am Tage vorher in Budweis eingetroffen und hatte gleichsam zufällig an dem kleinen Bankett des abfahrenden Regiments teilgenommen. Er aß und trank für zehn und ging in mehr oder minder nüchternem Zustand in die Küche der Offiziersmenage, um von den Köchen Überreste herauszulocken. Er verschlang schüsselweise Soße und Knödel, riß wie eine wilde Katze Fleisch von den Knochen und stöberte schließlich in der Küche Rum auf; als er so viel getrunken hatte, daß er rülpste, kehrte er zu dem Abschiedsabend zurück, wo er von neuem durch Saufen brillierte. Er hatte in dieser Hinsicht reiche Erfahrungen gesammelt, und bei der 7. Reiterdivision zahlten die Offiziere immer auf ihn drauf. Am Morgen fiel ihm ein, daß er bei der Abfahrt des Regiments Ordnung schaffen müsse. Deshalb trieb er sich längs des ganzen Spaliers herum und spielte sich auf dem Bahnhof in solcher Weise auf, daß die Offiziere, die die Einwaggonierung des Regiments leiteten, sich vor ihm in der Kanzlei des Stationsvorstandes verbargen.

So geschah es, daß er zur rechten Zeit vor dem Bahnhof auftauchte, um dem Kapellmeister der Scharfschützen, der gerade »Gott erhalte, Gott beschütze« spielen lassen wollte, den Taktstock zu entreißen.

»Halt«, sagte er, »noch nicht, bis ich das Zeichen gebe. Jetzt ›Ruht‹, ich komm wieder zurück.« Er verschwand im Bahnhof und ging der Eskorte nach, die er mit seinem lauten: »Halt!« anhielt.

»Wohin denn?« fragte er streng den Korporal, der sich in dieser neuen Situation keinen Rat wußte.

Statt seiner antwortete Schwejk gutmütig: »Nach Bruck führt man uns, wenn Sie wollen, Herr Feldkurat, können Sie mit uns fahren.«

»Das werde ich auch tun«, verkündete Pater Lacina, und der Eskorte zugewandt fügte er hinzu: »Wer sagt, daß ich nicht fahren kann? Vorwärts! Marsch!«

Als sich der Oberfeldkurat im Arrestantenwagen befand, legte er sich auf die Bank; der gutherzige Schwejk zog den Mantel aus und legte ihn Pater Lacina unter den Kopf, wozu der Einjährigfreiwillige zum Entsetzen des Korporals leise bemerkte: »Oberfeldkuraten pflegen . . .«

Pater Lacina begann, bequem auf die Bank gestreckt, zu erzählen: »Ragout mit Pilzen, meine Herren, ist um so besser, je mehr Pilze drin sind, aber die Pilze müssen zuerst mit Zwiebeln gedünstet werden, und dann gibt man erst ein Lorbeerblatt zu und die Zwiebel . . .«

»Die Zwiebel haben Sie schon zuerst zu geben geruht«, ließ sich der Einjährigfreiwillige vernehmen, von einem verzweifelten Blick des Korporals gefolgt, der zwar in Pater Lacina einen Betrunkenen, trotzdem aber seinen Vorgesetzten sah.

Die Situation des Korporals war wirklich verzweifelt.

»Ja«, bemerkte Schwejk, »der Herr Oberfeldkurat hat vollkommen recht. Je mehr Zwiebel, desto besser. In Pachomeritz war ein Bräuer, und der hat sogar ins Bier Zwiebeln gegeben, nämlich weil Zwiebeln Durst machen. Zwiebeln sind überhaupt eine sehr nützliche Sache. Gebackene Zwiebeln gibt man sogar auf Asten . . .«

Pater Lacina sprach inzwischen halblaut auf seiner Bank wie im Traum: »Alles kommt auf die Gewürze an, was für Gewürze man hineingibt und in welcher Menge. Nichts darf überpfeffert, überpapriziert werden.«

Er redete immer langsamer und leiser: »Ü-ber-nelkt, ü-ber-zitroniert, ü-ber-neu-ge-würzt, ü-ber-musch-katiert.«

Er sprach nicht zu Ende und schlief ein, ab und zu durch die Nase pfeifend, wenn er von Zeit zu Zeit aufhörte zu schnarchen.

Der Korporal blickte ihn unverwandt an, während die Infanteristen der Eskorte leise auf ihren Bänken lachten.

»Der kommt nicht so bald auf«, meinte Schwejk bald danach, »er is vollständig besoffen.«

»Das ist Wurscht«, fuhr Schwejk fort, als ihm der Korporal ängstlich ein Zeichen gab zu schweigen, »dran läßt sich nichts ändern, er is besoffen, wie es das Gesetz vorschreibt. Er is im Rang von einem Hauptmann. Jeder von diesen Feldkuraten, ob niedriger oder höher, hat schon von Gott so ein Talent, daß er sich bei jeder Gelegenheit zum Zerspringen anfrißt. Ich hab beim Feldkurat Katz gedient, und der hätt fast die Nase zwischen den Augen vertrunken. Das, was der da aufführt, is noch nichts gegen das, was der aufgeführt hat. Wir ham zusamm die Monstranz vertrunken und hätten vielleicht den lieben Gott selbst vertrunken, wenn uns jemand was auf ihn geborgt hätt.«

Schwejk trat zu Pater Lacina, drehte ihn zur Wand und sagte mit Kennermiene: »Der wird bis nach Bruck schnarchen.« Dann kehrte er auf seinen Platz zurück, gefolgt von einem verzweifelten Blick des unglücklichen Korporals, der zaghaft sagte: »Ich solls vielleicht melden gehn.«

»Das lassen Sie sich nicht einfallen«, sagte der Einjährigfreiwillige, »Sie sind Eskortekommandant. Sie dürfen sich nicht von uns entfernen. Und nach der Vorschrift dürfen Sie auch niemanden von der begleitenden Wache herauslassen, um Meldung zu erstatten, solange Sie keinen Ersatz haben. Sie sehn, es ist eine harte Nuß. Mit einem Schuß ein Zeichen geben, daß jemand hereinkommen soll, geht auch nicht. Es ist hier nichts geschehen. Andererseits besteht wieder die Vorschrift, daß sich außer den Arrestanten und der sie begleitenden Eskorte im Arrestantenwaggon keine fremde Person befinden darf. Unbefugten ist der Eintritt streng verboten. Die Spuren Ihrer Übertretung zu verwischen und den Oberfeldkuraten während der Fahrt auf unauffällige Art aus dem Zug zu werfen, geht auch nicht, weil Zeugen zugegen sind, die gesehen haben, daß Sie ihn in den Waggon gelassen haben, wohin er nicht gehört. Das bedeutet sichere Degradation, Herr Korporal.«

Der Korporal sagte verlegen, daß er den Oberfeldkuraten nicht in den Waggon gelassen habe, sondern daß dieser sich ihnen selbst angeschlossen habe, und daß er doch sein Vorgesetzter sei.

»Hier sind Sie der einzige Vorgesetzte«, behauptete nachdrücklich der Einjährigfreiwillige, dessen Worte Schwejk ergänzte: »Selbst wenn sich uns Seine Majestät der Kaiser hätt anschließen wolln, so ham Sies nicht erlauben dürfen. Das is wie auf der Wache, wenn zu einem Rekruten der Inspektionsoffizier kommt und ihn bittet, er soll ihm eine Zigarette holen, und der fragt ihn, welche Sorte er bringen soll. Auf solche Sachen gibts Festung.«

Der Korporal wandte schüchtern ein, Schwejk habe doch als erster dem Oberfeldkuraten gesagt, daß er mit ihnen fahren könne.

»Ich kann mirs erlauben, Herr Korporal«, antwortete Schwejk, »weil ich blöd bin, aber von Ihnen möchts niemand erwarten.«

»Dienen Sie schon lange aktiv?« fragte den Korporal gleichsam nebenhin der Einjährigfreiwillige.

»Das dritte Jahr. Jetzt soll ich zum Zugsführer befördert wern.«

»Also darüber machen Sie ein Kreuz«, sagte der Einjährigfreiwillige zynisch, »wie ich Ihnen schon gesagt hab, draus schaut Degradation heraus.«

»Es ist alles eins«, ließ sich Schwejk vernehmen, »ob man als Charge fällt oder als gemeiner Soldat – aber wahr is, daß sie Degradierte herich in die ersten Reihen stecken.«

Der Oberfeldkurat regte sich.

»Er schnarcht«, verkündete Schwejk, als er festgestellt hatte, daß mit dem Oberfeldkuraten alles in bester Ordnung sei, »jetzt träumt er gewiß von einer Fresserei. Ich fürcht mich nur, er soll sich uns hier nicht ausmachen. Nämlich mein Feldkurat, wenn der sich besoffen hat, hat er sich im Schlaf nicht gespürt. Einmal hat er euch . . .«

Und Schwejk fing an, seine Erfahrungen mit dem Feldkuraten Otto Katz so detailliert und interessant darzulegen, daß sie gar nicht merkten, wie sich der Zug in Bewegung setzte.

Erst das Gebrüll aus den rückwärtigen Waggons unterbrach Schwejks Erzählung. Die 12. Kompanie, bei der lauter Deutsche aus Krummau und Bergreichenstein standen, schmetterte:

»Wann ich kumm, wann ich kumm,
wann ich wieda-wiedakumm.«

Und aus einem andern Waggon brüllte irgendein Verzweifelter dem sich entfernenden Budweis zu:

»Und du mein Schatz
bleibst hier.
Holarja, holarjo holo!«

Es war ein so schreckliches Gejohle und Gekreisch, daß ihn die Kameraden von der offenen Türe des Viehwaggons zerren mußten.

»Es wundert mich«, sagte der Einjährigfreiwillige dem Korporal, »daß sich bei uns noch keine Inspektion gezeigt hat. Vorschriftsmäßig hätten Sie uns gleich auf dem Bahnhof beim Zugskommandanten melden und sich nicht mit einem betrunkenen Oberfeldkuraten abgeben sollen.«

Der unglückliche Korporal schwieg hartnäckig und blickte eigensinnig auf die nach rückwärts laufenden Telegrafenstangen.

»Wenn ich bedenke, daß wir bei niemandem gemeldet sind«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, »und daß auf der nächsten Station sicher der Kommandant zu uns in den Zug kommen wird, bäumt sich in mir mein militärisches Blut auf. Wir sind ja wie . . .«

»Zigeuner«, fiel Schwejk ein, »oder Landstreicher. Mir kommts vor, wie wenn wir uns vor Gottes Licht fürchten müßten und uns nirgends melden dürfen, damit man uns nicht einsperrt.«

»Außerdem«, sagte der Einjährigfreiwillige, »muß man auf Grund der Verordnung vom 21. November 1879 bei der Überführung militärischer Arrestanten mittels Zügen folgende Vorschriften einhalten: Erstens: Der Arrestantenwaggon muß mit Gittern versehen sein. Das ist klar wie die Sonne und hier auch nach Vorschrift durchgeführt. Wir befinden uns hinter vollendeten Gittern. Das wäre also in Ordnung. Zweitens: Nach der ergänzenden k. u. k. Verordnung vom 21. November 1879 soll sich in jedem Arrestantenwaggon ein Abort befinden. Ist er nicht vorhanden, soll der Waggon mit einem gedeckten Gefäß zur Verrichtung der großen und kleinen Notdurft der Arrestanten und der begleitenden Wache versehen sein. Hier bei uns kann man eigentlich nicht von einem Arrestantenwaggon sprechen, in dem sich ein Abort befinden sollte. Wir befinden uns einfach in einem besonderen Kupee, das von der ganzen Welt isoliert ist. Und es ist auch kein Gefäß hier . . .«

»Sie könnens aus dem Fenster machen«, bemerkte der Korporal voll Verzweiflung.

»Sie vergessen«, sagte Schwejk, »daß kein Arrestant zum Fenster darf.«

»Und drittens«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, »soll für ein Gefäß mit Trinkwasser gesorgt sein. Darum haben Sie sich nicht gekümmert. Apropos! Wissen Sie, in welcher Station Menage verteilt werden wird? Sie wissen es nicht? Ich hab mir gedacht, daß Sie sich nicht informiert haben . . .«

»Also sehn Sie, Herr Korporal«, bemerkte Schwejk, »daß es keine Hetz is, Arrestanten zu fahren. Um uns muß man sich kümmern, wir sind keine gewöhnlichen Soldaten, die sich selbst um sich sorgen müssen. Uns muß man alles unter die Nase bringen, weil drauf Verordnungen und Paragraphen sind, nach denen sich jeder richten muß, weil sonst keine Ordnung wär. ›Ein eingesperrter Mensch is wie ein Kind im Wickelbett‹, pflegte ein bekannter Landstreicher von mir zu sagen, ›man muß ihn pflegen, damit er sich nicht aufregt und mit seinem Schicksal zufrieden is und sieht, daß man ihn, Armitschka, nichts zuleid tut.‹«

»Übrigens«, sagte Schwejk bald darauf, den Korporal freundschaftlich anblickend, »bis elf sein wird, sagen Sies mir freundlichst.«

Der Korporal schaute Schwejk fragend an.

»Sie ham mich, mir scheint, fragen wolln, Herr Korporal, warum Sie mir sagen solln, bis elf sein wird. Von elf Uhr an gehör ich in den Viehwagen, Herr Korporal«, sagte Schwejk nachdrücklich und fuhr mit feierlicher Stimme fort: »Ich bin beim Regimentsrapport zu drei Tagen verurteilt worn. Um elf Uhr hab ich meine Strafe angetreten, und heut um elf muß ich freigelassen wern. Ab elf Uhr hab ich hier nichts zu tun. Kein Soldat darf länger eingesperrt sein, wies ihm gebührt, weil man beim Militär Disziplin und Ordnung wahren muß, Herr Korporal.«

Der verzweifelte Korporal konnte sich nach diesem Schlag lange nicht erholen, bis er schließlich einwandte, daß er keine Papiere erhalten habe.

»Lieber Herr Korporal«, ließ sich der Einjährigfreiwillige vernehmen, »die Papiere kommen nicht von selbst zum Eskortekommandanten. Wenn der Berg nicht zu Mohammed kommt, muß der Eskortekommandant selbst die Papiere holen. Sie befinden sich jetzt vor einer neuen Situation. Unbedingt dürfen Sie niemanden zurückhalten, der in die Freiheit gelangen soll. Andererseits darf nach den geltenden Vorschriften niemand den Arrestantenwaggon verlassen. Wirklich, ich weiß nicht, wie Sie sich aus dieser Situation herausdrehn werden. Je weiter, desto schlimmer. Jezt ist es halb elf.«

Der Einjährigfreiwillige steckte die Taschenuhr ein: »Ich bin sehr neugierig, Herr Korporal, was Sie in einer halben Stunde machen werden.«

»In einer halben Stunde gehör ich in den Viehwagen«, wiederholte Schwejk träumerisch, worauf sich der Korporal völlig verwirrt und vernichtet an ihn wandte:

»Wenns Ihnen nicht unangenehm sein wird, denk ich, daß es hier viel bequemer is als im Viehwagen. Ich denk . . .«

Er wurde durch einen Schrei unterbrochen, den der Oberfeldkurat im Schlafe ausstieß: »Mehr Soße!«

»Schlaf, schlaf«, sagte Schwejk gutmütig, einen Mantelzipfel, der von der Bank gefallen war, unter den Kopf des Oberfeldkuraten schiebend, »laß dir weiter was Hübsches vom Fressen träumen.«

Und der Einjährigfreiwillige begann zu singen:

»Schlaf, Kindlein, schlaf,
deine Mutter hütet Schaf,
dein Vater ist in Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.«

Der verzweifelte Korporal reagierte auf nichts mehr.

Er blickte stumpf auf die Landschaft und ließ der vollkommenen Desorganisation im Arrestantenkupee freien Lauf.

An der Seitenwand spielten die Soldaten aus der Eskorte »Maso«, und auf die Hinterbacken fielen kräftige und ehrliche Hiebe. Als er sich in dieser Richtung umdrehte, blickte ihn gerade der Hintere eines Infanteristen herausfordernd an. Der Korporal seufzte und wandte sich abermals dem Fenster zu.

Der Einjährigfreiwillige dachte eine Zeitlang über etwas nach, dann kehrte er sich dem vernichteten Korporal zu: »Kennen Sie vielleicht die Zeitschrift ›Die Tierwelt‹?«

»Diese Zeitschrift«, entgegnete der Korporal, sichtlich erfreut, weil das Gespräch auf ein anderes Gebiet überging, »hat der Wirt bei uns im Dorf abonniert gehabt, weil er schrecklich gern Angoraziegen gehabt hat und ihm alle krepiert sind. Drum hat er in dieser Zeitung um Rat gefragt.«

»Lieber Kamerad«, sagte der Einjährigfreiwillige, »das, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, wird Ihnen ungemein deutlich beweisen, daß niemand fehlerfrei ist! Ich bin überzeugt, meine Herren, daß Sie dort hinten aufhören werden, ›Maso‹ zu spielen, denn das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird schon deshalb interessant sein, weil Sie viele fachmännische Ausdrücke nicht verstehen werden, ich werde Ihnen eine Geschichte aus der ›Tierwelt‹ erzählen, damit wir unsere heutigen Kriegssorgen vergessen.

Wie ich seinerzeit Redakteur der ›Tierwelt‹, einer ungemein interessanten Zeitschrift, geworden bin, war mir selbst lange Zeit ein ziemlich kompliziertes Rätsel, bis ich einmal zu der Ansicht kam, daß es nur in vollkommen unzurechnungsfähigem Zustand geschehn sein konnte; in einem solchen Zustand wurde ich aus freundschaftlicher Zuneigung zu meinem alten Freund Hajek dazu verführt. Er hatte die Zeitschrift bis dahin ehrlich redigiert, verliebte sich aber in das Töchterchen des Eigentümers, namens Fuchs, der ihn Knall und Fall hinauswarf und Hajek die Bedingung stellte, ihm einen anständigen Redakteur zu verschaffen.

