Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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5. Marschieren, marsch

Als man in Sanok anlangte, zeigte es sich, daß man eigentlich in dem Waggon mit der Feldküche der 11. Kompanie, wo der satte Baloun vor Wonne furzte, im großen ganzen recht gehabt hatte, es sollte tatsächlich ein Nachtmahl und außer dem Nachtmahl sogar irgendein Kommißbrot ausgegeben werden, als Ersatz für all die Tage, an denen das Bataillon nichts erhalten hatte. Als man aus den Waggons kletterte, zeigte es sich, daß sich in Sanok auch der Stab der »Eisernen Brigade« befand, zu der das Bataillon des 91. Regiments seinem Taufschein nach gehörte. Obwohl die Eisenbahnverbindung von Sanok bis Lemberg und auch nördlich davon bis an die Grenze unversehrt geblieben war, blieb es eigentlich ein Rätsel, warum der Stab des östlichen Frontabschnittes die Disposition getroffen hatte, die »Eiserne Brigade« soll mit ihrem Stab die Marschbataillone hundertfünfzig Kilometer hinter der Front konzentrieren, während zur nämlichen Zeit die Front von Brod am Bug und längs des Flusses bis nördlich nach Sokal reichte.

Diese ungemein interessante strategische Frage wurde auf äußerst einfache Art gelöst, als Hauptmann Sagner in Sanok beim Brigadestab die Befehle bezüglich der Unterbringung des Marschbataillons einholte.

Ordonnanzoffizier war Brigadeadjutant Hauptmann Tayrle.

»Ich bin sehr überrascht«, sagte Hauptmann Tayrle, »daß ihr keine bestimmten Meldungen erhalten habt. Die Marschroute steht fest. Eure Vormarschlinie hättet ihr uns natürlich im voraus melden sollen. Nach den Dispositionen des Oberkommandos seid ihr um zwei Tage zu früh eingetroffen.«

Hauptmann Sagner errötete ein wenig, doch fiel es ihm nicht ein, alle Chiffre-Telegramme zu wiederholen, die er während des ganzen Transportes erhalten hatte.

»Ich wunder mich über Sie«, sagte Adjutant Tayrle.

»Ich glaube«, entgegnete Hauptmann Sagner, »daß wir Offiziere uns alle duzen.«

»Meinetwegen«, sagte Hauptmann Tayrle, »sag mir, bist du Aktiver oder Zivilist? Aktiv? – Das ist ganz was anderes. – Man kennt sich drin nicht aus. Hier sind dir schon solche Trottel von Reserveleutnants durchgekommen! – Wie wir uns von Limanova und von Krasnik zurückgezogen haben, haben alle diese ›Auch-Leutnants‹ den Kopf verloren, sobald sie nur eine Kosakenpatrouille gesehen haben. Wir vom Stab haben solche Schmarotzer nicht gern. So ein blöder Kerl mit dem Intelligenzknopf läßt sich zum Schluß noch aktivieren oder macht in Zivil die Offiziersprüfung und bleibt weiter ein blöder Zivilist, und wenns Krieg gibt, wird ein Leutnant aus ihm, aber ein Scheißkerl!«

Hauptmann Tayrle spuckte aus und klopfte Hauptmann Sagner vertraulich auf die Schulter: »Ihr werdet ungefähr zwei Tage hierbleiben. Ich werde euch alle ausführen, wir werden ein bißl tanzen. Wir haben hier Huren wie Engerln. Dann ist eine Generalstochter da, die früher der lesbischen Liebe gehuldigt hat. Da ziehn wir uns alle zur Hetz Frauenkleider an, und du wirst sehn, was die trifft! Das ist dir so eine magere Sau, nicht vorzustellen! Aber sie kennt sich aus, Kamerad. Das ist dir ein Luder – übrigens du wirst ja sehn.«

»Pardon«, fuhr er zusammen, »ich muß wieder kotzen gehn, heut schon zum drittenmal.«

Als er zurückkam, erklärte er Hauptmann Sagner, um ihm zu beweisen, wie lustig es hier zugehe, daß dies die Folgen des gestrigen Abends seien, an dem auch die Pionierabteilung teilgenommen habe.

Den Kommandanten dieser Abteilung, der gleichfalls den Rang eines Hauptmanns bekleidete, lernte Hauptmann Sagner recht bald kennen. In die Kanzlei stürzte nämlich ein uniformierter langer Mensch mit drei goldenen Sternen und redete Tayrle gewissermaßen wie im Halbtraum an, ohne die Anwesenheit Hauptmann Sagners zu bemerken: »Was machst du, du Sau? Du hast uns gestern unsere Gräfin gut zugerichtet.« Er setzte sich auf einen Stuhl und lachte, während er sich mit einem dünnen Rohrstab über die Waden schlug, übers ganze Gesicht: »Wenn ich mich erinner, wie du dich ihr in den Schoß ausgekotzt hast . . .«

»Ja«, sagte Tayrle, »gestern wars sehr lustig.« Dann erst machte er Hauptmann Sagner mit dem Offizier mit dem Rohrstab bekannt, worauf sich alle aus der Kanzlei ins Kaffeehaus begaben, das über Nacht aus einem ehemaligen Bierausschank entstanden war.

Als sie durch die Kanzlei schritten, nahm Hauptmann Tayrle dem Kommandanten der Pionierabteilung den Rohrstab weg und schlug mit ihm auf den langen Tisch, um den sich auf dieses Kommando zwölf Militärschreiber in Reih und Glied aufstellten. Es waren Anhänger der ruhigen, gefahrlosen Arbeit im Rücken der Armee in Extrauniformen, mit großen, zufriedenen Bäuchen.

Und diesen zwölf dicken Aposteln des Tachinierens sagte Hauptmann Tayrle, bestrebt, sich vor Sagner und dem andern Hauptmann hervorzutun: »Glaubt nicht, daß ich euch hier halt wie in einem Maststall, Saukerle! Weniger fressen und saufen, aber mehr herumlaufen.«

»Jetzt zeig ich euch noch eine andere Dressur«, teilte Tayrle seinen Kameraden mit.

Er schlug abermals mit dem Rohrstab auf den Tisch und fragte die zwölf: »Wann werdet ihr platzen, Ferkel?«

Alle zwölf antworteten unisono: »Auf Ihren Befehl, Herr Hauptmann.«

Über seine eigene Blödheit und Dummheit lachend, trat Hauptmann Tayrle aus der Kanzlei.

Als sie alle drei im Kaffeehaus saßen, bestellte Tayrle eine Flasche Wacholderschnaps und gab Befehl, ein paar Fräuleins herbeizurufen, die frei waren. Es stellte sich heraus, daß das Kaffeehaus eigentlich nichts anderes war als ein verrufenes Haus; und da keines von den Fräuleins frei war, regte sich Hauptmann Tayrle im höchsten Maße auf, beschimpfte die Madame im Vorzimmer in ordinärer Weise und schrie, wer bei Fräulein Elly sei. Als er aber hörte, es sei irgendein Leutnant, wetterte er noch mehr.

Bei Fräulein Elly befand sich Leutnant Dub, der, als das Marschbataillon in seinen Ubikationen im Gymnasium untergebracht war, seine ganze Truppenabteilung zusammenrief und sie in einer langen Rede darauf aufmerksam machte, daß die Russen bei ihrem Rückzug überall Bordelle mit geschlechtlich angestecktem Personal errichtet hatten, um der österreichischen Armee durch diesen Trick große Verluste zuzufügen. Er warne daher hiermit die Soldaten vor dem Besuch ähnlicher Lokale. Er selbst werde sich persönlich in diesen Häusern überzeugen, ob sein Befehl befolgt werde, denn man befinde sich bereits in jener Zone; jeder, der erwischt werden sollte, werde vor das Feldgericht gestellt.

Leutnant Dub wollte sich persönlich überzeugen, ob sein Befehl nicht hintergangen werde; deshalb wählte er offenbar zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung das Kanapee in Ellys Zimmerchen im ersten Stock des sogenannten »Stadtcafés«, ein Kanapee, auf dem er sich ausgezeichnet amüsierte.

Inzwischen hatte sich Hauptmann Sagner bereits zu seinem Bataillon begeben. Tayrles Gesellschaft hatte sich also aufgelöst. Er selbst wurde von der Brigade aus gesucht, wo der Brigadekommandant bereits mehr als eine Stunde nach seinem Adjutanten rief.

Es waren neue Befehle von der Division eingetroffen. Man mußte eine definitive Marschroute für das neue angekommene 91. Regiment festsetzen, da in der ursprünglichen Richtung nach den neuen Dispositionen das Marschbataillon des 102. Regiments vorrücken sollte.

Das alles war sehr verwickelt, die Russen wichen im nordöstlichen Zipfel Galiziens ungemein rasch zurück, so daß sich dort einige österreichische Truppenkörper untereinander vermengten; stellenweise drangen Teile der deutschen Armee wie Keile in sie ein; es entstand ein Chaos, das durch das Eintreffen neuer Marschbataillone und anderer Truppenkörper noch erhöht wurde. Dasselbe war auch an anderen Frontabschnitten der Fall, die noch weiter hinten lagen, wie zum Beispiel hier in Sanok, wo plötzlich die Reserven einer deutschen Hannoveranischen Division unter Führung eines Obersten eintrafen; dieser Oberst hatte einen so häßlichen Blick, daß der Brigadekommandant in restlose Verwirrung geriet. Der Kommandant der Reserven der Hannoveranischen Division wies nämlich die Disposition seines Stabes vor, derzufolge seine Mannschaft im Gymnasium einquartiert werden solle, wo gerade die Einundneunziger einquartiert waren. Behufs Unterbringung seines Stabs verlangte er die Räumung des Gebäudes der Krakauer Bank, in dem sich gerade der Brigadestab befand.

Der Brigadekommandant ließ sich direkt mit der Division verbinden, der er die genaue Situation darlegte; hierauf folgte eine Unterredung der Division mit dem Hannoveraner mit dem bösen Blick; auf Grund dieses Gesprächs langte bei der Brigade der Befehl ein: »Die Brigade verläßt die Stadt um sechs Uhr abends und bezieht die Linie Turowa-Wolska-Liskowiec-Starasol-Sambor. Gleichzeitig mit ihr rückt das Marschbataillon des 91. Infanterieregiments vor, das die Deckung bildet; die Vorpatrouille rückt um halb sechs auf Turowa vor, zwischen dem Flankenschutz im Norden und Süden 3½ Kilometer Distanz. Die Nachhut tritt um Viertel sieben den Marsch an.«

So entstand also im Gymnasium ein großes Hin und Her, und bei der Beratung der Bataillonsoffiziere fehlte niemand anders als Leutnant Dub; Schwejk erhielt den Befehl, ihn zu suchen.

»Ich hoffe«, sagte Oberleutnant Lukasch, »daß Sie ihn ohne alle Schwierigkeiten finden werden, ihr habt ja ohnehin fortwährend etwas miteinander.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich um einen schriftlichen Befehl von der Kompanie bitte. Grad deswegen, weil eben immer zwischen uns was is.«

Während Oberleutnant Lukasch in seinen Kopierblock den Befehl schrieb, Leutnant Dub möge sich sofort im Gymnasium zu einer Beratung einfinden, fuhr Schwejk in seiner Meldung fort: »Ja, Herr Oberlajtnant, Sie können unbesorgt sein wie immer. Ich wer ihn finden, weils den Soldaten verboten is, in Bordells zu gehn, und er sicher in einem sitzen wird, damit er sich überzeugt, ob von seinem Zug keiner vors Feldgericht kommen will, mit was er immer droht. Er selbst hat vor der Mannschaft von seinem Zug erklärt, daß er in alle Bordelle gehn wird, und dann, daß wehe ihnen, daß sie ihn von der schlechten Seite kennenlernen wern. Übrigens weiß ich, wo er is. Er is grad da gegenüber in dem Kaffeehaus, weil die ganze Mannschaft ihm nachgeschaut hat, wohin er zuerst geht.«

Die vereinigten städtischen Vergnügungsetablissements und das »Stadtcafé«, von dem Schwejk gesprochen hatte, bestanden aus zwei Abteilungen. Wer nicht durch das Kaffeehaus gehen wollte, ging rückwärts herum, wo sich eine alte Frau an der Sonne wärmte, die etwa in nachstehendem Sinn auf deutsch, polnisch und magyarisch sagte: »Komme, Kleiner, hier gibts hübsche Fräuleins.«

War der Soldat eingetreten, führte sie ihn durch einen Gang in ein Vorzimmer, das gewissermaßen einen Empfangsraum bildete; dann rief sie eines der Mädchen herbei, das sofort im Hemd gelaufen kam; zuerst verlangte das Fräulein Geld, das Madame auf der Stelle einkassierte, indes der Soldat das Bajonett abknöpfte.

Die Offiziere gingen durch das Kaffeehaus. Der Weg der Herren Offiziere war düsterer, denn er führte im Hintergrunde an den Chambres vorbei, wo sich eine Auswahl aus der zweiten Garnitur befand, die für die Offizierschargen bestimmt war, und wo es Spitzenhemdchen gab und Wein und Likör getrunken wurde. Madame duldete hier nichts, alles spielte sich oben in den Zimmern ab, wo sich in einem solchen Paradies voller Wanzen Leutnant Dub in Unterhosen auf dem Diwan wälzte, während ihm Fräulein Ella – wie dies in solchen Fällen immer üblich ist die ausgedachte Tragödie ihres Lebens erzählte: ihr Vater sei Fabrikant und sie Professorin am Lyzeum in Pest gewesen, und das hier habe sie aus unglücklicher Liebe getan.

Rückwärts, eine Handbreit hinter Leutnant Dub, standen auf einem kleinen Tischchen eine Flasche Wacholderschnaps und Gläser. Daß die Flasche halb leer war und Ella und Leutnant Dub bereits unverständliche Dinge sprachen, war eine Belastungsprobe dafür, daß Leutnant Dub nichts vertrug. Aus seinen Reden ging hervor, daß er bereits alles verwechselte und Ella für seinen Diener Kunert hielt; er nannte sie auch so und drohte dem vermeintlichen Kunert nach seiner Gewohnheit: »Kunert, Kunert, du Bestie, bis du mich von meiner schlechten Seite kennenlernen wirst . . .«

Schwejk sollte derselben Prozedur unterworfen werden wie alle übrigen Soldaten, die rückwärts herumgingen; er riß sich aber sanft von irgendeinem Mädl im Hemd los, auf deren Geschrei die polnische Madame gelaufen kam und Schwejk frech ins Gesicht leugnete, daß ein Herr Leutnant hier zu Gast sei.

»Schrein Sie nicht viel mit mir herum, gnä Frau«, sagte Schwejk freundlich, indem er dabei süß lächelte, »oder ich gib Ihnen eins übers Maul. Bei uns in der Plattnergasse hat man mal eine Madame so verdroschen, daß sie nix von sich gewußt hat. Nämlich ein Sohn hat dort seinen Vater gesucht, einen gewissen Wondratschek, was ein Geschäft mit Pneumatiks gehabt hat. Die Madame hat Chrowanowa geheißen, und wie man sie zu sich gebracht hat und auf der Rettungsstation gefragt hat, wie sie heißt, hat sie gesagt, daß so was mit ›Ch‹. Und wie is Ihr werter Name?«

Die ehrenwerte Matrone begann fürchterlich zu brüllen, als Schwejk sie nach diesen Worten beiseite schob und ernsthaft über die Holzstiege zum ersten Stockwerk emporschritt.

