Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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7. Schwejk zieht in den Krieg

Zu der Zeit, als die Wälder am Flusse Raab in Galizien das österreichische Heer über die Raab flüchten sahen und die österreichischen Divisionen unten in Serbien nach Gebühr der Reihe nach auf die Hosen bekamen, erinnerte sich das österreichische Kriegsministerium auch Schwejks, der der Monarchie aus der Schlamastik helfen sollte.

Als man Schwejk zur Verständigung brachte, daß er sich in einer Woche auf der Schützeninsel zur ärztlichen Untersuchung einfinden solle, lag er gerade im Bett, abermals von Rheuma gepackt.

Frau Müller kochte ihm in der Küche Kaffee.

»Frau Müller«, ertönte aus dem Zimmer die leise Stimme Schwejks, »Frau Müller, kommen Sie auf einen Moment her.«

Als die Bedienerin beim Bett stand, sagte Schwejk wiederum mit leiser Stimme: »Setzen Sie sich, Frau Müller.«

In seiner Stimme lag etwas geheimnisvoll Feierliches.

Als Frau Müller sich gesetzt hatte, verkündete Schwejk, sich aufrichtend: »Ich geh zum Militär!«

»Heilige Jungfrau«, schrie Frau Müller auf, »was wern Sie dort machen?«

»Kämpfen«, antwortete Schwejk mit Grabesstimme, »mit Österreich stehts sehr schlecht. Oben rücken sie uns schon auf Krakau und unten nach Ungarn! Wir wern gedroschen wie Korn, wohin man sich umsieht, und drum beruft man mich ein. Ich hab Ihnen doch gestern aus der Zeitung vorgelesen, daß unser teures Vaterland von düstern Wolken bedräut wird.«

»Aber Sie können sich doch nicht rühren.«

»Das macht nichts, Frau Müller, ich wer im Wagerl zur Assentierung fahren. Sie kennen doch den Zuckerbäcker um die Ecke, der hat so ein Wagerl. Vor Jahren hat er drin seinen lahmen, bösen Großvater an die frische Luft gefahren. Sie wern mich in diesem Wagerl zur Assentierung ziehn, Frau Müller.«

Frau Müller brach in Tränen aus: »Soll ich nicht um den Doktor laufen, gnä' Herr?«

»Nirgends wern Sie hingehn, Frau Müller, ich bin bis auf die Füß ein ganz gesundes Kanonenfutter, und in einer Zeit, wos mit Österreich schiefgeht, muß jeder Krüppel auf seinem Platz sein. Kochen Sie ruhig den Kaffee.«

Und während Frau Müller verweint und aufgeregt den Kaffee seihte, sang der brave Soldat Schwejk in seinem Bett:

»General Windischgrätz und die hohen Herren,
als die Sonne aufging, gaben die Befehle:
hopp, hopp hopp!

Gaben die Befehle, schrien aus voller Kehle:
Hilf uns doch, Jesus Christ und Jungfrau Maria;
hopp, hopp, hopp!«

Die erschrockene Frau Müller vergaß unter dem Eindruck des fürchterlichen Kriegsgesanges den Kaffee. Am ganzen Körper zitternd hörte sie entsetzt, wie der brave Soldat Schwejk im Bette weitersang:

»Mit der Heiligen Jungfrau auf die starken Brucken,
Piemont, wir werden doch hinüberrucken;
hopp, hopp, hopp!

Ja, das war ein Kampf bei Solferino dorten,
Blut floß dort in Fülle, floß dort allerorten;
hopp, hopp, hopp!

Blut bis zu den Knien wie im Fleischerladen,
weil sich die Achtzehner dort geschlagen haben,
hopp, hopp, hopp!

Achtzehner, ihr Braven, fürchtet nicht Gefahren,
denn man bringt euch schon die Löhnung nachgefahren;
hopp, hopp, hopp!«

»Gnä' Herr, um Gottes willen«, scholl es klagend aus der Küche, aber Schwejk beendete schon sein Kriegslied:

»Löhnung nachgefahren und Menage zum Fressen,
welches Regiment könnt sich mit uns messen?
hopp, hopp, hopp!«

Frau Müller stürzte aus der Tür und lief um den Arzt. Sie kehrte nach einer Stunde zurück. Schwejk war eingeschlummert.

Er wurde von einem dicken Herrn geweckt, der seine Hand eine Zeitlang auf Schwejks Stirn ruhen ließ und sagte:

»Fürchten Sie sich nicht, ich bin der Doktor Pavek aus der Weinberge – zeigen Sie mir die Hand – dieses Thermometer stecken Sie unter die Achsel – so – zeigen Sie die Zunge – noch mehr halten Sie die Zunge – woran ist Ihr Herr Vater und Ihre Mutter gestorben?«

Und so verschrieb Doktor Pavek in der Zeit, da Wien wünschte, daß alle Nationen Österreich-Ungarns die glänzendsten Beweise der Treue und Ergebenheit erbringen mögen, Schwejk gegen seine patriotische Begeisterung Brom und empfahl dem wackeren und braven Krieger, nicht an den Krieg zu denken.