Wie Sie sehn, gabs damals seltsame Dienstverhältnisse.

Als mich mein Freund Hajek dem Eigentümer des Blattes vorstellte, empfing der mich sehr freundlich, fragte mich, ob ich überhaupt eine Ahnung von Tieren habe, und war sehr zufrieden mit meiner Antwort, daß ich Tiere immer sehr geschätzt und in ihnen einen Übergang zum Menschen gesehn und ihre Wünsche und ihre Sehnsucht, vor allem vom Standpunkt des Tierschutzes aus, immer respektiert habe. Kein Tier wünsche etwas anderes, als so schmerzlos wie möglich getötet zu werden, bevor man es aufißt.

Der Karpfen hat schon von Geburt an die fixe Idee, daß es von der Köchin nicht hübsch ist, ihm bei Lebzeiten den Bauch aufzuschlitzen, und der Gewohnheit, Hühnern den Hals umzudrehen, tritt die Intention des Tierschutzvereines entgegen, Geflügel nicht mit unkundiger Hand zu schlachten.

Die gekrümmten Gestalten gebackener Grundeln zeugen davon, daß sie beim Sterben dagegen protestieren, in Podol lebendig auf Margarine gesotten zu werden. Truthahnschenkel . . .

In diesem Augenblick unterbrach er mich und fragte, ob ich mich in der Geflügelzucht, in Hunden, Kaninchen, in der Bienenzucht und in den Eigentümlichkeiten des Tierreichs auskenne, ob ich aus fremden Journalen Bilder zum Reproduzieren herausschneiden, aus ausländischen Zeitungen fachmännische Artikel über Tiere übersetzen, im Brehm blättern und mit ihm Leitartikel aus dem Tierleben unter Berücksichtigung der katholischen Feiertage verfassen könne. Ob ich über die Veränderung des Wetters, über Rennen, Jagden, die Erziehung von Polizeihunden, nationale und Kirchenfeiertage schreiben könne, kurz, ob ich einen gewissen journalistischen Überblick über die Situation habe und diesen in einem kurzen inhaltsreichen Leitartikelchen auszunützen verstehe.

Ich erklärte, daß ich schon sehr viel über die richtige Leitung einer Zeitschrift wie die »Tierwelt« nachgedacht hätte und in der Lage sei, alle diese Rubriken und Punkte vollkommen zu repräsentieren, da ich die erwähnten Themen vollkommen beherrsche. Mein Bestreben werde es sein, der Zeitschrift zu einer ungewohnten Höhe zu verhelfen. Sie inhaltlich und sachlich zu reorganisieren, neue Rubriken einzuführen, zum Beispiel: Eine lustige Tierecke, Tiere über Tiere, unter sorgfältiger Berücksichtigung der politischen Situation. Dem Leser Überraschung auf Überraschung zu bieten, damit er nicht zu Atem kommen könne. Die Rubrik ›Vom Tage der Tiere‹ müsse abwechseln mit dem neuen Programm der Lösung der Frage der Haustiere und der ›Bewegung unter dem Rindvieh‹.

Er unterbrach mich abermals und sagte, daß ihm dies vollkommen genüge; wenn mir nur die Hälfte davon gelingen sollte, werde er mir ein Paar Zwergwyandottetauben von der letzten Berliner Geflügelausstellung schenken. Sie seien mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden, während ihr Eigentümer die Medaille für ausgezeichnetes Paaren erhalten hat.

Ich kann sagen, daß ich mir wirklich Mühe gab, mein Regierungsprogramm in der Zeitschrift einzuhalten, soweit meine Fähigkeiten reichten. Ja, ich machte sogar die Entdeckung, daß meine Artikel meine Fähigkeiten übertrafen.

Da ich dem Publikum etwas vollkommen Neues bieten wollte, dachte ich mir Tiere aus.

Ich ging von dem Prinzip aus, daß zum Beispiel der Elefant, der Tiger, der Löwe, der Affe, der Maulwurf, das Ferkel usw. jedem Leser der ›Tierwelt‹ bereits längst vollständig bekannte Geschöpfe sein mußten.

Daß es daher nötig sei, den Leser mit etwas Neuem, mit neuen Entdeckungen zu überraschen. Deshalb versuchte ich es mit dem schwefelbäuchigen Walfisch. Diese neue Walfischgattung hatte die Größe eines Stockfisches und besaß eine mit Ameisensäure gefüllte, mit einer besonderen Kloake versehene Blase. Aus ihr verspritzte der schwefelbäuchige Walfisch unter Explosionen über die kleinen Fische, die er auffressen wollte, eine betäubende giftige Säure, der der englische Gelehrte – ich erinner mich nicht mehr, wie ich ihn genannt habe – später den Namen Walfischsäure gab. Walfischfett war bereits sehr bekannt, aber die neue Säure erregte die Aufmerksamkeit einiger Leser, die nach der Firma fragten, die diese Säure erzeugte.

Ich kann Ihnen versichern, daß die Leser der ›Tierwelt‹ überhaupt sehr neugierig sind.

Kurz nach dem schwefelbäuchigen Walfisch entdeckte ich eine ganze Reihe anderer Tiere. Ich nenne davon: den durchtriebenen Seehirsch, ein Säugetier aus dem Geschlechte der Känguruhs, den eßbaren Ochsen, den Urtypus der Kuh, das Sepiainfusionstier, das ich als eine Art Wanderratte definierte.

Mit jedem Tag nahmen meine neuen Tiere zu. Ich selbst war sehr überrascht von meinen Erfolgen auf diesem Gebiete. Niemals hatte ich geglaubt, daß es nötig sei, das Tierreich so stark zu ergänzen, und daß Brehm so viele Tiere in seiner Schrift ›Das Leben der Tiere‹ ausgelassen hatte. Wußte Brehm und alle, die in seinen Fußtapfen gingen, von meiner Fledermaus aus Island, der ›entfernten Fledermaus‹, von meiner Hauskatze vom Gipfel des Berges Kilimandscharo unter dem Namen ›wildlebendes Hirschkätzchen‹?

Hatten die Naturforscher eine Ahnung von dem ›Floh des Ingenieurs Khuna‹, den ich im Bernstein fand und der vollkommen blind war, weil er auf einem prähistorischen Maulwurf lebte, der ebenfalls blind war, zumal seine Urgroßmutter sich, wie ich schrieb, mit einem unterirdischen Grotteolm aus der Adelsburger Grotte gepaart hatte, die in alten Zeiten bis an das jetzige Baltische Meer reichte?

Aus dieser geringfügigen Begebenheit entwickelte sich eine Polemik zwischen dem ›Čas‹ und dem ›Čech‹,»Čas«, eine fortschrittliche, »Čech«, eine klerikale tschechische Tageszeitung. Der »Čas« war das Organ Masaryks. weil der ›Čech‹, als er meinen Artikel über den von mir entdeckten Floh zitierte, erklärte: ›Was Gott tut, ist wohlgetan.‹ Der ›Čas‹ zerschmetterte naturgemäß rein realistisch meinen Floh samt dem ehrenwürdigen ›Čech‹, und seit damals schien es, als verlasse mich der Glückstern des Erfinders und Entdeckers neuer Geschöpfe. Die Abonnenten der ›Tierwelt‹ begannen sich zu beunruhigen.

Anlaß dazu gaben meine verschiedenen kleinen Berichte über Bienen- und Geflügelzucht, in denen ich meine neuen Theorien darlegte, die wahres Entsetzen hervorriefen, denn meine einfachen Ratschläge hatten zur Folge, daß den bekannten Bienenzüchter Pazourek der Schlag traf und die Bienenzucht im Böhmerwald und im Riesengebirge ausstarb. Das Geflügel wurde von einer Seuche befallen, und kurz und gut, alles krepierte. Die Abonnenten schrieben Drohbriefe und schickten die Zeitschrift zurück.

Ich warf mich auf die in Freiheit lebenden Vögel, und noch heute erinner ich mich an meine Affäre mit einem Redakteur der ›Selsky Obzor‹,Eine landwirtschaftliche Zeitschrift. dem klerikalen Abgeordneten Direktor Jos. M. Kadltschak!

Ich schnitt aus der englischen Zeitschrift ›Country Life‹ das Bild irgendeines Vogels, der auf einem Nußbaum saß, heraus. Ich nannte ihn Nußkiebitz, ebenso wie ich logischerweise nicht gezögert hätte, einen Vogel, der auf einem Wacholderbaum gesessen wäre, Wacholderkiebitz, gegebenenfalls Wacholderkiebitzweibchen zu nennen.

Und was geschah? Auf einer gewöhnlichen Korrespondenzkarte fiel mich Herr Kadltschak an. Der Vogel sei angeblich ein Eichelhäher und kein Nußkiebitz, und meine Behauptung sei vollkommen falsch.

Ich schrieb einen Brief, in dem ich meine ganze Theorie über den Nußkiebitz darlegte, und mischte in den Brief zahlreiche Beschimpfungen und erdachte Zitate aus dem Brehm.

Abgeordneter Kadltschak antwortete im ›Selsky Obzor‹ mit einem Leitartikel.

Mein Chef, Herr Fuchs, saß wie immer im Kaffeehaus und las die Provinzblätter, denn in der letzten Zeit suchte er sehr häufig Bemerkungen über meine fesselnden Artikel in der ›Tierwelt‹; als ich kam, zeigte er auf den auf dem Tisch liegenden ›Selsky Obzor‹ und sprach ruhig, während er mich mit dem traurigen Ausdruck anblickte, den seine Augen in der letzten Zeit ununterbrochen hatten.

Ich las laut, vor dem ganzen Kaffeehauspublikum:

»Geehrte Redaktion!

Ich habe darauf hingewiesen, daß Ihre Zeitschrift eine ungewohnte und unbegründete Terminologie einführt, daß sie zuwenig auf die Reinheit der tschechischen Sprache achtet und sich verschiedene Tiere ausdenkt. Ich habe als Beweis angeführt, daß Ihr Redakteur statt der alten Bezeichnung »Eichelhäher« »Nußkiebitz« verwendet.«

›Eichelhäher‹, sprach mir der Eigentümer der Zeitschrift verzweifelt nach.

Ich las ruhig weiter: ›Darauf habe ich von dem Redakteur der »Tierwelt« einen maßlos groben Brief persönlicher und unhöflicher Natur erhalten, in dem ich »strafwürdiger Ignorant« und »Rindvieh« genannt werde, was einen energischen Verweis verdient. So antwortet man unter anständigen Menschen nicht auf sachlich wissenschaftliche Einwände. Ich möchte gern wissen, wer von uns beiden das größere Rindvieh ist. Vielleicht, das ist wahr, hätte ich die Vorwürfe nicht auf einer Postkarte niederlegen und einen Brief schreiben sollen, aber wegen Überhäufung mit Arbeit habe ich dieser Kleinigkeit keine Beachtung geschenkt; jetzt aber, nach diesem gemeinen Ausfall, werde ich den Redakteur der »Tierwelt« an den öffentlichen Pranger stellen.

Ihr Herr Redakteur irrt bedeutend, wenn er meint, daß ich ein ungebildetes Rindvieh bin und keine Ahnung habe, wie der oder jener Vogel heißt. Ich befasse mich seit Jahren mit Ornithologie, und zwar keineswegs nur auf der Grundlage von Büchern, sondern auf Grund von Studien in der Natur, und habe mehr Vögel in Käfigen, als Ihr Redakteur in seinem ganzen Leben gesehen hat. Wie sollte auch ein Mensch wie er, der aus den Prager Schnapsbutiken und Wirtshäusern noch nicht herausgekommen ist, mit Vögeln in Berührung gekommen sein?

Doch das sind nebensächliche Dinge, obwohl es sicherlich nicht schaden könnte, wenn sich Ihr Redakteur erst überzeugen würde, wem er vorwirft, ein Rindvieh zu sein, bevor ihm diese Bezeichnung aus der Feder fließt, mag sie auch für Friedland in Mähren bei Mistek bestimmt sein, wo Ihre Zeitschrift vor Erscheinen dieses Artikels ebenfalls Abonnenten hatte.

Es handelt sich übrigens nicht um eine persönliche Polemik mit dem verrückten Kerl, sondern um die Sache selbst, und deshalb wiederhole ich neuerdings, daß es unzulässig ist, sich in der Übersetzung Benennungen auszudenken, wenn wir die allgemein bekannte übliche Benennung »Eichelhäher« haben.‹

›Ja, Eichelhäher‹, brachte mein Chef mit noch verzweifelterer Stimme vor.

Ich lese friedlich weiter, ohne mich unterbrechen zu lassen: ›Es ist eine Gemeinheit, wenn sich das Menschen herausnehmen, die nicht Fachleute, sondern Rohlinge sind. Wer hat jemals einen Eichelhäher »Nußkiebitz« genannt? Im Werke »Unsere Vögel«, S. 148, steht die lateinische Bezeichnung: Garrulus glandarius B. A. Mein Vogel ist ein Eichelhäher.

Der Redakteur Ihres Blattes wird sicherlich einsehen, daß ich meinen Vogel besser kenne als jemand, der kein Fachmann ist. Der Nußkiebitz heißt nach Dr. Bayer »mucifraga carycatectes B.«. Und dieses »B« bedeutet nicht, wie ihr Redakteur geschrieben hat, den Anfangsbuchstaben des Wortes Blödian. Tschechische Vogelforscher kennen überhaupt nur den gewöhnlichen Eichelhäher und keineswegs Ihren »Nußkiebitz«, den gerade jener Herr erfunden hat, für den der Anfangsbuchstabe B nach seiner Theorie paßt. Das ist ein unbeholfener persönlicher Ausfall, der an der Sache nichts ändert.

Ein Eichelhäher bleibt ein Eichelhäher, und wenn der Redakteur der »Tierwelt« sich deswegen bema . . .n sollte. Es ist nur ein Beweis, wie leichtsinnig und unsachlich er manchmal schreibt, selbst wenn er sich mit besonderer Grobheit auf den Brehm beruft. Dieser gemeine Kerl schreibt, daß der Eichelhäher nach Brehm, S. 452, wo vom Neuntöter oder vom Schwarzstirnigen Würger (Lanius minor L.) die Rede ist, in die Familie der Krokodile gehört. Weiter sagt dieser Ignorant, wenn ich seinen Namen verkleinern darf, wiederum unter Berufung auf Brehm, daß der Eichelhäher nach Brehm in die fünfzehnte Familie der Rabenvögel gehört, und Brehm reiht doch die Raben in die siebzehnte Familie ein, zu denen auch die Raben und die Sippe der Dohlen gehören. Er ist so gemein, auch mich eine Dohle (colaeus) von der Gattung der Elstern aus der Unterart der ungeschickten Blödiane zu nennen, obwohl auf derselben Seite von Waldeichelhähern und Elstern die Rede ist . . .‹

›Waldeichelhäher‹, seufzte der Herausgeber meiner Zeitschrift, während er sich am Kopf packte, ›geben Sie her, damit ich es zu Ende lese.‹

Ich erschrak, denn seine Stimme klang heiser: ›Der Kolibri oder die türkische Amsel bleibt in der tschechischen Übersetzung ebenso Kolibri, wie ein Krammetsvogel ein Krammetsvogel bleibt.‹

›Den Krammetsvogel soll man Wacholderling oder Wacholderweibchen nennen, Herr Chef‹, bemerkte ich, ›weil er sich von Wacholder nährt.‹

Herr Fuchs schlug mit der Zeitung auf den Tisch und kroch unter das Billard, während er die letzten Worte, die er gelesen hatte, hervorröchelte.

›Turdus, Kolibri.‹

›Kein Eichelhäher‹, brüllte er unter dem Billard, ›ein Nußkiebitz. Ich beiße, meine Herren!‹

Schließlich wurde er hervorgezogen, und am dritten Tag starb er im Familienkreis an Gehirngrippe.

Sein letztes Wort in seinem letzten klaren Augenblick war: ›Es handelt sich mir nicht um mein persönliches Interesse, sondern um die Richtigkeit des Ganzen. Von diesem Standpunkt aus wollen Sie mein Urteil entgegennehmen, das so sachlich ist wie . . .‹ – und er schluckte.«

Der Einjährigfreiwillige brach ab und sagte giftig zum Korporal:

»Damit wollte ich nur sagen, daß sich jeder Mensch manchmal in heiklen Situationen befindet und Fehler begeht!«

Alles in allem begriff der Korporal davon nur so viel, daß er den Fehler begangen hatte; deshalb wandte er sich abermals dem Fenster zu und schaute finster auf die zurücklaufende Landschaft.

Etwas mehr Interesse erregte die Erzählung bei Schwejk. Die Soldaten der Eskorte blickten einander dumm an.