Unten erschien der Besitzer des Freudenhauses, ein verarmter polnischer Adeliger, der Schwejk die Stiege hinauf nachlief und ihn an der Bluse zu zerren begann, wobei er ihm auf deutsch zuschrie, daß dort hinauf Soldaten nicht dürften, oben sei es nur für die Herren Offiziere, für die Mannschaft sei es unten. Schwejk machte ihn darauf aufmerksam, daß er im Interesse der ganzen Armee hergekommen sei und einen Herrn Leutnant suche, ohne den die Armee nicht ins Feld rücken könne; und als der andere immer lästiger wurde, stieß ihn Schwejk die Treppe hinunter und setzte die Untersuchung der Räumlichkeiten fort. Er überzeugte sich, daß alle Zimmer leer waren, erst am Ende des Ganges ließ sich, nachdem er geklopft, nach der Klinke gegriffen und die Tür ein wenig geöffnet hatte, die quietschende Stimme Ellas vernehmen: »Besetzt.« und gleich darauf die tiefe Stimme Leutnant Dubs, der wohl glaubte, daß er sich noch in seinem Zimmer im Lager befinde: »Herein!«

Schwejk trat ein, näherte sich dem Diwan, und während er Leutnant Dub die Kopie auf dem abgerissenen Blatt des Notizblockes überreichte, meldete er, verstohlen auf die in der Ecke des Bettes verstreuten Teile der Uniform blickend: »Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, Sie solln sich anziehn und sich gleich nach diesem Befehl, was ich Ihnen überbring, in unserer Kaserne im Gymnasium einfinden, wir ham dort nämlich eine große militärische Beratung!«

Leutnant Dub wälzte die Augen mit den kleinen Pupillen auf ihn heraus, dann besann er sich, daß er doch nicht so besoffen war, um Schwejk nicht zu erkennen. Es fiel ihm sofort ein, daß man ihm Schwejk wohl zum Rapport schicke, und deshalb sagte er: »Gleich werde ich mit dir abrechnen, Schwejk. Du wirst – sehn – wies – mit – dir ausfallen – wird . . .«

»Kunert«, rief er Ella zu, »gieß – mir – noch – eins – ein!«

Er trank, und während er den schriftlichen Befehl zerriß, lachte er: »Das ist – eine Entschuldigung? Bei – uns – gelten – keine Entschuldigungen. Wir sind – im Krieg – und nicht – in der – Schule. Hat man – dich – also – im Bordell – erwischt? Komm – näher – zu – mir – Schwejk – ich – gib – dir ein paar – Ohrfeigen. – In – welchem Jahr – Philipp – von – Mazedonien – die Römer – geschlagen – hat, das – weißt – du – nicht – du Ochs.«

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant«, fuhr Schwejk unerbittlich fort, »allerhöchster Brigadekommandobefehl, die Herren Offiziere solln sich anziehen und zur Bataillonsbesprechung kommen; wir brechen nämlich auf, und erst jetzt wird sichs entscheiden, welche Kompanie Vorhut, Seitenhut oder Nachhut sein wird. Grad jetzt wird man darüber entscheiden, und ich denk, Herr Lajtnant, daß Sie auch was hineinzureden ham.«

Diese diplomatische Rede brachte Leutnant Dub ein wenig zur Besinnung; er begann allmählich zu erkennen, daß er sich doch nicht in der Kaserne befinde, aber aus Vorsicht fragte er noch: »Wo sind wir?«

»Herr Lajtnant belieben im Bordell zu sein. Gottes Wege sind verschieden.«

Leutnant Dub seufzte tief auf, kletterte vom Diwan herunter und fing an, seine Uniform zu suchen, wobei ihm Schwejk behilflich war; als er endlich angekleidet war, gingen beide hinaus, aber gleich darauf kehrte Schwejk zurück, und ohne Ella zu beachten, die, seiner Rückkehr eine ganz andere Bedeutung beimessend, aus unglücklicher Liebe gleich wieder ins Bett kroch, trank er schnell aus der Flasche den Rest des Wacholderschnapses aus und ging wieder dem Leutnant nach.

Auf der Straße stieg Leutnant Dub wieder alles zu Kopf, denn es war sehr schwül. Er erzählte Schwejk allerhand zusammenhanglosen Unsinn. Er sprach davon, daß er zu Hause einen Briefkasten aus Helgoland habe und daß sie gleich nach der Matura Billard spielen gegangen seien und den Klassenvorstand nicht gegrüßt hätten. Zu jedem Satz fügte er hinzu: »Ich denke, daß Sie mich gut verstehn.«

»Natürlich verstehe ich Sie gut«, antwortete Schwejk. »Sie reden so ähnlich wie der Klempner Pokorny in Budweis. Der, wenn ihn die Leute gefragt ham: ›Ham Sie schon heuer in der Maltsch gebadet?‹ hat er geantwortet: ›Nein, aber dafür wirds heuer viel Zwetschken geben.‹ Oder man hat ihn gefragt: ›Ham Sie heuer schon Schwammerln gegessen?‹ und er hat darauf geantwortet: »Nein, aber dieser neue marokkanische Sultan soll herich ein sehr braver Mensch sein.‹«

Leutnant Dub blieb stehn und stieß heraus: »Marokkanischer Sultan? Das ist eine abgetane Größe.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und murmelte, mit verschleierten Augen auf Schwejk blickend: »So hab ich nicht mal im Winter geschwitzt. Sind Sie damit einverstanden? Schwejk, verstehn Sie mich?«

»Ich versteh, Herr Lajtnant. Zu uns ins Wirtshaus zum ›Kelch‹ is immer ein alter Herr gegangen, und der hat dasselbe behauptet. Er hat immer gesagt, daß er sich wundert, was für ein Unterschied zwischen der Temperatur im Sommer und im Winter is. Daß es ihm sehr komisch vorkommt, warum die Menschen noch nicht drauf gekommen sind.«

Im Tor des Gymnasiums verließ Schwejk Leutnant Dub, der über die Stiege hinauf in den Konferenzsaal taumelte, wo die militärische Beratung stattfand, und Hauptmann Sagner sofort meldete, daß er, Dub, vollkommen betrunken sei. Während der ganzen Beratung saß er mit gesenktem Kopf da, und bei der Debatte erhob er sich ab und zu, um zu rufen: »Ihre Ansicht ist richtig, meine Herren, aber ich bin ganz betrunken.«

Als alle Dispositionen ausgearbeitet waren und die Kompanie des Oberleutnants Lukasch zur Vorpatrouille bestimmt wurde, zuckte Leutnant Dub plötzlich zusammen, erhob sich und sagte: »Ich erinnere mich an unseren Klassenvorstand in der Prima, meine Herren. Er lebe hoch, er lebe hoch, er lebe hoch!«

Oberleutnant Lukasch dachte, es werde am besten sein, wenn er Leutnant Dub einstweilen von dessen Burschen Kunert im anstoßenden physikalischen Kabinett zur Ruhe bringen lassen werde, wo eine Wache vor der Türe stand, damit nicht am Ende jemand die Reste der bereits zur Hälfte ausgeraubten Mineraliensammlung des Kabinetts stehle. Darauf wurden auch die durchmarschierenden Truppenkörper unaufhörlich von der Brigade aufmerksam gemacht.

Die Vorsichtsmaßregel datierte von dem Zeitpunkt, da ein Honvédbataillon, das im Gymnasium einquartiert war, angefangen hatte, das Kabinett zu plündern. Besonders gut hatte den Honvéds die Mineraliensammlung gefallen – bunte Kristalle und Kieselsteine –, die sie in ihre Rucksäcke gesteckt hatten.

Auf dem kleinen Soldatenfriedhof befindet sich auch auf einem weißen Kreuze die Inschrift »Laszlo Gargany«. Dort schläft den ewigen Traum ein Honvéd, der bei jener Plünderung der Sammlungen des Gymnasiums allen denaturierten Spiritus aus einem Gefäß ausgetrunken hatte, in dem verschiedene Reptilien aufbewahrt waren.

Der Weltkrieg rottete das Menschengeschlecht sogar mit Branntwein aus Reptiliensammlungen aus. Als bereits alle gegangen waren, ließ Oberleutnant Lukasch Leutnant Dubs Putzfleck Kunert rufen, der seinen Leutnant fortführte und auf den Diwan bettete. Leutnant Dub ward plötzlich wie ein kleines Kind; er ergriff Kunerts Hand, fing an, seine Handfläche zu untersuchen, und sagte, daß er aus der Hand den Namen von Kunerts zukünftiger Gattin erraten werde.

»Wie heißen Sie? Ziehn Sie mir aus der Brusttasche der Bluse Notizbuch und Bleistift heraus. Sie heißen also Kunert: also kommen Sie in einer Viertelstunde, und ich laß Ihnen einen Zettel mit dem Namen Ihrer künftigen Frau Gemahlin hier.«

Kaum hatte er dies gesagt, begann er schon zu schnarchen; aber er erwachte wieder und fing an, etwas in sein Notizbuch zu schmieren; was er geschrieben hatte, riß er wieder heraus, warf es auf die Erde und sagte, den Finger geheimnisvoll an den Mund legend: »Jetzt noch nicht, bis in einer Viertelstunde. Am besten wirds sein, wenn Sie den Zettel mit verbundenen Augen suchen werden.«

Kunert war so ein guter Kerl, daß er tatsächlich nach einer Viertelstunde kam; als er den Zettel entfaltete, las er aus den Hieroglyphen Leutnant: Dubs: »Der Name Ihrer zukünftigen Gemahlin wird lauten: Frau Kunert.«

Als er den Zettel nach einer Weile Schwejk zeigte, meinte dieser, Kunert möge ihn nur recht gut aufbewahren, solche Dokumente militärischer Persönlichkeiten müsse ein jeder in Ehren halten. Früher, im aktiven Dienst, habe es so was nicht gegeben, daß ein Offizier mit seinem Burschen korrespondiert oder ihn gar Herr tituliert hätte.

 

Als die Vorbereitungen zum Aufbruch gemäß den ausgegebenen Dispositionen beendet waren, ließ der Brigadekommandant, den der Hannoveranische Oberst so gut hinausgehetzt hatte, das ganze Bataillon in dem üblichen Karree zusammentreten und hielt eine Ansprache. Der Mann redete nämlich überaus gern; er warf Kraut und Rüben durcheinander, und als er nichts mehr zu sagen hatte, erinnerte er sich noch an die Feldpost.

»Soldaten!« donnerte es aus seinem Mund in das Karree, »jetzt nähern wir uns der Front des Feindes, von dem uns einige Tagesmärsche trennen. Soldaten! Bisher habt ihr auf eurem Marsch keine Gelegenheit gehabt, euren Lieben, die ihr verlassen habt, eure Adressen anzugeben, damit eure Lieben wissen, wohin sie euch schreiben sollen, damit ihr euch an den Briefen eurer lieben Hinterbliebenen erfreut.«

Er konnte sich irgendwie nicht draus hinauswinden und wiederholte unzähligemal hintereinander: »Eure Lieben – eure Verwandten, eure lieben Hinterbliebenen« usw., bis er schließlich diesen Kreis mit dem mächtigen Ruf sprengte: »Dazu haben wir die Feldpost an der Front!«

Seine weitere Rede erweckte den Anschein, als sollten sich all diese Menschen in grauer Uniform einzig und allein deshalb mit der größten Freude erschlagen lassen, weil es an der Front die Einrichtung der Feldpost gab, und als sei es für einen, dem eine Granate beide Beine abreiße, eine Lust zu sterben, wenn er daran denke, daß seine Feldpost die Nummer 72 habe, bei der vielleicht ein Brief seiner lieben Daheimgebliebenen samt einer Sendung, bestehend aus einem Stück Selchfleisch, Speck und hausgemachtem Zwieback liege.

Dann, nach dieser Rede, als die Brigadekapelle die Volkshymne gespielt hatte und Hochrufe auf den Kaiser ausgebracht worden waren, traten die einzelnen Gruppen dieses menschlichen, für die Schlachtbänke irgendwo hinter dem Bug bestimmten Viehs, eine nach der andern, den erteilten Dispositionen gemäß, den Marsch an.

Die 11. Kompanie marschierte um halb sechs Uhr auf Turowa-Wolska. Schwejk watschelte ganz hinten mit dem Kompaniestab und der Sanität, und Oberleutnant Lukasch ritt ständig die ganze Kolonne ab, wobei er jeden Augenblick nach rückwärts kam, teils um sich vom Zustand Leutnant Dubs zu überzeugen, der in einem Wägelchen unter Segeltuch neuen Heldentaten in einer unbekannten Zukunft entgegenfuhr, teils um sich den Weg durch Gespräche mit Schwejk zu verkürzen, der geduldig seinen Rucksack und sein Gewehr schleppte und mit Feldwebel Waněk davon sprach, wie man vor Jahren auf den Manövern bei Groß-Meseritsch so angenehm marschiert sei.

»Das war akkurat so eine Gegend wie hier, nur daß wir nicht so feldmäßig gegangen sind, weil wir damals noch nicht mal gewußt ham, was Reservekonserven sind; wenn wir eine Konserve gefaßt ham, hamr sie bei unserm Zug gleich beim nächsten Nachtlager aufgefressen und ham uns dafür einen Ziegel in den Rucksack gesteckt. In einem Dorf is Inspizierung gekommen, man hat uns alle Ziegel ausn Rucksack geworfen, und es waren ihrer so viel, daß sich dann dort draus jemand ein Familienhaus gebaut hat.«

Eine Weile später marschierte Schwejk stramm neben dem Pferd Oberleutnant Lukaschs und redete über die Feldpost: »Sehr hübsch war die Rede, und es is sicher jedem angenehm, wenn er ins Feld einen hübschen Brief von zu Haus kriegt. Aber ich, wie ich vor Jahren in Budweis gedient hab, hab ich beim Militär nur einen Brief in die Kaserne bekommen, und den hab ich noch aufgehoben.«

Schwejk zog aus einer schmutzigen Ledertasche einen Brief voller Fettflecke hervor, und während er mit dem Pferd Oberleutnant Lukaschs Schritt hielt, der einen mäßigen Trab angeschlagen hatte, las er laut: »Du niederträchtiger Halunke, Du Mörder und Schuft! Korporal Křisch is nach Prag auf Urlaub gekommen, und ich hab mit ihm bei ›Kocan‹ getanzt, und er hat mir erzählt, daß Du herich in Budweis beim ›Grünen Frosch‹ mit irgendeinem blöden Flitscherl tanzt und daß Du mich schon ganz verlassen hast. Daß Dus weißt, ich schreib diesen Brief im Häusl aufn Brett neben dem Loch, zwischen uns is aus. Deine gewesene Božena. Damit ich nicht vergeß, der Korporal kanns und wird Dich noch sekkieren, ich hab ihn drum gebeten. Und noch damit ich nicht vergeß, Du wirst mich nicht mehr unter den Lebenden finden, bis Du auf Urlaub kommst.«

»Versteht sich«, fuhr Schwejk während seines mäßigen Trabs fort, »daß sie, wie ich auf Urlaub gekommen bin, unter den Lebenden war, und noch dazu unter was für Lebenden. Ich hab sie auch bei ›Kocan‹ gefunden, zwei Soldaten ham sie grad angezogen, und einer von ihnen war so lebhaft, daß er ihr ganz öffentlich unter die Bluse gegriffen hat, als ob er, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, von dort den Schmelz ihrer Unschuld hätt herausziehn wolln, wie die Wenceslava Lužicka sagt, oder wies einmal so ähnlich ein junges Mädl von ungefähr sechzehn Jahren in der Tanzstunde einem Gymnasiasten unter lautem Weinen gesagt hat, wie er sie in den Arm gezwickt hat: ›Mein Herr, Sie ham den Schmelz meiner Jungfräulichkeit vernichtet.‹ Natürlich ham alle gelacht, und ihre Mutter, was dort auf sie achtgegeben hat, hat sie bei der ›Beseda‹Tschechischer Nationaltanz. aufn Gang geführt und hat dort ihre dumme Urschel ordentlich verwichst. Ich bin, Herr Oberlajtnant, zu der Ansicht gekommen, daß die draußigen Mädln doch nur aufrichtiger sind wie diese abgequetschten Stadtfräuleins, was in Tanzstunden gehn. Wie wir vor Jahren in Mnischek auf Übung waren, bin ich nach Alt-Kmin tanzen gegangen und hab mir dort eine Bekanntschaft mit einer gewissen Karla Veklow gemacht, aber sehr hab ich ihr nicht gefalln. Einmal Sonntagabend hab ich sie zum Teich begleitet, dort hamr uns aufn Damm gesetzt, und ich hab sie gefragt, wie die Sonne untergegangen is, ob sie mich auch gern hat. Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß die Luft so lau war, alle Vögel ham gesungen, und sie hat mir mit einem entsetzlichen Lachen geantwortet: ›Ich hab dich so gern, wie einen Strohhalm im Arsch, du bist ja blöd.‹ Und ich war auch wirklich blöd, so fürchterlich blöd, daß ich Ihnen, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, vordem mit ihr zwischen Feldern, zwischen hohem Getreide, in menschenleerem Raum herumgegangen bin, nicht mal einmal hamr uns gesetzt, und ich hab ihr nur diesen Segen Gottes gezeigt, und ich Idiot, ich erklär diesem Bauernmädl, daß das da Korn is, das da Gerste und das da wieder Hafer.«

Und gleichsam zur Bestätigung dieser Worte ertönten von vorn die Stimmen der Soldaten der Kompanie; sie sangen die Fortsetzung des Liedes, mit dem die tschechischen Regimenter bereits vor Solferino für Österreich bluten gegangen waren:

»Mit dem Mittnachtsglockenschlag,
Springt der Hafer aus dem Sack.
Juphejdija, juphejda!
Jedes Weib gibt da.«

Worauf wiederum die andern einfielen:

»Gibt da, gibt da, gibt da,
Wozu wäre sie denn da,
Gibt zwei Küsse dir statt einen,
Ja, auf jede Wange einen.
Juphejdija, juphejda,
Jedes Weib gibt da,
Gibt da, gibt da, gibt da,
Wozu wäre sie denn da.«

Dann begannen die Deutschen dasselbe Lied in deutscher Sprache zu singen.