»Liegen Sie gerade und verhalten Sie sich ruhig, morgen komm ich wieder.«

Als er am nächsten Tage kam, fragte er in der Küche Frau Müller, wie es dem Patienten gehe.

»Es steht ärger mit ihm, Herr Doktor«, antwortete sie aufrichtig bekümmert, »in der Nacht hat er, mit Vergeben, wie ihn das Rheuma gepackt hat, die österreichische Hymne gesungen.«

Doktor Pavek sah sich gezwungen, auf diese neue Loyalitätskundgebung des Patienten mit einer erhöhten Dosis Brom zu reagieren.

Am dritten Tage meldete ihm Frau Müller, daß es mit Schwejk noch schlimmer stehe.

»Nachmittag, Herr Doktor, hat er sich eine Karte vom Kriegsschauplatz holen lassen, und in der Nacht hat ihn der Rappel gepackt, daß Österreich siegen wird.«

»Und die Pulver nimmt er genau nach Vorschrift ein?«

»Er hat sich noch nicht mal drum geschickt, Herr Doktor.«

Nachdem Doktor Pavek Schwejk mit einer Flut von Vorwürfen überschüttet hatte, verließ er ihn mit der Versicherung, daß er nie mehr kommen werde, um einen Menschen zu behandeln, der seine ärztliche Hilfe samt dem Brom ablehne.

Es fehlten nur noch zwei Tage, nach deren Ablauf Schwejk vor der Assentierungskommission erscheinen sollte.

In dieser Zeit traf Schwejk wichtige Vorbereitungen. Vor allem ließ er sich von Frau Müller eine Militärkappe kaufen; hierauf schickte er sie fort, um das Wagerl von dem Zuckerbäcker um die Ecke zu entleihen, in dem dieser einst seinen bösen, lahmen Großvater an die frische Luft gefahren hatte. Dann fiel ihm ein, daß er Krücken benötigte. Zum Glück bewahrte der Zuckerbäcker auch die Krücken als Familienandenken an seinen Großvater auf.

Jetzt fehlte ihm nur noch ein Rekrutensträußchen. Auch das trieb Frau Müller, die während jener Tage auffallend abgemagert war und, wo sie ging und stand, weinte, für ihn auf.

Und so ereignete sich denn an jenem denkwürdigen Tage in den Prager Straßen ein Fall rührender Loyalität.

Eine alte Frau, die ein Wagerl vor sich her schob, in dem ein Mann mit einer Militärkappe mit blankgeputztem »Franzl« saß und mit den Krücken winkte. Und auf seinem Rock glänzte ein buntes Rekrutensträußchen.

Und dieser Mann, der immer wieder mit den Krücken winkte, schrie in den Prager Straßen:

»Auf nach Belgrad, auf nach Belgrad!«

Ihm folgte eine Menschenmenge, zu der das unscheinbare Häuflein angewachsen war, das sich vor dem Hause, aus dem Schwejk in den Krieg zog, angesammelt hatte.

Schwejk hatte Gelegenheit zu konstatieren, daß die Polizisten, die an den Straßenecken standen, ihm salutierten.

Auf dem Wenzelsplatz wuchs die Menge um das Wagerl mit Schwejk auf einige hundert Köpfe an, und an der Ecke der Krakauer Gasse wurde ein Burschenschaftler im CerevisKleine, runde Studentenmütze. verprügelt, der Schwejk zuschrie:

»Heil! Nieder mit den Serben!«

An der Ecke der Wassergasse griff berittene Polizei ein und trieb die Menge auseinander.

Als Schwejk dem Revierinspektor nachgewiesen hatte, daß er schwarz auf weiß den Befehl habe, daß er heute vor der Assentierungskommission erscheinen müsse, war der Revierinspektor ein wenig enttäuscht. Um Exzessen vorzubeugen, ließ er das Wagerl mit Schwejk von zwei berittenen Polizisten auf die Schützeninsel geleiten.