Schwejk hub an: »Auf der Welt bleibt nichts verborgen. Alles kommt ans Licht, wie ihr gehört habt, läßt sich nicht mal so ein blöder Eichelhäher mit einem Nußkiebitz verwechseln. Es is wirklich sehr interessant, daß jemand auf so was aufn Leim gegangen is. Tiere zu erfinden is, das is wahr, eine schwere Sache, aber ausgedachte Tiere vorführen is noch schwerer. Einmal vor Jahren war in Prag ein gewisser Mestek, und der hat eine Meerjungfrau entdeckt und hat sie in der Hawlitschekgasse in der Weinberge hinter einer Plente gezeigt. In der Plente war eine Öffnung, und jeder hat im Halbdunkel ein ganz gewöhnliches Kanapee sehen können, auf dem sich ein Frauenzimmer aus Žižkov gewälzt hat. Die Beine hat sie in grüne Gaze gewickelt gehabt, was den Schwanz vorstelln sollt, die Haare hat sie grün angestrichen gehabt und auf den Händen Handschuh und dran angemachte Flossen aus Pappendeckel: die waren auch grün, und auf dem Rücken hat sie mit einem Strick ein Steuer angemacht gehabt. Jugendliche unter sechzehn Jahre ham keinen Zutritt gehabt, und alle, was über sechzehn Jahre waren und das Eintrittsgeld bezahlt ham, ham sichs sehr gelobt, daß die Meerjungfrau einen großen Hintern gehabt hat, auf dem die Aufschrift war: ›Auf Wiedersehn!‹ Was die Brüste betrifft, das war nix. Sie ham sich ihr bis am Nabel herumgewälzt wie einer abgeschleppten Flunder. Um sieben Uhr abends hat der Mestek dann das Panorama zugemacht und gesagt: ›»Meerjungfrau, Sie können nach Haus gehn.‹ Sie hat sich umgezogen, und um zehn Uhr abends hat man sie in der Taborgasse herumgehn und ganz unauffällig jedem Herrn, dem sie begegnet is, sagen sehn: ›Na, du hübscher Junge, komm bißl titschkerln.‹ Weil sie kein Büchel gehabt hat, hat sie der Herr Draschner mit andern ähnlichen Mauserln eingesperrt, und der Mestek hat Schluß gehabt mitn Kscheft!«

In diesem Augenblick fiel der Oberfeldkurat von der Bank, erwachte jedoch nicht und blieb schlafend auf der Erde liegen. Der Korporal blickte ihn mit blöden Augen an und hob ihn dann in der allgemeinen Stille ohne jede Hilfe selbst auf die Bank. Man sah, daß er alle Autorität verloren hatte, und als er mit schwacher, hoffnungsloser Stimme sagte: »Ihr könntet mir auch helfen«, blickten alle Soldaten der Eskorte starr vor sich, ohne daß sich auch nur ein einziger Fuß regte.

»Sie ham ihn schnarchen lassen solln, wo er war«, sagte Schwejk, »ich habs mit meinem Feldkuraten nicht anders gemacht. Einmal hab ich ihn am Abort schlafen lassen, einmal hat er sich oben auf der Almer ausgeschlafen, im Waschtrog in einem fremden Haus, und weiß Gott, wo er sich noch überall ausgeschnarcht hat.«

Der Korporal hatte plötzlich eine Anwandlung von Entschlossenheit. Er wollte zeigen, daß er hier der Herr war, und deshalb sagte er grob: »Halten Sies Maul und quatschen Sie nicht! Jeder Putzfleck quatscht lauter überflüssiges Zeug. Sie sind eine Wanze.«

»Ja, gewiß, und Sie sind ein Gott, Herr Korporal«, entgegnete Schwejk mit dem Gleichmut eines Philosophen, der auf der ganzen Welt den irdischen Frieden verwirklichen will und sich dabei in fürchterliche Polemiken einläßt.

»Sie sind eine schmerzensreiche Gottesmutter.«

»Herrgott«, rief der Einjährigfreiwillige, die Hände ringend, »erfüll unsere Herzen mit Liebe zu allen Chargen, damit wir sie nicht mit Abneigung betrachten. Segne unser Beisammensein in diesem Arrestantenloch auf Rädern.«

Der Korporal errötete und sprang in die Höhe: »Ich verbitte mir alle Bemerkungen, Sie Einjähriger, Sie.«

»Sie können für nichts«, fuhr der Einjährigfreiwillige in beschwichtigendem Tone fort. »Bei vielen Geschlechtern und Arten hat die Natur den Lebewesen jede Intelligenz versagt. Haben Sie einmal von menschlicher Dummheit erzählen hören? Wäre es nicht besser, wenn Sie als eine andere Art Säugetier geboren worden wären und nicht den blöden Namen Mensch und Korporal tragen würden? Es ist ein großer Irrtum, wenn Sie von sich denken, daß Sie das vollkommenste und entwickeltste Geschöpf sind. Wenn man Ihnen die Sternchen abtrennt, so sind Sie eine Null, die man ganz interesselos in allen Schützengräben an allen Fronten totschießt. Wenn man Ihnen noch ein Sterndl zugibt und ein Geschöpf aus Ihnen macht, das man Kommißknopf nennt, dann wirds mit Ihnen noch immer nicht ganz richtig sein. Ihr geistiger Horizont wird sich noch mehr verengen, und wenn Sie irgendwo auf dem Schlachtfeld Ihre kulturell verkümmerten Knochen zur Ruhe betten werden, wird niemand in ganz Europa um Sie weinen.«

»Ich lass' Sie einsperrn«, schrie der Korporal verzweifelt.

Der Einjährigfreiwillige lachte: »Sie möchten mich offenbar deshalb einsperren lassen, weil ich Sie beschimpft habe. Da müßten Sie lügen, denn Ihr geistiger Besitz vermag überhaupt keine Beleidigungen zu begreifen, und außerdem möchte ich mit Ihnen jede Wette eingehn, daß Sie sich kein Wort von unserer ganzen Unterredung gemerkt haben. Wenn ich Ihnen sage, daß Sie ein Embryo sind, so vergessen Sie das vielleicht nicht, bevor wir auf der nächsten Station eintreffen, sondern schon bevor die nächste Telegrafenstange an uns vorüberfliegt. Sie sind ein abgestorbener Gehirnstrudel. Ich kann mir überhaupt nicht vorstelln, daß Sie alles zusammenhängend wiedergeben könnten, was Sie mich haben sprechen hören. Außerdem können Sie fragen, wen Sie wollen, ob meine Worte auch nur die geringste Anspielung auf Ihren geistigen Horizont enthalten haben und ob ich Sie mit etwas beleidigt habe.«

»Gewiß«, bestätigte Schwejk, »niemand hat Ihnen hier ein Wörtchen gesagt, das Sie sich schief auslegen könnten. Es fällt immer schlecht aus, wenn man sich beleidigt fühlt. Einmal bin ich im Nachtcafé ›Tunnel‹ gesessen, und wir ham uns von Orang-Utans unterhalten. Einer von der Marine ist mit uns gesessen und hat erzählt, daß man einen Orang-Utan oft nicht von einem bärtigen Bürger auseinanderkennt, daß so ein Orang-Utan das Kinn mit Haaren bewachsen hat wie . . . ›Wie‹, sagt er, ›sagen wir meinetwegen dort der Herr am Nebentisch.‹ Wir ham uns alle umgedreht, und der Herr mit dem Kinn is zu dem von der Marine gegangen und hat ihm eine Watschen gegeben, und der von der Marine hat ihm den Kopf mit einer Bierflasche zerdroschen, und der Herr mit dem Kinn is umgefalln und bewußtlos liegengeblieben, und von dem von der Marine hamr uns empfohlen, weil er gleich weggegangen is, wie er gesehn hat, daß er ihn so bisserl erschlagen hat. Dann hamr den Herrn zu sich gebracht, und das hamr entschieden nicht machen solln, weil er gleich, wie er zu sich gekommen is, auf uns alle, was wir doch rein nichts damit zu tun gehabt ham, die Patrouille gerufen hat, was uns aufs Kommissariat geführt hat. Dort hat er dasselbe gedroschen, daß wir ihn für einen Orang-Utan gehalten ham, daß wir von nix anderm gesprochen ham wie von ihm. Und fort dasselbe. Wir, daß nicht, daß er kein Orang-Utan is. Und er, daß ja, daß ers gehört hat. Ich hab den Kommissär gebeten, er solls ihm erklären. Er hats ihm ganz gutmütig erklärt, aber nicht mal dann hat er sich sagen lassen und hat dem Herrn Kommissär gesagt, daß ers nicht versteht und daß er mit uns verbandelt is. Der Herr Kommissär hat ihn einsperrn lassen, damit er nüchtern wird, und wir ham wieder ins ›Tunnel‹ zurückgehn wolln, ham aber nicht mehr können, weil man uns auch hinters ›Katr‹ gesetzt hat. Also sehn Sie, Herr Korporal, daß aus einem kleinen und belanglosen Mißverständnis etwas entstehn kann, was gar nicht der Rede wert is. In Scheiba wieder war ein Bürger, und der war beleidigt, wie man ihm in Deutschbrod gesagt hat, daß er eine Tigerschlange is. Es gibt mehr solche Worte, was absolut nicht strafbar sind. Zum Beispiel, wenn wir Ihnen sagen möchten, daß Sie eine Ratte sind. Könnten Sie sich dafür auf uns ärgern?«

Der Korporal kreischte auf. Man kann nicht sagen, daß er brüllte. Ärger, Wut, Verzweiflung, alles ergoß sich in einer Reihe starker Töne, und diese Konzertnummer wurde ergänzt von den Pfiffen, die der schnarchende Oberfeldkurat mit der Nase vollführte.

Dem Kreischen folgte eine neue Depression. Der Korporal setzte sich auf die Bank, und seine wasserblauen, ausdruckslosen Augen hefteten sich in die Ferne auf Wälder und Berge.

»Herr Korporal«, sagte der Einjährigfreiwillige, »wenn Sie die rauschenden Berge und duftenden Wälder betrachten, erinnern Sie mich an die Gestalt Dantes. Dasselbe edle Dichterantlitz eines Mannes von feinem Herzen und Geist, vornehmen Regungen zugänglich. Bleiben Sie, bitte, so sitzen, es steht Ihnen so gut. Mit welcher Vergeistigung, ungezwungen ohne jede Geziertheit Sie die Augen auf die Landschaft herauswälzen. Sicher denken Sie daran, wie schön es sein wird, bis sich hier im Frühling statt der öden Stellen ein Teppich bunter Wiesenblumen ausbreiten wird . . .«

»Welchen Teppich ein Bächlein umarmt«, bemerkte Schwejk, »und der Herr Korporal macht mit Speichel den Bleistift naß, sitzt auf einem Baumstamm und schreibt ein Gedicht in den ›Maly Čtenař‹.«Tschechische Jugendzeitschrift.

Der Korporal wurde vollständig apathisch, und der Einjährigfreiwillige behauptete, daß er den Kopf des Korporals ganz bestimmt in einer Ausstellung von Plastiken modelliert gesehen habe: »Erlauben Sie, Herr Korporal, sind Sie nicht vielleicht dem Bildhauer Štursa Modell gestanden?«

Der Korporal schaute den Einjährigfreiwilligen an und sagte traurig: »Nein.«

Der Einjährigfreiwillige verstummte und streckte sich auf die Bank aus.

Die Soldaten der Eskorte spielten mit Schwejk Karten, der Korporal kiebitzte aus Verzweiflung und erlaubte sich zu guter Letzt die Bemerkung, Schwejk habe das grüne As ausgespielt, was ein Fehler sei. Er hätte nicht damit trumpfen sollen, dann wäre ihm der Siebner für den letzten Stich geblieben.

»In den Wirtshäusern«, sagte Schwejk, »hats früher so hübsche Aufschriften für Kiebitze gegeben. Ich erinner mich nur an eine: ›Kiebitz, halt die Goschen, sonst wirst du gedroschen.‹«

Der Militärzug fuhr in die Station ein, wo ein Inspektionsoffizier die Waggons revidieren sollte. Der Zug hielt.

»Na also«, sagte der Einjährigfreiwillige unerbittlich, indem er den Korporal bedeutungsvoll anblickte, »die Inspektion ist schon da . . .« In den Waggon trat die Inspektion.

 

Zum Kommandanten des Militärzuges war vom Stab der Reserveoffizier Doktor Mraz bestimmt worden.

Zu so einem dummen Dienst werden immer Reserveoffiziere befohlen, Doktor Mraz war davon ganz blöd. Er zählte fortwährend einen Waggon zuwenig, obwohl er in Zivil Mathematikprofessor am Realgymnasium war. Außerdem kollidierte der auf der letzten Station gemeldete Stand der Mannschaft in den einzelnen Waggons mit der Zahl, die ihm nach beendeter Einwaggonierung auf dem Budweiser Bahnhof angegeben worden war.

Als er in die Papiere blickte, schien es ihm, daß er, weiß Gott woher, um zwei Feldküchen zuviel habe. Die Konstatierung, daß sich die Pferde auf unbekannte Weise vermehrt hatten, rief auf seinem Rücken ein ungewöhnlich unangenehmes Kitzeln hervor. Im Verzeichnis der Offiziere konnte er zwei Kadetten nicht eruieren, die ihm fehlten. In der Regimentskanzlei im vordersten Waggon suchte man unaufhörlich nach einer Schreibmaschine.

Dieses Chaos verursachte ihm Kopfschmerzen; er hatte bereits drei Aspirine genommen und revidierte jetzt den Zug mit einem schmerzlichen Ausdruck im Gesicht.

Als er mit seinem Begleiter das Arrestantenkupee betrat, blickte er, während er den Rapport des vernichteten Korporals entgegennahm, in die Papiere. Der Korporal meldete, daß er zwei Arrestanten führe und soundsoviel Mannschaft habe. Doktor Mraz verglich nochmals in den Akten die Richtigkeit der Angaben und schaute sich dann im Kupee um.

»Wen führen Sie denn da mit?« fragte er streng, auf den Oberfeldkuraten weisend, der auf der Bank schlief und dessen Hinterbacken herausfordernd auf die Inspektion blickten.

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant«, stotterte der Korporal, »daß wir, will ich sagen . . .«

»Was für will ich sagen«, brummte Doktor Mraz, »drücken Sie sich deutlich aus.«

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant«, ließ sich statt des Korporals Schwejk vernehmen, »nämlich dieser Herr, der aufm Bauch schläft, is ein betrunkener Herr Oberfeldkurat. Er hat sich uns angeschlossen und is zu uns in den Waggon gekrochen, und weils unser Vorgesetzter is, so hamr ihn nicht herauswerfen können, damits nicht eine Subordinationsverletzung is. Er hat sich scheinbar den Stabswaggon mitm Arrestantenwaggon verwechselt.«

Doktor Mraz raffte sich zu nichts anderem auf als zu der Aufforderung, der Korporal möge den auf dem Bauche Schlafenden umdrehen, weil es nicht möglich sei, seine Identität in dieser Lage festzustellen.

Nach längeren Anstrengungen gelang es dem Korporal, den Oberfeldkuraten auf den Rücken zu legen.

Der Oberfeldkurat erwachte, und als er einen Offizier vor sich sah, sagte er: »Eh, servus, Fredy, was gibts Neues? Abendessen schon fertig?«

Worauf er abermals die Augen schloß und sich zur Wand umdrehte.

Doktor Mraz erkannte sofort, daß es der Vielfraß von gestern aus dem Offizierskasino, der berüchtigte Fresser aller Offiziersmenagen war, und seufzte leise.

»Dafür«, sagte er dann dem Korporal, »werden Sie zum Rapport gehn.«

Er wandte sich zum Gehen, allein Schwejk hielt ihn noch zurück.

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, daß ich nicht hergehör. Ich soll nur bis elf eingesperrt sein, weil grad heut meine Strafzeit abgelaufen is. Ich war auf drei Tage eingesperrt, und jetzt soll ich schon mit den übrigen im Viehwagen sitzen. Weil schon längst elf vorbei is, bitt ich Sie, Herr Lajtnant, daß ich schon auf der Strecke ausgesetzt wer oder in den Viehwagen geführt wer, wohin ich gehör, oder zum Oberlajtnant Lukasch.«

»Wie heißen Sie?« fragte Doktor Mraz, abermals in seine Papiere blickend.

»Schwejk, Josef, melde gehorsamst, Herr Lajtnant.«

»Ehm, Sie sind also der bekannte Schwejk«, sagte Doktor Mraz, »Sie ham wirklich um elf herauskommen solln. Aber Herr Oberleutnant Lukasch hat mich gebeten, ich soll Sie erst in Bruck herauslassen, es ist angeblich sicherer, wenigstens stelln Sie am Weg nichts an.«

Nachdem die Inspektion gegangen war, konnte der Korporal nicht die giftige Bemerkung verbeißen:

»Also sehn Sie, Schwejk, daß es Ihnen einen Dreck geholfen hat, sich an die höhere Instanz zu wenden. Wenn ich gewollt hätt, hätt ich euch beiden einheizen können.«

»Herr Korporal«, ließ sich der Einjährigfreiwillige vernehmen, »mit Dreck herumwerfen ist mehr oder weniger eine glaubwürdige Argumentation, aber ein intelligenter Mensch soll solche Worte nicht gebrauchen, wenn er aufgeregt ist oder Ausfälle gegen jemanden machen will. Und Ihre Drohung, daß Sie uns beiden hätten einheizen können, ist geradezu lächerlich. Warum, bei allen Teufeln, haben Sies nicht getan, wenn Sie Gelegenheit dazu hatten? Darin zeigt sich bestimmt Ihre große geistige Reife und ungewöhnliche Delikatesse.«

»Jetzt hab ich schon genug!« sagte der Korporal und schnellte empor, »ich kann euch beide ins Kriminal bringen!«

»Und weswegen, Täubchen?« fragte unschuldig der Einjährigfreiwillige.

»Das ist meine Sache!« suchte sich der Korporal Mut zu machen.

»Ihre Sache«, sagte der Einjährigfreiwillige lächelnd, »Ihre und unsere. So wie in den Karten ›Meine Tante – deine Tante‹. Ich möchte eher sagen, daß auf Sie die Bemerkung gewirkt hat, daß Sie zum Rapport gehn werden. Deshalb fangen Sie an, uns anzubrülln, allerdings nicht auf dienstlichem Wege.«

»Ihr seid gemeine Kerle!« sagte der Korporal, seinen ganzen Mut zusammenfassend, um ihnen Furcht einzujagen.