Es ist ein altes Soldatenlied, das vielleicht schon die Soldateska während der napoleonischen Schlachten in allen Sprachen gesungen hatte. Jetzt erscholl es jauchzend auf der verstaubten Straße vor Turowa-Wolska in der galizischen Ebene, wo auf beiden Seiten bis weit zu den grünen Hügeln im Süden hin die Felder unter den Hufen der Pferde zerstampft und unter Tausenden von schweren Soldatenstiefeln vernichtet worden waren.

»So ähnlich hamr mal die Gegend auf den Manövern bei Pisek zugerichtet«, ließ sich Schwejk vernehmen, indem er umherblickte. »Ein Herr Erzherzog war dort mit uns, das war so ein gerechter Herr, daß, wenn er mit seinem Stab aus strategischen Gründen durchs Getreide geritten is, so hat gleich hinter ihm der Adjutant den ganzen Schaden abgeschätzt. Ein gewisser Bauer Picha hat keine Freude an dem Besuch gehabt und hat vom Ärar die achtzehn Kronen Entschädigung für zerstampfte fünf Joch Feld nicht angenommen, er wollt sich Ihnen, Herr Oberlajtnant, prozessieren und hat dafür achtzehn Monate gekriegt.

Ich denk, Herr Oberlajtnant, daß er eigentlich hat froh sein können, daß ihm jemand ausn kaiserlichen Haus auf seinem Grundstück besucht hat. Ein anderer Bauer, was gebildeter war, möcht alle seine Mädln in weiße Kleider anziehn wie Kranzeljungfern, möcht ihnen Blumensträuße in die Hand geben und möcht sie auf seinem Grundstück aufstelln, und jede von ihnen müßt den hohen Herrn begrüßen, wie ichs von Indien gelesen hab, wo sich die Untertanen von irgendeinem Herrscher von dem Elefant ham zertreten lassen.«

»Was reden Sie da, Schwejk?« rief ihm Oberleutnant Lukasch vom Pferde herab zu.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich den Elefanten mein, was auf seinem Rücken den Herrscher getragen hat, von dem ich gelesen hab.«

»Das muß man Ihnen lassen, Schwejk, daß Sie alles richtig erklären können«, sagte Oberleutnant Lukasch und ritt nach vorn. Dort riß die Marschkolonne bereits entzwei, der ungewohnte Marsch nach der Rast im Eisenbahnzug und die volle, komplette Ausrüstung bewirkten, daß allen die Arme zu schmerzen begannen und jeder sichs so bequem machte, wie er konnte. Man hing das Gewehr von einer Seite auf die andere, die Mehrzahl trug es nicht mehr geschultert, sondern über den Rücken geworfen wie einen Rechen oder eine Heugabel. Manche dachten, daß es bequemer sei, durch den Graben oder über den Rain zu gehen, wo der Boden unter den Füßen denn doch weicher schien als auf der verstaubten Landstraße.

Die Mehrzahl schritt mit zu Boden gesenktem Kopf und alle litten großen Durst, denn, obwohl die Sonne bereits unterging, herrschte dennoch eine solche Schwüle und Hitze wie am Mittag und keiner hatte auch nur noch einen Tropfen Wasser in der Feldflasche. Es war der erste Marschtag, und diese ungewohnte Situation, gleichsam eine Stufe zu größeren und größeren Leiden, machte alle immer schwächer und matter. Sie hörten auf zu singen und schätzten gegenseitig untereinander ab, wie weit es wohl nach Turowa-Wolska sein mochte, wo ihrer Meinung nach übernachtet werden sollte. Manche setzten sich für ein Weilchen in den Graben, und damit man ihnen die Müdigkeit nicht anmerke, schnürten sie sich die Schuhe auf und erweckten auf den ersten Blick den Eindruck von Leuten, deren Fußlappen schlecht zusammengelegt sind und die sich bemühen, sie so zu richten, daß sie auf dem weitern Marsch nicht drücken. Andere wiederum verlängerten oder verkürzten den Gewehrriemen oder öffneten den Rucksack und schichteten die darin untergebrachten Gegenstände um, wobei sie sich selbst einredeten, daß sie dies aus Rücksicht auf eine richtige Verteilung der Belastung tun, damit die Rucksackriemen nicht die eine oder die andere Schulter herabzögen. Als sich ihnen Oberleutnant Lukasch der Reihe nach näherte, standen sie auf und meldeten, daß sie etwas drücke oder sonst etwas behindere, sofern sie nicht von den Kadetten oder Zugführern schon vorher, sobald diese aus der Ferne das Pferd Oberleutnant Lukaschs bemerkten, vorwärtsgetrieben wurden.

Wenn Oberleutnant Lukasch vorüberritt, forderte er sie ganz freundlich auf, sich zu erheben, nach Turowa-Wolska wäre es nur noch drei Kilometer und dort werde man rasten.

Inzwischen kam Leutnant Dub durch das unaufhörliche Rütteln auf dem zweirädrigen Sanitätswagen zur Besinnung. Er kam zwar nicht vollständig zu sich, aber er konnte sich bereits erheben und aus dem Wagen beugen und die Leute vom Kompaniestab rufen, die sich unbeschwert ringsumher bewegten, denn alle, angefangen von Baloun und endend mit Chodounsky, hatten ihre Rucksäcke in dem Wagen untergebracht. Nur Schwejk schritt mutig vorwärts, den Rucksack auf dem Rücken, das Gewehr nach Dragonerart auf dem Riemen über der Brust; er rauchte seine Pfeife und sang beim Marsche:

»Als wir nach Jaroměrsch zogen,
glaubt man auch, es sei erlogen,
kamen wir so ungefähr grad zum Nachtmahl hin.«

Mehr als fünfhundert Schritte vor Leutnant Dub erhoben sich auf der Straße Staubwirbel, aus denen die Gestalten von Soldaten auftauchten. Leutnant Dub, dessen Begeisterung wieder zurückgekehrt war, neigte den Kopf aus dem Wagen und fing an, in den Straßenstaub zu brüllen: »Soldaten! Eure erhabene Aufgabe ist schwer, beschwerliche Märsche, vielfacher Mangel an allem und Strapazen aller Art heben für euch an. Aber ich vertraue vollkommen auf eure Ausdauer und euren festen Willen.«

»Und Ochsen brüllen«, dichtete Schwejk hinzu.

Leutnant Dub fuhr fort: »Für euch, Soldaten, ist kein Hindernis zu groß, daß ihr es nicht überwinden könntet. Noch einmal, Soldaten, wiederhole ich euch: Ich führe euch zu keinem leichten Sieg. Es wird eine harte Nuß für euch sein, aber ihr werdets leisten! Euch wird die Geschichte seligsprechen.«

»Und wer dir zuhört, kann brechen«, dichtete Schwejk abermals hinzu.

Und als hätte Leutnant Dub dies gehört, begann er plötzlich mit gesenktem Kopf in den Straßenstaub zu kotzen; als er genug gekotzt hatte, rief er noch: »Vorwärts, Soldaten!«, fiel abermals auf den Rucksack des Telefonisten Chodounsky und schlief bis Turowa-Wolska, wo man ihn endlich auf Befehl Oberleutnant Lukaschs auf die Beine stellte und vom Wagen hob; es dauerte lange, bevor sich Leutnant Dub nach der langen und schwierigen Unterredung mit Oberleutnant Lukasch soweit erholte, um schließlich erklären zu können: »Logisch beurteilt, habe ich eine Dummheit begangen, die ich vor dem Feinde gutmachen werde.«

Er war allerdings noch nicht ganz bei Besinnung, denn bevor er zu seinem Zuge ging, sagte er zu Oberleutnant Lukasch: »Sie kennen mich noch nicht, aber bis Sie mich kennenlernen werden . . .!«

»Sie können sich darüber, was Sie aufgeführt haben, beim Schwejk informieren.«

Leutnant Dub ging also, bevor er sich zu seinem Zug begab, zu Schwejk, den er in der Gesellschaft Balouns und des Rechnungsfeldwebels Waněk antraf.

Baloun erzählte gerade, daß er zu Hause in der Mühle immer eine Flasche Bier im Brunnen gehabt habe. Das Bier sei so kalt gewesen, daß die Zähne daran stumpf wurden. In anderen Mühlen habe man solches Bier zu Quark und Butter getrunken, er aber, in seiner Gefräßigkeit, für die Gott ihn jetzt strafe, habe danach immer noch ein tüchtiges Stück Fleisch verschlungen. Jetzt habe ihn Gottes Gerechtigkeit mit warmem, stinkendem Wasser aus dem Brunnen in Turowa-Wolska bestraft, in das alle wegen der Choleragefahr Zitronensäure gießen mußten, die man gerade vor einem Weilchen ausgegeben hatte, als man schwarmweise Brunnenwasser holen gegangen war. Baloun bekundete die Ansicht, daß man diese Zitronensäure offenbar dazu austeilte, um die Mannschaft auszuhungern. Es sei zwar wahr, daß er sich in Sanok ein wenig angegessen und Oberleutnant Lukasch ihm wieder eine halbe Portion Kalbfleisch überlassen habe, das diesem von der Brigade geschickt worden sei, allein es sei schrecklich; er habe doch gedacht, daß man, bis sie hier eintreffen würden, rasten und übernachten und wieder etwas kochen werde. Er war davon schon ganz überzeugt gewesen, als die Feldköche Wasser in die Kessel gossen. Er war sofort zu der Küche gegangen, um nach dem Was und Wie zu fragen, und man habe ihm geantwortet, es sei nur der Befehl gekommen, inzwischen Wasser zu holen, in einer Weile könne wieder der Befehl kommen, das Wasser auszugießen.

In diesem Augenblick näherte sich ihnen Leutnant Dub, und weil er sich selbst gegenüber recht unsicher war, fragte er: »Unterhaltet ihr euch?«

»Wir unterhalten uns«, antwortete für alle Schwejk, »bei uns is die Unterhaltung in vollem Gang. Es is überhaupt am besten, sich immer gut zu unterhalten. Jetzt unterhalten wir uns grad über Zitronensäure. Ohne Unterhaltung kann ein Soldat nicht sein, so vergißt er wenigstens besser all die Strapazen.«

Leutnant Dub sagte, Schwejk möge ein Stückchen mit ihm gehen, er wolle ihn etwas fragen. Als sie sich ein wenig entfernt hatten, sagte Leutnant Dub mit schrecklich unsicherer Stimme: »Habt ihr euch nicht über mich unterhalten?«

»Keinesfalls, niemals nicht, Herr Lajtnant, nur von der Zitronensäure und Geselchtem.«

»Oberleutnant Lukasch hat mir gesagt, daß ich angeblich etwas aufgeführt haben soll und daß Sie sehr gut darüber informiert sind, Schwejk.«

Schwejk sagte ungemein ernst und nachdrücklich: »Nichts ham Sie aufgeführt, Herr Lajtnant. Sie waren nur zu Besuch in einem öffentlichen Haus. Aber das war wahrscheinlich ein Irrtum. Den Klempner Pimpra von Ziegelplatz hat man auch immer gesucht, wenn er in die Stadt Blech kaufen gegangen is, und hat ihn auch immer in so einem Lokal gefunden, entweder bei ›Schuha‹ oder bei ›Dwořak‹, so wie ich Sie gefunden hab. Unten war ein Kaffeehaus und oben waren in unserm Fall Weiber. Sie waren wahrscheinlich im Irrtum, Herr Lajtnant, wo Sie sich da eigentlich befinden, denn es war heiß, und wenn der Mensch nicht gewöhnt is zu trinken, so betrinkt er sich in so einer Hitze sogar mit gewöhnlichem Rum, was erst Sie mit Wacholderschnaps, Herr Lajtnant. Ich hab also Befehl gekriegt, bevor wir aufgebrochen sind, Ihnen eine Einladung zu der Besprechung zu überbringen und hab Sie auch bei dem Mädl dort oben gefunden; vor Hitze und dem Wacholderschnaps ham Sie mich gar nicht erkannt und sind dort ausgezogen auf dem Kanapee gelegen. Sie ham dort gar nichts aufgeführt und ham nicht mal gesagt: ›Sie kennen mich noch nicht‹, aber so was kann jedem passieren, wenns heiß is. Mancher leidet schrecklich dran, ein andrer kommt wieder dazu wie ein blindes Huhn zu einem Korn. Wenn Sie den alten Wejwoda, Polierer in Wrschowitz, gekannt hätten, der hat sich Ihnen, Herr Lajtnant, vorgenommen, daß er nichts trinken wird, womit er sich betrinken könnt. So hat er Ihnen also noch ein Stamperl getrunken und is von zu Haus weggegangen, solche alkoholfreie Getränke suchen. Zuerst hat er sich Ihnen also im Wirtshaus ›Zur Station‹ aufgehalten, hat sich dort ein Viertel Wermut geben lassen und hat angefangen, den Wirt unauffällig auszufragen, was diese Abstinenzler eigentlich trinken. Er hat ganz richtig geurteilt, daß reines Wasser halt auch für Abstinenzler ein hartes Getränk is. Der Wirt hat ihm also erzählt, daß die Abstinenzler Sodawasser, Limonade, Milch und dann Wein ohne Alkohol trinken, kalte Wassersuppe und andere alkoholfreie Getränke. Davon hat dem alten Wejwoda doch nur der alkoholfreie Wein am besten gefalln. Er hat noch gefragt, ob es auch alkoholfreien Schnaps gibt, hat noch ein Viertel getrunken, hat mitn Wirt davon gesprochen, daß es wirklich eine Sünde is, sich oft zu besaufen, worauf ihm der Wirt gesagt hat, daß er alles auf der Welt verträgt, nur nicht einen Besoffenen, was sich anderwärts besauft und dann zu ihm kommt, damit er bei einer Flasche Sodawasser nüchtern wird und noch Krawall schlägt. ›Besauf dich bei mir‹, sagt der Wirt, ›dann bist du mein Mann, aber sonst kenn ich dich nicht.‹ Der alte Wejwoda hat also ausgetrunken und is weitergegangen, bis er Ihnen, Herr Lajtnant, am Karlsplatz in eine Weinhandlung gekommen ist, wo er auch manchmal eingekehrt is, und dort gefragt hat, ob sie nicht alkoholfreien Wein ham. ›Alkoholfreien Wein hamr nicht, Herr Wejwoda‹, hat man ihm gesagt, ›aber Wermut oder Sherry.‹ Dem alten Wejwoda wars irgendwie eine Schande, so hat er dort ein Viertel Wermut und ein Viertel Sherry getrunken, und wie er so sitzt, wird er Ihnen, Herr Lajtnant, auch mit so einem Abstinenzler bekannt. Ein Wort gibt das andere, sie trinken jeder noch ein Viertel Sherry und schließlich kommts heraus, daß dieser Herr einen Ort kennt, wo man alkoholfreien Wein verzapft. ›Es is in der Bolzanogasse, man geht über Stufen hinunter und ein Grammophon is auch dort.‹ Für diese Nachricht hat der alte Wejwoda eine ganze Flasche Wermut aufn Tisch kommen lassen, und dann sind beide in die Bolzanogasse gegangen, wo man über Stufen hinuntergeht und wos ein Grammophon gibt, und wirklich, dort hat man lauter Obstwein verzapft, nicht nur spiritusfreien, sondern sogar ohne Alkohol. Zuerst hat sich jeder einen halben Liter Stachelbeerwein geben lassen, dann einen halben Liter Ribiswein, und wie sie noch einen halben Liter alkoholfreien Stachelbeerwein ausgetrunken ham, sind ihnen nach allen den früheren Wermuts und Sherrys die Füße eingeschlafen, sie ham angefangen zu schrein, man soll ihnen die amtliche Bestätigung bringen, daß das, was sie hier trinken, alkoholfreier Wein is. Daß sie herich Abstinenzler sind, und wenn mans ihnen herich nicht gleich bringt, wern sie hier herich alles mitsamtn Grammophon zerdreschen. Dann ham die Polizisten beide über die Stufen in der Bolzanogasse hinaufziehen müssen, und ham sie in die Gemeindetruhe legen und in die Separation werfen müssen. Und zum Schluß hat man dann beide als Abstinenzler wegen Trunkenheit verurteiln müssen.«

»Warum erzähln Sie mir das?« rief Leutnant Dub, der durch diese Rede ganz nüchtern geworden war.