Über diese ganze Begebenheit erschien in den »Pražské Úřední Noviny«Prager Amtszeitung. folgender Artikel:

»Patriotismus eines Krüppels: Gestern nachmittag waren die Passanten der Prager Hauptstraßen Zeugen einer Szene, die ein schönes Zeugnis davon ablegt, daß in dieser großen und ernsten Zeit auch die Söhne unserer Nation die glänzendsten Beweise ihrer Treue und Ergebenheit für den Thron des greisen Monarchen liefern. Wir hatten den Eindruck, daß die Zeiten der alten Griechen und Römer sich erneuerten, wo Mucius Scaevola sich in den Kampf tragen ließ, ohne seiner verbrannten Hand zu achten. Die heiligsten Gefühle wurden gestern von einem Krüppel mit Krücken, den ein altes Mütterchen in einem Krankenwagen schob, in großartiger Weise verdolmetscht. Dieser Sohn der tschechischen Nation ließ sich freiwillig, ohne seines Gebrechens zu achten, zur Assentierung fahren, um Gut und Blut für seinen Kaiser hinzugeben. Und wenn sein Ruf: ›Auf nach Belgrad!‹ einen so lebendigen Widerhall in den Prager Gassen fand, dann ist dies ein Beispiel dafür, daß die Prager Bürger Musterbeispiele für die Liebe zum Vaterland und zum Herrscherhause darstellen.«

Im gleichen Sinn schrieb auch das »Prager Tagblatt«, das seinen Bericht mit den Worten schloß, den sich freiwillig meldenden Krüppel habe eine Schar Deutscher begleitet, die ihn mit ihren Leibern vor dem Gelynchtwerden seitens der tschechischen Agenten der Entente habe schützen müssen.

Die »Bohemia« veröffentlichte diese Nachricht mit der Aufforderung, der Krüppel-Patriot möge belohnt werden, und kündigte an, daß sie Geschenke deutscher Bürger für den Unbekannten in der Administration des Blattes entgegennehme.

Konnte das Land Böhmen diesen drei Zeitungen nach keinen edlern Bürger hervorbringen, so waren die Herren der Assentierungskommission nicht dieser Ansicht.

Insbesondere nicht Militäroberarzt Bautze.

Er war ein unerbittlicher Mann, der in allem den betrügerischen Versuch sah, dem Militär, der Front, der Kugel und den Schrapnells zu entrinnen.

Bekannt ist sein Ausspruch: »Das ganze tschechische Volk ist eine Simulantenbande.«

Im Laufe von zehn Wochen seiner Tätigkeit hat er aus 11 000 Zivilisten 10 999 Simulanten ausgemerzt und hätte auch den elftausendsten kleingekriegt, wenn diesen glücklichen Mann nicht just in dem Augenblick, als er ihn: »Kehrt euch!« anbrüllte, der Schlag getroffen hätte.

»Tragen Sie diesen Simulanten weg!« sagte Bautze, als er festgestellt hatte, daß der Mann tot war.

Vor ihm stand an jenem denkwürdigen Tage Schwejk, gleich den übrigen in völliger Nacktheit, seine Blöße keusch mit den Krücken verdeckend, auf die er sich stützte.

»Das ist wirklich ein merkwürdiges Feigenblatt«, sagte Bautze, »solche Feigenblätter hat es im Paradies nicht gegeben.«

»Superarbitriert wegen Blödheit«, bemerkte der Feldwebel, der in die Akten blickte.

»Und was fehlt Ihnen noch?« fragte Bautze.

»Melde gehorsamst, ich bin Rheumatiker, aber dienen wer ich Seiner Majestät dem Kaiser, bis man mich in Stücke reißt«, sagte Schwejk bescheiden. »Ich hab geschwollene Knie.«

Bautze blickte den braven Soldaten Schwejk fürchterlich an und brüllte: »Sie sind ein Simulant!«, und zum Feldwebel gewendet sagte er mit eisiger Ruhe: »Den Kerl sogleich einsperren!«

Zwei Soldaten mit Bajonetten führten Schwejk in das Divisionsgefängnis.

Schwejk ging an den Krücken und bemerkte mit Entsetzen, daß sein Rheumatismus zu schwinden begann. Als Frau Müller, die oben auf der Brücke mit dem Wagerl wartete, Schwejk unter der Obhut der Bajonette erblickte, schluchzte sie laut auf und ließ das Wagerl stehen, um nie wieder dazu zurückzukehren.

Und der brave Soldat Schwejk schritt in Begleitung der bewaffneten Beschützer des Staates bescheiden dahin.

Die Bajonette leuchteten im Glanz der Sonne, und auf der Kleinseite drehte sich Schwejk vor dem Radetzky-Denkmal zu der Menge um, die ihm folgte:

»Auf nach Belgrad! Auf nach Belgrad!«

Und Feldmarschall Radetzky blickte träumerisch von seinem Denkmal dem sich entfernenden braven Soldaten Schwejk mit dem Rekrutensträußchen auf dem Rock nach, wie er an den alten Krücken humpelte, während ein würdiger Herr den ihn umringenden Leuten erläuterte, daß man einen Deserteur abführe.


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