»Ich wer Ihnen was sagen, Herr Korporal«, bemerkte Schwejk, »ich bin schon ein alter Soldat, ich hab vorm Krieg gedient, und diese Beschimpfungen zahlen sich nicht immer aus. Wie ich damals vor Jahren gedient hab, ich erinner mich ganz genau, war bei uns bei der Kompanie ein Kommißknopf namens Schreiter. Er hat wegen der Suppe gedient, hat als Korporal schon längst nach Haus gehn können, aber er war, was man sagt, aufn Kopf gefalln. Also dieser Mensch is uns Soldaten aufn Kappn gesessen, is an uns geklebt wie Dreck am Hund; das war ihm nicht recht, das wieder war gegen alle Vorschriften, er hat uns sekkiert, wie er nur gekonnt hat, und hat uns gesagt: ›Ihr seid keine Soldaten, sondern Wachter.‹ Ich hab eines Tags Wut gekriegt und bin zum Kompanierapport gegangen. ›Was willst du?‹ sagte der Hauptmann. ›Melde gehorsamst, Herr Hauptmann, ich hab eine Beschwerde auf unsern Herrn Feldwebel Schreiter: Wir sind doch kaiserliche Soldaten und keine Wachter nicht. Wir dienen Seiner Majestät dem Kaiser, aber wir sind keine Obsthüter.‹

›Schau, du Ungeziefer‹, hat der Hauptmann geantwortet, ›daß du mir ausn Augen kommst.‹ Und ich drauf, daß ich gehorsamst bitt, mich zum Bataillonsrapport zu führen.

Beim Bataillonsrapport, wie ichs dem Oberstlajtnant erklärt hab, daß wir keine Wachter sind, sondern kaiserliche Soldaten, hat er mich auf zwei Tage einsperrn lassn, und ich hab verlangt, daß man mich zum Regimentsrapport führt. Beim Regimentsrapport hat mich der Herr Oberst nach meiner Erklärung angebrüllt, daß ich ein Idiot bin, ich soll mich zu allen Teufeln scheren. Ich wieder zu ihm: ›Melde gehorsamst, Herr Oberst, ich will dem Brigaderapport vorgeführt wern.‹ Davor is er erschrocken und hat gleich unsern Kommißknopf Schreiter in die Kanzlei rufen lassen, und er hat mich vor allen Offizieren abbitten müssen für das Wort Wachter. Dann hat er mich aufn Hof eingeholt und hat mir mitgeteilt, daß er mich von heut an nicht aufheißen wird, aber daß er mich ins Garnisonsarrest bringen wird. Ich hab von der Zeit sehr gut auf mich Obacht gegeben, aber es hat mir nichts genützt. Ich bin beim Magazin Posten gestanden, und auf der Wand hat jeder Posten immer was aufgeschrieben. Entweder hat man einen weiblichen Geschlechtsteil hingemalt oder irgendeinen Vers hingeschrieben. Mir is nix eingefallen, und so hab ich mich aus Langweil auf die Wand unter die Aufschrift: ›Kommißknopf Schreiter is ein Lümmel!‹ unterschrieben. Und dieser Kerl von einem Kommißknopf hats gleich angezeigt, weil er mir nachspioniert hat wie ein roter Hund. Durch einen unglücklichen Zufall war über dieser Aufschrift eine andere: ›Fällt uns nicht ein, in Krieg zu ziehn, wir scheißen auf ihn.‹ Das war im Jahre 1912, wie wir wegen dem Konsul Prochazka nach Serbien ham ziehn solln. Sie ham mich gleich nach Theresienstadt zum Landesgericht geschickt. Ungefähr fünfzehnmal ham die Herrn vom Kriegsgericht die Wand vom Magazin mit diesen Aufschriften und mit meiner Unterschrift fotografiert, zehnmal ham sie mich aufschreiben lassen, damit man meine Handschrift prüft: ›Fällt uns nicht ein, in Krieg zu ziehn, wir scheißen auf ihn‹, fünfzehnmal hab ich vor ihnen schreiben müssen: ›Kommißknopf Schreiter is ein Lümmel‹, und zum Schluß is ein Grapholog gekommen und hat mich schreiben lassen: ›Es war am 29. Juni 1897, als Königinhof an der Elbe die Schrecken der wilden und angeschwollenen Elbe kennenlernte.‹ ›Das genügt noch nicht‹, hat der Auditor gesagt, ›uns handelt sichs um das Scheißen. Diktieren Sie ihm was, wo viele »sch« und »n« vorkommen.‹ Also hat er mir diktiert: ›Schneck, Schneid, Schanker, Scharitza, Schweinebande‹. Nämlich dieser Gerichtsgrapholog war davon schon ganz beteppert und hat fort nach rückwärts geschaut, wo ein Soldat mit einem Bajonett gestanden is, und zum Schluß hat er gesagt, daß das nach Wien muß, ich soll dreimal hintereinander aufschreiben: ›Auch die Sonne fängt schon an zu scheinen, die Hitze is ausgezeichnet.‹ Sie ham das ganze Material nach Wien geschafft, und zum Schluß hat man gesagt, soweit es sich um die Aufschriften handelt, daß es nicht meine Schrift is, daß aber die Unterschrift mein is, zu der ich mich bekannt hab, und daß ich dafür zu sechs Wochen verurteilt bin und herich in der Zeit was ich mich auf der Mauer unterschrieben hab, nicht wachen gekonnt hab.«

»Da kann man sehn«, sagte der Korporal mit Befriedigung, »daß es doch nicht ungestraft bleibt, wenn man ein richtiger Galgenvogel is. Wenn ich an Stelle dieses Landgerichtes gewesen war, so hätt ich Ihnen sechs Jahre aufgepfeffert und nicht sechs Wochen.«

»Seien Sie nicht so grausam«, ergriff der Einjährigfreiwillige das Wort, »und denken Sie lieber an Ihr Ende. Gerade jetzt hat Ihnen die Inspektion gesagt, daß Sie zum Rapport gehen werden. Auf so etwas sollten Sie sich sehr vorbereiten und über die letzten Dinge eines Korporals nachdenken. Was sind Sie eigentlich gegen das Weltall, wenn Sie bedenken, daß der uns nächste Fixstern von diesem Militärzug 275 000mal weiter entfernt ist als die Sonne und daß seine Parallaxe erst so eine Bogensekunde bilden kann. Würden Sie sich als Fixstern im Weltall befinden, wären Sie entschieden zu unbedeutend, als daß man Sie mit den besten astronomischen Instrumenten wahrnehmen könnte. Für unsere Unbedeutendheit im Weltall gibt es keinen Begriff. In einem halben Jahr würden Sie so einen kleinen Bogen beschreiben, in einem Jahr eine kleine Ellipse, die sich überhaupt nicht mit Ziffern ausdrücken läßt, so unbedeutend wär sie. Ihre Parallaxe wäre nicht meßbar.«

»In so einem Falle«, bemerkte Schwejk, »könnt der Herr Korporal stolz darauf sein, daß ihn jemand ausmessen kann, und solls mit ihm beim Rapport ausfalln wie immer, er muß ruhig sein und darf sich nicht aufregen, weil jede Aufregung der Gesundheit schadet, und jetzt im Krieg muß sich jeder Gesunde schonen, weil die Kriegsstrapazen von jedem einzelnen fordern, daß er kein Krepierl is.«

»Wenn man Sie einsperren wird, Herr Korporal«, fuhr Schwejk mit freundlichem Lächeln fort, »wenn man Ihnen eine Kränkung zufügen wird, dürfen Sie nicht den Verstand verlieren, und wenn die andern sich ihren Teil denken, denken Sie sich auch Ihren Teil. So wie ein Kohlenmann, den ich gekannt hab, ein gewisser Franz Schkvor, was mit mir am Anfang des Kriegs auf der Polizeidirektion in Prag wegen Hochverrat eingesperrt war und später vielleicht wegen der sogenannten pragmatischen Sanktion auch gehängt worn is. Wie man diesen Menschen beim Verhör gefragt hat, ob er Einwände gegen das Protokoll hat, hat er gesagt:

›Wenns auch war, wies halt war, irgendwie wars, denn noch nie wars, daß es nicht irgendwie war.‹

Dann hat man ihn dafür in eine Dunkelzelle gesteckt und ihm zwei Tage nichts zu essen und zu trinken gegeben und hat ihn wieder zum Verhör geführt, und er hat immerfort gesagt: ›Wenns auch war, wies halt war, irgendwie wars, denn noch nie wars, daß es nicht irgendwie war.‹ Kann sein, daß er damit auch untern Galgen gegangen is, wie sie ihn dann zum Militärgericht gebracht ham.«

»Jetzt hängt man und erschießt man ihrer herich viel«, sagte einer von der Eskorte, »unlängst hat man uns am Exerzierplatz einen Befehl vorgelesen, daß man in Motol den Reservisten Kudrna erschossen hat, weil der Hauptmann seinem Buben einen Säbelhieb versetzt hat, wie seine Frau am Bahnhof in Beneschau von ihm Abschied nehmen wollt. Sie hat den Buben am Arm gehabt, und er war furchtbar aufgeregt. Und politische Leute sperrt man überhaupt ein. Auch einen Redakteur in Mähren ham sie erschossen. Und unser Hauptmann hat gesagt, daß es auf die übrigen noch wartet.«

»Alles hat seine Grenzen«, sagte der Einjährigfreiwillige zweideutig.

»Da ham Sie recht«, ließ sich der Korporal vernehmen, »solchen Redakteuren geschieht recht. Sie wiegeln nur das Volk auf. Wie vorvoriges Jahr, wie ich noch Gefreiter war, da hat unter mir ein Redakteur gedient, und der hat mich nicht anders genannt als Verderbnis der Armee, aber wie ich ihn Gelenksübungen gelernt hab, bis er geschwitzt hat, hat er immer gesagt: ›Ich bitte, daß Sie den Menschen in mir achten.‹ Ich hab ihm aber beim ›Nieder‹, wenn viele Pfützen am Kasernenhof waren, gezeigt, was ein Mensch is. Ich hab ihn vor so eine Pfütze geführt, und der Kerl hat hineinfalln müssen, daß das Wasser gespritzt is wie auf der Schwimmschul. Und nachmittags hat schon wieder alles an ihm blitzen müssen, die Montur hat sauber sein müssen wie Glas, und er hat geputzt und geächzt und Bemerkungen gemacht, und am nächsten Tag war er wieder wie eine Sau, was sich im Morast gewälzt hat, und ich bin über ihm gestanden und hab ihm gesagt: ›So, Herr Redakteur, was is mehr, das Verderbnis der Armee oder Ihr Mensch?‹ Das war ein richtiger Intelligenzler.«

Der Korporal blickte siegesbewußt auf den Einjährigfreiwilligen und fuhr fort: »Er hat grad wegen seiner Intelligenz die Einjährigfreiwilligenstreifen verloren, weil er in der Zeitung von Soldatenmißhandlungen geschrieben hat. Aber wie soll man ihn nicht mißhandeln, wenn so ein gebildeter Mensch nicht den Gewehrverschluß auseinandernehmen kann, nicht mal, wenn ichs ihm schon zum zehntenmal zeig, und wenn man sagt: ›Links schaut‹, so dreht er seinen Schädel wie absichtlich nach rechts und schaut dabei drein wie ein Rabe, und bei den Gewehrgriffen weiß er nicht, was er erst packen soll, ob den Riemen oder die Patronentasche und glotzt Sie an wie ein Kalb ein neues Tor, wenn Sie ihm zeigen, wie die Hand am Riemen herunterfahren soll. Er hat nicht mal gewußt, auf welcher Schulter man das Gewehr trägt, und hat salutiert wie ein Aff, und diese Wendungen, Gott steh mir bei, wenn man marschiert is und er gehn gelernt hat. Wenn er sich hat umdrehn solln, wars ihm wurscht, mit welcher Haxen ers gemacht hat, zap, zap, zap, meinetwegen sechs Schritt is er noch nach vorn gegangen, und dann hat er sich erst umgedreht wie ein Bierhahn, und beim Marsch hat er Schritt gehalten wie ein Podagrist, oder er hat getanzt wie eine alte Hure auf der Kirchweih.«

Der Korporal spuckte aus: »Er hat absichtlich ein recht rostiges Gewehr ausgefaßt, damit er putzen lernt, er hats gerieben wie ein Hund eine Hündin, aber wenn er sich auch zwei Kilo Werg gekauft hätt, desto ärger und rostiger wars, und beim Rapport is das Gewehr von Hand zu Hand gegangen, und jeder hat sich gewundert, wies möglich is, daß es lauter Rost is. Unser Hauptmann, der hat ihm immer gesagt, daß aus ihm kein Soldat wern wird, er soll sich lieber aufhängen, daß er das Kommißbrot nicht wert is, und er hat unter seinen Brillengläsern nur so geblinzelt. Das war für ihn ein großer Feiertag, wo er nicht Verschärften oder Kasernarrest gehabt hat. An dem Tag hat er gewöhnlich seine Artikelchen in die Zeitung über Soldatenmißhandlungen geschrieben, bis man ihm mal eine Koffervisitation gemacht hat. Der hat dort Bücher gehabt, Leutl! Lauter Bücher über Abrüstung, über Frieden zwischen den Völkern. Dafür is er in den Garnisonsarrest marschiert, und seit der Zeit hamr von ihm Ruh gehabt, bis er uns auf einmal wieder in der Kanzlei aufgetaucht is und die Fassungen herausgeschrieben hat, damit die Mannschaft nicht mit ihm verkehrt. Das war ein trauriges Ende von einem Intelligenzler. Er hätt ein andrer Herr sein können, wenn er nicht wegen seiner Blödheit das Einjährigfreiwilligenrecht verloren hätt. Er hätt längst Lajtnant sein können.«

Der Korporal seufzte: »Nicht mal die Falten am Mantel hat er in Ordnung gehabt. Bis aus Prag hat er sich Tinkturen und verschiedene Salben zum Knöpfeputzen bestellt, und doch hat so ein Knopf von ihm rostig ausgesehn wie Esau. Aber quatschen hat er können, und wie er in der Kanzlei war, so hat er nichts anderes gemacht, als fortwährend philosophiert. Er hat schon früher dran Gefallen gefunden. Er war fort, wie ich schon gesagt hab, lauter ›Mensch‹. Einmal, wie er so über eine Pfütze nachgedacht hat, in die er beim ›Nieder‹ plumpsen mußte, hab ich ihm gesagt: ›Wenn Sie so fort vom Mensch und vom Kot reden, so erinner ich mich dran, daß der Mensch aus Kot erschaffen worn is, und es hat ihm auch recht sein müssen.‹«

Jetzt, nachdem er sich ausgesprochen hatte, war der Korporal mit sich selbst zufrieden und wartete, was der Einjährigfreiwillige dazu sagen würde. Allein Schwejk ergriff das Wort:

»Wegen diesen selben Sachen, wegen solchen Sekkaturen hat vor Jahren beim fünfunddreißigsten Regiment ein gewisser Konitschek sich und den Korporal erstochen. Es is im ›Kurier‹ gestanden. Der Korporal hat vielleicht dreißig Stichwunden im Leib gehabt, von denen über ein Dutzend tödlich waren. Der Soldat hat sich dann noch auf den toten Korporal gesetzt und hat sich auf ihm im Sitzen erstochen. Ein andrer Fall ist vor Jahren in Dalmatien vorgekommen, dort hat man einem Korporal den Hals durchgeschnitten, und noch heut weiß man nicht, wers gemacht hat. Es is in ein Rätsel gehüllt geblieben, man weiß nur so viel, daß der Korporal mit dem durchgeschnittenen Hals Fiala geheißen hat und aus Drabowny bei Turnau war. Dann weiß ich noch von einem Korporal von den Fünfundsiebzigern, einem gewissen Reimann . . .«

Die erquickliche Erzählung wurde in diesem Augenblick von einem lauten Stöhnen auf der Bank unterbrochen, wo Oberfeldkurat Lacina schlief.

Der Pater erwachte in seiner ganzen Schönheit und Würde. Sein Erwachen war von denselben Erscheinungen begleitet wie das Erwachen des jungen Riesen Gargantua, das der alte lustige Rabelais schilderte.

Der Oberfeldkurat furzte und rülpste auf der Bank und gähnte dröhnend übers ganze Maul. Schließlich setzte er sich und fragte verwundert:

»Kruzilaudon, wo bin ich da?«

Als der Korporal das Erwachen des hohen Herrn sah, antwortete er sehr devot:

»Melde gehorsamst, Herr Oberfeldkurat, daß Sie sich im Arrestantenwagen zu befinden geruhen.«

Ein Blitz des Erstaunens huschte über das Gesicht des Feldkuraten. Er saß eine Weile stumm und dachte angestrengt nach. Vergeblich. Über das, was er in der Nacht und am Morgen erlebt hatte sowie über das Erwachen im Waggon, dessen Fenster mit Gittern versehen waren, breitete sich ein Meer der Undeutlichkeit.

Schließlich fragte er den Korporal, der noch immer devot vor ihm stand: »Und auf wessen Befehl, ich als . . .«

»Melde gehorsamst, ohne Befehl, Herr Oberfeldkurat.«

Der Pater erhob sich, fing an, zwischen den Bänken auf und ab zu gehen und murmelte vor sich hin, daß ihm das unklar sei.

Er setzte sich wieder mit den Worten: »Wohin fahren wir eigentlich?«

»Melde gehorsamst, nach Bruck!«

»Und warum fahren wir nach Bruck?«

»Melde gehorsamst, daß unser ganzes einundneunzigstes Regiment hin versetzt ist.«

Der Pater begann abermals angestrengt nachzudenken, was eigentlich mit ihm geschehen sei, wie er in den Waggon geraten sei, warum er eigentlich nach Bruck fahre und wieso gerade mit dem einundneunzigsten Regiment in Begleitung einer Eskorte.

Er war bereits aus seinem Kater erwacht, so daß er sogar den Einjährigfreiwilligen unterscheiden konnte, weshalb er sich an ihn mit der Frage wandte:

»Sind Sie ein intelligenter Mensch, können Sie mir ohne Umstände erklären, ohne etwas zu verschweigen, wie ich zu euch gekommen bin?«

»Sehr gern«, sagte der Einjährigfreiwillige in kameradschaftlichem Ton, »Sie haben sich uns einfach früh auf dem Bahnhof beim Einsteigen angeschlossen, weil Sie einen schweren Kopf hatten.«

Der Korporal blickte ihn streng an.