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, daß es eigentlich nicht zusammengehört, aber wenn wir uns schon so erzählen . . .«

Leutnant Dub fiel in diesem Augenblick ein, daß ihn Schwejk abermals beleidigt habe, und da er bereits bei ganz klarem Bewußtsein war, schrie er Schwejk an: »Du wirst mich einmal kennenlernen! Wie stehst du eigentlich?«

»Melde gehorsamst, daß ich schlecht steh, ich hab, melde gehorsamst, vergessen, die Fersen zusammenzuschlagen. Gleich wer ichs machen.«

Schwejk stand schon wieder in der besten Habtachtstellung.

Leutnant Dub dachte nach, was er noch sagen solle, aber zum Schluß sagte er nur: »Gib dir acht, damit ich dirs nicht zum letztenmal sagen muß.« Worauf er als Ergänzung seinen alten Spruch abänderte: »Du kennst mich noch nicht, aber ich kenne dich.«

Als Leutnant Dub Schwejk verließ, dachte er in seinem Katzenjammer: »Kann sein, daß es besser auf ihn wirken würde, wenn ich ihm gesagt hätte: ›Ich kenn dich schon längst von deiner schlechten Seite, Halunke!‹«

Dann ließ Leutnant Dub seinen Putzfleck Kunert rufen und befahl ihm, einen Krug Wasser aufzutreiben.

Zur Ehre Kunerts sei gesagt, daß er in Turowa-Wolska lange einen Krug und Wasser suchte.

Schließlich gelang es ihm, dem Herrn Pfarrer einen Krug zu stehlen, und in diesen Krug schöpfte er aus einem mit Brettern vernagelten Brunnen Wasser. Zu diesem Zweck mußte er allerdings einige Bretter abreißen, denn der Brunnen war sehr gut verwahrt, da das Wasser darin typhusverdächtig war.

Leutnant Dub trank jedoch ohne alle weiteren Folgen den ganzen Krug leer, womit er das Sprichwort bestätigte: »Ein gutes Schwein verträgt alles.«

Alle irrten sich sehr, wenn sie annahmen, daß man etwa in Turowa-Wolska übernachten werde.

Oberleutnant Lukasch versammelte den Telefonisten Chodounsky, Rechnungsfeldwebel Waněk, die Kompanieordonnanz Schwejk und Baloun um sich. Die Befehle waren einfach: Die gesamte Mannschaft läßt die Ausrüstung bei der Sanität, marschiert sofort auf einen Feldweg nach Polanec und von dort längs des Baches in südöstlicher Richtung gegen Liskowiec.

Schwejk, Waněk und Chodounsky sind Quartiermacher. Alle müssen Nachtlager für die Kompanie vorbereiten, die ihnen in einer, höchstens anderthalb Stunden folgen wird. Baloun muß inzwischen dort, wo er, Oberleutnant Lukasch, übernachten wird, eine Gans braten lassen, und alle drei müssen auf Baloun achtgeben, damit er nicht die Hälfte auffrißt. Außerdem müssen Waněk und Schwejk ein Schwein für die Kompanie kaufen, je nachdem, wieviel Fleisch auf die ganze Mannschaft entfällt. In der Nacht wird Gulasch gekocht werden. Die Nachtquartiere für die Leute müssen ordentlich sein; verlausten Hütten ausweichen, damit sich die Mannschaft gründlich ausruht, weil die Kompanie von Liskowiec bereits um halb sieben Uhr früh über Kroscienka gegen Starasol weitermarschiert.

Das Bataillon war nämlich nicht mehr arm. Die Brigadeintendanz in Sanok hatte dem Bataillon einen Vorschuß auf die künftige Schlachtbank ausgezahlt. In der Kompaniekassa befanden sich über hunderttausend Kronen, und Rechnungsfeldwebel Waněk hatte bereits Befehl erhalten, irgendwo an Ort und Stelle – das heißt in den Schützengräben – vor dem Tod der Kompanie abzurechnen und der Mannschaft die ihr unbedingt gebührenden Beträge für nicht verabreichtes Kommißbrot und die entfallende Menage auszuzahlen.

Während sich alle vier wegbereit machten, erschien bei der Kompanie der Pfarrer des Ortes und verteilte an die Soldaten nach ihrer Nationalität Zettelchen mit einem »Lourder Lied« in allen Sprachen. Er hatte ein ganzes Paket dieser Lieder, die irgendein hoher Kirchenwürdenträger, der im Auto mit ein paar Dirnen durch das verwüstete Galizien gefahren war, zur Verteilung an die durchmarschierenden Truppen bei ihm zurückgelassen hatte:

»Wo zum Tale der Strom unaufhaltsam fließt,
Dort alle Andächtigen der Glockenton grüßt:
Ave, ave, ave Maria – Ave, ave, ave Maria.

Bernarde, du Mädchen, ein himmlischer Geist
Zur grünenden Flur am Ufer dich weist. Ave!

Da sieht sie am Felsen ein himmlisches Licht,
Darinnen ein herrliches Himmelsgesicht. Ave!

Schön steht ihr ein blütenweißes Gewand,
Von einem himmelblauen Gürtel umspannt. Ave!

Die gefalteten Hände halten den Kranz,
So steht dort Maria in himmlischem Glanz. Ave!

Bernarde verwandelt blickt in das Licht,
Ein unirdisch Leuchten verklärt ihr Gesicht. Ave!

Schon kniet sie und betet. Maria blickt hin
Und spricht mit der knienden Beterin. Ave!

Kind, ich hab empfangen unbefleckt,
Nun sei dir ein großes Geheimnis entdeckt. Ave!

Hierher wird in Scharen der Gläubige ziehn,
Wird mich anbeten und vor mir knien. Ave!

Hier werde zur Merke ein Marmordom,
Zum Dank, weil hier quillt der Gnade Strom. Ave!

Der Quell jedoch, der sich hier offenbart,
Sei ewig das Ziel frommer Pilgerfahrt. Ave!

O Heil dir, gnadenverklärtes Tal,
Wo Maria erschien in Glanz und Strahl. Ave!

Wo du uns die göttliche Grotte gezeigt,
Dort wollen wir beten, zu Boden gebeugt. Ave!

Du wolltest die Scharen der Gläubigen sehn,
Sie nun auch uns hier vor dir flehn. Ave!

O stella maris! Zeuch vor uns hin,
Und führ uns zu Gott, Himmelskönigin. Ave!

O heilige Jungfrau! Behalt uns in Huld
Und vergib uns allen Sünde und Schuld. Ave!«

In Turowa-Wolska gab es viele Latrinen, und in allen wälzten sich Papiere mit dem »Lourder Lied«.

Korporal Nachtigall aus der Gegend von Bergreichenstein, der irgendwo bei einem verängstigten Juden eine Flasche Kognak aufgetrieben hatte, versammelte ein paar Kameraden um sich, und nun begannen alle den deutschen Text des Lourder Liedes ohne den Refrain »Ave« nach der Melodie des Liedes »Prinz Eugen« zu singen.

Es war ein verdammt häßlicher Marsch, als die vier, die für das Nachtquartier der 11. Kompanie zu sorgen hatten, bei Anbruch der Finsternis auf den Waldweg jenseits des Bächleins gerieten, der nach Liskowiec führen sollte.

Baloun, der sich zum erstenmal in einer Situation befand, die irgendwohin ins Unbekannte führte, und dem alles – die Finsternis und das »Quartiermachen« – ungewöhnlich geheimnisvoll erschien, faßte plötzlich den entsetzlichen Verdacht, daß alles nicht so harmlos sei.

»Kameraden«, sagte er leise, während er über den Weg oberhalb des Baches stolperte, »man hat uns geopfert.«

»Wieso?« brüllte Schwejk ihn leise an.

»Kameraden, nicht so brülln«, bat Baloun leise, »ich spürs schon im Kreuz, sie wern uns hören und gleich anfangen, auf uns zu schießen. Ich weiß es. Man hat uns vorausgeschickt, damit wir auskundschaften, ob dort kein Feind is, und wenn man schießen hören wird, so wird man gleich wissen, daß man nicht weiter darf. Wir sind Vorpatrouille, Kamerad, wie mirs Korporal Terna gelernt hat.«

»Also geh voraus«, sagte Schwejk. »Wir wern hübsch hinter dir gehn, damit wir rechtzeitig ›Nieder‹ machen können. Bist du aber ein Soldat! Er fürchtet sich, daß man auf ihn schießen wird. Grad das soll jeder Soldat sehr gern haben, wenn man auf ihn schießt, je öfter der Feind auf ihn schießt, desto mehr verringern sich die Munitionsvorräte vom Feind, das soll jeder Soldat wissen. Mit jedem Schuß, was ein feindlicher Soldat auf dich abfeuert, vermindert sich seine Kampfkraft. Er is dabei froh, daß er auf dich schießen kann, weil er sich wenigstens nicht mit den Patronen schleppen muß und sichs ihm so leichter läuft.«

Baloun seufzte tief: »Wenn ich aber zu Haus eine Wirtschaft hab!«

»Pfeif auf die Wirtschaft«, riet ihm Schwejk, »fall lieber für Seine Majestät den Kaiser. Hat man dir das denn nicht beim Militär gelernt?«

»Man hats nur erwähnt«, sagte der dumme Baloun. »Man hat uns nur aufn Exerzierplatz geführt, und dann hab ich schon nie mehr von was Ähnlichem gehört, weil ich Bursch geworn bin. – Wenn uns der Kaiser wenigstens besser füttern tät . . .«

»Du bist aber eine verflucht unersättliche Sau. Einen Soldaten vorn Gefecht soll man überhaupt nicht füttern, das hat uns schon vor Jahren in der Schule der Hauptmann Untergriez erklärt. Der hat uns immer gesagt: ›Verdammte Kerle, wenns mal zu einem Krieg kommen sollt, wenn ihr ins Gefecht kommen sollt, nicht daß ihr euch vor der Schlacht überfreßt! Wer überfressen is und einen Schuß in den Bauch kriegt, der is fertig, weil alle Suppe und das ganze Kommißbrot nach so einem Schuß ausn Därmen herauskriecht, und so ein Soldat hat gleich eine Entzündung und is fertig. Wenn er aber nichts im Magen hat, so is so ein Bauchschuß für ihn eine Hetz; wie wenn ihn eine Gelse sticht.‹«

»Ich verdau schnell«, sagte Baloun, »bei mir bleibt nie viel im Magen. Ich freß dir meintwegen eine ganze Schüssel Knödl mit Schweinernem und Kraut auf, Kamerad, und in einer halben Stunde scheiß ich dir von allem nicht mehr aus als so auf drei Suppenlöffel, das andere geht dir in mir verloren. Mancher Mensch zum Beispiel sagt, daß, wenn er Pilze ißt, so gehn sie ihm so heraus, wie sie waren, nur sie auswaschen und wieder von neuem sauer kochen, und bei mir im Gegenteil. Ich freß mich dir mit Pilzen an, daß ein anderer zerspringen möcht, und wann ich dann aufn Abort geh, so furz ich dir nur ein bißl gelben Kasch heraus, wie von einem Kind, das andere geht euch in mir verloren.«

»In mir, Kamerad«, teilte Baloun Schwejk vertraulich mit, »lösen sich dir sogar Fischgräten und Zwetschkenkerne auf. Einmal hab ichs absichtlich gezählt. Ich hab siebzig Zwetschkenknödl aufgegessen, und wie meine Stunde gekommen is, bin ich hinter die Scheune gegangen, hab drin mit einem Hölzl herumgestochert, hab die Kerne beiseite geschoben und gezählt. Von siebzig Kernen ham sich in mir mehr wie die Hälfte aufgelöst.«

Balouns Mund entrang sich ein leiser, gedehnter Seufzer: »Meine Alte hat Zwetschkenknödl aus Erdäpfelteig gemacht und hat ein bißl Quark zugegeben, damit sie ausgiebiger sind. Sie hat sie immer lieber mit Mohn bestreut gehabt wie mit Quark, und ich wieder umgekehrt, so daß ich sie dafür einmal abgeohrfeigt hab. – Ich hab mir mein häusliches Glück nicht genug geschätzt.«

Baloun hielt inne, schmatzte, schleckte sich ab und sagte traurig und weich: »Weißt du, Kamerad, daß es mir jetzt, wo ichs nicht hab, vorkommt, daß die Frau doch nur recht gehabt hat, daß sie mit Mohn besser sind? Damals is mirs fort vorgekommen, daß mir der Mohn in die Zähne kommt, und jetzt denk ich mir, wenn er nur kommen möchte . . . Meine Frau hat mit mir häufig große Streitigkeiten gehabt. Wie oft hat sie geweint, wenn ich gewollt hab, daß sie mehr Majoran in die Leberwürste gibt, und dabei hab ich ihr immer eine heruntergehaut. Einmal hab ich die Arme so verbläut, daß sie zwei Tage gelegen is, weil sie mir zum Nachtmahl keinen Truthahn schlachten wollt, daß mir herich ein Hendl genügt.«

»Ja, Kamerad«, fing Baloun zu weinen an, »wenn ich jetzt eine Leberwurst ohne Majoran hätt und Hendln . . . Ißt du gern Dillensoße? Siehst du, wegen der hats was Krawalle gesetzt, und heut möcht ich sie dir trinken wie Kaffee.«

Baloun vergaß langsam an die Vorstellung einer vermeintlichen Gefahr; in der Stille der Nacht, auch noch als sie hinunter nach Liskowiec stiegen, fuhr er unaufhörlich fort, Schwejk bewegt aufzuzählen, was er sich früher alles nicht geschätzt hatte und was er jetzt essen möchte, daß ihm die Augen überfließen würden. Hinter ihnen schritt Telefonist Chodounsky mit Rechnungsfeldwebel Waněk.

Chodounsky setzte Waněk auseinander, daß der Weltkrieg seiner Ansicht nach ein Blödsinn sei. Das ärgste daran sei, daß man, wenn irgendwo die Telefonleitung zerreiße, den Schaden in der Nacht in Ordnung bringen müsse; aber noch ärger sei, daß der Feind einen jetzt gerade bei der Reparatur dieser verdammten Drähte mit dem Reflektor sofort findet und die ganze Artillerie auf einen feuert, während es in früheren Kriegen keine Reflektoren gab.

Unten im Dorf, wo sie ein Nachtlager für die Kompanie ausfindig machen sollten, war es dunkel, und alle Hunde begannen zu bellen, was die Expedition nötigte, haltzumachen und nachzudenken, wie man mit diesen Ludern fertig werden könnte.

»Was, wenn wir zurückgehen möchten?« flüsterte Baloun.

»Baloun, Baloun, wenn wir das machen möchten, möchtest du wegen Feigheit erschossen wern«, sagte darauf Schwejk.

Die Hunde bellten immer mehr und begannen schließlich sogar im Süden hinter dem Fluß in Krostience und einigen anderen Dörfern anzuschlagen, denn Schwejk brüllte in die nächtliche Stille:

»Wirst du kuschen! – kusch – kusch«, wie er einst seine Hunde angebrüllt hatte, als er noch mit ihnen handelte.