»Sie sind zu uns in den Waggon gekrochen«, fuhr der Einjährigfreiwillige fort, »und schon war die Sache perfekt. Sie haben sich auf die Bank gelegt, und hier der Schwejk hat Ihnen seinen Mantel unter den Kopf geschoben. Bei der Zugkontrolle auf der vorigen Station sind Sie ins Verzeichnis der im Zug befindlichen Offiziere eingetragen worden. Sie sind, wenn ich so sagen darf, amtlich entdeckt, und unser Korporal wird deshalb zum Rapport gehn.«

»So, so«, seufzte der Pater, »da sollt ich also auf der nächsten Station in den Stabswaggon steigen. Wissen Sie nicht, ob man schon das Mittagmahl verabreicht hat?«

»Gemittagmahlt wird erst in Wien, Herr Oberfeldkurat«, meldete sich der Korporal zu Wort.

»Sie haben mir also den Mantel unter den Kopf geschoben?« wandte sich der Pater an Schwejk. »Ich danke Ihnen herzlichst.«

»Ich verdien keinen Dank nicht«, antwortete Schwejk, »ich hab so gehandelt, wie jeder Mensch handeln soll, wenn er sieht, daß sein Vorgesetzter nichts unterm Kopf hat und daß er dingsda is. Jeder Soldat soll seinen Vorgesetzten schätzen, sogar wenn er in andern Umständen is. Ich hab große Erfahrungen mit Feldkuraten, weil ich beim Herrn Feldkurat Otto Katz Bursch war. Es is ein lustiges Volk und gutherzig.«

Der Oberfeldkurat bekam infolge des Katers einen Anfall von Demokratie, zog eine Zigarette heraus und reichte sie Schwejk:

»Rauch und paff!«

»Du wirst herich meinetwegen zum Rapport gehn«, wandte er sich an den Korporal, »fürcht dich nicht, ich hau dich schon heraus, nichts wird dir geschehn.«

»Und dich«, sagte er zu Schwejk, »nehm ich mit. Du wirst bei mir leben wie im Steckkissen.«

Er bekam abermals einen Anfall von Großmut und behauptete, daß er allen etwas Gutes erweisen werde: dem Einjährigfreiwilligen werde er Schokolade kaufen, den Männern aus der Eskorte Rum, den Korporal werde er in die Fotografenabteilung des Stabes der 7. Reiterdivision versetzen lassen, alle werde er erlösen und sie niemals vergessen.

Er zog Zigaretten aus der Tasche und begann sie an alle, nicht nur an Schwejk zu verschenken; dabei verkündete er, daß er allen Arrestanten zu rauchen gestatte und dafür sorgen werde, daß man ihre Strafe mildere und sie wieder dem normalen militärischen Leben zurückgebe.

»Ich will nicht«, sagte er, »daß ihr euch meiner im Bösen erinnert. Ich habe viele Bekanntschaften, und mit mir seid ihr nicht verloren. Ihr macht überhaupt auf mich den Eindruck anständiger Menschen, die Gott liebt. Wenn ihr gesündigt habt, so büßt ihr eure Strafe ab, und ich sehe, daß ihr gern und willfährig erduldet, was Gott über euch verhängt hat.«

»Aus welchem Grunde«, wandte er sich an Schwejk, »sind Sie bestraft worden?«

»Gott hat durch den Regimentsrapport eine Strafe über mich verhängt, Herr Oberfeldkurat«, erwiderte Schwejk fromm, »wegen unverschuldetem Zuspätkommen zum Regiment.«

»Gott ist im höchsten Maße barmherzig«, sagte der Oberfeldkurat feierlich, »er weiß, wen er strafen soll, denn dadurch zeigt er nur seine Voraussicht und Allmacht. Und warum sitzen Sie, Einjährigfreiwilliger?«

»Ich sitze«, antwortete der Einjährigfreiwillige, »weil der barmherzige Gott geruht hat, Rheumatismus über mich zu verhängen, und ich übermütig geworden bin. Nach Verbüßung der Strafe werde ich in die Küche geschickt werden.«

»Was Gott tut, ist wohlgetan«, bemerkte der Pater begeistert, als er von der Küche hörte, »auch dort kann ein anständiger Mensch Karriere machen. Gerade zur Küche sollte man intelligente Menschen geben, wegen der Kombinationen, denn es kommt nicht drauf an, wie man kocht, sondern mit welcher Liebe man die Speisen zusammensetzt, auf die Zubereitung und andere Dinge. Nehmen Sie die Soßen. Wenn ein intelligenter Mensch Zwiebelsoße macht, so nimmt er alle Arten Gemüse und dünstet sie auf Butter, dann gibt er Gewürze, Pfeffer, Neugewürz, etwas Muskat, Ingwer dazu; aber ein gewöhnlicher ordinärer Koch läßt die Zwiebeln kochen und wirft schwarze Einbrenn aus Rindsfett hinein. Sie möcht ich wirklich am liebsten irgendwo in der Offiziersmenage sehn. Ohne Intelligenz kann der Mensch in einem gewöhnlichen Beruf und im Leben durchkommen, aber bei der Küche merkt mans. Gestern abend in Budweis im Offizierskasino hat man uns unter anderm Nieren à la Madeira serviert. Wer das gemacht hat, dem soll Gott alle Sünden verzeihn, das war wirklich ein Gebildeter, und in der dortigen Küche ist auch wirklich ein Lehrer aus Skutsch. Und dieselben Nieren à la Madeira hab ich in der Offiziersmenage vom 64. Landwehrregiment gegessen. Dort hat man Kümmel hineingetan, so wie mans in einem gewöhnlichen Wirtshaus auf Pfeffer macht. Und wer hat sie gemacht, was war der Koch in Zivil? Viehknecht in einem Bauerngut.«

Der Oberfeldkurat verstummte, leitete dann das Gespräch auf das Küchenproblem im Alten und Neuen Testament über und erklärte, daß man die Zubereitung schmackhafter Speisen nach Gottesdiensten und anderen Kirchenfeiern sehr berücksichtige. Dann forderte er alle auf, etwas zu singen, worauf Schwejk, unglücklich wie immer, loslegte: »Geht das Jungfräulein in die Stadt hinein, die Pfarrer hinterdrein mit einem Fäßchen Wein.«

Aber der Oberfeldkurat wurde nicht böse.

»Wenns wenigstens bißchen Rum gäbe, es müßt nicht mal ein Fäßchen Wein sein«, sagte er lächelnd in durchaus freundschaftlicher Stimmung, »und das Jungfräulein möchten wir uns auch verzeihn, das verführt ohnehin nur zum Sündigen.«

Der Korporal griff behutsam in den Mantel und zog eine Flasche mit Rum heraus.

»Melde gehorsamst, Herr Oberfeldkurat«, meldete er leise, und man konnte merken, welches Opfer er sich selbst brachte, »wenn es Sie vielleicht nicht beleidigt.«

»Mich beleidigt nichts, Junge«, antwortete mit heiter gewordener Stimme freudig der Pater, »ich werde auf eine glückliche Reise trinken.«

»Jesusmaria«, seufzte der Korporal für sich, als er sah, daß durch den gründlichen Schluck die Flasche halb leer geworden war.

»Ach, Sie Einer, Sie«, sagte der Oberfeldkurat lächelnd und blinzelte dem Einjährigfreiwilligen bedeutungsvoll zu, »fangen Sie noch an zu fluchen. Dann muß der liebe Gott Sie strafen.«

Der Pater führte abermals die flache Flasche zum Mund, reichte sie Schwejk und befahl gebieterisch: »Trink aus.«

»Krieg is Krieg«, sagte Schwejk gutherzig zum Korporal, während er ihm die leere Flasche reichte. Die Antwort des Korporals bestand in einem sonderbaren Aufblitzen der Augen, wie man es nur bei geisteskranken Menschen zu sehen pflegt.

»Jetzt werde ich bis Wien noch ein bißchen schnarchen«, sagte der Oberfeldkurat, »und wünsche, daß ihr mich sofort weckt, wie wir in Wien ankommen.«

»Und Sie«, wandte er sich an Schwejk, »Sie gehn in die Küche der Offiziersmenage, nehmen ein Besteck und bringen mir das Mittagsmahl. Sagen Sie, daß es für Herrn Oberfeldkurat Lacina ist. Trachten Sie, daß Sie eine doppelte Portion bekommen. Wenn es Knödel geben sollte, nehmen Sie nicht vom Eck, daran büßt man nur ein. Dann bringen Sie mir aus der Küche eine Flasche Wein, und nehmen Sie die Eßschale mit, damit man Ihnen Rum hineingießt.«

Pater Lacina wühlte in seinen Taschen.

»Hören Sie«, sagte er dem Korporal, »ich hab kein Kleingeld, borgen Sie mir einen Gulden. So, da haben Sie! Wie heißen Sie?«

»Schwejk.«

»Da haben Sie einen Gulden für den Weg, Schwejk. – Sehn Sie, Schwejk, den zweiten Gulden bekommen Sie, wenn Sie alles ordentlich besorgen. – Man soll Ihnen auch Zigaretten und Zigarren für mich geben. Wenn man Schokolade fassen sollte, so packen Sie eine doppelte Portion ein, wenns Konserven gibt, so trachten Sie, daß man Ihnen geräucherte Zunge gibt oder Gansleber. Wenn man Emmentaler gibt, so schaun Sie, daß man Ihnen nicht vom Rand gibt, und wenn Sie ungarische Salami fassen sollten, so kein Ende, hübsch aus der Mitte, damit sie saftig ist.«

Der Oberfeldkurat legte sich auf den Bauch und schlief bald darauf ein.

»Ich denke«, sagte der Einjährigfreiwillige zum Korporal, während der Pater schnarchte, »daß Sie mit unserem Findling ganz zufrieden sein können. Er hat sich ganz nett herausgemaust.«

»Er is schon, wie man zu sagen pflegt, abgestillt, Herr Korporal«, ergriff Schwejk das Wort, »er zuzelt schon aus der Flasche.«

Der Korporal kämpfte eine Zeitlang mit sich selbst, dann verlor er plötzlich alle Unterwürfigkeit und sagte hart: »Er is aber sehr zahm.«

»Er erinnert mich mit dem Kleingeld, das er nicht hat, an einen gewissen Mlitschko«, bemerkte Schwejk. »Er war Maurer in Dejwitz und hat auch so lang kein Kleingeld gehabt, bis er sich bis zum Hals verschuldet hat und wegen Betrug eingesperrt worn is. Das große Geld hat er verfressen, und Kleingeld hat er keins gehabt.«

»Beim fünfundsiebzigsten Regiment«, ließ sich ein Mann aus der Eskorte vernehmen, »hat der Hauptmann vorm Krieg die ganze Regimentskassa versoffen und hatn Abschied nehmen müssen, und jetzt is er wieder Hauptmann, und ein Feldwebel, was das Ärar um Tuch auf Aufschläge bestohln hat – es waren über zwanzig Pakete –, is heut Stabsfeldwebel, und ein Infanterist ist unlängst in Serbien erschossen worn, weil er seine Konserve auf einmal aufgegessen hat, die er sich auf drei Tage hat lassen solln.«

»Das gehört nicht her«, verkündete der Korporal, »aber das is wahr, sich von einem armen Korporal zwei Gulden auf Trinkgeld ausborgen . . .«

»Da ham Sie den Gulden«, sagte Schwejk, »ich will mich nicht auf Ihr Konto bereichern. Und wenn er mich noch den andern Gulden gibt, so gib ich ihn Ihnen auch zurück, damit Sie nicht heulen. Es sollt Ihnen Freude machen, wenn sich ein militärischer Vorgesetzter von Ihnen Geld auf die Zeche ausborgt. Sie sind aber sehr egoistisch. Hier handelt sichs um elende zwei Gulden. Ich möcht Sie gern sehn, wenn Sie Ihrem militärischen Vorgesetzten das Leben opfern sollten, wenn er verwundet vor der feindlichen Stellung liegen möcht, und Sie ihn retten und auf Ihren Armen wegtragen sollten, und man möcht mit Schrapnells und allem möglichen auf Sie schießen.«

»Sie möchten sich bemachen«, wehrte sich der Korporal, »Sie Pfeifendeckel, Sie.«

»In jedem Gefecht gibts mehrere, was bemacht sind«, ließ sich abermals ein Mann aus der Eskorte vernehmen, »unlängst hat uns ein verwundeter Kamerad in Budweis erzählt, daß er sich, wie sie vorgerückt sind, dreimal hintereinander bemacht hat. Zuerst wie sie aus den Deckungen auf den Platz vor den Drahthindernissen hinaufgekrochen sind, dann wie sie angefangen ham sie durchzuschneiden, und zum drittenmal hat ers in die Hosen gelassen, wie die Russen mit Bajonetten auf sie gestürzt sind und ›Uraa‹ gebrüllt ham. Dann ham sie angefangen, wieder in die Deckungen zurückzulaufen, und von ihrem Schwarm war kein einziger, was nicht bemacht gewesen war. Und ein Toter, der mitn Füßen nach unten oben auf der Deckung gelegen is und dem beim Vorrücken ein Schrapnell den halben Kopf abgerissen hat, wie wenn man ihn entzweigeschnitten hätt, der hat sich im letzten Augenblick so bemacht, daß es aus seinen Hosen über die Schuh heruntergeflossen is in die Deckungen mitsamt dem Blut. Und die Hälfte von seinem Schädel mitsamtm Hirn is grad druntergelegen. Man weiß gar nicht, wies einem passiert.«

»Manchmal«, sagt Schwejk, »macht sich einem wieder im Gefecht schlecht, etwas wird einem zuwider. In Prag aufm Pohořelec in der ›Aussicht‹ hat ein kranker Rekonvaleszent von Przemysl erzählt, daß er dort unter der Festung zum Bajonettangriff gekommen is. Ihm gegenüber is ein Russ' aufgetaucht, ein Kerl wie ein Berg, und is auf ihn mitm Bajonett losgegangen und hat einen großen Tropfen unter der Nase gehabt. Wie er ihm auf diesen Tropfen geschaut hat, auf diesen Rotz, hat sich ihm herich gleich so schlecht gemacht, daß er hat aufn Hilfsplatz gehn müssen, wo man ihn für cholerakrank befunden hat, man hat ihn in die Cholerabaracke in Pest geschafft, wo er sich auch wirklich angesteckt hat.«

»War es ein gewöhnlicher Infanterist oder ein Korporal?« fragte der Einjährigfreiwillige.

»Ein Korporal«, antwortete Schwejk ruhig.

»Das könnt auch jedem Einjährigfreiwilligen geschehn«, sagte der Korporal blöd, aber dabei blickte er siegesbewußt den Einjährigfreiwilligen an, als wollte er sagen: »Hab ichs dir aber gegeben, was wirst du darauf antworten?«

Der Einjährigfreiwillige aber schwieg und legte sich auf die Bank.

Sie näherten sich Wien. Diejenigen, die nicht schliefen, beobachteten aus dem Fenster die Drahtverhaue und Befestigungen um Wien, was sichtlich im ganzen Zug das Gefühl einer gewissen Niedergeschlagenheit hervorrief.

Das Gebrüll der Hammelhüter aus Bergreichenstein, »Wann ich kumm, wann ich kumm, wann ich wieda-wieda kumm«, das aus den Waggons tönte, verstummte unter dem unangenehmen Eindruck des Stacheldrahtes, mit dem Wien verdrahtet war.

»Alles is in Ordnung«, sagte Schwejk, die Schützengräben betrachtend, »alles is vollkommen in Ordnung, nur daß sich hier die Wiener auf Ausflügen die Hosen zerreißen können. Hier muß man vorsichtig sein.«

»Wien is überhaupt eine wichtige Stadt«, fuhr er fort, »wieviel wilde Tiere es nur in der Schönbrunner Menagerie gibt. Wie ich vor Jahren in Wien war, so bin ich mir am liebsten die Affen anschaun gegangen, aber wenn eine Persönlichkeit aus dem kaiserlichen Schloß fährt, so läßt man niemanden durchn Kordon durch. Ein Schneider ausn zehnten Bezirk war mit mir, und den hat man eingesperrt, weil er um jeden Preis die Affen hat sehn wolln.«

»Waren Sie auch im Schloß?« fragte der Korporal.

»Dort is sehr schön«, antwortete Schwejk, »ich war nicht dort, aber jemand hats mir erzählt, der dort war. Am schönsten is die Burgwache. Jeder von ihnen muß herich zwei Meter hoch sein, und dann kriegt er eine Trafik. Und Prinzessinnen gibts dort wie Mist.«

Sie fuhren durch irgendeinen Bahnhof. Hinter ihnen verhallten die Klänge der österreichischen Hymne, die eine wohl irrtümlich hierhergekommene Kapelle spielte, denn erst nach geraumer Zeit fuhren sie mit dem Zug in einen Bahnhof ein, auf dem sie hielten. Es wurde Menage verteilt, und ein feierlicher Empfang fand statt.

Aber es war nicht mehr so wie zu Kriegsbeginn. Zu Kriegsbeginn hatten sich die Soldaten auf der Fahrt an die Front auf jedem Bahnhof überfressen, waren von Kranzeljungfern mit idiotischen weißen Kleidern und noch blöderen Gesichtern, verdammt dummen Blumensträußen und einer noch dümmeren Ansprache irgendeiner Dame empfangen worden, deren Gatte heute den überzeugten Patrioten und Republikaner spielt.

Beim Empfang in Wien waren drei Mitglieder des österreichischen Roten Kreuzes anwesend, zwei Mitglieder irgendeines Kriegsvereines, Wiener Frauen und Mädchen, ein offizieller Vertreter des Wiener Magistrats und des Militärkommandanten.

Auf allen Gesichtern zeichnete sich Ermüdung. Die Militärzüge fuhren bei Tag und bei Nacht, Sanitätswagen mit Verwundeten fuhren jede Stunde durch, auf den Bahnhöfen wurden beinahe ununterbrochen Waggons mit Gefangenen von einem Gleise auf das andere verschoben, und bei allem mußten die Mitglieder dieser verschiedenen Korporationen und Vereine zugegen sein. So ging es Tag für Tag, und die ursprüngliche Begeisterung verwandelte sich in Gähnen. Man löste einander im Dienst ab, und jeder, der die Pflicht hatte, auf einem Wiener Bahnhof zu erscheinen, sah genauso müde und erschöpft aus wie diejenigen, welche heute den Zug mit dem Budweiser Regiment erwarteten.

Aus den Viehwagen schauten Soldaten mit dem Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, wie ihn jene haben, die zum Galgen gehen. Damen näherten sich ihnen und verteilten Pfefferkuchen an sie mit der Aufschrift aus Zucker »Sieg und Rache!«, »Gott strafe England«, »Der Österreicher hat ein Vaterland, er liebt's und hat auch Ursach, fürs Vaterland zu kämpfen«.

Man sah, wie sich die Bergbewohner aus Bergreichenstein mit Pfefferkuchen stopften, wobei der Ausdruck der Hoffnungslosigkeit nicht von ihnen wich.

Dann wurde der Befehl erteilt, kompanieweise zu den auf dem Bahnhof stehenden Feldküchen zu marschieren und die Menage zu holen.

Dort befand sich auch die Offiziersküche, wo Schwejk die Empfehlung des Oberfeldkuraten bestellte, während der Einjährigfreiwillige aufs Essen wartete, denn zwei Mann der Eskorte waren für den ganzen Arrestantenwagen Menage holen gegangen.

Schwejk richtete pflichtgetreu den Auftrag aus, und während er das Gleise überschritt, erblickte er Oberleutnant Lukasch, der zwischen den Schienen auf und ab ging. Er wartete, ob in der Offiziersmenage etwas für ihn übrigbleiben werde.

Seine Situation war recht unangenehm, denn vorläufig hatte er mit Oberleutnant Kirschner zusammen einen Burschen. Der Kerl kümmerte sich eigentlich ausschließlich um seinen Herrn und führte eine vollständige Sabotage durch, soweit es sich um Oberleutnant Lukasch handelte.

»Wem tragen Sie das, Schwejk?« fragte der unglückliche Oberleutnant, als Schwejk eine Unmenge Sachen, die er aus der Offiziersmenage herausgelockt und in den Mantel eingewickelt hatte, auf die Erde legte.

Schwejk war einen Augenblick erschrocken, faßte sich jedoch sofort wieder. Sein Gesicht war voll Jubel und Ruhe, als er entgegnete:

»Das is für Sie, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant. Ich weiß nur nicht, wo Sie Ihr Kupee ham, und dann weiß ich auch nicht, ob nicht der Herr Zugkommandant was dagegen haben wird, daß ich mit Ihnen geh. Mir scheint, er is ein Schwein.«

Oberleutnant Lukasch blickte fragend auf Schwejk, der jedoch gutmütig und vertraulich fortfuhr: »Er is wirklich ein Schwein, Herr Oberlajtnant. Wie er im Zug auf Inspektion war, hab ich ihm gleich gemeldet, daß schon elf Uhr is und daß ich die ganze Strafe abgesessen hab und daß ich entweder in den Viehwagen oder zu Ihnen gehör, und er hat mich gemein abgefertigt, ich soll herich nur bleiben, wo ich bin, damit ich Ihnen, Herr Oberlajtnant, wenigstens am Weg nicht wieder einen Schkandal mach.«

Schwejk setzte eine Märtyrermiene auf. »Wie wenn ich Ihnen, Herr Oberlajtnant, überhaupt je Schkandal machen möcht.«

Oberleutnant Lukasch seufzte.

»Schkandal«, fuhr Schwejk fort, »hab ich Ihnen sicher nie gemacht, wenn was passiert is, so wars ein Zufall, eine reine Fügung Gottes, wie der alte Wanitschek aus Pilgram immer gesagt hat, wie er sich die sechsunddreißigste Strafe abgesessen hat. Nie hab ich was zufleiß gemacht, Herr Oberlajtnant, immer hab ich was Geschicktes, Gutes machen wolln, und ich kann nicht dafür, wenn wir beide keinen Profit davon gehabt ham und nur lauter Kummer und Unglück.«

»Weinen Sie nicht so, Schwejk«, sagte Oberleutnant Lukasch mit weicher Stimme, als sie sich dem Stabswaggon näherten, »ich werde alles einrichten, damit Sie wieder bei mir bleiben.«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich wein nicht. Mir hats nur plötzlich so furchtbar leid getan, daß wir beide die unglücklichsten Menschen in diesem Krieg und unter der Sonne sind und daß wir beide für nix können. Es is ein gräßliches Schicksal, wenn ich bedenk, daß ich seit jeher so fürsorglich bin.«

»Beruhigen Sie sich, Schwejk.«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, wenns nicht gegen die Subordination wär, möcht ich sagen, daß ich mich überhaupt nicht beruhigen kann, aber so möcht ich sagen, daß ich Ihrem Befehl gemäß schon ganz ruhig bin.«

»Also kriechen Sie nur in den Waggon, Schwejk.«

»Melde gehorsamst, daß ich schon kriech, Herr Oberlajtnant.«

 

Über das Militärlager in Bruck bereitete sich nächtliche Stille. In den Mannschaftsbaracken zitterten die Soldaten vor Kälte, und in den Offiziersbaracken wurden die Fenster geöffnet, weil die Baracken überheizt waren.

Von den einzelnen Objekten her, vor denen Wachposten standen, ließen sich von Zeit zu Zeit die Schritte der Soldaten vernehmen, die durch Auf- und Abgehen den Schlaf verscheuchten.

Unten in Bruck an der Leitha glänzten die Lichter der k. k. Fleischkonservenfabrik, wo Tag und Nacht gearbeitet und allerhand Abfälle verarbeitet wurden. Da der Wind von dort in die Allee des Militärlagers wehte, brachte er den Gestank von verfaulenden Sehnen, Hufen, Klauen und Knochen mit, aus denen die Suppenkonserven zubereitet wurden.

Von einem verlassenen Pavillon aus, wo in Friedenszeiten irgendein Fotograf die Soldaten fotografiert hatte, die ihre Jugend auf der Militärschießstätte verbrachten, konnte man unten im Tal der Leitha das rote elektrische Licht des Bordells »Zum Kukuruzkolben« sehen, das Erzherzog Stephan während der großen Manöver bei Sopron im Jahre 1918 mit seinem Besuch beehren sollte. Täglich versammelte sich hier eine Offiziersgesellschaft.

Es war das beste verrufenste Lokal, das gemeine Soldaten und Einjährigfreiwillige nicht betreten durften.

Die gingen ins »Rosenhaus«, dessen grüne Lichter man ebenfalls von dem verlassenen Fotografenatelier aus sehen konnte.

Es war dieselbe Klasseneinteilung wie später an der Front, als die Monarchie ihren Truppen mit nichts anderem mehr helfen konnte als mit fahrbaren Bordellen beim Brigadestab, den sogenannten »Puffs«.

Es gab damals einen k. k. Offizierspuff, einen k. k. Unteroffiziers- und einen k. k. Mannschaftspuff.

Bruck an der Leitha erstrahlte, ebenso wie auf der andern Seite der Brücke Királyhida leuchtete. Zisleithanien und Transleithanien. In beiden Städten, in der ungarischen sowie in der Österreichischen, spielten Zigeunerkapellen, strahlten die Fenster der Kaffeehäuser und Restaurants, sang und trank man. Die eingeborenen Bürger und Beamten führten ihre Frauen und erwachsenen Töchter in diese Kaffeehäuser und Restaurants, und Bruck an der Leitha und Királyhida waren nichts anderes mehr als ein großes Bordell.

In einer der Offiziersbaracken im Lager wartete Schwejk des Nachts auf Oberleutnant Lukasch, der am Abend in die Stadt ins Theater gegangen und noch nicht zurückgekehrt war. Schwejk saß auf dem offenen Bett des Oberleutnants, und ihm gegenüber auf dem Tisch saß der Diener Major Wenzls.

Der Major war wieder zum Regiment zurückgekehrt, nachdem in Serbien an der Drina seine vollständige Unfähigkeit festgestellt worden war. Man sprach davon, daß er die Pontonbrücke hatte auseinandernehmen und zerstören lassen, als noch die Hälfte seines Bataillons auf der andern Seite stand. Jetzt war er in Királyhida als Kommandant zugeteilt und hatte auch mit der Intendantur im Lager zu tun. In Offizierskreisen munkelte man, Major Wenzl werde sich jetzt wieder auf die Beine helfen. Die Zimmer Lukaschs und Wenzls befanden sich auf dem gleichen Gang. Mikulaschek, der Diener Major Wenzls, ein kleiner, blatternarbiger Bursche, baumelte mit den Beinen und schimpfte: »Ich wunder mich, daß dieser alte Fallott noch nicht kommt! Ich möcht gern wissen, wo sich dieser Zappelgreis die ganze Nacht herumtreibt. Wenn er mir wenigstens den Schlüssel vom Zimmer geben möcht, ich möcht mich niederlegen und saufen, ich hab dort massenhaft Wein.«

»Er stiehlt herich«, unterbrach ihn Schwejk, der behaglich die Zigaretten seines Oberleutnants rauchte, da ihm dieser verboten hatte, im Zimmer aus der Pfeife zu paffen, »du mußt doch was davon sehn, woher wir den Wein ham?«

»Ich geh dorthin, wohin er mich schickt«, sagte Mikulaschek mit dünner Stimme, »ich krieg eine Karte von ihm, und schon geh ich für Kranke fassen und trags nach Hause.«

»Und wenn er dir befehlen möcht«, fragte Schwejk, »daß du die Regimentskassa stiehlst, möchtest dus machen? Hier bei mir schimpfst du, aber vor ihm zitterst du wie Espenlaub.«

Mikulaschek blinzelte mit den kleinen Äuglein:

»Das möcht ich mir überlegen.«

»Nichts darfst du dir überlegen, du grüner Junge, du!« schrie ihn Schwejk an, verstummte jedoch, weil sich die Türe öffnete und Oberleutnant Lukasch eintrat. Er war, wie man sofort merken konnte, in sehr guter Laune, denn er hatte die Mütze verkehrt auf.

Mikulaschek erschrak so sehr, daß er vom Tisch zu springen vergaß; aber er salutierte im Sitzen, denn er vergaß auch, daß er keine Mütze auf dem Kopf hatte.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, alles in Ordnung«, meldete Schwejk, ein streng militärisches, vorschriftsmäßiges Aussehen annehmend, wobei er vergaß, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen.

Der Oberleutnant bemerkte es jedoch nicht und schritt geradewegs auf Mikulaschek zu, der mit herausgewälzten Augen jede Bewegung des Oberleutnants beobachtete, ununterbrochen salutierte und noch immer auf dem Tisch saß.

»Oberleutnant Lukasch«, sagte dieser, mit nicht allzu festen Schritten zu Mikulaschek tretend. »Und wie heißen Sie?«

Mikulaschek schwieg. Lukasch zog einen Stuhl vor den auf dem Tisch sitzenden Mikulaschek, setzte sich, schaute zu ihm hinauf und sagte: »Schwejk, bringen Sie mir aus dem Koffer den Dienstrevolver.«

Während Schwejk im Koffer suchte, schwieg Mikulaschek unentwegt und blickte nur entsetzt den Oberleutnant an. Wenn es ihm in diesen Augenblicken klar wurde, daß er auf dem Tisch saß, versetzte ihn dies bestimmt in eine noch größere Verzweiflung, denn seine Füße berührten die Knie des sitzenden Oberleutnants.

»Hallo, wie heißen Sie, Menschenskind?« rief der Oberleutnant zu Mikulaschek hinauf.

Der aber schwieg beharrlich. Wie er später erklärte, hatte ihn bei dem unverhofften Eintritt des Oberleutnants eine Art Lähmung befallen. Er wollte hinunterspringen und konnte nicht, wollte antworten und konnte nicht, wollte aufhören zu salutieren, aber es ging nicht.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant«, meldete sich Schwejk, »daß der Revolver nicht geladen is.«

»Also laden Sie ihn, Schwejk!«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß wir keine Patronen ham und daß man den da sicher schwer vom Tisch herunterschießen können wird. Ich erlaube mir zu bemerken, Herr Oberlajtnant, daß es der Mikulaschek is, der Bursch vom Herrn Major Wenzl. Der verliert immer die Sprache, wenn er jemanden von den Herrn Offizieren sieht. Er schämt sich überhaupt zu sprechen. Es is überhaupt, wie ich sag, so ein blödes grünes Füllen. Der Herr Major Wenzl läßts immer am Gang stehn, wenn er in die Stadt geht, und es treibt dann sich mit Ach und Krach bei den andern Burschen in den Baracken herum. Wenns noch einen Grund hätt, so zu erschrecken, aber es hat ja eigentlich nichts angestellt.«

Schwejk spuckte aus, und seine Stimme sowie dem Umstand, daß er von Mikulaschek im sächlichen Geschlecht sprach, merkte man seine vollständige Verachtung der Feigheit und des unmilitärischen Betragens seines Kollegen an.

»Erlauben Sie«, fuhr Schwejk fort, »daß ich zu ihm rieche.«

Schwejk zog den unaufhörlich idiotisch auf den Oberleutnant schauenden Mikulaschek vom Tisch, stellte ihn auf den Boden und roch zu seinen Hosen.

»Noch nicht«, verkündet er, »aber es fängt schon an. Soll ich ihn hinauswerfen?«

»Werfen Sie ihn hinaus, Schwejk.«

Schwejk führte den zitternden Mikulaschek auf den Gang, schloß hinter sich die Türe zu und sagte ihm: »Ich hab dir also das Leben gerettet, du blöder Kerl. Daß du mir dafür eine Flasche Wein bringst, bis der Herr Major zurückkommt. Spaß beiseite. Ich hab dir wirklich das Leben gerettet. Wenn mein Oberleutnant besoffen is, so is es schlimm, mit dem verstehs nur ich und kein anderer.«

»Ich bin . . .«

»Ein Furz bist du«, drückt sich Schwejk verächtlich aus, »sitz auf der Schwelle und wart, bis dein Major zurückkommt.«

»Daß Sie endlich kommen«, wurde Schwejk von Oberleutnant Lukasch empfangen, »ich will mit Ihnen sprechen. Sie müssen nicht wieder so blöd Habtacht stehn – setzen Sie sich, Schwejk, und lassen Sie sich das: zu Befehl! Halten Sie das Maul und passen Sie gut auf! Wissen Sie, wo in Királyhida die Sopronyi utca ist? Lassen Sie sich schon endlich mal Ihr: ›Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich weiß es nicht.‹ Wenn Sies nicht wissen, so sagen Sie: ich weiß nicht, und basta. Schreiben Sie sich auf ein Stückchen Papier auf: ›Sopronyi utca, Nummer 16‹. In dem Haus ist ein Eisengeschäft. Wissen Sie, was das ist, ein Eisengeschäft? Herrgott, sagen Sie nicht: melde gehorsamst. Sagen Sie: ich weiß oder ich weiß nicht. Wissen Sie also, was ein Eisengeschäft ist? Sie wissen es, gut. Der Laden gehört einem Magyaren, einem gewissen Kakonyi. Wissen Sie, was das ist, ein Magyar? Also Himmelherrgott, wissen Sies oder wissen Sies nicht? Sie wissen es, gut. Oben über dem Laden ist der erste Stock, und dort wohnt er. Wissen Sie davon? Sie wissen es nicht, Kruzifix, ich sag Ihnen also, daß er dort wohnt. Genügt Ihnen das? Es genügt Ihnen, gut. Wenn es Ihnen nicht genügen sollte, laß ich Sie einsperren. Haben Sie sich notiert, daß der Kerl Kakonyi heißt? Gut, also Sie werden morgen früh ungefähr um zehn Uhr in die Stadt hinuntergehen, das Haus finden und in den ersten Stock hinaufgehn und Frau Kakonyi diesen Brief übergeben.«

Oberleutnant Lukasch öffnete die Brusttasche und gab Schwejk gähnend einen weißen Briefumschlag ohne Adresse in die Hand.

»Es ist eine sehr wichtige Angelegenheit, Schwejk«, fuhr er fort. »Vorsicht schadet nie, und deshalb steht, wie Sie sehn, keine Adresse drauf. Ich verlaß mich vollständig auf Sie, daß Sie den Brief richtig abgeben. Notieren Sie sich noch, daß die Dame Etelka heißt, schreiben Sie sich auf ›Frau Etelka Kakonyi‹. Ich sag Ihnen noch, daß Sie den Brief unter allen Umständen diskret überreichen und auf Antwort warten müssen. Daß Sie auf Antwort warten solln, das steht schon im Brief. Was wolln Sie noch?«

»Wenn sie mir keine Antwort geben möchte, Herr Oberlajtnant, was soll ich machen?«

»Dann werden Sie sie daran erinnern, daß ich um jeden Preis Antwort bekommen muß«, antwortete der Oberleutnant, neuerdings über das ganze Gesicht gähnend, »jetzt geh ich aber schon schlafen, ich bin heut wirklich müde. Was ich nur zusammgetrunken hab. Ich denke, jeder wäre so müde nach so einem Abend und so einer Nacht.«

Oberleutnant Lukasch hatte ursprünglich nicht die Absicht gehabt, lange auszubleiben. Er war gegen Abend aus dem Lager in die Stadt gegangen, um das magyarische Theater in Királyhida zu besuchen. Man spielte eine magyarische Operette, deren Hauptrollen mit molletten jüdischen Schauspielerinnen besetzt waren, deren fabelhafter Vorzug darin bestand, daß sie beim Tanzen die Beine in die Höhe warfen und weder Trikots noch Hosen anhatten. Der größeren Attraktionskraft auf die Offiziere zulieb rasierten sie sich unten aus wie die Tatarinnen. Die Galerie hatte davon allerdings keinen Genuß, einen um so größeren aber die Artillerieoffiziere, die unten im Parkett saßen und dieses schönen Anblicks halber ins Theater ihre Artillerietrieder mitnahmen.