Die Hunde bellten noch mehr, so daß Rechnungsfeldwebel Waněk zu Schwejk sagte:

»Brülln Sie nicht auf die Hunde, Schwejk, sonst bringen Sie noch ganz Galizien zum Belln.«

»Was Ähnliches«, antwortete Schwejk, »is uns auf den Manövern in der Taborer Gegend passiert. Wir sind euch dort in der Nacht in ein Dorf gekommen, und die Hunde ham angefangen, einen schrecklichen Radau zu machen. Die Gegend is dort überall hübsch bevölkert, so daß das Gekläff von einem Dorf zum andern gesprungen ist, immer weiter und weiter, und die Hunde aus unserm Dorf, wo wir gelagert ham, ham wieder, wie sie verstummt sind, von weitem belln gehört, meinetwegen von irgendwo bis aus Pilgram, so ham sie wieder angefangen zu belln, und in einer Weile hat euch ganz Tabor, Pilgram, Budweis, Humpoletz, Wittingau und Iglau gebellt. Unser Hauptmann, so ein nervöser alter Kerl, hat Hundegebell nicht ausstehn können, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen, fortwährend is er gekommen und hat die Patrouille gefragt: ›Wer bellt, was bellt?‹ Die Soldaten ham gehorsamst gemeldet, daß Hunde belln, und das hat ihn so fuchtig gemacht, daß dafür die, was damals auf Patrouille waren, Kasernarrest gekrieg ham, wie wir von den Manövern zurückgekommen sind. Dann hat er immer ein ›Hundekommando‹ ausgesucht und hats vorausgeschickt. Das hat den Zweck gehabt, die Bevölkerung im Dorf, wo wir ham übernachten solln, bekanntzugeben, daß kein Hund in der Nacht belln darf oder daß er hingerichtet wird. Ich war auch bei so einem Kommando, und wie wir in ein Dorf bei Mühlhausen gekommen sind, so hab ich mirs verwechselt und hab dem Bürgermeister der Gemeinde gemeldet, daß jeder Eigentümer von einem Hund, was in der Nacht bellen wird, aus strategischen Gründen hingerichtet wern wird. Der Bürgermeister is erschrocken, hat gleich eingespannt und is aufn Hauptstab gefahren, fürs ganze Dorf um Gnade bitten. Dort ham sie ihn überhaupt nicht durchgelassen, die Posten hätten ihn beinah erschossen, so is er nach Haus zurückgekommen, und bevor wir ins Dorf einmarschiert sind, ham alle auf seinen Rat den Hunden Hadern ums Maul gebunden, bis drei von ihnen toll geworn sind.«

Sie stiegen ins Dorf hinab, nachdem Schwejk die Lehre erteilt hatte, daß sich alle Hunde in der Nacht vor dem Feuer einer Zigarette fürchten. Zum Unglück rauchte niemand von ihnen Zigaretten, so daß Schwejks Rat kein positives Ergebnis hatte. Es zeigte sich jedoch, daß die Hunde vor Freude bellten, weil sie sich mit Liebe der durchmarschierenden Soldaten erinnerten, die ihnen stets etwas zum Fressen zurückgelassen hatten.

Sie spürten schon von weitem, daß sich Geschöpfe näherten, die Knochen und Pferdeleichen hinterlassen. Plötzlich, wie aus dem Boden gestampft, umringten Schwejk vier Köter und drangen mit emporgehobenen Schwänzen freundschaftlich auf ihn ein.

Schwejk streichelte und tätschelte sie und redete sie in der Finsternis wie Kinder an:

»Also wir sind schon da, wir sind zu euch schlaferln und papperln gekommen, wir wern euch Knocherln geben und Krusterln, und früh wern wir dann wieder weiterziehn aufn Feind.«

In den Hütten des Dorfes tauchten Lichter auf, und als sie bei der ersten Hütte an die Türe klopften, um zu erfahren, wo der Bürgermeister wohne, ließ sich die kreischende und gellende Stimme einer Frau vernehmen, die nicht auf polnisch, aber auch nicht auf ukrainisch erklärte, ihr Mann sei im Krieg, ihre Kinder seien an Blattern erkrankt, die Moskowiter hätten alles requiriert und ihr Mann habe ihr, bevor er in den Krieg gezogen sei, verboten, jemandem in der Nacht zu öffnen. Erst als die vier den Angriff auf die Tür mit der Versicherung bekräftigten, daß sie »Quartiermacher« seien, wurde die Tür von einer unbekannten Hand geöffnet; nachdem sie eingetreten waren, zeigte es sich, daß hier eigentlich der Dorfälteste wohnte, der sich vergeblich bemühte, Schwejk auszureden, daß er diese kreischende weibliche Stimme nachgeahmt habe. Er entschuldigte sich, er habe im Heu geschlafen und seine Frau wisse nicht, was sie rede, wenn sie jemand plötzlich aus dem Schlafe wecke. Was das Nachtquartier für die ganze Kompanie betreffe, so sei das Dorf so klein, daß nicht einmal ein Soldat hineingehe. Es sei überhaupt kein Platz zum Schlafen da. Zu kaufen gäbe es hier auch nichts, die Moskowiter hätten alles requiriert.

Wenn die Herren Wohltäter damit einverstanden seien, würde er sie nach Krosienka führen; dort seien große Höfe, es sei nur drei Viertelstunden entfernt von hier, Platz sei dort genug, jeder Soldat werde sich mit einem Schafspelz zudecken können, es gäbe dort so viele Kühe, daß jeder Soldat eine Eßschale Milch erhalten werde, man habe dort gutes Wasser, die Herren Offiziere würden dort im Schlößchen schlafen können, aber hier in Liskowiec? Nichts als Not, Krätze und Läuse. Er selbst habe einmal fünf Kühe gehabt, aber die Moskowiter hätten ihm alle requiriert, so daß er selbst, wenn er Milch für seine kranken Kinder haben wolle, bis nach Krosienka gehen müsse.

Gleichsam zum Beweis muhten nebenan in seinem Stall die Kühe, und man vernahm eine weibliche Stimme, die die unglücklichen Tiere zur Ruhe wies und ihnen wünschte, die Cholera möge ihnen ins Gebein fahren.

Den Vorsteher jedoch brachte dies nicht aus der Fassung, und er fuhr fort, während er sich hohe Stiefel anzog:

»Die einzige Kuh hier hat Nachbar Vojcik, die haben Sie grad muhn gehört, meine gnädigen Herren. Es ist eine kranke, ängstliche Kuh. Die Moskowiter ham ihr das Kalb weggenommen. Seit damals gibt sie keine Milch mehr, aber dem Wirt tuts leid, sie zu schlachten, er denkt, daß die Mutter Gottes wieder alles zum Bessern wenden wird.«

Während er dies sagte, zog er sich den Schafspelz an:

»Nicht mal drei Viertelstunden haben wir nach Krosienka zu gehn, meine Herren Wohltäter, was sag ich sündiger Mensch, keine halbe Stunde dauerts. Ich kenn einen Weg übern Bach, dann durchs Birkenwäldchen an der Eiche vorbei . . . Es ist ein großes Dorf, und einen Wodka gibts dort . . .

Gehn wir, meine Herren Wohltäter! Wozu zögern? Die Herren Soldaten von Ihrem glorreichen Regiment hams verdient, daß sie sich ordentlich ausruhn können. Ein Herr kaiserlicher und königlicher Soldat, was sich mit den Moskowitern schlägt, braucht doch ein sauberes, bequemes Nachtlager . . . Und bei uns? – Läuse, Krätze, Blattern und Cholera. Gestern sind bei uns in unserm verfluchten Dorf drei Burschen an Cholera schwarz geworn . . . Der barmherzige Gott hat Liskowiec verflucht . . .«

In diesem Augenblick winkte Schwejk majestätisch mit der Hand.

»Meine Herren Wohltäter«, sagte er, die Stimme des Dorfältesten nachahmend, »ich hab mal in einem Buch gelesen, wie sich ein Bürgermeister in den schwedischen Kriegen ausgeredet hat, wie der Befehl gekommen is, daß man sich in dem und dem Dorf einquartieren soll; er hat ihnen nicht an die Hand gehn wolln, so daß man ihn aufn nächsten Baum aufgehängt hat. Dann hat mir heute in Sanok ein polnischer Korporal erzählt, daß der Bürgermeister, wenn Quartiermacher kommen, alle Gemeindeältesten zusammenrufen muß, und dann geht man mit ihnen in die Hütten und sagt einfach: ›Hier gehn drei herein, hier vier, auf der Pfarre wern die Herren Offiziere schlafen, und in einer halben Stunde muß alles vorbereitet sein.‹«

»Herr Wohltäter«, wandte sich Schwejk ernst an den Bürgermeister, »wo hast du hier den nächsten Baum?«

Der Bürgermeister verstand nicht, was das Wort Baum bedeute, deshalb erklärte ihm Schwejk, daß dies eine Birke, eine Eiche, ein Birnbaum, ein Apfelbaum, kurz alles sein könne, was starke Zweig habe. Der Dorfälteste verstand wieder nicht, und als er von Obstbäumen hörte, erschrak er, weil die Kirschen bereits reif waren, und sagte, daß er von etwas Ähnlichem nichts wisse, er habe nur eine Eiche vor dem Haus.

»Gut«, sagte Schwejk, indem er mit der Hand das internationale Zeichen des Hängens machte, »wir wern dich vor deiner Hütte aufhängen, weil du dir darüber klar sein mußt, daß Krieg is und daß wir Befehl ham, hier zu schlafen und nicht in irgendeinem Krosienka. Du wirst uns nicht unsere strategischen Pläne ändern, oder du wirst hängen, wies im Buch von den schwedischen Kriegen steht. – Da war euch, meine Herren, einmal so ein Fall auf den Manövern bei Groß . . .«

In diesem Augenblick wurde Schwejk von Rechnungsfeldwebel Waněk unterbrochen:

»Das wern Sie uns erst später erzähln, Schwejk.« Hierauf sagte Waněk, zum Dorfältesten gewendet: »Also jetzt Alarm und Quartiere!«

Der Dorfälteste fing an zu zittern, stotterte, daß ers mit den Herren Wohltätern nur gut gemeint habe, aber wenn es nicht anders gehe, werde sich vielleicht doch etwas im Dorfe finden, um alle Herren zufriedenzustellen, er werde sofort eine Laterne bringen.

Als er die Stube verlassen hatte, die ein Petroleumlämpchen unter dem Bild irgendeines Heiligen, der sich auf dem Bilde wie der ärgste Krüppel krümmte, recht spärlich beleuchtete, rief Chodounsky plötzlich:

»Wohin is uns denn der Baloun verschwunden?«

Bevor sie sich jedoch richtig umschaun konnten, öffnete sich leise die Türe hinter dem Herd, die irgendwohin hinausführte, und Baloun zwängte sich in die Stube; er blickte ringsumher, ob der Dorfälteste nicht da sei, dann sagte er schnaufend, als hätte er den größten Schnupfen:

»Ich war in der Speis, ich hab in was hineingegriffen, hab mirs ins Maul gestopft, und jetzt klebt mir alles am Gaumen. Es ist nicht gesalzen und nicht süß, es ist Brotteig.«

Rechnungsfeldwebel Waněk beleuchtete ihn mit der elektrischen Taschenlampe, und alle stellten fest, daß sie ihr Leben lang noch keinen so verschmierten österreichischen Soldaten gesehen hatten. Dann erschraken sie, denn sie sahen, daß die Bluse Balouns so aufgebläht war, als befände er sich im letzten Stadium der Schwangerschaft.

»Was ist dir da geschehen, Baloun?« fragte Schwejk mitleidig, während er ihn in den aufgeblähten Bauch stupste.

»Das sind Gurken«, röchelte Baloun, an dem Teig würgend, der weder hinauf noch hinunter ging, vorsichtig, »das sind Salzgurken. Drei hab ich rasch aufgegessen, und die andern hab ich euch gebracht.«

Baloun fing an, eine Gurke nach der andern aus dem Busen hervorzuziehen und verteilte sie.

Auf der Schwelle stand bereits der Vorsteher mit einem Licht; als er diese Szene sah, bekreuzigte er sich und quietschte:

»Die Moskowiter ham requiriert, und jetzt requirieren auch unsere Leute.«

Alle begaben sich ins Dorf, begleitet von einer Hundemeute, die sich am hartnäckigsten rings um Baloun sammelte und auf seine Taschen loszog, wo Baloun ein Stück Speck versteckt hatte, den er gleichfalls in der Speisekammer erobert, aber aus Gefräßigkeit verräterisch vor den Kameraden verheimlicht hatte.

»Was laufen dir die Hunde so nach?« fragte Schwejk. Baloun antwortete nach längerer Überlegung:

»Sie spüren in mir einen guten Menschen.«

Er sagte jedoch nicht, daß er in der Hand in der Tasche ein Stück Speck hielt und daß der eine Hund fortwährend mit den Zähnen nach seiner Hand schnappte . . .

Auf dem Rundgang für die Einquartierung wurde festgestellt, daß Liskowiec ein großes, durch die Kriegswirren allerdings bereits gehörig ausgepreßtes Dorf war. Es hatte zwar keine Brandschäden erlitten, beide kriegführenden Parteien hatten es wie durch ein Wunder nicht in die Sphäre der Kriegsoperationen einbezogen, dafür aber hatten sich hier die Bewohner der benachbarten vernichteten Dörfer Chyrow, Grabow und Holubla angesiedelt.

In mancher Hütte lebten oft acht Familien in der größten Not; es war ihre letzte Zuflucht nach all den Verlusten, die sie durch den Krieg erlitten hatten, von dem eine Epoche über sie hinweggetost war wie die wilden Ströme einer Überschwemmung.

Die Kompanie mußte in einer kleinen verwüsteten Spiritusbrennerei am andern Ende des Dorfes untergebracht werden, wo ein halber Zug in der Gärkammer Platz finden konnte. Die übrigen wurden zu je zehn Mann in einigen Höfen untergebracht, wo die reichen Bauern das arme Gesindel der an den Bettelstab gebrachten Obdachlosen nicht aufgenommen hatten.

Der Kompaniestab mit allen Offizieren samt Rechnungsfeldwebel Waněk, Offiziersburschen, Telefonisten, Sanität, Köchen und Schwejk quartierte sich in der Pfarre beim Herrn Pfarrer ein, der ebenfalls keine einzige zugrunde gerichtete Familie aus der Umgebung bei sich aufgenommen hatte, so daß Raum genug da war.

Er war ein hochgewachsener, magerer alter Herr in einer verblaßten und fettigen Soutane und aß vor lauter Geiz beinahe nicht. Sein Vater hatte ihn in großem Haß gegen die Russen erzogen, einem Haß, den er plötzlich verlor, als die Russen zurückwichen und das österreichische Militär kam, das ihm alle Gänse und Hennen auffraß, die die Russen unbehelligt gelassen hatten, solange einige struppige Baikalkosaken bei ihm wohnten. Dann, als die Ungarn ins Dorf kamen und ihm allen Honig aus den Bienenkörben nahmen, steigerte sich sein Groll gegen das österreichische Militär noch mehr. Jetzt betrachtete er haßerfüllt seine unverhofften nächtlichen Gäste, und es tat ihm sehr wohl, wenn er an einem vorübergehn, die Achseln zucken und wiederholen konnte:

»Ich hab nichts. Ich bin ein Bettler. Sie finden bei mir nicht einmal ein Stückchen Brot, meine Herren.«

Am traurigsten von allen war freilich Baloun zumute, der ob so einer Not beinahe in Tränen ausbrach. Im Kopf hatte er fortwährend die unklare Vorstellung von einem Spanferkel, dessen Haut wie Marzipan knusperte und duftete. Jetzt schlummerte er sitzend in der Küche des Herrn Pfarrers, wohin von Zeit zu Zeit ein aufgeschossener junger Bursch blickte, der dem Pfarrer gleichzeitig als Knecht und Köchin diente und den strengen Befehl hatte, überall aufzupassen, damit nicht gestohlen werde.

Baloun fand auch in der Küche nichts als auf dem Salzfaß ein wenig in Papier gewickelten Kümmel, den er sich in den Mund stopfte und dessen Aroma in ihm die Geschmackshalluzination eines Spanferkels erweckte.

Auf dem Hof der kleinen Spiritusbrennerei hinter der Pfarre flackerten Feuer unter den Kesseln der Feldküche, das Wasser kochte schon – und in dem Wasser kochte nichts.

Der Rechnungsfeldwebel und der Koch liefen im ganzen Dorf umher und wollten ein Schwein auftreiben, aber vergeblich. Überall erhielten sie dieselbe Antwort: die Moskowiter hätten alles aufgegessen und requiriert.

Sie weckten auch den Juden in der Schenke; der begann sich die Schläfenlöckchen zu raufen und schmerzlich zu jammern, weil er den Herren Soldaten nicht dienen könne. Zum Schluß zwang er sie, ihm eine alte, hundertjährige Kuh abzukaufen, ein mageres Krepierl, das nichts anderes war als Haut und Knochen. Er verlangte für sie eine horrende Summe, raufte sich den Bart und schwor, daß sie so eine Kuh in ganz Galizien, in ganz Österreich und Deutschland, in ganz Europa und in der ganzen Welt nicht finden würden; dabei winselte, weinte und beteuerte er, daß es die dickste Kuh sei, die jemals auf Befehl Jehovas auf die Welt gekommen war. Er schwur bei allen Patriarchen, daß sich diese Kuh Leute bis aus Wolocziska anschauen kämen, daß man von dieser Kuh im ganzen Umkreis wie von einem Wunder spreche, daß es nicht einmal eine Kuh sei, sondern der saftigste Büffel. Zum Schluß kniete er vor ihnen nieder und rief, während er der Reihe nach ihre Knie umschlang:

»Erschlagt lieber einen alten, armen Juden, aber geht nicht fort ohne Kuh.«

Er verwirrte alle dermaßen mit seinem Gekreisch, daß sie schließlich dieses Luder, vor dem sich jeder Schlächter geekelt hätte, zur Feldküche schleppten. Dann, als er das Geld bereits längst in der Tasche hatte, weinte und jammerte er ihnen vor, sie hätten ihn vollständig vernichtet, er habe sich selbst zum Bettler gemacht, weil er ihnen eine so herrliche Kuh so billig verkauft habe. Er bat sie, ihn dafür aufzuhängen, daß er auf die alten Tage so eine Dummheit gemacht habe, derentwillen sich seine Väter im Grabe umdrehen müßten.