Oberleutnant Lukasch interessierte diese interessante Schweinerei jedoch nicht, denn der ausgeborgte Operngucker war nicht achromatisch, und Lukasch erblickte statt der Schenkel nur wackelnde violette Flächen.

In der Pause nach dem ersten Akt fesselte ihn eher eine Dame, die einen Herrn in mittleren Jahren, der sie begleitete, zur Garderobe zog und ihm erklärte, daß sie sofort nach Hause gehen und solche Sachen nicht mit ansehen werde. Das sagte sie ziemlich laut in deutscher Sprache, worauf ihr Begleiter auf magyarisch erwiderte: »Ja, Engelchen, wir gehn, ich bin einverstanden. Es ist wirklich eine geschmacklose Sache.«

»Es ist ekelhaft«, antwortete die Dame entrüstet, als der Herr ihr den Abendmantel umwarf. Ihre Augen loderten dabei vor Aufregung über diese Unverschämtheit, große, schwarze Augen, die so gut zu ihrer schönen Gestalt paßten. Sie schaute dabei Oberleutnant Lukasch an und wiederholte noch einmal energisch: »Ekelhaft, wirklich ekelhaft!« Das war entscheidend für einen kurzen Roman.

Die Informationen der Garderobiere gingen dahin, daß es sich um das Ehepaar Kakonyi handle. Der Herr habe in der Sopronyi utca Nummer 16 ein Eisengeschäft.

»Und wohnt mit Frau Etelka im ersten Stock«, sagte die Garderobiere mit der Genauigkeit einer alten Kupplerin, »sie ist eine Deutsche aus Sopron, und er ist Magyar; hier ist alles durcheinandergemischt.«

Oberleutnant Lukasch nahm ebenfalls seinen Mantel aus der Garderobe und ging in die Stadt, wo er in der großen Weinstube »Zum Erzherzog Albrecht« mit einigen Offizieren vom 91. Regiment zusammentraf.

Er sprach nicht viel und trank desto mehr. Dabei kombinierte er, was er der strengen, moralischen, hübschen Dame, die ihn entschieden mehr anzog als all die Affen auf der Bühne – wie die andern Offiziere sie bezeichneten –, eigentlich schreiben solle.

Überaus gut gelaunt, begab er sich dann in das kleine Kaffeehaus »Zum Kreuz des heiligen Stephan«, zog sich in ein kleines Chambre séparée zurück, jagte eine Rumänin davon, die sich erbötig machte, sich nackt auszuziehen, worauf er mit ihr machen könne, was er wolle, bestellte Tinte, Feder, Briefpapier und eine Flasche Kognak und schrieb nach bedächtiger Erwägung folgenden Brief, der ihm der schönste zu sein schien, den er jemals geschrieben hatte:

»Gnädige Frau!

Ich war gestern im Stadttheater bei dem Stück zugegen, das Sie so entrüstet hat. Ich habe Sie schon während des ganzen ersten Aktes beobachtet, Sie und Ihren Herrn Gemahl. Wie ich bemerkt habe . . .«

»Nur los auf ihn«, sagte sich Oberleutnant Lukasch, »welches Recht hat dieser Kerl, so eine reizende Frau zu haben. Er sieht ja aus wie ein rasierter Pavian.«

Er fuhr fort:

». . . hat Ihr Herr Gemahl mit größtem Verständnis die Obszönitäten betrachtet, die auf der Bühne vor sich gingen und bei Ihnen, gnädige Frau, Abscheu erweckten, weil das keine Kunst war, sondern eine ekelhafte Spekulation auf die intimsten Gefühle des Menschen.«

»Das Weib hat einen Busen«, dachte Oberleutnant Lukasch, »nur frisch drauflos!«

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich, ohne daß Sie mich kennen, trotzdem aufrichtig zu Ihnen bin. Ich habe in meinem Leben viele Frauen gesehen, aber keine hat auf mich so einen Eindruck gemacht wie Sie, denn Ihr Urteil und Ihre Lebensanschauung stimmen vollkommen mit meinen Anschauungen überein. Ich bin überzeugt, daß Ihr Herr Gemahl ein krasser Egoist ist, der Sie mit sich schleppt . . .«

»Das geht nicht«, sagte sich Oberleutnant Lukasch, strich das »mit sich schleppt« durch und schrieb statt dessen:

». . . der Sie, gnädige Frau, in seinem Interesse zu Theateraufführungen mitnimmt, die einzig und allein seinem Geschmack entsprechen. Ich liebe die Aufrichtigkeit. Ich will mich durchaus nicht in Ihr Privatleben drängen und wünsche nur, mit Ihnen privat über reine Kunst sprechen zu können . . .«

»Hier in den Hotels wirds nicht gehn, ich werde sie nach Wien mitnehmen müssen«, dachte der Oberleutnant noch, »ich werde mir einen kleinen Urlaub nehmen.«

»Deshalb wage ich es, gnädige Frau, Sie um eine Zusammenkunft zu bitten, damit wir uns in allen Ehren näher kennenlernen. Sie werden dies gewiß nicht einem Menschen verwehren, dessen in kürzester Zeit der traurige Frontdienst harrt und der für den Fall Ihrer liebenswürdigen Zustimmung im Schlachtgetümmel die schönste Erinnerung an eine Seele bewahren wird, die ihn ebenso begriffen hat, wie er selbst sie begriff. Ihre Entscheidung wird mir ein Wink sein, Ihre Antwort ein entscheidender Augenblick in meinem Leben.«

Er setzte seinen Namen darunter, trank den Kognak aus und bestellte noch eine Flasche. Und während er ein Gläschen nach dem andern trank, weinte er beinahe nach jedem Satz, als er seine letzten Zeilen las.

 

Es war neun Uhr früh, als Schwejk Oberleutnant Lukasch weckte: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß Sie den Dienst verschlafen ham und ich schon mit Ihrem Brief nach Királyhida gehn muß. Ich hab Sie schon um sieben Uhr geweckt, dann um halb acht, dann um acht, wie man schon zur Übung vorbeimarschiert is, und Sie ham sich nur auf die andere Seite umgedreht, Herr Oberlajtnant . . . Hallo, Herr Oberlajtnant . . .!«

Oberleutnant Lukasch wollte sich nämlich, etwas vor sich hin murmelnd, wieder auf die Seite legen, was ihm nicht gelang, weil Schwejk ihn unbarmherzig rüttelte und brüllte: »Herr Oberlajtnant, ich geh mit dem Brief nach Királyhida.«

Der Oberleutnant gähnte: »Mit dem Brief? Ja, mit dem Brief, das ist eine diskrete Angelegenheit, verstehn Sie, ein Geheimnis zwischen uns. Abtreten . . .«

Der Oberleutnant wickelte sich abermals in die Decke, aus der Schwejk ihn herausgezogen hatte, und schlief wieder ein, während Schwejk nach Királyhida pilgerte.

Die Sopronyi utca Nummer 16 zu finden, wäre nicht so schwer gewesen, wenn er nicht zufällig dem alten Sappeur Woditschka begegnet wäre, der den »Steirerbuam« zugeteilt war, deren Kaserne unten im Lager stand. Woditschka hatte vor Jahren in Prag »Na Bojischti«Eine Prager Straße. Zu deutsch: Kampfplatz. gewohnt, und deshalb war es selbstverständlich, daß die beiden, als sie einander begegneten, beim »Roten Lamm« in Bruck einkehrten, wo eine Bekannte von ihnen, namens Ruženka, als Kellnerin angestellt war, eine Tschechin, bei der sämtliche tschechische Einjährigfreiwilligen, die im Lager waren, Schulden machten.

In letzter Zeit spielte sich Sappeur Woditschka, ein alter Schwindler, als ihr Kavalier auf, führte alle Marschbataillone, die aus dem Lager abgingen, in Evidenz und mahnte die tschechischen Einjährigfreiwilligen zur rechten Zeit, um sie davon abzuhalten, im Kriegsgetümmel zu verschwinden, ohne ihre Schulden bezahlt zu haben.

»Wohin gehst du eigentlich!« fragte Woditschka, als sie zum erstenmal von dem guten Wein getrunken hatten.

»Das is ein Geheimnis«, antwortete Schwejk, »aber dir als alten Kameraden vertrau ichs an.«

Er erklärte ihm alles haarklein, und Woditschka sagte, er sei ein alter Sappeur und könne Schwejk nicht verlassen, und sie würden den Brief deshalb zusammen abgeben.

Sie unterhielten sich ausgezeichnet über verflossene Zeiten, und als sie nach zwölf Uhr aus dem »Roten Lamm« traten, erschien ihnen alles natürlich und leicht.

Außerdem waren sie im Innern fest überzeugt, daß sie sich vor niemandem fürchteten. Woditschka legte während des ganzen Wegs in die Sopronyi utca Nummer 16 einen fürchterlichen Haß gegen die Magyaren an den Tag und erzählte ununterbrochen, wie er sich mit ihnen raufe, wann und wo er sich mit ihnen herumgerauft habe und wann und wo ihn etwas daran gehindert habe, sich mit ihnen zu raufen.

»Einmal hatten wir dir schon so einen magyarischen Lackl in Pausdorf, wohin wir Sappeure auf Wein gegangen sind, an der Kehle, ich will ihm im Finstern eins mitn Überschwung übern Schädel geben, denn gleich, wies angefangen hat, ham wir mit der Flasche die Hängelampe zerhaut, und er fängt auf einmal an zu schrein:

›Tondo, das bin doch ich, der Purkrabek, vom 16. Landwehr!‹

Um ein Haar wärs ein Irrtum gewesen. Dafür hamr ihnen, den Hampelmännern, den magyarischen, am Neusiedler See ordentlich heimgezahlt, wie wir uns ihn vor drei Wochen anschaun gegangen sind. Dort liegt in einem nahen Dorf eine Abteilung Maschinengewehre von irgendeinem Honvédregiment, und wir sind zufällig alle in ein Wirtshaus gegangen, wo sie ihren Csárdás getanzt ham wie tolle Hunde und das Maul angelweit aufgesperrt ham mit ihrem: ›Uram, uram, biró uram‹ oder ›Leanyok, leanyok, leanyok a falubra‹. Wir setzen uns ihnen vis-à-vis; nur die Überschwünge hamr uns aufn Tisch gelegt und sagen uns: Ihr verflixten Kerle, wir wern euch geben, leanyok, und ein gewisser Mejstřik, was eine Flosse gehabt hat wie der Weiße Berg, hat sich gleich angeboten, daß er bißl tanzen und einem Lauskerl das Mädl mitten im Tanz wegnehmen wird. Die Mädels waren verdammt feste Kröten, solche dickwadige, mit großen Popos, großen Hüften und Augen, und wie diese magyarischen Kerle sich an sie gequetscht ham, hat man gesehn, daß die Mädls volle, harte Brüste ham wie Bälle und daß ihnen das sehr guttut und daß sie sich im Wurstkessel auskennen. Also unser lieber Mejstřik springt in den Kreis und will einem Honved die Fescheste wegnehmen; der hat was zu knurren angefangen, und der Mejstřik hat ihm gleich eins aufgeklebt; er is umgefalln, wir ham gleich die Überschwünge gepackt, ham uns sie um die Hand gewickelt, damit uns die Bajonetts nicht wegfliegen, sind zwischen sie gesprungen, ich hab aufgeschrien: ›Schuldig, unschuldig, nehmts der Reihe nach!‹, und schon is es gegangen wie geschmiert. Man hat sie in den Fenstern an den Füßen gefangen und wieder in den Saal gezogen. Wer nich von den Unsern war, der hat was abgekriegt. Der Bürgermeister mitm Gendarm ham sich auch hineinverwickelt, und gleich ham sie auch eins aufn Buckl gekriegt. Der Wirt hat auch Prügel bekommen, weil er angefangen hat, deutsch aufzuheißen, daß wir herich die Unterhaltung verderben. Wir ham dann noch die, was sich vor uns ham verstecken wolln, im Dorf gefangen. Zum Beispiel einen von ihren Zugsführern, den hamr aufn Boden in einem Bauernhof ganz unten unterm Dorf im Heu vergraben gefunden. Sein Mädl hat uns verraten, weil er dort mit einer andern getanzt hat. Sie hat sich in unsern Mejstřik verschossen und is dann mit ihm den Weg hinauf nach Királyhida gegangen, wo unterm Wald Heuschober stehn. Sie hat ihn in so einen Heuschober hineingezogen und hat dann fünf Kronen von ihm haben wolln, und er hat ihr eins übers Maul gegeben. Dann hat er uns oben knapp beim Lager eingeholt und hat gesagt, daß er immer geglaubt hat, daß die Magyarinnen feuriger sind, aber daß diese Sau gelegen is wie ein Klotz und fort was geplappert hat.

Die Magyaren sind mit einem Wort ein Gesindel«, schloß der alte Sappeur Woditschka, worauf Schwejk bemerkte: »Mancher Magyar kann auch nicht dafür, daß er ein Magyar is.«

»Was soll er nicht dafür können«, regte sich Woditschka auf, »jeder kann dafür, das is eine Dummheit. Ich möchts dir wünschen, daß sie dich mal so in Parad nehmen möchten, wies mir passiert is, wie ich den ersten Tag zu den Kursen hergekommen bin. Noch am selben Nachmittag ham sie uns schon in die Schule zusammengetrieben wie eine Herde Vieh, und so ein Blödian hat uns dort angefangen vorzuzeichnen und zu erklären, was das sind Blindagen, wie man Fundamente legt, wie man das ausmißt, und wers herich früh nicht aufgezeichnet haben wird, wie ers erklärt, wird eingesperrt und angebunden wern. ›Kruzifix‹, denk ich mir, ›hast du dich an der Front deshalb in diese Kurse gemeldet, damit du dich von der Front drückst oder damit du am Abend mit einem Bleistift ein Heft vollmalst wie ein Schuljunge?‹ So eine Wut hat mich gepackt, ich hab kein Sitzfleisch nicht gehabt, nicht mal anschaun hab ich den Blödian können, was uns das erklärt hat. Am liebsten hätt ich alles zerdroschen, so eine Wut hab ich gehabt. Nicht mal aufn Kaffee hab ich gewartet und bin gleich aus der Baracke nach Királyhida gegangen und hab vor Wut an nichts anderes gedacht, als mir in der Stadt eine stille Butik zu finden, mich dort zu besaufen und einen Krawall zu schlagen, jemanden übers Maul zu haun und dann friedlich nach Haus zu gehn. Der Mensch denkt, aber Gott lenkt. Beim Fluß zwischen den Gärten hab ich wirklich so ein Lokal gefunden, still wie eine Kapelle, wie geschaffen für einen Krawall. Zwei Gäste sind dort gesessen und ham sich mitsamm magyarisch unterhalten, was mich noch mehr aufgebracht hat, und ich war auch schon früher und stärker besoffen, als ich mir gedacht hab, so daß ich bei diesem Affen gar nicht bemerkt hab, daß nebenan noch ein Lokal is, wohin während der Zeit, was ich mich vorbereitet hab, ungefähr acht Husaren gekommen sind, was auf mich losgegangen sind, wie ich den beiden ersten Gästen eins übers Maul gegeben hab. Diese Saukerle, die Husaren, ham mich dir so zugerichtet und zwischen den Gärten herumgejagt, daß ich überhaupt nicht nach Haus getroffen hab bis gegen früh und gleich aufs Marodenzimmer hab gehn müssen, wo ich mich ausgeredet hab, daß ich in die Ziegelei gefallen bin, und eine ganze Woche ham sie mich in ein nasses Leintuch gewickelt, damit sich mir nicht der Rücken entzündet. Das wünsch dir, mein Lieber, unter solche Halunken zu geraten. Das sind keine Menschen, das sind Viecher.«

»Womit man umgeht, dadurch kommt man um«, sagte Schwejk, »du darfst dich auch nicht über sie wundern, daß sie sich ärgern, wenn sie den ganzen Wein aufm Tisch stehnlassen müssen und dich im Finstern in den Gärten herumjagen solln. Sie hätten sichs mit dir auf der Stelle im Lokal abmachen solln und dich dann herauswerfen. Für sie wärs besser gewesen und für dich auch, wenn sie sichs mit dir bei Tisch ausgemacht hätten. Ich hab einen gewissen Paroubek gekannt, einen Schnapsbutikbesitzer in Lieben. Einmal hat sich bei ihm ein Drahtenbinder mit Wacholderschnaps besoffen und hat angefangen zu schimpfen, daß der Schnaps schwach is, daß er Wasser hineingießt und daß man hundert Jahre drahten und sich fürn ganzen Verdienst Wacholderschnaps kaufen und ihn auf einmal austrinken könnt und noch immer die Kraft hätt, auf einem Seil zu gehn und ihn, den Paroubek, in den Armen zu tragen. Dann hat er dem Paroubek noch gesagt, daß er ein Hund und eine alte Bestie is. Da hat ihn der liebe Paroubek gepackt, hat ihm seine Mausefallen und Drähte um den Kopf geschlagen und ihn herausgeworfen und hat ihn auf der Straße mit dem Stock, womit man die Rouleaus herunterzieht, bis herunter aufn Invalidenplatz geprügelt. Dann hat er ihn, so wild war er geworn, übern Invalidenplatz durch Karolinental bis hinauf nach Žižkov gejagt, von dort über die Judenöfen nach Maleschitz, wo er endlich an ihm den Stock zerbrochen hat, so daß er hat nach Lieben zurückgehn können. Ja, aber in der Aufregung hat er dran vergessen, daß wahrscheinlich noch alle Gäste in der Schnapsbutik waren und daß diese Halunken dort wahrscheinlich allein wirtschaften wern. Und er hat sich auch davon überzeugt, wie er endlich wieder in seine Schnapsbutik gekommen is. Bei der Schnapsbutik waren die Rouleaus halb heruntergelassen, zwei Polizisten sind dabeigestanden, was auch stark beschwipst waren, wie sie drinnen Ordnung gemacht ham. Alles war halb ausgetrunken, auf der Gasse ein leeres Rumfaß, und unterm Pult hat der Paroubek zwei besoffene Kerle gefunden, was von den Polizisten übersehn worn sind und was ihm, wie er sie herausgezogen hat, in zwei Kreuzern ham zahln wolln, daß sie herich nicht mehr Kümmel getrunken ham. So wird Übereiltheit bestraft. Das hast du wie im Krieg. Erst schlagen wir den Feind und dann fort und fort hinter ihm her, und zum Schluß können wir selbst nicht schnell genug laufen.«