Nachdem er sich noch vor ihnen im Staub gewälzt hatte, schüttelte er plötzlich alles Leid von sich ab und ging nach Hause, wo er in der Kammer zu seiner Frau sagte:

»Elseleben, die Soldaten sind dumm, und dein Nathan ist sehr gescheit.«

Die Kuh gab viel Arbeit. Manchmal schien es, als würde man ihr die Haut überhaupt nicht abziehen können. Einigemal riß die Haut, und unter ihr kamen die Muskeln zum Vorschein, die gekrümmt waren wie ein ausgetrocknetes Schiffsseil.

Inzwischen schleppte man von irgendwoher einen Sack Kartoffeln herbei und fing hoffnungslos an, diese Sehnen und Knochen zu kochen, während der Koch daneben, bei der kleineren Küche, in wahrer Verzweiflung aus einem Stück dieses Skeletts die Offiziersmenage zubereitete.

Die unglückliche Kuh, wenn man diese Naturerscheinung überhaupt Kuh nennen konnte, blieb allen Teilnehmern lebhaft in Erinnerung, und man kann nahezu als sicher annehmen, daß die 11. Kompanie, wenn die Kommandanten vor der Schlacht bei Sokal die Mannschaft an die Kuh von Liskowiec erinnert hätten, unter fürchterlichem Wutgebrüll mit dem Bajonett auf den Feind losgestürmt wäre.

Die Kuh war so unverschämt, daß man aus ihr überhaupt keine Rindssuppe machen konnte. Je länger das Fleisch kochte, desto fester blieb es an den Knochen haften; es verwuchs mit ihnen zu einem Ganzen und verknöcherte wie ein Bürokrat, der ein halbes Leben lang zwischen Amtsschimmeln weidet und nur Akten frißt.

Schwejk, der als Kurier eine dauernde Verbindung zwischen Stab und Küche unterhielt, um festzustellen, wann abgekocht sein werde, meldete schließlich Oberleutnant Lukasch:

»Herr Oberlajtnant, es is schon Porzellan draus. Die Kuh hat so hartes Fleisch, daß man damit Glas schneiden kann. Der Koch Pawlitschek hat sich, wie er mit Baloun das Fleisch gekostet hat, einen Vorderzahn herausgebrochen und Baloun einen Backenzahn.«

Baloun trat ernst vor Oberleutnant Lukasch und reichte ihm stotternd seinen in ein Lourder Lied gewickelten Backenzahn.

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich gemacht hab, was ich konnt. Nämlich der Zahn is bei der Offiziersmenage herausgebrochen, wie wir probiert ham, ob man ausn Fleisch doch ein Bifsteck machen könnt.«

Bei diesen Worten erhob sich aus dem Lehnstuhl beim Fenster irgendeine traurige Gestalt. Es war Leutnant Dub, den man als völlig vernichteten Menschen in einem Sanitätskarren hergebracht hatte:

»Bitte um Ruhe«, sagte er mit verzweifelter Stimme, »mir ist schlecht!«

Er setzte sich abermals in den alten Lehnstuhl, wo sich in jeder Ritze Tausende Wanzeneier befanden.

»Ich bin müde«, sagte er mit tragischer Stimme, »ich bin leidend und krank, ich bitte, daß man vor mir nicht von herausgebrochenen Zähnen spricht. Meine Adresse ist: Smíchov, Königsstraße 18. Wenn ich den Morgen nicht erleben sollte, bitte ich, daß man meine Familie von allem schonend benachrichtigt und nicht vergißt, auf meinem Grab zu vermerken, daß ich vor dem Kriege auch k. k. Gymnasialprofessor war.«

Er fing leise zu schnarchen an und hörte nicht mehr, wie Schwejk den Vers aus einem Totenliede sprach:

»Marien hast du verziehen,
Halfst dem Sünder aus den Mühen,
Laß auch mir die Hoffnung glühen.«

Hierauf wurde von Rechnungsfeldwebel Waněk festgestellt, daß die famose Kuh noch zwei Stunden in der Offiziersküche kochen müsse, daß an ein Beefsteak nicht zu denken sei und daß man statt Beefsteak Gulasch machen werde.

Man kam überein, daß die Mannschaft schlafen könne, bevor zur Menage geblasen werden sollte, denn das Nachtmahl werde ohnehin erst gegen früh fertig sein.

Rechnungsfeldwebel Waněk schleppte von irgendwoher ein Bündel Heu herbei, bettete es im Speisezimmer der Pfarre unter sich, zwirbelte nervös den Schnurrbart und sagte leise zu Oberleutnant Lukasch, der über ihm auf einem alten Kanapee ausruhte:

»Glauben Sie mir, Herr Oberleutnant, daß ich so eine Kuh noch mein ganzes Leben nicht gefressen hab . . .«

In der Küche saß vor dem angezündeten Lichtstumpf einer Kirchenkerze Telefonist Chodounsky und schrieb Briefe in Vorrat nach Hause, um sich nicht anstrengen zu müssen, wenn sie endlich eine bestimmte Feldpostnummer haben würden. Er schrieb:

»Liebes und teures Weib, teuerste Božena! Es ist Nacht, und ich denke unaufhörlich an Dich, wie Du an mich denkst, wenn Du auf das leere Bett neben Dir blickst. Du mußt mir verzeihen, daß mir dabei allerhand in den Sinn kommt. Du weißt gut, daß ich bereits seit Kriegsbeginn im Felde stehe und daß ich schon allerhand von meinen Kameraden gehört habe, die verwundet wurden, Urlaub erhielten und die, wenn sie nach Hause kamen, sich lieber unter der Erde gesehen hätten, als die Gewißheit zu haben, daß irgendein Lausbub ihrer Frau nachstellt. Es ist für mich schmerzlich, wenn ich Dir das schreiben muß, teure Božena. Ich würde es Dir gar nicht schreiben, aber Du weißt selbst gut, daß Du mir gestanden hast, daß ich nicht der erste bin, der eine ernste Bekanntschaft mit Dir gehabt hat, und daß Dich vor mir schon der Herr Kraus aus der Niklasstraße gehabt hat. Wenn ich mich jetzt in dieser Nacht daran erinnere, daß dieser Krüppel in meiner Abwesenheit noch irgendwelche Ansprüche auf Dich erheben könnte, so denke ich mir, teure Božena, daß ich ihn auf der Stelle erwürgen möchte. Lange habe ichs getragen, aber wenn ich bedenke, daß er Dir wieder nachlaufen könnte, so krampft sich mir das Herz zusammen, und ich mache Dich nur auf eines aufmerksam, daß ich neben mir kein Schwein dulde, das mit jedermann herumhuren möchte und meinem Namen Schande macht. Verzeih mir, teure Božena, meine schroffen Worte, aber gib Dir acht, damit ich nichts Schlechtes von Dir erfahre. Sonst wäre ich gezwungen, euch beide zu erschlagen, denn ich bin schon zu allem entschlossen, auch wenn es mich das Leben kosten sollte. Tausendmal küßt Dich und grüßt Vater und Mutter

Dein Tonousch.

P. S. Vergiß nicht, daß ich Dir meinen Namen gegeben habe.«

Ein anderer Brief in Vorrat:

»Meine allerliebste Božena!

Wenn Du diese Zeilen erhalten wirst, so wisse, daß wir eine große Schlacht hinter uns haben, in der sich das Kriegsglück auf unsere Seite geneigt hat. Unter anderem haben wir 10 feindliche Aeroplane heruntergeschossen samt einem General mit einer großen Warze auf der Nase. Mitten im Toben der Schlacht, als über uns Schrapnells explodierten, habe ich an Dich gedacht, teure Božena, was Du wohl machst, wie es Dir geht und was es zu Hause Neues gibt. Immer denke ich dabei daran, wie wir zusammen im Bräuhaus beim ›Tomasch‹ waren und wie Du mich nach Hause geführt hast und wie Dir am nächsten Tag die Hand weh getan hat vor Anstrengung. Jetzt rücken wir wieder vor, so daß mir nicht mehr Zeit bleibt, den Brief fortzusetzen. Ich hoffe, daß Du mir treu geblieben bist, weil Du gut weißt, daß ich in dieser Hinsicht nicht mit mir spaßen lasse. Aber es ist bereits Zeit zum Aufbruch! Ich küsse Dich tausendmal, teure Božena, und hoffe, daß alles gut ausfallen wird.

Dein aufrichtiger Tonousch.«

Telefonist Chodounsky ließ den Kopf auf die Zeilen sinken und schlummerte über dem Tisch ein.

Der Pfarrer, der nicht schlief und unaufhörlich in der Pfarre umherging, öffnete die Küchentür und blies aus Sparsamkeit den niederbrennenden Lichtstumpf der Kirchenkerze neben Chodounsky aus.

Im Speisezimmer schlief niemand außer Leutnant Dub. Rechnungsfeldwebel Waněk studierte sorgfältig einen neuen Erlaß über die Verproviantierung der Truppen, den er in Sanok auf der Brigadekanzlei erhalten hatte, und stellte fest, daß man den Soldaten die Rationen eigentlich immer mehr kürze, je näher man zur Front kam. Zum Schluß mußte er über einen Paragraphen des Befehls lachen, in dem verboten wurde, bei der Zubereitung der Suppe für die Mannschaft Safran und Ingwer zu verwenden. In dem Befehl befand sich auch der Vermerk, bei den Feldküchen die Knochen zu sammeln und ins Hinterland in die Divisionsmagazine zu senden. Das war etwas unklar, denn man wußte nicht recht, um was für Knochen es sich handelte, ob um Menschenknochen oder um Knochen von anderem Schlachtvieh.

»Hören Sie, Schwejk«, sagte Oberleutnant Lukasch, vor Langweile gähnend, »bevor wir etwas zu essen bekommen, könnten Sie mir etwas erzählen.«

»O je«, antwortete Schwejk, »bevor wir was zu essen bekommen, da müßt ich Ihnen, Herr Oberlajtnant, die ganze Geschichte von der tschechischen Nation erzählen. Ich weiß aber nur eine sehr kurze Geschichte von einer Frau Postmeisterin in Seltschan, was nach dem Tod von ihrem Mann diese Post bekommen hat. Mir is das von ihr gleich eingefalln, wie ich von der Feldpost erzählen gehört hab, obzwar es gar nichts mit der Feldpost zu tun hat.«

»Schwejk«, ließ sich vom Kanapee her Oberleutnant Lukasch vernehmen, »Sie fangen schon wieder mit Ihren Blödeleien an.«

»Gewiß, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, es is wirklich eine schrecklich blöde Geschichte. Ich weiß selbst nicht, wie ich auf den blöden Einfall hab kommen können, von so was zu sprechen. Entweder is das angeborene Blödheit oder es sind Erinnerungen aus der Jugend. Es gibt auf unserer Erdkugel verschiedene Naturelle, Herr Oberlajtnant, und er hat doch nur Recht gehabt, der Koch Jurajda, wie er damals in Bruck besoffen war und in den Abort gefalln is und nicht hat von dort herauskriechen können, und geschrien hat: ›Der Mensch is dazu bestimmt und berufen, die Wahrheit zu erkennen, um durch seinen Geist in der Harmonie des ewigen Alls zu herrschen, sich fortwährend zu entwickeln und zu bilden und allmählich in die höheren Sphären einer intelligenteren und liebeerfüllten Welt einzugehn.‹ Wie wir ihn dort ham herausziehn wolln, so hat er Ihnen gekratzt und gebissen. Er hat gedacht, daß er zu Haus is, und erst wie wir ihn wieder hineingeworfen ham, dann hat er erst angefangen zu betteln, wir solln ihn von dort herausziehn.«

»Was ist aber mit der Postmeisterin geschehen?« rief Oberleutnant Lukasch verzweifelt.

»Das war ein sehr braves Frauerl, aber sie war doch nur ein Luder, Herr Oberlajtnant, sie hat alle ihre Pflicht auf der Post erfüllt, aber sie hat nur einen Fehler gehabt, daß sie gedacht hat, daß ihr alle nachlaufen, daß sies auf sie abgesehn ham, und deshalb hat sie nach der täglichen Arbeit Anzeigen auf sie an die Ämter gemacht, je nachdem, wie alle diese Umstände zusammgekommen sind. Einmal früh is sie in den Wald auf Schwämme gegangen und hat sehr gut bemerkt, wie sie an der Schule vorbeigegangen is, daß der Herr Lehrer schon auf war und daß er sie gegrüßt hat und sie gefragt hat, wohin sie so zeitig früh geht. Wie sie ihm gesagt hat, daß sie auf Schwämme geht, so hat er ihr gesagt, daß er ihr nachkommen wird. Draus hat sie geschlossen, daß er mit ihr, mit dieser alten Schachtel, gewisse unsaubere Absichten vorhat, und dann, wie sie gesehn hat, daß er wirklich ausn Gebüsch kommt, is sie erschrocken und is weggelaufen und hat gleich eine Anzeige an den Ortsschulrat geschrieben, daß er sie hat vergewaltigen wolln. Der Lehrer is in Disziplinaruntersuchung gekommen, und damit draus nicht vielleicht ein öffentlicher Schkandal wird, is es der Schulinspektor selbst untersuchen gekommen; der hat sich an den Gendarmeriewachtmeister gewendet, damit der ein Urteil davon abgibt, ob der Lehrer vielleicht zu so einer Handlung fähig is. Der Gendarmeriewachtmeister hat in die Akten geschaut und hat gesagt, daß das nicht möglich is, weil der Lehrer schon einmal vom Pfarrer beschuldigt worn is, daß er seiner Nichte nachgelaufen is, mit der der Pfarrer immer selbst geschlafen hat, aber daß sich der Herr Lehrer vom Bezirksarzt ein Zeugnis geholt hat, daß er seit sechs Jahren impotent is, wie er mit gespreizten Beinen vom Boden auf die Deichsel von einem Leiterwagen gefalln is. Also hat das Luder eine Anzeige auf den Gendarmeriewachtmeister und auf den Schulinspektor gemacht, daß alle von dem Lehrer bestochen sind. Also ham sich Ihnen alle geklagt, und die is verurteilt worn, und sie hat sich drauf berufen, daß die unzurechnungsfähig is. Sie is auch von den Gerichtsärzten untersucht worn, und die ham ihr das Gutachten gegeben, daß sie zwar blöd is, aber daß sie jeden beliebigen Staatsdienst versehn kann.«

Oberleutnant Lukasch rief:

»Jesusmaria«, wozu er noch hinzufügte:

»Ich möcht Ihnen was sagen, Schwejk, aber ich will mir nicht das Nachtmahl verderben«, worauf Schwejk erwiderte:

»Ich hab Ihnen doch gesagt, Herr Oberlajtnant, das, was ich Ihnen erzähln wer, is schrecklich blöd.«

Oberleutnant Lukasch winkte nur mit der Hand und sagte: »Von Ihnen kann man auch schon was Gescheites hören!«

»Jeder kann nicht gescheit sein, Herr Oberlajtnant«, sagte Schwejk überzeugend, »die Dummen müssen eine Ausnahme machen, weil, wenn jeder gescheit wär, so wär auf der Welt so viel Verstand, daß jeder zweite Mensch davon ganz blöd wär. Wenn zum Beispiel, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, jeder die Naturgesetze kennen möcht und sich die himmlischen Entfernungen ausrechnen könnt, so möcht er nur seine Umgebung belästigen, so wie ein gewisser Tschapek, was ins Wirtshaus zum ›Kelch‹ gegangen is, und in der Nacht immer ausn Ausschank auf die Gasse herausgegangen is und am bestirnten Himmel herumgeschaut hat, und wie er zurückgekommen is, von einem zum andern gegangen is und gesagt hat: ›Heute scheint der Jupiter herrlich, du weißt gar nicht, Kerl, was du überm Kopf hast. Das sind Entfernungen, wenn man dich aus einer Kanone schießen möcht, du Lump, möchtest du mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel Millionen und Millionen Jahre hin brauchen.‹ Er war dabei so ordinär, daß er dann gewöhnlich selbst ausn Wirtshaus herausgeflogen is mit der gewöhnlichen Geschwindigkeit einer Elektrischen, ungefähr zehn Kilometer in der Stunde, Herr Oberlajtnant. – Oder hamr zum Beispiel, Herr Oberlajtnant, die Ameisen . . .«

Oberleutnant Lukasch richtete sich auf dem Kanapee auf und faltete die Hände:

»Ich muß mich über mich selbst wundern, daß ich mich immer mit Ihnen unterhalte, Schwejk, ich kenn Sie doch schon so lange . . .«

Schwejk nickte dazu beifällig mit dem Kopf:

»Das is Gewohnheit, Herr Oberlajtnant, das kommt davon, daß wir uns zusamm schon lange kennen und daß wir schon hübsch viel zusamm erlebt ham. Wir ham schon was zusamm durchgemacht, und immer sind wir dazugekommen wie ein blindes Huhn zu einem Korn. Das is Schicksal, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant. Was Seine Majestät der Kaiser lenkt, lenkt er gut, er hat uns zusammengegeben, und ich wünsch mir auch nichts, als daß ich Ihnen einmal recht nützlich sein möcht. – Ham Sie nicht Hunger, Herr Oberlajtnant?«

Oberleutnant Lukasch, der sich inzwischen wieder auf das alte Kanapee gestreckt hatte, sagte, daß die letzte Frage Schwejks die beste Lösung der peinlichen Unterhaltung sei, er möge nachfragen gehen, was mit der Menage los sei. Es werde entschieden besser sein, wenn Schwejk ein wenig hinausgehen und ihn verlassen werde, denn die Blödsinne, die man von Schwejk zu hören bekomme, seien ermüdender als der ganze Marsch von Sanok. Er möchte gern ein wenig schlafen, könne aber nicht.