»Ich hab mir die Kerle gut gemerkt«, ließ sich Woditschka vernehmen, »wenn mir so einer von diesen Husaren in den Weg laufen tät, ich möchts ihm zeigen. Mit uns Sappeuren is, wenns in uns hineinfährt, nicht zu spaßen. Wir sind nicht wie die eisernen Fliegen. Wie wir an der Front bei Przemysl waren, so war bei uns ein gewisser Hauptmann Jetzbacher, eine Sau, wie es keine zweite unter der Sonne gibt. Der hats so getroffen, uns zu sekkieren, daß ein gewisser Bitterlich von unserer Kompanie, ein Deutscher, aber ein sehr braver Mensch, sich wegen ihm erschossen hat. Also hamr uns gesagt, bis es von der russischen Seite zu pfeifen anfangen wird, darf auch unser Hauptmann Jetzbacher nicht am Leben bleiben. Und so hamr auch gleich, wie die Russen auf uns zu schießen angefangen ham, bei dem Geplänkel fünf Schüsse auf ihn abgegeben. Das Luder hat noch gelebt wie eine Katze, so hamr ihm mit zwei Schüssen den Rest geben müssen, damit nichts draus wird; nur gebrummt hat er, aber so komisch, es war sehr gelungen.«

Woditschka lachte: »Das hast du an der Front an der Tagesordnung. Ein Kamerad von mir, er is jetzt auch bei uns, hat mir erzählt, daß seine Kompanie, wie er als Infanterist vor Belgrad war, im Gefecht ihren Oberlajtnant erschossen hat, auch so einen Hund, was selbst zwei Soldaten am Marsch erschossen hat, weil sie schon nicht weiterkonnten. Der, wies mit ihm zu Ende gegangen is – hat plötzlich das Rückzugssignal zu pfeifen angefangen. Sie ham sich herich um ihn herum totlachen können.«

Während dieses fesselnden und lehrreichen Gesprächs fanden Schwejk und Woditschka schließlich die Eisenhandlung Herrn Kakonyis in der Sopronyi utca 16.

»Du solltest doch nur lieber hier warten«, sagte Schwejk zu Woditschka vor der Einfahrt des Hauses, »ich lauf nur in den ersten Stock und geb den Brief ab, wart auf Antwort und bin gleich wieder unten.«

»Ich soll dich verlassen?« meinte Woditschka verwundert, »du kennst nicht die Magyaren, ich sag dirs fort. Hier müssen wir aufpassen. Ich wer ihm eins aufhaun . . .«

»Hör mal, Woditschka«, sagte Schwejk ernst, »hier handelt sichs nicht um einen Magyar, hier handelt sichs um eine Frau. Ich hab dir das doch alles erklärt, wie wir mit der tschechischen Kellnerin gesessen sind, daß ich einen Brief von meinem Oberlajtnant trag und daß es ein großes Geheimnis is. Nämlich mein Oberlajtnant hat mir doch ans Herz gelegt, daß davon keine lebendige Seele wissen darf, und deine Kellnerin hat doch selbst gesagt, daß das ganz gut is, daß das eine diskrete Sache is. Nämlich es niemand erfahren darf, daß sich der Herr Oberlajtnant mit einem verheirateten Weibsbild Briefe schreibt. Und du selbst warst auch dafür und hast dazu mitn Kopf genickt. Ich habe euch doch erklärt, wie sichs gehört und gebührt, daß ich den Befehl meines Oberlajtnants genau ausführen will, und auf einmal willst du mit aller Gewalt mit hinaufgehn.«

»Du kennst mich noch nicht, Schwejk«, antwortete ebenfalls sehr ernst der alte Sappeur Woditschka, »wenn ich schon mal gesagt hab, daß ich dich begleit, so merk dir, daß mein Wort für hundert gilt. Wenn zwei gehn, is es immer sicherer.«

»Davon Woditschka, wer ich dich abbringen. Weißt du, wo aufn Wyschehrad die Neklangasse is? Dort hat der Schlosser Wobornek seine Werkstatt gehabt. Er war ein ehrlicher Mensch, und eines Tags, wie er vom Flamendieren nach Haus gekommen is, hat er sich noch einen Flamender zum Schlafen mitgebracht. Dann is er lang und lang gelegen, und jeden Tag, wenn ihm seine Frau die Wunde am Kopf verbunden hat, hat sie ihm gesagt: ›Siehst du, Toni, wenn ihr nicht zwei gekommen wärt, hätts nur einen Krawall gesetzt, und ich hätt dir nicht die Dezimalwaage aufn Kopf geworfen.‹ Und er hat dann, wie er schon sprechen konnt, gesagt: ›Hast recht, Mutter, bis ich nächstens wohin geh, wer ich niemanden mitschleppen.‹«

»Das möcht noch so fehln«, ereiferte sich Woditschka, »daß uns dieser Magyar noch was an den Kopf werfen wollt. Ich pack ihn am Hals und werf ihn vom ersten Stock die Stiegen herunter, daß er fliegen wird wie ein Schrapnell. Auf diese magyarischen Kerle muß man scharf kommen. Was für Faxen mit ihnen.«

»Woditschka, du hast doch nicht so viel getrunken. Ich hab zwei Viertel mehr gehabt wie du. Überleg dir nur das eine, daß wir keinen Schkandal machen dürfen. Ich bin dafür verantwortlich. Es handelt sich doch um ein Weibsbild.«

»Ich hau auch dem Weibsbild eins herunter, Schwejk, mir is das alles eins, da kennst du noch nicht den alten Woditschka. Einmal in Zaběhlitz auf der ›Roseninsel‹ hat so eine Larve nicht mit mir tanzen wolln, daß ich herich ein geschwollenes Maul hab. Ich hab ein geschwollenes Maul gehabt, das is wahr, weil ich grad aus einer Tanzunterhaltung in Hostiwarsch gekommen bin, aber stell dir diese Beleidigung von dem Flitscherl vor. ›Also da ham Sie auch eins, sehr geehrtes Fräulein‹, hab ich gesagt, ›damits Ihnen nicht leid tut.‹ Wie ich ihr eins hinuntergehaut hab, hat sie im Garten den ganzen Tisch mitsamt den Gläsern umgeworfen, an dem sie mit Vater und Mutter und zwei Brüdern gesessen is. Aber ich hab mich vor der ganzen ›Roseninsel‹ nicht gefürchtet. Es waren dort Bekannte aus Wrschowitz, und die ham mir geholfen. Wir ham vielleicht fünf Familien samt den Kindern verprügelt. Man hats bis nach Michle hören müssen, und dann is die ganze Geschichte von dieser Gartenunterhaltung, von diesem Wohltätigkeitsverein von irgendwelchen Landsleuten aus irgendeiner Stadt auch in der Zeitung gestanden. Und drum, wie gesagt, wie mir andere geholfen ham, so helf auch ich immer jedem Kameraden, wenns zu was kommen soll. Um keinen Preis rühr ich mich von dir. Diese Magyaren kennst du nicht. – Das kannst du mir doch nicht antun, daß du mich von dir wegstoßt, wenn wir uns nach so vielen Jahren sehn und noch dazu unter solchen Umständen.«

»Na, also komm mit«, entschied Schwejk, »aber vorsichtig vorgehn, damit wir keine Unannehmlichkeiten ham.«

»Nur keine Angst nicht, Kamerad«, sagte Woditschka leise, als sie auf die Treppe zuschritten, »ich hau ihm eins herunter . . .«

Und noch leiser fügte er hinzu: »Du wirst sehn, dieser magyarische Junge wird uns keine Arbeit geben.«

Und wenn jemand im Flur gewesen wär und tschechisch verstanden hätte, würde er das auf der Stiege bereits lauter gesprochene Schlagwort Woditschkas vernommen haben: »Diese Magyaren kennst du nicht . . .« Ein Schlagwort, zu dem er in dem stillen Lokal an der Leitha zwischen den Gärten des berühmten Királyhida gekommen war. Der Berge, die es umgeben, werden die Soldaten immer unter Flüchen gedenken, wenn sie sich an all die »Übungen« vor dem Weltkrieg und während des Weltkrieges erinnern werden, bei denen sie theoretisch für die praktischen Massakers und Metzeleien vorbereitet wurden.

 

Schwejk und Woditschka standen vor der Wohnungstür Herrn Kakonyis. Bevor sie auf den Knopf der Klingel drückten, bemerkte Schwejk: »Hast du mal gehört, Woditschka, daß Vorsicht die Mutter der Weisheit ist?«

»Ich kümmer mich nicht drum«, antwortete Woditschka, »er darf nicht mal Zeit haben, das Maul aufzumachen . . .«

»Ich hab mit niemanden nichts zu verhandeln, Woditschka.« Schwejk klingelte, und Woditschka sagte laut: »Eins, zwei und er fliegt die Stiege herunter.«

Die Türe wurde geöffnet, ein Dienstmädchen erschien und fragte auf magyarisch, was sie wünschten.

»Nem tudom«, sagte Woditschka verächtlich, »lern tschechisch, Mädl.«

»Verstehn Sie Deutsch?« fragte Schwejk.

»A pischen.«

»Also sagen Sie der Frau, ich will die Frau sprechen, sagen Sie, daß ein Brief is von einem Herrn, draußen im Gang!«

»Ich wunder mich über dich«, sagte Woditschka, hinter Schwejk ins Vorzimmer tretend, »daß du mit so einem Luder sprichst.«

Sie standen im Vorzimmer, schlossen die Türe, und Schwejk bemerkte nur:

»Hübsch ham sies hier eingerichtet, sogar zwei Regenschirme am Rechen, und das Bild vom Herrn Jesus is auch nicht schlecht.«

Aus einem Zimmer, aus dem das Klappern von Löffeln und Klirren von Tellern drang, trat abermals das Dienstmädchen und sagte zu Schwejk:

»Frau is gesagt, daß sie hat ka Zeit, wenn was is, daß mir geben und sagen.«

»Also«, sagte Schwejk feierlich, »der Frau ein Brief, aber halten Kuschen.«

Er zog den Brief Oberleutnant Lukaschs aus der Tasche.

»Ich«, sagte er, mit dem Finger auf sich zeigend, »Antwort warten hier im Vorzimmer.«

»Was setzt du dich nicht?« fragte Woditschka, der schon auf einem Stuhl an der Wand saß, »dort hast du einen Sessel. Wirst hier stehn wie ein Bettler. Erniedrig dich nicht vor dem Magyaren. Wirst sehn, daß wir Scherereien mit ihm haben wern, aber ich hau ihm eins herunter.«

»Hör mal«, sagte er nach einer Pause, »wo hast du Deutsch gelernt?«

»Von selbst«, antwortete Schwejk. Wieder war es eine Zeitlang still. Dann drang aus dem Zimmer, wohin das Dienstmädchen den Brief getragen hatte, großer Lärm und Geschrei. Jemand schlug mit etwas schwerem auf den Boden, dann konnte man deutlich erkennen, daß Gläser flogen und Teller zersplitterten; in das Klirren der Scherben mischte sich das Gebrüll: »Baszom az anyádat, baszom az istenit, baszom a Krisztus Máriat, baszom az atádat, baszom a világot!«

Die Türe flog auf, und ins Vorzimmer stürzte ein Mann in den besten Jahren mit der Serviette um den Hals und schwenkte den soeben abgegebenen Brief hin und her.

Der Tür zunächst saß der Sappeur Woditschka, und der aufgeregte Herr wandte sich auch zuerst an ihn.

»Was soll das heißen, wo ist der verfluchte Kerl, der diesen Brief gebracht hat?«

»Nur sachte«, sagte Woditschka, indem er sich erhob, »brüll uns hier nicht so viel herum, damit du nicht herausfliegst, und wenn du wissen willst, wer den Brief gebracht hat, dann frag dort den Kameraden. Aber sprich anständig mit ihm, sonst bist du eins, zwei, drei hinter der Tür.«

Nun war es an Schwejk, sich von der schwungvollen Beredsamkeit des aufgeregten Herrn mit der Serviette um den Hals zu überzeugen, der allerlei unsinniges Zeug schwatzte und immer wieder wiederholte, daß sie gerade zu Mittag gegessen hatten.

»Wir ham gehört, daß Sie mittagmahlen«, stimmte Schwejk in gebrochenem Deutsch zu, worauf er tschechisch hinzufügte: »Es hätt uns auch einfalln können, daß wir Sie wahrscheinlich unnütz beim Mittagmahl stören wern.«

»Erniedrig dich nicht«, ließ sich Woditschka vernehmen.

Der aufgeregte Herr, dessen Serviette nach der lebendigen Gestikulation nur noch an einem Zipfel festhielt, setzte auseinander, er habe zuerst gedacht, daß es sich in dem Brief um die Zuweisung von Räumen für das Militär in diesem Hause handle, das seiner Frau gehöre.

»Hier möcht noch viel Militär hereingehn«, sagte Schwejk, »aber drum hat sichs in dem Brief nicht gehandelt, wie Sie sich vielleicht überzeugt ham.«

Der Herr packte sich am Kopf, wobei er eine ganze Reihe von Vorwürfen hervorsprudelte. Er sei auch Reserveleutnant gewesen, jetzt würde er gern dienen, habe aber ein Nierenleiden. Zu seiner Zeit wären die Offiziere nicht so übermütig gewesen, den häuslichen Frieden zu stören. Den Brief werde er aufs Regimentskommando, ins Kriegsministerium schicken und in der Zeitung veröffentlichen.

»Herr«, sagte Schwejk würdevoll, »den Brief habe ich geschrieben. Ich geschrieben, kein Oberleutnant. Die Unterschrift, der Name is falsch. Mir gefällt Ihre Frau sehr gut. Ich liebe Ihre Frau. Ich bin in Ihre Frau bis über die Ohren verliebt, wie Vrchlicky gesagt hat. Kapitale Frau.«

Der aufgeregte Herr wollte sich auf Schwejk stürzen, der ruhig und zufrieden vor ihm stand: aber der alte Sappeur Woditschka, der jede Bewegung beobachtete, stellte ihm ein Bein, riß ihm den Brief aus der Hand, mit dem Kakonyi ununterbrochen herumfuchtelte, und steckte ihn in die Tasche; als sich Herr Kakonyi hierauf aufrichtete, packte ihn Woditschka, trug ihn zur Tür, öffnete sie mit einer Hand, und schon konnte man hören, wie etwas die Stiegen hinabkollerte.

Das ging so schnell wie im Märchen, wenn der Teufel einen Menschen holt.

Von dem aufgeregten Herrn blieb nur die Serviette zurück. Schwejk hob sie auf, klopfte höflich an die Zimmertür, aus der vor fünf Minuten Herr Kakonyi getreten war und woher das Weinen einer Frau drang.

»Ich bring Ihnen die Serviette«, sagte Schwejk weich zu der Frau, die auf einem Kanapee saß und weinte, »man könnt auf ihr herumtreten. Hab die Ehre.«

Er schlug die Absätze aneinander, salutierte und ging auf den Gang hinaus. Auf der Stiege waren weiter keine Spuren des Kampfes zu bemerken; wie Woditschka vorausgesetzt hatte, hatte sich daselbst alles ruhig abgespielt. Nur am Tor in der Einfahrt fand Schwejk einen abgerissenen Halskragen. Dort hatte sich offenbar, als sich Herr Kakonyi verzweifelt an das Haustor klammerte, um nicht auf die Straße geschleppt zu werden, der letzte Akt der Tragödie abgespielt.

Dafür ging es auf der Straße lebhaft zu. Herrn Kakonyi hatte man ins gegenüberliegende Haus geschleppt, wo man ihn mit Wasser begoß; mitten auf der Straße stand der alte Sappeur Woditschka wie ein Löwe einigen Honveds und Honvedhusaren gegenüber, die sich für ihren Landsmann einsetzten. Er wehrte sich meisterhaft mit dem Bajonettriemen wie mit einem Dreschflegel. Und er war nicht allein. Ihm zur Seite kämpften einige tschechische Soldaten von verschiedenen Regimentern, die gerade über die Straße gegangen waren.

Wie Schwejk später behauptete, wußte er selbst nicht, wieso auch er hineingeraten war und – da er kein Bajonett hatte – wie ihm der Stock eines erschrockenen Zuschauers in die Hand geraten war.

Es dauerte hübsch lange, aber auch alles Schöne hat sein Ende. Es kam »Bereitschaft« und packte alles zusammen.

Schwejk schritt mit dem Stock, der vom Kommandanten der Bereitschaft als corpus delicti erklärt wurde, neben Woditschka.

Er schritt friedlich dahin, den Stock wie eine Flinte auf der Schulter.

Der alte Sappeur Woditschka schwieg den ganzen Weg über hartnäckig. Erst als sie die Hauptwache betraten, sagte er melancholisch zu Schwejk: »Hab ich dirs nicht gesagt, daß du die Magyaren nicht kennst?«


 << zurück weiter >>