»Das machen die Wanzen, Herr Oberlajtnant. Es is schon ein alter Aberglaube, daß die Pfarrer Wanzen gebären. Nirgends finden Sie so viel Wanzen wie in Pfarren. In der Pfarre in Oberstadeln hat der Pfarrer Zamastil sogar ein ganzes Buch über Wanzen geschrieben, sie sind sogar bei der Predigt auf ihm herumgekrochen.«

»Also, was hab ich gesagt, Schwejk, werden Sie in die Küche gehn oder nicht?«

Schwejk ging, und wie ein Schatten trat Baloun hinter ihm auf den Fußspitzen aus dem Winkel. – –

 

Als sie früh aus Liskowiec nach Starasol und Sambor aufbrachen, führten sie in der Feldküche die unglückliche Kuh mit, die noch immer nicht gekocht war. Man war übereingekommen, daß man sie unterwegs kochen und aufessen werde, bis man auf halbem Wege zwischen Liskowiec und Starasol rasten werde.

Vor Aufbruch kochte man für die Mannschaft schwarzen Kaffee. Leutnant Dub wurde wieder auf einem Sanitätskarren befördert, denn nach dem gestrigen Tag war ihm noch schlechter. Am meisten litt darunter sein Bursch, der unaufhörlich neben dem Karren laufen mußte und dem Leutnant Dub fortwährend zurief, daß er sich gestern überhaupt nicht um seinen Herrn gekümmert habe, an Ort und Stelle würde er schon mit ihm abrechnen. Jede Weile verlangte er, man möge ihm Wasser reichen, und sobald er es ausgetrunken hatte, gab er es sofort wieder von sich.

»Über wen – über was lachen Sie?« schrie er aus dem Karren. »Ich werde euch lehren, spielt euch nicht mit mir, ihr werdet mich kennenlernen!«

Oberleutnant Lukasch saß zu Pferd, und Schwejk, der ihm Gesellschaft leistete, schritt so scharf aus, als könne er den Augenblick nicht erwarten, in dem er mit dem Feind zusammenstoßen werde. Dabei erzählte er:

»Ham Sie sich achtgegeben, Herr Oberlajtnant, daß manche von unsern Leuten wirklich sind wie die Fliegen? Sie ham nicht mal dreißig Kilo am Buckel, und schon können sies nicht aushalten. Man sollt ihnen Vorträge halten, wie sie uns der selige Herr Oberlajtnant Buchanek gehalten hat, was sich wegen der Kaution erschossen hat, was er sich zum Heiraten von seinem künftigen Schwiegervater hat auszahln lassen und mit fremden Huren verputzt hat. Dann hat er sich wieder die zweite Kaution von seinem zweiten zukünftigen Schwiegervater genommen, und mit der hat er schon besser gewirtschaftet, die hat er langsam verspielt, und die Mäderln hat er dabei links liegenlassen. Es hat ihm nicht lang gelangt, so daß er hat zum dritten zukünftigen Schwiegervater von wegen der Kaution greifen müssen. Von dieser dritten Kaution hat er sich Pferde gekauft, einen arabischen Hengst, einen nicht reinrassigen . . .«

Oberleutnant Lukasch sprang vom Pferd.

»Schwejk«, sagte er mit drohender Stimme, »wenn Sie noch von der vierten Kaution sprechen werden, so werf ich Sie in den Graben.«

Er saß wieder auf, und Schwejk fuhr ernsthaft fort:

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß von einer vierten Kaution nicht die Rede sein kann, weil er hat sich nach der dritten Kaution erschossen.«

»Endlich«, sagte Oberleutnant Lukasch.

»Damit wir also nicht vergessen, wovon wir geredet ham«, fuhr Schwejk fort, »solche Vorträge, was uns immer der Herr Oberlajtnant Buchanek gehalten hat, wenn die Soldaten schon am Marsch hingefalln sind, sollt man meiner bescheidenen Ansicht nach der ganzen Mannschaft halten, so wie ers gemacht hat. Er hat Rast gemacht, hat uns alle um sich gesammelt wie Hühner um die Henne und hat angefangen, uns zu erklären: ›Ihr Kerle, ihr könnts euch überhaupt nicht schätzen, daß ihr auf der Erdkugel marschiert, weil ihr so eine ungebildete Bande seid, daß es zum Kotzen is, wenn man euch anschaut, euch sollt man so auf der Sonne marschieren lassen, wo ein Mensch, was auf unserem elenden Planeten sechzig Kilo wiegt, über siebzehnhundert Kilogramm wiegt, da möchtet ihr krepieren. Da möcht sichs euch marschieren, wenn ihr im Tornister über zweihundertachtzig Kilogramm hättet, ungefähr drei Meterzentner, und das Gewehr zweieinhalb Meterzentner schwer war. Da möchtet ihr ächzen und die Zungen herausstecken wie abgehetzte Hunde.‹ Da war Ihnen dort unter uns ein unglücklicher Lehrer, der hat sich unterstanden, sich auch zum Wort zu melden: ›Mit Verlaub, Herr Oberlajtnant, aufn Mond wiegt ein Sechzigkilomensch nur dreizehn Kilogramm. Am Mond möcht sichs uns besser marschieren, weil unser Tornister dort nur vier Kilogramm wiegen möcht. Am Mond möchten wir schweben und nicht marschieren!‹ – ›Das is schrecklich‹, sagte drauf der selige Herr Oberlajtnant Buchanek, ›du hast, mir scheint, Lust auf eine Watschen, du miserabler Kerl du, sei froh, daß ich dir nur eine gewöhnliche irdische Watschen geb, wenn ich dir so eine vom Mond geben möcht, so möchtest du bei deiner Leichtigkeit bis irgendwohin in die Alpen fliegen und möchtest an ihnen klebenbleiben. Wenn ich dir die Schwere von der Sonne geben möcht, so tät sich die Montur an dir in Brei verwandeln und der Kopf möcht dir bis irgendwohin nach Afrika wegfliegen.‹ Er hat ihm also eine gewöhnliche irdische Watschen gegeben, der vorlaute Kerl hat zu weinen angefangen, und wir sind weitermarschiert. Den ganzen Weg am Marsch hat er geflennt und hat Ihnen, Herr Oberlajtnant, von so was wie menschlicher Würde gesprochen, daß man mit ihm umgeht wie mit einem Tier. Dann hat ihn der Herr Oberlajtnant zum Rapport geschickt, man hat ihn auf vierzehn Tage eingesperrt, und er hat noch sechs Wochen zu Ende dienen solln, aber er hat nicht zu Ende gedient, weil er Bruch gehabt hat, und man hat ihn gezwungen, daß er in der Kaserne aufn Reck turnt; und er hats nicht ausgehalten und is als Simulant im Spital gestorben.«

»Es ist wirklich merkwürdig, Schwejk«, sagte Oberleutnant Lukasch, »daß Sie, wie ich Ihnen schon oft gesagt hab, die Gewohnheit haben, das Offizierskorps in sonderbarer Weise herabzusetzen.«

»Woher denn«, antwortete Schwejk aufrichtig. »Ich hab Ihnen nur erzähln wolln, Herr Oberlajtnant, wie sich die Leute früher beim Militär selbst ins Unglück gestürzt ham. Nämlich der Mensch hat sich gedacht, daß er gebildeter is wie der Herr Oberlajtnant, er hat ihn mitn Mond in den Augen der Mannschaft erniedrigen wolln, und wie er die irdische Watschen übers Maul gekriegt hat, so ham Ihnen alle so aufgeatmet, niemanden hats verdrossen, im Gegenteil, alle ham Freude gehabt, daß der Herr Oberlajtnant so einen guten Witz gemacht hat mit der irdischen Watschen; das nennt man eine Situation retten. Es muß einem gleich was einfalln, und schon is gut. Gegenüber den Karmelitern in Prag, Herr Oberlajtnant, hat ein gewisser Herr Jenom vor Jahren ein Geschäft mit Kaninchen und andern Vögeln gehabt. Der hat sich eine Bekanntschaft mit der Tochter vom Buchbinder Bilek gemacht. Der Herr Bilek hat diese Bekanntschaft nicht leiden wolln und hat auch öffentlich im Wirtshaus erklärt, daß, wenn Herr Jenom um die Hand seiner Tochter anhalten möcht, daß er ihn die Stiegen hinunterwirft, daß es die Welt nicht gesehn hat. Drauf hat der Herr Jenom ausgetrunken und is doch zum Herrn Bilek gegangen, was ihn im Vorzimmer mit einem großen Messer empfangen hat, womit sie den Buchrand beschnitten ham, was ausgesehn hat wie ein Mordwerkzeug. Er hat ihn angebrüllt, was er hier will, und in diesem Augenblick hat Ihnen der Herr Jenom so stark gefurzt, daß die Pendeluhr an der Wand stehengeblieben is. Der Herr Bilek hat zu lachen angefangen, hat ihm gleich die Hand gereicht und war nur lauter: ›Bitte, kommen Sie weiter, Herr Jenom – bitte, setzen Sie sich – am Ende ham Sie sich nicht bemacht – ich bin ja nicht so ein böser Mensch, es is wahr, daß ich Sie hab herauswerfen wolln, aber jetzt seh ich, daß Sie ein ganz angenehmer Herr sind, Sie sind ein Original. Ich bin Buchbinder und hab viele Romane und Geschichten gelesen, aber in keinem Buch hab ich gelesen, daß sich ein Bräutigam so vorstelln möcht.‹ Er hat dabei gelacht, daß er sichn Bauch gehalten hat und hat Ihnen voller Freude gesagt, daß es ihm vorkommt, wie wenn sie sich seit ihrer Geburt kennen möchten, wie wenn sie Brüder wären, er hat ihm gleich eine Zigarre gebracht, hat um Bier und Würstl geschickt, hat die Frau gerufen und hat ihr ihn mit allen Einzelheiten von diesem Furz vorgestellt. Die Frau hat ausgespuckt und is weggegangen. Dann hat er die Tochter gerufen und sagt ihr: ›Dieser Herr is unter den und den Umständen um deine Hand anhalten gekommene.‹ Die Tochter hat gleich zu weinen angefangen und hat erklärt, daß sie ihn nicht kennt, daß sie ihn nicht mal sehn will; so is nichts anderes übriggeblieben, wie daß beide das Bier ausgetrunken und die Würstl aufgegessen ham und auseinandergegangen sind. Dann hat der Herr Jenom noch im Wirtshaus Schkandal gehabt, wohin der Herr Bilek immer gegangen is, und zum Schluß hat man ihn überall im ganzen Viertel nicht anders genannt wie ›Der Scheißer Jenom‹ und hat sichs überall erzählt, wie er die Situation hat retten wolln. – Das menschliche Leben, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, is so kompliziert, daß das bloße Leben von einem einzelnen Menschen dagegen ein Hader is. – Zu uns, ins Wirtshaus ›Zum Kelch‹ aufn Bojischti, is vorn Krieg ein Oberpolizist, ein gewisser Herr Hubitschka, gegangen und ein Herr Redakteur, was gebrochene Beine, überfahrene Menschen, Selbstmörder gesammelt und in die Zeitung gegeben hat. Das war Ihnen so ein lustiger Herr, daß er mehr im Polizeiwachzimmer war wie in seiner Redaktion. Der hat mal diesem Herrn Oberpolizisten Hubitschka einen Rausch angehängt, und sie ham sich in der Küche die Kleider ausgewechselt, so daß der Oberpolizist in Zivil war und ausn Herrn Redakteur ein Oberpolizist geworn is, nur die Nummer vom Revolver hat er sich noch zugedeckt und is nach Prag auf Patrouille gegangen. In der Resselgasse, hinter der früheren Sankt-Wenzels-Sparkassa, hat er in der nächtlichen Stille einen alten Herrn im Zylinder getroffen, was mit einer älteren Dame in einem Pelzmantel eingehängt gegangen is. Beide ham nach Haus geeilt und ham kein Wort gesprochen. Er is auf sie losgestürzt und hatn Herrn ins Ohr gebrüllt: ›Brülln Sie nicht so, oder ich führ Sie ab!‹ Stelln Sie sich ihren Schreck vor, Herr Oberlajtnant. Umsonst ham sie ihm erklärt, daß das wahrscheinlich ein Irrtum is, weil beide von einer Gesellschaft beim Herrn Statthalter kommen. Die Equipage hat sie herich bis zum Nationaltheater gefahren und jetzt, daß sie auslüften wolln und in der Nähe ›Na Moráni‹ wohnen und er, daß er Oberstatthaltereirat is mit Gemahlin. ›Sie wern mich nicht zum besten haben‹, hat der verkleidete Redakteur ihn wieder angebrüllt, ›da können Sie sich schämen, wenn Sie, wie Sie sagen, ein Oberstatthaltereirat sind und sich dabei benehmen wie ein Junge. Ich beobacht Sie schon sehr lang, wie Sie mitn Stock in die Roleaus von allen Läden haun, wo Sie vorbeigegangen sind, und dabei hat Ihnen Ihre, wie Sie sagen, Gemahlin geholfen.‹ – ›Ich hab ja keinen Stock, wie Sie sehn. Das war vielleicht jemand vor uns.‹ – ›Natürlich, haben wern Sie ihn‹, sagt drauf der verkleidete Redakteur, ›wenn Sie ihn dort hinter der Ecke an einem Weib, was mit gebratenen Erdäpfeln und Kastanien in Wirtshäuser geht, zerhaut ham, wie ich gesehn hab.‹ Die Frau hat schon nicht mal mehr weinen können, und der Herr Oberstatthaltereirat hat sich so aufgeregt, daß er angefangen hat, etwas von Gemeinheit zu reden, worauf er ihn verhaftet hat. Dann is er von der nächsten Patrouille im Rayon dem Kommissariat in der Salmgasse vorgeführt worn, der verkleidete Redakteur hat ihr gesagt, daß man das Paar aufs Kommissariat führen soll, daß er herich aus der Heinrichsgasse is und dienstlich auf der Weinberge war, daß er die beiden bei Störung der Nachtruhe, bei einer nächtlichen Rauferei abgefaßt hat und daß sie sich gleichzeitig noch eine Wachebeleidigung zuschulden ham kommen lassen. Daß er seine Angelegenheit am Kommissariat in der Heinrichsgasse in Ordnung bringen wird und in einer Stunde aufs Kommissariat in der Salmgasse kommt. So hat die Patrouille beide mitgeschleppt, wo sie bis früh gesessen sind und auf den Oberwachmann gewartet ham, was derweil auf Umwegen zum ›Kelch‹ zurückgekommen is; dort hat er den Oberpolizisten Hubitschka geweckt und hat ihm mit aller Schonung mitgeteilt, was geschehn is und was für eine Untersuchung draus wern wird, wenn er nicht das Maul halten wird –.«

Oberleutnant Lukasch schien bereits durch das Gespräch ermüdet, bevor er das Pferd jedoch zum Trab anspornte, um die Spitze zu überholen, sagte er zu Schwejk:

»Wenn Sie bis abend sprechen, wird das Ganze fort blöder und blöder werden.«

»Herr Oberlajtnant«, rief Schwejk dem fortsprengenden Oberleutnant nach, »wünschen Sie nicht zu wissen, wie es geendet hat?«

Oberleutnant Lukasch begann zu galoppieren.

Der Zustand Leutnant Dubs hatte sich so weit gebessert, daß er aus dem Sanitätskarren kletterte, den ganzen Kompaniestab um sich versammelte und die Soldaten wie im Halbtraum zu belehren begann. Er hielt eine ungeheuer lange Ansprache an sie, die auf allen schwerer lastete als Munition und Gewehre.

Es war ein Mischmasch verschiedener Gleichnisse.

Er hub an:

»Die Liebe der Soldaten zu ihren Offizieren ermöglicht ihnen unglaubliche Opfer, aber darauf kommts nicht an, im Gegenteil, wenn diese Liebe dem Soldaten nicht angeboren ist, muß man sie erzwingen. Im Zivilleben hält die gezwungene Liebe, sagen wir des Schuldieners zum Professorenkollegium, so lange stand wie die äußere Macht, die sie erzwingt; im Krieg jedoch sehen wir das gerade Gegenteil, weil ein Offizier dem Soldaten nicht einmal die kleinste Lockerung jener Liebe gestatten darf, die den Soldaten an seinen Vorgesetzten fesselt. Diese Liebe ist nicht nur eine gewöhnliche Liebe, sondern es ist eigentlich Achtung, Angst und Disziplin.«

Schwejk schritt die ganze Zeit über auf der linken Seite von Leutnant Dub, und wenn dieser sprach, machte Schwejk ununterbrochen, mit dem Gesicht zu Leutnant Dub gekehrt, »Rechts schaut«.

Leutnant Dub bemerkte es anfangs nicht und fuhr in seiner Rede fort:

»Diese Disziplin und Pflicht, zu gehorchen, ist kurz und bündig, weil das Verhältnis zwischen Soldat und Offizier ganz einfach ist; der eine gehorcht, der andere befiehlt. Wir haben schon längst in Büchern über die Kriegskunst gelesen, daß der militärische Lakonismus, die militärische Einfachheit gerade jene Tugend ist, die sich jeder Soldat aneignen soll, der, mag er wollen oder nicht, seinen Vorgesetzten liebt; dieser Vorgesetzte muß in seinen Augen für ihn der größte, vollendetste, herauskristallisierteste Gegenstand einer festen und vollendeten Willensanstrengung sein.«

Jetzt erst bemerkte Leutnant Dub Schwejks »Rechts schaut«, das ihn verfolgte; es war ihm furchtbar unangenehm, weil er gewissermaßen plötzlich selbst herausfühlte, daß er sich irgendwie in seine Rede verwickelt hatte und aus diesem Hohlweg der Liebe des Soldaten zu seinem Vorgesetzten nirgends herausgelangen konnte; deshalb schrie er Schwejk an:

»Was glotzt du mich an wie ein Kalb ein neues Tor?«

»Laut Befehl, melde gehorsamst, Herr Lajtnant, Sie ham mich selbst mal aufmerksam gemacht, daß ich, wenn Sie sprechen, mit meinem Blick Ihren Mund verfolgen soll. Weil jeder Soldat die Befehle seines Vorgesetzten befolgen und sich sie für alle Ewigkeit merken muß, konnte ich nicht anders.«

»Schau auf die andere Seite«, schrie Leutnant Dub, »nur auf mich schau nicht, du blöder Kerl, du weißt, daß ich das nicht gern hab, daß ich das nicht vertrag, wenn ich dich seh, ich werde dich mir so ausborgen . . .«

Schwejk machte mit dem Kopf eine Wendung nach links und schritt so unbeweglich neben Leutnant Dub weiter, daß Leutnant Dub schrie:

»Wohin schaust du denn, wenn ich mit dir spreche?«

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, daß ich nach Ihrem Befehl ›Links schaut‹ gemacht hab.«

»Ach«, seufzte Leutnant Dub, »mit dir ist ein Kreuz. Schau gradaus vor dich und denk dir von dir: Ich bin so ein Dummkopf, daß nicht schad um mich sein wird. Wirst du dir das merken?«

Schwejk blickte vor sich und sagte:

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, soll ich drauf antworten?«

»Was erlaubst du dir denn?« brüllte ihn Leutnant Dub an. »Wie sprichst du da mit mir, was meinst du damit?«

»Melde gehorsamst, Herr Lajtnant, daß ich damit nur an Ihren Befehl auf einer Station denk, wo Sie mich gerügt ham, daß ich überhaupt nicht antworten soll, wenn Sie die Rede beenden.«

»Du hast also Angst vor mir«, sagte Leutnant Dub erfreut, »aber du hast mich noch nicht kennengelernt. Vor mir haben schon andere Leute gezittert als du, merk dir das. Ich hab andere Burschen kleingekriegt, deshalb halts Maul und bleib hübsch hinten, damit ich dich nicht seh!«

Schwejk blieb also rückwärts bei der Sanität und fuhr bequem in dem zweirädrigen Karren bis an den zur Rast bestimmten Ort, wo endlich die Suppe und das Fleisch von der unglückseligen Kuh ausgeteilt wurde.

»Diese Kuh hat man wenigstens auf vierzehn Tage in Essig einlegen solln, und wenn schon nicht die Kuh, so wenigstens den Menschen, was sie gekauft hat.«

Von der Brigade kam zu Pferd ein Kurier mit neuen Befehlen für die 11. Kompanie galoppiert; die Marschroute wurde auf Feldstein abgeändert, Woralycz und Sambor waren links liegenzulassen, denn es war nicht möglich, die Kompanie dort unterzubringen, weil bereits zwei Posener Regimenter dort standen.

Oberleutnant Lukasch traf augenblicklich Dispositionen: Rechnungsfeldwebel Waněk und Schwejk suchen für die Kompanie Nachtquartier in Feldstein.

»Nicht, daß Sie unterwegs etwas anstellen, Schwejk«, machte ihn Oberleutnant Lukasch aufmerksam, »Hauptsache ist, daß Sie sich zur Einwohnerschaft anständig betragen!«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, daß ich mich bemühen wer. Ich hab zwar einen häßlichen Traum gehabt, wie ich gegen früh ein bißl eingeschlafen bin. Mir hat von einem Waschtrog geträumt, was die ganze Nacht am Gang geronnen is, in dem Haus, wo ich gewohnt hab, bis es leer war und den Plafond beim Herrn Hausherrn durchnäßt hat, was mir gleich früh gekündigt hat. So ein Fall, Herr Oberlajtnant, is schon in Wirklichkeit vorgekommen, im Karolinental hinterm Viadukt . . .«

»Geben Sie uns Ruh mit Ihren dummen Reden, Schwejk, und schaun Sie sich lieber mit Waněk die Karte an, damit Sie wissen, welchen Weg Sie gehn solln. Also hier sehn Sie die Dörfer. Von diesem Dorf wenden Sie sich nach rechts zum Flüßchen, und längs des Flüßchens marschieren Sie wieder bis zum nächsten Dorf, und von dort, wo sich der erste Bach in den Fluß ergießt, den Sie zu Ihrer Rechten haben werden, gehn Sie den Feldweg hinauf, genau nach Norden, und so können Sie sich nirgendswohin verirren, als nach Feldstein! Werden Sie sich das merken?«

Schwejk machte sich also mit Feldwebel Waněk nach der Marschroute auf den Weg.

Es war Nachmittag; die Landschaft atmete schwer in der drückenden Hitze, und die schlecht zugeschütteten Gruben mit den begrabenen Soldaten strömten einen Fäulnisgestank aus. Sie kamen in eine Gegend, wo die Kämpfe beim Vormarsch auf Przemysl stattgefunden hatten und ganze Bataillone von Maschinengewehren hinweggemäht worden waren. In dem kleinen Wäldchen am Fluß hatte das Wüten der Artillerie deutliche Spuren hinterlassen. Auf großen Flächen und Abhängen ragten stellenweise statt der Bäume Baumstümpfe aus der Erde, und diese Wüste war von Schützengräben zerfurcht.

»Hier schauts anders aus wie bei Prag«, sagte Schwejk, um das Schweigen zu unterbrechen.

»Bei uns hamr schon nach der Ernte«, sagte Rechnungsfeldwebel Waněk. »In Kralup fangen wir zuerst an.«

»Hier wird nachn Krieg eine sehr gute Ernte sein«, sagte nach einer Weile Schwejk. »Man wird sich hier nicht Knochenmehl kaufen müssen, es ist sehr vorteilhaft für die Bauern, wenn ihnen aufn Feld ein ganzes Regiment verwest; kurz, es is guter Dünger. Nur eins macht mir Sorge, daß sich die Bauern von niemandem anschmieren lassen solln und diese Soldatenknochen nicht unnütz auf Spodium in die Zuckerfabriken verkaufen. Da war euch in der Karolinentaler Kaserne ein gewisser Oberleutnant Holub, der war so gelehrt, daß ihn alle bei der Kompanie für einen Idioten gehalten ham, weil er wegen seiner Gelehrtheit nicht gelernt hat, die Soldaten zu beschimpfen, und alles nur vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet hat. Einmal ham ihm die Soldaten gemeldet, daß das gefaßte Kommißbrot nicht zum Fressen is. Ein andrer Offizier hätt sich aufgeregt über so eine Frechheit, aber er nicht, er is ruhig geblieben, hat niemandem nicht mal Schwein, nicht mal Sau gesagt, und hat nicht mal jemanden übers Maul gehaut. Er hat nur alle seine Gmanen zammgerufen und sagt ihnen mit seiner angenehmen Stimme: ›Vor allem, Soldaten, müßt ihr euch bewußt sein, daß eine Kaserne keine Delikatessenhandlung is, daß ihr euch dort marinierten Aal, Ölsardinen und belegte Brötchen aussuchen könnt. Jeder Soldat soll so intelligent sein, daß er ohne Murren alles auffrißt, was er faßt, und er muß so viel Disziplin in sich haben, daß er sich nicht über die Qualität von dem aufhält, was er auffressen soll. Stellt euch vor, Soldaten, daß Krieg wär. Dem Feld, wo man euch nach der Schlacht begraben wird, is es vollständig egal, mit was für einem Kommißbrot ihr euch vor eurem Tod angestopft habt. Mütterchen Erde wird euch zerfasern und samtn Stiefeln auffressen. In der Welt kann sich nichts verlieren, aus euch Soldaten wird wieder neues Getreide auf Kommißbrot für neue Soldaten wachsen, die vielleicht wieder nicht zufrieden sein wern wie ihr, sich beschwern gehn wern und auf jemanden kommen wern, was sie bis Halleluja einsperren lassen wird, weil er drauf ein Recht hat. Jetzt hab ichs euch Soldaten alles hübsch erklärt und muß euch vielleicht nie mehr dran erinnern, daß, wer sich künftighin beschweren wird, der wird sichs sehr schätzen, bis er wieder an Gottes Licht sein wird.‹ – ›Wenn er wenigstens aufheißen möcht‹, ham die Soldaten untereinander gesagt, und diese Feinheiten in den Vorträgen vom Herrn Oberlajtnant ham sie schrecklich verdrossen. So ham sie mich mal aus der Kompanie gewählt, daß ichs ihm herich sagen soll, daß ihn alle gern ham und daß das kein Militär is, wenn er nicht aufheißt. So bin ich also zu ihm in die Wohnung gegangen und hab ihn gebeten, daß er alle Schüchternheit sein lassen soll, daß das Militär sein muß wie ein Riemen, daß die Soldaten dran gewöhnt sind, daß man sie jeden Tag dran erinnert, daß sie Hunde und Schweine sind, daß sie sonst die Achtung vor ihrem Vorgesetzten verlieren. Er hat sich zuerst gewehrt und hat was von Intelligenz geredet und davon, daß man heut nicht mehr unterm Prügelstecken dienen darf, aber zum Schluß hat er sichs doch sagen lassen, hat mich abgeohrfeigt und zur Tür hinausgeworfen, damit er wieder unsere Achtung gewinnt. Wie ich das Resultat meiner Verhandlungen gemeldet hab, ham alle große Freude darüber gehabt, aber er hats ihnen gleich am nächsten Tag verdorben. Er kommt zu mir und sagt vor allen: ›Schwejk, ich hab mich gestern übereilt, da ham Sie einen Gulden und trinken Sie auf meine Gesundheit. Mit Soldaten muß man umgehen können.‹«

Schwejk schaute in der Gegend umher.

»Ich denk«, sagte er, »daß wir schlecht gehn. Der Herr Oberlajtnant hats uns doch gut erklärt. Wir sollen rechts hinaufgehen und herunter, dann nach links und dann wieder nach rechts, dann nach links – und wir gehn fort gradaus. Oder hamr das alles schon so nebenbei beim Reden gemacht? Ich seh entschieden zwei Wege nach diesem Feldstein vor mir. Ich möcht vorschlagen, daß wir uns jetzt nach links wenden.«

Rechnungsfeldwebel Wanĕk behauptete – wie dies so üblich ist, wenn sich zwei auf einem Kreuzweg befinden –, daß man nach rechts gehen müsse.

»Mein Weg«, sagte Schwejk, »is bequemer als Ihrer. Ich wer den Bach entlanggehn, wo Vergißmeinnicht wachsen, und Ihr werdet euch irgendwo in der Sonnenglut herumdrücken. Ich halt mich dran, was uns der Herr Oberlajtnant gesagt hat, daß wir uns überhaupt nicht verirren können, und wenn wir uns nicht verirren können, wozu möcht ich also irgendwohin auf einen Berg klettern, ich wer hübsch über die Wiesen gehn, wer mir ein Blümchen hinter die Mütze stecken und wer einen ganzen Strauß fürn Herrn Oberlajtnant pflücken. Übrigens wern wir uns überzeugen, wer von uns recht hat, und ich hoff, daß wir hier wie gute Kameraden auseinandergehn. Hier is so eine Gegend, daß alle Wege in dieses Feldstein führen müssen.«

»Sein Sie nicht verrückt, Schwejk«, sagte Waněk, »grad hier müssen wir nach der Karte, wie ich sag, nach rechts gehn.«

»Die Karte kann sich auch irren«, antwortete Schwejk, in das von einem Bach durchströmte Tal hinabsteigend. »Einmal is der Selcher Krschenek aus der Weinberge nachn Plan von der Stadt Prag vom ›Montag‹ auf der Kleinseite in der Nacht nach Haus auf die Weinberge gegangen und is gegen früh nach Rozdělow bei Kladno gekommen, wo man ihn gegen früh ganz erstarrt im Korn gefunden hat, in das er vor Müdigkeit gefalln is. Wenn Sie sich also nichts sagen lassen, Herr Rechnungsfeldwebel, und Ihren Kopf ham, so müssen wir halt auseinandergehn und uns erst an Ort und Stelle in Feldstein treffen. Schaun Sie nur auf die Uhr, damit wir wissen, wer zuerst dort sein wird. Und wenn Ihnen vielleicht eine Gefahr drohen möcht, so schießen Sie nur in die Luft, damit ich weiß, wo Sie sind.«

Nachmittag erreichte Schwejk einen kleinen Teich, wo er einem geflüchteten russischen Gefangenen begegnete, der hier badete und beim Anblick Schwejks nackt, wie er war, die Flucht ergriff.

Schwejk war neugierig, wie ihn die russische Uniform, die hier unter den Trauerweiden lag, wohl kleiden würde; er zog daher seine Uniform aus und die russische des unglücklichen nackten Gefangenen an, der einem im Dorf hinter dem Wald einquartierten Transport entsprungen war. Schwejk wollte sein Spiegelbild im Wasser gründlich betrachten, deshalb schritt er so lange auf dem Damm des Teiches auf und ab, bis ihn dort eine Patrouille der Feldgendarmerie fand, die den russischen Flüchtling suchte. Es waren Magyaren, die Schwejk trotz seines Protestes nach Chyruwa brachten, wo sie ihn in einen Transport russischer Gefangener steckten, der bestimmt war, an der Ausbesserung der Eisenbahnstrecke nach Przemysl zu arbeiten.

All das ging so rasch vor sich, daß Schwejk sich erst am folgenden Tag der Situation bewußt ward, worauf er mit einem Kienspan auf die weiße Wand des Schulzimmers, in dem ein Teil der Gefangenen einquartiert war, die Worte schrieb: »Hier hat Josef Schwejk aus Prag geschlafen, Kompanieordonnanz der 11. Marschkompanie des 91. Infanterieregimentes, der als Quartiermacher irrtümlich in österreichische Kriegsgefangenschaft gefallen ist.«

 


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